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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der

gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Kat Martin

Feuerhimmel

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Constanze Suhr

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MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Against The Fire

Copyright © 2011 by Kat Martin

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Arcangel; Thinkstock / Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz;

A Street Photography, Mary Anne Stimpfling

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-416-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

1. KAPITEL

Das Heulen der Sirenen nahm er erst gar nicht wahr. Erschöpft von einem harten Arbeitstag, schlief Gabriel Raines tief und fest. Erst als der schrille Ton näher kam und das flackernde rote Licht an den Schlafzimmerwänden reflektierte, registrierte er den Alarm unbewusst.

Gabe öffnete die Augen und war wie zu seiner Zeit als Marine sofort hellwach. Er war zwar schon lange nicht mehr im Corps, aber manche Angewohnheiten legte man einfach nie ab.

Der hohe, lang gezogene Alarmton schwoll einen Augenblick an, als das Löschfahrzeug direkt unter dem Fenster seiner Eigentumswohnung im Zentrum von Dallas entlangraste. Dann wurde er immer leiser, je weiter der Wagen sich entfernte. Seufzend drehte sich Gabe um und sah auf die roten Ziffern seines Weckers. Halb vier.

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, ließ sich zurück aufs Kissen fallen und hoffte, dass er verdammt noch mal wieder einschlafen würde.

Vielleicht wäre ihm das auch gelungen, wenn sein Handy nicht geklingelt hätte.

Das Heulen der Sirene war plötzlich verstummt. Die Feuerwehr schien ihr Ziel erreicht zu haben, was bedeutete, dass es ganz in der Nähe war. Kurz darauf ertönte das Signal eines zweiten Einsatzwagens und schrillte durch die Nacht. Gabe streckte die Hand nach seinem Handy aus, das auf dem Nachttisch lag. Er klappte es auf und hielt es sich ans Ohr.

„Wer auch immer jetzt anruft“, stieß er barsch aus. „Ich hoffe, es ist wirklich wichtig.“

„In den Dallas Towers brennt es“, drang die Stimme seines Vorarbeiters Sam McBride durch die Leitung. „Sieht so aus, als würde unsere ganze harte Arbeit in Flammen aufgehen.“

Gabe spürte, wie Adrenalin durch seine Adern schoss. Er schwang seine langen Beine aus dem Bett und setzte sich auf. „Bist du sicher, dass es die Towers sind?“

„Ich war auf dem Weg nach Hause, etwa einen Block entfernt. Da habe ich den ersten Einsatzwagen gehört. Als ich gesehen habe, dass er in Richtung Towers fährt, wollte ich genau wissen, was los ist.“

Gabe war bereits auf den Beinen. Das Handy noch fester ans Ohr gepresst, fragte er: „Hast du gesehen, welcher Gebäudeteil betroffen ist?“

„Ich habe Flammen aus der Lobby schießen sehen.“

„Verfluchter Mist!“ Sie waren mit der Hauptsanierung der aufwendig gestalteten Marmorlobby im Tower fast fertig gewesen. Fast.

Gabe atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Wenn du gerade erst auf dem Weg nach Hause warst, musst du ja ein heißes Date gehabt haben.“

„Ich bin nicht über Nacht geblieben.“

Sam war genauso wie Gabe Single. Beide Männer wohnten im Stadtzentrum. Die ehemals verwahrloste Gegend war saniert und mit Läden und Boutiquen zu einem schicken kleinen Viertel wiederbelebt worden. Gabe hatte das Apartmenthaus gebaut, in dem Sam wohnte, genauso wie das Las-Posas-Gebäude, in dem seine eigene Wohnung lag.

„Ich bin in fünfzehn Minuten da.“

Gabe klappte das Handy zu. Er hätte sich eigentlich denken können, dass sein Glück nicht lange anhalten würde. Nach seiner Erfahrung lauerte immer das Pech in der Nähe, wenn gerade alles im Leben wie geschmiert lief.

Nackt lief er zum Kleiderschrank aus Eichenholz an der gegenüberliegenden Wand, um Boxershorts und Socken aus der Schublade zu ziehen. Dann nahm er noch ein Paar Jeans und sein Dallas-Cowboys-Shirt aus dem Schrank. Seine zahlreichen auf dem Schrankboden aufgereihten Westernboots ignorierte er und schlüpfte stattdessen in die schweren Lederstiefel, die er immer zur Arbeit trug.

Wenige Minuten später verließ Gabe seine Wohnung. Mit seinem großen weißen Pick-up GMC fuhr er so nah wie möglich an die Tower heran und parkte am Straßenrand. Rauchschwaden und Flammen drangen durch die offenen Glastüren der Lobby. Die Löscharbeiten waren bereits in vollem Gange; die Feuerwehrleute hatten drei wuchtige Wasserschläuche aus verschiedenen Richtungen auf das Gebäude gerichtet. Mit etwas Glück wäre das Feuer unter Kontrolle, bevor es die Büros darüber erreichen konnte.

Die schlechte Nachricht war allerdings, dass die Eingangshalle noch einmal komplett saniert werden musste.

Verfluchter Mist!

„Wenigstens war das Gebäude versichert.“ Sam McBride kam ihm entgegen. Er war mit seinen eins neunundachtzig fast so groß wie Gabe. Im Gegensatz zu Gabe mit seinem dunklen Haar, den blauen Augen und muskulösem Körperbau war Sam blond und drahtig. Zusätzlich zu der Tatsache, dass er in Gabes Firma verdammt gute Arbeit leistete, war er sein bester Freund.

„Immerhin etwas! Aber das wirft unseren Arbeitsplan um einiges zurück. Ich hatte eigentlich gehofft, hier ziemlich bald abschließen zu können und mit den Jungs die restlichen Projekte fertig zu machen.“

„Daraus wird wohl nichts“, erwiderte Sam.

Gabe hob den Kopf, als einer der Feuerwehrmänner in voller Montur auf ihn zukam: Feuerschutzanzug, Helm, Schutzbrille und hohe Gummistiefel.

„Bitte treten Sie ein Stück zurück“, forderte der Mann sie auf, „Sie stehen sonst im Weg.“

„Ich bin Gabriel Raines. Meine Firma hat die Lobby hier renoviert. Da drinnen ist noch eine ganze Menge von unserem Arbeitsgerät.“

„Das tut mir leid, Mr Raines. In der Eingangshalle ist fast alles zerstört. Das Feuer war ziemlich heftig. Wir sind froh, dass wir das so schnell unter Kontrolle bekommen haben.“

Betroffen sah Gabe ihn an. „Ich hoffe, es ist niemand verletzt worden.“

„Nicht dass wir wüssten.“

„Wie ist das passiert?“

„Zu früh, um dazu was sagen zu können. Wenn hier gerade gebaut wurde, lag sicher eine Menge brennbares Material herum. Farbverdünner, Lappen, alles, was die Flammen so richtig schön anheizt.“

„Normalerweise achten wir immer darauf, nach einem Arbeitstag alles zusammenzuräumen und nichts rumliegen zu lassen.“

„Wie ich schon meinte, es ist noch zu früh, um was zu sagen. Unsere Experten werden sich das alles nachher genau ansehen, inklusive des Überwachungsvideos.“

Gabe schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, da werden Sie kein Glück haben. Die alten Kameras sind abmontiert worden. Das neue System war noch nicht installiert.“

„Wer wusste alles davon?“

„Nicht viele. Das Ersetzen der alten Kameras war eine ziemlich spontane Entscheidung der Geschäftsführung. Nur wenige Leute waren darüber informiert.“

Der Feuerwehrmann nickte ihnen zu und verschwand wieder in Richtung Einsatzstelle. Auf dem Weg blieb er bei einem anderen Mann in blauer Uniform stehen, um mit ihm ein paar Worte zu wechseln. Der Kollege hatte grau meliertes Haar und war etwa Ende vierzig. Gabe hatte gesehen, wie der Mann sich unter die Gruppe der Schaulustigen gemischt und ihnen Fragen gestellt hatte. Jetzt kam er zu Gabe und Sam herüber.

„Ich bin Captain Daily vom Dezernat für Brandstiftung“, stellte er sich vor. „Sie sind Gabriel Raines?“

„Richtig.“

„Wie ich hörte, war Ihre Firma dabei, die Eingangshalle zu sanieren.“

„Tatsächlich waren wir fast fertig damit.“

„Wir sind uns noch nie begegnet, aber ich weiß, wer Sie sind. Sie haben mal meinem Vater geholfen, Jim Daily – erinnern Sie sich an ihn? Er brauchte eine Genehmigung, um seine Reinigung um einen Raum zu erweitern. Es war ein altes Gebäude, und die Verwaltung hat ihm deshalb ziemlichen Ärger gemacht. Sie haben ein gutes Wort für ihn eingelegt, und er hat das Stück Papier bekommen. Dafür war ich Ihnen sehr dankbar.“

„Ich mochte Ihren Vater. Es tat mir leid, als ich von seinem Tod erfuhr.“

„Er war ein guter Mann.“ Daily straffte die Schultern und nahm wieder seine professionelle Haltung ein. Er warf einen Blick auf die zerstörte Eingangshalle der Tower. „Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“

„Kein Problem. Das hier ist mein Vorarbeiter, Sam McBride.“

Daily nickte Sam zu und wandte sich dann wieder an Gabe.

„Wann sind Sie hier angekommen?“

„Ungefähr vor zwanzig Minuten. Wir wohnen beide in der Nähe. Sam kam gerade von einer Verabredung nach Hause. Er ist dem Einsatzwagen gefolgt und hat mich angerufen.“

„Haben Sie irgendjemanden beim Betreten oder Verlassen des Gebäudes beobachtet?“

„Sie haben schon gelöscht, als ich hier ankam“, erwiderte Gabe. „Ich habe niemand anderen gesehen.“

Daily drehte sich zu Sam um. „Und Sie?“

Sam blickte zu der Einsatztruppe hinüber, die auf dem Gelände bereits mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt war. „Bei meinem Eintreffen war der erste Löschwagen schon da. Ich habe die Flammen in der Lobby gesehen und sofort Gabe angerufen. Während ich auf ihn wartete, habe ich euch bei der Arbeit beobachtet. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich die Schaulustigen hier einfanden. Nein, ich habe niemanden gesehen, der ins Gebäude gegangen oder rausgekommen ist.“

Der Captain nickte. „Der Feuerwehrmann, mit dem Sie gesprochen haben … Mike Dougherty. Er meint, die Überwachungskameras wären abmontiert.“

„Das schien für niemanden ein Problem zu sein. Während der Bauarbeiten ist keiner durch die Lobby gegangen.“

„Ich brauche eine Liste von den Leuten, die davon wussten.“

„Kein Problem.“

„Vielen Dank. Wir werden uns bei Ihnen melden, wenn wir noch Fragen haben.“ Daily drehte sich um und lief wieder zur Einsatzstelle hinüber, wo die Löscharbeiten fast schon beendet waren. Er mischte sich unter die Gruppe der Schaulustigen.

Gabe und Sam sahen den Feuerwehrleuten eine Weile bei der Arbeit zu. Nach und nach begann der Rauch dünner zu werden, einer der Wasserschläuche war bereits ausgestellt.

„Meinst du, wir könnten irgendwie dafür verantwortlich sein?“, fragte Gabe.

„Ich war bis zum Feierabend hier. Wir haben alles ordentlich und sauber hinterlassen.“ Sam schüttelte den Kopf. „Es war fast fertig.“

„So was kann passieren.“

„Da hast du wohl recht.“

„Wenigstens hat man das Feuer ziemlich schnell unter Kontrolle bekommen, und es scheint niemand verletzt worden zu sein. Ich werde Fred Parsons anrufen, um zu hören, was wir jetzt tun sollen.“ Parsons war der Geschäftsführer des Hauses. Er hatte Raines Construction beauftragt, die Renovierungsarbeiten durchzuführen. Der Besitzer wollte die Eingangshalle so schnell wie möglich fertiggestellt haben, damit der Betrieb im Haus wieder normal weitergehen konnte. Sicher erwartete Parsons, dass seine Truppe so bald wie möglich wieder anfing.

„Und mit Rich Simmons werde ich auch sprechen“, sagte Gabe. Simmons arbeitete für die American Insurance. „Wir müssen den Schaden bei der Versicherung melden.“ Aber selbst dann würde das Ganze ziemlich teuer werden.

Sam klopfte ihm auf den Rücken. „Ich glaube nicht, dass einer von uns beiden noch ein Auge zumachen kann. Lass uns irgendwo frühstücken.“

Damit hatte er vollkommen recht. Am Horizont zeigte sich bereits ein blasser grau-rosa Streifen. Gabes Team begann um sieben mit der Arbeit. Und obwohl sie hier für eine Weile nichts mehr tun konnten, gab es noch genug bei den anderen Bauprojekten zu erledigen, die sie hier in der Gegend ausführten.

„Mrs Olson?“, fragte Gabe. In diesem Café an der Straßenecke wurde das beste Frühstück in der Stadt serviert, und das Lokal öffnete früh.

„Ja. Ich könnte wirklich eine Tasse Kaffee gebrauchen.“

Gabe sah auf seine schwere Armbanduhr. „Es ist nach fünf. Sollte inzwischen schon offen sein.“

Sie kletterten beide in Gabes Pick-up. In großen Lettern prangte unübersehbar sein Firmenname auf der Tür. Die Schrift blitzte im Licht der Morgendämmerung. Er warf den riesigen, benzinfressenden Motor seines V-8 an, den er bei nächster Gelegenheit durch ein sparsames Modell ersetzen wollte, und fuhr los.

Sein Magen knurrte. Ein großer Teller mit Schinken und Eiern erschien ihm inzwischen äußerst verlockend. Das könnte ihn vielleicht von den Gedanken ablenken, dass er mit den Arbeiten an der verfluchten Lobby des Towers nun noch einmal von vorn anfangen musste.

Gabe arbeitete den ganzen Vormittag an seinem Lieblingsprojekt – dem Wiederaufbau eines alten Lichtspieltheaters, das ihm gehörte. Das Backsteingebäude im Stadtteil Deep Ellum war einmal ein Kino gewesen, und zwar zu Zeiten, als diese noch aufwendig und elegant ausgestattet gewesen waren. Die Decken hatte man mit einer Menge Blattgold und kräftigen Farben handbemalt. Jedenfalls war das noch zu Glanzzeiten des Gebäudes so gewesen. Die Türen, durch die man in den Kinosaal eintrat, wurden zu beiden Seiten von vergoldeten ägyptischen Statuen bewacht.

Von all dem war nicht mehr allzu viel vorhanden gewesen, als Gabe mit der Renovierung begonnen hatte. Die roten Samtsessel hatte der Regen, der jahrelang durch ein Loch im Dach eingedrungen war, vollkommen ruiniert. Sie waren verrostet und voller Schimmelflecken gewesen. Aber die Bausubstanz des Hauses war noch in Ordnung. Nachdem Gabe die Backsteinmauern verstärkt hatte, waren sie wieder robust genug.

Dieses Gebäude hatte ihn nur einen Apfel und ein Ei gekostet – und eine Menge Entschlossenheit. Er wollte sehen, wie sich dieses Art-déco-Theater wieder in seiner vollen Blüte entfaltete und in Betrieb genommen wurde. Bisher hatte er bereits mit mehreren lokalen Theatergruppen und den Veranstaltern des Deep Ellum Arts Festivals verhandelt. Gabe war sich sicher, dass die Spielstätte großes Interesse wecken würde, sobald er das elegante Interieur restauriert hatte.

Er liebte das Flair dieser alten Zeiten, seit er in Wyoming aufgewachsen war. Wind Canyon war eine echte Westernstadt. Obwohl er und seine Brüder damals in einem heruntergekommenen Haus neben den alten stillgelegten Eisenbahnschienen gelebt hatten, hatte dort seine Liebe zum alten Westen mit den hölzernen Bürgersteigen, den Saloons mit den langen Theken und den Ranches im Umland ihren Ursprung.

Alle drei Raines-Brüder hatten Wind Canyon sofort nach der Highschool verlassen. Aber vor ein paar Jahren war sein älterer Bruder Jackson zurückgekehrt. Er hatte mit seinem Ölgeschäft einen Haufen Geld gemacht und sich dann um die fünftausend Quadratmeter bestes Weideland gekauft und die alte Farm Raintree Ranch getauft.

Gabe hatte Wind Canyon verlassen, um zu den Marines zu gehen. Nach vier Jahren hartem Dienst war er nach Dallas gezogen. Mit Jacksons Hilfe hatte er sein erstes Bauobjekt erworben, es renoviert und wieder verkauft. Die Arbeit und das Geld, das er damit verdiente, gefielen ihm, also hatte er das nächste Haus in Angriff genommen.

Damals brodelte der Immobilienmarkt, und Gabe konnte richtig schuften. Es hatte nicht lange gedauert, bis er genug zusammenhatte, um seine eigene Firma zu gründen. Seitdem war sein Unternehmen immer weiter gewachsen. Auf Jacksons Rat hatte er auch noch etwas von seinem sauer verdienten Geld in Aktien von Wildcat Oil angelegt, der Firma, in der sein Bruder als Geologe gearbeitet hatte. Auch damit hatte er Geld gemacht.

Gabe war clever genug gewesen, um die Rezession kommen zu sehen. Mit einigen Veränderungen in seinem Unternehmen konnte er verhindern, wie so viele andere im Baugewerbe bankrottzugehen. Wie er herausfand, gab es eine Menge Möglichkeiten, Steuerkredite und Leistungsprämien für Innenstadtsanierung und Sanierung von Stadtvierteln zu erhalten. Darum hatte er sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem auf solche Projekte konzentriert. Diese Art der Restaurierung gefiel ihm sogar noch besser. Es war eine Freude, ein heruntergekommenes und verlassenes Viertel wieder zum Leben zu erwecken und zu sehen, wie positiv das auf die Bewohner wirkte.

Gabe griff nach der Nagelmaschine. In letzter Zeit hatte er nicht oft die Gelegenheit, die Zimmererarbeiten selbst zu erledigen. Aber wenn er neben all den Geschäftstreffen und dem Lösen von Problemen auf den verschiedenen Baustellen etwas Luft hatte, legte er gern selbst Hand an. Das war es letztendlich, was ihm überhaupt die Gründung eines eigenen Unternehmens ermöglicht hatte.

Das Kreischen der Säge nebenan verstummte plötzlich, und Gabe schaute auf. Zwei uniformierte Polizisten schlenderten den Gang entlang auf ihn zu. Er legte die Nagelpistole beiseite, stand auf und sprang von der Bühne, um den beiden entgegenzugehen.

„Sie sind Gabriel Raines?“, erkundigte sich der erste Beamte, auf dessen Namensschild „Gonzales“ stand.

„Das bin ich, ja. Was kann ich für Sie tun?“

„Bei dem Feuer in den Towern handelt es sich definitiv um Brandstiftung. Wir haben einen Verdächtigen festgenommen. Wir möchten, dass Sie uns begleiten und einen Blick auf ihn werfen. Vielleicht haben Sie ihn gestern Nacht in der Gegend gesehen.“

Brandstiftung. Gabe hatte gehofft, dass es sich um einen Kurzschluss oder Ähnliches gehandelt hätte. „Natürlich, kann ich machen.“

Mit Officer Gonzales, der die scharfen Züge eines erfahrenen, abgehärteten Polizisten hatte, und Delaney, seinem jungen Partner mit Babyface, lief Gabe den Gang zurück zum Ausgang.

„Sie können mit uns fahren oder uns auch in Ihrem eigenen Wagen folgen, wenn Ihnen das lieber ist“, schlug Gonzales vor, während sie in die warme Septemberluft hinaustraten.

Gabe betrachtet den weiß-blauen Streifenwagen und schüttelte den Kopf. „Danke, ich treffe mich mit Ihnen dort.“ Als Junge hatte er mehr als einmal auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens gesessen. In der Highschool waren die drei Raines-Brüder ein echtes Höllentrio gewesen. Damals hatte die halbe Stadt ständig damit gerechnet, dass sie irgendwann im Gefängnis landeten.

Steve Whitelaw, der Boxtrainer der Schule, hatte Jacksons Talent erkannt. Gabes älterer Bruder war jahrelang Straßenkämpfer gewesen, und zwar ein ziemlich gefürchteter. Whitelaw brachte ihn dazu, mit den Schlägereien aufzuhören und mit dem Boxen anzufangen. Er zeigte ihm, dass dieser Sport auch einen Weg aus der Armut bedeuten konnte, in der die Jungen aufwuchsen. Und Jackson veränderte sich.

Nachdem das passiert war, bemühte sein Bruder sich darum, dass er und Devlin ebenfalls ihr wildes Leben aufgaben. Was sie auch taten. Größtenteils jedenfalls.

Gabe erreichte das Revier ein paar Minuten später und schob sich durch die Doppelglastür am Eingang. Eine Polizeibeamtin am Empfangstresen kündigte einigen Kollegen im hinteren Raum seine Ankunft an. Wenige Minuten darauf erschien der Brandstiftungsinspektor der Feuerwehr mit dem grau melierten Haar, an den er sich vom gestrigen Abend erinnerte, im Warteraum.

„Vielen Dank, dass Sie gekommen sind“, begrüßte Captain Daily ihn. Gabe wusste, dass das Dezernat für Brandstiftung mit der Feuerwehr von Dallas zusammenarbeitete.

„Keine Ursache.“

„Wir denken, wir haben den Jungen gefunden, der das Feuer in den Towern gelegt hat.“

„Den Jungen?“

„Er ist siebzehn. Die Polizei hat ihn in der Nachbarschaft aufgegriffen – bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle. Sein Rücklicht war kaputt. Einer der Beamten erinnerte sich daran, dass er vor ein paar Jahren schon mal ein Feuer gelegt hat.“

„Und Sie wollen jetzt wissen, ob ich ihn gestern Abend gesehen habe.“

„Wir haben eine Gruppengegenüberstellung vorbereitet. Mal sehen, ob Sie ihn wiedererkennen.“

„Okay. Aber ich habe nicht sehr viel von dem mitbekommen, was um mich herum passiert ist. Die meiste Zeit habe ich den Feuerwehrleuten bei der Arbeit zugesehen.“

„Es ist einen Versuch wert.“

„Sicher.“ Gabe folgte dem Untersuchungsbeamten einen langen grellweiß gestrichenen Flur entlang zu einem winzigen Zimmer mit Glasfenster, das den Blick auf die Verdächtigen ermöglichte. Fünf Typen verschiedenster Größe und Herkunft standen auf einem Podest an der gegenüberliegenden Wand. Alle waren ziemlich jung. Einer von ihnen kam Gabe vage bekannt vor.

Das Bild eines kleinen muskulösen Jungen mit dunkler Haut und dichtem schwarzen Haar erschien vor seinen Augen. Er hatte neben einem anderen gestanden, der ungefähr in seinem Alter und wahrscheinlich ebenfalls ein Latino war.

„Nummer drei“, sagte Gabe. „Ich habe ihn gestern Abend zusammen mit einem anderen Jungen gesehen. Sie standen auf dem Bürgersteig, als ich ankam.“

Daily nickte. „Ihr Freund, Mr McBride, war vor zwei Stunden hier und hat denselben Jungen erkannt. Sein Name ist Angel Ramirez. Es sieht so aus, als hätten wir den Täter.“

Gabe sah wieder durch die Scheibe zu dem Jungen hinüber, der gerade hinausgeführt wurde. „Was sagt er denn dazu?“

„Er behauptet, gestern Abend nicht in der Nähe des Feuers gewesen zu sein. Wäre interessant, was er jetzt meint.“

„Sie erwähnten, er hätte schon mal einen Brand gelegt?“

Daily nickte. Er öffnete die Tür und führte Gabe aus dem Zeugenraum. „Vor drei Jahren. Da hat er ein altes verlassenes Haus angezündet. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber das Gebäude war vollkommen zerstört. Der Junge hat für seinen kleinen Streich zwei Jahre Jugendknast bekommen. Nach zwölf Monaten ist er wegen guter Führung entlassen worden. Da wundert man sich.“

Daily begleitete Gabe den Flur hinunter zum Ausgang.

„Wie gesagt, vielen Dank, dass Sie hergekommen sind.“ Der Captain streckte die Hand aus, Gabe ergriff sie und schüttelte sie.

„Viel Erfolg bei Ihrer Untersuchung“, wünschte er auf dem Weg in den Warteraum. Als er die Ausgangstüren fast erreicht hatte, kam eine Rothaarige wie ein Wirbelwind durch die Doppelglastür hereingestürzt und baute sich vor dem Empfangstresen auf.

„Entschuldigung. Mein Name ist Mattie Baker. Ich muss unbedingt mit dem verantwortlichen Beamten sprechen, der die Untersuchung im Fall der Brandstiftung in den Dallas Towers führt!“

Gabe blieb stehen und betrachtete die Frau genauer. Etwa eins sechzig, Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. Schlank, aber mit netten Rundungen, soweit man das unter diesem konservativen braunen Kostüm, das sie mit einer blassgelben Bluse kombiniert hatte, beurteilen konnte. Wunderbar geformte Beine jedenfalls, und dann das Haar. Es war nicht einfach kastanienbraun, sondern hatte einen intensiven Rotschimmer – es erinnerte ihn an die Flammen gestern Abend.

Gabe musste innerlich grinsen. Diese Lady konnte man einfach nicht übersehen. Die Sommersprossen auf der Nase und die hohen Wangenknochen taten ihr Übriges. Diese Kleidung und wie sie ihr herrliches Haar im Nacken zu einem festen Knoten gebunden hatte, ließen in ihm unwillkürlich die Frage aufkommen, was für eine Frau sie wohl sein mochte.

Inzwischen neugierig geworden, wartete Gabe geduldig, während die blonde Beamtin hinterm Tresen etwas in ihren Computer eintippte und der Lady dann Auskunft gab.

„Der Beamte, der die Untersuchung leitet … Das ist Captain Thomas Daily. Ich nehme an, Sie können ihm ein paar Hinweise in Bezug auf den Brand gestern geben.“

„Allerdings.“

„Der Captain ist im Haus. Ich werde ihm ausrichten, dass Sie ihn sprechen wollen.“

Was Frauen betraf, so gehörte Gabe mehr zu den Gejagten als den Jägern. Aber diese Lady hatte etwas an sich, das ihn faszinierte.

Er ging die paar Schritte zum Tresen zurück. „Miss Baker?“

Beim Klang seiner Stimme drehte sie sich um. „Ja?“

„Mein Name ist Gabriel Raines. Meine Firma war mit der Sanierung der Tower beauftragt. Es ließ sich nicht vermeiden, dass ich gerade mitgehört habe … Ich nehme an, Sie haben Informationen zu dem Fall?“

„Eigentlich bin ich hier wegen eines Freundes.“ Sie warf kurz einen besorgten Blick den Gang hinunter zu dem Raum, in dem Gabe gerade den Verdächtigen identifiziert hatte. „Die Polizei glaubt, dass er etwas mit der Brandstiftung zu tun hat.“

„Und Sie nicht?“

„Nein. Angel würde so etwas nie tun.“

„Soweit ich unterrichtet bin, hat er vor drei Jahren schon mal ein Feuer gelegt. Ich habe ihn gestern auch vor den Towern gesehen. Wenn er nichts damit zu tun hat, warum war er dann dort?“

Aus ihren großen blauen Augen, die etwas heller als seine eigenen waren, starrte sie ihn ungläubig an. „Sie … Sie haben Angel gestern dort gesehen? Bei den Towern?“

„So ist es. Er und ein anderer Junge standen auf dem Bürgersteig, als ich aus meinem Truck gestiegen bin. Es war immer noch ziemlich früh. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch nicht so viele Schaulustige, deshalb kann ich mich auch an ihn erinnern.“

Sie ließ kurz die Schultern sinken, dann richtete sie sich wieder gerade auf. „Ich muss mit ihm reden. Dafür gibt es bestimmt eine Erklärung.“

„Entschuldigung, Miss Baker“, mischte sich die Beamtin vom Empfangstresen ein. „Captain Daily möchte Sie jetzt sprechen.“

Gabe zog seine Brieftasche hervor und reichte Mattie Baker eine Visitenkarte. „Wenn ich irgendwas tun kann, lassen Sie mich es wissen.“

Mattie nahm die Karte an sich. „Danke, das werde ich.“

„Viel Glück!“, sagte er. Das würde sie wohl brauchen, wenn sie vorhatte, dem Jungen zu helfen.

Die Beamtin zeigte den Gang hinunter, wo Captain Daily gerade auftauchte. Mattie eilte ihm entgegen. Ein paar Strähnen ihres feurigen Haars hatten sich aus dem Knoten in ihrem Nacken gelöst. Gabe ging auf die Tür zu und fragte sich, ob er Mattie Baker jemals wiedersehen würde.

Und das, Teufel noch mal, hoffte er sehr.

2. KAPITEL

„Ich hab’s nicht getan, Mattie!“ Angel rutschte nervös auf seinem Stuhl ihr gegenüber herum. Er war kleiner als andere Jungen in seinem Alter, etwa eins fünfundsechzig, mit leicht stämmigem Körperbau und weit auseinanderliegenden braunen Augen. Aber er war ein hübscher Typ und ziemlich intelligent. Jedenfalls meistens.

„Ich hab vor drei Jahren meine Lektion gelernt“, fuhr er fort. „So was würde ich nie wieder tun!“ Er blickte zu ihr hoch, und sie sah die Furcht in seinen Augen. „Sie glauben mir doch, oder?“

Mattie seufzte. „Wenn du sagst, du hast das Feuer nicht gelegt, dann glaube ich dir das. Sag mir bloß, was du gestern Nacht in der Stadt gemacht hast.“

Angel wich ihrem Blick aus.

„Angel, bitte sieh mich an!“ Er blickte betrübt hoch. „Du wohnst in Oak Cliff. Gestern Nacht hat man dich an der Brandstelle gesehen. Ich muss wissen, was du so weit weg von zu Hause gemacht hast.“

Seine Hand, die auf der Tischplatte lag, zuckte leicht. „Ich bin herumgefahren. Dann habe ich das Feuer gesehen und bin da hin, um zuzusehen, so wie die anderen alle. Das ist doch kein Verbrechen, oder?“

Mattie ging nicht auf diese Bemerkung ein. „Die Polizisten meinten, du wärst noch mit jemand anderem da gewesen. Wer war das denn?“

Angel schüttelte den Kopf. „Ich war allein. Und ich habe das Feuer nicht gelegt.“

„Okay, du hast das Feuer nicht gelegt. Aber du verheimlichst mir doch irgendwas! Ich kann dir nicht helfen, wenn du mir gegenüber nicht ehrlich bist.“

Er schluckte, und ganz kurz war ein Glitzern in seinen Augen zu sehen. „Ich hab das Feuer nicht gelegt.“

Mattie seufzte frustriert. „Dann sag mir doch mal …“

„Ihre Zeit ist um, Miss Baker.“ Ein Polizist stand an der Tür. „Sie müssen jetzt gehen.“

Sie war überrascht, dass sie sie überhaupt zu Angel hineingelassen hatten; schließlich gehörte sie weder zur Familie noch war sie seine Anwältin. Aber Captain Daily schienen die Standhaftigkeit, mit der sie den Jungen verteidigte, und ihre offensichtliche Sorge berührt zu haben.

„Ich werde dir einen Anwalt besorgen“, sagte sie im Hinausgehen. „Und ich werde dich so bald wie möglich wieder besuchen.“

Mattie verließ die kleine Zelle und lief gerade durch den Warteraum, als die Eingangstür aufgestoßen wurde und eine schwarzhaarige Frau hereinstürmte. Angels Mutter, Rosa Ramirez, entdeckte sie sofort und rannte auf sie zu. Ihre zehnjährige Tochter Elena und der siebenjährige Sohn Manny beeilten sich, um mit ihr Schritt zu halten.

„Mattie! Ich bin so froh, Sie zu sehen! Die Polizei war heute Vormittag bei uns. Sie haben Angel verhaftet. Sie denken, er hätte irgendwo in der Innenstadt Feuer gelegt!“

„In den Dallas Towers, ich weiß. Angel hat mich angerufen.“

Rosas breite schwarze Augenbrauen schossen in die Höhe. „Sie haben mit ihm gesprochen?“ Sie war eine füllige Frau mit großen Brüsten und von kleiner Statur wie ihr Sohn. „Haben Sie der Polizei gesagt, dass er unschuldig ist?“

„Ich habe gerade mit Angel gesprochen. Unglücklicherweise hat ihn gestern Abend jemand bei der Brandstelle gesehen. Das sieht nicht gut für ihn aus.“

Dios mio.“ Rosa bekreuzigte sich. „Er war es nicht! Ich weiß, dass er es nicht getan hat! Das Feuer damals … Da war er noch ein kleiner Junge, der sich gegen seinen Vater aufgelehnt hat. Aber er hat seine Lektion gelernt. Er hat gute Noten in der Schule. Später will er aufs College gehen. So was würde er nicht tun, Mattie!“

„Ich glaube auch nicht, dass er es war. Aber ich muss wissen, was er um die Zeit in dieser Gegend gemacht hat und mit wem er zusammen war. Können Sie mir helfen?“

Rosa schüttelte den Kopf. „Ich dachte, er wäre zu Hause gewesen. Dass er noch unterwegs war, habe ich gar nicht bemerkt.“

„Was ist mit dem Freund, der vielleicht dabei war? Haben Sie eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?“

„Angel hat viele Freunde.“ Sie sah zu ihren anderen beiden Kindern hinunter. „Weiß einer von euch, mit wem euer Bruder gestern Abend zusammen war?“

Die beiden schüttelten ernst den Kopf, während sie fasziniert beobachteten, wie uniformierte Polizisten den Raum durchquerten und Leute zum hinteren Teil des Reviers gebracht wurden.

„Ich möchte ihn sehen“, sagte Rosa.

„Reden Sie mit der Polizistin am Tresen, sie wird Ihnen weiterhelfen. Ich habe Angel versprochen, ihm einen Anwalt zu besorgen. Sobald die Kaution bezahlt ist, werden wir ihn hier rausholen können.“

„Kaution? Ich habe kein Geld für eine Kaution!“

„Sie dürfte nicht allzu hoch sein. Ich kümmere mich darum, Rosa.“

Rosa nahm Matties Hand und presste ihre Lippen darauf. „Gracias. Ich danke Ihnen, Mattie! Sie waren immer so gut zu unserer Familie.“

Mattie schob die füllige Frau in Richtung des Empfangstresens. „Sagen Sie, dass Sie Ihren Sohn sehen wollen.“

Rosa wandte sich um und zog ihre Kinder mit zum Tresen. Mattie war überzeugt, dass sie recht hatte und Angel unschuldig war. Aber trotzdem stimmte da was nicht.

Wollte er eine andere Person decken, die das Feuer gelegt hatte? Wenn ja, wer war es?

Und warum sollte Angel so viel für einen Brandstifter aufs Spiel setzen?

Mattie grübelte noch immer über Angels missliche Lage nach, als sie in ihrem Büro in der Innenstadt ankam. Sie durchquerte die Lobby zu den Fahrstühlen und drückte den Knopf für die vierzehnte Etage. Sie musste unwillkürlich an den störrischen Jungen denken, der Angel noch vor drei Jahren gewesen war, als sie ihn im Family Recovery Center kennengelernt hatte.

Wenn sie keine Überstunden als Architektin bei Dewalt, Greeley & Associates Design machte – ein Job, den sie liebte –, arbeitete Mattie ehrenamtlich bei dieser Organisation. Dort wurde Menschen geholfen, die häusliche Gewalt erfahren hatten. Mattie selbst hatte zwar eine glückliche Kindheit verbracht, aber ihre Freundin Tracy Spencer war das Opfer von Gewalt in der Familie gewesen. Mattie hatte das Geheimnis ihrer besten Freundin entdeckt, war aber von Tracy angefleht worden, nichts zu verraten. Mattie, damals zehn Jahre alt, hatte es versprochen.

Was sie noch immer bereute. Ihre Arbeit im FRC war so etwas wie eine Wiedergutmachung.

Sie war gerade im Zentrum gewesen, als Angel und seine Familie dorthin kamen und um Hilfe baten. Am Tag darauf war Angel erneut von seinem Vater brutal misshandelt worden. Das Feuer in diesem alten verlassenen Haus zu legen war seine hilflose Art gewesen, sich zu revanchieren.

Ein Jahr später, nachdem Angel aus dem Jugendknast entlassen worden war, hatte man Mattie mit diesem Fall beauftragt. Er war ein süßer Junge gewesen und entschlossen, sein Leben zu ändern. Für die Schule hatte er hart gearbeitet und sich auch bereit erklärt, anderen Jungen in seinem Alter im Zentrum zu helfen.

Letztendlich verbrachten sie eine Menge Zeit zusammen, und Mattie hatte ihm außerdem einen Halbtagsferienjob im Postraum ihres Büros verschafft. Mit dem Geld, das er dort verdiente, unterstützte er seine Familie.

Angel Ramirez war ein guter Kerl. Mattie glaubte nicht, dass der Teenager den Brand in den Towern gelegt hatte. Und sie war entschlossen, das zu beweisen.

Die Tür des Aufzugs öffnete sich mit einem „Pling“. Mattie stieg aus und ging den Flur entlang. Kurz darauf schob sie die Doppelglastür mit dem Schild Dewalt, Greeley & Associates Design auf und betrat die Empfangshalle der gefragten Architektenfirma.

„Mr Brewer hat wegen der Galerie nachgefragt“, sagte die hübsche Rezeptionistin Shirley Mack. „Und Ihre Mutter hat angerufen.“

Mattie nahm die Nachrichten entgegen, die Shirley ihr reichte. „Danke.“

„Wie geht es ihr denn? Ihrer Mutter, meine ich. Hat sie nicht gerade wieder geheiratet?“

„Es ist kaum zu glauben, aber das ist jetzt fast ein Jahr her. Sie und Jack scheinen glücklich zu sein.“ Ihre Mutter war bezüglich einer zweiten Ehe anfangs sehr argwöhnisch gewesen. Nach dem Tod von Matties Vater hatte sie lange gelitten und schwere Zeiten durchgemacht. Mattie hoffte, dass es ihr jetzt besser ginge.

„Na, ich freue mich jedenfalls für die beiden“, bemerkte Shirley.

„Ich mich auch.“ Mattie nahm sich vor, so bald wie möglich auf den Anruf zu reagieren. Sie telefonierten gewöhnlich mindestens zweimal die Woche. Ihre Mutter war mit Jack nach San Antonio gezogen, und Mattie vermisste sie.

Mattie ging am Empfangstresen vorbei durch ein Großraumbüro, in dem Konstruktionszeichner mithilfe ausgefeilter Computersysteme Entwürfe von Büros, Schulen, Eigentumswohnungen und Luxushäusern anfertigten.

Sie erwiderte das Winken von Aaron Kreski, einem Mitarbeiter und guten Freund. Mit ihren erfindungsreichen Entwürfen und ihrem überdurchschnittlichen Arbeitseinsatz war sie vor Kurzem zur leitenden Designerin befördert worden und hatte ihr eigenes Büro bekommen. Sie befand sich auf dem besten Weg, zur Vizedirektorin ernannt zu werden. Ein Schritt weiter auf ihrem Karriereweg, den sie so eifrig verfolgte.

Mattie schob die breite Walnussholztür auf und ging zu ihrem darauf abgestimmten Walnussholzschreibtisch zu. Die blitzblank polierte Oberfläche war ordentlich aufgeräumt. Neben dem dominanten Großbildmonitor lagen ein Kalender, ein schwarz-goldenes Schreibset mit Füllhalter und Bleistift, und sie hatte ein gerahmtes Lieblingsfoto ihrer Eltern aufgestellt.

Unbewusst strich sie über den Goldrahmen. Das Bild zeigte einen Moment aus den glücklichen Jahren, die Zeit, an die sich gern erinnerte. Dann hatte sie ihren Vater bei einem Autounfall verloren. Sie war zwölf gewesen, und ihr Leben hatte sich danach drastisch verändert.

Ohne Lebensversicherung und mit nichts als einem Highschool-Abschluss war ihre Mutter gezwungen gewesen, einen Job im Supermarkt anzunehmen, um sie durchzubringen. In diesen schweren Zeiten war ihre Mutter zu der Überzeugung gekommen, dass eine Frau niemals auf einen Mann zählen konnte, auch wenn der sie liebte. Sie konnte sich nur auf eine Person verlassen, und das war sie selbst.

Mattie hatte sich das zu Herzen genommen. Sie hatte hart gearbeitet, um den Universitätsabschluss an der UCLA zu machen; sie war die Beste ihres Jahrgangs gewesen. Diese Philosophie verfolgte sie seitdem weiter.

Sie ließ ihren Blick über die ordentlich aufgereihten Akten auf dem Sideboard hinter dem Schreibtisch und die Stapel unter dem Fenster schweifen. Aber sie überwand den Impuls, sich einen davon zu greifen und mit der Arbeit anzufangen. Stattdessen setzte sie sich an den Schreibtisch, nahm das Telefon und wählte die Nummer von Sidney Weiss, einem Anwalt, der für das FRC arbeitete.

„Sid? Hier ist Mattie Baker.“

„Hallo Mattie. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich brauche dringend Ihre Hilfe.“

Schnell unterrichtete sie den Anwalt über das Feuer in den Towern und den Verdacht auf Brandstiftung gegen Angel Ramirez. Weiss versprach, Angels Fall zu übernehmen. Er versicherte Mattie, das Geld vorzuschießen, die Kaution sofort zu zahlen, sobald sie festgelegt worden war, und dafür zu sorgen, dass der Junge entlassen wurde.

Als sie den Hörer erleichtert auflegte, überlegte sie, was sie noch tun könnte.

Da kam ihr plötzlich ein Gedanke. Sie suchte in ihrer Tasche nach der Visitenkarte, die sie im Polizeirevier eingesteckt hatte.

Raines Construction. Darunter stand Gabriel Raines, Inhaber. Die Adresse und zwei Telefonnummern waren am unteren Rand aufgedruckt.

Sofort sah sie den großen dunkelhaarigen Mann mit der kräftigen Statur vor sich, lange Beine und breite muskulöse Schultern, wenn sie das am Sitz seines alten Arbeitshemdes und den ausgeblichenen Jeans richtig erkannte hatte. Seine strahlend blauen Augen wurden durch den gebräunten Teint aufregend betont. Der zu einem leichten Lächeln verzogene sinnliche Mund ließ das feste Kinn und die strengen Gesichtszüge weicher erscheinen.

Das Testosteron schien bei ihm durch alle Poren zu dringen. Obwohl solche Männer überhaupt nicht ihr Typ waren, musste sie zugeben, dass er sehr gut aussah. Und dieses aufblitzende männliche Interesse in seinen beeindruckenden blauen Augen könnte eventuell hilfreich für ihre Mission sein.

Sie musste unbedingt herausfinden, mit wem Angel vergangene Nacht unterwegs gewesen war. Wenn Gabriel Raines die beiden Teenager bei dem Brand gesehen hatte, könnte sie den anderen Jungen vielleicht anhand seiner Beschreibung identifizieren.

Mattie tippte mehrmals auf das Kärtchen und legte es vor sich auf den Schreibtisch. Die Arbeit wartete. Sie zog ein Projekt hervor, das sie gerade beschäftigte: die Umgestaltung einer Kunstgalerie in der Innenstadt. Sie schlug den Hefter auf.

Später, sagte sie sich. Dann würde sie sich mit Gabriel Raines in Verbindung setzen. Früh am folgenden Morgen ging Gabe zu Sam auf die Baustelle beim Farmer’s Market, wo sie gerade arbeiteten. Es handelte sich um die Sanierung eines baufälligen stadteigenen Wohnhauses, das Gabe vergangenes Jahr erworben hatte. Er wandelte die Apartments in ansprechende bezahlbare Mietwohnungen um. Erfreut stellte er fest, dass man den Fortschritt schon sehen konnte.

Sein Bauwagen stand vor dem Gebäude, ein Raum mit Aktenschränken und zwei Schreibtischen, in dem eine Teilzeitkraft dreimal die Woche als Sekretärin arbeitete. Gabe stieg die Eisenstufen hoch und öffnete die Tür.

„Hallo Becky, alles in Ordnung?“ Sie war einundvierzig und glücklich verheiratet, hatte lockiges blondes Haar und einen von zu viel Sonne vorzeitig mit Falten durchzogenen Teint.

„Hallo Boss! Sie müssen nur ein paar Schecks unterschreiben.“

Er ging zu ihrem Schreibtisch, nahm den Füllhalter, den sie ihm reichte, und unterschrieb die Formulare, die sie brauchte. „Sonst noch irgendwas?“

„Mr Parsons hat wegen der Schäden in der Tower-Lobby angerufen. Ich habe ihm gesagt, er kann Sie auf Ihrem Handy erreichen.“

„Ich habe heute Nachmittag schon mit ihm gesprochen.“

„Das wäre dann alles.“

Gabe nickte, und Becky wandte sich wieder zu ihrem Computer um. Er verließ den Bauwagen, um zum McKinney Court zu fahren. Das war sein bisher aufwendigstes Projekt – ein vierstöckiges Bürogebäude zwischen McKinney Avenue und Olive Street. Es war der zukünftige Hauptfirmensitz von Wildcat Oil, der kleinen, aber aufstrebenden Ölförderungsgesellschaft, für die sein Bruder Jackson früher als Geologe gearbeitet hatte. Selbst in den momentan rezessiven Zeiten konnte man mit Öl Umsatz machen, und es gab keine Finanzierungsprobleme, die das Fertigstellen des Projekts verhindert hätten.

Er parkte vor dem Haus, wo gerade Stahlträger von einem riesigen Kran in die richtige Position gehievt wurden. Der Vorarbeiter Jake Turner, ein großer wuchtiger Typ mit eisengrauem Haar, besaß zwanzig Jahre Erfahrung im Bau von mehrstöckigen Gebäuden.

„Hallo Jake! Wie sieht’s aus?“

„Besser als erwartet.“ Jake zog seinen Helm vom Kopf, wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch trocken und stopfte das Tuch in seine Hosentasche. „Mich macht es immer nervös, wenn alles zu glatt läuft.“

Gabe musste an die Zerstörung in den Towern denken. Er hatte erst mal genug Pech gehabt. „Ich weiß, was du meinst.“ Er besichtigte die Baustelle zusammen mit Jake und machte ein paar Vorschläge. Dann warf er erneut seinen Truck an und fuhr zum Egyptian Theater.

Als er die reich verzierten Eingangstüren aufschob, freute er sich bereits darauf, seine Arbeit an der Bühne fortzusetzen. In dem Moment spielte sein Handy die ersten Takte des Brooks & Dunn-Songs Hard Working Man. Er löste das Mobiltelefon aus der Halterung und klappte es auf. „Raines.“

„Mr Raines, hier ist Mattie Baker. Wir haben uns auf dem Polizeirevier getroffen.“

„Ja, ich erinnere mich.“ Gabe sah sofort die Frau mit dem aufregenden rotbraunen Haar vor sich. Sie hatte außerdem noch eine verdammt sexy Stimme.

„Sie hatten erwähnt, dass Sie mir in Angels Fall behilflich wären. Ich habe ein paar Fragen, von denen ich hoffe, dass Sie sie mir beantworten können. Ob Sie vielleicht Zeit hätten, sich kurz mit mir auf einen Kaffee zu treffen?“

„Ja, sicher. Wo sollen wir uns denn treffen?“

„Ich arbeite im Coffman-Building. In der Lobby gibt es einen Kiosk. Meinen Sie, es wäre möglich, dass Sie dort hinkommen?“

„Kein Problem. Mein Apartment ist nur ein paar Blocks davon entfernt.“

„Wunderbar. Wie wäre es mit vier Uhr?“

Gabe sah auf seine Uhr. Um drei würde er mit der Besprechung bei Parsons fertig sein. „In Ordnung. Wir sehen uns dann nachher.“

Mattie bedankte sich bei ihm, und Gabe klappte das Handy wieder zusammen. Sie wollte ihn treffen. Das wäre vielleicht äußerst interessant gewesen, wenn sie nicht diesen geschäftsmäßigen Ton angeschlagen hätte. Trotzdem verspürte er einen Anflug von Vorfreude. Abgesehen von ein paar gelegentlichen Besuchen bei einer Verflossenen hatte er sich in den vergangenen sechs Monaten mit niemandem verabredet.

Sein älterer Bruder hatte vor Kurzem geheiratet. Jackson war so glücklich, wie Gabe ihn noch nie vorher gesehen hatte. Nach der desaströsen Trennung von seiner Verlobten Amy Matlock war sein jüngerer Bruder Dev inzwischen ein überzeugterer Junggeselle als Gabe.

Was nicht bedeutete, dass er nichts von weiblicher Begleitung hielt. Er glaubte nur nicht, dass diese schöne Rothaarige irgendwie sein Typ sein könnte, egal wie attraktiv er sie auch fand.

Doch er hatte nun mal versprochen zu helfen, wenn es ihm möglich wäre. Der Ramirez-Junge war erst siebzehn, und er erinnerte sich noch allzu gut an die Fehler, die er selbst in diesem Alter gemacht hatte.

Gabe dachte an seine Verabredung um vier Uhr, an die aufregende Rothaarige, und musste lächeln.

3. KAPITEL

Mattie saß an einem der kleinen runden Tische vor dem Kiosk in der Lobby. Das Bürohochhaus befand sich nur sechs Blocks von ihrem Apartment entfernt. Das war der eigentliche Grund gewesen, die Wohnung zu kaufen. So konnte sie morgens zu Fuß zur Arbeit gehen.

Offensichtlich wohnte Gabriel Raines irgendwo in der Nachbarschaft, obwohl sie ihm bis auf das zufällige Zusammentreffen im Polizeirevier nie irgendwo begegnet war. Sie nahm einen Schluck von ihrem Cappuccino. Der war heiß geschäumt, genauso wie sie es mochte. Inzwischen war es eine Minute nach vier. Sie fragte sich, ob Raines vielleicht der Egomanentyp war, der andere Leute warten ließ.

Sie hasste es, wenn Leute Spielchen spielten.

Erleichtert entdeckte sie ihn dann in der Eingangshalle, wie er auf den Kiosk zusteuerte. Sie schätzte ihn Anfang dreißig, vielleicht drei oder vier Jahre älter als sie selbst.

Sie stand auf, um ihn zu begrüßen. „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!“

„Ich hatte ja versprochen, dass ich helfe, wenn ich kann. Haben Sie was dagegen, wenn ich mir erst mal eine Tasse Kaffee hole, bevor wir reden?“

„Überhaupt nicht. Ich bin selbst vollkommen abhängig.“

Raines lächelte und ging zum Tresen hinüber. Sein Lächeln ist wirklich anziehend, dachte sie und erinnerte sich daran, dass sie es schon einmal bemerkt hatte. Sie konnte sich gut vorstellen, dass Frauen sich fast ein Bein ausrissen, um in den Genuss dieses lässigen Lächelns zu kommen. Wie dankbar sie war, dass er nicht im Mindesten zu der von ihr bevorzugten Kategorie von Männern gehörte!

Mit dem Pappbecher in der Hand setzte sich Raines auf einen der winzigen weißen Stühle. Bei ihm wirkte das Möbel wie aus der Puppenstube. „Also – was kann ich für Sie tun, Miss Baker?“

„Bitte nennen Sie mich einfach Mattie! Ich hoffe, Sie können mir dabei helfen herauszufinden, mit wem Angel gestern Abend an der Brandstelle war.“

„Da bin ich wahrscheinlich keine große Hilfe. Wie ich der Polizei schon sagte, habe ich mich nicht so für die Schaulustigen interessiert. Ich hatte die ganze Zeit die Löscharbeiten verfolgt.“

„Aber Sie haben Angel wiedererkannt.“

„Bei der Gegenüberstellung, ja.“

„Wie sah der andere Junge aus?“

Gabe zog den Deckel von seinem Becher und pustete in den Kaffee, um ihn zu kühlen. Dann nahm er einen Schluck. Sie sah, wie er angestrengt versuchte, sich den zweiten Jungen in Erinnerung zu bringen.

„Macht es Ihnen was aus, mir zu sagen, in welcher Beziehung Sie zu dem Ramirez-Jungen stehen?“

Sie überlegte, wie viel sie ihm sagen sollte. Dann entschied sie, dass es keinen Grund dafür gab, ihre Arbeit im FRC zu verheimlichen. Im Gegenteil: Sie war stolz darauf, Familien zu helfen, die sie brauchten.

„Ich arbeite ehrenamtlich in einem Familienzentrum, das Opfern von häuslicher Gewalt Hilfe anbietet. Vor ein paar Jahren erschien Angels Mutter dort. Ihr Mann hat sie und die Kinder misshandelt. Sie wollte ihn nicht verlassen, aber sie konnte die Gewalt nicht länger ertragen.“

„Was geschah dann?“

„Am nächsten Abend stritt sich Angel mit seinem Vater, und Benito verprügelte ihn fürchterlich. Zwei Tage später zündete Angel in der Nachbarschaft ein altes verlassenes Haus an. Er wurde verhaftet. Weil Rosa, Angels Mutter, bei uns Hilfe gesucht hatte, wurde einer der FRC-Anwälte damit beauftragt.“

„FRC?“

„Family Recovery Center. Da es mildernde Umstände gab –wie zum Beispiel zwei blaue Augen und ein gebrochenes Brustbein –, wurde das Strafmaß reduziert. Nachdem er ein Jahr später entlassen wurde, erhielt Angel obligatorische Beratung. Sein Vater war da bereits ausgezogen, und ich begann im Zuge meiner ehrenamtlichen Arbeit, Angel und seine Familie zu besuchen. Mir fiel damals sofort auf, dass er ein außergewöhnlicher Junge ist.“

Gabe nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. „Inwiefern?“ Seine Hände waren genauso gebräunt wie sein Gesicht. Sie registrierte, dass seine Fingernägel kurz geschnitten und absolut sauber waren.

„Angel ist überdurchschnittlich intelligent. In der Highschool hat er nur Einser, und er möchte aufs College gehen. Er ist immer bereit, anderen Kids zu helfen, und weil er so ist, hat er eine Menge Freunde. Ich glaube nicht, dass er den Brand in den Towern gelegt hat. Aber ich muss es irgendwie beweisen.“

Gabe richtete sich in dem kleinen Stuhl gerade auf. „Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass die beiden Jungen zusammengehörten. Aber sie haben miteinander gesprochen und machten auf mich den Eindruck, als würden sie sich kennen.“

„Wie sah der andere Junge aus?“

„Lateinamerikanisch. Etwa im selben Alter wie Angel, aber größer und dünner. Er trug sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das ist alles, an was ich mich erinnern kann.“