Zur Hochzeit
Ein Lesebuch für den schönsten Tag des Lebens
Herausgegeben von German Neundorfer
Fischer e-books
Originalausgabe
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Coverabbildung: fotolia/Claus Mikosch
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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ISBN 978-3-10-401881-2
Selbst unbedeutende Dinge haben lächerlicherweise genau wie auf uns Männer Einfluß auf die Erziehung der Frauen. So hat zum Beispiel das Mi- nisterium derselben edlen Regierung, die gegen die Ehescheidung ist, der Stadt Laon ein Standbild der Gabrielle d’Estrées überwiesen. Es wird auf einem öffentlichen Platze aufgestellt, augenscheinlich um die jungen Mäd- chen an die Liebschaften der Bourbonen zu erinnern und sie anzuhalten, gelegentlich gegen liebenswürdige Könige nicht grausam zu sein und ihrem erlauchten Hause Nachkommen zu gewähren. Dafür verweigert das näm- liche Ministerium der Stadt Laon die Genehmigung zu einem Denkmal des Marschalls Serurier, eines braven Mannes, der zwar kein galanter Herr war, aber seine Laufbahn als gemeiner Soldat begonnen hat. Vgl. Rede des Ge- nerals Foy im Courrir vom 17. Juni 1820; Dulaure, Histoire de Paris, unter Amours de Henri IV
Für Karin
Vnd Gott der HERR sprach / Es ist nicht gut
das der Mensch allein sey
1. Mose II, 18
Die Frage, ob es besser sei, zu heirathen, oder nicht, läßt sich in sehr vielen Fällen darauf zurückführen, ob Liebessorgen besser sind, als Nahrungssorgen.
Arthur Schopenhauer
Hat versalzen dir die Suppe
Deine Frau, bezähm die Wuth,
Sag ihr lächelnd: »Süße Puppe,
Alles, was du kochst, ist gut.«
Heinrich Heine
Ehe ist nach dem Begriffe des Christenthums die lebenslängliche Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts. Zu gleicher Zeit Zweck und Mittel des Daseins findet sie schon in der Natur des sittlich unverdorbenen Menschen ihre Begründung. Der Trieb der Mittheilung, der Geselligkeit ist ihm angeboren, denn die Freuden des Lebens mag er allein nicht genießen; der schöne, erhabene Beruf der Freundschaft ist, die trüben Tage der Erdenpilgerschaft zu verklären. Jeder Bessere kennt eine solche Freundschaft, in dem Leben eines Jeden, auch des Freudenärmsten, glänzte ein Augenblick, wo er mit dem würdigen Sänger der Urania ausrufen mußte:
Getheilte Freud’ ist doppelt Freude,
Getheilter Schmerz ist halber Schmerz!
Aber ein Höheres gibt es, wonach die heilige Sehnsucht entflammt, die Liebe! In dieser Sehnsucht erst, die ungekannt, unverstanden das Herz durchglüht, in ihr erst schließt eine neue Welt, ein lichteres Ziel, ein geläutertes Dasein dem Menschen sich auf; ein Ideal erblüht in unentweihter Tiefe und Klarheit und an das Eine sein ganzes Leben, die ganze Welt seiner Wonne, seines Schmerzes zu ketten mit einem Bande der süßesten, aber auch der heiligsten und dauerndsten Vereinigung, drängt es ihn allgewaltig. Der Glaube, die reine Naphtaflamme des Gemüths, die dankbare Regung, die eine gnädige Vorsicht tief im Herzen nährt, der Glaube, der Anker aller Hoffnungen und aller Stürme im Ocean des Lebens, der Glaube knüpft jenes Band. Es ist des Lebens wichtigster, entscheidendster Moment, wenn die Gefühle, die Wünsche, die Schwüre zweier Herzen, die sich in Liebe fanden, um vereinigt einer dunkel verhüllten Zukunft entgegen zu gehen, in einem Hauche auf die Lippen treten, und das Wort »Ewig!« mit der unendlichen Schwere seiner Bedeutung für ein ganzes, weites, unbekanntes Dasein, in welches der Laut hinüberhallt, ausgesprochen wird. – Die Liebe, welche einen solchen Bund schließt, muß nothwendig, wenn sie die Zwecke der Erreichung dieses Bundes verbürgen soll, eine vollkommene sein, sie muß sich nicht nur auf einzelne Uebereinstimmung, sondern auf durchgängige wesentliche Gleichheit stützen. Achtung und Vertrauen, Achtung für den Gegenstand der Liebe, Vertrauen auf die Liebe selbst müssen die Grundpfeiler der Neigung sein; eine solche Liebe, die außerdem sich selbst das redliche Geständniß ablegen kann, in sich selbst das höchste Ziel gefunden zu haben, ist die wahre Liebe, dieses Ziel aber eine Gemeinschaft für die Ewigkeit, eine Vereinigung für alle Verhältnisse, alle Schicksale. – Es ist eine der schönsten Perlen in der Strahlenkrone christlicher Wahrheiten die Bestimmung, daß die Ehe der erhabenste, der einzige weibliche Beruf sei und ihren höchsten Zweck in der Verschmelzung der Eigenthümlichkeiten beider Geschlechter zu dem Einklange begründe, den das Band der Ehe vermittelnd und austauschend hervorbringt. – Eine geistreiche Schriftstellerin (K. v.Woltmann) sagt darüber: »Durch den Bund der Ehe gewinnt der Mann Theil an der Zartheit, Nachgiebigkeit, Beweglichkeit des weiblichen Wesens, das Weib Theil an der Kraft des Mannes. Durch ihn erhält die Selbstliebe des männlichen Herzens eine natürliche Ausbreitung, die Liebe des Frauengemüthes natürliche Schranken. Der männliche Geist hellt das weibliche Gefühl auf, den weiblichen Sinn; er wird erwärmt und geläutert durch beide, gewinnt dem Leben neue Seiten ab durch sie. An der Tugend entzündet sich die Tugend, kleine Vorzüge ähnlicher Natur strömen zusammen zu großen Trefflichkeiten, Anlagen bilden, Mängel gleichen sich wechselsweise aus; das Verlangen des gegenseitigen Glücks, der gegenseitigen Vollkommenheit löst sie, welche der einzelne Mensch schroffer als seine Vorzüge zu behaupten pflegt, wie Schnee vor Frühlingssonne auf, sie in fruchtbare Tugenden umzuwandeln!« – Darum ist dieß der höchste Zweck der Ehe, und darum ist der Mann in der Besonnenheit der Kraft, darum die Jungfrau in der Anmuth des Wesens, welches nur ein Ahnen sein und keinen Stempel annehmen soll, außer dem vorbereitenden, naturverwandten, das höchste Ideal, nach dessen Besitze jener und diese streben kann. Die Ehe ist es, die in der Brust des Menschen eine Welt voll nie geahnter Gefühle der Liebe, des Wohlwollens, der Hingebung, der Aufopferung hervorruft; sie ist es, in der das Weib als die bindende Kette der großen Gemeinschaft erscheint, welche die gesammte Menschheit umfängt. Nur als Gattin flicht sie die schönsten, die duftigsten Blüthen in den Lebenskranz des Mannes, nur als Gattin vermag sie sein Wesen zu einer Sonnenhöhe zu erheben, die ihn mit Muth, Zuversicht und Ausdauer stählt; nur so schafft sie ihm ein Doppelleben, dessen zweite Hälfte ihm die theurere, schönere ist, für deren Seligkeit ihm kein Opfer zu hart, kein Kampf zu schwer dünkt. Der Segen des Himmels schirmt und eine herrliche Bürgschaft, das Band, das Kindesliebe festigt, beglückt die Ehe, die aus Liebe und Vertrauen hervorgegangen ist:
Es prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet.
Doch wo es sich gefunden, da wird die Erde ein Tempel, die Natur ein Abglanz, das Leben eine blumige Reise selbst über Klippen und Abgründe hin. Die Liebe, die reine und aufopfernde, des Weibes in der Ehe ist kein Rausch mehr, keine Leidenschaft, sie ist Tugend, Religion:
Feindlich ist des Mannes Streben,
Mit zermalmender Gewalt,
Geht der Wilde durch das Leben,
Aber Zufrieden mit stillerem Ruhme
Brechen die Frauen des Augenblicks Blume,
Und Nähren sie wachsam das ewige Feuer
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.
[Aus: Damen Conversations Lexikon]
Litthauisch
Ich habs gesaget schon meiner Mutter
Schon aufgesaget von Sommers Mitte.
Such, liebe Mutter, dir nur ein Mädchen,
Ein Spinnermädchen, ein Webermädchen.
Ich hab gesponnen, gnug weisses Flächschen,
Hab gnug gewirket das feine Linnchen.
Hab gnug gescheuert die weissen Tischchen,
Hab gnug gefeget die grünen Höfchen.
Hab gnug gehorchet der lieben Mutter,
Muß nun auch horchen der lieben Schwieger.
Hab gnug geharket das Gras der Auen,
Hab gnug getragen den weissen Harken.
O du mein Kränzchen von grüner Raute,
Wirst nicht lang grünen auf meinem Haupte!
Ihr meine Flechtchen von grüner Seide,
Sollt nicht mehr funkeln im Sonnenscheine.
O du mein Härlein, mein gelbes Härlein
Wirst nicht mehr flattern im wehnden Winde.
Besuchen werd ich die liebe Mutter,
Nicht mehr im Kranze, sondern im Häubchen.
O du mein Häubchen, mein feines Häubchen,
Du wirst noch schallen im wehnden Winde.
Und du mein Nähzeug, mein buntes Nähzeug,
Du wirst noch schimmern im Mondenscheine.
Ihr meine Flechtchen von grüner Seide,
Ihr werdet hangen, mir Thränen machen.
Ihr meine Ringchen, ihr goldne Ringchen,
Ihr werdet liegen, im Kasten rosten.
Er lief Oljga suchen. Man sagte ihm bei ihr zu Hause, daß sie fortgegangen war; er eilte ins Dorf – sie war nicht da. Dann erblickte er sie in der Ferne, wie sie gleich einem dem Himmel entgegenschwebenden Engel auf den Berg stieg, so leicht stützte sich ihr Fuß, so anmuthig wiegte sich ihre Gestalt. Er folgte ihr, doch sie berührte kaum das Gras und schien wirklich fortzufliegen. Er rief sie, als er den Berg bis zur Hälfte erklommen hatte. Sie wartete auf ihn, sowie er ihr aber um zwei Klafter näher kam, eilte sie weiter, so daß zwischen ihnen wieder eine große Entfernung entstand, blieb dann stehen und lachte. Endlich erlangte er die Gewißheit, daß sie ihm nicht entkommen würde. Sie lief ihm ein paar Schritte entgegen, reichte ihm die Hand und schleppte ihn lachend zu sich. Sie traten in den Hain; er nahm den Hut ab, sie wischte ihm die Stirn mit einem Tuch ab, und begann ihm mit dem Schirm ins Gesicht zu fächeln.
Oljga war lebhafter, gesprächiger und fröhlicher als sonst, manchmal ließ sie sich durch eine zärtliche Aufwallung hinreißen und vertiefte sich dann plötzlich in ihre Gedanken.
– Rathe, was ich gestern gethan habe? – fragte sie, als sie sich in den Schatten gesetzt hatten.
– Gelesen?
Sie schüttelte den Kopf.
– Geschrieben?
– Nein.
– Gesungen?
– Nein. Karten gelegt! – sagte sie. – Die Wirtschafterin der Gräfin war gestern da; sie kann Karten legen und ich habe sie darum gebeten.
– Nun, und was ist herausgekommen?
– Nichts. Zuerst eine Reise, dann eine Menschenmenge und überall ein blonder Mann, überall … Ich bin roth geworden, als sie mir plötzlich in Katjas Anwesenheit sagte, daß ein König coeur an mich denkt. Als sie erzählen wollte, an wen ich denke, habe ich die Karten durcheinandergeworfen und bin fortgelaufen. Denkst Du an mich? – fragte sie plötzlich.
– Ach! – sagte er, – wenn ich an Dich nur weniger denken könnte!
– Und ich! – sagte sie sinnend, – ich habe schon ganz vergessen, daß man anders leben kann. Als Du vorige Woche geschmollt hast und zwei Tage lang nicht gekommen bist – weißt Du, Du warst böse? – bin ich plötzlich ganz anders geworden, so zornig. Ich habe mich mit Katja herumgezankt, wie Du mit Sachar; ich habe sie heimlich weinen gesehen und sie hat mir gar nicht leid gethan. Ich antwortete ma tante nicht, hörte nicht, was sie sagte, that nichts, wollte nirgends hin. Und so wie Du gekommen bist, bin ich plötzlich ganz anders geworden. Ich habe Katja mein lila Kleid geschenkt …
– Das ist die Liebe! – sprach er pathetisch.
– Was? Das lila Kleid?
– Alles! Ich erkenne mich in Deinen Worten; auch für mich gibt es ohne Dich keinen Tag und kein Leben, ich träume des Nachts immer von blühenden Thälern. Wenn ich Dich sehe, bin ich gut und thätig; wenn nicht, langweile ich mich, bin träge, will mich hinlegen und an nichts denken … Liebe und schäme Dich Deiner Liebe nicht …
Plötzlich schwieg er. »Was sage ich da? Ich bin ja nicht deswegen gekommen!« dachte er, begann sich zu räuspern und furchte die Brauen.
– Und wenn ich plötzlich sterbe? – fragte sie.
– Welch ein Gedanke! – sagte er wegwerfend.
– Ja, – fuhr sie fort, – ich erkälte mich und bekomme Fieber; Du kommst her – ich bin nicht da, Du gehst zu uns – man sagt Dir, ich bin krank, morgen ist wieder dasselbe; meine Fensterläden sind geschlossen; der Doctor schüttelt den Kopf; Katja kommt zu Dir auf den Fußspitzen verweint heraus und flüstert Dir zu: »das Fräulein ist krank, es stirbt …«
– Ach! – rief Oblomow plötzlich aus.
Sie lachte.
– Was wird mit Dir dann sein? – fragte sie, ihm ins Gesicht blickend.
– Was? Ich werde wahnsinnig oder erschieße mich, und Du wirst dann plötzlich wieder gesund!
– Nein, nein, hör’ auf! – sagte sie ängstlich. – Was wir da zusammensprechen! Komm aber nicht zu mir, wenn Du todt bist; ich fürchte mich vor den Todten …
Er lachte, sie auch.
– Mein Gott, was für Kinder wir sind! – sagte sie, sich besinnend.
Er räusperte sich wieder.
– Höre … ich wollte sagen …
– Was? – fragte sie, sich lebhaft zu ihm umwendend.
Er schwieg ängstlich.
– Nun, sprich doch, – fragte sie, ihn leise am Ärmel zupfend.
– Nichts, so … – sagte er erschrocken.
– Nein, Du hast etwas im Sinn!
Er schwieg
– Wenn es etwas Schreckliches ist, dann sprich lieber nicht, sagte sie. – Nein, sag’s doch! – fügte sie plötzlich hinzu.
– Es ist nichts, ein Unsinn.
– Nein, nein, Du hast etwas, sprich! – ließ sie nicht nach, ihn so nahe am Rock haltend, daß er das Gesicht nach links und nach rechts wenden mußte, um sie nicht zu küssen.
Er würde es nicht gethan haben, wenn ihr drohendes »nie« ihm nicht noch immer in den Ohren getönt hätte.
– Sag’ es! … bat sie beharrlich.
– Ich kann nicht, es ist nicht nöthig … – suchte er nach einem Ausweg.
– Wie konntest Du predigen, daß »das Vertrauen die Grundlage des gegenseitigen Glücks ist, daß es im Herzen keine einzige Regung geben darf, die sich den Augen des Freundes nicht offenbart«. Wer hat diese Worte gesagt?
– Ich habe nur sagen wollen, – begann er langsam, – daß ich Dich so liebe, so liebe, daß, wenn …
Er zögerte.
– Nun? – fragte sie ungeduldig.
– Daß, wenn Du jetzt einen andern lieben würdest und er befähigter wäre Dich glücklich zu machen … ich mein Unglück schweigend verwunden und ihm meinen Platz überlassen hätte.
Sie ließ seinen Rock plötzlich los.
– Warum? – fragte sie erstaunt. – Ich verstehe das nicht. Ich würde Dich niemand abtreten; ich will nicht, daß Du mit einer andern glücklich bist. Das ist zu verwickelt, ich verstehe das nicht.
Ihr Blick irrte sinnend über die Bäume hin.
– Das heißt also, daß Du mich nicht liebst? – fragte sie dann.
– Im Gegentheil, ich liebe Dich bis zur Selbstvergessenheit, wenn ich mich aufopfern will.
– Aber wozu? Wer bittet Dich darum?
– Ich sage ja, im Fall wenn Du einen andern lieben würdest.
– Einen andern! Du bist verrückt! Wie so, wenn ich Dich liebe? Wirst denn Du eine andere lieben?
– Warum hörst Du mir zu? Ich spreche Gott weiß was, und Du glaubst daran! Ich wollte ja ganz etwas anderes sagen …
– Was wolltest Du denn sagen?
– Ich wollte sagen, daß ich Dir gegenüber schuldig bin, und schon seit langer Zeit …
– Worin besteht Deine Schuld? Wie so? Du liebst mich nicht? Du hast vielleicht gescherzt? Sprich schnell!
– Nein, nein, das ist es nicht! – sagte er niedergeschlagen. Weißt Du … – begann er unschlüssig, – wir sehen uns … heimlich …
– Heimlich? Warum heimlich? Ich sage meiner Tante fast jedes Mal, daß ich Dich gesehen habe …
– Wirklich, jedesmal? – fragte er unruhig.
– Was ist denn Schlechtes dabei?
– Das ist meine Schuld; ich hätte dir längst sagen sollen, daß man so etwas … nicht thut …
– Du hast es gesagt.
– Ich habe es gesagt? Ja! Ich habe es thatsächlich … angedeutet. Ich habe meine Pflicht also erfüllt.
Er faßte Muth und freute sich, daß Oljga ihm so leicht die Last der Verantwortung abnahm.
– Was noch? – fragte sie.
– Noch … Das ist alles.
– Das ist nicht wahr, – bemerkte Oljga mit Bestimmtheit, – Du hast noch etwas; Du hast mir nicht alles gesagt.
– Ja, ich dachte … begann er, indem er einen nachlässigen Ton anzuschlagen bestrebt war, – daß …
Er schwieg; sie wartete.
– Daß wir seltener zusammenkommen sollten … – Er blickte sie schüchtern an.
Sie schwieg.
– Warum? – fragte sie nach einer Weile.
– An mir nagt eine Schlange: mein Gewissen … Wir bleiben so lange allein; ich bin erregt, mein Herz hört zu schlagen auf; Du bist auch unruhig … ich fürchte mich … – sprach er mit Mühe zu Ende.
– Wovor?
– Du bist jung, Oljga, und kennst alle Gefahren nicht. Manchmal hat der Mensch keine Macht über sich; dann beherrscht ihn etwas Höllisches, Finsternis senkt sich auf seine Seele herab und aus seinen Augen schießen Blitze. Die Klarheit des Geistes trübt sich; die Achtung der Reinheit und Unschuld gegenüber wird von einem Wirbelwind fortgeweht; der Mensch verliert die Besinnung, ihn sengt die Leidenschaft; er hört auf über sich zu verfügen – und dann eröffnet sich vor ihm ein Abgrund …
Er fuhr sogar zusammen.
– Was folgt daraus? Er soll sich nur eröffnen! – sagte sie ihn groß anblickend.
Er schwieg; entweder hatte er nichts mehr zu sagen oder er hielt es für überflüssig.
Sie blickte ihn lange an, als wollte sie in seinen Stirnfalten wie in geschriebenen Zeilen lesen, und dachte dabei an jedes Wort und jeden Blick von ihm; sie ließ die ganze Geschichte ihrer Liebe im Geiste an sich vorübergleiten, gelangte bis zum dunklen Abend im Garten und erröthete plötzlich.
– Du sprichst Unsinn! – bemerkte sie schnell, indem sie seitwärts blickte, – ich habe in Deinen Augen nie Blitze gesehen … Du schaust mich meistens so wie … meine Kindsfrau Rusminischna an! – fügte sie lachend hinzu.
– Du scherzst, Oljga, ich spreche aber ernsthaft … und habe noch nicht alles gesagt.
– Was willst Du noch sagen? – fragte sie, – in was für einen Abgrund schaust Du herab?
Er seufzte.
– Daß wir uns nicht … allein … sehen dürfen …
– Warum?
– Es ist nicht gut …
Sie sann nach.
– Ja, man sagt, daß es nicht gut ist, – sagte sie nachdenklich, aber weshalb?
– Was wird man sagen, wenn man es erfährt, wenn sich das verbreitet …
– Wer wird denn etwas sagen? Ich habe keine Mutter; nur sie könnte mich fragen, warum ich mit Dir zusammenkomme und nur ihr gegenüber würde ich statt einer Antwort aufweinen und sagen, daß weder ich noch Du etwas Böses thun. Sie würde mir glauben. Wer denn sonst? – fragte sie.
– Die Tante, – sagte Oblomow.
– Die Tante?
Oljga schüttelte traurig und verneinend den Kopf.
– Sie frägt mich nie. Wenn ich für immer fortgienge, würde sie mich auch nicht suchen und ausfragen und ich würde ihr nicht mehr sagen kommen, wo ich war und was ich gethan habe. Wer denn noch?
– Die andern alle … Neulich hat Sonitschka Dich und mich lächelnd angeblickt und auch all die Herren und Damen, die mit ihr waren.
Er erzählte ihr, in welcher Unruhe er sich seitdem befand.
– So lange sie nur mich anblickte, – fügte er hinzu, – hat’s mir nichts gemacht, als aber derselbe Blick auf Dich gerichtet wurde, erstarrten mir die Hände und die Füße …
– Nun? … – fragte sie kalt.
– Seitdem quäle ich mich bei Tag und bei Nacht ab und zerbreche mir den Kopf, wie der Klatsch zu verhindern wäre; ich habe mich bestrebt, Dich nicht zu erschrecken … Ich wollte schon lange mit Dir sprechen …
– Deine Sorge war überflüssig! – entgegnete sie, – ich habe es auch ohne Dich gewußt …
– Wieso hast Du es gewußt? Fragte er erstaunt.
– So. Sonitschka hat mit mir gesprochen, mich ausgeforscht, gestichelt und sogar belehrt, wie ich mich mit Dir benehmen soll …
– Und Du hast mir kein Wort gesagt, Oljga! – warf er ihr vor.
– Du hast mir bisher auch nichts von Deinen Sorgen gesagt!
– Was hast du ihr denn geantwortet?
– Nichts! Was sollte ich ihr darauf antworten? Ich bin nur erröthet.
– Mein Gott! Wie weit ist es gekommen; Du erröthest! Wie unvorsichtig wir sind! Was wird daraus werden?
Er sah sie fragend an.
– Ich weiß nicht, – sagte sie kurz. Oblomow hatte gehofft, nachdem er Oljga seine Gedanken mitgetheilt hatte, in ihren Augen und Worten Willenskraft zu schöpfen, und als er keine lebendige, entschlossene Antwort fand, sank ihm der Muth. Sein Gesicht nahm einen schwankenden Ausdruck an und der Blick irrte traurig herum. In seinem Innern stieg ein leichtes Fieber auf. Er hatte Oljga fast ganz vergessen, vor ihm drängten sich die Gäste und Sonitschka mit ihrem Mann; er hörte ihre Gespräche und ihr Lachen. Oljga schwieg, statt schlagfertig wie sonst zu sein, blickte ihn kalt an und sprach noch kälter ihr »ich weiß nicht«. Er gab sich nicht die Mühe, oder verstand es nicht, in den geheimen Sinn dieser Worte einzudringen.
– Und er schwieg; sein Gedanke oder sein Vorsatz konnte ohne fremde Hilfe nicht reifen und wie ein Apfel von selbst herabfallen; man mußte ihn pflücken.
Oljga blickte ihn ein paar Minuten lang an, zog dann die Mantille an, nahm vom Zweig ihren Shawl herunter, band ihn langsam um und ergriff den Schirm.
– Wohin? So früh! – fragte er plötzlich zur Besinnung kommend.
– Nein, es ist spät. Du hast recht, – sagte sie sinnend und traurig, – wir sind zu weit gegangen und finden jetzt keinen Ausweg mehr; wir müssen uns schnell trennen und die Spuren der Vergangenheit fortfegen. Leb wohl! – fügte sie trocken und bitter hinzu und wollte mit gesenktem Kopf umkehren.
– Oljga, ich bitte Dich, um Gotteswillen! Wie sollten wir nicht mehr zusammenkommen! Aber Ich … Oljga!
Sie hörte nicht zu und gieng schneller; der Sand knisterte unter ihren Schuhen.
– Oljga Sjergejewna! – rief er.
Sie hörte nicht und gieng weiter.
– Um Gotteswillen! kehre um! – schrie er mit thränenvoller Stimme, – man muß ja auch einen Verbrecher ausreden lassen … Mein Gott! Hat sie denn ein Herz? … So sind die Frauen!
Er setzte sich und bedeckte sich die Augen mit beiden Händen.
Es waren keine Schritte mehr zu hören.
»Sie ist fort!« rief er fast entsetzt aus und hob den Kopf.
Oljga stand vor ihm.
Er ergriff freudig ihre Hand.
– Du bist nicht fortgegangen, Du gehst nicht? … – sprach er. Geh’ nicht; denke daran, daß ich ein todter Mensch bin, wenn Du fortgehst!
– Und wenn ich nicht fortgehe, bin ich eine Verbrecherin, denke daran, Ilja!
– Ach nein …
– Wieso nicht? Wenn Sonitschka und ihr Mann uns noch einmal zusammen sehen, bin ich verloren …
Er fuhr zusammen.
– Höre, – begann er eilig und stotternd, – ich habe noch nicht alles gesagt! …
Er schwieg.
Das, was ihm zu Hause so einfach, natürlich und nothwendig erschienen war, was ihm so hold und das Glück selbst zu sein schien, wurde für ihn plötzlich zu einem Abgrund. Ihm gieng der Athem aus, als er darüber hinschreiten wollte. Ihm stand ein entscheidender, kühner Schritt bevor.
– Jemand kommt! – sagte Oljga.
Man hörte auf dem Seitenweg Schritte.
– Vielleicht ist das Sonitschka? – fragte Oblomow mit vor Entsetzen starren Augen.
Es giengen zwei unbekannte Herren und eine Dame vorüber. Oblomow fiel ein Stein vom Herzen.
– Oljga, – begann er eilig und ergriff ihre Hand, – gehen wir von hier weg, dort ist niemand. Setzen wir uns hin.
Er setzte sie auf die Bank hin und ließ sich auf das Gras neben ihr nieder.
– Du bist aufgefahren, bist fortgegangen und ich hab’ Dir noch nicht alles gesagt! – sprach er.
– Ich werde wieder fortgehen und nicht mehr zurückkommen, wenn Du mit mir spielen wirst. Dir gefielen früher einmal meine Thränen, jetzt willst Du mich vielleicht zu Deinen Füßen sehen und mich nach und nach zur Sclavin machen, Grillen fangen, Moral predigen, dann weinen, sich fürchten und fragen, was wir thun sollen? Vergessen Sie nicht, Ilja Iljitsch, – fügte sie plötzlich stolz hinzu, indem sie sich von der Bank erhob, – daß ich, seitdem ich Sie kenne, um vieles gereift bin und weiß, wie das Spiel, das Sie mit mir treiben, heißt … meine Thränen werden Sie aber nicht mehr sehen.
– Ach, bei Gott, ich spiele nicht! – sagte er überzeugend.
– Umso schlimmer für Sie, – bemerkte sie trocken. – Auf alle Ihre Befürchtungen, Warnungen und Räthsel antworte ich Ihnen nur das eine: ich habe Sie bis zur heutigen Begegnung geliebt und habe nicht gewußt, was ich zu thun habe; jetzt weiß ich es, – schloß sie energisch und machte Anstalten fortzugehen, – ich werde Sie nicht mehr zurathe ziehen.
– Auch ich weiß es, – sagte er, sie bei der Hand zurückhaltend und zur Bank führend, dann schwieg er eine Weile, um Muth zu fassen.
– Stelle Dir vor, – begann er, – mein Herz ist von dem einen Wunsch und mein Kopf von dem einen Gedanken erfüllt, doch der Wille und die Zunge gehorchen mir nicht … ich will sprechen, und die Worte wollen mir nicht von den Lippen. Und das ist ja so einfach, so … Hilf mir, Oljga.
– Ich weiß nicht, was Sie im Sinn haben …
– Um alles in der Welt, laß dieses »Sie«; Dein stolzer Blick tödtet mich, jedes Wort macht mich wie vor Frost erstarren …
Sie lachte.
– Du bist verrückt! – sagte sie, ihm die Hand auf den Kopf legend.
– So ist’s recht; jetzt habe ich wieder die Gabe zu sprechen und zu denken! Oljga, – sagte er, vor ihr niederkniend, – sei mein Weib!
Sie schwieg und wandte sich von ihm ab.
– Oljga, gib mir die Hand! – sprach er weiter.
Sie gab sie ihm nicht. Er nahm sie selbst und preßte sie an die Lippen. Sie ließ ihn gewähren. Die Hand war warm, weich und etwas feucht. Er bemühte sich ihr ins Gesicht zu sehen, doch sie wandte sich immer mehr ab.
– Du schweigst? – sagte er, unruhig und fragend, indem er ihr die Hand küßte.
– Das ist ein Zeichen der Zustimmung! – sagte sie leise, blickte ihn aber noch immer nicht an.
– Was fühlst Du jetzt? Woran denkst Du? – fragte er, sich an seinen Traum von der verschämten Antwort und von den Thränen erinnernd.
– Dasselbe wie Du, – antwortete sie und blickte noch immer irgendwohin in den Wald; nur das Heben und Senken der Brust deutete darauf hin, daß sie sich beherrschte.
»Hat sie wohl Thränen in den Augen?« dachte Oblomow, doch sie blickte beharrlich nach unten.
– Du bist gleichgiltig und ruhig? – fragt er und bemühte sich ihre Hand an sich zu ziehen.
– Nicht gleichgiltig, aber ruhig.
– Warum denn?
– Weil ich das lange vorausgesehen und mich an den Gedanken gewöhnt habe.
– Lange? – wiederholte er erstaunt.
– Ja, von dem Augenblick an, als ich Dir den Fliederzweig gereicht habe … nannte ich Dich im Geiste …
Sie sprach nicht zu Ende.
– Von jenem Augenblick an?
Er öffnete weit seine Arme und wollte sie umfassen.
– Der Abgrund öffnet sich, die Blitze flammen … vorsichtig! – sagte sie schelmisch, seiner Umarmung geschickt ausweichend und seine Hände mit dem Schirm fortstoßend.
Er dachte an das strenge »nie« und wurde ruhig.
– Du hast aber niemals davon gesprochen und hast es durch nichts angedeutet … – sagte er.
– Wir heiraten nicht selbst, man verheiratet oder nimmt uns.
– Von jenem Augenblick an … ist es möglich? – wiederholte er sinnend.
– Glaubst du, daß, wenn ich Dich nicht verstanden hätte, ich hier mit Dir allein wäre, des Abends mit Dir in der Laube sitzen, Dir zuhören und Dir vertrauen würde? – sagte sie stolz.
– Das ist also … – begann er, den Gesichtsausdruck wechselnd und ihre Hand loslassend.
In ihm regte sich ein seltsamer Gedanke. Sie blickte ihn mit ruhigem Stolz an und wartete voll Sicherheit; und er hatte sich für diesen Augenblick nicht Stolz und Sicherheit, sondern Thränen, Leidenschaft und berauschendes Glück gewünscht, wenigstens für den einen Augenblick, auf den dann ein Leben voll ungestörter Ruhe folgen konnte! Es gab aber keine plötzlichen Thränen vor unerwartetem Glück, keine verschämte Zustimmung.
Wie sollte er das auffassen? In seinem Herzen erwachte und regte sich der Wurm des Zweifels … Liebte sie oder wollte sie nur heiraten?
– Es gibt aber einen andern Weg, der zum Glück führt – sagte er.
– Was für einen? – fragte sie.
– Manchmal wartet die Liebe nicht, geduldet sich nicht und berechnet nicht … Das Weib ist dann voll Feuer und Beben und empfindet zugleich Qualen und solche Freuden, welche …
– Ich kenne diesen Weg nicht.
– Das ist ein Weg, auf dem die Frau alles opfert: die Ruhe, die Achtung, die sie genießt, sie findet in der Liebe ihren Lohn … diese ersetzt ihr alles.
– Brauchen wir denn diesen Weg?
– Nein.
– Willst Du auf diesem Weg Dein Glück suchen, auf die Gefahr hin, daß ich meine Ruhe und Achtung verliere?
– O nein, nein! Ich schwöre bei Gott, um nichts auf der Welt! – rief er leidenschaftlich aus.
– Warum sprichst Du dann davon?
– Das weiß ich wirklich selbst nicht …
– Ich weiß es aber: Du wolltest wissen, ob ich Dir meine Ruhe hinopfern und ob ich mit Dir diesen Weg gehen würde? nicht wahr?
– Ich glaube, Du hast es errathen … nun also?
– Niemals, für nichts in der Welt, – sagte sie entschlossen.
Er sann nach und seufzte dann.
– Ja, das ist ein schrecklicher Weg, und eine Frau braucht viel Liebe, um darauf dem Mann zu folgen, sie muß auch während sie zugrunde geht lieben.
Er blickte ihr fragend ins Gesicht; sie erwiderte nichts; nur die Falte über der Braue bewegte sich, der Ausdruck blieb aber ruhig.
– Stell Dir vor, – sagte er, – daß Sonitschka, die Deinen kleinen Finger nicht wert ist, Dich bei der Begegnung plötzlich nicht wiedererkennen würde!
Oljga lächelte und ihr Blick blieb ebenso hell. Oblomow ließ sich von der Stimme seiner Eitelkeit hinreißen, die Oljgas Herzen Opfer abfordern und sich daran berauschen wollte.
– Stelle Dir vor, daß die Männer sich Dir nicht mit ehrfurchtsvoll gesenkten Augen nähern, sondern Dich mit einem dreisten, spöttischen Lächeln anblicken würden …
Er sah sie an; sie schob mit dem Schirm fleißig ein Steinchen über den Sand hin.
– Bei Deinem Eintreten in den Salon würden sich ein paar Hauben entrüstet bewegen, irgend eine davon würde von Dir fortrücken … Dein Stolz wäre aber nicht geringer als jetzt und Du würdest deutlich erkennen, daß Du besser als sie bist und über ihnen stehst …
– Wozu sprichst Du mir von diesem Schrecken? – sagte sie ruhig. – Ich werde diesen Weg nie betreten.
– Nie? – fragte Oblomow traurig.
– Nie! Wiederholte sie.
– Ja, – sagte er sinnend, – Deine Kraft würde nicht ausreichen, um der Schande in die Augen zu blicken. Du würdest vielleicht den Tod nicht fürchten; nicht die Hinrichtung ist schrecklich, sonder die Vorbereitungen, die beständigen Foltern sind es; Du würdest es nicht ertragen und hinwelken – ja?
Er blickte ihr immer in die Augen, um zu sehen, wie sie sich dazu verhielt.
Sie schaute lustig drein; das Bild des Schreckens hatte sie nicht verwirrt; ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
– Ich will weder hinwelken, noch sterben! Das ist nicht die Hauptsache, – sagte sie, – man kann ohne jenen Weg zu wählen noch inbrünstiger lieben …
– Warum würdest Du denn jenen Weg nicht wählen? – fragte er beharrlich und fast ärgerlich, – wenn Du Dich nicht fürchtest?
– Weil man sich darauf … in der Folge stets … trennt, – sagte sie, – und ich … sollte Dich verlassen? … Sie schwieg, legte ihm die Hand auf die Schulter, blickte ihn lange an, warf dann plötzlich den Schirm fort, umfaßte seinen Hals rasch und leidenschaftlich mit den Armen, küßte ihn, wurde dann blutroth, schmiegte das Gesicht an seine Brust und fügte leise hinzu:
– Nie!
Er stieß einen Freudenschrei aus und fiel aufs Gras zu ihren Füßen hin.
Da dencke man nur / was die Liebe vor ein zartes, weiches und gebrechliches Ding sey! stracks ist ein Loch hinein gestossen oder geschnitten, und nimmt mich Wunder, weil gleichwohl die Bräute sonst viel auf Scheeren halten, (denn sie haben vor der Hochzeit viel zu nehen,) dennoch solch Unheil von denen Scheeren entstehen solle; und kan ich mir nicht einbilden, wie es zugehe, daß mit dem von dem Bräutigam gekaufften Messer oder Scheere stracks die Liebe soll zerschnitten werden? Denn weil doch die Braut ohne diß zum Essen ein Messer, und zum Nehen eine Scheere braucht, warum zerschneidet denn ihr eigen Messer und Scheere die Liebe nicht auch? da doch die Scheeren und Messer, die ein Bräutigam der Braut zu kauffen pfleget, gemeiniglich gar klein sind? Antwort: Eben darum, weil die Braut mehr vom Scheeren als kleinen Messergen hält, und lieber sähe, der Bräutigam versorgete sie mit einem rechten Schnitzer, (den sie in der Küche gebrauchen kan) als daß er ihr ein klein Messergen kaufft. Darüber wird freylich manche Jungfer Braut ungedultig, und sticht stracks mit solchen kleinen Messergen ein Loch in die Liebe, daß hernach der arme Bräutigam gnug wieder daran zu flicken hat. Dieses ist also meine Meynung über diesen Glaubens-Grund; wenn ein anderer eine bessere anzugeben weiß, so will ichs gern mit anhören.
Noch an demselben Tage hatte sich Baron Innstetten mit Effi Briest verlobt. Der joviale Brautvater, der sich nicht leicht in seiner Feierlichkeitsrolle zurechtfand, hatte bei dem Verlobungsmahl, das folgte, das junge Paar leben lassen, was auf Frau von Briest, die dabei der nun um kaum achtzehn Jahre zurückliegenden Zeit gedenken mochte, nicht ohne herzbeweglichen Eindruck geblieben war. Aber nicht auf lange; sie hatte es nicht sein können, nun war es statt ihrer die Tochter – alles in allem ebensogut oder vielleicht noch besser. Denn mit Briest ließ sich leben, trotzdem er ein wenig prosaisch war und dann und wann einen kleinen frivolen Zug hatte. Gegen Ende der Tafel, das Eis wurde schon herumgereicht, nahm der alte Ritterschaftsrat noch einmal das Wort, um in einer zweiten Ansprache das allgemeine Familien-Du zu proponieren. Er umarmte dabei Innstetten und gab ihm einen Kuß auf die linke Backe. Hiermit war aber die Sache für ihn noch nicht abgeschlossen, vielmehr fuhr er fort, außer dem »Du« zugleich intimere Namen und Titel für den Hausverkehr zu empfehlen, eine Art Gemütlichkeitsrangliste aufzustellen, natürlich unter Wahrung berechtigter, weil wohlerworbener Eigentümlichkeiten. Für seine Frau, so hieß es, würde der Fortbestand von »Mama« (denn es gäbe auch junge Mamas) wohl das beste sein, während er für seine Person, unter Verzicht auf den Ehrentitel »Papa«, das einfache Briest entschieden bevorzugen müsse, schon weil es so hübsch kurz sei. Und was nun die Kinder angehe – bei welchem Wort er sich, Aug in Auge mit dem nur etwa um ein Dutzend Jahre jüngeren Innstetten, einen Ruck geben mußte –, nun, so sei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht irre, habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschossenen Stamm, und Effi sei dann also der Efeu, der sich darum zu ranken habe. Das Brautpaar sah sich bei diesen Worten etwas verlegen an, Effi zugleich mit einem Ausdruck kindlicher Heiterkeit, Frau von Briest aber sagte: »Briest, sprich, was du willst, und formuliere deine Toaste nach Gefallen, nur poetische Bilder, wenn ich dich bitten darf, laß beiseite, das liegt jenseits deiner Sphäre.« Zurechtweisende Worte, die bei Briest mehr Zustimmung als Ablehnung gefunden hatten. »Es ist möglich, daß du recht hast, Luise.«
Gleich nach Aufhebung der Tafel beurlaubte sich Effi, um einen Besuch drüben bei Pastors zu machen. Unterwegs sagte sie sich: »Ich glaube, Hulda wird sich ärgern. Nun bin ich ihr doch zuvorgekommen – sie war immer zu eitel und eingebildet.« Aber Effi traf es mit ihrer Erwartung nicht ganz; Hulda, durchaus Haltung bewahrend, benahm sich sehr gut und überließ die Bezeugung von Unmut und Ärger ihrer Mutter, der Frau Pastorin, die denn auch sehr sonderbare Bemerkungen machte. »Ja, ja, so geht es. Natürlich. Wenn’s die Mutter nicht sein konnte, muß es die Tochter sein. Das kennt man. Alte Familien halten immer zusammen, und wo was is, kommt was dazu.« Der alte Niemeyer kam in arge Verlegenheit über diese fortgesetzten spitzen Redensarten ohne Bildung und Anstand und beklagte mal wieder, eine Wirtschafterin geheiratet zu haben.
Von Pastors ging Effi natürlich auch zu Kantor Jahnkes; die Zwillinge hatten schon nach ihr ausgeschaut und empfingen sie im Vorgarten.
»Nun, Effi«, sagte Hertha, während alle drei zwischen den rechts und links blühenden Studentenblumen auf und ab schritten, »nun, Effi, wie ist dir eigentlich?«
»Wie mir ist? Oh, ganz gut. Wir nennen uns auch schon du und bei Vornamen. Er heißt nämlich Geert, was ich euch, wie mir einfällt, auch schon gesagt habe.«
»Ja, das hast du. Mir ist aber doch so bange dabei. Ist es denn auch der Richtige?«
»Gewiß ist es der Richtige. Das verstehst du nicht, Hertha. Jeder ist der Richtige. Natürlich muß er von Adel sein und eine Stellung haben und gut aussehen.«
»Gott, Effi, wie du nur sprichst. Sonst sprachst du doch ganz anders.«
»Ja, sonst.«
»Und bist auch schon ganz glücklich?«