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Walter A. Fischer/Michael Schratz
Schule leiten und gestalten

Bibliothek Schulentwicklung

Band 3

Walter A. Fischer und Michael Schratz

Schule leiten
und gestalten

Mit einer neuen Führungskultur
in die Zukunft

STUDIENVerlag
Innsbruck-Wien-München

 

 

 

 

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Fischer, Walter A.:

Schule leiten und gestalten : mit einer neuen Führungskultur in die Zukunft / Walter A. Fischer und Michael Schratz. - 2., aktualisierte Auflage - Innsbruck; Wien; München: Studienverlag, 1999 (Bibliothek Schulentwicklung ; Bd. 3)

ISBN 978-3-7065-5796-2

© 1999 by StudienVerlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

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2. aktualisierte Auflage

Umschlaggestaltung: Christina Karafiat

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Anmerkungen

1. Leiten - mit Gefühl

Was wissen wir über Gefühle?

Über den Umgang mit Gefühlen

Persönliches Erleben und eigene Erfahrungen

Gefühle - eine diagnostischer Zugang zum Selbst

Anmerkungen

2. Beraten - ein Herzstück pädagogischer Führung

Miteinander reden - zwischenmenschliche Kommunikation

Feedback als Führungsmittel

Ein Meta-Modell der Sprache

Beraten in Problemsituationen

Klassenbesuche und Unterrichtsbeobachtung

Anmerkungen

3. Zeit als pädagogische Dimension

Wie wir unsere Zeit strukturieren

Hilfsmittel zur Optimierung der Arbeitsorganisation

Schulleitung zwischen Chaos und Zukunftsmanagement

Eine ganzheitliche Sichtweise von Zeit

Zeit innovativ gestalten

Anmerkungen

4. Schulentwicklung als Führungsaufgabe

Schule in die Zukunft entwerfen

Auf dem Weg zu einem erneuerten Bildungsverständnis

Selbstorganisation als treibende Kraft

Von der Vision zum Ziel - Zielentwicklung

Von der Gruppe zum Team - Teamentwicklung

Innovationen von Schulleiterinnen und Schulleitern zur Entwicklung ihrer Schulen

Anmerkungen

5. Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung

Was ist eine “gute” Schule?

Die “gute Schule” aus wirtschaftlicher Sicht

Die “gute Schule” aus pädagogischer Sicht

Die “gute Schule” aus organisationstheoretischer Sicht

Von der Schulaufsicht zur Systemberatung

Qualitätssicherung durch Rechenschaftslegung

Anmerkungen

6. Weiterbildung in pädagogischen Leitungsfunktionen - eine Begründung

Nicht nur für die Schule ...

Von der administrierten zur bildungspolitisch aktiven Schule

Von der Systemeinheit zur Vertrauensorganisation

Wie läßt sich Führung lernen?

Anmerkungen

7. Transformational Leadership - eine neue Führungsphilosophie

Führen und geführt werden

Konventionelle Führungskonzepte

Die Grenzen herkömmlicher Führungsansätze

Am Weg zu einem neuen Führungsverständnis

Ausblick: Führung zwischen Chaos und Komplexität

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

 

 

 

 

Grau unterlegte Bereiche mit Piktogrammen weisen auf spezielle Textteile hin und markieren folgende Aussageebenen:

! Merksätze, Akzentuierungen

Protokolle und Beispiele

: Übungsanweisungen

Vorwort

Es ist wieder einmal Bewegung in die Schullandschaft gekommen. Schlagworte wie “Autonomie”, “Regionalisierung” und “Schulentwicklung” beherrschen die gegenwärtigen Diskussionen und lassen ein neues Paradigma in der Bildungspolitik erwarten. Diese Dynamik kommt nicht von ungefähr. In der gegenwärtigen globalen Umbruchsituation und bei der Neugestaltung einer Zusammenarbeit in Europa ist deutlich geworden, daß sich ein Schulsystem von (vor)gestern für ein unbekanntes Morgen als nicht mehr tragfähig erweist.

Wie aus einem Dornröschenschlaf aufgeweckt, sieht sich das System Schule plötzlich damit konfrontiert, daß die starren Rahmenbedingungen einer bewährten (d.h. bewahrenden) hierarchischen Struktur für die Bewältigung der Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts nicht mehr ausreichen. Die bisherige Systementwicklung hat nicht ausgereicht, aus einer “Lernfabrik” eine schülergerechte Bildungsinstitution zu gestalten. Oft wurde sogar die Dynamik jener gebremst, die sich auch unter einschränkenden Bedingungen und unter großem persönlichen Aufwand um eine Weiterentwicklung von Schule und Unterricht bemüht hatten. Ein Grund liegt sicherlich auch in der enormen Zunahme an Komplexität und der damit verbundenen Begrenzung der Lenkbarkeit, mit der jede Organisation heute konfrontiert ist. Gorbatschows Spruch “Wer nicht rasch genug handelt, den bestraft die Geschichte” ist daher zum Impuls für viele Institutionen geworden, die nicht dasselbe Schicksal erleiden wollen wie die starr reglementierten Systeme des ehemaligen Ostblocks.

Es sind auch bereits einige Aktivitäten gesetzt worden, um diesen Tendenzen Rechnung zu tragen und konkrete Maßnahmen zur Modernisierung des Schulsystems einzuleiten. Der Gesetzgeber sieht unter anderem ein Autonomiegesetz vor, das der einzelnen Schule mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in inhaltlichen, pädagogischen und organisatorischen Bereichen geben soll. Wir befürchten einerseits, daß die dazu vorgesehenen Rahmenbedingungen den Betroffenen vor Ort zu wenig Spielraum lassen werden, um eine wirklich “neue” Schule zu machen. Wir wissen aber auch, daß es für die Betroffenen nicht leicht ist, aus der gewohnten, bereits in der (Lehrer-)Ausbildung grundgelegten Haltung des Anpassens und Reagierens zu einer des aktiven Planens und Neugestaltens überzugehen. “Autonomie” und “Entwicklung” lassen sich nicht verordnen, sondern ihre Verwirklichung benötigt einerseits Zeit, insbesondere aber auch neue Haltungen, Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Verwirklichung einer neuen Schulkultur notwendig sind.

Betroffen von einer derartigen Neuorientierung sind alle, die Schule als einen aktiven Organismus verstehen, insbesondere aber jene, die aufgrund ihrer Führungsfunktion eine besondere Rolle einnehmen. Aus der Wirtschaft wird in diesem Zusammenhang gerne das Wort “Management” entlehnt, das sich Schulleiterinnen und Schulleiter künftig ins Berufsbild schreiben sollten. Wir. glauben aber, daß sich die Schule nicht wie ein auf die Marktmechanismen reagierender Wirtschaftsbetrieb managen läßt - auch wenn zahlreiche Managementfähigkeiten auch für die Leitung einer Schule anzuwenden und für ihre Lenkung förderlich sind. Deshalb entlehnen wir aus dem Englischen das Wort Leadership, mit dem wir eine neue Qualität pädagogischer Führung ansprechen, für die wir mit diesem Buch sensibilisieren wollen. Wir gehen davon aus, daß wir den künftigen Herausforderungen einer sich immer schneller verändernden Welt und der zunehmenden Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge mit einer neuen Form von Führung begegnen können. Für die Lösung von Problemen gibt es nicht mehr ein einmal vorgegebenes Lösungsmodell, das es sich anzueignen gilt, sondern die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation, in der eine Maßnahme bereits die nächste bewirkt und neue Probleme aufwirft.

Mit Führungsaufgaben ist zunächst die Schulleitung angesprochen, die dazu den gesetzlichen Auftrag hat. So heißt es beispielsweise im österreichischen Schulunterrichtsgesetz nach§ 56 (2): “Der Schulleiter ist der unmittelbare Vorgesetzte aller an der Schule tätigen Lehrer und sonstigen Bediensteten.”1 Darin werden bereits die ersten Probleme ersichtlich: Es ist hier einschränkend von einer Person die Rede, was bereits die Möglichkeit einer kollegialen Führung ausschließt. Weiters ist der Schulleiter Ausdruck eines patriarchalisch geprägten Systems, in dem der männliche Ausdruck verwaltungsrechtlich die Frauen zwar einbezieht, in der sichtbaren Form(ulierung) aber ausschließt2.

Diese Widersprüche sind symptomatisch für unser gegenwärtiges Bildungssystem. Wir können sie über ein Buch nicht ändern, glauben aber, daß möglichst viele Betroffene innerhalb und außerhalb der Schule in den Erneuerungsprozeß einbezogen werden sollten, um eine förderliche Entwicklung herbeizuführen. Wir richten uns daher mit diesem Band an alle, die mit pädagogischen Führungsaufgaben betraut sind oder solche anstreben, denn Veränderung kann heute nur systemisch erfolgen, d.h. daß alle Teilbereiche eines Systems sie mittragen müssen. Auch wenn in erster Linie die Schulleiterin oder der Schulleiter die Schlüsselperson, Drehscheibe und den Innovationskern darstellt, sind die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, die Eltern sowie die Schulaufsicht und -administration in diesen Prozeß einbezogen.

Um diesen Zielsetzungen in einem solchen umfassenden Anspruch gerecht zu werden, spannen wir den Bogen dieses Bandes inhaltlich von der Gefühlswelt des einzelnen Menschen bis zum Transformational Leadership und von den Voraussetzungen zur Autonomie bis zur Rolle der Schulaufsicht im Rahmen der Qualitätssicherung von Schule. Daneben bieten wir konkrete Hilfestellungen zur Arbeit an der eigenen Person, zur Anleitung von Teamentwicklung, zur Übungsanleitung in Beratungssituationen bis zum produktiven Umgang mit der wertvollen Ressource Zeit. Dementsprechend wechseln auch die Textsorten von der Beschreibung innerpsychischer Vorgänge über den Mitschnitt einzelner Sequenzen aus Schulleiterkursen bis zu wissenschaftlichen Texten zur Auseinandersetzung mit bildungspolitischen Fragestellungen.

Wir konnten das Buch mit diesem umfassenden Anspruch nur schreiben, weil wir seit mehr als einem Jahrzehnt in ein wissenschaftlich evaluiertes Entwicklungsprojekt zur Weiterbildung in pädagogischen Leitungsfunktionen eingebunden sind, das seinen Anfang an der Abteilung für Pflichtschulen des Pädagogischen Instituts in Oberösterreich genommen hat und sich über alle Schultypen auch anderer Bundesländer hinweg bis zu den deutschen Schulen in Südtirol ausgeweitet hat. Vielen Menschen ist an dieser Stelle für ihre Mitarbeit zu danken, und gerne nennen wir auch diejenigen, die mit uns Pionierarbeit geleistet haben, Hans P. Leeb (Oberösterreich) (t), Peter Trattner (t), Jelle Kahlhammer, Manfred Müllner (Salzburg) und Konrad Oberhammer (Südtirol).

Nicht zuletzt haben uns die vielen Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Führungskurse für Leiterinnen und Leiter sowie Vertreter der Schulaufsicht in den unterschiedlichen Schultypen bestärkt, die dabei gewonnenen Erfahrungen in dieser Form niederzuschreiben. Wir wollen auch ihnen damit danken und hoffen, damit Führungskräften in pädagogischen Leitungsfunktionen ein Buch in die Hand zu geben, das ihre Leidenschaft zum Weiterlernen weckt und stärkt. Diejenigen, die sich auf eine solche Funktion vorbereiten, mögen ermuntert und begeistert werden!

Walter A. Fischer

Michael Schratz

Vorwort zur 2. Auflage

Rückblickend auf das Erscheinungsjahr der 1. Auflage dieses Buches leben wir nun bereits in der Zukunft. Was hat sich inzwischen geändert, was ist geblieben? Im Zuge der Autonomisierung des Schulwesens ist die Qualifizierung von Schulleitung bildungspolitisch zur Priorität geworden: In Italien wurde über das Autonomiegesetz auch gleich die Schulleitung flächendeckend in umfangreiche Weiterbildungsmaßnahmen eingebunden, in Österreich wurde (im Bereich des Pflichtschulwesens) die Ausbildung für die Schulleitung am Beginn ihrer Amtszeit verpflichtend vorgeschrieben, und europaweit zeigen einschlägige Projekte, dass die Schullandschaft in Bewegung ist.

Vieles in diesem Buch ist noch immer eine aktuelle Herausforderung. So ist unser erstes Kapitel durch die Entdeckung der “Emotionalen Intelligenz” bestätigt worden, und das gilt für die meisten Ansätze dieses Buches, die noch auf eine Erfüllung warten.

Wir haben deshalb die nach wie vor aktuellen Themen für die 2. Auflage beibehalten und nur dort Änderungen vorgenommen, wo uns die Zeit eingeholt hat.

Oktober 1999

Walter A. Fischer, Kirchschlag

Michael Schratz, Innsbruck

 

 

Anmerkungen

1    Ähnliche Definitionen finden sich in den Schulgesetzen aller europäischen Staaten.

2    In den Schulbüchern wird heute beispielsweise darauf geachtet, daß diese Einseitigkeit korrigiert wird. In Leitungsfunktionen im Bildungsbereich reproduziert sich allerdings noch das herkömmliche Gesellschaftsbild, in dem das Geschlechterverhältnis in den Führungspositionen nicht dem der Lehrerinnen und Lehrer entspricht. Dieser Widerspruch findet sich über einseitige Formulierungen auch in diesem Buch wieder. Wir haben nicht versucht, diesem durch sprachliche Akrobatik mittels Schrägstrichen oder über Wortneuschöpfungen zu begegnen. Die zahlreichen männlichen Formulierungen sollen verdeutlichen, daß Führungspositionen im Bildungsbereich noch vielfach von Männern beansprucht werden. Wir hoffen aber, daß sich durch unser Buch genügend Frauen angesprochen fühlen, aktiv in die pädagogische Leitungsarbeit einzugreifen. Wir begründen dies einerseits in Kapitel 7, versuchen über unser neues Führungsverständnis und konkrete Anregungen zur praktischen Anwendung, andererseits aber auch zahlreiche Anstöße zur Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen zu geben.

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Es scheint eine der Hypotheken einer gefühlsabstinenten Erziehung zu sein, daß Emotionen für viele Menschen im Zusammenhang mit Lernen, Arbeit und Erfolg einen negativen Beigeschmack haben. Sie werden meist als hemmend oder störend bzw. als Schwäche interpretiert. Bereits in der frühen Kindheit werden unterschiedliche Verhaltensweisen bei Buben und Mädchen verstärkt, wenn es um das Zeigen von Emotionen geht (vgl. Bast 1988). “Ein Bub weint doch nicht”, heißt es zumeist in der männlichen Sozialisation, und dieses Nicht-zeigen-Dürfen von Gefühlen wird für viele Männer zur nie mehr hinterfragten Leitlinie ihres Lebens. Im Gegensatz dazu formulieren viele Frauen ihre Einstellung zu Emotionen so, daß deren Ausdruck zwar zu ihrem Selbst gehöre, sie aber die Welt der Gefühle oft als Gefängnis erleben, aus dem sie sich willentlich nicht mehr befreien könnten. Wut, Haß, Rache und Eifersucht etwa sind solche Emotionen, die sich oft sogar noch steigern, wenn man versucht, sie zu bekämpfen.

In der täglichen Schul- und Berufswelt scheint also für Gefühle kein Platz zu sein. Vordergründig mag sich dieser Eindruck bestätigen. Der distanzierte Schulaufsichtsbeamte, der knallharte Manager, die gewandte, sachliche Geschäftsführerin und der Trainer mit dem Pokerface sind gängige Stereotypen, die auf Emotionslosigkeit schließen lassen. Beim genaueren Nachspüren sind die Gefühle jedoch nur zurückgedrängt, sie werden abgewehrt und ziehen sich ins Unterbewußtsein zurück. Höchstens Schuldgefühle oder Wut werden verhältnismäßig leicht an die Oberfläche gespült. Gefühle sind mit dem Erfolg ebenso verbunden wie mit dem Mißerfolg. Wenn wir Erfolg haben, fühlen wir uns glücklich, wir sind stolz, wir freuen uns, wir möchten die ganze Welt umarmen. Aber für manche Menschen bricht eine Welt zusammen, wenn sie Mißerfolg haben. Dann fühlen sie sich als Verlierer und Versager, und in der Folge entstehen unangenehme Gefühle wie Scham, Schuld, Verzweiflung oder Haß. Es gibt also Gefühle, die uns emportragen und das Leben lebenswert machen, aber auch solche, die uns entmutigen und krank machen. Streß, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Verdauungsbeschwerden und viele degenerative Erkrankungen sind u.a. auch die Folge von Emotionen, die wir nicht in den Griff bekommen und die ihr Zerstörungswerk aus dem Unterbewußten her einleiten und begleiten. Die beiden stärksten Gefühle, die unser Leben zum Erfolg im Hinblick auf Gesundheit, Partnerschaft, Finanzen, Führung und Zeitmanagement bestimmen, sind einerseits die Angst vor dem Mißerfolg, vor Versagen und Schmerz und andererseits das Glücksgefühl, das Vergnügen, das wir mit dem Erreichen eines Zieles verbinden. Von diesen beiden ist wiederum die Angst bzw. der Schmerz der stärkere Motivator. Im Zweifelsfall verzichten wir auf einen Erfolg, wenn damit Schmerz verbunden ist. Der Umgang mit unseren Emotionen bietet uns die Möglichkeit, unsere persönliche Autonomie zu verwirklichen und das zu erreichen, was wir wirklich wollen.

Auch in der Schule macht die nicht adäquate oder mangelnde emotionale Auseinandersetzung mit Mißerfolgen vielen Schülern das Leben schwer, und sie durchleiden ähnliche Schicksale wie Erwachsene. Die Folgen können sich in unkontrollierten Aggressionen oder depressiven Zuständen bis hin zu tragischen Suizidfällen manifestieren. Eine spezielle schulische Sprachregelung pathologisiert Schüler, die in ihren Emotionen gefangen sind, als verhaltensauffällig, verhaltensgestört, hyperaktiv oder umgangssprachlich als “Störenfried”, “Nervensäge” oder “Sargnagel”.

Manche Menschen versuchen unbefriedigende Gefühle mit Hilfe von Suchtoder Aufputschmitteln zu vertreiben. Wieder andere wollen angenehme Gefühle mit Hilfe von Alkohol, Tabak oder Drogen erzeugen. Allen diesen Versuchen gemeinsam ist, daß sich die Menschen der Willkür von Gefühlen ausgeliefert glauben. Sie sind Opfer und nicht Regisseure ihrer Emotionen. “Ich könnte explodieren!” sagt eine Lehrerin, wenn wieder einmal die Klasse nicht zum Aushalten ist. “Ich kann eben nicht aus meiner Haut heraus!” meint resignierend eine Führungsperson, die eben eine Mitarbeiterin abgekanzelt, verletzt oder beleidigt hat. “Jetzt habe ich die Nase voll!” tobt der Mathematiklehrer, als er merkt, daß man ihm den Text der Prüfungsarbeit geklaut hat.

Welche Möglichkeiten gibt es, sich aus solchen emotionalen Einschränkungen zu befreien und sie vielleicht sogar als positive Ressourcen zu nutzen? Das ist eine “Münchhausen-Frage”, werden sich manche denken, und es scheint zunächst tatsächlich eine unlösbare Aufgabe zu sein, sich selbst am eigenen Zopf aus dem (Gefühls-)Sumpf zu ziehen, wie oft auch die eigenen Erfahrungen zu beweisen scheinen. Wenn es gelänge, einen bewußteren Umgang mit Emotionen einzuleiten, dann könnte damit eine Lücke in der modernen pädagogischen Praxis und im Schulmanagement geschlossen werden. Denn dieser Bereich, der im allgemeinen eher als eine peinliche Falle gesehen wird, birgt tatsächlich den Schlüssel für eine positivere Lebensgestaltung und ein befriedigenderes Zusammenleben. Wir stellen daher diesen oft ausgeblendeten Bereich pädagogischer Führungsarbeit an den Anfang unseres Buches, da wir selbst erlebt haben, welche große Bedeutung Emotionen für Schule und Unterricht haben.

Was wissen wir über Gefühle?

Das Interesse der Menschheit am Thema Emotionen ist seit Platon und Aristoteles sehr groß. Der Erkenntnisstand der Emotionsforschung ist jedoch im Vergleich zu anderen psychologischen Disziplinen gering (vgl. Goleman 1996). Offensichtlich kann die rational abstrakte Wissenschaft mit “Gefühlen” kaum etwas anfangen, vermutlich deswegen, weil die Modellbildung, die auf Präzision und materielle Wirklichkeit ausgerichtet ist, automatisch alles ausgrenzt und wegfiltert, was nicht im diesen Rahmen paßt. Nadig und Erdheim (1984) etwa haben in ihren ethnopsychoanalytischen Studien aufgezeigt, wie Abstraktionen in den Wissenschaften gefühlsbetonte Anteile ins Unterbewußte verdrängen, von wo sie in unkontrollierter und destruktiver Weise die Lebendigkeit der Forschung zerstören.

Allein schon die vielen gebräuchlichen Begriffe wie Emotion, Affekt, Stimmung, Gefühl, Erregung usw. sind ein Hinweis auf die unterschiedliche Konzeptualisierung der ablaufenden Prozesse. Weiters signalisieren die zahlreichen und vielfältigen Definitionsvorschläge eine außerordentliche Komplexität dieser Thematik. Um einen Überblick über die Einordnung der Emotionen im Gesamtsystem Mensch zu bekommen, kann man von der Annahme ausgehen, daß der menschliche Organismus durch das Zusammenwirken von fünf Subsystemen im weitesten Sinne handlungsfähig wird.

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    Das Informationsverarbeitungs-Subsystem vertritt vor allem die kognitive Komponente, die für die interne und externe Reizbewertung verantwortlich ist.

    Das Versorgungs-Subsystem umfaßt die neurophysiologische Komponente, also das neuro-endokrine System und das autonome Nervensystem, und dient in erster Linie der homöostatischen Regulierung des Organismus.

    Das Steuerungs-Subsystem betrifft die Plan- und Zielstruktur und ist verantwortlich für die motivationale Komponente.

    Das Aktions-Subsystem dient vorwiegend dem Ausdruck und der Ausführung von Handlungen. Es basiert auf dem somatischen Nervensystem und der quergestreiften Muskulatur.

    Das Monitor-Subsystem ist ein Kontrollsystem, das alle anderen Subsysteme reflektiert und integriert. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Umwelt- und Innenweltbedingungen und wird vorwiegend als Gefühl aktiviert (vgl. Scherer 1990, 5 ff.).

Damit wird der Stellenwert der Gefühle als umfassendes Reflexions- und Integrationssystem beschrieben. Ständige Informations- und Interaktionsprozesse zwischen den Subsystemen bewirken wechselseitige Veränderungen. Daraus resultieren komplexe Wechselwirkungen, innerhalb derer vorübergehend die Systemzustände synchronisiert werden, also auf einen speziellen Auslöser ausgerichtet sind. Dabei wird von der Vorstellung ausgegangen, daß es eine Art neutralen Gleichgewichtszustand gäbe, der vorübergehend immer wieder durch Auslöser bzw. durch die Mobilisierung von Ressourcen unterbrochen wird, um bestimmte notwendige Anpassungsforderungen meistern zu können. Die Funktion der Emotionen kann in dieser systemischen Vorstellung sowohl in der Erzeugung von Alarmzuständen liegen als auch in der Bestätigung von positiven Erlebniszuständen. Nicht umsonst betont die Volksmeinung, daß einem das Gefühl schon “sagt”, was “richtig” ist.

Das Abklingen der Emotionen geht mit einem Schwächerwerden des gegenseitigen Einwirkens der Subsysteme einher, und nach einem vorübergehend stärkeren Synchronisieren übernehmen die einzelnen Subsysteme wieder ihre speziellen Funktionen.

Nach dieser systemorientierten Modellbeschreibung stellt sich die Frage nach einer umfassenderen Theorie der Emotionen. Aus den bisherigen Forschungsansätzen kann man ableiten, daß kein Konsens über ein allgemein verbindliches Emotionskonzept besteht. Dazu kommt, daß nur wenige kritische Experimente vorliegen, die Schlußfolgerungen über mögliche Eingrenzungen von Auslösern oder beteiligten Reaktionsmustern für eine umfassendere Thesenbildung zulassen. Nahezu alle bisherigen Versuche beschränken sich auf die Thematisierung von Einzelkomponenten des Emotionsprozesses, sodaß für eine handlungs- und erlebnisleitende Praxis nur wenig herauszuholen ist, denn die ist bekanntlich komplex, ganzheitlich, bezogen auf den einzelnen Menschen und seine spezifische Welt und gleichzeitig auf Gruppen bzw. größere soziale Systeme. Selbst dort, wo bestimmte Wechselwirkungen zwischen einzelnen Komponenten untersucht wurden, ist wegen der mangelnden Eindeutigkeit der Ergebnisse nur eine lebhafte und großteils polemische Debatte die Folge gewesen. Zum Beispiel die Kontroverse über das Ausdrücken von Emotionen. Die These, daß das Ausleben bzw. Ausdrücken von Emotionen zu einer Klärung und Befreiung führe (Katharsis-Hypothese) wird heftig durch die Gegenmeinung bekämpft, daß der motorische Ausdruck eine Verstärkung der Gefühlsempfindungen bewirke (Facial-Feedback-Hypothese).

In den folgenden Überlegungen greifen wir deshalb auf eine Sichtweise zurück, die sich als “Theorie des subjektiven Erlebens” (vgl. Dilts/Bandler/Grinder 1989, Bachmann 1991) etabliert hat, das herkömmliche Denkkonzept erweitert und sich für die Umsetzung in die Führungspraxis der Schule als besonders brauchbar erwiesen hat. Eine kleine Forschungsgruppe um L. Cameron-Bandler, M. Lebeau und M. Singleton hat sich im Rahmen des Future-Pace-Instituts in Kalifornien auf die Weiterentwicklung der Emotionsforschung spezialisiert. Ihre Ergebnisse betreffen ein Lernen auf der Grundlage von subjektiven Erfahrungen und Erlebnissen, das den bisher meist unterdrückten oder vermiedenen Bereich der Emotionen einbezieht und damit Neuland nicht nur im Umgang mit Gefühlen, sondern auch mit Prozessen wie Motivation, Ausdruck, Gedächtnis u.a. eröffnet, also Bereiche, die sich bisher wirksamen Veränderungsmethoden nur erschwert zugänglich gezeigt haben. Auch die klassischen Konzeptionen in der Wissenschaft zeigen inzwischen Tendenzen der Weiterentwicklung. Zunehmende Phänomenorientierung, ökologische Validität, theoretische Öffnungen und Interdisziplinarität, Anwendungsbezug und Methodenvielfalt lassen eine optimistische Sichtweise für die künftige Entwicklung der Emotionsforschung zu.

Über den Umgang mit Gefühlen

Nachdem der theoretische Rahmen unserer Überlegungen abgesteckt ist, wenden wir uns nun dem Umgang mit Gefühlen zu, wobei eine pragmatische Handlungsorientierung im Vordergrund steht. Der Begriff Gefühl wird unterschiedlich verwendet. Einerseits zum Ausdruck für Körperempfindungen, z.B. “Ich habe Kreuzschmerzen”. Die Begriffe Emotion bzw. Gefühl, wie wir sie hier verwenden, drücken andererseits etwas sehr viel Komplexeres aus. Sie unterscheiden sich von den Körperempfindungen, die gleichzeitig auftreten können, dadurch, daß sie viel umfassender in unsere Sinnes- und Vorstellungswelt eindringen, d.h. sie stellen sozusagen die subjektiven Reaktionen einer ganzen Persönlichkeit dar. Sie können Verhalten bzw. Handlungen auslösen, über die wir Bewertungen anstellen. Die vorrangige Erfahrung, die Menschen von ihren Gefühlen haben, ist der Verlust von Kontrolle, ein Ausgeliefertsein, das sich bis zur Hilflosigkeit steigern kann, was die folgenden Aussagen andeuten:

    “Da sind mir wieder die Pferde durchgegangen.”

    “Ich konnte mich einfach nicht mehr beherrschen.”

    “Ich kann einfach nicht mehr klar denken.”

    “Ich fühle mich wie gelähmt.”

    “Wenn ich in diesem Zustand bin, dann geht alles schief.”

    “Ich sehe da nur mehr rot.”

Das sind Aussagen, die nahelegen, wie Menschen die Gefangenschaft im Käfig ihrer Gefühle erleben. Umgekehrt fühlen wir uns “emporgetragen”, “entzückt”, “beglückt” und “außer Rand und Band”, “voll Energie zum Bäume-Ausreißen”, wenn uns die “richtigen” Gefühle bewegen.

Wie oft erleben wir, daß ein Vorhaben durchaus konkrete Ziele aufweist, gut geplant ist und sich ohne erkennbare Ursache die emotionalen und sozialen Bedingungen so verändern, daß es dennoch scheitert. Umgekehrt gelingen trotz mangelhafter Zielsetzung und Planung oft Dinge, die eigentlich zum Scheitern verurteilt sind. Hier sind es meist emotionale Energien, die so stark auf den Menschen einwirken, daß alle Bedenken und Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden.

Die Frage ist nun, wie man im Elternhaus, in der Schule, im täglichen Berufsleben, in Führungssituationen oder Führungstrainings, in der Mitarbeiterschulung und in vielen anderen Situationen einen nützlichen Umgang mit Gefühlen lernen und vor allem selbst die Wahl seiner Gefühle bestimmen kann. Ein möglicher Zugang bietet sich durch die spezielle Struktur der Emotionen.

Emotionen können als Syndrome, d.h. als Bündel verschiedener Komponenten, definiert werden. Zusammen bilden sie eine Struktur, die uns zu verstehen ermöglicht, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun. Darüber hinaus ermöglicht uns die Kenntnis der Struktur einer Emotion einen Zugang dazu, sie zu erzeugen oder zu verändern. Wir wollen das einmal grundsätzlich an einem Beispiel verdeutlichen. Ein Schüler bereitet sich auf eine Schularbeit mit dem Gefühl der Hoffnung vor, daß es schon gut gehen werde. Hoffnung ist ein Gefühl, das zwei Möglichkeiten eröffnet, den Erfolg und den Mißerfolg. Ein Spieler, der beim Roulette setzt, tut gut daran, bei diesem Gefühl zu bleiben, eine erfolgreiche Schularbeit wird jedoch damit nicht vorbereitet. Da wäre etwa das Gefühl Zuversicht schon günstiger, denn es schließt den Mißerfolg dadurch aus, daß es die eigene Kontrolle betont, also auch mehr Anstrengungsbereitschaft fördert. In der Forschung läßt sich auch eindeutig belegen, daß erfolgsorientierte Schülerinnen und Schüler erfolgreicher sind als mißerfolgsorientierte. Ein anderes Gefühlspaar ist Frustration und Enttäuschung. Beide können auftreten, wenn man etwas nicht bekommt, das man gerne möchte. Frustration bedeutet, daß man das Gewünschte zwar noch nicht bekommen hat, es aber für möglich hält, das Erstrebte trotzdem zu bekommen. Die Folge ist, daß man weiter darum kämpft. Dagegen leitet Enttäuschung in die Passivität über. Man gibt das Ziel auf und bemüht sich deshalb auch nicht mehr. Welches sind nun die Strukturkomponenten, die hinter diesen Beispielen stehen? Oder mit einer Metapher aus dem Bereich der Musik ausgedrückt: Wie läßt sich der Klang eines einzelnen Instrumentes aus einem großen Orchester heraushören? Eine Mindestvoraussetzung ist, sich die einzelnen Instrumente einzeln mit ihren jeweiligen Klangmöglichkeiten vorstellen zu können. Je besser man die einzelnen Teile kennt und versteht, umso leichter wird es auch, im Orchester der Gefühle die Dirigentschaft zu einer Kunst des Umgangs mit Gefühlen auszuformen.

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In der praktischen Arbeit haben sich die folgenden acht Strukturbestandteile für die Auseinandersetzung mit Emotionen als hilfreich und nützlich erwiesen:

(1) Kriterium

(2) Zeitrahmen

(3) Modalität

(4) Tempo

(5) Vergleich

(6) Intensität

(7) Beteiligung

(8) Ausschnitt

Darüber hinaus könnten natürlich noch weitere Komponenten verwendet werden, auf die wir hier aber nicht eingehen werden.

(1) Kriterium

Unter Kriterium versteht man zunächst den einzigartigen und einmaligen Kern eines Gefühls. Da geht es beispielsweise um ein Gespräch zwischen einer Schulleiterin und einem Lehrer. Die Leiterin kritisiert, daß der Kollege regelmäßig zu spät zum Unterricht kommt und deshalb schon eine Elternbeschwerde eingelangt sei. Nehmen wir an, der Kollege reagiert darauf mit dem Gefühl der Beschämung und der Schuld. Dahinter steckt das Kriterium: “Ich werde beurteilt, ich habe etwas falsch gemacht”. Er begreift dies als etwas Unabänderliches, als wäre ab nun ein sichtbarer Makel an seiner Person. Seine entsprechende Reaktion könnte sein: “Die blöden Eltern sollen sich nicht einmischen”, oder “Die Chefin will mir wieder einmal eins auswischen”. Hat der Kollege emotionale Wahlfreiheit, dann wechselt er das Kriterium folgendermaßen: “Die Leiterin will mir helfen, mein Fehlverhalten zu korrigieren, sie unterstützt mich, daß mein Image vor Schülern und Eltern nicht verletzt wird”. Das sich daraus entwickelnde Gefühl könnte Erleichterung und Zuversicht sein und die Bereitschaft fördern, das Verhalten zu ändern, die Trübung der Beziehung zu beenden, und damit wäre auch eine angenehme Zusammenarbeit in der Zukunft in Aussicht gestellt.

Das einem Gefühl zugrunde liegende Kriterium kann erfüllt, nicht erfüllt, verletzt oder ausgedehnt werden. Wenn beispielsweise meine Erwartungshaltung einem Kollegen gegenüber zu hoch ist, dann ist das Gefühl der Enttäuschung schon vorprogrammiert. Ist diese Haltung aber gegenüber den bisherigen Erfahrungen angemessen, dann ist ein Gefühl der Bestätigung, also der Erfüllung von Erwartungen, wahrscheinlicher. Hat ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin die gültigen Standards schwerwiegend verletzt, dann sind Gefühle wie Ärger, Zorn oder Scham die Folge. Gefühle wie Amüsiert-Sein oder Fröhlich-Sein signalisieren, daß ein Kriterium nicht nur erfüllt wird, sondern sich erweitert bzw. ausdehnt.

Neben dem Kriterium spielt auch eine Rolle, um welche Kriterienbereiche es überhaupt geht, etwa um Personen, Informationen, Aktivitäten, Dinge usw. Bei einem Vortrag spielt es etwa eine große Rolle für die gefühlsmäßige Einstimmung, ob ich ihn vor meinen Freunden halte oder ob ich dasselbe Thema in einer hochoffiziellen Expertenkonferenz vorzutragen habe, bei der sich vielleicht sogar eine Reihe meiner gefährlichsten Rivalen befindet. Das Gefühl der Unsicherheit oder Unzulänglichkeit hängt in diesem Fall mit den Personen und nicht mit der Art der Information zusammen, die ich weitergebe.

(2) Zeitrahmen

Fast alle Gefühle lassen sich in einen bestimmten Zeitrahmen einordnen. Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft liefern den Testbereich für die Erfüllung der wesentlichen Kriterien. An einigen Beispielen soll dies erläutert werden. Nehmen wir das Gefühl einer freudigen Erwartungshaltung. Ein Besuch, der Schulinspektor, hat sich angekündigt. Die Erfüllung des Kriteriums, das Eintreffen einer erwarteten Person, ist eindeutig in der nahen oder ferneren Zukunft angelegt. In einem anderen Fall tritt das Gefühl des Bedauerns auf. Ein bestimmtes Verhalten oder ein Ergebnis ist nicht so gelungen, wie man sich das gewünscht hätte. Leider ist es aber zu spät. Das Kriterium hat sich in der Vergangenheit erfüllt. Es ist nicht möglich, etwas Zukünftiges oder Gegenwärtiges zu bedauern, ohne den Sachverhalt der dahingeschwundenen Chance zu akzeptieren. Schließlich das Gefühl der Rastlosigkeit. Es erfüllt sich in der Gegenwart, dehnt sich aus und bestimmt das Hier und Jetzt. Wenn man aus dem Zeitrahmen der Gegenwart heraus etwa die Aufmerksamkeit auf ein erbauliches Erlebnis der Vergangenheit richtet, dann verändert sich auch das Gefühl. Aus Rastlosigkeit wird beispielsweise Ruhe. Auf diese Weise kann jedes Gefühl, dessen wesentliche Komponente im Zeitrahmen liegt, durch Fokussierung auf einen anderen Zeitbereich verändert werden.

(3) Modalität

Die Modalität beschreibt den Bezugsrahmen von Gefühlen unter dem Aspekt der Notwendigkeit, der Möglichkeit, des Wünschens oder der Sicherheit. Nehmen wir als Beispiel das Gefühl Verantwortung. Es bildet sich primär aus der Erkenntnis, daß etwas getan werden muß, also aus der Modalität der Notwendigkeit. Die Frage nach den notwendigen Fähigkeiten tritt vor der Frage zurück, wie ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln ein Problem lösen kann. Verantwortung, die aus dem Bewußtsein der persönlichen Ressourcen, der eigenen Fähigkeiten und damit der gegebenen Möglichkeiten erwächst, ist nicht mehr so stark motiviert, wie die aus einer Notwendigkeit erwachsende. Es ist eine häufig zu beobachtende Erfahrung, daß Menschen, die viele Möglichkeiten haben, etwas Positives zu tun, diese Chancen oft nicht nützen, während andere, die sich sozial engagieren, dabei Fähigkeiten entwickeln, die ursprünglich gar nicht vorhanden waren. Sie sind unter dem Aspekt einer großen Aufgabe oder unter dem Druck einer Notwendigkeit gleichsam über sich selbst hinausgewachsen.

Weiters könnte sich ein Schulleiter oder eine Schulleiterin die Frage nach der Weiterentwicklung der eigenen Schule stellen. Die Verantwortlichkeit beginnt bei der Frage: “Muß überhaupt etwas geschehen und hat es Folgen, wenn nichts geschieht?” Als zweite Frage folgt: “Bin ich es, der (die) etwas tun muß, oder ist jemand anderer zuständig?” Die dritte Frage betrifft die eigenen Fähigkeiten: “Kann ich es tun, bin ich überhaupt fähig, diese Aufgabe zu übernehmen?” Wenn eine dieser Fragen nicht positiv beantwortet werden kann, schwindet das Verantwortungsgefühl oder es verringert sich zumindest. Es kann auch durch ein anderes Gefühl ersetzt werden. Ähnliche Fragen stellen sich auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, und es liegt auf der Hand, daß ein Leiter, der sein Team motivieren und zur Mitverantwortlichkeit erziehen will, entsprechende Begründungen anbieten muß. Die Menschen möchten nicht nur sachlich, sondern auch emotional überzeugt werden.

Den Zugang zu den Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühlen stellt die Sprache her. Die entsprechende Modalität wird durch bestimmte Worte wie in den folgenden Beispielen beschrieben.

Notwendigkeit:

Ich sollte eigentlich, ich muß, ich muß nicht usw.

Möglichkeit:

Ich kann, ich kann nicht, ich könnte, ich könnte nicht usw.

Wünsche:

Ich möchte, ich möchte nicht, ich hoffe, ich würde gerne usw.

Sicherheit:

Es ist, es ist nicht, ich will, ich will nicht usw.

In keinem Strukturbereich sind die Differenzierungen so stark von den Feinheiten der Sprache abhängig wie bei den Modalitäten. Daher kommt es gerade in diesem Bereich oft zu Mißverständnissen und daraus erwachsenden Mißgestimmtheiten.

(4) Tempo

Die meisten Menschen haben schon einmal die Wechselwirkung zwischen Musik und bestimmten Gefühlszuständen an sich selbst erfahren. Wenn wir Musik hören, passen wir unser Erleben automatisch dem Tempomuster der Musik an. Umgekehrt wählen wir gerne Musik, die zu unserer Stimmung paßt. Jedem Gefühl entspricht ein bestimmtes Tempomuster und ein bestimmter Rhythmus. So sind etwa Ungeduld, Panik oder Erregung von einem hohen Tempo und von einem unregelmäßigen Rhythmus bestimmt. Geduld, Zufriedenheit, Ruhe oder Gelassenheit entsprechen mehr einem langsamen Tempo und einem gleichmäßigen Rhythmus. Eine moderierende Leiterin gerät beispielsweise während einer langatmigen Diskussion im Rahmen einer Mitarbeiterbesprechung immer mehr in Ungeduld und Nervosität. Wenn sie das Tempo ihrer Emotion bewußt verlangsamt, wird sie merken, wie sich ihr Gefühl ändert. Aus der ursprünglichen Ungeduld wird interessiertes Zuhören und geduldiges Herausarbeiten der wesentlichen Aussagen. Die subjektive Qualität des Erlebens drückt sich wesentlich im Tempomuster und im Rhythmus aus. Schon kleine Veränderungen können eine neue Dimension des Erlebens bewirken.

(5) Vergleich

Vergleichen bezieht sich auf den Grad der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Gegebenheiten. So signalisiert das Gefühl der Zufriedenheit, daß etwas Erwartetes eingetreten ist, daß etwas zutrifft, daß Übereinstimmung herrscht. Enttäuschung ist ein Gefühl, das entsteht, wenn ein erwartetes Ereignis nicht eingetreten ist. Nichtübereinstimmung klären oder “Nichtzutreffendes durchstreichen” hat zwar vom Effekt das gleiche Ergebnis wie Übereinstimmung bestätigen oder “Zutreffendes ankreuzen”, in den begleitenden Emotionen ist jedoch ein Unterschied. Die bekannte Metapher, in der zwei Biertrinker darüber sinnieren, ob der Krug halbvoll oder halbleer ist, weist auf ein Dilemma hin, in dem sich auch die Schule befindet, wenn sie einmal argumentiert, die Schwächen der Schüler müßten bekämpft werden, und ein andermal ihre Stärken auszubauen trachtet. Das Gefühl der Ermutigung wirkt im Sinne einer relativen Skala; es kann von ganz wenig bis sehr viel ansteigen.

Inadäquate Gefühle werden häufig durch den Vergleich der eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Begabungen mit denen anderer ausgelöst. Praktisch wird folgendes bewirkt: Fällt der Vergleich zum eigenen Vorteil aus, stellt sich ein Gefühl des Stolzes oder der Überheblichkeit bis zur Präpotenz. Fällt aber der Vergleich zum eigenen Nachteil aus, dann führt dies meist zu Minderwertigkeitsund Unzulänglichkeitsgefühlen, Neid oder Enttäuschung. Aus dieser Sicht bewirken die vermeintlich zur Lernmotivation geeigneten Wettbewerbssituationen vor allem in den unteren Jahrgangsklassen wegen der emotionalen Nebenwirkungen langfristig das Gegenteil. Wenn etwa das Erkennen oder Lernen von Unterschieden ein Lernziel darstellt, läßt sich das auch erreichen, ohne daß dabei negative Gefühle erzeugt werden müssen. Bei entsprechenden Untersuchungen über selbstbezogene und selbstbewertende Emotionen im Leistungshandeln von Kindern konnten sogenannte Sieger- und Verliererhaltungen schon in einem sehr frühen Alter bestätigt werden (vgl. Geppert und Heckhausen 1990).

(6) Intensität

Unter Intensität verstehen wir den Grad der emotionalen Stärke, mit der ein Gefühl auftritt. Intensität wird als ein Kontinuum erlebt, das von sehr geringer über mäßige bis zu sehr hoher Intensität reichen kann.

Nehmen wir das Beispiel eines Lehrers, der sich durch das Verhalten von Schülern gestört fühlt. Zunächst erträgt er die Störung geduldig. Wenn aber Ermahnungen nichts fruchten, steigt sein Puls, sein Gefühl wechselt zu einem zunehmenden Ärger. Dann fehlen vielleicht nur noch einige Provokationen, und die steigende Intensität des Gefühls läßt es zu Zorn und Wut weiterentwickeln. Ein Punkt wird erreicht, wo dann die später nicht mehr erklärbaren und bedauerten Affekthandlungen ihre Ursachen haben. Solche zunehmende Intensität drückt sich in Gefühlsketten aus. Beispiele dafür sind:

gestört – verärgert – wütend – haßerfüllt

besorgt – beunruhigt – verzweifelt – hysterisch

gleichgültig – interessiert – neugierig – gefesselt – besessen

Es kann auch der umgekehrte Vorgang eintreten, daß sich die Intensität verringert. Das ist jedoch selten und schwieriger zu erreichen. Es ist wie beim Würzen von Speisen. Hat man einmal zuviel Würze erwischt, dann läßt sich das nur mehr schwer rückgängig machen.

Der Vorgang, wie man solche Gefühlsketten steuern kann, liegt in der bewußten Veränderung von sinnlichen Vorstellungen. Ein Schulleiter erzählt beispielsweise in einer Coaching-Situation1, daß er sich so aufregt, weil während der von ihm geleiteten Konferenz die meisten Kolleginnen und Kollegen Schulhefte verbessern. Er hätte schon einmal gebeten, das nicht zu tun, aber es nütze nichts. Während er das erzählt, merkt man seine hochkommenden Gefühle des Ärgers und der Hilflosigkeit. Die folgende Anregung war, er solle sich vorstellen, daß er Chef eines intensiv fleißigen Lehrerteams sei, das jede Minute für schulische Arbeit nütze. Immer dann, wenn seine Lehrer nicht voll gefordert seien, dann suchten sie sich selbst eine Arbeit, sogar während der Konferenz. Diese Vorstellung nötigte ihm zunächst ein Lächeln ab (“Der hat ja keine Ahnung!”), aber das Bild, das er von seiner Konferenz hatte, hellte sich auf, wurde freundlicher, und er kam mit der spontanen Idee, daß man so ein Team eigentlich nicht durch Vorlesen langweiliger Erlässe von seinem Arbeitseifer abhalten dürfe. Aus dieser Einsicht entstand dann das Thema “Wie kann ich in Kooperation mit meinem Team die “Belehrungs” -Konferenz zu einer Arbeitskonferenz weiterentwickeln?” Dieses Beispiel zeigt sehr treffend, wie Gefühlsarbeit durchaus in konkrete Handlungsanregungen übergehen kann.

(7) Beteiligung

Beteiligung betrifft den Grad der persönlichen Kontrolle, der in einem Gefühl vorhanden ist. Auch hier können wir ein Kontinuum von stark aktiv bis extrem passiv erkennen. Außerdem wird durch dieses Strukturelement die Richtung bestimmt, in der die Zielerreichung konzipiert ist. Einmal streben wir danach, von einem unangenehmen Zustand wegzukommen: “Ich möchte, daß diese Unpünktlichkeit an meiner Schule aufhört.” “Wie kann ich dieses Durcheinanderreden in den Beprechungen abstellen?” In diesen Formulierungen lassen sich “Weg-von-etwas”-Indikatoren erkennen2. Eine andere Struktur ergeben Zielformulierungen wie: “Ich möchte eine Teamorganisation an meiner Schule aufbauen”, “Ich werde um einen Erweiterungsbau für meine Schule ansuchen” usw. Hier geht es um ein “Hin-zu-etwas”. Der Grad der Beteiligung kann in beiden Formulierungen hoch sein. Die Chancen, positive Ergebnisse zu erreichen, liegen jedoch höher, wenn der erstrebte Zustand positiv formuliert und wohlgeformt ist3.

Es ist ein interessantes Phänomen, daß die Sprachstruktur bereits Auskunft über die Art der Zielorientierung gibt. In einem Kurs formulierten Schulleiter ihre Projektziele in folgender Weise: “Ich wünsche mir mehr finanzielle Mittel.” “An unserer Schule müßte man die Hälfte der Lehrer austauschen, weil sie demotiviert sind.” “Die Obrigkeit müßte sich etwas einfallen lassen.” usw. Es ist deutlich ersichtlich, wie in diesen Beispielen geringe persönliche Beteiligung im Vordergrund steht. Der Glaube, daß sie selbst nichts machen könnten, trägt bereits zur Passivität und zum Abschieben von Verantwortung bei. Solche Erfahrungen der Passivität sind verbunden mit Gefühlen wie Abwarten, Hoffnung, Gleichgültigkeit, Zufriedenheit, Einsamkeit, Apathie u.a. Bei diesen Gefühlen besteht kein Bedürfnis, etwas tun oder verändern zu müssen.