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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Das Kapuzineräffchen ließ sich aus einer Baumkrone in die Tiefe gleiten, drohte im freien Fall bis in das verfilzte, undurchdringliche Dickicht des dampfenden Regenwaldes zu stürzen, erhaschte dann aber doch eine Liane und pendelte an ihr bis zum Nachbarbaum hinüber. Dort landete es sicher auf einem der tiefer gelegenen, ausladenden Äste und ließ die Liane los. Behende turnte es auf dem Ast entlang, bis ganz nach vorn zur Spitze.

Hier verharrte das Tier.

Unter ihm wälzten sich die lehmbraunen Fluten des gewaltigen Stromes dahin, aber nicht das war es, was die Aufmerksamkeit des Äffchens erregt hatte. Vielmehr drehte sich auf einem trägen Strudel ein rätselhaftes Ding, ein Etwas, wie es das passierliche Tier nie zuvor in seinem Leben erblickt hatte.

Es war gelb und wirkte – zumindest aus der Sicht des Äffchens –, als ob man es mit einiger Überwindung fressen könne.

Das Äffchen legte den Kopf schief und gab ein knappes, fragendes Kekkern von sich. Das Etwas dort unten trug genau in seiner ausgehöhlten Mitte eine Gestalt spazieren, einen weißhäutigen Zweibeiner, der bis auf die Knochen abgemagert war und vor dessen hohlwangigem, ausgemergeltem Gesicht man glatt Angst kriegen konnte. Der Mann hatte seinen Blick nach oben gerichtet. Seine Augen erschienen seltsam starr.

Tot?

Das Äffchen hätte es gern herausgefunden. Aber das Ding, in dem der Mensch auf dem Wasser trieb, entwand sich jetzt den Kreisen des Strudels. Die Hauptströmung war stärker, sie entführte die Last.

Dem Kapuzineräffchen gefiel diese Wandlung der Lage überhaupt nicht. Empört hastete es auf seinem Ast hin und her. Dann rannte es zurück, fand eine Verbindung zu Nebenästen, die ebenfalls über das zu-gewucherte Ufer hinausragten, begleitete seine interessante Entdekkung noch ein Stück, mußte aber schließlich zeternd zuschauen, wie sich das Ding endgültig aus seinem Gesichtskreis entfernte.

Das Kapuzineräffchen keckerte und schimpfte eine Weile. Danach brach es in die hinter ihm liegende grüne Hölle auf, um Streit mit einem seiner Artgenossen zu suchen. Seine Neugierde war nicht vollends befriedigt worden. So etwas konnte auch einen Affen – nicht nur Menschen – in unbändigen Zorn versetzen.

Der Strom nahm das schmutziggelbe Boot aus geflochtenem Reet mit wie eine sichere Beute. „Pororoca“ nannten die Indianer den gewaltigen Fluß Amazonas – Wolkenwasserlärm. Die Urmacht der Natur, die sich jählings brüllend aufbäumen konnte, um alles zu verschlingen. Die Macht der Götter. Was sie packte, gab sie nicht wieder frei.

Und doch: Bisweilen geschah ein Wunder.

Der Mann im Inneren des Reetbootes versuchte sich aufzurichten. Es gelang ihm nur halb. Er stöhnte. Seine Züge nahmen einen gequälten Ausdruck an. Er ließ sich wieder zurücksinken. Plötzlich veränderte sich seine Miene. Er brach in heiseres Kichern aus.

„Der Teufel will dich nicht, Montanelli“, flüsterte er. „Der Fluß wird breiter und breiter, bald bist du an der Mündung angelangt. Erinnerst du dich, wie weit die Ufer voneinander entfernt lagen, als du hier eintrafst?“ Er legte eine Pause ein. Selbst das Flüstern bereitete ihm Schwierigkeiten. Er war unsagbar schwach, seine letzten Energiereserven waren verbraucht.

„O Herr, steh mir bei, daß ich es schaffe – daß ich das Meer noch sehe, bevor ich sterbe …“

Seine dürren Finger hielten zwei Beutel aus roh gegerbtem Leder auf dem Boden des Bootes umklammert. Es befand sich kein Proviant in diesen Beuteln. Er, Montanelli, war dem Tod durch Verhungern und Verdursten nahe, aber das, was die Beutel bargen, konnte kein Mensch dieser Welt herunterschlingen. Und das Wasser des Flusses war ungenießbar. Es würde seinen Tod nur beschleunigen. Piranhas befanden sich darin, giftige Würmer, Zitteraale, Rochen, die mit ihrem langen Schwanzstachel furchtbare Wunden schlagen konnten. Kleine Fische, die sich in die Öffnungen eines Menschen bohrten und die Rückenflosse aufrichteten, Kaimane, tausend Krankheitserreger.

Montanelli brauchte nur dieses Wasser zu trinken oder sich hineinsinken lassen, wenn er seinem Dasein ein Ende bereiten wollte. Aber er wollte leben! Je schwächer er wurde, um so mehr klammerte er sich an den letzten Hoffnungsschimmer, dem Inferno zu entweichen.

Wie oft war er dem Tod schon von der Schippe gesprungen?

Wieder lachte er leise. Viele dutzend Male. Ganz gewiß. Er hätte von den vielen Gefahren, die der Strom bot, umgebracht werden können. Oder von Indianern. Aber nichts von alledem, was er befürchtet hatte, war eingetreten, allen Gesetzmäßigkeiten dieser gräßlichen Umgebung zum Trotz.

Eben. Die Hölle wollte ihn nicht.

Montanelli drehte sich und hob den Kopf so weit, daß er über den Rand des Reetbootes spähen konnte. Er blickte und lauschte in den Wirrwarr aus feuchter grüner Flora und kunterbunter, lärmender Tierwelt. Er haßte diese ewige Kulisse, die sich nicht ändern wollte, aber er fing an, sie zu lieben, wenn er daran dachte, daß er nicht mehr weit von einer möglichen Rettung entfernt war.

Er ließ sich völlig ermattet zurücksinken. Sein Atem ging flach und pfeifend. Die Welt begann sich um ihn herum zu drehen, und in seinem Kopf schien sich ein riesiges Mühlrad zu bewegen. Der azurblaue Himmel raste auf ihn zu und erdrückte ihn mit seiner Hitze.

Schweißgebadet wachte Montanelli aus seiner Ohnmacht auf. Wieviel Zeit war verstrichen? Er wußte es nicht. Er stellte keine Schätzungen an. Er hatte aufgehört, die Tage zu zählen, warum sollte er dann noch die Stunden berechnen?

Das Reetboot hatte mehr Fahrt aufgenommen. Es trieb dahin, ohne daß er seinen Kurs irgendwie beeinflussen konnte. Blieb es irgendwo hängen, dann würde der halbtote Mann es nicht einmal fertigbringen, es zu befreien.

Er hob ächzend den Kopf und hielt wieder Ausschau.

Diesmal sah er sie.

Für einen Moment nur tauchten ihre braunen Leiber aus dem Dikkicht des Südufers auf. Sofort waren sie wieder verschwunden. Aber die wenigen Sekunden genügten Montanelli. Er war keiner Täuschung erlegen und fieberte nicht. Seine Augen hatten auch noch die nötige Sehschärfe und gaukelten ihm keine Trugbilder vor.

Mit entsetztem Keuchen fiel er auf den Bootsboden zurück. Sie waren da! Zwei! Die Angst packte ihn und fuhr ihm tief in die Knochen. Sie ließ ihn nicht mehr los und schüttelte ihn.

Sie waren da und hatten ihn entdeckt. Jetzt würde alles wieder von vorn beginnen.

Von diesem Zeitpunkt an wußte Montanelli, daß sein Tod doch eine besiegelte Sache war.

Philip Hasard Killigrew hatte sich bis auf eine kurze Hose seiner gesamten Kleidung entledigt. Das naßgeschwitzte weiße Hemd lag irgendwo in der Ecke seiner Kammer, gleich neben dem ledernen Wams, das ihm plötzlich auch zu eng geworden war.

In der Hose und den hohen Schaftstiefeln hatten seine Beine und Füße gleichsam zu brennen begonnen, und bei jedem Schritt hatte es unangenehm in den Stiefeln gequatscht. Darum hatten auch die vertrackte Hose und die verdammten Stiefel ihren Ehrenplatz in der Kammer gefunden. Fast wäre er auf die Heckgalerie hinausgetreten und hätte das ganze Zeug über Bord gefeuert.

Jetzt stand er auf dem Achterdeck der „Isabella VIII.“ und schwitzte immer noch. Sein braungebrannter Körper glänzte bronzefarben unter den heißen Strahlenbündeln der Sonne. Aber wenigstens war noch der warme Wind vorhanden, der von der offenen See herüberblies und die „Isabella“ und den schwarzen Segler vor sich hertrieb.

Hasard wußte, daß er darüber froh zu sein hatte. Längst hatte er damit gerechnet, in eine Flautenzone zu geraten, dorthin, wo kein Windhauch die schwüle Luft aufrührte. Für ihn und seine Crew, für Siri-Tong und ihre Mannschaft wäre dies die Hölle auf Erden – und es konnte immer noch eintreten.

Deswegen verdrängte er seinen Ärger über die unerträgliche Hitze. Was konnte er auch daran ändern?

Er blickte zu dem schwarzen Schiff hinüber. Der stolze Viermaster lief an Backbord der „Isabella“, auf gleicher Höhe mit ihr. Siri-Tong stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und winkte zu ihm herüber. Sie schien ihn die ganze Zeit beobachtet zu haben. Hasard grinste und grüßte zurück.

Die Rote Korsarin hatte sich auch einiger Kleidungsstücke entledigt, das erkannte er mit bloßem Auge. Natürlich konnte sie sich nicht so weit entblättern wie die Männer – es hätte prompt sämtliche Urtriebe der Burschen wachgerüttelt. Eine Meuterei und Rauferei wären unumgänglich gewesen.

Schon so bot Siri-Tong einen Anblick, den man in feineren Gesellschaften als dieser hier als „anstößig“ bezeichnet hätte. Ihre schwarze Hose war bis über die Knie hinauf hochgekrempelt und lag eng an. Die rote Bluse hatte sie sich über dem Bauchnabel zusammengeknotet und sonst nicht zugeknöpft. Sie gab mehr preis als sie verhüllte. Hasard konnte sich nicht bezwingen. Er nahm das Spektiv zur Hand und blickte durch die Optik zu der Frau hinüber.

O ja, sie war verteufelt schön. Ihre langen schwarzen Haare waren vom Wind leicht zerzaust. Sie umrahmten ein ebenmäßiges Gesichtsoval, in dem nur die leicht schräggestellten Mandelaugen und die ausgeprägten Jochbeine von der fremdländischen Herkunft Siri-Tongs kündeten.

Hasards Blick glitt über den Kirschmund, Kinn und Hals tiefer und verharrte auf Siri-Tongs stolz geschwellten Brüsten. Manch einer wäre bereit gewesen, für diese Pracht bis aufs Messer zu kämpfen. Und einen Mann, der seit Wochen keine Frau gehabt hatte, konnte dies alles glattweg um den Verstand bringen.

Aber Siri-Tong wußte ihren Haufen zu bändigen. Sie regierte mit eiserner Hand. Konsequent befolgte sie ihre Prinzipien, und wer sich nicht danach richtete, der büßte mit seinem Leben für seine Unbotmäßigkeit.

Bei aller Zurschaustellung ihrer fraulichen Reize hatte Siri-Tong ein tiefverwurzeltes moralisches Empfinden. Es gebot ihr Zurückhaltung. Der einzige, „den sie an sich heranließ“, wie ihre Piraten das auszudrücken pflegten, war Hasard. Siri-Tong liebte den Seewolf.

Er nahm das Spektiv wieder etwas höher und sah, wie sie lächelte. Dann warf sie ihm sogar eine Kußhand zu.

Hasard setzte den Kieker ab.

„Du verflixter Satansbraten“ sagte er leise. „Ich weiß, was du willst. Aber wir müssen es auf später verschieben. Es ist viel zu heiß.“

Er wandte sich dem Quarter- und Hauptdeck zu, wo seine Crew in der gleichen Aufmachung wie er schuftete. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Darum ließ Carberry ihnen auch jetzt kaum eine Minute Ruhe. Neben der normalen Decksarbeit mußte endlich wieder richtig aufgeklart werden. Bei dem Kurs, den sie zur Zeit steuerten, hatten sie die nötige Ruhe dazu. Die einzige Widrigkeit war die erdrückende Hitze – und deshalb fluchten die Männer.

Es war Ende April 1583 und heißer als in den Monaten Juli und August in der Karibik. Kein Wunder – die „Isabella“ und der schwarze Segler befanden sich dem Äquator sehr nahe. Ihre genaue Position war an diesem Morgen 2 Grad 30 Minuten nördlicher Breite und 50 Grad westlicher Länge. Das Mündungsgebiet des Amazonas lag nicht mehr weit entfernt.

Temperatur und Luftfeuchtigkeit stiegen von Stunde zu Stunde. Aber die Mannschaften der Schiffe mußten sich damit abfinden, und außerdem konnten sie noch frohlocken, weil der warme Wind aus Nord bis Nordost blies. Mal hatten die „Isabella“ und der Viermaster ihn raumschots, mal halbwinds. Sie segelten mit Backbordhalsen über Steuerbordbug, liefen gute Fahrt und das Wetter war beständig. Eigentlich konnte nach allem, was sie hinter sich hatten, jetzt nichts mehr schiefgehen.

Aber vor Überraschungen war man nie sicher.

Nach den Ereignissen auf der Teufelsinsel und in Guayana waren die Spanier ihnen immerhin noch auf den Fersen. Eigentlich hätten Hasard und seine Crew längst tot sein müssen, aber sie hatten dem Gegner mal wieder ein Schnippchen geschlagen, eine Tatsache, die die Dons ihnen nicht verzeihen wollten und konnten. Ihr Haß gegen „El Lobo del Mar“ schwelte und wurde immer wieder neu angeheizt. Daß es zum größten Teil ihre eigene Schuld war, weil sie sich wieder und wieder mit Hasard anlegten und dabei den kürzeren zogen, bedachten sie natürlich nicht.

Vorläufig zeigte sich kein feindliches Schiff an der Kimm. Aber Hasard blieb ständig auf der Hut. Unachtsamkeit, das hatte sich immer wieder bestätigt, konnte den Kopf kosten.

So gesehen war die Hitze ein Gefahrenfaktor. Hasard verweilte also die meiste Zeit am Oberdeck und hielt die Augen offen. Wo es an der nötigen Disziplin zu mangeln drohte, griff er ein.

Carberrys Stimme tönte zu ihm herauf.

„Ihr Kanalratten, ihr Strolche“, wetterte der Profos. „Wollt ihr wohl arbeiten? Laßt bloß keinen Schlendrian einreißen, sonst gibt’s was auf die Hörner. Heda, euch treibe ich die Flausen schon aus, die ihr im Kopf habt, ihr karierten Decksaffen. He, Bill, willst du wohl die Planken schrubben, oder soll ich dir den Schwabberdweil um die Ohren hauen? Hey, Matt Davies, da müssen noch ein paar Fallen klariert werden, hast du Kokosnüsse auf den Klüsen, oder was ist los? Muß ich dir erst die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch ziehen, damit du in Gang kommst, was, wie?“

Es war die übliche Litanei. Edwin Carberry war ja bekannt für seine wortgewaltigen Drohreden. Aber heute fiel er der Crew damit erheblich auf die Nerven.

Matt Davies gab einen knurrenden Laut von sich. „Verdammt, wie kann der bei der Hitze bloß noch so große Töne spucken?“ murmelte er, während er sich anschickte, den Befehl auszuführen.

„Vielleicht hat ihm die Sonne sein letztes bißchen Verstand eingetrocknet, und er weiß nicht mehr, was er von sich gibt“, sagte Blacky.

Er schielte zum Profos hinüber. Jeder Mann auf der „Isabella“ lief zwar halbnackt herum, hatte sich aber eine Kopfbedeckung beschafft, um gegen die Sonnenglut wenigstens von oben her geschützt zu sein. Es waren Mützen und Hüte unterschiedlichster Beschaffenheit, und ihr Alter ließ sich in den meisten Fällen schwerlich schätzen.

Nur Carberry hatte standhaft dagegen gekämpft, sich etwas Derartiges auf seinen mächtigen Schädel zu stülpen. Er wollte keinen „Speckdeckel.“

„Die Flausen, von denen er dauernd faselt, hat er bald selbst im Kopf“, zischte Bill. „Er wird Schmetterlinge fangen, die es überhaupt nicht gibt, und weiße Elefanten übers Wasser laufen sehen.“

„Sonnenstich?“ fragte Bob Grey.

„Totale Mattscheibe“, raunte Bill ihm zu.

Carberry hatte sich in Marsch gesetzt und stapfte auf sie zu. „Ihr da! Was habt ihr zu tuscheln?“

„Nichts, Ed“, sagte Blacky grinsend.

„Ich habe aber gehört, daß ihr gemurrt und geflucht habt“, brüllte der Profos. „Wollt ihr hier eine Meuterei vom Zaun brechen?“

„Nein“, erwiderte Bill. „Wir sagten nur: schönes Wetter heute, was, wie?“

Carberry senkte den Kopf und schob dabei sein Rammkinn vor, eine akrobatische Meisterleistung, die nur er zustandebrachte. Wutschnaubend rückte er auf Bill, den fünfzehnjährigen Schiffsjungen, zu und grollte: „Ja, Kreuzdonnerwetter noch mal, was nimmst du dir eigentlich deinem Profos gegenüber ’raus?“

Ein scharfer Laut ertönte vom Achterdeck her und stoppte ihn. „Profos!“

Carberry drehte sich auf dem blanken Hacken seines rechten Fußes, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und blickte zu Hasard.

Der stand mit verschränkten Armen an der Five-Rail und rief ihm zu: „Ed, laß es gut sein!“

„Ich – aye, aye, Sir!“

Carberry widmete sich wieder seiner Aufgabe, ohne jedoch auf Bill loszugehen. Er murmelte nur etwas von „Frechheit“ und „Rotzlöffel“ und ließ es dabei bewenden. Bill war es im Grunde gar nicht recht, daß der Seewolf eingegriffen hatte. Er war der Meinung, selbst mit Carberry fertig werden zu können.

Aber Hasard teilte diese Meinung nicht. „Bill übertreibt manchmal ein bißchen“, sagte er zu Ben Brighton und den anderen auf dem Achterdeck. „Er könnte sich ruhig mehr zurückhalten.“

Ben, auch nur noch mit einer aufgekrempelten Hose bekleidet, erwiderte: „Du vergißt, daß Ed den Jungen aufzieht, wo sich die Gelegenheit bietet.“

„Stimmt, aber Bill kann sich nicht mit ihm messen.“ Hasard lächelte. „Schön, er möchte auch gern ein richtiger Seewolf werden. Aber er ist es noch nicht.“

Shane trat dicht neben ihn hin. Der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle bot einen denkwürdigen Anblick mit seinem über und über behaarten Leib und dem grauen Bartgestrüpp, das bis zur Brust reichte.

„Hör mal“, sagte er. „Ich schätze aber, daß noch mal einer aus ihm wird.“

„Was, Shane?“

„Na, ein richtiger Seewolf.“

Hasard lachte auf. „Ach so. Ich war mit den Gedanken schon wieder woanders. Natürlich wird Bill ein harter Kerl. Die passende Veranlagung dazu hat er ja.“

Sie blickten zu Bill, der sich wütend mit dem Schwabberdweil abmühte. Ja, sie alle hatten den Jungen ins Herz geschlossen – nicht nur, weil sein sterbender Vater Hasard auf Jamaika das Versprechen abgenommen hatte, sich um Bill zu kümmern, sondern vor allem, weil der schwarzhaarige Bursche ein feiner Kerl war. Durch und durch aufrichtig und tollkühn. Einer, der in ihre Reihen paßte.

Auf der Teufelsinsel, hatte Hasard es beinahe bereut, Bill an Bord der „Isabella“ genommen zu haben. Denn dort war es ihnen allen ganz bedenklich an den Kragen gegangen. Dort waren sie von den Spaniern gefangengenommen und zu Sklaven herabgewürdigt worden, und fast wäre es El Verdugo, dem Henker, gelungen, sie zu Tode zu quälen. Er hatte Bill hängen wollen. Nur durch einen Trick hatte Hasard es geschafft, ihn davon abzubringen, und noch heute erschien es dem Seewolf wie ein Wunder, daß sie sich überhaupt hatten befreien können.