Jennifer Cranen

Ich will nicht,
dass ihr weint

Das Krebstagebuch der
16-jährigen Jenni

Ullstein

Das Buch

Jenni Cranen ist fünfzehn, als sie erfährt, dass sie Krebs hat. Nach dem ersten Schock nimmt sie den Kampf gegen die Krankheit auf. Vierzehn Monate lang steht sie tapfer die Therapie und quälende Schmerzen durch. Doch Jenni verliert den Kampf gegen den Krebs und stirbt mit nur sechzehn Jahren.

Während dieser Zeit hat sie Tagebuch geschrieben. Darin erzählt sie von ihren Erlebnissen, ihrer Angst, aber auch von ihrer Hoffnung und ihrer unbändigen Liebe zum Leben. Es war Jennis Wunsch, dass ihre Aufzeichnungen veröffentlicht werden. Ein dramatisches Zeugnis.

Die Autorin

Jennifer Cranen wurde 1988 geboren. Sie besuchte die Gesamtschule in Wassenberg und machte 2004 ihren Realschulabschluss. Ihr Hobby war Webdesign, und sie gestaltete ihre eigene Homepage www. crazyjenni.de. Nach ihrer Diagnose war es Jenni Cranens größter Wunsch, dass ihr Tagebuch veröffentlicht wird. Jenni Cranen starb 2004 an den Folgen ihrer Krebserkrankung.

Wir widmen dieses Buch Thomas Schulze, der als Jennis Freund ihr in ganz besonders liebevoller Weise bis zu ihrem Tode beigestanden hat.

Maria Anna und Hans-Josef Cranen

Vorwort

von Maria-Anna Cranen

Ich heiße Maria-Anna und bin die Mutter von Jennifer, die dieses Buch geschrieben hat. Jennifer ist am 12.05.1988 geboren. Sie durchlebte eine ganz normale Kindheit – bis sie mit 15 Jahren einen Tumor an der linken Halswirbelsäule bekam.

Nachdem die Diagnose feststand, bekam Jenni im Krankenhaus Besuch von »Wünsch Dir was«. Die wollten ihr einen ganz besonderen Wunsch erfüllen. Nach einer kurzen Bedenkzeit entschloss Jenni sich, ein Buch über ihren Kampf mit dem Krebs zu schreiben.

Sie bat »Wünsch Dir was«, nach Fertigstellung des Buches bei der Veröffentlichung desselben zu helfen.

Am 16.11.2004 verließ Jenni uns.

Ich habe die Formulierungen Jennis, die manchmal etwas umständlich wirken, bewusst nicht verändert.

Wie alles begann …

Es fing alles eigentlich im März 2003 an. Ich hatte dolle Rückenschmerzen und war total verspannt, deshalb massierte mich mein Vater sehr oft, und er meckerte immer rum, dass ich zu viel vorm Computer sitzen würde.

Na ja, gut, ich saß vielleicht nicht gerade wenig vorm PC. Aber so viel, dass ich so verspannt bin? Nein, das wollte ich nicht einsehen. Es wurde jedoch immer schlimmer mit meinen Schmerzen. Wenn er mich massierte, war es besser, doch am nächsten Tag konnte er von vorne anfangen, denn dann tat es genauso weh wie am Tag zuvor.

Dann bin ich mit meiner Mutter zu einem Orthopäden gefahren, weil es doch nicht sein konnte, dass ich andauernd verspannt war. Doch der Orthopäde sagte auch, dass es nur eine Verspannung sei. Ich müsse halt mehr Sport machen, und dafür würde ich dann auch noch Krankengymnastik bekommen.

Später im Auto und auch zu Hause wurde mir dann natürlich tausendmal, sowohl von meinem Vater als auch von meiner Mutter, gepredigt, dass ich weniger vorm Computer sitzen und mehr Sport machen soll. Dann haben wir als Erstes einen Termin beim Krankengymnasten gemacht. Bei meiner ersten Krankengymnastik wurden mir dann auch Aufgaben gegeben. Da ich aber keine Hanteln hatte, musste ich mir die von meiner Tante ausleihen. Aber irgendwie war das doof, ich hatte ja kaum Zeit, und dann sollte ich auch noch jeden Tag so lästige Übungen machen. Na ja, nun gut, da musste ich dann durch. Zumal ich die Übungen auch des Öfteren vergaß.

Wir gingen für mich Schuheinlagen holen, denn mein linkes Bein ist ein kleines Stück kürzer als das rechte, und es hieß, dass ich dadurch schief gehe und das auch mit meinen Rückenproblemen zusammenhängen könne. Also hatten wir dann erst einmal alles dafür getan, dass meine Rückenprobleme besser werden mussten, doch das wurden sie komischerweise nicht.

Wir sind dann noch zweimal zu diesem Orthopäden gegangen, und beide Male gab er mir eine Spritze, renkte meinen Rücken ein und sagte, dass ich immer noch zu wenig Sport mache. Beide Male war ich sauer, weil das doch eigentlich gar nicht mehr sein konnte. Ich habe wieder Krankengymnastik verschrieben bekommen und meine Übungen fortgesetzt.

Doch es wurde nicht besser. Ich wachte nachts auf und fing an zu weinen vor Schmerzen, und mein Vater massierte mich, und ich nahm Tabletten, und wir machten eigentlich alles, was möglich war. Ich schlief kaum eine Nacht ohne Tablette.

Auch meinen Freunden fiel auf, dass ich andauernd Schmerzen hatte und auch, dass ich schief saß und mich jedes Mal, wenn ich saß, mit der linken Hand irgendwo abstützte. Auch im Unterricht konnte ich mich deswegen öfter nicht konzentrieren. Ich saß dann da im Unterricht – voll und ganz mit meinen Schmerzen beschäftigt –, lag quer über dem Tisch, und der Mathe-Lehrer wollte, dass ich Geometrie mache, was natürlich besonders vorteilhaft war, denn ich hatte in meinem Arm solche Schmerzen, dass ich mit ihm nicht einmal mein Geodreieck festhalten konnte, geschweige denn geometrische Zeichnungen konstruieren. Doch erzähl das erst mal einem Lehrer. Der würde denken: »Die Ausreden werden ja auch immer besser!« Ich bin sogar in den Pausen öfters nach Hause gegangen, nur um mir eine Tablette zu holen.

Ich meine, das ist nun nichts Weltbewegendes, wenn man drei Minuten von der Schule entfernt wohnt. Ich habe aber auch immer weniger am Sportunterricht teilgenommen, weil ich einfach nicht konnte und mit meinen Schmerzen auch nicht wollte. Meine Mutter hielt es öfter für Ausreden, weil ich keine Lust hätte. Ich meine, ich hatte auch keine Lust. Aber hätte ich gekonnt, hätte ich mitgemacht, weil ich auch keine 5 in Sport wollte, wegen: »Zu oft gefehlt!« oder so. Ich hatte auch öfter während der Schulzeit Arzttermine, was meinen Lehrern natürlich nicht gefiel, aber was sollte ich denn machen? Ich ging also zu meinem Hausarzt und holte mir Spritzen, um die Schmerzen besser ertragen zu können. Doch mit Spritzen war es irgendwie nicht getan. Ich habe mir dann vom Hausarzt eine Überweisung zum Neurologen geben lassen, der mich dann geröntgt hat und feststellte, dass ich einen Knick in der Wirbelsäule habe, was wiederum auch vom Falsch-vorm-PC-Sitzen kommen soll. Mittlerweile hatten wir schon Ende Juli, und ich fuhr bald in den Sommerferien für zwei Wochen in Urlaub nach Spiekeroog. Spiekeroog ist eine Insel an der Nordsee, sie liegt bei Wangerooge und Langeoog und Norderney. Es ist sehr schön dort, und es gibt dort keine Autos, das heißt, es war sehr viel Sport angesagt. Ich war dort mit einer Jugendgruppe, und wir haben wirklich sehr viel unternommen und sehr viele sportliche Aktivitäten gemacht. Das war es dann doch eigentlich, was mein Rücken brauchte. Nur komischerweise lag ich auch auf Spiekeroog eines Abends im Bett, am Heulen vor Schmerzen, und keiner konnte was machen.

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Arztshopping

Als ich dann aus dem Urlaub wiederkam, sind wir wieder zu unserem Hausarzt gegangen, weil wir nicht wirklich wussten, was wir nun tun sollten, denn besser ist durch Sport nichts geworden. Unser Hausarzt verschrieb mir das, was ich ja bisher so selten bekommen hatte, nämlich wieder Krankengymnastik.

Nur diesmal entschied sich meine Mutter dafür, zu Dr. B. zu gehen und nicht zu unserem alten Orthopäden, der zu der Zeit auch zum Glück in Urlaub war. Das Problem war nur, dass man bei Dr. B. normalerweise zwei Monate auf einen Termin warten kann, und so viel Zeit hatten wir nicht. Also tat Papa sein Möglichstes, um schnell einen Termin zu bekommen, und zu unserem Glück hatten wir den auch bald.

Als wir uns zu Dr. B. begaben, wo wir dann sogar relativ schnell drankamen und uns von ihm eigentlich Krankengymnastik verschreiben lassen wollten, bemerkte er, dass mein Arm gelähmt war. Er, meine Mutter und ich waren ziemlich geschockt. Wieso war denn nun mein Arm gelähmt? Nun gut, das erklärte zumindest schon mal, wieso der immer so weh tat. Doch Dr. B. war völlig schockiert. Er konnte nicht begreifen, wieso mein Arm gelähmt war, und machte noch einige Untersuchungen. Er vermutete schon drei Dinge, die es sein könnten, und schickte uns daraufhin zum Neurologen.

Es war ein anstrengender Morgen, von einem Arzt zum anderen gehetzt zu werden. Beim Neurologen angekommen, überbrückten wir die Zeit mit etwas Quatschen. Als der Doktor mich untersuchte, wiederholte er noch einmal, dass mein Arm gelähmt sei. Doch um weitere Nervenuntersuchungen zu machen, bräuchte er die Ergebnisse eines MRT (Kernspintomographie, auch Magnet-Resonanz-Tomographie genannt).

Dann sind wir zurück zu Dr. B., der meinte, dass er sich erkundigen würde, wo ein Platz frei wäre. Am besten sollte ich nach Rheydt. »Aber jetzt endlich nach Hause«, dachte ich.

Zu Hause habe ich mich erst einmal in die Kiste gehauen. Verständlich, denke ich, wenn man um sieben Uhr in den Ferien wegen eines Arzttermins aus dem Bett gejagt wird und dann am Abend auch noch ein Date im Kino mit einem süßen Typen hat, da will man doch ausgeschlafen sein.

Doch irgendwie war mir das nicht gegönnt, denn zehn Minuten später kam meine Mutter in mein Zimmer geplatzt und meinte: »Du musst nach Aachen!« Ich war erst mal total sauer, dass sie mich geweckt hatte, aber ehe ich mich damit beschäftigen konnte, konfrontierte mich der Gedanke: Aachen? »Was ist mit Aachen, wieso soll ich dahin?«, fragte ich meine Mutter. Sie antwortete, dass Dr. B. nirgendwo einen Termin bekommen hätte und das Universitätsklinikum Aachen meine einzige Möglichkeit sei.

Ich fing an zu weinen. Ich wollte nicht nach Aachen, ich dachte schon an dieses große Gebäude mit den ganzen Rohren, das aussieht wie eine Fabrik, und drinnen die ganzen grünen Wände und Böden und dann noch diese stickige Krankenhausluft. Nein, da wollte ich auf keinen Fall hin!

Meine Mutter fragte mich, ob ich denn lieber weiter Schmerzen haben und Tabletten schlucken wolle. Doch das war es auch nicht, was ich wollte. Dann sollte ich auch noch eine Tasche mit Schlafzeug packen, falls ich dort bleiben müsse. Das gab mir dann den Rest. Ich war fertig. Nein, ich sollte nicht nur meinen ganzen Nachmittag im Krankenhaus verbringen, sondern womöglich auch noch da übernachten. Das hätte sie mir verschweigen sollen, denn nun waren ihre Beruhigungsversuche erst recht sinnlos.

Vor allem: Was war mit meinem Date? Egal, was jetzt war, ich wollte dorthin, und das war auch eigentlich der größte Grund, warum ich so sauer war. Na ja, nutzte mir alles nichts, ich musste mit. Was ich wollte, spielte gar keine Rolle. Wir fuhren eine Stunde bis nach Aachen. Ich habe während der Autofahrt geschlafen, um mich erst einmal wieder abzuregen.

Universitätsklinikum Aachen

Im Krankenhaus angekommen, war es richtig stressig. Es war genauso schlimm, wie ich es in Erinnerung hatte. Immer noch alles in Grün und eine stickige Luft. Außerdem wimmelte es überall von Besuchern, Patienten und Ärzten. So was ist doch unerträglich.

Wir mussten erst einmal schauen, wo wir hinmussten. Wir hatten ja noch nicht mal einen festen Termin, also konnte sich alles ja nur um Stunden handeln. Von da an, als wir wussten, wo wir hinmussten, hörte es gar nicht mehr auf mit dem Stress.

Ich musste von einer Untersuchung zur nächsten und von einem Arzt zum anderen, und das Schlimme war, anstatt dass die Ärzte sich absprachen, durfte ich auch noch allen dasselbe hundertmal hintereinander erzählen. Und die Untersuchungen zogen sich über Stunden hinaus.

Dass ich das Date nun vergessen konnte, war glasklar, denn wir wollten in die 17-Uhr-Vorstellung von »American Pie 3«, und das in Erkelenz. Und ehe ich zu Hause wäre, umgezogen und mir den nächsten Bus geschnappt hätte, wäre die schon längst gelaufen. Na klasse, dachte ich mir, der Tag war doch echt zum Kotzen!

Unter anderem fielen unter die Untersuchungen ein Ultraschallbild und eine Computertomographie, und aus diesen beiden Untersuchungen entschied sich dann, was ich hatte und ob ich im Krankenhaus bleiben musste. Und wie der »Zufall« es so wollte, hatte ich natürlich was, womit ich im Krankenhaus bleiben musste, nämlich einen Tumor!

Ich wusste es, es konnte doch gar nicht anders sein. An diesem Tag geschah alles, was ich nicht wollte. Nun musste ich in diesem stickigen ollen grünen Krankenhaus auch noch übernachten! Aber irgendwie war das ja mal wieder klar – als ob eine Halsentzündung und eine Blasenentzündung für die Sommerferien nicht ausreichen würden, nein, jetzt musste es auch noch ein Tumor sein. Und das ausgerechnet in der letzten Ferienwoche, wo ich noch eine Menge geplant hatte.

Na ja, eigentlich war ja alles wie immer. Es waren Ferien, und ich war krank. Wenn es nur was Neues gewesen wäre, aber dass es meinen Eltern genauso wenig in den Kram passte wie mir, war ja auch klar. Sie kannten das ja auch schon von mir, dass ich ein Händchen dafür habe, in den Ferien krank zu werden.

Ich erfuhr, dass die Ärzte übers Wochenende keine Untersuchungen machten. Schön wäre es gewesen, hätte ich auch nur für mein Date nach Hause gedurft – aber nein, nichts da.

Die Schwestern und Ärzte brauchten einfach mehr Arbeit und Stress und hatten wohl die Vorahnung, dass ich ihnen da behilflich sein könnte, also blieb ich, denn man hilft ja, wo man kann!

Am Samstag bekam ich auch schon Besuch. Meine Mutter, meine Tante Kitty, meine Oma und Ramona, eine gute Freundin.

Wenigstens etwas Ablenkung, wenn ich schon dableiben musste. Auch die Tage drauf bekam ich öfter Besuch, doch ab Montag kamen jede Menge unangenehme Untersuchungen dazwischen.

Ich meine, klar, dass das sein musste, aber ich hatte da total keinen Bock drauf. Sie haben von mir noch mehrere Ultraschallbilder gemacht, Computertomographien (ist ein Röntgen meiner Knochen), MRTs (Kernspintomographie, ist ein noch viel genaueres Röntgen in Schichten), eine Biopsie am Hals, um eine Gewebeprobe vom Tumor zu ziehen, eine Angiographie an meiner Leiste (eine Probe meiner Gefäße am Hals), eine Synthegraphie (ein Röntgen, bei dem man einen radioaktiven Stoff gespritzt bekommt und dann auch noch einen Blasenkatheter braucht und dann, je nach Untersuchung, lange ruhig in einer Röhre liegen muss). Ansonsten gab es noch einfache Untersuchungen wie HNO, Lunge, Herz, Zahn und so weiter, halt so ein Rundum-Check.

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Die Angiographie

Auch die Angiographie war keine schöne Untersuchung. Ich wurde in meinem Bett auf Etage 5 geschoben. An hatte ich nur einen langen grünen Kittel und sonst nichts. Dann wurde ich in einen Raum geschoben, eine Schwester blieb bei mir. Ich musste mich auf eine schmale Liege legen. Leider ohne meinen Kittel, doch ich wurde direkt abgedeckt. Über mich bauten sie einen Operationstisch, deswegen durfte ich mich von da an auch nicht mehr bewegen. Dann rasierte mich ein Arzt an der Leiste. Das war auch nicht gerade angenehm.

Doch irgendwie kam mir dann so ein Gedanke, denn meine Beine waren auch noch sehr behaart. Also fragte ich den Arzt, ob er nicht Lust hätte, meine Beine auch noch zu rasieren, denn wenn er schon einmal dran ist, wieso nicht? Doch er meinte nur, dass er dafür keine Zeit mehr hätte. Schade, denn dann musste ich es selber machen. Die Schwester fand das sehr amüsant.

Sie gaben mir an meiner Leiste eine örtliche Betäubung. Lieber wäre mir ja Vollnarkose gewesen, aber dafür wäre das Risiko zu groß gewesen. Trotz örtlicher Betäubung tat es sehr weh. Sie legten mir von der Leiste aus einen Schlauch in mich rein bis zu meinem Hals, um eine Gefäßprobe zu entnehmen.

Wie ich nachher sah, hatte ich überall Blut, aber konnte mich nicht waschen, da ich mich nicht hinsetzen oder anwinkeln durfte. Nicht einmal das linke Bein für längere Zeit knicken und das rechte schon gar nicht. Normalerweise hätte ich 24 Stunden ruhig liegen müssen, aber zu meinem Glück brauchte ich das nur fünf Stunden. Um 18 Uhr hätte ich mich wieder bewegen dürfen, nicht allzu viel, aber etwas.

Nur irgendwie ging mir das nicht schnell genug, denn ich musste auf die Toilette, aber ich durfte mich ja nicht einmal anwinkeln, geschweige dann aufstehen. Ich sollte liegend in eine Pfanne pinkeln. Allein der Gedanke war schon unvorstellbar, aber auf meiner Blase war schon so ein Druck, dass ich es versuchte – auch wenn der Gedanke mich nicht gerade glücklich machte.

Doch es klappte nicht. Aber, ich mein, muss man denn im Liegen pinkeln können? Ich habe gelernt, nachts nicht mehr ins Bett zu machen, und nun wird es von mir verlangt? Das kann irgendwie nicht sein. Auf jeden Fall bekam ich es nicht auf die Reihe, und ich hatte Blasenschmerzen, also musste ich mit dem Arzt verhandeln, denn ich durfte ja nicht aufstehen, obwohl mich das, was ich nicht durfte, ja schon immer irgendwie reizte. Letztendlich habe ich es dann geschafft, den Arzt zu überreden, mich auf die Toilette gehen zu lassen. Allerdings nicht alleine. Aber ich denke, bei dem fetten Verband, den ich um meine Leiste rum hatte, wäre das auch gar nicht möglich gewesen.

Es sah schon urkomisch aus, als ich über der Toilette stand mit meiner Mutter, die mich festhielt, damit ich nicht umkippte, und mit der Schwester, die mir meinen Druckverband festdrückte, damit meine Wunde nicht aufplatzt. Tage später hatte ich einen dicken blauen Fleck an der Leiste, der mir auch noch gut eine Weile erhalten blieb. Aber das war zu überleben. Ich war froh, dass ich diese Aktion ohne weitere Komplikationen überstanden hatte.

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Die Synthegraphie

Ich habe dann noch jede Menge Untersuchungen bekommen, doch die schlimmste Untersuchung, die aber auch erst sehr spät kam, war die Synthegraphie.

Das war bei mir auch eine Geschichte für sich. Ich musste mal wieder nüchtern bleiben und wurde geröntgt und bekam dann ein radioaktives Zeug gespritzt. Dann bekam ich einen Termin fürs lange Röntgen, und mir wurde gesagt, ich brauche einen Blasenkatheter, damit meine volle Blase nicht die Aufnahmen versaut. Na klasse, dachte ich mir, nicht nur, dass ich die ganzen Untersuchungen über mich ergehen lassen musste, jetzt gaben sie mir als Bonus auch noch so ’nen blöden Katheter!

Ich konnte es mir aussuchen, ob ich mir einen machen ließ oder nicht. Aber es war ja nicht für die Ärzte, es war für mich. Sie sagten, wenn ich keinen nehme, könnte es sein, dass sie was Wichtiges übersehen. Es könnte womöglich zum Tumor gehören und mir Schwierigkeiten bereiten, da sie es nicht behandeln können, falls da was sei, das sie nicht genau erkennen können.

Auf meinem Zimmer rief ich direkt meine Mutter an und erzählte ihr alles. Ich wollte absolut nicht so einen blöden Blasenkatheter haben. Die Ärzte und Schwestern hatten nun wirklich genug Möglichkeiten erwischt, um mich nackt zu sehen, aber irgendwann reicht es. Aber irgendwie dachte ich mir dann auch: Hm, was ist, wenn genau an der Stelle, wo sie nichts erkennen, wirklich was vom Tumor ist? Was dann? Also sprang ich über meine innere Blockade und ließ mir einen Blasenkatheter legen.