Dr. Laurin – 176 – Dr. Laurins intriganter Kollege

Dr. Laurin
– 176–

Dr. Laurins intriganter Kollege

Oder ist Dr. Jonas Opfer einer bösen Verschwörung?

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-274-9

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Antonia Laurin telefonierte. »Das ist aber nett, Vater«, sagte sie gerade. »Natürlich kommen wir mal rüber. Leon wird sich auch freuen, Winterfeld wiederzusehen. Er weiß sicher Interessantes zu erzählen.«

»Was ist nett und wer ist Winterfeld?«, fragte ihre jüngste Tochter Kyra, als Antonia den Hörer aufgelegt hatte.

»Die Großeltern haben Besuch aus Südamerika bekommen«, erwiderte Antonia geistesabwesend, denn ihre Gedanken wanderten ein Dutzend Jahre zurück. Seltsam, dass sie sich noch so deutlich an Dr. Rupert Winterfeld erinnern konnte. Rups hatte sie ihn genannt, weil er ein bisschen ruppig war, was ja zu seinem Namen passte. Professor Kayser war sein Doktorvater gewesen, und er hatte viel von ihm gehalten. Gar zu gern hätte ihn auch Leon Laurin an die Prof.-Kayser-Klinik verpflichtet, aber Dr. Winterfeld hatte es hinausgezogen in die Ferne.

»Einen Farbigen?«, fragte Kyra in ihre Gedanken hinein.

»Nein, Dr. Winterfeld ist ein Deutscher«, erwiderte Antonia lächelnd.

»Schade, dass nicht mal ein Farbiger zu uns kommt«, meinte Kyra. »Ich möchte gern mal sehen, ob sie wirklich weiße Handflächen haben.«

»Sie haben helle Handflächen, Schätzchen«, erklärte Antonia. Ob Winterfeld jetzt doch wieder in der Heimat bleiben will?, dachte sie dabei. Jedenfalls freute sie sich auf das Wiedersehen, und sie wusste, dass auch ihr Mann sich freuen würde.

Dr. Leon Laurin hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch andere Sorgen. »Ist Jonas immer noch nicht gekommen?«, fragte er Moni Hillenberg leicht gereizt.

»Er hat sich noch nicht gemeldet, Chef«, erwiderte die Sekretärin beklommen.

»Dann soll er bleiben, wo der Pfeffer wächst«, knurrte Dr. Laurin. »Ich kann Unzuverlässigkeit nicht ausstehen.«

Die Rede war von dem Chirurgen Dr. Lutz Jonas, der zur Entlastung von Dr. Sternberg und dessen Assistenten Dr. Michael Hillenberg, mit dem Moni verheiratet war, an die Prof.-Kayser-Klinik engagiert worden war.

»Vielleicht hat er eine Panne, wenn nicht gar etwas Schlimmeres passiert ist«, bemerkte Moni einlenkend. »Er hat ja eine weite Anreise.«

»Wenn man eine Stellung antreten will, soll man sich rechtzeitig auf die Beine machen«, sagte Dr. Laurin unwillig. »Und schlechte Nachrichten ereilen uns schneller als gute, das wissen wir, Moni. Ich gehe jetzt jedenfalls nach Hause.«

Dort angekommen, munterte ihn die Nachricht von Rupert Winterfelds Besuch auf. Antonia hatte es ihrem Mann natürlich gleich angesehen, dass er sich geärgert hatte.

»Jonas ist nicht erschienen«, erklärte der Klinikchef missgestimmt.

Ihre Augenbrauen hoben sich leicht. »Ich habe mir gleich gedacht, dass er nicht zuverlässig ist. Ich mag solche Schönlinge nicht.«

»Er hatte glänzende Zeugnisse. Na ja, es könnte ja wirklich etwas passiert sein. Warten wir mal bis morgen.«

»Und nachher gehen wir rüber zu Paps und Teresa.«

»Nur zu gern. Ich bin sehr gespannt, was Winterfeld aus seinen Entwicklungsländern berichten kann. Ein Einzelgänger ist er wohl immer noch?«

»Das werden wir erfahren«, sagte Antonia. »Aber was Jonas betrifft, wäre ich gar nicht gram, wenn er es sich zu guter Letzt noch anders überlegt hätte.«

Und einen kleinen Triumph konnte sie sich dann auch gönnen, denn zum ersten Mal hatte ihr Mann eine Entscheidung ohne ihre Zustimmung getroffen.

*

Noch jemand wartete vergeblich auf Dr. Lutz Jonas. In einer kleinen Pension stand Gabriele Gulden am Fenster und blickte mit verschleierten Augen in den sinkenden Abend hinaus. Nun flammten schon die Lichter auf, und Lutz war immer noch nicht da. Es war auch keine Nachricht von ihm eingetroffen.

»Gegen vier Uhr bin ich bestimmt bei dir«, hatte er gesagt. »Ruh dich aus, damit wir nett ausgehen können. Wir haben ja Grund zum Feiern.«

Gabriele fühlte sich entsetzlich einsam in dieser großen Stadt. Dabei hatte sie sich doch so sehr gefreut, in München leben zu können, endlich herauszukommen aus der Enge der Kleinstadt, in der immer noch von dem entsetzlichen Unglück gesprochen wurde, das ihr die Eltern und beide Geschwister genommen hatte. Vor zwei Jahren war ein Flugzeug auf ihr hübsches Haus gestürzt, und nur sie war mit dem Leben davongekommen, weil sie zu dieser Zeit Gymnastikunterricht in der Schule gegeben hatte. Sie war zusammengebrochen, aber der junge Arzt Dr. Jonas hatte ihr neuen Lebensmut eingeflößt.

Doch dann war Lutz an eine Klinik nach Norddeutschland gegangen. Sie hatten sich lange nicht gesehen, bis er vor ein paar Wochen plötzlich vor ihr stand und ihr sagte, dass er eine Stellung an der Prof.-Kayser-Klinik bekommen würde.

»Und dann kommst du nach München, und wir ziehen zusammen.« Ja, so hatte er es gesagt, aber sie dachte erst jetzt über diese Bemerkung nach, denn von Heirat hatte er nicht gesprochen.

Nun zweifelte sie plötzlich, dass er überhaupt kommen würde.

Aber er konnte sie doch nicht sitzen lassen. Sie hatte ihm schließlich zwanzigtausend Euro gegeben, damit er die Anzahlung für eine Eigentumswohnung leisten konnte. Begeistert würde sie davon sein, hatte er gesagt. Ja, sie hatte es für selbstverständlich gehalten, dass sie heiraten würden.

Warum nur kamen ihr jetzt so viele Zweifel? Weil Lutz genau der Typ war, der den Frauen gefiel? Hatte er sich etwa in eine andere verliebt?

Nein, das wollte sie nicht glauben. Solche Gedanken musste sie verdrängen. Vielleicht saß er noch bei Dr. Laurin. Er konnte da schließlich nicht einfach aufstehen und sagen, dass seine zukünftige Frau warte.

Seine zukünftige Frau? Hatte er nicht doch nur eine gesucht, die ihm den Haushalt führte, die selbst einiges Geld besaß und noch erwarten konnte?

Was wollte sie ihm jetzt alles unterstellen, nur weil sie ungeduldig wurde? Sicher war dieser Föhn daran schuld, der die Menschen närrisch machte, wie die Pensionswirtin vorhin auch so gereizt bemerkt hatte.

Das ist alles Unsinn, dachte sie nun. Ich rufe einfach in der Prof.-Kayser-Klinik an und frage, ob Lutz noch dort sei. Wenn er sich so verspätet hat, wird er bestimmt zuerst zur Klinik gefahren sein, denn seinen Vertrag musste er ja noch unterschreiben.

Moni war noch im Büro. Sie musste mal wieder Rechnungen schreiben, aber das tat sie ohne zu murren, denn ihr Mann hatte auch noch Dienst, und sie hätte ohnehin auf ihn gewartet.

Schüchtern fragte Gabriele, ob Dr. Jonas noch in der Klinik sei.

»Er ist gar nicht gekommen, bisher jedenfalls nicht«, erwiderte Moni.

»Mein Gott, es wird ihm doch nichts passiert sein?«, entfuhr es Gabriele. »Ich bin seine zukünftige Frau. Ich warte in der Pension.«

»Wenn er kommen sollte, geben Sie doch bitte Bescheid. Der Chefarzt möchte auch wissen, woran er ist«, erklärte Moni.

»Ja, ich werde es ihm sagen«, erwiderte Gabriele. Und dann begann wieder das Warten.

Ich mache mich noch ganz verrückt, dachte sie. Warum rufe ich nicht einfach seine frühere Nummer an und frage, wann er weggefahren ist?

Das tat sie schließlich auch. Eine kühle Männerstimme meldete sich, aber es war nicht Peters Stimme.

»Dr. Jonas? Der ist schon seit drei Tagen weg«, wurde ihr erklärt. Gleich darauf legte der Teilnehmer auf.

Schon drei Tage, dachte Gabriele, und keine Nachricht! Ihr Kopf schmerzte. Zum ersten Mal seit langer Zeit, seit jenen Tagen, da sie den Tod ihrer Familie nicht begreifen konnte, griff sie wieder zu Schlaftabletten, aber sie wirkten schnell, da sie nicht daran gewöhnt war.

*

Im Haus Professor Kaysers herrschte dagegen eine gelockerte, ja, fröhliche Stimmung. Man feierte Wiedersehen mit Rupert Winterfeld und konnte feststellen, dass aus dem ruppigen, eigensinnigen jungen Arzt ein ganzer Mann geworden war. Dass er wilde Zeiten überstanden hatte, war seinem Gesicht aufgeprägt worden, das mehrere tiefe Narben aufwies. Die hatte er damit erklärt, dass er mehrmals in unangenehme Konfrontation mit Eingeborenen geraten war, die in einem Arzt einen Abgesandten des Teufels sahen.

»Es war manchmal chaotisch«, erzählte er, »aber ich habe viel gelernt und dann auch wirklich helfen können. Man sammelt Lorbeeren, aber dann wird man plötzlich doch vom Heimweh gepackt. Ich bin schließlich achtunddreißig.«

»Und immer noch Junggeselle«, warf Leon Laurin ein.

»Frauen halten es drüben kaum aus, es sei denn, sie sind weit davon entfernt, begehrenswert zu sein«, erwiderte Rupert offen.

»Und die Schönen des Landes?«, fragte Teresa Kayser verschmitzt.

»Da riskiert man zu leicht ein Messer zwischen den Rippen oder gar einen Giftpfeil«, erwiderte Rupert lächelnd. »Wenn schon Heirat, dann möchte man eine Partnerin, so wie Leon eine hat.« Bewundernd blickte er Antonia an. »Sie haben sich überhaupt nicht verändert, Antonia. Drüben werden die Frauen schnell alt und dick.«

»Und was hast du jetzt vor, Rups?«

»Umschauen werde ich mich. Jetzt werde ich erst mal den Chirurgenkongress besuchen, und morgen gehe ich in die Oper. La Traviata. Man hat mir gnädigerweise sogar zwei Karten zur Verfügung gestellt. Hat jemand Lust, mitzukommen?«

»Ne, danke«, sagte Leon, »die Traviata kenne ich zur Genüge.«

»Ich auch«, sagte Antonia. »Aber Sie werden bestimmt was Nettes finden, Rups.«

»Na, so bin ich auch nicht, dass ich gleich auf die Suche gehe.«

»Da stehen immer welche, die sogar immense Preise für eine Karte zahlen«, warf Teresa ein. »Ich würde ja mitgehen, aber dann wird mein Joachim eifersüchtig.«

Darüber konnte sich Dr. Winterfeld besonders freuen, wie glücklich sein verehrter Professor mit Teresa geworden war.

»Sie kriegen den Hausschlüssel, Rups, und können bummeln gehen«, sagte Joachim Kayser.

»Aber wir arrangieren dann auch noch ein Treffen mit Lars Petersen«, schlug Antonia vor. »Er war auch lange in Südamerika. Ihn wird es sicher interessieren, ob dort Fortschritte zu verzeichnen sind.«

»Fortschritte schon«, meinte Rupert, »aber wie lange wird es noch dauern, bis diesen armen Menschen wirklich geholfen werden kann? Manchmal wird man müde, sehr müde.«

Leon sah ihn forschend an. »Wenn Jonas nicht antritt, kannst du ja mal bei uns europäische Klinikverhältnisse schnuppern«, sagte er gedankenvoll.

»Jonas ist nicht gekommen?«, fragte Professor Kayser. »Na, wenn da mal nicht was faul ist. Ruf lieber mal seinen früheren Chef an, Leon.«

»Er hat mich ausdrücklich darum gebeten, es nicht zu tun. Er wollte nicht im Streit gehen.«

Antonia warf ihm einen schrägen Blick zu. »Wenn du dich diesmal nur nicht hast überfahren lassen, Schatz«, sagte sie nachdenklich. »Ich vermute, dass Jonas’ Charme sogar auf dich gewirkt hat.«

»Ach was, es waren seine Zeugnisse.«

»Man kann manche auch wegloben«, meinte Rupert.

»Und man kann Zeugnisse auch fälschen«, warf Teresa ein.

»Mach mich nicht schwach«, seufzte Leon. »Ich rufe morgen an und erkundige mich genau.«

*

Als Leon und Antonia heimgingen, schmiegte sie sich in seinen Arm. »Ich bin richtig froh, Liebster«, sagte sie leise.

»Dass Rups wiedergekommen ist?«, fragte er gespielt eifersüchtig.

»Darüber auch, aber vor allem darüber, dass du auch deine Schwächen hast. Es gibt nichts Schlimmeres als einen unfehlbaren Mann. Und mir wäre es hundertmal lieber, wenn Rups mit euch arbeiten würde, wenn auch nur vorübergehend.«

»Du scheinst ja nahezu einen Widerwillen gegen Jonas zu haben.«

»Er ist zu glatt, zu schön.«

»Es könnten ihn immerhin ernsthafte, verzeihliche Gründe am pünktlichen Erscheinen gehindert haben.«

»Oder er ist bei einer Frau versumpft«, sagte Antonia.

»Es wird sich herausstellen«, meinte Leon. »Aber ich bin bereit, nie wieder eine Entscheidung ohne deinen weisen Rat zu treffen, wenn du recht haben solltest.«

Damit war das Thema Lutz Jonas für diesen Abend beendet.

Am nächsten Morgen hatte Dr. Laurin zwei kleine Operationen, und gegen elf Uhr wollte Rupert Winterfeld kommen, um sich die neue Prof.-Kayser-Klinik anzuschauen, denn er kannte sie nur noch, wie sie früher einmal gewesen war.

Moni saß schon an ihrem Schreibtisch, als Dr. Laurin kam. »Da hat gestern Abend noch die zukünftige Frau von Jonas angerufen«, sagte sie sofort. »Sie hat auch vergeblich gewartet. Es muss wohl doch etwas passiert sein.«

»Wenn ich mit den Operationen fertig bin, werde ich mit seinem früheren Chef telefonieren«, erklärte Dr. Laurin. »Gegen halb elf Uhr kommt Dr. Winterfeld. Sollte sich Jonas melden, lassen wir ihn auch erst mal warten.«

Aber Jonas meldete sich nicht. Dr. Laurin brachte die Operationen hinter sich und danach führte er mit dem früheren Chef von Dr. Jonas ein Telefongespräch, das sich sehr lange hinzog.

Mit düsterer Miene saß er dann an seinem Schreibtisch, bis Rupert Winterfeld kam.

*

Gabriele war es nicht schwergefallen, früh aufzustehen, denn schon seit vier Uhr hatte sie sich schlaflos in ihrem Bett herumgewälzt.

In der Pension war es noch ganz still. Sie lag in einer stillen Villenstraße, die vom brausenden Morgenverkehr verschont blieb.

Gabriele nahm sich viel Zeit für ihre Morgentoilette. Sie war dann direkt froh, als es an ihrer Tür klopfte.

Das Zimmermädchen brachte einen Eilbrief. Gleich schoss das Blut in Gabrieles blasse Wangen, als sie die Schrift von Lutz erkannte. Endlich eine Nachricht. Aber sie sah dann auch, dass der Umschlag eine Schweizer Marke aufwies. Und nun zögerte sie, den Brief zu öffnen. Ihr Herz klopfte wie ein Hammer.

Liebe Gabi, las sie.