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Volker Reinhardt

GESCHICHTE ROMS

Von der Antike bis zur Gegenwart

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Rom: Keine andere Stadt war so lange, so mächtig und so glanzvoll Mittelpunkt der Welt. Volker Reinhardt erzählt die Geschichte Roms von der Hirtensiedlung der Bronzezeit bis zur quirligen Metropole des 21. Jahrhunderts. Er erklärt, wie es zu dem einmaligen Aufstieg kam, geht dem Niedergang der antiken Metropole nach und schildert ihren erneuten Aufstieg als prachtvolles Zentrum der Christenheit. Dabei macht er eindrucksvoll deutlich, wie sich die politischen Auf- und Abschwünge in Architektur und Kunst der Stadt eingeschrieben haben – und dort bis heute sichtbar sind.

Über den Autor

Volker Reinhardt, geb. 1954, ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. «Geschichte Italiens» (4. Auflage 2006), «Die Renaissance in Italien» (3. Auflage 2012) sowie zuletzt die Biographie «Pius II. Piccolomini» (2013). Für seine Machiavelli-Biographie wurde er mit dem Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung ausgezeichnet.

Inhalt

  1. Legenden und Ursprünge

  2. Die Krise der Republik

  3. Der Prinzipat

  4. Von Kaisern zu Päpsten

  5. Dunkle Jahrhunderte

  6. Mittelpunkt der Christenheit

  7. Die verlassene Stadt

  8. Geburt einer Hauptstadt

  9. Renaissance: Kulturglanz, Krise und Kritik

10. Neues Jerusalem – Garten der Lüste

11. Sacco di Roma und Neuanfang

12. Konzil und Reform

13. Die barocke Metropole: Pracht und Abstieg

14. Freiheit und Spiele – das 18. Jahrhundert

15. Napoleon und der Reigen der Regime

16. Rom und das Risorgimento

17. Unter neuen Herren

18. Stadt ohne Hüter?

 

Zeittafel

Karte des heutigen Rom

Literaturhinweise

Personenregister

Weitere Karten

1. Legenden und Ursprünge

Roms Gründungsmythos erzählt der Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) in seinem Versepos «Aeneis». Nach der Zerstörung seiner Heimatstadt Troja durch die Griechen und mancherlei Irrfahrten lässt sich der vertriebene Königssohn Aeneas in Italien nieder und begründet dort eine Dynastie, die sich nicht nur Städte baut, sondern sich auch in mancherlei Verbrechen verstrickt. Als Folge dieser Wirren werden die vornehmen Zwillinge Romulus und Remus, Söhne des Kriegsgottes Mars und einer Priesterin, in einer Wanne auf dem Tiber ausgesetzt und von einer Wölfin aufgezogen, doch nach einem erneuten Umsturz wieder in ihre Rechte eingesetzt. Romulus gründet Rom und tötet seinen Bruder, weil der sich über das niedrige Mäuerchen der Siedlung lustig macht. Da die meisten Einwohner Männer sind – Flüchtlinge und Verbannte – müssen sie sich Frauen aus der benachbarten Stadt Sabina rauben. Die Anfänge der späteren Weltmetropole sind ehrenvoll und gewalttätig zugleich.

Die legendäre Einkleidung der eigenen Gründungsgeschichte zeigt, dass die Römer selbst, was die Ursprünge ihrer Stadt und ihres Staatswesen anging, vor Rätseln standen, die sie mit bedeutungsschweren Erzählungen aufzufüllen versuchten. Dabei gingen sie von dem Grundsatz aus, dass alles so gewesen sein musste, wie es in der Gegenwart war: Die Unveränderlichkeit der Grundwerte und Wesenszüge ist die Hauptaussage des römischen Mythos. Er kann selbst das Urteil der Wissenschaft trüben. So galt die Bronzewölfin auf dem Kapitol bis vor wenigen Jahren als ein antikes Bildwerk; in Wirklichkeit dürfte sie, wie sich bei Restaurierungsarbeiten zeigte, aus karolingischer Zeit stammen. Rom arbeitet permanent an seiner eigenen Vergangenheit, gestaltet und gruppiert sich und damit seine Geschichte um. Auch das ist ein Leitmotiv der Ewigen Stadt bis heute. Gerade weil ihr Raum zu allen Zeiten für Propagandainszenierungen neuer Regime und neuer Familien benötigt wurde, sind ihre Kulissen immer wieder verschoben, Baulichkeiten und Kunstwerke aller Art immer wieder ergänzt und verwandelt worden.

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Die berühmte Bronzewölfin galt lange als eine etruskische Skulptur aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Tatsächlich stammt sie wohl aus der Karolingerzeit. Die Zwillinge Romulus und Remus wurden im 15. Jahrhundert ergänzt.

Die Fülle an Namen und Ereignissen, die der Mythos zur Frühgeschichte Roms bietet, steht in krassem Gegensatz zur geringen Zahl der gesicherten Fakten. Die Zweifel, die sich in jüngster Zeit an scheinbar gesicherten Tatbeständen breit gemacht haben, nähren sich nicht zuletzt daraus, dass die älteste schriftliche Überlieferung und die archäologischen Befunde nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Phantasievolle Erfindung ist auch die Gründung der Stadt am 21. April 753 v. Chr., nach der sich der spätere römische Kalender ausrichtete. Erste Spuren menschlicher Siedlung stammen aus der Bronzezeit und sind auf etwa 1500 v. Chr. datierbar. Sie stammen von Halbnomaden, die ihre Herden während des Sommers in höhere Lagen trieben; offen bleibt, ob sie im heutigen Stadtgebiet fest oder nur vorübergehend ansässig waren. Dauerhafte Siedlungsformen lassen sich erst siebenhundert Jahre später am Beginn der Eisenzeit nachweisen. Ausgedehnte Gräberfelder in der römischen Peripherie lassen auf ausgeprägte soziale Hierarchien schließen. Aufwendig bestattet wurden nämlich nur wenige Männer, deren herausragende Stellung zu Lebzeiten durch kostbare Beigaben dokumentiert und dadurch im Jenseits fortgesetzt werden sollte. Im Lichte der späteren römischen Gesellschaftsordnung, die durch ausgeprägt patriarchalische und klienteläre Elemente gekennzeichnet ist, liegt es nahe, in den hier Beigesetzten Anführer weit gespannter Geschlechterverbände zu sehen, die ihre Führungsstellung über das reine Verwandtschaftsumfeld hinaus auf die mittleren und unteren Schichten ausdehnen konnten. Die künftigen gentes des Patriziats scheinen in diesen Grabstätten erste Umrisse zu gewinnen.

Der Prozess, durch den aus einer Hirtensiedlung eine Stadt wurde, zog sich in Rom lange hin, bis um 500 v. Chr. Erste Ansätze eines öffentlichen Raumes lassen sich in der Gegend des späteren Forum Romanum ab der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. nachweisen. Ein Jahrhundert jünger ist die dort gefundene Stele unter dem legendenumwobenen lapis niger, dem «schwarzen Stein» eines Kultorts, die die älteste Inschrift in lateinischer Sprache aufweist. Kurz darauf sollen der Überlieferung nach monumentale Tempel das sakrale und politische Zentrum der «fertigen» Stadt komplettiert haben; ob man dem frühen Rom solche technisch anspruchsvollen Großbauten zutrauen kann, ist heute allerdings umstritten.

Auch die Beschreibung der sieben etruskischen Königsherrschaften, die 509 mit der Vertreibung des letzten, tyrannischen Stadtoberhaupts Tarquinius Superbus nach knapp zweieinhalb Jahrhunderten geendet haben soll, hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Vollends ins Reich der Legenden zu verweisen ist der Gegensatz zwischen der «fremdstämmigen», da etruskischen Dynastie und ihren römischen Untertanen. Vielmehr scheint das durchgehend eher schwache Wahlkönigtum von innen, nämlich durch die Unzufriedenheit der Elite, gestürzt worden zu sein. Nutznießer der kurz vor 500 v. Chr. eingerichteten Republik waren jedenfalls führende Familienverbände, die in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende der Monarchie nahezu vier Fünftel der Spitzenämter innehatten und diese Quote in der Folgezeit fast bis zu einem Monopol auszubauen wussten. Ihre Angehörigen nannten sich Patrizier und rechtfertigten ihre Führungsposition vor allem religiös, durch die Nähe zu den Göttern, von denen sie später durch die Konstruktion phantasievoller Genealogien abzustammen behaupteten, aber auch durch vornehme Abstammung, Ehre, militärisches Ethos, Ämtertraditionen, Aufopferung für die res publica, Wertschätzung der Standesgenossen und Größe der Gefolgschaft. Ob sich dieses Patriziat bereits während der Königsherrschaft als geschlossene Gruppierung herausgebildet hatte oder erst danach in Abgrenzung von der großen Mehrheit der «niedrig geborenen» Plebejer entstand, ist ungewiss. Der mentale Habitus dieser Elite war und blieb durch Jahrhunderte hindurch zutiefst konservativ geprägt. Der Brauch der Vorfahren (mos maiorum) galt als geheiligt, pietas, die Ehrfurcht vor den Göttern und den Traditionen, als höchste Tugend. Die Ordnung der Familie war streng patriarchalisch. Das männliche Oberhaupt hatte, zumindest in der Theorie, unumschränkte Rechte über Frau, Kinder und Gesinde. Dieser «Urzustand» der römischen Gesellschaft wurde in der Folgezeit immer wieder als Idealzustand beschworen und durch restaurative Sittengesetze wiederherzustellen versucht.

Nicht minder hierarchisch geschichtet waren die politischen Einrichtungen untereinander und in ihrem Inneren. Diese Institutionen zeichneten sich im 5. Jahrhundert v. Chr. erst schemenhaft ab. Die wohl schon beim Übergang zur Republik vorhandenen Volksversammlungen traten unter der Vorherrschaft des Patriziats einstweilen zurück. Der später so dominante Senat bildete vorerst nur ein lockeres Gremium der gentes-Chefs, das nur bei Bedarf einberufen wurde. Auch die Doppelbesetzung der höchsten Amtsträger, der Konsulen und Prätoren, setzte sich erst mit der Zeit durch. Früh hingegen begannen die Auseinandersetzungen darüber, wer diese Positionen bekleiden durfte. Ihre Führungsstellung zementierten die Patrizier 450 durch ein Gesetz, das Eheschließungen zwischen ihnen und Plebejern untersagte, die Geburtselite also zur geschlossenen Kaste machen sollte. Doch dazu fehlte ihnen die sozioökonomische Exklusivität. Unter den Nicht-Patriziern hatte sich nämlich eine Sekundärelite herausgebildet, die sich mit ausgedehntem Grundbesitz dem Lebensstil des Patriziats angeglichen hatte. Zudem stand sie in der Militärordnung, die die Bürger nach ihrem Vermögen in fünf Klassen aufteilte, an dessen Seite. Ihren Kampf um politische Gleichberechtigung führten die großen plebejischen Familien mit Unerstützung der kleinen Leute erfolgreich. So erzwangen sie früh die Einrichtung des Volkstribunats, einer sakrosankten Parallelbehörde zum Schutz der Volksrechte. Doch auch die alten Spitzenpositionen der Republik öffneten sich ihnen im Laufe des 4. Jahrhunderts, so dass patrizische und plebejische gentes an dessen Ende zu einer einheitlichen Führungsschicht, der Nobilität, verschmolzen.

In der Entwicklung der politischen Ordnung spiegelt sich neben dem konservativen Grundzug auch eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit wider. Bei allem Beharren auf der mos maiorum war die herrschende Klasse flexibel genug, um unumgängliche Prozesse wie die Erweiterung der Elite und des Institutionengefüges zu akzeptieren, um ihren Einfluss unter veränderten Verhältnissen zu sichern. Patrizisch initiiert und dominiert war auch die erste Niederschrift der Rechtsordnung in den legendenumwobenen «Zwölf Tafeln». Ihre Bestimmungen waren vom Prinzip der Rechtsungleichheit geprägt; trotzdem verklammerten sie Vornehme und Volk langfristig zu einer Einheit, vor allem durch den Grundsatz, dass Todesurteile über römische Bürger nur von der Volksversammlung, der comitia centuriata, verhängt werden durften. Aus diesen religiös begründeten und entsprechend ritualisierten Anfängen entwickelte sich im Laufe der Zeit eine komplexe Rechtsordnung, die die Römer selbst als ihr ureigenes Kennzeichen und damit zugleich als Auftrag zur Ausdehnung ihrer Herrschaft empfanden: Die «Hochmütigen zu bekämpfen» und unter das Joch des Rechts zu zwingen, wurde nach den Worten des Dichters Horaz geradezu die Rechtfertigung der römischen Imperiumsbildung.

Der Weg zu einer stabilen Ordnung im Inneren, die im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut wurde, ohne jemals wie eine moderne Verfassung als ganze kodifiziert zu werden, war von schweren Kämpfen in Italien gesäumt: zuerst um Selbstbehauptung innerhalb der unmittelbaren Nachbarschaft in Mittelitalien, danach um Hegemonie auf der Halbinsel und schließlich, bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr., um die Hoheit im gesamten Mittelmeerraum. Diese scheinbar geradlinige Eroberungsgeschichte der römischen Legionen wurde in Wirklichkeit von schweren Niederlagen unterbrochen: 477 v. Chr. gegen das benachbarte Veji, 390 gegen die von Norden vorstoßenden Kelten, 321 gegen die Samniten, 280 gegen den Epiroten Pyrrhos beim lukanischen Herakleia, 216 gegen den karthagischen Feldherrn Hannibal bei Cannae, um nur die traumatischsten Rückschläge zu nennen. Doch so demütigend diese Misserfolge auch waren, am Ende behielt die römische Republik doch die Oberhand. Nach den Gründen für diese Unbezwingbarkeit fragten schon die Zeitgenossen, vor allem die Unterlegenen. Für den Griechen Polybios, der 168 v. Chr. als Kriegsgefangener nach Rom kam, war das Prinzip der Mischverfassung aus Monarchie (die Konsulen und Prätoren), Aristokratie (der Senat) und Demokratie (die Volksversammlungen) das eigentliche Erfolgsgeheimnis Roms. Aus heutiger Sicht waren jedoch andere Faktoren ausschlaggebend: zumindest anfangs der innere und äußere Konkurrenzdruck, unter dem die neu formierte Führungsschicht der Nobilität stand, und später das Geschick, mit dem sie neu gewonnene Territorien durch die Gründung von Kolonien und durch die Verleihung des Bürgerrechts an Rom band. Im Inneren erwies sich das Prinzip der Klientel sowohl vertikal, zwischen oben und unten, als auch horizontal, zwischen den großen gentes, als haltbares Bindemittel.

Sicher im Sattel saß die Nobilität so lange, wie ihre Mitglieder als geschlossene Führungsgruppe auftraten und nach Bekleidung ihrer Ämter wieder ins Glied zurücktraten – so wie der Diktator Cincinnatus, der in der patriotischen Erzählung des Historikers Titus Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) den Staat rettet und danach an seinen bescheidenen Pflug zurückkehrt.

2. Die Krise der Republik

Diese Geschlossenheit ging parallel zum Siegeszug der römischen Legionen verloren. Durch die unaufhörlichen Siege wandelte sich die ursprünglich ganz agrarisch geprägte Wirtschaftsordnung im Laufe des 3. Jahrhunderts v. Chr. grundlegend; die Ströme von Geld und Sklaven führten zu Besitzkonzentrationen in einer vorher unbekannten Größenordnung und zum Aufkommen einer Schicht von Unternehmern, die als Steuerpächter und Bankiers riesige Vermögen anhäuften. Doch auch die Nobilität schöpfte ihren Anteil am neuen Reichtum ab, was nicht ohne Folgen für ihren Politikstil und damit für ihren Zusammenhalt blieb. So wurde die Konkurrenz um Führungspositionen allmählich persönlicher und aggressiver ausgetragen. An die Stelle der von der mos maiorum geheiligten Regeln maßvoller Zurückhaltung trat eine immer persönlicher und schriller gestaltete Wahlkampfführung. Rom entdeckte die Macht der Bauten und Bilder als Propagandamittel. Siegreiche Feldherren hielten nicht nur pompöse Triumphzüge ab, sondern feierten ihre Erfolge auch durch den Bau von Tempeln, die sie aus ihrem Anteil an der Beute finanzierten. Reste solcher Bauten aus der Zeit zwischen 300 und 100 v. Chr. haben sich am verkehrsumtosten Largo di Torre Argentina mit Sockel und Altar tief unter dem heutigen Straßenniveau erhalten. Ein Staatsbau, der in einer Zeit der Kriege und Krisen die Götter versöhnen sollte, war der Tempel der Großen Mutter (Magna Mater) auf dem Palatin, der nach einem Orakel der Sibyllinischen Bücher zwischen 205 und 191 v. Chr. errichtet wurde. Vor diesem Heiligtum wurden Spiele abgehalten, für die die Komödiendichter Plautus und Terenz Stücke verfassten. Die heute noch sichtbaren Teile des Podiums stammen von einem Umbau aus dem Jahr 109 v. Chr. Zur Vorweisung von Ruhm und Luxus kam der Nachweis griechischer Bildung und Lebensart. Die Veränderung des Lebensstils war nicht auf die Oberschicht beschränkt. Im Ringen um Wählerstimmen setzten zahlungskräftige Kandidaten auf die Überzeugungsmacht blutiger Schauspiele. So durfte die in dieser Hinsicht immer intensiver umworbene und verwöhnte römische Plebs im Jahr 169 v. Chr. aus sicherer Entfernung zusehen, wie sich mehr als einhundert Raubtiere gegenseitig zerfleischten.

Öffentlich wurde der jetzt einsetzende Wettstreit um Vornehmheit und Einfluss zuerst durch Grabmäler, also durch den Kult der memoria, ausgetragen, der den Nachkommen die Eigenschaften ihrer großen Ahnen zuschrieb. Besonders wirkungsvoll war die Platzierung dieser Monumente an den großen Ausfallstraßen wie der Via Appia von Rom nach Brindisi. Ungewöhnlich aufwendig fiel die Anlage der Scipionen (bei der Porta di San Sebastiano) aus. Rang- und Vermögensunterschiede innerhalb der Nobilität wurden in der Folgezeit auch durch die immer prunkvoller gestalteten Häuser der Lebenden veranschaulicht. Bezeichnenderweise setzte diese Entwicklung zuerst auf dem Lande in, wo sich die rigorosen Normen der Selbstinszenierung leichter und weniger anstößig umgehen ließen; im 79 n. Chr. durch einen Vesuvausbruch zerstörten Landstädtchen Pompeji bei Neapel lassen sich solche Prunkbauten bis heute in Augenschein nehmen. Ein wichtiges Propagandamedium war auch die Geschichtsschreibung. Die Darstellung der Vergangenheit lieferte zugleich ihre Deutung und damit Wertung und Werbung für die Lebenden.

Über Nutzen und Nachteil dieser Entwicklungen wurde innerhalb der Führungsschicht erbittert debattiert. Von der griechischen Kultur und Lebensart geprägte Aristokraten wie der ältere Scipio, der Sieger des Zweiten Punischen Krieges, und Lobredner altrömischer Sittenstrenge wie Marcus Porcius Cato bezeichneten die Pole der Auseinandersetzung. Weitere Krisensymptome kamen hinzu. In den neu gewonnenen Provinzen stieß das traditionelle System der Eingliederung und Verwaltung an seine Grenzen; die Administration der eroberten Gebiete verkam immer mehr zur Bereicherung der Spitzenpolitiker, die ihre immensen Wahlkampfkosten durch die Ausplünderung der ihnen anvertrauten Gebiete wieder einzubringen versuchten. Und durch die Konzentration des – von Sklaven bestellten – Bodens in immer weniger Händen strömten immer mehr mittellose Landbewohner in die Stadt, die zu einer unübersichtlichen, ja chaotischen Metropole anschwoll, die um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. bereits 200.000 Einwohner zählte.

Diese Menschenmassen mussten mit Wasser und Getreide versorgt werden; zu diesem Zweck wurden riesige Aquädukte und Magazine aus dem Boden gestampft. Wohnraum wurde knapp; Mietshäuser konnten sich nur nach oben ausdehnen, was Einstürze und Feuersbrünste zur Folge hatte. In Anbetracht der beengten Wohnverhältnisse spielte sich das Leben zum großen Teil auf der Straße ab – und im Zirkus. Die Plebs wollte unterhalten werden, «Brot und Spiele» war daher die römischste aller Parolen. Dabei floss nicht nur Tierblut. Nach dem Auftritt der bestiae traten Kriminelle und Kriegsgefangene gegeneinander an. Im Gegensatz zu ihnen hatten die professionellen Gladiatoren durchaus Überlebenschancen, die erfolgreichsten genossen sogar Starnimbus. Am Ende der Zweikämpfe durften die Zuschauer über Leben und Tod entscheiden, besaßen also im Zirkus einen Einfluss, der ihnen in der Politik immer mehr verloren ging. Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, Hinrichtungen – alle diese öffentlichen Spektakel wurden im Circus Maximus geboten, den der Legende nach schon die ersten Könige errichtet hatten. Im Tal zwischen dem Palatin und dem Aventin gelegen, bot er im 1. Jahrhundert n. Chr. Platz für 250.000 Zuschauer. Eine weitere Anlage dieser Art, der um 220 v. Chr. errichtete Circus Flaminius, diente überwiegend zivileren Zwecken wie Märkten und Staatsfesten; von diesem zwischen dem Bogen der Octavia und der Via Arenula gelegenen Bau hat sich fast nichts erhalten. Die Spektakel im Zirkus bereiteten die Plebejer zugleich auf den einzigen Beruf vor, der ihnen noch Aufstiegschancen bot: Am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde aus den nach Vermögensklassen gegliederten Bürgerlegionen eine Berufsarmee, die vor allem die Besitzlosen anzog. Erfolgreiche Feldherren verfügten damit über einen bewaffneten Anhang, der mit ihnen durch dick und dünn ging, aber auch Belohnung in Form von Versorgung erwartete.

Heilmittel gegen diese viel beklagten Erscheinungen des Niedergangs suchte die politische Führungsschicht entweder in der hartnäckigen Verteidigung des Status quo oder in der Rückkehr zu den Ursprüngen. So lancierten zwischen 133 und 121 v. Chr. zwei junge Politiker aus vornehmer Familie, Tiberius und Gaius Sempronius Gracchus, ein Programm, das ein sozialpolitisches «Zurück zu den heilen Anfängen!» verkündete. Ihre Kernforderung war die Aufteilung des Großgrundbesitzes an Landlose, wodurch die Keimzelle der römischen Größe, das altitalische Kleinbauerntum, wiederhergestellt werden sollte. Solche Parolen fanden in der Volksversammlung Anklang. Die Standesgenossen aber reagierten auf die beiden Abweichler mit wütendem Widerstand und am Ende mit Gewalt. Beide Gracchen starben in den Augen ihrer Anhänger als Märtyrer und überlebten, als idealistische Sozialrevolutionäre verklärt, bis in die Gegenwart.

Doch die konservative Senatspartei der Optimaten wurde ihres Triumphes nicht lange froh. Zuerst blamierten sich ihre Feldherren im Krieg gegen den Numiderfürsten Jugurtha durch militärische Unfähigkeit und Korruptionsaffären. Schlimmer noch: derjenige, der Abhilfe schuf und den Sumpf trocken legte, war mit Gaius Marius ein homo novus, einer der seltenen Seiteneinsteiger außerhalb der Nobilität. Mit seinen Siegen gegen die Kimbern und Teutonen in Südfrankreich und Oberitalien in den Jahren 102 und 101 v. Chr. wurde Marius zum hymnisch gefeierten Retter Roms vor den Barbaren und zum ersten Prototyp des Warlord, der seinen militärischen Ruhm durch die bedingungslose Gefolgschaft seiner Soldaten in politische Macht umzusetzen vermochte. Damit trat die römische Republik in ihre von innerer Gewalt und Bürgerkriegen geprägte Schlussphase ein.

In den gut zwei Jahrzehnten des Bürgerkriegs zwischen den Anhängern des Marius und seines aristokratischen Gegners Sulla wurde sogar das römische Stadtgebiet, das seit unvordenklichen Zeiten militärfreie Zone gewesen war, zum Schauplatz der blutigen Kämpfe. Nicht weniger symptomatisch für die Auflösung der so lange verbindlichen mos maiorum war die Proskribierung der Gegner, die für vogelfrei erklärt und ermordet wurden; dabei kam es zu regelrechten Massenhinrichtungen. Die inneren Tumulte konnten nicht ohne Folgen für Roms Stellung im Mittelmeerraum bleiben. Zwischen 91 und 88 v. Chr. rebellierten die Bundesgenossen in Italien gegen die jahrhundertealte Vorherrschaft der Stadt am Tiber und zwangen diese zum Nachgeben. Ihr Zugeständnis bestand im Bürgerrecht für alle Freien in Italien südlich des Po. Um dieselbe Zeit rückte in Kleinasien König Mithradates VI. von Pontos gegen die Römer vor und richtete unter den italienischstämmigen Bewohnern der Provinz Blutbäder an, bis er von Sulla zurückgedrängt wurde. Dessen jahrelange Abwesenheit hatte den Machtwechsel in Rom zur Folge, wo die Marius-Anhänger ihrerseits eine Terrorherrschaft errichteten – bis sich nach der siegreichen Rückkehr des Sulla das Blatt erneut wendete.

Der fatale Rhythmus von äußeren und inneren Kriegen verlangsamte sich nur unwesentlich, als Sulla, zum Schluss Diktator auf Zeit zur Neuordnung der Republik, im Jahre 79 v. Chr. von diesem Amt zurücktrat. In seinem Windschatten war eine neue Generation von Politikern emporgekommen, die ihre Lektionen in Sachen Selbstinszenierung, Skrupellosigkeit und innerer Konfliktführung gründlich gelernt hatten. Die wichtigsten von ihnen waren der in Kleinasien als General erfolgreiche Gnaeus Pompeius Magnus, der Plutokrat Marcus Licinius Crassus und der junge Patrizier Gaius Julius Cäsar. Dieser hatte sich schon auf den unteren Stufen der Ämterlaufbahn durch sagenhaft teure Spiele bekannt gemacht und horrend verschuldet. Als Gralshüter republikanischer Werte und Traditionen trat Marcus Tullius Cicero auf, ein «neuer Mann» aus dem südlich Roms gelegenen Arpinum. Doch konnte sich der große Redner und Philosoph, der sich wie kein anderer um die Vermittlung griechischer Kultur verdient machte, in den nachfolgenden, immer verschlungeneren und gewaltsameren Machtkämpfen auf Dauer nicht behaupten. Mit ihm geriet das konservative Senatsmilieu gegenüber den Kriegsherren, die sich zu einem Triumvirat, einem Dreimännerbündnis, zusammenschlossen, ins Hintertreffen.

Von ihnen erwies sich der im Osten so erfolgreiche Feldherr