Proverbi italiani

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Vorbemerkung

In Sprichwörter sind alltägliche Erfahrungen und Beobachtungen eingeflossen, wie Menschen sie im Laufe der Jahrhunderte gesammelt haben; in der bildhaften Sprache des Sprichworts, in der häufig vorliegenden semantischen Mehrdeutigkeit und in der charakteristischen, einprägsamen Form werden solche Erfahrungen auf den Punkt gebracht und übertragbar zugleich, teils auch mit erkennbarer didaktischer Funktion. Für Lernende einer Sprache sind Sprichwörter Pflicht und Kür: Will man sich Gespräche und Texte wirklich in ihren Bedeutungsnuancen erschließen und mehr Sicherheit im Ausdruck erlangen, so sollte man sich zumindest die geläufigsten dieser tradierten kommunikativen »Codes« einprägen. Gleichzeitig macht die Bildhaftigkeit der ›Satzmetapher‹ Sprichwort auch ihren Reiz aus und eröffnet den Lernenden einen kreativen Zugang zur Fremdsprache, wobei die einprägsame Struktur auch als Erinnerungsstütze dienen mag. Und nicht nur das: Wer sich mit Sprichwörtern beschäftigt, stößt gleichsam auf Sedimente der Kulturgeschichte eines Landes, einer Region oder Sprache. Hierin liegen auch Verständnisschwierigkeiten begründet, immer wieder bedarf es der Kenntnis des kulturellen Kontextes, um Bedeutungen zu verstehen.

Der Band Proverbi italiani richtet sich in diesem Sinne an Lernende, die sich ein Repertoire an Sprichwörtern aneignen, und außerdem an alle, die sich für die italienische Sprache und Kultur interessieren, Freude daran haben und sich tiefergehend mit ihren Charakteristika auseinandersetzen möchten. Italienische Sprichwörter werden hier verstanden als Kommunikationsmittel, als Verständnis- und sprachliches Verfeinerungsinstrument und als kulturelle Fundgrube. Um die Anwendung zu erleichtern, sind die Sprichwörter alphabetisch geordnet. Angeführt werden über 800 Sprichwörter in ihrer authentischen Form, wobei heute wirklich noch Bekanntes und Geläufiges im Zentrum steht. Auf ein Sprichwort folgt jeweils die Erklärung der über den Grundwortschatz hinausgehenden Vokabeln. Darauf folgt, wenn möglich, eine deutsche Entsprechung des Sprichworts. Existiert eine solche nicht und erschließt sich die Bedeutung nicht unbedingt von selbst, dann folgt eine kurze Erklärung, gegebenenfalls mit Informationen zum kulturgeschichtlichen Hintergrund. Angegeben werden biblische und in einigen Fällen auch lateinische Vorlagen, da in Italien die lateinischen Originalversionen in der alltäglichen und schriftlichen Kommunikation noch viel verbreiteter sind als im deutschen Sprachraum und Lernende, Lesende oder Reisende damit konfrontiert werden könnten.

I proverbi dalla A alla Z

A

1. A bocce ferme si saprà chi guadagna.

la boccia (meist pl.): Bocciaspiel, -kugel. | fermo/a: stillstehend, angehalten. –  D: »Wenn das Spiel aus ist, sieht man, wer gewonnen hat.«

2. A buon cavalier non manca lancia.

il cavaliere: Ritter. | la lancia: Lanze. –  Sinn: Ein fähiger Mensch wird sich immer zu helfen wissen.

3. A buon consiglio non si trova prezzo.

D: »Guter Rat ist teuer.« / »Guter Rat ist Goldes wert.«

4. A buon intenditor poche parole.

l’intenditore: hier: Zuhörer, Gesprächspartner. –  D: »Wo Verstand ist, da braucht es nicht viele Worte.«

5. A buona volontà non manca facoltà.

la facoltà: Fähigkeit. –  D: »Wer will, der kann.« / »Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.«

6. A carnevale ogni scherzo vale.

valere: hier: gelten. –  Sinn: Zur Karnevalszeit sind Dinge erlaubt, die sonst nicht durchgehen.

7. A casa Poltroni è sempre festa.

il poltrone: Faulenzer, Faulpelz. –  D: »Faule haben allzeit Feiertag.« Vgl. Nr. 418.

8. A caval donato non si guarda in bocca.

donare: schenken. –  D: »Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul.«

9. A chi batte forte, si apron le porte.

bạttere: hier: anklopfen. –  Sinn: Beharrlichkeit und Nachdruck zahlen sich aus.

10. A chi compra non bastan cent’occhi e a chi vende ne basta uno solo.

D: »Kauf bedarf hundert Augen, Verkauf hat an einem genug.«

11. A chi ha, sarà dato.

Biblischen Ursprungs: »Denn wer da hat, dem wird gegeben werden …« (Matthäus 25,29) Vgl. Nr. 636 und Nr. 715.

12. A ciascuno il suo mestiere.

D: »Jeder bleibe bei seinem Handwerk.« Vgl. Nr. 167.

13. A mali estremi, estremi rimedi.

il male: Unglück, Übel. | il rimedio: Abhilfe, Heilmittel. –  D: »Außerordentliche Übel erfordern außerordentliche Mittel.« / »Teufel muss man mit Teufeln austreiben.«  L: »Extremis malis, extrema remedia.« Vgl. Nr. 243.

14. A pagare e a morire si è sempre in tempo.

Sinn: Unangenehme Dinge werden gerne aufgeschoben.

15. A pensar male ci si indovina.

Sinn: Wer Schlechtes von den Menschen denkt, trifft damit meist ins Schwarze.

16. A pensar troppo non si fa nulla.

nulla: nichts. –  Sinn: Wer zu viel grübelt, kann keine Entscheidungen mehr fällen.

17. A rubar poco si va in galera, a rubar tanto si fa carriera.

la galera: Gefängnis, Knast.–  D: »Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen.« Vgl. Nr. 417.

18. A San Martino ogni mosto diventa vino.

Sinn: Am Martinstag wird in Italien traditionell das Ende der Erntezeit begangen und der vino nuovo, der »Neue Wein«, verkostet.

19. A sentire una campana sola si giudica male.

giudicare: urteilen. –  D: »Man muss immer zwei Seiten hören.« / »Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, man muss sie hören alle beede.« Antiken Ursprungs, bekannter römischer und später mittelalterlicher Prozessgrundsatz: »Audiatur et altera pars.«

20. A star fermi si fa la muffa.

stare fermo: still stehen, untätig sein. | la muffa: Schimmel. –  D: »Wer rastet, der rostet.«

21. A testa bianca, spesso cervello manca.

D: »Alter schützt vor Torheit nicht.« Vgl. Nr. 879.

22. A tutto c’è rimedio, fuorché alla morte.

il rimedio: Abhilfe, Heilmittel. | fuorché qu/qc: außer, bis auf jdn./etwas. –  D: »Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen.«

23. L’abito non fa il monaco.

l’ạbito: Kleid, Anzug. –  D: »Das Kleid macht noch keinen Mönch.« / »Es sind nicht alle Doktoren, die rote Hüte tragen.«  L: »Habitus non facit monachum.«

24. L’abitudine è una seconda natura.

D: »Gewohnheit ist eine zweite Natur.«  L: »Consuetudo quasi altera natura.«

25. L’acqua cheta rovina i ponti.

cheto/a (reg.): still, ruhig. –  D: »Stille Wasser sind tief.« / »Stumme Hunde und stille Wasser sind gefährlich.«

26. Acqua passata non macina più.

macinare: mahlen. –  D: »Vorbei ist vorbei.« / »Der Schnee vom Vorjahr ist für immer dahin.« Vgl. Nr. 177, Nr. 306, Nr. 695 und Nr. 697.

27. Ad ogni uccello suo nido è bello.

D: »Jedem Vogel gefällt sein Nest.«  L: »Suum cuique pulchrum est.« (Cicero, Tusculanae disputationes)

28. Ad ognuno la sua croce.

D: »Jeder hat sein Kreuz zu tragen.« – Biblischen Ursprungs: »Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.« (Matthäus 10,38)

29. Gli affari sono affari.

l’affare (m.): Geschäft. –  D: »Geschäft ist Geschäft.« / »Der Handel kennt keine Freunde.« Vgl. Nr. 616.

30. Agosto, moglie mia non ti conosco.

Das Sprichwort hat mehrere Bedeutungsnuancen. Es spielt auf die Erschöpfung durch die Sommerhitze an, in der jeder Körperkontakt unangenehm ist, und heute auch auf den Sommerurlaub als Zeit der Freiheit von Verpflichtungen. Scherzhafter Titel eines Romans von Achille Campanile (1930).

31. Ai matti si dà sempre ragione.

il matto / la matta: Narr/Närrin, Verrückte(r). | dare ragione a qu: jdm. Recht geben. –  D: »Man soll nicht mit dem Narren streiten.«

32. Aiuta i tuoi, e gli altri se puoi.

D: »Die eigene Haut ist einem am nächsten.« Das italienische Sprichwort zeugt vom Stellenwert der Familie, deren Interessen vor denen aller anderen gewahrt werden. Vgl. Nr. 667.

33. Aiutati che il ciel ti aiuta.

D: »Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.«

34. Al contadino non far sapere quant’è buono il formaggio con le pere.

Dieses Sprichwort hat mindestens zwei Bedeutungsnuancen. Die erste ist: Wer keine Gelüste wecken beziehungsweise nicht teilen will, sollte andere besser im Unklaren über den Wert beziehungsweise die positiven Seiten einer Sache halten. Historisch gesehen hängt das Sprichwort auch mit sozialer Abgrenzung zusammen: Vom Mittelalter an entdeckte der Adel die Kombination der beiden Nahrungsmittel für sich, sie stand nun für einen raffinierten, exklusiven Geschmack. Zum historischen Kontext gehört ebenfalls, dass Bauern häufig ihre Erzeugnisse an den Gutsherrn abgeben mussten. Das Sprichwort bedeutet also auch: Wer Untergebene ausnutzen will, wird sie möglichst unwissend haltend. Vgl. Nr. 867.

35. Al cuor non si comanda.

D: »Liebe und Singen lässt sich nicht zwingen.« Vgl. Nr. 817.

36. Al nemico che fugge ponti d’oro.

D: »Dem fliehenden Feinde baue goldene Brücken.«

37. Al peggio non c’è mai fine.

il peggio: Schlimmste(s). –  D: »Ein Unglück kommt selten allein.« Vgl. Nr. 291 und Nr. 448.

38. Al primo colpo non cade la quercia.

il colpo: Schlag. | la quercia: Eiche. –  D: »Es fällt keine Eiche vom ersten Streiche.«  Sinn: Wer etwas erreichen will, sollte nicht zu schnell aufgeben.

39. L’albero si conosce dal frutto.

D: »Den Baum erkennt man an den Früchten.« Biblischen Ursprungs: »Denn an der Frucht erkennt man den Baum.« (Matthäus 12,33) Vgl. Nr. 90, Nr. 148, Nr. 440, Nr. 666.

40. All’assente ed al morto non si deve far torto.

l’assente (m./f.): Abwesende(r). | far torto: Unrecht tun/geben. –  D: »Über die Toten soll man nur Gutes reden.«  L: »De mortuis nihil nisi bene.«

41. L’allegria fa bello il viso.

D: »Das Herz freut sich, das Antlitz blüht.«

42. Ambasciator non porta pena.

l’ambasciatore: hier: Bote. | la pena: Leid, Kummer. –  D: »Der Gesandte ist unverletzlich.« Sinn: Der Überbringer einer Nachricht kann und sollte nicht für deren Inhalt verantwortlich gemacht werden. Diesem Grundsatz entspricht die diplomatische Immunität.

43. L’amicizia riconciliata è una piaga mal saldata.

riconciliare: wieder aus-, versöhnen. | la piaga: Wunde. | saldare: verheilen, zusammenwachsen. –  D: »Geflickte Freundschaft wird nimmer wieder ganz.« Vgl. Nr. 757.

44. L’amore è cieco.

cieco/a: blind. –  D: »Liebe macht blind.«  L: »Amor caecus.«

45. L’amore e la tosse non si possono nascondere.

nascọndere: verstecken. –  D: »Lieben und Husten lässt sich nicht verbergen.«

46. L’amore vince tutto.

D: »Liebe überwindet alles.«  L: »Omnia vincit amor.« (Vergil, Eclogae)

47. Anche l’occhio vuole la sua parte.

D: »Das Auge isst mit.«

48. Anno nuovo, vita nuova.

Das Sprichwort wird zum Jahreswechsel als Glückwunsch oder Vorsatz verwendet.

49. L’apparenza inganna.

ingannare: täuschen, trügen. –  D: »Der Schein trügt.«

50. L’appetito vien mangiando.

D: »Der Appetit kommt beim Essen.« Vgl. Nr. 246.

51. Aprile, dolce dormire.

Sinn: Mit dem ersten warmen Wetter kommt auch die Frühjahrsmüdigkeit.

52. Aprile, ogni giorno un barile.

il barile: Tonne, Fass. –  Sinn: Der April ist berühmt für seine starken Regenfälle, es regnet wie aus Kübeln. Vgl. Nr. 265.

53. Asino che ha fame mangia di ogni strame.

lo strame: Streu. –  D: »In der Not frisst der Teufel Fliegen.« Vgl. Nr. 333 und Nr. 726.

54. Un asino trova sempre un altro asino che lo ammira.

D: »Kein Narr war je so dumm, er fand einen, der ihn für klug hielt.«  L: »Asinus asinum fricat.«

55. Gli assenti hanno sempre torto.

l’assente (m./f.): Abwesende(r). | avere torto: Unrecht haben. –  D: »Der Abwesende hat immer Unrecht.«

56. Avuta la grazia, gabbato lo santo.

la grazia: Gnade. | gabbare: hintergehen, prellen. –  D: »Ist das Fest vorbei, so lacht man des Heiligen.« / »Wie das Gute empfangen, ist der Dank vergangen.«