Friedrich Schlegel

Lucinde

Klassiker der Erotik Nr. 5
Impressum

Covergestaltung: Mat Seidhold
Bearbeitung: Siria Holm
ISBN: 9783955017149
2015 darkbook.de



andersseitig Verlag
Dresden
www.andersseitig.de
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Prolog

Mit lächelnder Rührung überschaut und eröffnet Petrarca die Sammlung seiner ewigen Romanzen. Höflich und schmeichelnd redet der kluge Boccaz am Eingang und am Schluß seines reichen Buchs zu allen Damen. Und selbst der hohe Cervantes, auch als Greis und in der Agonie noch freundlich und voll von zartem Witz, bekleidet das bunte Schauspiel der lebensvollen Werke mit dem kostbaren Teppich einer Vorrede, die selbst schon ein schönes romantisches Gemälde ist.

 

      Hebt eine herrliche Pflanze aus dem fruchtbaren mütterlichen Boden, und es wird sich manches liebevoll daran hängen, was nur einem Kargen überflüssig scheinen kann.

 

     Aber was soll mein Geist seinem Sohne geben, der gleich ihm so arm an Poesie ist als reich an Liebe?

 

     Nur ein Wort, ein Bild zum Abschiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan ist stolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn kümmert nichts, als daß der Glanz seiner weißen Fittiche rein bleibe. Er sinnt nur darauf, sich an den Schoß der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was sterblich ist an ihm, in Gesänge auszuhauchen.

 

Bekenntnisse eines Ungeschickten

 

Julius an Lucinde

     Die Menschen und was sie wollen und tun, erschienen mir, wenn ich mich daran erinnerte, wie aschgraue Figuren ohne Bewegung; aber in der heiligen Einsamkeit um mich her war alles Licht und Farbe und ein frischer warmer Hauch von Leben und Liebe wehte mich an und rauschte und regte sich in allen Zweigen des üppigen Hains. Ich schaute und ich genoß alles zugleich, das kräftige Grün, die weiße Blüte und die goldne Frucht. Und so sah ich auch mit dem Auge meines Geistes die Eine ewig und einzig Geliebte in vielen Gestalten, bald als kindliches Mädchen, bald als Frau in der vollen Blüte und Energie der Liebe und der Weiblichkeit, und dann als würdige Mutter mit dem ernsten Knaben im Arm. Ich atmete Frühling, klar sah ich die ewige Jugend um mich und lächelnd sagte ich: Wenn die Welt auch eben nicht die beste oder die nützlichste sein mag, so weiß ich doch, sie ist die schönste. In diesem Gefühle oder Gedanken hätte mich auch nichts stören können, weder allgemeine Zweifel noch eigne Furcht. Denn ich glaubte einen tiefen Blick in das Verborgne der Natur zu tun; ich fühlte, daß alles ewig lebe und daß der Tod auch freundlich sei und nur eine Täuschung. Doch dachte ich daran eigentlich nicht sehr, wenigstens zum Gliedern und Zergliedern der Begriffe war ich nicht sonderlich gestimmt. Aber gern und tief verlor ich mich in alle die Vermischungen und Verschlingungen von Freude und Schmerz, aus denen die Würze des Lebens und die Blüte der Empfindung hervorgeht, die geistige Wollust wie die sinnliche Seligkeit. Ein feines Feuer strömte durch meine Adern; was ich träumte, war nicht etwa bloß ein Kuß, die Umschließung deiner Arme, es war nicht bloß der Wunsch, den quälenden Stachel der Sehnsucht zu brechen und die süße Glut in Hingebung zu kühlen; nicht nach deinen Lippen allein sehnte ich mich, oder nach deinen Augen, oder nach deinem Leibe: sondern es war eine romantische Verwirrung von allen diesen Dingen, ein wundersames Gemisch von den verschiedensten Erinnerungen und Sehnsuchten. Alle Mysterien des weiblichen und des männlichen Mutwillens schienen mich zu umschweben, als mich Einsamen plötzlich deine wahre Gegenwart und der Schimmer der blühenden Freude auf deinem Gesichte vollends entzündete. Witz und Entzücken begonnen nun ihren Wechsel und waren der gemeinsame Puls unsers vereinten Lebens; wir umarmten uns mit eben so viel Ausgelassenheit als Religion. Ich bat sehr, du möchtest dich doch einmal der Wut ganz hingeben, und ich flehte dich an, du möchtest unersättlich sein. Dennoch lauschte ich mit kühler Besonnenheit auf jeden leisen Zug der Freude, damit mir auch nicht einer entschlüpfe und eine Lücke in der Harmonie bleibe. Ich genoß nicht bloß, sondern ich fühlte und genoß auch den Genuß.

Du bist so außerordentlich klug, liebste Lucinde, daß du wahrscheinlich schon längst auf die Vermutung geraten bist, dies alles sei nur ein schöner Traum. So ist es leider auch, und ich würde untröstlich darüber sein, wenn ich nicht hoffen dürfte, daß wir wenigstens einen Teil davon nächstens realisieren könnten. Das Wahre an der Sache ist, daß ich vorhin am Fenster stand; wie lange, das weiß ich nicht recht: denn mit den andern Regeln der Vernunft und der Sittlichkeit ist auch die Zeitrechnung dabei ganz von mir vergessen worden. Also ich stand am Fenster und sah ins Freie; der Morgen verdient allerdings schön genannt zu werden, die Luft ist still und warm genug, auch ist das Grün hier vor mir ganz frisch, und wie sich die weite Ebne bald hebt bald senket, so windet sich der ruhige, breite silberhelle Strom in großen Schwüngen und Bogen, bis er und die Fantasie des Liebenden, die sich gleich dem Schwane auf ihm wiegte, in die Ferne hinziehen und sich in das Unermeßliche langsam verlieren. Den Hain und sein südliches Kolorit verdankt meine Vision wahrscheinlich dem großen Blumenhaufen hier neben mir, unter denen sich eine beträchtliche Anzahl von Orangen befindet. Alles übrige läßt sich leicht aus der Psychologie erklären. Es war Illusion, liebe Freundin, alles Illusion, außer daß ich vorhin am Fenster stand und nichts tat, und daß ich jetzt hier sitze und etwas tue, was auch nur wenig mehr oder wohl gar noch etwas weniger als nichts tun ist.

 

      So weit war an dich geschrieben, was ich mit mir gesprochen hatte, als mich mitten in meinen zarten Gedanken und sinnreichen Gefühlen über den eben so wunderbaren als verwickelten dramatischen Zusammenhang unsrer Umarmungen ein ungebildeter und ungefälliger Zufall unterbrach, da ich eben im Begriff war, die genaue und gediegne Historie unsers Leichtsinns und meiner Schwerfälligkeit in klaren und wahren Perioden vor dir aufzurollen, die von Stufe zu Stufe allmählig nach natürlichen Gesetzen fortschreitende Aufklärung unsrer den verborgenen Mittelpunkt des feinsten Daseins angreifenden Mißverständnisse zu entwickeln, und die mannichfachen Produkte meiner Ungeschicklichkeit darzustellen, nebst den Lehrjahren meiner Männlichkeit; welche ich im Ganzen und in ihren Teilen nie überschauen kann, ohne vieles Lächeln, einige Wehmut und hinlängliche Selbstzufriedenheit. Doch will ich als ein gebildeter Liebhaber und Schriftsteller versuchen, den rohen Zufall zu bilden und ihn zum Zwecke gestalten. Für mich und für diese Schrift, für meine Liebe zu ihr und für ihre Bildung in sich, ist aber kein Zweck zweckmäßiger, als der, daß ich gleich anfangs das was wir Ordnung nennen vernichte, weit von ihr entferne und mir das Recht einer reizenden Verwirrung deutlich zueigne und durch die Tat behaupte. Dies ist um so nötiger, da der Stoff, den unser Leben und Lieben meinem Geiste und meiner Feder gibt, so unaufhaltsam progressiv und so unbiegsam systematisch ist. Wäre es nun auch die Form, so würde dieser in seiner Art einzige Brief dadurch eine unerträgliche Einheit und Einerleiheit erhalten und nicht mehr können, was er doch will und soll: das schönste Chaos von erhabnen Harmonien und interessanten Genüssen nachbilden und ergänzen. Ich gebrauche also mein unbezweifeltes Verwirrungsrecht und setze oder stelle hier ganz an die unrechte Stelle eines von den vielen zerstreuten Blättern die ich aus Sehnsucht und Ungeduld, wenn ich dich nicht fand wo ich dich am gewissesten zu finden hoffte, in deinem Zimmer, auf unserm Sofa, mit der zuletzt von dir gebrauchten Feder, mit den ersten den besten Worten, so jene mir eingegeben, anfüllte oder verdarb, und die du Gute, ohne daß ich es wußte, sorgsam bewahrtest.

Die Auswahl wird mir nicht schwer. Denn da unter den Träumereien, die hier schon, den ewigen Lettern und dir anvertrauet sind, die Erinnerung an die schönste Welt noch das gehaltvollste ist, und noch am ersten eine gewisse Art von Ähnlichkeit mit den sogenannten Gedanken hat: so nehme ich vor allen andern die dithyrambische Fantasie über die schönste Situation. Denn wissen wir erst sicher, daß wir in der schönsten Welt leben: so ist es unstreitig das nächste Bedürfnis uns über die schönste Situation in dieser schönsten Welt durch andre oder durch uns selbst gründlich zu belehren.

 

Dithyrambische Fantasie

über die schönste Situation

 

      Eine große Träne fällt auf das heilige Blatt, welches ich hier statt deiner fand. Wie treu und wie einfach hast du ihn aufgezeichnet, den kühnen alten Gedanken zu meinem liebsten und geheimsten Vorhaben. In dir ist er groß geworden und in diesem Spiegel scheue ich mich nicht, mich selbst zu bewundern und zu lieben. Nur hier sehe ich mich ganz und harmonisch, oder vielmehr die volle ganze Menschheit in mir und in dir. Denn auch dein Geist steht bestimmt und vollendet vor mir; es sind nicht mehr Züge die erscheinen und zerfließen: sondern wie eine von den Gestalten, die ewig dauern, blickt er mich aus hohen Augen freudig an und öffnet die Arme, den meinigen zu umschließen. Die flüchtigsten und heiligsten von jenen zarten Zügen und Äußerungen der Seele, die dem, welcher das Höchste nicht kennt, allein schon Seligkeit scheinen, sind nur die gemeinschaftliche Atmosphäre unsers geistigen Atmens und Lebens.

Die Worte sind matt und trübe; auch würde ich in diesem Gedränge von Erscheinungen nur immer das eine unerschöpfliche Gefühl unsrer ursprünglichen Harmonie von neuem wiederholen müssen. Eine große Zukunft winkt mich eilends weiter ins Unermeßliche hinaus, jede Idee öffnet ihren Schoß und entfaltet sich in unzählige neue Geburten. Die äußersten Enden der zügellosen Lust und der stillen Ahndung leben zugleich in mir. Ich erinnere mich an alles, auch an die Schmerzen, und alle meine ehemaligen und künftigen Gedanken regen sich und stehen wider mich auf. In den geschwollnen Adern tobt das wilde Blut, der Mund durstet nach Vereinigung und unter den vielen Gestalten der Freude wählt und wechselt die Fantasie und findet keine, in der die Begierde sich endlich erfüllen und endlich Ruhe finden könnte. Und dann gedenke ich wieder plötzlich und rührend der dunkeln Zeit, da ich immer wartete, ohne zu hoffen, und heftig liebte, ohne daß ich es wußte; da mein innerstes Wesen sich ganz in unbestimmte Sehnsucht ergoß und sie nur selten in halb unterdrückten Seufzern aushauchte.

Ja! ich würde es für ein Märchen gehalten haben, daß es solche Freude gebe und solche Liebe, wie ich nun fühle, und eine solche Frau, die mir zugleich die zärtlichste Geliebte und die beste Gesellschaft wäre und auch eine vollkommene Freundin. Denn in der Freundschaft besonders suchte ich alles, was ich entbehrte und was ich in keinem weiblichen Wesen zu finden hoffte. In dir habe ich es alles gefunden und mehr als ich zu wünschen vermochte; aber du bist auch nicht wie die andern. Was Gewohnheit oder Eigensinn weiblich nennen, davon weißt du nichts. Außer den kleinen Eigenheiten besteht die Weiblichkeit deiner Seele bloß darin, daß Leben und Lieben für sie gleich viel bedeutet; du fühlst alles ganz und unendlich, du weißt von keinen Absonderungen, dein Wesen ist Eins und unteilbar. Darum bist du so ernst und so freudig: darum nimmst du alles so groß und so nachlässig, und darum liebst du mich auch ganz und überläßt keinen Teil von mir etwa dem Staate, der Nachwelt oder den männlichen Freunden. Es gehört dir alles und wir sind uns überall die nächsten und verstehn uns am besten. Durch alle Stufen der Menschheit gehst du mit mir von der ausgelassensten Sinnlichkeit bis zur geistigsten Geistigkeit und nur in dir sah ich wahren Stolz und wahre weibliche Demut.

Das äußerste Leiden, wenn es uns nur umgäbe, ohne uns zu trennen, würde mir nichts scheinen als ein reizender Gegensatz für den hohen Leichtsinn unsrer Ehe. Warum sollten wir nicht die herbeste Laune des Zufalls für schönen Witz und ausgelassene Willkür nehmen, da wir unsterblich sind wie die Liebe? Ich kann nicht mehr sagen, meine Liebe oder deine Liebe; beide sind sich gleich und vollkommen Eins, so viel Liebe als Gegenliebe. Es ist Ehe, ewige Einheit und Verbindung unsrer Geister, nicht bloß für das was wir diese oder jene Welt nennen, sondern für die eine wahre, unteilbare, namenlose, unendliche Welt, für unser ganzes ewiges Sein und Leben. Darum würde ich auch, wenn es mir Zeit schiene, eben so froh und eben so leicht eine Tasse Kirschlorbeerwasser mit dir ausleeren, wie das letzte Glas Champagner, was wir zusammen tranken, mit den Worten von mir: »So laß uns den Rest unsers Lebens austrinken.« – So sprach und trank ich eilig, ehe der edelste Geist des Weins verschäumte; und so, das sage ich noch einmal, so laß uns leben und lieben. Ich weiß, auch du würdest mich nicht überleben wollen, du würdest dem voreiligen Gemahle auch im Sarge folgen, und aus Lust und Liebe in den flammenden Abgrund steigen, in den ein rasendes Gesetz die indischen Frauen zwingt und die zartesten Heiligtümer der Willkür durch grobe Absicht und Befehl entweiht und zerstört.

Dort wird dann vielleicht die Sehnsucht voller befriedigt. Ich bin oft darüber erstaunt: jeder Gedanke und was sonst gebildet in uns ist, scheint in sich selbst vollendet, einzeln und unteilbar wie eine Person; eines verdrängt das andre, und was eben ganz nah und gegenwärtig war, sinkt bald in Dunkel zurück. Und dann gibt es doch wieder Augenblicke plötzlicher, allgemeiner Klarheit, wo mehrere solche Geister der innern Welt durch wunderbare Vermählung völlig in Eins verschmelzen, und manches schon vergessene Stück unsers Ich in neuem Lichte strahlt und auch die Nacht der Zukunft mit seinem hellen Scheine öffnet. Wie im Kleinen so, glaube ich, ist es auch im Großen. Was wir ein Leben nennen, ist für den ganzen ewigen innern Menschen nur ein einziger Gedanke, ein unteilbares Gefühl. Auch für ihn gibts solche Augenblicke des tiefsten und vollsten Bewußtseins, wo ihm alle die Leben einfallen, sich anders mischen und trennen. Wir beide werden noch einst in Einem Geiste anschauen, daß wir Blüten Einer Pflanze oder Blätter Einer Blume sind, und mit Lächeln werden wir dann wissen, daß was wir jetzt nur Hoffnung nennen, eigentlich Erinnerung war.

Weißt du noch, wie der erste Keim dieses Gedankens vor dir in meiner Seele aufsproßte und auch gleich in der deinigen Wurzel faßte? – So schlingt die Religion der Liebe unsre Liebe immer inniger und stärker zusammen, wie das Kind die Lust der zärtlichen Eltern dem Echo gleich verdoppelt.

Nichts kann uns trennen und gewiß würde jede Entfernung mich nur gewaltsamer an dich reißen. Ich denke mir, wie ich bei der letzten Umarmung im Gedränge der heftigen Widersprüche zugleich in Tränen und in Lachen ausbreche. Dann würde ich still werden und in einer Art von Betäubung durchaus nicht glauben, daß ich von dir entfernt sei, bis die neuen Gegenstände um mich her mich wider Willen überzeugten. Aber dann würde auch meine Sehnsucht unaufhaltsam wachsen, bis ich auf ihren Flügeln in deine Arme sänke. Laß auch die Worte oder die Menschen ein Mißverständnis zwischen uns erregen! Der tiefe Schmerz würde flüchtig sein und sich bald in vollkommenere Harmonie auflösen. Ich würde ihn so wenig achten, wie die liebende Geliebte im Enthusiasmus der Wollust die kleine Verletzung achtet.

Wie könnte uns die Entfernung entfernen, da uns die Gegenwart selbst gleichsam zu gegenwärtig ist. Wir müssen ihre verzehrende Glut in Scherzen lindern und kühlen und so ist uns die witzigste unter den Gestalten und Situationen der Freude auch die schönste. Eine unter allen ist die witzigste und die schönste: wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern, wer den andern täuschender nachäffen kann, ob dir die schonende Heftigkeit des Mannes besser gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes. Aber weißt du wohl, daß dieses süße Spiel für mich noch ganz andre Reize hat als seine eignen? Es ist auch nicht bloß die Wollust der Ermattung oder das Vorgefühl der Rache. Ich sehe hier eine wunderbare sinnreich bedeutende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit. Es liegt viel darin, und was darin liegt, steht gewiß nicht so schnell auf wie ich, wenn ich dir unterliege.

 

      Das war die dithyrambische Fantasie über die schönste Situation in der schönsten Welt! Ich weiß noch recht gut, wie du sie damals gefunden und genommen hast. Aber ich glaube auch eben so gut zu wissen, wie du sie hier finden und nehmen wirst; hier in diesem Büchelchen, von dem du mehr treue Geschichte, schlichte Wahrheit und ruhigen Verstand, ja sogar Moral, die liebenswürdige Moral der Liebe erwartest. »Wie kann man schreiben wollen, was kaum zu sagen erlaubt ist, was man nur fühlen sollte?« – Ich antworte: Fühlt man es, so muß man es sagen wollen, und was man sagen will, darf man auch schreiben können.

Ich wollte dir erst beweisen und begründen, es liege ursprünglich und wesentlich in der Natur des Mannes ein gewisser tölpelhafter Enthusiasmus, der gern mit allem Zarten und Heiligen herausplatzt, nicht selten über seinen eignen treuherzigen Eifer ungeschickterweise hinstürzt und mit einem Worte leicht bis zur Grobheit göttlich ist.

Durch diese Apologie wäre ich zwar gerettet, aber vielleicht nur auf Unkosten der Männlichkeit selbst: denn so viel ihr auch im einzelnen von dieser haltet, so habt ihr doch immer viel und vieles wider das Ganze der Gattung. Ich will indessen auf keinen Fall gemeine Sache mit einer solchen Race haben und verteidige oder entschuldige daher meine Freiheit und Frechheit lieber bloß mit dem Beispiele der unschuldigen kleinen Wilhelmine, da sie doch auch eine Dame ist, die ich überdem auf das zärtlichste liebe. Darum will ich sie auch gleich ein wenig charakterisieren.

 

Charakteristik der kleinen Wilhelmine