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singles 15

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Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2008

© by Verlag Voland & Quist – Greinus und Wolter GbR

Umschlaggestaltung: Mario Helbing, Franziska Weißgerber

Gestaltung und Satz: Franziska Weißgerber, Mario Helbing

ISBN: 978-3-86391-047-1

www.voland-quist.de

 

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Am Anfang war das Wort

Arbeiten wie die Profis

Ich war Honeckers Doppelgänger

Das Märchen vom Fahrscheinkontrolleur und seiner Frau

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 1: Graffiti

Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen

Gipfeltreffen

Marathon

Die zwei vom Chemo-Markt

Vegetarischer Einkauf

Ferien in Üdüle

Scheue Fische

Maik Schulz lebt

Beschimpfung einer Generation in einem Satz

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 2: Amok

Gespräch in der Kneipe, zwei betrunkene Herren, spät nachts

Freitags im Supermarkt

Die Geschenke sind eigentlich jedes Jahr das Schlimmste

Anmachen

Das Rätsel Brecht

Schokolade aus der Zukunft

Ponyträumchen

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 3: Information

Pop

Pfand

Monolog eines Tierpflegers

Der Geschlechtssteward

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 4: Schwarzer Mann

Mein Gehirnzimmer

Wie ich mir ein Fußballspiel vorstelle

Vorsicht vor dem Hunde!

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 5: Sicherheit

One Way Ticket

Ich war noch niemals in New York

Der adoptierte Pionier

Coming Out Blues

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 6: Lesen

Bettlerfabel

Erikas Mondfahrt

Corinna

Fritze mit dem Flitzebogen

Vierzehn

Monolog des wichtigen alten Hundes

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 7: Suizid

König Alkohol schenkt Warzenschwein einen Tag

Callboy für einen Tag

Wie uns der Plattenbau reich machte

Was ich heute machen würde, wenn ich nicht Schriftsteller geworden wäre – Teil 8: Schwarzseherei

Imbiss wie damals

Warum?

Fleischmops

Walgesänge

Und die Frauen singen ein altes Volkslied oder Wie ich mir Intelligentes Design vorstelle

Markenfetischismus






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Ich hatte immer gehofft, das erste Wort meines Sohnes würde »Papa« lauten. Von mir aus auch »Mama«. Einfach nur ein Wort, am liebsten »Papa«. Früh genug würde das Kind dieses eine Wort zu einem ganzen Satz erweitern: »Papa ist doof«, zum Beispiel, oder: »Mama ist dick.«

Aber insgeheim hatte ich schon lange die Befürchtung gehegt, statt »Papa« oder »Mama« würden die ersten Worte meines Kindes lauten: »Können Sie ein Paket für Ihre Nachbarin entgegennehmen?« Ich nehme nämlich jeden Tag ein Paket für unsere Nachbarin entgegen. Vormittags kommen nacheinander die Paketboten der einzelnen Zustelldienste, vier bis sechs, und die meisten Sendungen sind für unsere Nachbarin. Sie kann nicht einkaufen gehen, sie geht lieber arbeiten, darum muss sie im Katalog bestellen. Kleidung, zum Beispiel, aber auch Lebensmittel; und wenn sie renoviert, werden sogar Farbeimer und Tapetenrollen bei uns abgegeben. Wenn sie abends nach Hause kommt, klingelt sie als Erstes bei uns und fragt nach neuen Paketen. Es ist auch fast jeden Tag mindestens eines für sie abgegeben worden. Meist Kleidung, wie gesagt. Sie hat mir das mal erklärt: Sie bestellt ganz viel, probiert dann zu Hause alles in Ruhe an, und was ihr nicht gefällt oder passt, das schickt sie wieder zurück. Das seien sogar die meisten Sachen. Nur die, die sie dann behalte, müsse sie auch bezahlen.

Das brachte mich auf eine Idee: Wenn so viele Sachen bei uns abgegeben werden, die unserer Nachbarin nicht passen, dann müssen doch genügend dabei sein, die mir oder meiner Freundin passen. Unsere Nachbarin kleidet sich zum Glück ziemlich geschlechtsneutral, also sie trägt Hosen und Pullover, die auch Männern stehen, und nur selten mal einen Rock oder eine Bluse, in der man als Mann tuntig aussehen würde. Also öffnen wir immer als Erste die Pakete und gucken, was von den Sachen uns so passt. Mal eine Jacke, mal ein Paar Turnschuhe. Und was passt, das tragen wir dann eine Woche lang. Dann verpacken wir es wieder und sagen: »Hier Frau Nachbarin, das ist heute mit der Post gekommen.«

»Das wurde aber auch Zeit«, sagt sie, »da warte ich ja schon seit einer Woche drauf.«

Dann probiert sie es an, es passt ihr nicht, und sie schickt es zurück. Wir aber tragen schon die nächsten Sachen aus der neuen Lieferung. So sparen wir Waschpulver und jede Menge Strom. Entlasten die Umwelt und unseren Geldbeutel, und wir sehen immer aus wie aus dem Ei gepellt. Wenn wir unsere Frau Silberammer nicht hätten!

Allerdings hatte ich die nicht ganz unbegründete Sorge, unser Sohn würde seine ersten Worte beim Postboten aufschnappen. Mit den ersten Worten muss man vorsichtig sein. Mein Kumpel Wolfgang hat Pech gehabt. Jeden Morgen, wenn er sich von seiner Familie verabschiedet, sagt seine Frau zum Kind: »Papa geht auf Arbeit!«

Seit ein paar Tagen sagt die Kleine, immer wenn sie ihren Vater sieht, ganz begeistert: »Arbeit!« Also so etwas darf bei mir auf keinen Fall passieren, dachte ich. »Arbeit«, nein, auf keinen Fall. Dann schon lieber »Paket« oder »Unterschrift«, »Post« oder »Wärbung bittäh!«.

Aber alles kam ganz anders. Vorgestern standen sie alle im Hof des Kindergartens – das ist auch so etwas, worauf man aufpassen muss, dass das Kind nicht Kita sagt, Kindergarten heißt es, Kindergarten, nicht Kita – da standen sie nun alle herum, die lieben Kleinen, und piepsten und krähten: »Auto!«

»Auto«, begrüßten sie ihre Mamas und Papas. »Auto«, sagten sie zum Hund, der auf den Gehweg schiss, »Auto«, alles war »Auto«.

In den fünfziger Jahren wäre das okay gewesen. Aber wir leben in den Zeiten nach der Regierungsbeteiligung der Grünen. Wir wohnen in Berlin-Prenzlauer Berg. Überall Bio-Supermärkte, Naturprodukte, Heilpraktiker und Heile-Welt-Läden. »Auto«, das ging nun wirklich nicht. Dass da so ein paar Kita…, Entschuldigung!, Kindergartenkinder einfach so die Lebenslügen der Ökomarktkundschaft artikulierten.

Ich spürte, wir Eltern spürten deutlich ein kollektives Missbehagen. Jetzt galt es, der sich anbahnenden Fehlentwicklung sanft gegenzusteuern. Dem jungen Menschen den rechten Weg zu ebnen, ohne ihn ihm zu weisen. Ohne die kleinen Seelen zu traumatisieren, ihnen eine bessere Alternative als die eigene Idee aufscheinen zu lassen. Es galt, ihnen und uns etwas vorzumachen. Pädagogik eben.

Der Papa von Leon hob sein Kind hoch und drückte es an sich: »Das ist ja putzig, er will ›Fahrrad‹ sagen, aber es klingt wie ›Auto‹. Der Spracherwerb ist wirklich eine interessante Phase.«

»Findet ihr nicht auch«, fragte die Mutti der kleinen Lisa, »dass es wie Atom klingt, was sie sagt?«

Wir nickten.

»Atom. Sie ist noch so klein und will uns schon darauf aufmerksam machen, dass alles aus Atomen besteht. Kinder sind wirklich viel intelligenter, als ihnen die Großen immer zutrauen.«

Die Situation war gerettet, Erleichterung machte sich breit. Wir hatten tolle Kinder. Wir waren tolle Eltern.

»Auto!«, sagte laut und deutlich mein Sohn, »Auto!«

»Wahnsinn«, schrie ich, »Du willst ›autonom‹ sagen, ›autonom‹!«

Mein Kind steckte mir seine Nuckelflasche entgegen. Ich holte mein Feuerzeug aus der Tasche und zündete den Sauger an. Dann warf ich das brennende Ding auf einen vorbeifahrenden Polizeiwagen. So was hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr getan. (Der Polizeiwagen hatte Pedalantrieb und seine Fahrerin war vier Jahre alt, aber trotzdem.)

»Polizei, SA, SS«, schrie ich. Mein Sohn lachte. »Haut die Bullen platt wie Stullen! Wir haben euch was mitgebracht – Hass, Hass, Hass!«

Die anderen Mamas und Papas vom Prenzlauer Berg verabschiedeten sich rasch, und ich musste ja auch nach Hause. Meine Freundin wartete bestimmt schon mit dem Abendbrot. Und am späteren Abend, wenn der Kleine schlief, wollten wir noch mal gemeinsam durchrechnen, ob wir das nicht doch irgendwie hinkriegen könnten mit der Eigentumswohnung.

»Auto«, sagte der Kleine. Ich überlegte, was mein erstes Wort gewesen sein könnte. »Auto« sicher nicht. Ich komme ja aus der DDR. Da musste man auf so was ja zehn Jahre warten. Mindestens. Wahrscheinlich sagte ich: »Anmeldung!«

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Ich bin im Baumarkt gewesen. »Arbeiten wie die Profis« stand auf dem Baumarktprospekt. »Arbeiten wie die Profis« – im Grunde heißt das nichts anderes als »Pfusch am Bau«. Ich muss es wissen, ich habe selber auf dem Bau gearbeitet. Falls man das arbeiten nennen kann, was wir da gemacht haben. Wir haben uns die ganze Schicht lang vorm Bauleiter versteckt. Deswegen dauerte auch alles so lange. Ich war aber nicht als Bauarbeiter im Baumarkt, sondern als Familienvorstand. Ich soll »was machen« im Badezimmer. Leichte Renovierungsarbeiten. Praktisch heißt das, ich verstecke mich den ganzen Tag über vor meiner Süßen. Wenn sie den Kopf zur Tür reinsteckt, lasse ich die Bohrmaschine aufheulen. Ansonsten lese ich Zeitung oder sitze aufm Topp. Darum dauert auch alles so lange. Mittlerweile gute zwei Wochen.

Die Cheops-Pyramide zu bauen, dauerte ungefähr 20 Jahre. Für das Taj Mahal wurden 22 Jahre gebraucht. Angkor Wat wurde in 37 Jahren errichtet. Das klingt nach viel Zeit. Aber wenn man bedenkt, wie Bauarbeiter den Tag verbringen, ist das sensationell schnell. Ich muss es wissen, ich habe selber auf dem Bau gearbeitet. Falls man das arbeiten nennen kann, was wir da gemacht haben. Wir haben uns den ganzen Tag über vorm Polier versteckt. Das wird im antiken Ägypten nicht anders gewesen sein.

Ich sehe es vor mir. Die Sonne, der Gott Ra, steigt über dem Ostufer des Nils empor. Frösche quaken. Hähne krähen. Sauen grunzen. Kamele kollern. Und die Bauarbeiter des gigantischen staatlichen Bauprojekts Pyramide machen Krach, bis alle menschlichen Bewohner Gizehs ebenfalls wach sind.

Dann machen sie Frühstück. Erst eine halbe Stunde Krach, dann Frühstück. Zum Frühstücken fallen sie in die umliegenden Bäckereien und Imbissbuden ein. Oder sie verstopfen die Kaufhallen.

Dabei lesen sie die Bild … äh, die Bilder-Schrift auf den billigen Papyri, die für Leute wie sie gemacht werden, aber die auch immer mehr Gelehrte mit Genuss goutieren. »Mit uns könnse’s ja machen … Alles über den Streik der Nil-Schiffer … Die aufregenden Sex-Geheimnisse der Nubier … Dafür ham’se Geld … Behaarte Modelle wollen dich verwöhnen … Jetzt reicht’s: Sand schon wieder teurer … Der Pharao von Dingsbums hat eine Neue … Die Lottozahlen.«

Dann werden die Papyri mit in kleine Hüttchen genommen und nicht den Augen, sondern einem anderen Körperteil zur Freude gereicht.

Dann geht es zurück zur Baustelle. Falls der Polier auftaucht, wird wieder ein bisschen Krach gemacht. Aber in erster Linie wird herumgestanden, Frauen hinterhergepfiffen und auf die ausländischen Kollegen geschimpft.

Zum Mittag werden die ersten Biere geöffnet. Im Schatten einer Palme ein Skat gekloppt. Der eine oder andere Lehrling frisiert seinen Esel.

Danach kann der Lehrling aber schon mal mit dem Aufräumen anfangen, schließlich will man pünktlich Feierabend machen.

Wenn Ra, der Sonnengott, seine Reise im Westen beendet, fallen lange Schatten auf eine verwaiste Großbaustelle. Lediglich ein unterbezahlter Wachmann verscherbelt Schubkarren, die ihm nicht gehören, an Kleinkriminelle.

Das ist die Wahrheit über den mystischen Bau der Pyramiden. Da hatten keine Außerirdischen ihre Finger im Spiel. Auch keine halbnackten, muskulösen Hollywood-Stars mit ausdrucksstarken Gesichtern. Eher bierbäuchige Mittvierziger mit Stirnglatze. Und sie errichteten keine kultischen Stätten, keine fluchbeladenen Orte oder Ufo-Landeplätze. Es handelte sich schlicht und einfach um Beschäftigungsmaßnahmen. Um sinnlose Produkte. Wir heutigen Menschen finden die Pyramiden schön. Aber damals wurde über ihre Architektur gelästert. Wenigstens haben die damaligen Regierungen auf einen Abriss der älteren Pyramiden verzichtet.

Der Rückbau des Palastes der Republik dauert nun schon über zwei Jahre. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Morgens wird demonstrativ ein bisschen Krach gemacht, dann Frühstück. Es ist wie bei den Pyramiden. Bloß dass die Technologien heute weiter fortgeschritten sind. Die Arbeiter haben heute ganz andere Möglichkeiten. Wenn der Bauleiter kommt, zum Beispiel, wird Asbest gefunden. Kalle hat zum Glück immer genug Asbest dabei. Und die Welt hat Zeit.

Ich habe nicht so viel Zeit. Ich muss irgendwie fertig werden, mit dem Text hier, und weitermachen mit der Renoviererei. Meiner Süßen dauert das alles zu lange.

»Das Taj Mahal hat 22 Jahre gebraucht«, mit dem Argument bin ich ihr natürlich schon gekommen, »und Angkor Wat sogar 37.«

»Na bestimmt, weil die alle so gearbeitet haben wie du«, hat die Süße geantwortet. Wo sie recht hat …

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Vorbemerkung: Im Fahrzeugkonvoi des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrats Erich Honecker fuhr angeblich immer ein genau gleich aussehendes Auto mit, in dem ein Doppelgänger Honeckers saß; so wollte man eventuelle Attentäter täuschen, zumindest behauptete das Westfernsehen dies. Keine Ahnung ob das stimmt. Im Westfernsehen soll ja viel gelogen worden sein damals, zumindest behauptete das Ostfernsehen das. Wie auch immer, jedenfalls habe ich mich oft gefragt, was für ein Mensch dieses Honecker-Double wohl gewesen sein muss, wie er gelebt und was er gedacht hat, während er in Honeckers Auto saß; einem Citroën, wie das Westfernsehen sagt, wir sagten damals Zitrön.

Sie können sich vorstellen, dass ich in der DDR nicht einfach so in eine Kneipe gehen und ein Bier trinken konnte, nach Feierabend. Die Gespräche verstummten, wenn ich den Schankraum betrat. Viele begannen eine Eingabe auf dem Bierdeckel zu verfassen, die sie mir überreichen wollten. Wenn es denn einen Bierdeckel gab. Manchmal hieß es, es gäbe gerade ausgerechnet das nicht, was ich bestellen wollte: Versorgungsengpass, Sie verstehen, Genosse? Ich denke, das war oft eine Form der Rache der einfachen Menschen. Ich ging also nicht mehr in Kneipen, spätestens seit ich mal in einer was auf die Fresse bekommen hatte. Das war so ein Typ, der dachte, er würde dann verhaftet und vom Westen freigekauft werden. Natürlich verhaftete ihn niemand, und am nächsten Tag konnte sich keiner der Kneipengäste mehr an etwas erinnern. Er nervte sie aber so lange mit seiner Geschichte, bis er schließlich Hausverbot bekam.

Ich ging aber gern zu Faschingspartys, weil ich mich da verkleiden konnte. Einmal wurde ich auf dem Heimweg – ich hatte mein empfindliches Prinzessinnen-Kostüm schon abgelegt – direkt nach dem Verlassen des Lokals verhaftet, weil die Bullen dachten, ich hätte mich zum Fasching als Erich verkleidet.

Den echten Honecker habe ich nie so richtig kennengelernt, was mir jetzt im Nachhinein, wo er doch inzwischen tot ist, natürlich leidtut. Ich wohnte auch nicht in Wandlitz, dort war ich nur ganz selten. Eigentlich führte ich ein ganz normales Leben. Ich habe nie versucht auszunutzen, dass ich aussah wie er; das heißt, eigentlich sah er ja aus wie ich. Ich hatte keinerlei Privilegien, ganz im Gegenteil, oft hatte ich es aufgrund meines Aussehens sogar schwerer als andere. Ich habe zum Beispiel nie eine Frau kennengelernt.

Es war schon komisch, wie ich angeguckt wurde, wenn ich manchmal mit meinen Forumschecks in den Intershop ging. Aber noch komischer wurde ich angeguckt, wenn ich auf der Bank diese Forumschecks eintauschen wollte, gegen D-Mark, und am allerkomischsten wurde ich angeguckt, wenn ich mir dieses Westgeld irgendwo auf dem Schwarzmarkt besorgte.

Den Job als Honecker-Double habe ich dann Anfang der siebziger Jahre bekommen. Einer vom MfS sprach mich auf der Arbeit an, wegen der großen Ähnlichkeit. Vorher war ich Dispatcher im Tagebau gewesen. Ich nahm das Angebot der Stasi an, denn so konnte ich nach Berlin ziehen. Damals wollten ja alle nach Berlin. Honecker und ich sahen uns ähnlich, aber natürlich gab es auch Unterschiede. Also musste operiert werden. Natürlich wurde er operiert. Er konnte ins Regierungskrankenhaus nach Buch gehen, da wäre ich nie reingekommen. Dort gab es Spezialisten, die mich als normalen DDR-Bürger nie behandelt hätten. Also wurde Honeckers Aussehen dem meinen angepasst. Böse Zungen behaupten, umgekehrt wäre es schöner gewesen, angeblich ist sogar Margot Honecker die Mutter dieses Gerüchtes, aber ich lasse mich von solchem Gerede nicht ärgern.

Als Erich Honecker am 18. Oktober 1989 zurücktreten musste und durch Egon Krenz ersetzt wurde, konnte auch ich für mein Leben in der DDR keine Perspektive mehr erkennen. Zurück in den Tagebau zu gehen als Dispatcher, das konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Wie so viele, die Schabowski im Fernsehen gesehen hatten, fand ich mich am 9. November am Grenzübergang Bornholmer Straße ein. Natürlich mit Hut und hochgeschlagenem Mantelkragen und in einen Schal eingewickelt. Die Lage am Tor wurde immer gespannter. Bewaffnete Organe und Bürger standen sich gegenüber. Wie es Großväterchen Zufall wollte, wurde ausgerechnet ich von zwei Grenzern in das Wachhäuschen gezerrt, weil die wohl glaubten, ich sei ein vermummter Provokateur. Als ich dann Schal und Hut abgelegt hatte, waren sie überrascht, den kürzlich entmachteten Honecker vor sich zu haben. Sie konnten Krenz nicht ausstehen, wie eigentlich alle damals, und sie schworen auf der Stelle, alles zu tun, was ich ihnen befehlen würde. Ich sagte dann, sie sollten den Übergang öffnen. Die Fernsehbilder gingen um die Welt. Die Umstände, unter denen es zur Grenzöffnung in jener Nacht kam, werden bis heute vernebelt. Mir ist es recht.

Ich bin dann mit rüber, mit den Massen. Ich habe mir im Westen eine neue Identität zugelegt. Mit anderer Frisur und anderer Brille hält mich niemand mehr für meinen berühmten Doppelgänger. Aber vorher habe ich mir noch einen Spaß gegönnt und mit Erichs Gesicht Begrüßungsgeld abgeholt.

Heute bin ich Rentner. Ich führe ein unauffälliges, ruhiges Leben. Ich habe doch noch geheiratet und bin sehr glücklich. Wir haben einen Hund und einen Schrebergarten. Und wir fahren einen Zitrön.

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Es war einmal ein armer Fahrkartenkontrolleur, der wohnte mit seiner Frau in einem alten Pissoir in der Nähe eines Bahnhofes. Tagein, tagaus kontrollierte er die Fahrscheine irgendwelcher ihm völlig unbekannter Reisender, ab und zu erwischte er einen Schwarzfahrer, kassierte erhöhtes Beförderungsentgelt und war es zufrieden.

Eines Tages erwischte er beim Kontrollieren einen Mann ohne Fahrkarte. »Hör mal«, sagte der blinde Passagier, »ich bin gar kein normaler Fahrgast. Ich bin ein verwunschener Prinz. Ich bin erst seit Kurzem verwunschen und habe noch nicht verinnerlicht, dass man laut Personenbeförderungsordnung stets einen gültigen Fahrausweis mit sich zu führen hat. Ich bin es noch gewohnt, in der Limousine gefahren zu werden. Lass mich doch noch einmal ungeschoren davonkommen, es kommt auch gewiss kein zweites Mal vor.«

»Na so was«, dachte der Kontrolleur, »ein Fahrgast, der sprechen kann.« Und er ließ den Mann gehen, ohne eine Strafgebühr zu kassieren.

Als er nach Hause kam, fragte ihn sein Weib: »Hast du heute gar nichts eingenommen?«

»Ach, da war einer«, sagte der Mann, »aber der konnte sprechen und war ein verwunschener Prinz, da habe ich ihn laufen lassen.«

»Das war nicht klug von dir«, sagte die Frau, »du hättest dir wenigstens etwas wünschen können.«

»Was hätte ich mir denn wünschen sollen?«

»Wir leben hier in einem alten Pissoir, das ist doch eklig, dabei sollten wir in einer Eigentumswohnung wohnen, mit Dachterrasse. Geh hin, zu dem Schwarzfahrer, und wünsch dir eine Eigentumswohnung mit Dachterrasse. Er tut es gewiss gerne.«

So ging der Mann zum Bahnsteig und rief: »Manntje, Manntje, Timpe To / Fahrgast aus dem Bordbistro / meine Frau die Ilsebill / will nicht so, wie ich wohl will.«

»Was will sie denn?«, fragte eine Stimme von hinten, denn hinter ihm stand der verwunschene Reisende, an einem Stehtisch des Schlemmerstübchens, wo er, seit er das Bordbistro verlassen hatte, bei Bier und Jägermeister hängen geblieben war, zusammen mit den anderen verwunschenen Prinzen, die dort tagein, tagaus an den Stehtischen standen, bei Bier und Jägermeister.

»Ach, sie will eine Eigentumswohnung mit Dachterrasse«, sagte der Kontrolleur.

»Geh nach Hause, sie sitzt bereits dort«, sagte der Schwarzfahrer.

Als der Kontrolleur nach Hause kam, stand da anstelle des alten Pissoirs eine Eigentumswohnung und oben drauf auf der Wohnung war eine Terrasse und dort stand seine Frau und keifte auf die Besoffenen hernieder, die ihren alten Gewohnheiten folgend gegen die neue Eigentumswohnung pinkelten, da das alte Pissoir verschwunden war. Die Wohnung war gut geschnitten und verfügte über Kabelanschluss und Internet. Der Mann sagte: »Nun wollen wir zufrieden sein.« Aber die Frau sprach: »Das wollen wir uns bedenken.«

Nach einigen Wochen beklagte sich die Frau, sie wolle eine Waschmaschine haben, mit Trockner. »Geh hin zum Schwarzfahrer«, sagte sie, »kann er Eigentumswohnungen machen, vermag er gewiss auch solches.«

Dem Mann war unwohl, aber er traute sich nicht, seiner Frau zu widersprechen, denn sie hatte einen feministischen Background bekommen, als der Mann mal nicht aufgepasst hatte. Also ging er zum Bahnsteig und rief: »Manntje, Manntje, Timpe Tube / Fahrgast aus der Schlemmerstube / meine Frau die Ilsebill / will nicht so, wie ich wohl will.«

»Was will sie denn?«

»Eine Waschmaschine mit Trockner.«

»Geh nach Hause, sie hat sie schon.«

Als der Mann nach Hause kam, wusch dort die Maschine bereits. Die speckige Jacke, mit der der Kontrolleur immer kontrollieren ging, wirbelte hinter dem Bullauge der Waschmaschine herum, dass dem Kontrolleur ganz schwindlig wurde vom Hinsehen. Er sagte: »Nun wollen wir zufrieden sein.« Aber die Frau sprach: »Das wollen wir uns bedenken.«

Einige Zeit später wünschte sich die Frau einen Herd mit Cerankochfeld, eine Mikrowelle, eine Geschirrspülmaschine. Jedes Mal ging der Kontrolleur zum Bahnsteig und rief: »Manntje, Manntje, Timpe Tube / Fahrgast aus der Schlemmerstube / meine Frau die Ilsebill / will nicht so, wie ich wohl will«, und jedes Mal erfüllte der Schwarzfahrer die Wünsche der Frau des Kontrolleurs. Und jedes Mal sagte der Mann: »Nun wollen wir zufrieden sein.« Aber die Frau erwiderte stets: »Das wollen wir uns bedenken.«

Eines Tages nun dachte sich die Frau: »Was soll ich immer die Spülmaschine einräumen mit dem dreckigen Geschirr.« Und sie wünschte sich, dass ihr Ehemann immer die Spülmaschine einräumt. Der Mann dachte erst, er habe sich verhört, und er rieb sich die Ohren, aber die Frau sagte: »Wenn ich weiter die Spülmaschine einräumen muss, das halte ich nicht aus.« Der Mann fürchtete sich und sagte: »Frau, das geht nicht. Das kann der Schwarzfahrer unmöglich machen. Nein, ich gehe nicht.« Da kam die Bosheit über sie und sie schrie: »Gehst du wohl! Wenn ich weiter die Spülmaschine einräumen muss, halte ich es nicht mehr aus!«

Da ging der Mann zum Bahnsteig und rief: »Manntje, Manntje, Timpe Tube / Fahrgast aus der Schlemmerstube / meine Frau die Ilsebill / will nicht so, wie ich wohl will.«

»Was will sie denn?«

»Einen Mann, der immer die Spülmaschine einräumt.«

Da drückte der Schwarzfahrer dem Kontrolleur seine Bierflasche in die Hand, und ging zu des Kontrolleurs Frau, um bei ihr zu wohnen, in der Eigentumswohnung mit Dachterrasse, und um die Spülmaschine einzuräumen. Der Kontrolleur aber lebte fortan im Schlemmerstübchen am Bahnsteig. Das gefiel ihm gut. Sein Arbeitsweg war jetzt auch viel kürzer. So lebten alle glücklich und zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Und die Moral von der Geschichte? Erstens: Für einen Kontrolleur zahlt es sich irgendwann einmal aus, wenn er einen Schwarzfahrer davonkommen lässt. Zweitens: Ein feministischer Background hat noch keiner Frau geschadet. Und drittens: Schwarzfahrer haben’s auch nicht immer leicht.

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