Kapitel 1

handelt von der Farbe Rosa, einer fliegenden Vorspeise und einem Parkplatz auf dem Mond

Opa zum Bandentreffen mitnehmen?

Bestimmt hat Olli sich bloß verhört. Das kann Mama doch gar nicht ernst meinen!

Und ob sie das kann.

»Schluss jetzt«, sagt sie und schält die nächste Karotte. »Du gehst doch sonst auch nachmittags mit Opa raus.«

Sonst ist aber auch kein Bandentreffen, denkt Olli. Er schnappt sich die gebrauchten Saftgläser vom Küchentisch und stellt sie in die Spülmaschine. Freiwillig. Und weil dies ein absoluter Notfall ist, deckt er auch schon mal den Tisch für das Abendessen und setzt sein nettestes Olli-Gesicht auf. Da kann Mama meistens nicht lange streng bleiben.

Heute aber schon. Sie schält und schält ihre Karotten und guckt nicht mal zu Olli rüber. Vielleicht hat sie ja einfach noch nicht verstanden, worum es geht?

»Mama!« Olli wischt die Schalen zusammen und wickelt sie in ein Blatt Küchenpapier. »Wir treffen uns auf dem Spielplatz, da sind wir ein leichtes Ziel. Für jeden! Diesmal wird es echt gefährlich!«

»Gefährlich, soso.« Mama schält weiter ihre blöden Karotten. »Opa mag Spielplätze, und ich kann mir nicht vorstellen, was dort gefährlich sein soll. Außerdem kannst du ihn zum Spielplatz viel besser mitnehmen als zu eurem alten Bandenversteck im Baumhaus.«

Oh Mann! Wie kann es Mama bloß so egal sein, dass Jan aus der Fünften mit seinen vier Löwen das Baumhaus gefunden und beschmiert hat?

Mit Sprühfarbe! In ROSA! Die Ersten aus seiner Klasse haben deswegen schon gelacht!

Und genauso egal scheint es ihr zu sein, dass Olli und seine Adler sich so lange, bis das Rosa wieder weg ist, wieder auf dem Spielplatz treffen müssen. Wie kleine Kinder. Dabei sind sie schon zehn! Na ja, zumindest Paul und Jens. Olli ist immerhin fast zehn. Denn wenn man vor acht Monaten, zwei Wochen und vier Tagen Geburtstag gehabt hat, ist von der Neun ja nicht mehr so viel übrig. Und mit fast zehn trifft man sich eigentlich nicht mehr auf einem Spielplatz. Und man bringt auch keinen Opa mit. Schon gar nicht, wenn man etwas echt Gefährliches vorhat.

Denn das haben die Adler: Sie wollen Rache! Fürchterliche Rache! Einen Bandenkrieg! Den haben sich die Löwen mit ihren Sprühdosen selbst eingebrockt.

Ausgerechnet ROSA!

Olli guckt Mama tief in die Augen. »Kann Opa denn nicht ausnahmsweise mal zu Hause bleiben? Nur heute?«

Mama tut so, als ob sie gar nicht zugehört hat. »Um sechs gibt es Abendessen, das sind keine zwei Stunden mehr. Bis dahin solltet ihr wieder gewaschen und umgezogen sein«, sagt sie und reicht Olli die in Zeitungspapier gewickelten Karottenschalen. »Jetzt mach schon, du weißt doch, wie Opa ist.«

Olli pfeffert das Päckchen in den Biomüll und verdreht heimlich die Augen. Und ob er weiß, wie Opa ist! Wenn keiner mehr mit ihm rausgeht, kann es sein, dass er abends allein loszieht und sich verirrt. Deshalb hat Papa neulich auch Opas Zimmer mit Fenstergittern und einer Kindersicherung ausbruchssicher gemacht. Das war, nachdem Pauls Polizistenvater Opa im Park gefunden und nach Hause gefahren hatte. Mitten in der Nacht. Mit Blaulicht! Wie einen Verbrecher!

Und Metzger Fassbauch hatte alles gesehen und am nächsten Tag den Leuten weitererzählt, die bei ihm Wurst und Fleisch gekauft haben. Aber das war nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste war Löwen-Jan. Der ist nämlich der Sohn von Metzger Fassbauch. Und natürlich hat der sich tagelang in der großen Pause über die Opa-Sache kaputtgelacht und mit dem Finger auf Olli gezeigt. Und die anderen Löwen auch.

Sogar die aus Ollis Bande haben ein bisschen mitgelacht.

Wie peinlich!

Schon bei dem Gedanken daran stampfen Ollis Füße lauter über den Flurboden.

Wo ist Opa überhaupt?

Olli lugt ins Esszimmer. Dort sitzt Opa vor seinem Puzzle. Eigentlich ist es gar nicht seins, sondern ein ganz altes von Olli, als er noch ziemlich klein war. Es hat nur neun Teile. Bloß mit Rotkäppchen und dem Wolf drauf und noch ein bisschen Wald drum herum. Was kann daran so schwer sein? Dieses Puzzle hätte Olli sogar mit verbundenen Augen in null Komma nix zusammengelegt!

Aber Opa puzzelt gar nicht. Er guckt lieber den Fliegen zu, wie sie über der Obstschale Kreise ziehen. Seine blauen Wasseraugen huschen mit den Fliegen hin und her. Seine Hand zuckt ein paarmal, dann – zack! – hat er eine gefangen.

»Stopp!«, ruft Olli, doch da hat sich Opa die Fliege bereits in den Mund gestopft und kaut glücklich darauf herum.

Iiiiih!

Auch wenn sein Bauch noch gar kein Abendessen gehabt hat und ganz leer ist, wird Olli sofort schlecht. Am liebsten würde er weglaufen. Zum Spielplatz und zu den Adlern. In die opafreie Zone.

Aber er schluckt den Ekel-Kloß hinunter. Dann geht er zu Opa und zupft an seinem Arm.

»Komm, Opa. Spazieren gehen.«

»Ich will nicht«, sagt Opa und guckt der nächsten Fliege hinterher. »Ich hab noch Hunger!«

 

Warum gibt es eigentlich in echt keine Zauberumhänge? Unter so einem könnte Olli seinen Opa jetzt vor den Adlern verstecken. Aber im Garderobenschrank hängen bloß normale Jacken und Mäntel. Olli reißt seinen Anorak vom Haken und schlüpft in die Winterstiefel.

Hoffentlich macht Opa kein Theater wegen seiner Jacke!

Am liebsten würde Olli Opa immer noch hierlassen. Aber dann kriegt Mama garantiert die Krise und streicht ihm das Fernsehen. Opa zum Bandentreffen mitnehmen geht aber auch nicht. Denn garantiert stellt Opa dann wieder irgendetwas Dummes an, und Olli muss ihn nach Hause bringen, statt mit den anderen den Bandenkrieg zu planen.

Olli braucht jetzt wirklich ganz dringend eine Rettungsidee. Von hier bis zum Spielplatz sind es nämlich bloß ein paar Minuten. Vor lauter Nachdenken fängt er an zu schwitzen und muss mehrmals probieren, bevor der Reißverschluss seiner Jacke endlich zugeht. Dabei hat er für so was gar keine Zeit!

Obwohl – wer sagt denn, dass Opa beim Bandentreffen wirklich dabei sein muss? Wenn sie sich beeilen, kann Olli ihn nach der Runde zu Hause abliefern und dann zu den Adlern flitzen. Bevor sie merken, dass Mama ihn mit Opa rausgeschickt hat.

Cooler Plan! Jetzt kann Olli sich wieder auf Paul und Jens freuen. Warum ist er nicht früher darauf gekommen?

»Am besten gehst du vorher noch mal aufs Klo«, sagt er und macht Opa schon mal die Tür auf.

Aber Opa will nicht.

»Brauch ich nicht«, nuschelt er, und weil er sein Gebiss nicht angezogen hat, klingt es ganz blubberig. »Im Park kann man Pipi machen, wann man will!«

Nein, kann man nicht, denkt Olli. Aber er sagt es nicht. Auch nicht, dass Opa besser seine Zähne reinmachen soll, weil er ohne ganz schön gruselig aussieht.

Ob man den Löwen mit Opas Gruselgesicht wohl einen ordentlichen Schrecken einjagen könnte? So im Dunkeln? Beim alten Friedhof? Vielleicht halten sie Opa ja für einen Zombie …

Olli unterdrückt ein Kichern. Dann guckt er Opa streng an und sagt: »Zieh deinen Mantel an, draußen ist es kalt.«

Aber Opa will keinen Mantel. Er klammert sich an seine kirschrote Sommerjacke. »Mir ist warm«, ruft er und reckt das Gesicht zum Flurfenster. Durch das scheint die Märzsonne genau auf seine Nase. »Schau doch, Sommer!«

Oh Mann!

»Und was ist dann das da?« Olli macht das Flurfenster auf, nimmt ein bisschen von dem frisch gefallenen Puderzuckerschnee in die Hand und hält ihn Opa hin. »Sand vielleicht?«

Opa sagt nichts. Er nimmt den Schnee von Ollis Hand und steckt ihn sich in den Mund.

»Eis«, strahlt er.

Und auf einmal ist Olli gar nicht mehr sauer auf Opa. Er sieht Opas Augen, die einen nicht mehr richtig angucken können, sondern dauernd woanders hinschauen. Er sieht Opas Hände, die zittern und wohl nie wieder Pfeile oder Holzpferdchen schnitzen können. Er sieht Opas Schuhe, die vorne einen Klettverschluss haben, weil er keine Schnürsenkel mehr binden kann. Und in Ollis Hals steckt schon wieder ein Kloß. Aber diesmal ist es ein Kummer-Kloß.

»Okay«, sagt er und knöpft Opa die Jacke zu.

»Wenn wir Eis essen, ist es Sommer«, sagt Opa. »Ich will Erdbeereis. Zwei Kugeln. Mit Ketchup!«

 

Olli kickt einen Stein aus dem Weg und wischt sich die Nase. Eigentlich geht er gerne mit Opa spazieren. Aber doch nicht heute, wo er schnell zum Kriegsrat der Adler will!

»Los, Opa«, sagt er und geht ein bisschen schneller. Warum müssen auch alle Wege in diesem bescheuerten Park ausgerechnet am Spielplatz vorbeiführen? Hoffentlich schaffen sie es daran vorbei, bevor die Adler kommen und sie sehen!

Olli drückt die Opa-Hand ein bisschen fester, damit sie nicht aus Versehen aus seiner herausrutschen kann. Sie ist kalt und fühlt sich ein bisschen an wie Löschpapier.

Es sollte wirklich mal endlich jemand einen Tarnumhang erfinden. Oder einen Kindergarten für Opas. Wo sie so lange bleiben können, bis man mit seinen Sachen fertig ist und sie wieder abholen kann. Das wär was!

Mit Opa an der Hand dauert der Weg zum Spielplatz viel länger als gedacht. Dauernd müssen sie wegen irgendwas stehen bleiben und ewig lange gucken. Wegen einem knautschigen braunen Blatt, das der Wind über den Schnee tanzen lässt. Wegen einer Horde Spatzen, die sich um ein zermatschtes Brötchen zanken. Oder einem Auto, das im Vorbeifahren laut mit dem Auspuff knallt.

»Es furzt«, lacht Opa. Und da muss Olli mitlachen.

Komisch, dass man seinen Opa gleichzeitig lieb haben und auf den Mond wünschen kann, denkt Olli. Aber immer nur lieb haben, das klappt einfach nicht. Egal, wie viel Mühe man sich gibt. Wieder wird der Kummer-Kloß in seinem Hals ein bisschen größer.

Als er von der Straße in den Park abbiegt, kommt Opa ohne Murren mit. Er freut sich über die Vögel und pfeift ihnen zu. Doch Olli muss extralangsam gehen, damit Opa nicht über die Wurzeln und Steine stolpert, die sich unter dem Puderzuckerschnee verstecken.

So ein Mist! Warum hat er bloß diesen Weg genommen und nicht den durch das Wildschweingehege? Der ist viel kürzer, und sie wären längst am Spielplatz vorbei und schon fast wieder zu Hause!

Olli zieht Opa weiter. Wie ein kleines Kind. Obwohl Opa doch viel größer ist als Olli und wissen sollte, wo es langgeht. Aber Opa ist nicht wie andere Opas.

Da hört Olli lautes Lachen und Gejohle.

Kommt das etwa vom Spielplatz? Er lauscht. Nach kleinen Kindern hört sich das nicht an. Aber nach den Adlern irgendwie auch nicht. Ob die Löwen vielleicht einen Hinterhalt geplant haben? Olli muss sich unbedingt anschleichen und nachsehen!

Nur: Wohin so lange mit Opa?

Der pfeift noch immer die Spatzen an. Und jetzt knöpft er auch noch seine Jacke auf und setzt sich auf eine verschneite Parkbank!

Wenn man auf der sitzt, kann man den Spielplatz kaum sehen. Zu viele Büsche versperren die Sicht.

Eigentlich ein prima Opa-Parkplatz, denkt Olli. Wär ja bloß für ein paar Minuten. Hier könnte Opa warten, ohne etwas anzustellen.

Olli setzt sich neben Opa auf die Bank. »Ich geh mal eben kurz da rüber, okay?«

Vielleicht hat Opa zugehört, vielleicht auch nicht. Zumindest sagt er nicht Nein. Das ist schon mal gut.

»Aber du bleibst auf alle Fälle hier sitzen, hörst du?« Olli wartet, bis Opa ihn anguckt. »Hast du mich gehört?«

Opa pfeift das nächste Spatzenlied. Diesmal ist es Alle meine Entchen.

»Opa!«

Der nickt, wackelt mit dem Kopf und lacht. Dann greift er eine Handvoll Schnee und wirft ihn zwischen die Spatzen. Die fliegen kurz auf, kommen aber gleich wieder zurück und versuchen, die Schnee-Körner aufzupicken.

»Auf keinen Fall weggehen, hörst du?!« Olli geht in die Hocke und nimmt Opas Hände in seine. Sie sind ganz kalt. »Du wartest hier, bis ich zurück bin! Wenn du Angst kriegst, pfeifst du einfach laut, dann komm ich und hol dich!«

Opa schiebt Olli beiseite, um die Spatzen mit einer neuen Ladung Schnee zu füttern. Dann sieht er kurz auf und nickt.

Zur Sicherheit wartet Olli noch ein bisschen. Aber als Opa wirklich auf der Parkbank sitzen bleibt, dreht er sich um und schleicht in Richtung Spielplatz. Nicht direkt, da könnten die Löwen ihn vielleicht hören, sondern mit einem extragroßen Bogen nach links, wie es sich für einen richtigen Späher gehört. Weil der Wind dann von vorn kommt und alle Geräusche nach hinten weht. Und weil Olli es als Einziger aus seiner Bande kann. Was sehr wichtig ist, besonders wenn man gerade einen Krieg gegen die Löwen plant.

Aber auch wenn Olli der beste Späher der Adler ist, manchmal würde er doch gerne tauschen. Mit Paul zum Beispiel. Der übt mit seinem Polizistenvater jeden Tag Ringen und hat schon Schuhgröße 39. Oder mit Jens. Der ist zwar drei Monate jünger als Paul, hat ihn aber mit Wachsen schon fast überholt. Und mit Dicksein auch, weshalb er meistens als Letzter irgendwo ankommt. Aber dafür kann er Judo.

Hoffentlich hat Papa recht, und das mit dem Wachstum fängt bei Olli auch bald an! Bis dahin muss er eben spähen.

So wie jetzt.

Vorsichtig, Schritt für Schritt, schleicht Olli an der Hecke entlang zum Spielplatz rüber. Er muss sich nur ein bisschen ducken, und schon ist er für die auf dem Spielplatz unsichtbar.

Und wenn nicht?

Dann kann Olli ja immer noch so tun, als ob er bloß spazieren geht.

Da bricht das Lachen vom Spielplatz ab, und jemand schreit.

Kapitel 2

handelt immer noch von Rosa, einem halb fertigen Racheplan und ein paar ziemlich bösen Überraschungen

Wer hat da bloß geschrien?

Olli huscht hinter die Hecke zwischen dem Weg und dem Spielplatz und duckt sich. Doch die Hecke ist zu dick, er kann den Spielplatz auf der anderen Seite nicht sehen. Und auch nicht, wer dort solchen Krach macht.

Da ertönt noch ein Schrei.

Dann lacht jemand fies.

Olli erstarrt vor Schreck. Ob die Löwen den Spielplatz überfallen haben? Vielleicht sind Paul und Jens ja längst gefesselt und warten darauf, dass Olli sie befreit?

Also schleicht Olli weiter. Langsam, Schritt für Schritt, arbeitet er sich an der Hecke entlang. Dabei bleibt er die ganze Zeit geduckt, auch wenn sein Rücken wehtut und die Beine brennen. Dann endlich wird die Hecke dünner, und Olli kann durch eine Lücke den Spielplatz sehen.

Das laute Geschrei kommt gar nicht von Paul und Jens. Auf dem Spielplatz-Turm stehen bloß Kevin und Finn, zwei besonders fiese Typen aus Jans Löwen-Bande, und pfeffern einen Schneeball nach dem anderen auf die Wackelente. Und auf Jens’ Jacke, die danebenliegt und schon ganz nass ist. Von Jens selber ist nichts zu sehen. Und von Paul auch nicht.

Olli ballt die Hände und schnauft. Seine Adler haben gerade gegen die Löwen gekämpft und verloren. Weil er nicht rechtzeitig da war!

Auf einmal fühlt Olli sich ganz schwach und leer. Wenn er doch nur ein kleines bisschen schneller gewesen wäre! Zu dritt hätten sie es den beiden bestimmt gezeigt. Obwohl Kevin und Finn viel größer sind als sie. Und sehr, sehr gemein!

»Hast du gesehen, wie die gerannt sind?«, grölt Kevin und versenkt glatt noch einen Ball auf Jens’ Jacke. »Wie die Hasen!«

»Ja«, brüllt Finn. »Die sitzen jetzt bestimmt in ihrem rosa Baumhaus und zittern vor Angst. Vielleicht sollten wir den anderen Löwen Bescheid sagen und die Adler gleich noch mal überfallen.«

Aber Kevin hört gar nicht zu. Er starrt lieber in den Park.

»Da ist wer«, sagt er und springt vom Turm. Direkt auf den Boden. Mit einem Satz!

Finn klettert lieber runter und lauscht auch.

»Ich hör nichts.«

»Ich aber«, sagt Kevin. »Und ich sage dir, da ist wer! Da drüben am Park, ich hab da einen Schatten gesehen.«

»Ob das die Adler sind?« Finn knetet schon mal ein paar Bälle auf Vorrat. »Vielleicht sind die ja wiedergekommen und wollen sich jetzt von hinten an uns ranschleichen!«

»Sollen ruhig kommen, die Adler!« Kevin knackst gefährlich mit den Fingern, dass Olli es bis zur Hecke rüber hören kann. »Dann zeigen wir’s ihnen gleich noch mal!«

Aber Olli ist es egal, was die Löwen planen. Und das Baumhaus und der Bandenkrieg auch. Trotz Schnee und Kälte ist ihm auf einmal ganz heiß.

Ein Schatten hinter der Hecke? Da sitzt doch Opa auf der Bank und wartet. Weil Olli ihm verboten hat, sich vom Fleck zu rühren. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die Löwen ihn sehen!

Olli guckt zu Finn und Kevin. Die stehen immer noch auf dem Spielplatz und starren in den Park. Wenn Olli Opa vor den Löwen finden will, muss er sich beeilen.

So langsam er kann, schlendert Olli zurück. Ohne Ducken und ohne Schleichen. Damit die Löwen ihn nicht erkennen, zieht er die Kapuze extratief ins Gesicht und stopft die zitternden Hände in die Hosentaschen. Mit den Beinen geht das leider nicht.

Sobald Olli weit genug weg ist, bleibt er stehen und lauscht. Ob das wirklich Opa war, den Kevin gesehen hat? Aber vielleicht sitzt der ja auch brav auf seiner Bank. Oder er spielt Verstecken und wartet schon hinter einem Baum auf ihn. Doch sosehr Olli auch lauscht, er kann keinen Mucks von Opa hören. Kein Pfeifen, kein Singen, kein Rascheln. Gar nichts.

»Hallo?«, ruft er leise. Dabei hätte er viel lieber laut Opa! gebrüllt.

Aber Opa antwortet nicht.

Wieder steckt der fette Kloß in Ollis Hals und kratzt. Ob Opa wohl Angst gehabt und nach ihm gerufen hat? Oder hat er längst wieder vergessen, dass es Olli gibt?

Lieber nicht daran denken. Olli muss näher an die Bank ran und nachsehen, was mit Opa ist!

Diesmal macht er keinen Späher-Umweg, sondern nimmt den Schotterweg. In der Mitte ist der Schnee schon fast weggetrampelt, und die Steinchen knirschen unter seinen Schuhen. Trotzdem pfeift Olli laut vor sich hin, damit Opa sich nicht erschreckt. Alle meine Entchen, etwas anderes fällt ihm gerade nicht ein.

Dann sieht Olli die Bank.

Die Spatzen sind noch da und picken im Schnee herum. Nur Opa ist nicht da. Nirgendwo. Bloß seine Fußspuren, die kreuz und quer im Schnee verteilt sind.

»Opa?«, ruft Olli. Doch es kommt keine Antwort.

Vorsichtig, um die Spuren nicht zu verwischen, geht Olli weiter. Die vielen Fußstapfen an der Bank müssen von Opa sein, die haben nämlich das gleiche Muster wie seine Schuhe. Und wer sonst läuft schon mit Turnschuhen im Schnee herum?

Olli guckt zu den Spatzen rüber. Ob Opa wohl hinter ihnen hergelaufen ist und sich verirrt hat? Vielleicht ist er dabei ja auf die Straße gekommen und in ein Auto gerannt …

Olli kann das Auto richtig vor sich sehen: wie es angebraust kommt und noch ausweichen will und dann doch voll in Opa reinfährt … Fast kann er die Bremsen quietschen hören, so echt fühlt sich das an.

Und wenn Opa jetzt tot ist?

Olli hockt sich neben die Spuren und wischt sich mit einer Hand über die Nase. Die andere legt er in einen von Opas Fußabdrücken. Der Schnee darunter fühlt sich hart und kalt an. Wie eine alte Fährte. Opa hat sich immer warm angefühlt. Und weich. Trotz Löschpapierhaut.

Olli muss seine Hand weit auseinanderspreizen, damit sie ganz in Opas Schuhabdruck reinpasst. Bald wird er groß genug sein, dass er Opas Schuhe tragen kann. Oder Opa seine.

Wenn Opa dann noch lebt!

Ollis Augen brennen jetzt so doll, dass er ein paarmal blinzeln muss, bevor er wieder etwas sehen kann. Auf gar keinen Fall will er jetzt heulen. Das machen nur Weicheier, sagt Paul. Lieber will Olli vernünftig sein und nachdenken. Das hilft immer, sagt Papa.

Also gut. Olli denkt nach. Ganz vernünftig: Wenn Opa vor ein Auto gelaufen wäre, dann hätte doch bestimmt jemand geschrien. Und Pauls Vater wäre gekommen. Mit Blaulicht! Und Sirene! Und der Krankenwagen auch. Und wenn man von alldem nichts gehört hat, dann ist doch bestimmt auch keiner überfahren worden, oder?

Einkaufen