Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Letzter Ausweg: Mord
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 8
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Letzter Ausweg: Mord

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

»Hier spricht Dave Daffer! Sie haben bestimmt schon von mir gehört. Mit wem spreche ich bitte?«

Natürlich war mir sein Name geläufig. Dave Daffers Aktionen vor den Kameras in Hollywood hatten ihm zwei Oscars, eine geschiedene und eine bereits wieder brüchige Ehe sowie einen Zehnjahresvertrag mit seiner Filmgesellschaft eingebracht.

»Cotton«, sagte ich kurz. »Was kann das FBI für Sie tun, Mister Daffer?«

»Ich werde bedroht. Ich wohne im Gladstone House, Central Park South. Man hat gedroht, mich zu ermorden, wenn ich nicht zahle. Ich habe nicht gezahlt, und jetzt sitzen zwei von denen unten in der Hotelhalle!«

»Wir kommen sofort!«, versprach ich. »Kennen Sie die beiden? Wie sehen sie aus?«

»Sie standen schon vor drei Stunden auf der anderen Straßenseite. Ich konnte sie von meinem Fenster aus beobachten. Jetzt sind sie ins Hotel gegangen. Der Portier hat mich vorhin angerufen, zwei Herren wollten mich sprechen.«

Im Hintergrund hörte ich etwas läuten, wahrscheinlich das Zimmertelefon.

»Versperren Sie Ihre Tür, Daffer! Wir sind in zehn Minuten da!«

***

Als ich den Wagen vor dem Gladstone House stoppte, sah Phil auf seine Uhr.

»Acht Minuten«, verkündete er und riss die Tür auf. Ich steuerte direkt auf die Rezeption zu.

»Sieh dich inzwischen in der Halle um!«, sagte ich halblaut zu Phil. Dem Empfangschef legte ich meine FBI-Marke auf den Tresen.

»Welches Zimmer bewohnt Mister Daffer?«

»318, 3. Stock. Ich möchte aber …«

»Sparen Sie sich die Bitte um Diskretion!«, unterbrach ich ihn. »Rufen Sie an und bestellen Sie, ich käme sofort hinauf!«

Er drehte sich um, wählte die Nummer und presste den Hörer ans Ohr.

»Mister Daffer meldet sich nicht.«

»Rufen Sie sofort das Revier an, und lassen Sie das Hotel sperren!«

Ich rannte auf den Fahrstuhl zu. Phil baute sich am Eingang auf. Mit mir fuhr noch ein Mann nach oben, der ebenfalls im 3. Stock ausstieg. Ich flitzte den Gang entlang und stoppte vor 318. Der Mann aus dem Fahrstuhl kam hinter mir her. Ich wollte ihn noch vorbeilassen, aber er blieb hinter mir stehen.

»Sie verschwinden besser«, sagte ich leise. »Hier könnte es gleich gefährlich werden!«

Meine FBI-Marke beeindruckte ihn nicht im Mindesten. Im Gegenteil, er grinste über das ganze Gesicht. »Ich bin Reporter und will ein Interview mit unserem Star. Ich habe ja genau den richtigen Riecher gehabt!«

Widerwillig zog er sich dann ein paar Schritte zurück. Ich konnte nicht länger warten.

Den Revolver in der Hand, riss ich die Tür auf und sprang ins Zimmer. Es war anscheinend leer. Langsam ging ich weiter, marschierte um die Rückenlehnen der großen Sessel herum und hob die Tischdecke hoch.

Draußen auf dem Gang stand der Reporter, sah zur Tür herein und lachte. »Schade, dass ich keine Kamera dabei habe«, sagte er.

Ich warf die Tür zu. Vielleicht hielt sich Daffer im Bad auf. Ich rief seinen Namen, bekam aber keine Antwort. Das Badezimmer war leer. Der Kleiderschrank war voll gestopft mit Anzügen und Wäsche. Daffer konnte sich unmöglich in seinem Apartment befinden.

Vom Wohnzimmer aus rief ich die Hotelhalle an. »Rufen Sie Agent Decker an den Apparat!«, sagte ich dem Empfangschef.

»Was ist los, Jerry?«, fragte mein Freund.

»Daffer ist nicht in seinem Apartment. Sind die Cops schon da?«

»Eben trudeln sie ein. Von den beiden Gangstern habe ich nichts bemerkt.«

»Dann komm rauf, Phil!«

Phil kam herauf und brachte den Manager mit. Als der den Reporter sah, griff er nach seinem Taschentuch und wischte sich die Stirn. »Auch das noch!«

»Agent Cotton, wir sind ruiniert«, jammerte der Manager. »Ein solches Polizeiaufgebot in meinem Haus! Die Gesellschaft, der das Gladstone House gehört, wird mich feuern!«

»Wir können nichts dafür, dass Ihre Gäste bedroht werden«, knurrte ich, »Wir sollten lieber feststellen, wo Dave Daffer geblieben ist, statt um den Ruf Ihres Hauses zu bangen.«

Er schwieg betreten.

Ich wandte mich an den Etagenkellner. »Wann haben Sie den Schauspieler zuletzt gesehen?«

»Kurz bevor Sie kamen, Agent Cotton. Er ging auf dem Gang auf und ab, als erwarte er jemand. Ich ging dann in die Teeküche und kam erst wieder heraus, als Sie aus dem Fahrstuhl stiegen.«

»Er muss noch auf diesem Stockwerk sein«, vermutete ich. »Vielleicht hat er sich verkrochen und traut sich nicht mehr aus seinem Versteck!«

»Er kann aber auch die Haupt- oder Feuertreppe hinunter sein«, warf Phil ein.

»Kümmere dich um die Ausgänge im Erdgeschoss, Phil! Ich werde einstweilen das Stockwerk durchsuchen.«

Zusammen mit dem Manager klopfte ich an den Türen der einzelnen Apartments. Niemand protestierte. Die Leute standen stumm herum und warteten auf das Ende der Durchsuchung.

Wir gelangten ans Ende des Gangs. Dort gab es eine Tür, die schmaler war als die übrigen.

»Eine Besenkammer«, erklärte der Manager. Die Tür hatte keine Klinke, sondern einen blank polierten Messingknopf. Ich drückte dagegen und suchte hinter dem Türrahmen nach dem Lichtschalter. Eine matte Glühbirne flammte auf.

Ich hatte Dave Daffer gefunden.

Hinter mir hörte ich den Manager röcheln. »Nein!«, presste er mühsam heraus. »Das darf doch nicht wahr sein!«

Daffer lag auf dem Fußboden der engen Kammer zwischen Besen, Bohnermaschinen, Papptonnen und Putzmitteln. Der Kopf war halb abgetrennt. Auf dem Fußboden hatte sich eine große Blutlache gebildet.

»Rufen Sie aus der Halle ein paar Cops herauf!«, befahl ich dem Manager.

Gleichzeitig mit den Polizisten kam Phil. Ich stellte zwei Uniformierte vor die Tür und schärfte ihnen ein, niemand in die Nähe zu lassen. Zwei andere postierte ich vor Apartment 318, das der Ermordete bewohnt hatte. Von dort aus rief ich die Mordkommission der City Police an.

In der Halle stauten sich die Menschen, die das Hotel verlassen wollten, und von einer Reihe Cops zurückgehalten wurden.

Die Mordkommission erschien unter der Leitung von Lieutenant Dieckerson. Der Manager stellte uns ein Office zur Verfügung. Ich instruierte Dieckerson, bevor ich ihm alles Gute wünschte und mich mit Phil verabschiedete.

***

Es war am Nachmittag, als das Telefon schrillte. Ich nahm den Hörer ans Ohr.

»Ich werde erpresst«, sagte eine dunkle Stimme.

»Wer sind Sie?«

»Mike Mallory, der Senator …«

»Wo wohnen Sie?«

»Ich bin im Barbizon Garden abgestiegen.«

Diesmal dauerte es ein bisschen länger. Auch im Barbizon Garden empfingen uns die gleichen verdutzten Gesichter wie im Gladstone House. Ich stürzte auf die Rezeption zu. Diesmal stellte sich mir eine ältere Dame in den Weg, die ihrem Unwillen über die Unerzogenheit der jüngeren Generation Luft machte.

»Schnell«, sagte ich zu dem Mann im schwarzen Frack und hielt mir die wütende Lady mit dem linken Arm auf Distanz. »Welches Zimmer hat Senator Mallory?«

Meine Jacke war nicht zugeknöpft. Er konnte den Querriemen des Schulterhalfter sehen, vielleicht auch meinen 38er, Seine Wangen färbten sich grau.

»Hier ist mein Ausweis«, fauchte ich. »FBI! Welches Zimmer?«

»Hundertsechzehn«, stotterte er. Er fuchtelte noch mit den Armen, als ich in den Lift sprang. Phil rannte die Treppe hinauf. Ich erwischte den Liftboy, als er mir unter der Achsel durchwischen wollte. Seine Augen waren schreckhaft geweitet. Ich zog ihn in die Kabine.

»Nicht schießen!«, bettelte er, und an der hellen Stimme erkannte ich, dass es sich um ein Girl handelte. Sie hatte meinen Revolver gesehen.

»Keine Angst, FBI!«

Ich drückte auf den Knopf für den ersten Stock. Der Aufzug bremste wenige Augenblicke später.

»Fahren Sie sofort wieder hinunter, und blockieren Sie den Aufzug!«, sagte ich zu dem Girl. Dann stand ich im Gang. Nummer 116 lag schräg dem Aufzug gegenüber. Ich riss die Tür auf.

Der erstaunte Blick eines etwa 50-jährigen Mannes traf mich.

»Senator Mallory?«, fragte ich.

»Allerdings. Was wünschen Sie?«

»Ich bin Jerry Cotton vom FBI. Sie haben mich vorhin angerufen. Vor zwei Stunden rief mich ein Mann an, der ebenfalls erpresst wurde. Er ist jetzt tot.«

»Ich verstehe«, sagte Mallory zu einem jungen Mann hinter einem Schreibtisch. »Würden Sie uns einen Augenblick allein lassen, Bink? Mister Bink ist mein Sekretär«, erklärte der Senator. »Er weiß in meinen Angelegenheiten fast besser Bescheid als ich und ist auch mein Vertrauter. Aber was ich Ihnen jetzt zu eröffnen habe, ist eine Privatsache, die nicht einmal er zu wissen braucht. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?«

»Ich bin FBI-Beamter, Senator!«

»Entschuldigen Sie, Agent Cotton. Vielleicht überrascht es Sie, dass ein Senator der Vereinigten Staaten … Nun, ich bin mit einer Dame befreundet, Agent Cotton, einer Dame, die verheiratet ist. Annabelle … Also die Dame und ich haben immer geglaubt, es sei unser Geheimnis. Irgendjemand scheint trotzdem dahinter gekommen zu sein …«

»Der Ehemann?«, fragte ich kühl.

»Nein, bestimmt nicht. Mit dem ließe sich vielleicht ein Arrangement treffen. Dem Ehemann der Dame bin ich sehr nützlich gewesen, und ich glaube nicht, dass er es sich leisten könnte, meine politische Karriere anzusägen. Es muss sich um einen Erpresser handeln. Er verlangt Geld, viel Geld.«

Ich war nicht gerade erbaut von dieser Geschichte.

»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich mir eine Freundin nicht aus den Slums hole. Den Ehemann können wir als möglichen Erpresser ausschalten. Er hat ein wesentlich dickeres Bankkonto als ich.«

»Sind Sie auch verheiratet?«

»Ich bin es, aber das hat nichts damit zu tun. Man hat mich angerufen, und ich habe fünftausend Dollar bezahlt. Vorige Woche kam die nächste Forderung. Ich war mir darüber klar, dass das nie aufhören würde. Ich wollte nur Zeit gewinnen. Eine bekannte Detektivagentur hat den Fall übernommen, aber die Leute können mir keine Ergebnisse bringen.«

»Wer könnte dahinter gekommen sein?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat jemand unsere Telefongespräche abgehört.«

Er gab mir einen Zettel. »Das hat Bink am Telefon mitstenografiert. Ich werde es Ihnen vorlesen: Morgen werden Sie tot sein

»An wen haben Sie die ersten fünftausend Dollar gezahlt?«

»Ich habe sie in einen Umschlag gesteckt und in einen bestimmten Papierkorb geworfen. So lautete die Anweisung. Als die Kerle das zweite Mal anriefen, habe ich abgelehnt. Heute Vormittag riefen sie wieder an. Unglücklicherweise war mein Sekretär am Apparat.«

»Wie heißt die Dame?«

»Annabelle Flinders.«

»Sagen Sie ihr, ich hätte gern eine Unterredung! Vorausgesetzt, mein Chef ist einverstanden, dass ich mich um die Sache kümmere.« Ich stand auf und ging ans Fenster. Hinter mir drehte der Senator an der Wählscheibe.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen zwei Männer. Der eine lehnte an einem Laternenpfahl und las in einer Zeitung. Der Zweite las nicht. Er beobachtete angestrengt die Straße, obwohl er so tat, als blicke er dem Ersten über die Schulter. Hinter mir murmelte Mallory in das Telefon.

»Kommen Sie doch mal her!«, sagte ich. »Nicht die Vorhänge bewegen! Kennen Sie die beiden dort drüben?«

»Glauben Sie, dass …«

An der Tür klopfte es. Ich ging hin und riss sie weit auf. Phil stand auf der Schwelle.

»Komm rein!«, sagte ich und zog ihn mit zum Fenster. »Was hältst du von den beiden?«

»Das sind doch nur Handlanger.«

Ich ging zum Telefon und wählte LE 5-7700.

»Rühren Sie sich vorläufig nicht aus dem Hotel!«, sagte ich zu Mallory. »Solange Sie diesen Rat befolgen, sind Sie sicher. Geben Sie mir Bescheid, wann ich Annabelle Flinders treffen kann!«

Wir ließen uns Zeit. Als ich draußen auf der Straße einen Fairlane Overdrive nach einem Parkplatz suchen sah, schenkte ich einem Boy einen Dollar und bat ihn, den Jaguar um die nächste Ecke zu bringen. Mein roter Schlitten war zu bekannt, und solange er noch in der Hotelgarage stand, würde sich hier nicht viel tun. Meine Rechnung ging auf.

Als der Jaguar aus der Tiefgarage rollte, kam Leben in die beiden Kerle draußen. Der Kleinere faltete die Zeitung zusammen und ließ sie dann achtlos in den Rinnstein fallen. Er machte kehrt und marschierte die Straße hinauf, wo er in einem Drugstore verschwand. Der andere hielt die Stellung.

»Jetzt kommt das Gros«, prophezeite Phil.

***

Zehn Minuten später hielt ein schwarzer Buick gegenüber dem Barbizon Garden. Drei Männer saßen darin. Der Fahrer stellte den Motor ab. Trotzdem stieg keiner aus. Einer der beiden, die das Hotel beobachteten, beugte sich durch das Fenster, sprach ein paar Worte mit den Insassen und verschwand wieder in Richtung Drugstore.

»Jetzt locken sie den Senator auf die Straße«, stelle Phil fest. »Und dann ein kurzer Feuerstoß aus einer Tommy Gun …«

»Hören Sie gut zu!«, impfte ich dem Senator ein. »Gleich kommt ein Anruf für Sie. Jemand will Sie unter irgendeinem Vorwand dazu bringen, das Hotel zu verlassen. Sagen Sie ihm, Sie kämen in zehn Minuten, aber hüten Sie sich, auch nur einen Schritt aus Ihrem Zimmer zu tun! Wir gehen jetzt hinunter.«

Mein Plan stand fest. Ich klopfte an das Office des Hotelmanagers. »Sie haben sicher einen Lieferwagen.«

»Ja, einen Van, mit dem wir das Gepäck befördern und die Wäsche fortschaffen.«

»Das ist genau das, was ich brauche«, sagte ich zufrieden. Wenige Minuten nach dieser Unterredung hatte ich eine Mütze auf dem Kopf, natürlich mit dem eingeprägten Namen des Barbizon Garden auf dem Messingstreifen vom. Ich lenkte einen Lieferwagen auf die Straße, auf dem der gleiche Name in grellgelben Buchstaben quer über die Außenwand gemalt war.

Ich wollte mich vor den Buick schieben und ihm das Entkommen unmöglich machen. Natürlich würden die Kerle reagieren! Ich war schon gespannt darauf, wie sie es anfangen würden. Sie hatten sich in eine Parklücke geschoben und standen mit ihrem Heck einen halben Meter vor dem nächsten Fahrzeug.

Ich ließ den Lieferwagen langsam weiterrollen. Aber dann rutschte mir vor Schreck der Fuß vom Gaspedal: Mike Mallory, der Senator, trat eben aus dem Hoteleingang!

Suchend sah er sich um, eine dicke Brasil zwischen den Zähnen. Der Motor des Buick brummte auf.

Hastig startete ich den abgewürgten Motor des Lieferwagens. Phil rannte hinter dem Senator her. Ruckartig ließ ich die Kupplung kommen.

Der Van sprang nach vorn wie ein bockiges Pferd.

»Zu spät«, dachte ich, als sich aus dem Fenster des Buick die Läufe zweier Tommy Guns schoben.

Ich stellte mein Gewicht auf das Gaspedal und riss das Steuer nach rechts. Ich hatte das Kreischen des gemarterten Blechs schon in den Ohren, ehe ich auftraf. Das Heck des Buick schwenkte herum! Ich hatte ihn gerade noch an der Stoßstange erfasst.

Zur gleichen Sekunde ratterten die beiden Tommy Guns los. Die Garben lagen wegen der veränderten Schussrichtung viel zu weit links und zu hoch. Von der Hotelfassade regnete der Kalkstaub. Der Verputz bekam helle Stellen.

Die Schnauze des Buick ragte schräg in die Straße hinein. Der Wagen schoss aus der Lücke heraus und beschleunigte wie eine Rakete. Das Heckfenster des Buick zersplitterte. Die Läufe der Maschinenpistolen ragten jetzt nach hinten heraus.

Ich kurbelte das Steuerrad des Lieferwagens nach links herum und kam gerade noch an dem Heck des Vordermanns vorbei. Als die ersten bläulichen Flämmchen aus den Rohren zuckten, duckte ich mich. Ich hörte die Geschosse in die Karosserie klatschen.

Im Rückspiegel meiner Kiste sah ich den Fairlane meiner Kollegen zusehends wachsen. Ich hielt mich rechts, denn sie waren zweifellos schneller als ich. Sie zischten an mir vorbei wie ein Düsenjäger.

Doch dann knallte es, und der Fairlane drehte sich um seine eigene Achse, schlitterte auf einen Hydranten zu und bohrte seine Nase hinein.

Ich nahm den Fuß vom Gas, denn hier gab es kein Weiterkommen. Die Gangster hatten dreizackige Nägel auf die Straßendecke gestreut, und das hält der beste Reifen nicht aus. Ich wendete mitten auf der Straße, denn die übrigen Verkehrsteilnehmer hatten sich längst verkrümelt.

Vor dem Hotel sammelte sich der übliche Menschenauflauf. Ich riss die Pagenmütze vom Kopf, warf sie neben mir auf die Sitzbank und sprang aus dem Wagen. In der Halle bemühte sich Phil um den Senator. Ein Kellner servierte Whisky.

»Sie haben alles verpatzt!«, sagte ich wütend. »Wie konnten Sie Ihr Zimmer verlassen! Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich nicht daraus rühren!«

»Ich weiß«, brummte er schuldbewusst.

»Wie konnte das passieren?«

»Ich bin auf einen plumpen Bluff hereingefallen, Agent Cotton.«

»Wieso? Haben die Brüder einen Krieg ausbrechen lassen?«

»Nein. Die Maschine, mit der mein Bruder heute in New York eintreffen wollte, soll auf dem Flughafen abgestürzt sein.«

»Und Sie haben sich nicht durch einen Rückruf versichert, Senator?«

Er wurde rot und wandte den Kopf zum Fenster.

Wir brachten ihn hinauf in sein Zimmer und stellten ihm unseren Kollegen Elders als Wache vor die Tür. Bobby Stone beobachtete hinter den Vorhängen versteckt die Straße. Vielleicht tauchten die beiden Beobachter wieder auf.

***

Im Distriktgebäude erwartete uns Mr High. »Die City Police hat im Fall des Filmschauspielers Daffer um unsere Unterstützung gebeten. Phil und Sie, Jerry, haben ja den Mord im Gladstone House entdeckt. Sie werden sich also um die Sache kümmern müssen.«

Ich erzählte ihm die Geschichte mit dem Senator.

»Könnten die beiden Fälle zusammenhängen?«

»Das kann man mit Bestimmtheit noch nicht sagen, Chef. Möglich ist es.«

Wir fuhren zum Gladstone House. Den 3. Stock hatten die Männer von der City Police besetzt. Dieckerson saß im Gang in einem Korbsessel, den er sich aus einem der Apartments hatte holen lassen.

»Eine großartige Pleite bis jetzt«, erklärte er ärgerlich. »Wir haben keinen Verdächtigen, Cotton.«

»Was ist mit den Leuten, die hier auf dem Stockwerk wohnen?«

»Prächtige Alibis. Tatsächlich war keiner von ihnen allein. Unter den übrigen Hotelgästen fand sich nur eine schiefe Figur, ein Hochstapler und Heiratsschwindler namens Harris. Er kommt auch nicht in Frage. Ausgerechnet zur Tatzeit flirtete er angeregt mit einer schon betagten Millionenerbin.«

»Was haben Sie sonst noch herausbekommen, Dieckerson?«

»Daffer wurde in der Küche ermordet. Dabei muss es eine Menge Blut gegeben haben. Es wurde mit einem Lappen abgewischt. Wir fanden ihn im Mülleimer. Nach dem Mord wurde Daffer in die Besenkammer geschleift.«

»Moment mal!«, unterbrach mein Freund. »Hat der Etagenkellner nicht ausgesagt, er sei die ganze Zeit in seiner Teeküche gewesen?«

»Wo ist der Mann?«, fragte ich den Lieutenant.

»Keine Ahnung. Wir haben das Personal weggeschickt. In diesem Stockwerk wohnt nur noch ein einziger Gast. Die anderen sind alle ausgezogen.«

Ich ging in das Zimmer, das der Schauspieler bewohnt hatte, und rief den Manager an. Er kam eilig mit dem Fahrstuhl herauf.

»Wir brauchen den Etagenkellner, der zur Tatzeit hier Dienst machte«, eröffnete ich ihm. Er ließ sich mit der Anmeldung verbinden und legte dann wieder auf. Seine Sorgen schienen groß. Sein Gejammer hätte einen Stein erbarmen können.

»Die meisten unserer Gäste sind in andere Häuser umgezogen, Agent Cotton. Seit dem Mord hatten wir nur eine einzige Neuanmeldung! Und der Mann wollte ausgerechnet in diesem Stockwerk ein Zimmer haben, obwohl ich ihm die Präsidentensuite für einen Spottpreis angeboten habe!«

Mir schwante etwas. »Welches Zimmer bewohnt dieser Gast?«

»315, Agent Cotton«, erwiderte er mit weinerlicher Stimme. Ich klopfte an die Tür. Sie öffnete sich, und vor mir stand der Reporter, dem ich schon begegnet war.

»Weisen Sie dem Herrn ein anderes Zimmer an«, sagte ich zu dem Manager.

In Daffers Zimmer läutete das Telefon. Der Manager horchte ein paar Augenblicke hinein. »Nicht aufzufinden?«, stammelte er ungläubig und starrte den Hörer an, als sei er es, der an allem schuld sei.

»Da haben wir’s«, sagte Phil von der Tür her. »Der Kellner war ein Komplize, und jetzt hat er sich abgesetzt.«

Der Kellner hatte oben unter dem Dach ein winziges Mansardenzimmerchen bewohnt. Die Bude war schnell durchsucht. Persönliche Habseligkeiten gab es außer ein paar Kleidungsstücken nicht. Ich ließ mir von dem Manager den Namen geben.

Dieckerson rief gerade seine Leute zusammen, als wir wieder nach unten kamen.

»Was ist Ihre Meinung?«, fragte ich den Lieutenant. »Wir haben keinen Hinweis auf das Motiv der Erpressung gefunden, Cotton. So, wie die Tat ausgeführt wurde, kann man Amateure ausschließen. Wir haben keine Prints gefunden. Die Kacheln wurden nach der Tat sorgfältig abgewischt.«

»Und die Mordwaffe?«

»Ist nicht aufzufinden. Wahrscheinlich hat sie der Mörder mitgenommen. Sicher ein Rasiermesser.«

»Die üblichen Maßnahmen!«, bat ich den Lieutenant. »Durchforschen Sie den Bekanntenkreis des Ermordeten, und versuchen Sie, den Kellner aufzutreiben!«

Wir verließen das Gladstone House.

Im Office machte ich mich über liegen gebliebene Berichte her. Ich hatte mich gerade warm gearbeitet, als das Telefon erneut schrillte.

»Cotton?«, fragte die Stimme des Senators.

»Am Apparat.«

»Kommen Sie heute Abend ins Glamour Palace! Die Dame erwartet Sie dort. Sie wird am dritten Tisch links vom Eingang sitzen.«