Illustration

Ute Karin Höllrigl

TraumGarten

Tiefenpsychologische Betrachtungen zu Garten, Sinn und dem Unbewussten

Mit einem Gespräch mit Andrea Heistinger

StudienVerlag

Innsbruck
Wien
Bozen

Inhalt

Prolog

Betrachtungen zum Garten

Heiliger Bauerngarten im Spätsommer

Alles sehnt sich nach Ewigkeit

Zeit und Zeitlosigkeit

Der Garten als Sehnsuchtsort

Ist der innere Garten zunächst auch ein Schutzraum?

Ich bin lebendig, wenn die Wurzeln atmen

Die Gartentür

Die Brücke in den inneren Garten

Unser innerer Reichtum gleicht einem Blumengarten

Der Klostergarten

Gedanken zum inneren Garten

Ein Garten entsteht

Der Garten im Dienst der Selbstversorgung

Gleicht unsere Begeisterung einem Samenkorn?

Das Anlegen eines inneren Gartens

Die Erde lockern

Alte Muster „umstechen“

Die Verwandlungen im Garten

Die innere Zeit

Wie werden wir zu guten Gärtnern?

Ein guter Gärtner ist ein wurzelkundiger Gärtner

Die Zeit wie ein Gebet

Die Natur ist verzeihend

Innerer und äußerer Garten

Ute Karin Höllrigl im Gespräch mit der Agrarwissenschaftlerin Andrea Heistinger

Traumteil

Die Sinnfrage in der Tiefenpsychologie – Gedanken zum Weg

Wir tragen einen geistigen Weg per se in uns

Der Garten als ein Ort des Träumenden

Der Mensch selbst als ein schöpferisches Werk

Was ist das Unbewusste?

Träume in Geschichte und Gegenwart – ein kurzer Abriss

Was Träume über Träume sagen

Wozu wenden wir uns den Träumen zu

Traumarbeit

Kleine Traumwerkstatt

Selbstvertrauen – eine Ur-Sehnsucht

Demut zum Weg

Das Unberechenbare und Geheimnisvolle

Das Unbewusste als Matrix des Lebens

Der neue Weg

Der Traum und seine sinnbezogene Bedeutung

Arten der Träume

Wie lassen sich Symbole verstehen?

Wie gehe ich mit meinem Traum in der Traumwerkstatt um?

Der Traum – eine vergessene Sprache der Liebe

Zur Psychologie des Kind-Archetypen im Traum

Betrachtungen zu einem Traum über unser Leben

Meine Träume – Verwandlung im Erkennen

Die Lotusblüte – eine neue Geburt

Ich gehe von Raum zu Raum

Räume, die wir durchschreiten

Positives Verstärken

Der Weg geht vor und zurück

Umgehen mit unseren Schattenseiten

Projektionen zurücknehmen

Schweigen lernen

Eigenes tun

Das Brachliegende in uns

Manchmal gehen wir durch einen dunklen Tunnel

Gefühle ganz leben und nicht unterbrechen lassen

Abgeschnitten sein von Gefühlen

Leben im Augenblick

Für mich selbst etwas tun

Dankbarkeit führt zu Lebensfreude

Verliebt sein und Liebe

Epilog

Literatur zum Weiterlesen

Die Autorin

Prolog

Die Einsamkeit des modernen Menschen aufzuheben, seine Einbettung in den großen Lebensstrom zu ermöglichen, ihm zu einer Ganzheit zu verhelfen, die seine lichte, bewusste Seite zur dunklen des Unbewussten wissend und wollend rückverbindet, ist Sinn und Zweck Jungscher Seelenführung.

Den anordnenden, innersten Kern dieser Seelenführung setzte Jung dem Samenkorn einer Pflanze gleich, das bereits alles in sich trägt und zur Entfaltung drängt. Er nannte den innersten Seelenkern des Menschen das Selbst und den Prozess dieses Reifens Individuation. Allerdings ist der Mensch anders als die Pflanze dazu bestimmt, sich über sein Wachsen und die in den Garten eingesäten Talente bewusst zu werden, damit seine eigentliche Entwicklung und Wandlung geschehen kann, die unsere Sinnerfahrung bewirkt. Ich werde in diesen Betrachtungen verschiedene Instrumente beleuchten, die uns in diese Selbstverwirklichung begleiten können: den Garten als Sinnbild, den Weg an sich als Ziel, die Kunst als Visionärin, das Märchen als kollektives Vorbild für den Weg und den Traum als individuellen Königsweg.

Gärten begleiteten schon als Kind mein Leben. Ein Garten, nur mit Blumen bepflanzt, lag bunt zu unser aller Freude vor dem Elternhaus, der Gemüse- und Beerengarten ein kleines Wegstück dahinter. Beides eingebettet in mein kleines Bergdorf Fischbach in den steirischen Bergen auf 1.000 Metern Höhe, in dem wir damals das eiskalte Wasser aus einem gemeinsamen Dorfbrunnen holten; das Licht leuchtete uns aus Petroleumlampen und Pferde zogen in Sommer und Winter Wagen und Schlitten zur nächsten Bahnstation. Diese lag eine Stunde entfernt im Tal, nicht weit entfernt von Peter Roseggers „Waldheimat“. Diese Idylle, umgeben von Wiesen und Wäldern, stand im Gegensatz zu einem grausamen Krieg, der um uns herum tobte und von dem wir bis zu seinem Ende nur am Rande berührt wurden durch Flüchtlinge, die wir bei uns aufnahmen und zu denen wir letztlich beim Einmarsch der Russen selbst wurden.

Meine besonders ausgeprägte Liebe zu Blumen begleitete mich stets, aber erst in der Mitte meines Lebens erahnte ich, dass hinter dieser geheimnisvollen Anziehung von Blumen und Gärten ein tieferes Lebensgeheimnis verborgen sein könnte, wie es uns Teresa von Avila in ihrem Gleichnis näherbringt, dass unser Inneres einem farbigen Garten gleichen will, in dem ein buntes Geschehen gehegt, beschützt und das Schöne zum Blühen gebracht werden will.

Eine Gärtnerin in der Erde zu werden, lag wohl trotzdem nicht im göttlichen Lebensplan, aber ich wurde zu einer Gärtnerin in unserem Inneren. Diese zu werden, scheint meine Bestimmung zu sein, erfüllt sie doch bis heute mein Leben mit Begeisterung wie am ersten Tag. Ich erkannte sie nicht zuletzt aus meinen Träumen und den unvergesslichen Erinnerungen an meine Kindheit, die mir im Schreiben dieser Betrachtungen immer bewusster wird. War damals mein Leben vornehmlich von einem äußeren Wohlleben geprägt, so ist es heute von einem inneren Reichtum erfüllt. Eine große Gnade für mich in den späten Jahren meines Lebens, die ich vielleicht der ahnungsvollen Anziehung von Bauerngärten in meiner Lebensmitte verdanke, der ich mich letztlich nicht entziehen konnte und am Entdecken deren Geheimnisses ich beharrlich drangeblieben bin. Vermutlich gehöre ich zu jenen Menschen, wie es die umtriebige Benediktinerin aus dem Kloster Fulda war (niedergeschrieben von Mely Kayak in ihrem bezaubernden Buch „Ein Garten liegt verschwiegen“), sie notiert an einer Stelle: „Vielleicht ist Schwester Laurentia weltweit die einzige Vollblut-Gärtnerin, die nie einen Krümel Erde unter dem Fingernagel hatte, wohl aber viel Tinte am Finger!“ Und gleichsam fühle ich mich der Nonne Agathe verbunden, die im 93. Altersjahr uns die Erfahrung hinterließ: „Gärtnerin bleibt man ein Leben lang. Das legt man einfach nicht ab. Das ist wie Nonne sein.“

Die Nachrichten und das Bangen der Mütter um ihre Söhne im Zweiten Weltkrieg berührten damals meine Kinderseele zutiefst. Vermutlich hat diese Erfahrung zwischen einer heilen Kinderwelt und den brutalen Kriegsmeldungen mich zu einem analytischen Weg bestimmt, der die Vereinigung der Gegensätze suchte und diese Möglichkeit in einem uns unbewussten, eingeprägten Prozess entdeckte. Meiner ahnungsvollen Sehnsucht bin ich vornehmlich in der Lebensmitte nachgegangen und zu einer Gärtnerin im inneren Garten geworden.

Zum Sinnbild des inneren Gartens füge ich ein Betrachtungsfeld bei: den Traum. Er spricht in Bildern über diesen Bereich, der größtenteils in uns brachliegt und sich nach Fruchtbarwerdung sehnt. Diese Ahnung noch zu entdeckender Felder in mir bewegte mich schon früh, doch erst in der Arbeit mit dem Unbewussten, das sich mir in Traumbildern erschloss, erkannte ich ein in mir schlummerndes weites Land. Bei dieser Entdeckung der Reise ins Unbewusste wurden mir Schattenanteile und Lichtseiten zu Verbündeten. Im Laufe der Arbeit mit meinen Träumen erkannte ich immer mehr, dass auf diesem Feld schon Samen – meine Talente – und ein achtsamer Weg in eine innere Schönheit als Mensch eingesät waren, die bewusst werden und gehegt werden wollten wie ein Garten.

Wie konnte ich nun diese Saat erkennen? Auf dieser Suche fragte mich meine Analytikerin: Was begeistert dich, was bereitet dir besondere Freude? Erzähle mir deine Träume! Für die Antwort ließ ich mir Zeit und in einem tieferen Eindringen in meine Kinderfragen und die Träume wurde mir klar, es war immer das Geheimnis menschlichen Lebens, das mich bewegte: Woher kommen wir, wohin gehen wir und was ist unsere Aufgabe im Jetzt? Ebenso trug mich eine Sehnsucht nach einer gerechteren und menschlicheren Welt. Ich war wie gesagt in die Kriegsjahre hineingeboren und schon als Kind wurden mir die Augen für den Schmerz der Welt geöffnet. Ich glaube, das Interesse am Menschen und eine Liebe zu seinem Entfalten ist mir bei der Geburt in meinen inneren Garten eingesät worden. Dieses Interesse am Geheimnis Mensch und die Begeisterung, es zu erkunden, wurden mir zu einem inneren Muss. Ich zentrierte dann mein Interesse und suchte Möglichkeiten, die seiner Verwirklichung entsprachen. Zunächst als Juristin und dann in einem Studium der Tiefenpsychologie nach Carl Gustav Jung. Zunächst besuchte ich Vorlesungen, um meine Begeisterung zu prüfen. Sie bestand und hält bis heute an. Aufgrund eines Traumes mit Jung selbst begann ich daraufhin das Studium der Tiefenpsychologie, das mich brennend interessierte und andererseits meine ganze Hingabe, Disziplin, Geduld und Ausdauer verlangte, um es mit Familie und Beruf durchzustehen. Ich fasste den Entschluss oder vielmehr erfasste er mich, mein Leben in diesen Dienst zu stellen. Bald durfte ich erfahren, wie viele begeisternde Erkenntnisse mir dieser Weg schenkte. Auch als berufstätige Mutter hatte ich bis an die Grenzen zu gehen und all meine Lebenskraft dafür einzusetzen. Als Juristin hatte ich immer gespürt, ich verfüge über eine gute und fundierte Ausbildung in dem, was ich tue, aber ich ahnte es schon, dass ich nicht meinem Talent gemäß arbeitete. In meiner ersten Stunde, die ich dann als Analytikerin nach meinem abgeschlossenen Studium begleitete, war mir klar: Jetzt bist du an dem dir bestimmten Platz in der Welt. Ich liebe nach wie vor mit beinahe achtzig Jahren meine Arbeit mit dem Entfalten der menschlichen Seele und den Träumen ebenso wie mein Schreiben, das auch einem Traum entspringt. Mein Leben ist dadurch einerseits innerlich bestimmter und gelassener geworden, denn aus dieser Beziehung zu den Träumen werden unsere Aufgaben im Leben klarer.

In der Pflanzenwelt geschieht vieles im Hegen und Wachsenlassen scheinbar von selbst. Als Mensch haben wir uns allerdings unserer Talente bewusst zu werden, um wirklich zu reifen. Ich müsste und würde auch heute diesen Weg wieder genau so gehen, er erfüllt mein Leben mit Abenteuer und Sinn und bewirkt ein stets neues Verwurzeltsein in meiner Tiefe.

Wir sind aber noch in andere Gegensätze unserer ganzheitlichen Natur von Bewusstem und Unbewusstem eingespannt, in jene von Frieden und Krieg und Leben und Tod, die sich in uns versöhnen wollen. Dieses Versöhnen, wie Jung es uns in seinem Spätwerk „Mysterium Coniunctionis“ hinterlässt, ist nur auf einem Weg der Liebe möglich. Zwischen diesen Gegensätzen kann auch nur in der Liebe zum Weg unsere Bestimmung als Mensch sich erfüllen. Wir brauchen spirituelle Kraft, um unser Entfalten zwischen den gegensätzlichen Anlagen unserer Natur lebendig zu halten. Für die Pflanze ist dieses Wachsen in ihre Bestimmung selbstverständlich, wenn sie von uns geschützt und bewässert wird. Während wir als Mensch unsere Schatten wie die Trägheit, den Zweifel, die Angst, die unser Streben ins Licht verhindern wollen, zu begrenzen haben. Dem eigenen Entfalten das Bild eines Gartens zu schenken, in den wir täglich neu durch eine Tür eintreten dürfen, um das Schöne in uns zu schützen, zu hegen und zu stärken, dazu sollen diese Betrachtungen und Gedanken inspirieren.

Wege in den Sinn sind immer Übungswege eines steten Besinnens, deshalb haben wir Wiederholungen auch weitgehend zur Erinnerung im Text belassen.

Betrachtungen zum Garten

Heiliger Bauerngarten im Spätsommer

Du kannst ihn nur malen

die Sinne fassen

in braungoldene Schale

manches Mal

ein Rubinrot, Sonnengelb

wird Ton

ins Lied versöhnen sich

schwarzer Grashalm

und entflammter Mohn

Ute Karin Höllrigl

Gärten und besonders Bauerngärten im Spätsommer im rubinroten und sonnengelben Leuchten der Dahlien und Sonnenblumen begeisterten mich wie gesagt schon in jungen Jahren. Sie berührten etwas Heiliges in mir, ohne dass ich damals diesem Berührtsein hätte tiefer nachgehen können. Mein Leben war erfüllt von Aufgaben in Familie, Beruf und Weiterbildungen und forderte all meine Kraft im Außen. Das Sehnen nach einem noch Verborgenen, in mir Brachliegenden, das ich in diesen besonderen Augenblicken erahnte, ließ mich nicht mehr los. So suchte ich, sooft ich konnte, auf Spaziergängen Bauerngärten auf und ließ mich von der dem August so eigenen traumhaften Stimmung ein wenig verzaubern. In dem wundersamen Licht der Spätnachmittage war es mir, als zöge ein unsichtbarer Bote durchs Land, die herbstliche Fülle leise verkündend und vermeinend, dass sich Zeit und Ewigkeit in diesem milden Spätsommerleuchten vereinten und Innerstes berührten. Lange Zeit versuchte ich dann die Stimmung dieser frühen Dämmerstunde in Gedichte und Gebete zu fassen, um sie wieder und wieder zu erleben. Zum Beispiel in dieses Gebet:

Goldgelb steht in Saat ihr Felder,

wiegt die Halme schwer im Wind.

In tragend Aehr’ sprecht ihr von alter Mähr.

Im wiegend Spiel gleicht ihr dem Kind.

Herr, schenk auch Du mir Begreifen,

unsres Sommers volle Ernte,

ehe Stürme durch die Lande streifen,

schenk Du uns Sicht in Dein weites Planen.

Die du uns gesät mit Deinem Namen.