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Karte Gorgonia
Titelseite

 

 

 

 

 

Mit besonderem Dank an
Cherith Baldry
 
Für Adam Dawkins

Komm nur näher!

Ich heiße dich willkommen. Du stehst an der Grenze zum Reich der Dunkelheit, vor den Toren eines Furcht einflößenden Landes. Gorgonia wird dieser Ort genannt. Dort ist der Himmel rot, das Wasser schwarz und Malvel der Herrscher über alles. Tom und seine Weggefährtin Elenna müssen durch dieses Reich, um ihre nächste Beast-Quest-Mission zu erfüllen.

In Gorgonia leben sechs der tödlichsten Biester, die man sich vorstellen kann: der Minotaurus, der geflügelte Hengst, das Seemonster, der gorgonische Bluthund, das mächtige Mammut und der Skorpionen-Mann.

Nichts kann Tom und Elenna auf das vorbereiten, was sie hier erwarten wird. Ihre bisherigen Siege spielen keine Rolle mehr. Ein mutiges Herz und ein starker Wille sind das Einzige, was sie retten kann.

Wagst du es, Tom ein weiteres Mal auf seinem Weg zu begleiten? Ich rate dir, besser umzukehren. Doch falls du dich entscheidest, Tom zu folgen, musst du tapfer sein und ohne Furcht. Ansonsten bist du dem Untergang geweiht.

Achte auf jeden deiner Schritte!

Torwächter Kelro

Der Schwarze Ozean

Odora stand am Heck des Schiffs und schaute über den Schwarzen Ozean von Gorgonia. Die einzige Lichtquelle war der lilafarbene Mond, der zur Hälfte von Wolken verdeckt war. Odora und ihr Bruder Dako versuchten, so nah wie möglich an der Küste zu bleiben, doch die Dunkelheit der Nacht und der dichte Nebel verbargen das Festland. Bisher waren sie noch keiner von Malvels Schutztruppen begegnet, aber Odora wusste, dass die Wachmänner des Dunklen Zauberers sowohl das Wasser als auch das Ufer regelmäßig kontrollierten.

Sie blickte auf die riesige Waffentruhe zu ihren Füßen. Sie lächelte zufrieden, als sie daran dachte, wie diese Waffen den gorgonischen Rebellen bei ihrem Kampf gegen Malvel helfen würden. Doch der Einsatz dafür war hoch. Falls der böse Magier sie mit den geschmuggelten Waffen erwischte, würde er keine Gnade walten lassen.

Plötzlich fing das Schiff an zu schlingern. Odora stolperte nach vorne und konnte sich gerade noch an der Schiffsreling festhalten. Mit klopfendem Herzen lief sie zum Bug des Schiffs und entdeckte dort die kauernde Gestalt ihres Bruders Dako.

„Was ist los?“, flüsterte sie.

„Ich habe zwar nichts gesehen“, antwortete er leise. „Aber wir sind nicht alleine. Da draußen ist irgendetwas.“

Odora ballte die Fäuste, damit ihre Hände aufhörten zu zittern. „Wenn Malvels Männer unsere Waffen finden, werden sie uns töten!“

Dako sah sie warnend an. „Nicht so laut! Wir müssen die Waffen unter allen Umständen ans Ziel bringen. Sie sind unsere einzige Chance gegen Malvel.“ Vorsichtig spähte er über die Reling.

„Kannst du etwas entdecken?“, fragte Odora.

Noch bevor Dako ihr antworten konnte, schwappte eine riesige Welle über das Deck und erwischte sie beide. Fast wären sie über Bord gefallen. Dann stieg ein langer, schmaler Hals aus dem Wasser, auf dem ein abscheulicher, schlangenähnlicher Kopf saß. Dako und Odora erstarrten beim Anblick des Monsters.

Das Biest schoss mit weit aufgerissenem Maul auf die beiden zu. Odora sprang zur Seite, erhaschte aber noch einen kurzen Blick auf die fauligen Reißzähne und die zischelnde, gespaltene Zunge des Ungeheuers.

Das Biest schloss seinen Kiefer um Dakos Kopf und hob ihn vom Deck des Schiffs. Er stieß mit den Beinen um sich und schlug mit den Fäusten auf den schuppigen Hals des Biests ein, konnte sich aber nicht befreien.

„Dako! Dako!“, schrie Odora. Sie sprang nach oben und versuchte, die Beine ihres Bruders zu ergreifen, doch er war bereits außerhalb ihrer Reichweite. Voller Entsetzen sah sie, wie sein Körper erschlaffte, bevor das Biest mit ihm im Nebel verschwand.

Hinter ihr schwappte eine zweite Welle über das Schiff. Odora wirbelte herum und sah einen weiteren Kopf auf einem langen Hals, der sich aus dem Wasser erhob. „Zwei Biester!“, dachte sie verzweifelt.

Das zweite Biest schnappte mit seinen rasiermesserscharfen Zähnen nach Odora. Sie hechtete zur Seite und rutschte über das glitschige Deck, bis sie gegen die Waffentruhe krachte. Sie riss den Deckel der Truhe auf, zog ein Schwert heraus und schlug mit aller Kraft nach dem Seemonster. Der Kopf des Biests wich vor der schimmernden Klinge zurück.

Aber da erschienen auf einmal fünf weitere Köpfe aus dem Nebel, die sich zu dem ersten Biest gesellten. Sie umzingelten das Schiff, beugten sich mit ihren langen Hälsen darüber und versuchten, Odora mit ihren langen, spitzen Zähnen zu erwischen. Sie schlug mit ihrem Schwert um sich, aber die sechs Köpfe waren einfach zu schnell. Die langen Hälse schlängelten vor und zurück und wichen all ihren Hieben aus.

Odora spürte, wie die Kraft in ihren Armen nachließ und das Schwert immer schwerer wurde.

Beim Versuch, einem der Köpfe auszuweichen, rutschte sie plötzlich auf dem nassen Deck aus. Sie kämpfte um ihr Gleichgewicht, als das komplette Schiff aus dem Wasser gehoben wurde. Das Deck kippte zur Seite. Schwerter, Speere und Armbrüste schlitterten über die nassen Holzbretter und fielen ins Meer.

Die sechs Köpfe richteten sich alle gleichzeitig auf. Odora stockte der Atem, als sie erkannte, dass alle Hälse zu einem einzigen, gewaltigen Rumpf gehörten. Das waren nicht sechs verschiedene Biester, sondern ein riesiges Biest mit sechs Köpfen! „Nein!“, schrie sie, denn das schreckliche Wesen schlang seine Hälse um das Schiff und warf es mit einer Leichtigkeit zur Seite, als ob es nicht mehr als ein Kieselstein wiegen würde.

Odora wurde durch die Luft geschleudert. „Ich werde sterben“, dachte sie noch, bevor sie in die schwarzen Wellen stürzte. „Und wir sind gescheitert. Ohne die Waffen haben die Rebellen keine Chance, Malvel zu besiegen. Der dunkle Magier hat gewonnen.“

Von Malvel getäuscht

Tom nahm Anlauf, stieß sich mit den Füßen vom Boden ab und sprang in die Luft. Obwohl er die goldene Rüstung nicht mehr trug, besaß er immer noch die magischen Kräfte, die sie ihm verliehen hatte.

Doch als Tom auf dem Boden landete, spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Bein. Er blickte nach unten und sah einen spitzen Stein aus der Erde ragen. Er hatte sein Hosenbein zerschlitzt und seine Wade verletzt. Tom hätte schwören können, dass bis gerade eben keine Steine an dieser Stelle gewesen waren. Doch in Malvels Reich war auf nichts Verlass.

„Was ist passiert?“, fragte Elenna, die schnell auf Storms Rücken angeritten kam. Silver, ihr grauer Wolf, rannte neben ihr her.

„Ich habe mich an einem Stein verletzt“, erklärte Tom. „Ich sollte besser die Wunde heilen, bevor wir weitergehen.“

Tom setzte seinen Schild ab, den er über der Schulter trug. In dem Schild steckten die sechs magischen Geschenke, die er von den guten Biestern Avantias bekommen hatte. Malvel hatte die guten Biester in Gorgonia gefangen genommen und ohne seine Beschützer war Avantia in Gefahr. Tom wusste, was der dunkle Magier vorhatte: Er wollte seine eigenen schrecklichen Biester in das friedliche Königreich schicken, um es sich untertan zu machen.