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Carmen Mayer

Die Trossfrau

Über das Buch

Magdalena, die um 1600 geborene Tochter ­eines protestantischen Hufschmieds nahe der österreichisch-­böhmischen Grenze, wird von klein auf misstrauisch ­beäugt, kann und will sie sich doch einfach nicht in ihre ­gott­gewollte Rolle als Mädchen fügen. Nachdem die handwerklich ­begabte junge Frau das Pferd eines Durch­reisenden ­beschlägt, wirft ihr ­Vater sie aus dem Haus. Der Reiter nimmt sie mit nach Krems, wo sie zwischen die ­katholischen und protestantischen Fronten des ­beginnenden Dreißigjährigen ­Krieges ­gerät. Es gelingt ihr, im Tross verschiedener ­Heere ­ihren ­Lebensunterhalt zu verdienen, und sie nimmt ein ­stummes Mädchen in ihre Obhut, das als Hexe gebrandmarkt in Gefahr geraten ist. Zwischen Liebe, Krieg und Tod geht Magdalena mutig ihren Weg, auf dem sie nicht nur Freunde, sondern auch Feinde findet. Feinde, die vor keinem Mittel zurück­schrecken, Magdalena aus dem Weg zu räumen …

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

 

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen ­Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2019 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2019

 

Lektorat: Bernadette Lindebacher

Korrektorat: Angelika Wiedmaier

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Covergestaltung: Alin Mattfeldt

Cover Font © by Joffre LeFevre, Aboutype, Inc, 2001

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: CPI - Clausen & Bosse, Leck

Made in Germany

ISBN 978-3-948346-11-9

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Inhalt

Widmung

Prolog

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Epilog

Liebe Leserinnen und Leser,

Glossar

Im Buch benannte reale Personen

Quellennachweis

Die Autorin: Carmen Mayer

Zehn Fragen an … Carmen Mayer

Seit September im Handel

Seit Oktober im Handel

Seit November im Handel

Widmung

Für Rudi

Prolog

„Keiner, den ich kenne, ist jemals wieder nach Hause zurückgekehrt.“

Magdalena wischte mit ihrer mageren Hand über ihr von ­unzähligen Falten durchfurchtes Gesicht. „Nach Hause“, wiederholte sie fast tonlos. „Nach Hause.“

Sie machte erneut eine Pause, in der sie mit beiden Händen ihren zerschlissenen Rock über den dürren Oberschenkeln glattstrich. Ich wartete geduldig darauf, dass sie weitersprach.

„Ferdinand.“ Sie spie den Namen des ehemaligen Kaisers aus wie eine stinkende Kröte. „Er sollte einen Beinamen bekommen.“

Welchen, sagte sie mir nicht. Schmeicheln würde er ihm keinesfalls.

„Meine Heimat ist verwüstet, Tausende Menschen mussten sterben, in den Köpfen der Überlebenden sitzt nach wie vor Angst, Misstrauen, Zorn und Hilflosigkeit. Und warum? Weil ein von ­Jesuiten erzogener Hundsfott zum Kaiser ernannt wurde, dessen ­Treiben niemand Einhalt bieten konnte.“

Magdalena seufzte und machte dann eine ausgreifende Handbewegung.

„Ich habe in diesem Marktflecken so etwas wie eine letzte, wenngleich auch erbärmliche Heimat gefunden und werde hier wohl auch mein Leben beenden.“ Sie verzog dabei den Mund zu einem schmalen Lächeln. „Was für ein Leben.“

Mit ‚diesem Marktflecken‘ meinte sie Dürrmenz, eine kleine Gemeinde im Württembergischen, wo ich geboren wurde und bis heute lebe.

Wir schrieben das Jahr 1649 nach Christi Geburt. Die Ungeheuerlichkeiten, die den Großen Krieg, von dem sie sprach, ausgelöst und bis im Jahr zuvor begleitet hatten, sind bis heute nicht beendet, und die schwärenden Wunden, die er gerissen hat, noch lange nicht verheilt. Auf ihnen ist Magdalena so etwas wie ein Stückchen Schorf.

„Ja, was für ein Leben“, wiederholte sie nach einer nachdenk­lichen Pause. Sie tastete nach meiner Hand und tätschelte sie gedanken­verloren, bevor sie die ihre wieder in den Schoß zurücklegte.

„Angefangen hat eigentlich alles in Linz“, fuhr sie unver­mittelt fort. „Ich war damals schon seit einiger Zeit mit einem Haufen ­Kaiserlicher unterwegs gewesen, weil einer der Männer für kurze Zeit mein Liebster war.“ Sie hielt erneut kurz inne, schien das Gesagte abzuwägen. „Er ist nicht freiwillig mit ihnen gezogen, er war nämlich so wenig katholisch wie ich.“ Es klang fast schon entschuldigend. Aber offensichtlich wollte Magdalena nicht, dass es wirkte, als hätte er seinen Glauben verraten. Was er aber wohl in den Augen anderer dennoch getan hatte, wenn er als Evangelischer mit den Kaiserlichen gegen seine Glaubensbrüder gezogen war. „Aber Religion hatte für den Krieg und seine Betreiber schon lange keine Bedeutung mehr, auch wenn man das nicht wahrhaben mochte.“

Magdalenas Stimme war brüchig geworden. Dann tastete ihre Hand erneut nach der meinen. Vielleicht wollte sie sichergehen, dass ich noch da war und ihr zuhörte. Vielleicht brauchte sie auch etwas, an dem sie sich festhalten konnte.

„Das war damals so.“

Wieder unterbrach sie sich, und ich spürte, wie ihre Hand ­zitterte.

„Die großen Heerführer, die bis heute hochgelobt werden für ihre Verdienste um das Vaterland – das waren und sind doch ­lauter ­Geschäftsleute, die am Krieg ihr Geld verdient haben.“ ­Magdalena spuckte vor sich auf den Boden. „Denen war es egal, welchem ­Glauben ihre Söldner angehörten, wie ihnen auch egal war, wie viele von ihnen tagtäglich an Krankheiten, Hunger und Verletzungen wie Vieh ­verreckt sind.“ Sie senkte den Kopf und fügte leise an: „Oder erschossen, erstochen, niedergemetzelt wurden. Auf beiden Seiten, nicht nur bei den Soldaten, wohlgemerkt!“ Ein kaum hörbarer Fluch kam ihr über die Lippen. Dann fuhr sie fort: „Ich hatte mich eine Zeit lang im Tross dieser Männer als Marketenderin verdingt.“

Ein wehmütiges Lächeln huschte über ihr altes Gesicht. „Mein Liebster … Nun gut. Bei einem Scharmützel hat ihn eine Kugel getroffen. Er war nicht gleich tot. Sie haben ihn mir schwer verwundet gebracht, damit ich mich um ihn kümmere. Aber ich konnte ihm nicht mehr helfen. Er ist wenige Tage später unter elenden Krämpfen am Wundfieber ge­storben. Ich musste ihn irgendwo am Wegrand begraben, weil das nächste Dorf, an dem wir vorbeikamen, sich weigerte, einem wie ihm einen Platz auf dem Kirchhof zu geben. Einem wie ihm! ­Damit meinten sie ‚einem Protestantischen‘, einem Ketzer und Kaiser­verräter. Auch wenn er bei den Kaiserlichen gedient hat. Als ob das da noch eine Rolle gespielt hätte. Aber so war das eben.“

Sie zog mit der freien Hand ihr verblichenes, an den Rändern ausgefranstes Kopftuch ein wenig in die Stirn. Die Sonne war ihr wohl zu warm im Gesicht geworden, aber ihren Platz verlassen wollte sie ganz offenbar auch nicht. Es tat ihr sicherlich gut, die alten Knochen ein wenig von der Sonne wärmen zu lassen.

„Eine kurze Wegstrecke vor Linz hatten wir wenige Zeit ­danach Quartier gemacht und sollten weitere Befehle abwarten. Es hieß, dass die Bauern unruhig geworden seien.“

Magdalena lachte leise. „Als ob sie nicht schon die ganze Zeit über unruhig gewesen wären.“

Sie begann zu husten. Ich klopfte ihr sanft auf den Rücken, bis sie sich wieder beruhigt hatte und weitersprechen konnte.

Der Rücken tat ihr weh, wenn sie lange so saß, das kannte ich. Dafür war die Salbe aus Beinwell und Arnika gedacht, die ich ihr an diesem Morgen gebracht und womit ich ihr den Rücken eingerieben hatte.

„Unruhig, sagten sie. Unruhig. Nein, nicht unruhig! Aufständisch waren sie, aufständisch! Und das waren sie zu Recht.“

Wieder dieser trockene Husten.

„Am Tag zuvor war uns ein Trupp Bairischer begegnet“, fuhr sie nach einer kurzen Atempause fort. „Nein, kein Trupp. Das war ein zusammengewürfelter Haufen Drecksgesindel, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass sie zuvor anständige Leute gewesen ­wären. Sie zogen unter den Farben des bairischen Statthalters im Land ob der Enns durchs Land, einem Kaisertreuen namens Herberstorff, und raubten Bauern, Händler und fahrende Leute aus oder brachten sie gar um. Dabei hatten sie ihren Spaß am Witwen- und Waisen­machen. Als sie bis zu uns vorgerückt waren, prahlten sie damit, an die südliche Grenze des Landes ob der Enns gezogen zu sein und dort eine kleine Ansiedlung von Bauern überfallen zu haben. Wie ein Heuschreckenschwarm seien sie gekommen und wieder verschwunden, bevor jemand richtig mitbekommen konnte, was sie angerichtet hatten. So erzählten sie uns und lachten dabei, als handele es sich um einen gelungenen Scherz. Dabei wussten alle, dass es sich keinesfalls um einen Spaß gehandelt haben konnte. Zumindest nicht für diejenigen, die diesem Heuschreckenschwarm auf die eine oder andere Weise zum Opfer gefallen waren.“

Wieder unterbrach sie sich, musste sich räuspern.

„Keiner von unserer Seite lachte mit, und so zogen sie schließlich mürrisch weiter. Wir hörten noch, dass sie uns als einen Haufen Memmen und Weiber beschimpften, die das rechte Kriegshandwerk noch lernen mussten.

Kriegshandwerk! Die Bairischen hielten das Land besetzt, das Kaiser Ferdinand aus Geldnot an den Münchener Kurfürsten ­Maximilian I. verpfändet hatte. Für Ordnung sollten sie sorgen, die Leute katholisch machen. Von Krieg und Verwüstungen war nicht die Rede gewesen. Aufstände gab es immer wieder, ja. Die Bauern wehrten sich gegen die Besatzer, weil die sich zu viel herausnahmen und man sie aus verständlichen Gründen wieder loswerden wollte. Da ist viel Unheil geschehen“, schloss sie aufgebracht. „Viel, viel Unheil. Und der Kaiser hat es zugelassen, der Hundsfott, der elendige.“

Lange schwieg sie dieses Mal, und ich blieb ganz still sitzen, um sie nicht zu unterbrechen.

„Dabei ist es doch sein Volk! Menschen, die ihm anvertraut sind! Ihm irgendwann aber nur noch gnadenlos ausgeliefert waren.“

Verständnislos schüttelte Magdalena den Kopf.

„Auch die Männer in meinem Haufen waren nicht immer ­zimperlich, das muss ich zugeben. Aber solche Saukerle wie die gab es bei uns nicht“, fuhr sie mit einem kleinen Kopfrucken zur Seite fort, als stünden die dermaßen übel Bezeichneten irgendwo an ihrer Seite. „Sie haben ein junges Weib angeschleppt, kaum mehr als zwölf, dreizehn Lenze zählend, das sie übel zugerichtet hatten. Ich vermutete, dass das arme Kind aus dem überfallenen Tal stammte, von dem sie gesprochen hatten. So, wie sie beieinander war, brauchte ich nicht lange darüber nachzudenken, was mit ihr geschehen sein mochte.

Auch ein verstörter Junge mit einer schlimmen Verletzung im Gesicht war dabei, der mich im Vorbeiziehen verzweifelt bat, mich doch um das Mädchen zu kümmern. Sie seien auf dem Weg nach Linz, da würde ich sie bestimmt finden und ihr helfen können.“

Magdalena verzog das Gesicht zu einem wehmütigen Lächeln.

„Bei mir setzten aber kurz darauf die Wehen ein. Ich schaffte es gerade noch, mich zur Seite zu schleppen und mein Kind auf die Welt zu bringen, einen Buben.

Wir zogen gleich darauf weiter nach Linz, wo ich zunächst einmal blieb, da sich die Männer, denen mein Tross bislang gefolgt war, inzwischen in der Nähe ein neues Quartier gesucht hatten. Außerdem schien es mir leichter, mich um mein inzwischen schwerkrankes Kind zu kümmern, wenn ich in der Stadt weilte. An das Mädchen, das die Kerle aus dem Ennstal mitgeschleppt hatten, dachte ich nicht mehr. Viel zu sehr war ich mit meinem kranken Kindlein beschäftigt, als dass ein anderes Schicksal noch Platz in meinem Herzen hätte finden können. Ich konnte meinem Buben aber nicht helfen. Auch der alte Medicus vermochte es nicht, den ich in Linz aufsuchte und dem ich viel Geld für nichts bezahlte. Und so folgte der Bub seinem Vater nach ein paar Tagen in die Ewigkeit.“

Tränen rannen über ihr Gesicht, die sie mit dem Handrücken wegwischte.

„Ich ließ eine Holzkiste für den kleinen Leichnam schreinern, damit mein Kind wenigstens anständig begraben werden konnte. Es sollte nicht in einem verschlissenen Tuch irgendwo verscharrt liegen wie sein Vater. Also wartete ich vor dem Kirchhof auf den Burschen, der mir den Sarg bringen sollte. Der Schmerz und die Trauer um meinen Sohn hatten mich völlig im Griff, und es bereitete mir viel Mühe, mein Kind in das Kästchen zu betten und dem Burschen das vereinbarte Geld zu geben.“

Wieder hielt Magdalena inne, schien den Blick in eine weit zurück­liegende Zeit zu wenden.

„Etwas stand in den Augen dieses Jungen, das mich anrührte. Etwas, das an den Blick jenes Burschen erinnerte, der mich ­gebeten hatte, der armen Kreatur zu helfen, die jene Bastarde aus dem Ennstal mitgeschleppt hatten. Im Kummer um den Verlust meines kleinen ­Buben vergaß ich aber auch das sehr schnell wieder.“

Sie zog wie fröstelnd die Schultern hoch.

„Eine Zeit lang noch blieb ich in der Stadt, bevor ich mich ­entschloss, zusammen mit einem Häufchen Protestanten in den ­Westen zu ziehen. Dahin, wo man uns aufnehmen und eine neue Heimat ­bieten würde. Immerhin gab es noch Landesherren, die sich keinen Deut um das scherten, was der Kaiser ihnen vorschrieb. Sie ­lebten ihre eigenen Vorstellungen von Freiheit und Würde. Hatten nicht wie einige andere eiligst das Fähnlein gewechselt, nachdem der ­Habsburger ihnen den Krieg angedroht oder einen üblen Handel ­angeboten ­hatte. Der Kampf blieb ihnen trotzdem nicht erspart, wenn auch auf ­andere, viel schlimmere Weise, als sie sich das wohl vorgestellt hatten. Ganze Landstriche lagen wenige Zeit später verwüstet und entvölkert, ganz gleich, auf wessen Seite ihre Herren standen. Die Bauern und Bürger totgeschlagen von Soldaten aller Couleur, die keine Rücksicht darauf nahmen, dass Unschuldige zwischen die Fronten geraten ­waren. Darunter so viele alte Menschen, Frauen, Kinder, die ihr Leben einem Ziel opfern mussten, das nicht das ihre gewesen war. Viele starben auch an den Krankheiten, die von den Soldaten mitgeschleppt und über das Land verteilt wurden, und die ihre tödlichen Krallen nach Mensch und Vieh ausstreckten.“

Erneut schüttelte sie verständnislos den Kopf.

„Aber wenn man essen will, müssen doch die Felder bestellt, muss Vieh aufgezogen, Handel betrieben werden! Vielerorts ist das bis heute nicht mehr möglich, weil keiner mehr da ist, der sich darum sorgen könnte. Der unsägliche Krieg hat Löcher gerissen, die wieder gefüllt werden müssen, wenn der übrig gebliebene Rest der Bevölkerung überleben will.

Einige kluge Landesherren nutzten und nützen noch immer die Tatsache, dass die vertriebenen oder geflüchteten Protestanten dankbar ihre Arbeitskraft und ihr Wissen zur Verfügung stellen und ihren Gönnern nichts schuldig bleiben würden. Wir waren und sind bei ­ihnen willkommen. Für die sind wir Menschen, einfach nur ­Menschen.“

Ein neuer Hustenanfall hinderte sie am Weitersprechen. Mit einer Handbewegung schickte sie mich nach einem Becher Wasser an den Brunnen neben dem Haus, den ich ihr gleich darauf brachte. Sie nahm einen vorsichtigen Schluck, behielt den Becher in der Hand. Dann fuhr sie fort:

„Meinen neuen Wegbegleitern war es wie mir leid geworden, ­immer wieder den Repressalien der Habsburger, der Baiern, katho­lischen Pfaffen und all jener ausgesetzt zu sein, die ihren Spaß daran hatten, wehrlose Menschen zu quälen und durch viel zu hohe ­Abgaben ausbluten zu lassen. Außerdem waren die Soldaten weitergezogen, mit denen ich bislang unterwegs gewesen war, und der Tross mit ihnen. Mein Leben als Marketenderin war zu Ende, ich musste zusehen, wie es mit mir weitergehen sollte.“

Ihre Hand löste sich nach einem leichten Druck von der ­meinen, die ich heimlich am Hosenbein abwischte. Sie war schweißnass ­geworden. Das Weib umschloss den Wasserbecher jetzt mit beiden Händen, trank noch einen Schluck. Dann gab sie mir den Becher zurück, und ich stellte ihn neben mich auf die Bank.

Leise fuhr sie fort:

„Ich konnte damals nicht ahnen, dass diese Begegnungen Teil meines weiteren Lebens bleiben würden: die mit dem Mägdlein, das die üblen Kerle aus dem Ennstal mitgeschleppt hatten, und die mit diesem Jungen, der mir den Sarg für mein Kind brachte.“

Magdalena hob kurz den Kopf, drehte ihn in meine Richtung, und ich konnte einen Blick auf ihre blinden Augen werfen. Dass ich hier neben ihr saß und in Ruhe zuhörte, wie sie aus ihrem Leben berichtete, verdankte ich dem Umstand, dass sie unseren Apotheker kannte, der ihr durch mich ab und zu eine schmerzlindernde Salbe bringen ließ. Ich verdiente mir mit solchen Botengängen hin und wieder ein paar Münzen, mit denen ich meine Familie unterstützen konnte. Wir hatten wie viele andere auch nur das, was notwendig zum Überleben war. Da kam jeder kleine Zuverdienst gerade recht.

Magdalena hauste zusammen mit zwei zerlumpten Alten in ­einem Haus unterhalb der vor ein paar Jahrzehnten abgebrannten Burg Löffelstelz, das sich in jenem desolaten Zustand befand, den viele Häuser unseres kleinen Fleckens teilten. Das Haus war ­gerade noch bewohnbar, und für Magdalena die einzige Möglichkeit, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Ich hatte Magdalena an diesem Tag gefragt, woher sie den ­Apotheker kenne, der niemals Geld für seine Medizin von ihr forderte und sich über seine Gründe dafür ausschwieg. Er hatte im angrenzenden Weiler Mühlacker ein baufälliges Häuschen erstanden und hergerichtet, worin er mit seinem Weib und seinen Kindern lebte, so gut es eben ging. Dort richtete er eine Arzney-Küche ein, in der er unter anderem Branntwein destillierte und mit allerlei Kräutern zu Heiltränken, Salben und anderen Mitteln verarbeitete, die er dann verkaufte. Ab und zu behandelte er auch Leute, die mit kleineren Gebrechen, Verletzungen oder den üblichen Krankheiten zu ihm ­kamen. Einen Arzt hatten wir zu der Zeit nicht, und der nächste Bader hauste im gut drei Wegstunden entfernten Pfortzheim. Der hatte ­seinen eigenen Angaben zufolge genug mit den Kranken und Siechen seiner Stadt zu tun, und zeigte wenig Lust daran, sich auch noch um Kranke aus anderen Orten zu kümmern. Außerdem liegt Pfortzheim im katholischen Baden. Das durfte der wichtigste Grund sein, weshalb der Mann kaum Interesse daran hatte, sich um die Gebrechen württembergischer Protestanten zu kümmern.

An jenem Tag nun hatte ich Magdalena nachdenklich vorge­funden, wie sie auf der grob gezimmerten Bank vor der Hauswand saß. Zuerst hatte ich gedacht, sie würde über die Enz nach Dürrmenz hinüber schauen und über ihr Leben sinnieren. Aber dann fiel mir ein, dass sie ja blind war und so setzte ich mich neben sie, um für eine Weile zusammen mit ihr die Sonne zu genießen.

Da hat sie plötzlich begonnen, mir ihre Geschichte zu erzählen. Erst langsam und stockend, dann so, als erlebe sie aufs Neue, was in Tausenden von Bildern hinter ihren blinden Augen vorbeiziehen mochte.