Dieses Buch entstand in Zusammenarbeit des Herausgebers/Autors Martin Haller mit weiteren Autoren. Diese haben Beiträge von unterschiedlichem Umfang beigesteuert, die in den Haupttext zum Teil eingeflossen sind bzw. an diesen angefügt wurden. Der Herausgeber/Autor bedankt sich bei allen beitragenden Personen:
Frau Heather Smith Thomas
Lady Marguerita Fuller
Frau Dr. Kate Storey-Whyte
Mrs. Justice Armstrong-Small
Frau Andrea Jänisch
Frau Linda Impey
Herr Hans Brabenetz
Herr Dr. Thomas Druml
Herr Ing. Heinrich Lazarini
Herr Hakan Alp
Herr Hardy Oelke
Herr Rainer Duen
Herr Gabriel Rodenberg
Praktisches Wissen für Reiter, Züchter und Käufer …
Umschlaggestaltung: DSR Werbeagentur Rypka GmbH/Thomas Hofer, A-8143 Dobl/Graz, www.rypka.at
Titelbild: Martin Haller
Bildnachweis: Karin Haas (S. 10, 21, 26 re., 45 li. u., 72, 116, 121 re., 132, 189 re., 212, 226 u., 228 u., 242 u., 247, 250), Archiv Martin Haller (S. 14, 15, 17 o., 19 o., 51, 54, 64, 81 u., 90, 115 o., 143), Prof. Rainer Willmann (S. 18 u.), Nicola Rona (S. 24 li.), Verena Braun de Praun (S. 27, 83 li.), Christian Brandstätter Verlag (S. 30), Eileen Haller (S. 32, 44, 197, 209, 232 u., 241), Archiv Hardy Oelke (S. 39 re., 104 li. u., 176, 248, 249, 251), Heike Pekarz (S. 45 o., 230 u., 231), Archiv Nigel Impey (S. 60), Christian Volk (S. 117 Mi.), Franz und Elisabeth Müllner (S. 130, 202 re., 219), Archiv Tierklinik Andritz (S. 147 li., 171), Archiv Gerlinde Achleitner (S. 154 li.), Georg Bartosch (S. 183), Mariela Bartosch (S. 189 re.), Walter Goelles (S. 215 o.), Bettina Niedermayer (S. 211, 243, 244), Archiv Hakan Alp (S. 226 o.), Archiv Thomas Druml (S. 232 o.), Susanne Lehmann (S. 234 o.), Miriam Lewin (S. 236), Andreas Fitzgerald (S. 242 o.), Narelle Wockner (S. 254 u.), Archiv Martin Gurmendez (S. 238). Hufeisen im Kolumnentitel: www.istockphoto.com
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ISBN 978-3-7020-1310-3
eISBN 978-3-7020-1727-9
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Vorwort
Einleitung
Kurze Geschichte der Pferderassen
Ein alter Hut
Die Anfänge der organisierten Zucht
Neue Theorien im 20. Jahrhundert
Die vier Urformen
Typ I oder Nordwesteuropäisches Pony
Typ II oder Tundrenpony
Typ III oder Ramskopf–Pferd
Typ IV oder Orientalisches Pferd
Was ist eine Rasse?
Natur- oder Kunstrassen
Schlag oder Stamm?
Kleine Typenlehre
Der Warmblut-Typ
Der Kaltblut-Typ
Variationen in den Rassen
Veränderung durch Selektion
Typische Mängel
Vorführen, Beurteilen, Bewerten
Pferde beurteilen – wie und warum?
Vorurteile und Fehlergucken
Der Schritt zurück
Das Ausstellungswesen
Vorführen bei den Briten
Das deutsche Dreieck
Der Dresscode
Die Bewertungsverfahren
Andere Methoden
Die „Freie Urteilsbildung“
Die „Lineare Beschreibung“
Das „Rechteckverfahren“
Ein Pferd - viele Typen?
Mysterium „Typ“
Genotyp und Phänotyp
Der Konstitutionstyp
Der respiratorische o. leptosome Typ – Atmungstyp
Der muskulöse oder athletische Typ – Krafttyp
Der digestive oder pyknische Typ – Ansatztyp
Interieurtyp
Geschlechtstyp
Der Kopf
Der Hals
Die Beine
Der Rumpf
Rassetyp
Zuchttyp
Der gute, alte Typ
Der moderne Typ
Alterstyp
Erblichkeit und Zucht
Die Leistungszucht entsteht
Hengst und Stute
Die Grundlagen der Beurteilung
Fehler erkennen und vergeben
Die Praxis
Was ist Stockmaß, was Bandmaß?
Was sind Format, Rahmen & Kaliber?
Format
Rahmen
Kaliber
Die Harmonie des Ganzen
Die Oberlinie
„Bergauf-“ oder „Bergabpferd“?
Die Balance macht’s
Kopf und Kettenglied
Zu groß oder zu klein?
„Zigeunermaße“
Das vertrackte Fundament
Zu dick oder zu dünn?
Die Eckpfeiler der Beurteilung
Beurteilen – aber wie?
Erste gesundheitliche Beurteilung
Die Zustandskontrolle
Zähne, Maul, Ohren und Augen
Haare und Haut
Die Rumpfkontrolle
Rücken
Bauch
Hüfte und Becken
Die Organkontrolle
Die Beinkontrolle
Ellbogen
Karpalgelenke/Vorderknie
Griffelbeine
„Schienbeine“
Sehnen
Gallen
Fesseln
Knie
Hufe
Der Symmetriecheck
Die Gangüberprüfung
Tipps zur ersten Beurteilung
Der erste Blick
Was ist Konformation?
Einige anatomische Eckpfeiler
Der Hals
Der Widerrist
Der Rücken
Die Vordergliedmaßen
Die Hinterbeine
Von Microchips und Pferdepässen
Who is who?
Die EU-konforme Kennzeichnung
Mikrochip/Transponder
Anzeige und Registrierung
Verbot der Übernahme
Das Beschreiben des Pferdes
Das Zeichnen
Das fragwürdige Foto
Entschlüsseln der „Geheimsprache“
Der Kauf
Von Haut und Haaren
Das Haar
Deckhaar
Langhaar und Schutzhaar
Tasthaar
Die Haarfarben
Die Abzeichen
Die Grundregeln der Farbvererbung
Die Hufe
Das Gebiss
Die Schneidezähne
Die Backenzähne
Die Wolfszähne
Das Zahnalter
Fehlstellungen des Gebisses
Die Zahnpflege
Fohlen
Junge Pferde
Erwachsene Pferde
Alte Pferde
Einige Zahnprobleme
Überbiss (Karpfengebiss)
Unterbiss (Hechtgebiss)
Zahnüberzahl
Eruption Cysts
Falsche Abnützung der Zähne
Zahnfrakturen
Zahnkaries (Caries dentium, Zahnfäule)
Oberfläche Haut
Von Muskeln, Sehnen und Bändern
Die Muskeln
Muskeln bewegen Knochen
Bänder fixieren Gelenke
Sehnen übertragen Kräfte
Sehnenscheiden schützen
Steuerzentrum Nerven
Das Skelett des Pferdes
Ein Knochengerüst
Die Arten der Knochen
Der Schädel
Die Wirbelsäule
Die Wirbelknochen
Die Rippen
Das Brustbein
Die Biegsamkeit der Wirbelsäule
Die Halswirbel
Die Form der Wirbel
Die Anheftung der Gliedmaßen
Das Becken
Die Gelenke und ihre Winkelung
Etwas über Mechanik
Die Mechanik des Vorderbeins
Die Mechanik des Hinterbeins
Die Mechanik der Fesseln
Die Hufmechanik
Das Pferd im Detail
Die Körperteile im Detail
Der Pferdekörper
Der Kopf
Länge und Form
Der kleine Kopf
Der große Kopf
Stirn und Augen
Kiefer und Maul
Der Hals
Das Genick
Hals und Halsaufsatz
Die Formen des Halses
Der gerade Hals
Der Hirschhals
Der Schwanenhals
Der schwere Hals
Die Länge des Halses
Der kurze Hals
Der lange Hals
Der Widerrist
Funktionen des Widerrists
Der hohe Widerrist
Der flache Widerrist
Die Vordergliedmaßen
Der Oberarm
Der lange Oberarm
Der kurze Oberarm
Der steile Oberarm
Der horizontale Oberarm
Der Ellbogen
Angeklatschter Ellbogen
Loser Ellbogen
Der Unterarm
Das Karpalgelenk oder Vorderknie
Fehler des Karpalgelenks
Rückbiegiges Vorderbein
Vorbiegiges Vorderbein
Knieweites Vorderbein
Knieenges Vorderbein
Geschnürtes Karpalgelenk
Geschliffenes Karpalgelenk
Ausgeschnittenes Karpalgelenk
Das Röhrbein
Die Beurteilung der Vorderbeine
Bodenweit
Bodeneng
Abweichungen der Zehenachsen
Zehenweit
Zeheneng
Der goldene Grundsatz
Vorständig
Unterständig
Der Rumpf
Der Brustkorb
Das schmale Pferd
Das breite Pferd
Der seichte oder tiefe Rumpf
Die Wirbelsäule
Bewegt sich das Rückgrat?
Die Länge des Rückens
Gewünscht: die lange Oberlinie
Problematische Rückenformen
Der (zu) lange Rücken
Der (zu) kurze Rücken
Der Karpfenrücken
Der Senkrücken
Die Lenden
Kruppe und Hinterhand
Die Höhe der Kruppe
Das Kreuz mit dem Kreuz
Die spitze, hohe Kruppe
Das (zu) kurze, gerade Kreuz
Die Hinterhand
Die Hüften
Die Oberschenkel
Das Knie
Die Behosung
Das Sprunggelenk
Mangelhafte Hinterbeine
Säbelbeinigkeit
Das zu gerade Bein
Die Kuhhessigkeit
Die Fassbeinigkeit
Knochenproblem Spat
Fehlstellungen im Fessel-Huf-Bereich
Der Schweif
Die Gangarten des Pferdes
Der Schwerpunkt
Die Balancierstange Hals
Die Gangarten
Der Schritt
Der Trab
Der Galopp
Der Sprung
Der Tölt
Der Pass
Rassen und Typen aus Expertensicht
Hakan Alp Barockpferde aus meiner Sicht
Justine Armstrong-Small Das Sportpferd am Beispiel eines Hunter
Hans Brabenetz Das Orientalische Pferd
Dr. Thomas Druml Kaltblutpferde
Rainer Duen Das Fahrpferd aus meiner Sicht
Lady Marguerita Fuller Distanzpferde gewinnen mit dem Kopf
Linda Impey Die britischen Ponys
Andrea Jänisch Gebäudebeurteilung bei Gangpferden
Ing. Heinrich Lazarini Rennpferde – Athleten mit Charakter
Hardy Oelke Beurteilungskriterien bei Western Horses
Gabriel Rodenberg Jagdpferde heute
Dr. Kate Storey–Whyte Das Stock Horse oder Arbeitspferd
Nachwort
Anhang
Dieses Buch widme ich meinen verstorbenen hippologischen Vorbildern, Jasper Nissen und Dr. Michael Schäfer, denen ich so viele Anregungen und Hilfestellungen auf meinem Weg zu einem besseren Verständnis der Pferde verdanke und deren Werke für mich so etwas wie „Bibeln“ sind.
Seit meiner frühesten Jugend galt mein Hauptinteresse den Pferden. Mir war, ich muss es gestehen, jedes Pferd recht, solange ich es nur bestaunen, reiten und umsorgen konnte. Mit etwa sechs Jahren bekam ich von Onkel Fritz das damals populäre Buch Pferde der Weltder englischen Hippologin Daphne M. Goodall, das ich binnen kürzester Zeit auswendig lernte. Später habe ich nie einem Schulbuch oder Skriptum derartiges Interesse gewidmet; aber PISA-Studien gab es zum Glück noch nicht.
Schon damals war klar, der Knabe Martin zeigte einen unstillbaren Drang zum Pferde. Meine Familie konnte trotz größter Bemühungen nicht verhindern, dass aus mir ein reitender Mensch, Fachjournalist und auch Pferdezüchter wurde – und ich somit bis heute keinen „anständigen Beruf“ ausübe. Quasi als Nebenerscheinung meines bewegten Lebens mit Pferden wurde ich im Rennsport und in diversen Zuchtverbänden tätig und legte einige damit einhergehende Prüfungen ab. Das erlaubte mir, im Laufe der Jahre als Richter und Zuchtbeauftragter viele verschiedene Pferde zu sehen und auch beurteilen zu dürfen. Das muss unbedingt als Ehre gesehen werden, denn Pferdebesitzer sind unglaublich stolz auf ihre Tiere und meist schnell beleidigt, wenn man diese kritisiert, auch wenn dies offiziell und völlig zu Recht erfolgt.
Mit diesem Buch erfülle ich mir meine bisher größte literarische Ambition: Mein bescheidenes Wissen um die Beurteilung von Pferden allen jenen zur Verfügung zu stellen, die danach streben, unsere geliebten Vierbeiner und ihre vielfältigen Qualitäten etwas besser einschätzen zu können. Ich wurde dabei von einigen Experten unterstützt, ohne deren Mitarbeit das Unterfangen kaum realisierbar gewesen wäre – wofür ich meinen herzlichsten Dank ausspreche. Nun wünsche ich Ihnen alles Gute beim Beurteilen unserer geliebten Pferde – es ist eine interessante Tätigkeit, durch die man auch viel über sich selbst lernen kann!
Martin Haller,
Graz 2011
In erster Linie sind Pferdehändler, Zuchtbeamte, Sportreiter, Züchter und Ausbilder gezwungen, jene Tiere, die letztlich ihren Lebensunterhalt sichern, tagtäglich einer qualitativen Einschätzung zu unterziehen. Davon hängt ihr wirtschaftlicher, beruflicher oder sportlicher Erfolg ab. Fachtierärzte, Hufschmiede und Transporteure haben ständig mit Pferden jeglicher Provenienz zu tun und können oft genaue Einschätzungen ihrer Eigenheiten abgeben. Berufsbedingt haben Angehörige von Zuchtorganisationen (Zuchtwarte, Körbeamte, Zuchtleiter etc.) ständig damit zu tun; die Beurteilung des Phäno- und Einschätzung des Genotyps, die Kontrolle der Vererbung und der Leistung werden hundertfach pro Saison durchgeführt.
Am häufigsten beurteilen Amateur-Pferdesportler oder private Käufer jene Tiere, auf deren Rücken sie einem vergnüglichen, wenn auch kostspieligen Hobby frönen. Sie haben meist die geringste Erfahrung darin, sind aber in der Regel felsenfest davon überzeugt, das Pferd gewissermaßen „erfunden“ zu haben. Gerade für sie ist ein fundiertes Grundwissen unentbehrlich, denn sie entscheiden tagtäglich in vielerlei Hinsicht über Wohl und Wehe ihrer Pferde. So ist es unerlässlich, beim Sattelkauf zu wissen, ob mein Pferd einen hohen, niedrigen, breiten oder schmalen Widerrist hat, und vieles mehr. Man sollte auch die Schwachpunkte seines Pferdes kennen, um akute Probleme sofort lokalisieren und einer Behandlung zuführen zu können. Ist mein Pferd zu dünn oder zu dick, lahmt es heute oder ist es „gerade“, sind seine Hufe in Ordnung oder braucht es den Schmied? Dies sind nur einige kleine Beispiele für die notwendige tägliche „Beurteilung“…
„So wohl gegliedert fertig steht mein Liebling, meines Herzens Freude. Des Schweifes leichte Fahne weht hoch über seinem Prachtgebäude.“
(A. Schumacher, aus Jagd und Pferd)
Die Kenntnis vom (guten) Pferd ist eigentlich ein alter Hut, denn seit die Menschen sich mit, hinter oder auf Pferden fortbewegen, wollen sie auch gerne wissen, welches Tier schneller, weiter oder bequemer laufen kann als die übrigen.
Manche Schriften und Aufzeichnungen über das Pferd, seine Abrichtung und Gesunderhaltung sind schon recht alt; um 1350 vor Christus beschrieb der Hethiter-Stallmeister Kikkuli die Zucht, Haltung und das Training der Kriegspferde, mit denen sein Volk, von Kleinasien ausgehend, weite Landstriche eroberte. Rund 420 Jahre vor Christus finden wir im Griechen Xenophon einen ersten Schriftsteller, der Bahnbrechendes und Bleibendes zum Thema Pferd in seinen Büchern Hipparchikos und Peri Hippikes hinterließ.
Wie ein Haus, dessen Mauern auf einem schwachen Fundament stehen, so ist auch ein Kriegspferd wertlos, wenn alles an ihm schön ist, aber die Beine dagegen schwach und hässlich sind.
Xenophon
Die Römer und Griechen des Altertums waren begabte Tierzüchter und besaßen bereits verschiedene Bücher und Anleitungen zum Thema, vor allem aus den Federn von Marcus Terentius Varro, Moderatus Columella und seinem Sohn Lucius Junius. Der Niedergang des römischen Reiches, in dem die Tierzucht einen hohen Stand erreicht hatte, bewirkte einen vergleichsweisen Rückschritt in Europa, während im Orient große Fortschritte erzielt wurden. Das arabische und das berberische Pferd mit seinem andalusischen Nachkommen sowie das Merino-Schaf sind Zeugnisse dafür. Sie gelangten vor allem mit den Kreuzzügen aus dem Osten nach Europa und erregten die Begehrlichkeit des Adels- und Kriegerstandes.
In der Renaissance erkannte man erneut die Bedeutung hochwertiger Nutztiere, waren doch die fallweisen Siege über die iberischen Mauren und während der Kreuzzüge sowie alle über die lateinamerikanischen Indianer auf reiterliche Überlegenheit zurückzuführen. Marcus von Fugger schrieb das berühmte Werk Von der Gestüterey, und Thomas Blundeville brachte in seinen Fower Chiefest Offyces of Harsmanshippe den Briten Neuigkeiten über Zucht und Haltung aus aller Welt. Jacques de Solleysel und Johann Christoph Pinter von der Aue bringen ihre Werke Le Parfait Maréchal (1664) und Vollkommener Pferde-Schatz (1688) heraus, in denen recht genaue und anschauliche Analysen der damaligen Rassen und ihrer Eigenschaften vorkommen.
Mit den weltumspannenden Kriegen und Entdeckungsreisen zwischen etwa 1500 und 1800 dringen die unterschiedlichsten Typen und Rassen von Nutztieren, auch und vor allem Pferde, in alle Winkel der Welt vor. Zuerst spanische, dann auch orientalische und letztlich britische Pferde gewinnen an Prestige und werden sowohl reinrassig als auch verkreuzt zu internationalen Leistungsträgern in Krieg und Sport, aber auch zu Statussymbolen.
Mit dem Aufblühen des Rennsports in Großbritannien und etwas später am Kontinent sowie aufgrund der militärischen Nützlichkeit des hoch im Blut stehenden Truppenpferdes auf Vollblut-Basis kam es ab ca. 1800 zu einer ausgeprägten Anglomanie, gepaart mit großem Interesse für den Orient. Somit wurde das iberische Pferd von englischen und orientalischen Rassen abgelöst und erfuhr erst vor rund 20 Jahren neue Beliebtheit über das heute so genannte „barocke Reiten“.
Die Landwirtschaft wurde zur selben Zeit modernisiert, und auch hier erlangten Pferde weltweite Bedeutung als Quelle der Arbeitskraft. Ungefähr zeitgleich entstanden die hervorragenden Truppenpferde, gewissermaßen Vorläufer unserer Sportpferde, und die erstklassigen Arbeitspferde, die als so genannte Kaltblüter leider die Mechanisierung der Landwirtschaft nur in kleiner Zahl überlebten.
Für sämtliche Nutztiere schuf man besonders im 19. oder frühen 20. Jahrhundert Zuchtorganisationen und verbesserte die Zuchtmethoden, meist nach englischem Muster. Das Klassifizierungswesen (Beschälwesen, Remontierungswesen, Zuchtbuchordnungen, Körungen und Zuchtbucheintragungen, Ausstellungswesen etc.) wurde ausgeweitet und schließlich mit einer sportlichen Komponente verbunden. Der heutige Pferdesport sollte demnach eigentlich auch eine Art Leistungsprüfung darstellen.
Prior Johann Gregor Mendel (1822–1884), ein Augustiner des Brünner Klosters, formulierte die Grundlagen der Vererbungsgesetze und damit der modernen Genetik. Seine auf praktischen Versuchen beruhenden so genannten „Mendelschen Gesetze“ öffneten der landwirtschaftlichen Tier- und Pflanzenzucht gewissermaßen die Augen und führten zu den modernen Zuchtmethoden.
Die „Päpste der Tierzuchtlehre“, wie Hermann Settegast (1819–1908), Johann Gottlieb von Nathusius (1760–1835) oder Prof. Ulrich Duerst (*1937), um nur einige wenige zu nennen, verfassten bahnbrechende Werke von zum Teil hoher wissenschaftlicher Ambition und sprachlicher Dichte. Dem modernen Pferdefreund bleiben sie oft schon wegen ihrer Seltenheit unzugänglich.
Aus zum Teil recht originellen Schriften mit betont mathematischen, analytischen oder philosophischen Ansätzen leitete sich eine sehr formalistisch geprägte Tierzucht ab. Auch an ideologischen Grundsätzen durfte nicht gerüttelt werden; so galt jahrzehntelang das Mongolische Wildpferd (eventuell mit den europäischen Varianten Tarpan und Waldpferd oder Ähnlichen) als der alleinige Vorfahre aller Hauspferde – was sich erst kürzlich als unrichtig herausstellte.
Erst vor wenigen Jahrzehnten kam mit den Publikationen einiger Querdenker frischer Wind in die verstaubten Hallen der Zoologie. Der Portugiese Dr. Ruy d’Andrade, der Pole Dr. Eduard Skorkowski, die Briten Prof. James Speed und Dr. Mary Etherington und der Deutsche Hermann Ebhardt stellten um die Mitte des 20. Jahrhunderts anhand differenzierter Beobachtungen neue Theorien auf, denen keine monophyletische (aus einem Stamm kommende), sondern eine polyphyletische (aus mehreren Stämmen kommende) Abstammung zugrunde lag. Vermutlich stützten sie sich dabei auf noch ältere Schriften und Beobachtungen, wie jene des schottischen Zoologen Prof. James Cossar-Ewart oder des Deutschen Wilhelm Bölsche (alle um oder nach 1900).
Ihre Thesen wurden von den „jüngeren“ hippologischen Autoren wie Dr. Michael Schäfer, Gerhard Kapitzke, Jasper Nissen, Hardy Oelke oder Dr. Deb Bennett aufgenommen und energisch verbreitet bzw. untermauert. Neue wissenschaftliche Methoden, wie etwa die mtDNA-Sequenzierung, unterstützen heute diese Theorien, die kritisch denkenden Pferdekennern schon lange höchst plausibel erscheinen. Mit der Erkenntnis, dass viele natürliche Merkmale unserer Pferde auf unterschiedlichen Urtypen oder Stammformen beruhen, tritt ihre Beurteilung in eine neue, interessante Phase. Heute werden die Eigenschaften und Verhaltensmuster ganzer Populationen (Rassen, Typen etc.), aber auch von Einzelindividuen auf ihre polyphyletische Herkunft zurückgeführt.
Bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war der schottische Zoologe James Cossar-Ewart der Ansicht, dass vor der Haustierwerdung mindestens drei Unterarten existiert hatten, ein so genannter Plateau-, ein Steppen- und ein Waldtyp. Inzwischen scheint erwiesen, dass die rezenten Pferde nicht unmittelbar vom Przewalski-Pferd abstammen, und schon gar nicht von ihm allein, sondern einen mehrfachen (multiplen) Ursprung haben. Anhand von Untersuchungen der Zähne, Knochen und des Verhaltens der unterschiedlichsten Pferderassen ist man zu folgendem Schluss gekommen: Es gab vor der Domestikation durch den Menschen in Eurasien vermutlich mindestens vier Grundformen von Wildpferden, die man folgendermaßen beschreiben kann:
Ein lebhaftes, intelligentes Pony von rund 110 bis 130 cm Stockmaß. Breiter, gerader Kopf mit kleinen Ohren, kräftigen Kiefern und stark ausgeprägten Augenbögen. Kräftiger Hals, wenig ausgeprägter Widerrist, tonnenförmiger Rumpf. Stämmige Beine mit harten, eher kleinen Hufen. Kräftige Bemuskelung und Neigung zum Fettansatz. Üppiges Langhaar, dichte Doppelmähne, Ponyglocke am Schweifansatz sowie wasser- und kälteabweisendes Fell. Beheimatet vor allem im Nordwesten und Westen Europas (aber auch in anderen Regionen), daher unempfindlich gegen Nässe und Wind; Zugwild mit jahreszeitlichen Wanderungen; besonders ausdauernd im Trab. Farben vermutlich Falb und Torfbraun.
Ein phlegmatisches Tier im Typ eines großen, kräftigen Ponys von rund 130 bis 150 cm Stockmaß. Großer, derber Kopf mit sehr kräftigen Kiefern und Ramsnase. Kurzer Hals, steile Schultern und breiter, tiefer Rumpf. Vermutlich flacher Widerrist und abgeschlagene Kruppe. Die recht kräftigen Beine wiesen Kötenbehang und eher große, flache Hufe auf. Überwiegend Stehmähne und bürstenartige Schweifwurzel; bei der Waldform eventuell auch Hängemähne und dichter Schweif. Langes und dichtes Winterfell. In ganz Nordeuropa und Nordasien beheimatet, allerdings vornehmlich in Tundren- und Waldregionen; Standwild. Extrem genügsam, kälteunempfindlich und als Schrittpferd eher bedächtig im Wesen. Farben wahrscheinlich Falb, Braun und möglicherweise Schwarz, im Winter heller oder Weiß.
Mittelgroßes Steppenpferd, schlank und relativ schmal, mit lebhaftem Temperament. Ramskopf mit langen Ohren; hoch aufgesetzter Hals und ausgeprägter Widerrist. Abfallende Kruppe, flache Rippung, schlanke Muskulatur. Lange Beine mit harten Hufen, kein Behang. Als Bewohner südlicher Regionen wiesen diese Pferde ein dünnes Fell und schütteres Langhaar auf. Bei einer angenommenen Größe von 145 cm und mehr vererbten sie ihren Nachkommen eine Tendenz zum Größenwuchs. Gutes Springvermögen, viel Trab- und Galoppiervermögen. Farben vermutlich Grau- und Gelbfalb oder Hellbraun, mit z. T. deutlichen Wildabzeichen, wie Aalstrich, Zebrierung, Schulterkreuz.
Ein Vorläufer der leichten, orientalischen Rassen, aber kleiner als es diese heute sind. Bei einem Stockmaß von rund 110 bis 130 cm war dieses Steppen- und Plateaupferdchen in den gemäßigten, relativ fruchtbaren Zonen des Nahen Ostens verbreitet. Feiner, harmonischer Körperbau mit kleinem Kopf, großen Augen und hoch getragenem Hals. Schlanker, schmaler Rumpf, kurze, waagrechte Kruppe, zarte Gliedmaßen ohne Behang, mit harten, engen Hufen. Sozial verträglich und hellwach. Graziöse Bewegungen, fahnenartig getragener Schweif, schneller und ausdauernder Galopp. Fein behaart, hitzeunempfindlich, ausdauernd und temperamentvoll. Farben vermutlich Braun, Schwarz und Fuchs.
Aufgrund der Erkenntnisse Charles Darwins und anderer Wissenschaftler nach ihm, dass sich alle Lebewesen auf dem Wege der natürlichen Selektion ständig ihren veränderlichen Umweltbedingungen anpassen, ist anzunehmen, dass auch diese vier Urpferdetypen innerhalb ihres riesigen Verbreitungsgebietes unterschiedliche Lokalformen hervorbrachten. Ebenso ist anzunehmen, dass sie sich in den Randzonen ihrer Verbreitungsgebiete, wo mehrere Typen aufeinandertrafen, vermischten und damit weitere Unterformen ausbildeten.
Obwohl noch kein einheitlicher Standpunkt kolportiert wurde, zeichnet sich ab, dass die polyphyletische Abstammungstheorie viele richtige Elemente enthält und in der Folge hier als Grundlage herangezogen werden kann. Die vielen markant unterschiedlichen Wildformen, die anhand von Funden rekonstruiert werden können, haben zur Ausbildung der rund 500 oder mehr heutigen Pferderassen genetisch beigetragen und in ihnen mehr oder weniger deutliche Spuren hinterlassen. So finden sich nicht nur die auch dem Laien bekannten, primitiven Merkmale wie Aalstrich und Zebrierung, sondern weit subtilere Unterschiede im Verhaltensmuster, der Gangmanier oder dem Schädelbau.
Einige domestizierte Populationen zeigen die Merkmale eines einzigen Prototyps sehr deutlich, zum Beispiel das portugiesische Sorraia, das eventuell ein fast reiner Typ-III-Repräsentant sein könnte. Der polnische Konik ist ein ganz typischer Tarpan-Nachkomme, während das südenglische Exmoor-Pony wie kein anderes den Typ I verkörpert. Der sibirische Yakute könnte in seinen unverkreuzten Exemplaren eine Restpopulation des alten Typs II darstellen. Im Kaspier meint man die Urform der orientalischen Pferde vom Typ IV, also der heutigen Araber, zu sehen. Das berühmte Przewalski-Pferd ist als Typ-II-Vertreter mit Step penanpassung aufzufassen, der sich vor langer Zeit abgespalten hat. Andere Rassen zeigen Kombinationen von mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Merkmalen, die von mehreren Urformen stammen könnten.
Allgemein ist eine Rasse eine Gruppe von Tieren (hier: Pferde), deren Mitglieder sich von der Gesamtpopulation abheben, einander überdurchschnittlich ähnlich sind und ihre Merkmale innerhalb der Gruppe relativ oft vererben. Damit ist die Rasse definitionsgemäß der Unterart im zoologischen Sinne gleichzusetzen.
Darüber hinaus wird eine Population in der Hand des Menschen (hier: Züchters) zur Rasse, wenn sie zielgerichtet selektiert und vermehrt wird (Zuchtziel) und diese Zucht einer Dokumentation unterliegt, also Aufzeichnungen über den Zuchtfortgang geführt werden (z. B. Zuchtbuch, Stutbuch). Ein Rassepferd ist im heutigen Sinn in einem anerkannten Zuchtbuch oder Register eingetragen.
Ein Zuchtpferd entspricht dem Zuchtziel und ist in einem Zuchtbuch einer anerkannten Zuchtorganisation im Abschnitt für Zuchttiere eingetragen. Seine Abstammung kann über mindestens zwei Generationen und von ihnen ausgehend bis in die früheren Bände des Zuchtbuches verfolgt werden. Den Zuchtverbänden innerhalb der EU obliegt in erster Linie die Erstellung und Durchführung eines Zuchtprogramms und die Erfassung und Kennzeichnung der dafür geeigneten Tiere.
Es gibt natürliche und künstliche Rassen, wobei erstere durch naturgegebene Umstände entstehen, letztere durch menschliches Handeln. Ein Beispiel für eine Naturrasse oder Unterart wäre eine Pferdeherde, die durch eine Steinlawine in einem Tal eingeschlossen wird und dort isoliert über Generationen ohne menschliches Eingreifen eine gewisse Einheitlichkeit entwickelt. Als Beispiel könnte hier die Entstehung des Falabella-Pferdes dienen, welches seine geringe Größe durch genau diese Isolation erlangt haben soll; auch andere isolierte Rassen sind eigentlich Unterarten, wie die Sable-Island-Ponys oder die Namib-Pferde.
Ein Beispiel für eine typische Kunst- oder Kulturrasse wäre eine Herde, welche in einem Gestüt planmäßig vermehrt wird und durch Auswahl (Selektion) der Zuchttiere eine besondere Form und Einheitlichkeit erlangt. Die Entwicklung läuft gerichtet auf ein so genanntes Zuchtziel hin und wird genau dokumentiert; ein klassisches Beispiel ist der Lipizzaner, welcher im Hofgestüt Lipica bei Triest auf Anordnung Erzherzog Karls II. aus einigen iberischen Hengsten und Stuten ab 1580 entstanden ist.
Eine „inoffizielle“ Zwischenform ist die so genannte Landrasse, die meist auf bodenständigen Tieren beruht, die über lange Zeiträume und nur schwach selektiert werden. Solche Landrassen zeigen oft relativ deutliche Merkmale einer Stammform und sind in der Regel sehr vital und robust. Landrassen werden nicht oder kaum dokumentiert, sind aber in der Überlieferung bekannt und beschrieben. Als Beispiel können heute nur vereinzelt Populationen von Nutzpferden in Randgebieten gelten, da selbst kleinste Rassen züchterisch organisiert sind und dokumentiert werden. Möglicherweise stellt das südamerikanische Arbeitspferd (Mestizo, Ranchpferd) solch eine Population dar.
Veredelte Landrassen sind eine Übergangsform zur Kulturrasse; als Beispiel könnte der frühe Haflinger dienen, der aus örtlichen Südtiroler Stuten mit den orientalisierten Hengsten Hafling 1897 und Folie 1887 geschaffen wurde. Inzwischen ist dies eine der weltweit am weitesten verbreiteten Rassen überhaupt.
Innerhalb der Rassen gibt es als nächst kleinere züchterische Unterteilung die so genannten Schläge oder Typen, und weiters noch Stämme und Familien. Ein Schlag ist eine meist lokale Unterpopulation innerhalb einer Rasse, die sich durch geringe Unterschiede ihrer phänotypischen Merkmale von der Hauptpopulation unterscheidet. Heute wird diese selten gewordene Bezeichnung meist durch das etwas irreführende Wort Typ ersetzt. Beispiele wären der sportliche Schlag oder Typ des Shetland-Ponys, der sich deutlich vom traditionellen Schlag unterscheidet; bis heute kann man das schwere Warmblut auf Alt-Oldenburger Basis vom modernen Oldenburger Sportpferd mit Vollblutanteil unterscheiden.
Ein genetisch bedeutender Hengst kann einen Stamm gründen, der über seine Söhne fortgeführt wird; bei Stuten spricht man im analogen Fall von einer Familie. Beide können sich von der Hauptpopulation erkennbar unterscheiden, das ist aber nicht immer der Fall. Zwei Beispiele: Der berühmte Vollblüter Northern Dancer wirkte besonders über seine Söhne positiv in der Rennpferdezucht, und Experten meinen, sein Erbgut noch nach Generationen an Details zu erkennen.
Die Lipizzanerrasse geht auf weiblicher Seite auf 18 originale Stutenfamilien des 18. und 19. Jahrhunderts zurück, von denen 15 bis heute fortgeführt werden und die Basis der Zucht bilden, aus der die berühmten Hengste der Spanischen Reitschule hervorgehen.
Grundsätzlich gibt es unabhängig von der eigentlichen Größe (Höhe; Stockmaß) zwei Typen von Pferden:
• leichte oder warmblütige Pferde
• schwere oder kaltblütige Pferde
Sie entwickelten sich unter verschiedenen Umweltbedingungen und aus unterschiedlichen Urformen, daher zeigen sie divergierende Merkmale. Die kaltblütigen, rumpfbetonten nordischen Pferde und deren Kleinformen entstanden in den kalten und/oder feuchten Klimaten Eurasiens und Nordamerikas. Die warmblütigen, atmungsbetonten orientalischen Rassen entwickelten sich in den warmen und eher trockenen Klimaten Nordafrikas, des Mittelmeers und Asiens.
Die Ausdrücke Warmblut und Kaltblut beziehen sich natürlich nicht auf die tatsächliche Blut- oder Körpertemperatur. Alle Pferde haben eine Durchschnittstemperatur von ungefähr 37–38 Grad. Ein warmblütiges Pferd besitzt allerdings auf das Volumen bezogen mehr rote Blutkörperchen, damit steht ihm ein größerer Sauerstoffvorrat zur Verfügung, mit dem es weiter und schneller laufen kann. Aus diesem Grund ist es auch temperamentvoller und reaktionsschneller, und sein Verhalten ist stärker auf schnelle Flucht programmiert.
Der Warmblut-Typ besitzt aufgrund des etwas milderen Klimas seiner Ursprungsregionen einen kleineren und schmäleren Körper, einen längeren Hals und in der Regel ein feineres Haarkleid. Leistungsfähige Schweißdrüsen, eine dünne Haut und schütteres Langhaar helfen dabei, den Körper auf Normaltemperatur zu halten, selbst wenn das Tier in der Hitze weit laufen muss. Die Hufe sind hart und schmal, ein Fesselbehang fehlt oder ist nur schwach ausgebildet. Üblicherweise ist der Kopf relativ klein und weist große Augen und weite Nüstern auf, während der hoch angesetzte Schweif ebenfalls der Kühlung dient. Das Gebiss ist vor allem beim Orientalen eher schwach konstruiert, die Ohren können recht klein und zierlich oder aber auch lang und schmal sein.
Seine Lungen und sein Herz sind nicht so effizient wie beim Warmblüter, dafür speichern sein voluminöser Körper und sein kurzer Hals die Wärme viel besser. Die im Verhältnis kürzeren, kräftigeren Beine verringern den Luftstrom unter dem Körper und die größeren, flachen Hufe ermöglichen die bedächtigere Fortbewegung auf weichem Untergrund. Kaltblütige Typen, dazu gehören auch fast alle echten Ponys, verfügen über eine robustere Haut, ein gut wärmendes Haarkleid und vor allem im Herbst über einen merklichen Fettvorrat unter der Haut.
Darum sind bei ihnen die Schweißentwicklung und die Thermoregulation nicht so ausgeprägt effizient wie beim warmblütigen Pferd; ihr Körper ist eher auf Wärmespeicherung programmiert als auf Kühlung. Mähne und Schweif sind dicht und lang und schützen gut gegen Wind und Nässe. Die kleinen Augen, Ohren und Nüstern schützen den Atmungsapparat vor Verkühlungen, während die großen Köpfe genügend Platz für ein robustes Gebiss und geräumige Nasenhöhlen bieten.
Weltweit gibt es wahrscheinlich mindestens 500 Pferderassen und Arten, die überwiegend an bestimmte Lebensbedingungen oder Lebensräume und Verwendungen angepasst sind. Sogar innerhalb dieser Rassen findet man oft Varianten, die sich besonders gut oder eher schlecht für etwas eignen und daher vom Rassendurchschnitt abweichen. Als Beispiel kann man die ungarischen Lipizzaner nennen, die stärker im Fahrtyp stehen und dafür weniger gut als ihre slowenischen und österreichischen Verwandten für die Hohe Schule geeignet sind. Ein anderes Beispiel wäre der moderne Lusitano, der bereits deutliche Merkmale eines Sportpferdes aufweist und daher weniger gut für die ursprüngliche Aufgabe des Rinderhütens und Stierkampfes geeignet ist.
Fast alle europäischen und amerikanischen Rassen sind durch menschliche Selektion geschaffen, verändert und ausgeformt worden, um einem bestimmten Zweck möglichst optimal zu entsprechen, z. B. Galopp- und Trabrennen, Zugdienst vor Gerät oder Kutsche, Hüten von Viehherden, Dressur- und Springsport, Distanzritte oder Gangprüfungen. Noch immer versucht man, besonders jene Merkmale zu verstärken und zu fixieren, welche diesen Nutzungen oder sogar nur Teilnutzungen (z. B. Flieger oder Steher im Rennsport) besonders dienlich sind. Im Laufe der Zeit hat dadurch jeder Pferdetyp und jede Pferderasse gewisse innere und äußere Merkmale entwickelt, welche ihm/ihr die Arbeit erleichtern – form follows function, die Form folgt der Funktion.
Für die praktische Beurteilung bedeutet dies, dass man ihr nach Möglichkeit den jeweiligen Verwendungszweck zugrunde legt und die dafür erforderlichen Merkmale besonders beachtet. Es macht eben einen großen Unterschied aus, ob ein Pferd aufgrund seines Körperbaus über 400 m extrem schnell galoppieren kann, die Ausdauer für 160 km besitzt oder als Steeplechaser sechs Kilometer im Renngalopp mit 20 hohen Sprüngen bewältigen kann. Kurze, starke Muskeln können sich schnell kontrahieren und die Kraft für einen rasanten Sprint liefern; lange, schlanke Muskeln sind hingegen für längere, ermüdende Distanzen viel geeigneter – auch unter den Pferden gibt es Bodybuilder und Marathonläufer!
Besonders in den modernen Sportpferdepopulationen finden sich viele Tiere, die extrem vielseitig verwendbar sind und für verschiedene Disziplinen großes Talent zeigen. In anderen Rassen schätzt man besondere Merkmale als rassetypisch und ideal für den besonderen Zweck. So sind beispielsweise Gangpferde nur selten im Westernsport zu finden, englische Vollblüter im Dressursport eine Rarität oder Island-Ponys im Fahrsport nahezu unbekannt. Für den Käufer eines speziellen Typs oder einer exotischen Rasse ist es ratsam, sich zuvor klar zu machen, ob man mit den Eigenheiten des gewählten Tieres auch wirklich die beabsichtigten Nutzungen abdecken kann. Wer einen Isländer nicht nur in Gangpferdeprüfungen, sondern auch für die Rinderarbeit einsetzen möchte, der muss eben länger suchen und schärfer auswählen, um ein geeignetes Tier zu finden. Umgekehrt wird es schwer sein, ein typisches Quarter Horse zu finden, das neben seinem cowsense und dem spurtstarken Galopp auch eine Töltveranlagung mitbringt.
In einigen Rassen sind gewisse Fehler oder Mängel geradezu typisch und werden von ihren Züchtern und Anhängern mitunter als rassetypische Merkmale verharmlost oder sogar als besonders erstrebenswert dargestellt. Zwischen dem historischen Idealbild einer traditionellen Rasse und den modernen Anforderungen an ein Freizeit- oder Sportpferd bestehen oft Unterschiede, mit deren Auswirkungen man sich auseinandersetzen muss, bevor man sich ein Tier zulegt, das die Erwartungen nicht erfüllen kann. Auch innerhalb einer Rasse mit traditionellen, rassetypischen Mängeln sollte man daher immer nach möglichst korrekten Exemplaren suchen, welche zwar einen starken Rassetyp aufweisen, aber diese Mängel möglichst nicht haben. Das korrekt gebaute Pferd mit gutem Temperament wird jeden Job besser erfüllen können als das fehlerhafte Pferd mit inneren oder körperlichen Blockaden. Wir haben die süße Qual der Wahl: die Palette der Pferdesportarten und dazu geeigneter Rassen ist breiter und bunter als je zuvor!
„Sei beim Handel wie ein König, denke viel und rede wenig.
Wie auch immer die Gestalt, bleibe ruhig, bleibe kalt.
Und besonders: bleibe stumm! Rede nicht von steif und krumm. Schweig und sieh auf seinen Gang, ob die Tritte kurz, ob lang. Ruhig sag: Ich danke schön, wenn kein Handel soll gescheh’n. Sage einfach kurz und schlicht: Lieber Freund, es passt mir nicht!“
(F. Trautvetter, Tierarzt der Sächsischen Armee)
Immer ist die Beurteilung eines komplexen Lebewesens durch ein paar Augen (es sollten eigentlich immer zwei oder drei sein – an der Sache ändert das wenig) problematisch. Was wir an und in einem Tier sehen können, zu sehen glauben oder sehen wollen, ist von der Realität der Kreatur oft recht weit entfernt. Der erfahrene Beurteiler wird daher eine gewisse Bescheidenheit an den Tag legen und nie behaupten, die einzige und ganze Wahrheit erkannt zu haben. Wer glaubt, ein Tier nach ein paar Minuten visueller Musterung, eventuell einem kurzen Ritt und einem Blick auf seine Abstammung völlig „erkannt“ oder „begriffen“ zu haben, überschätzt sich meistens.
Dem Kenner ist bewusst, dass er lediglich eine Momentaufnahme wiedergeben und interpretieren kann; mit Sicherheit wissen kann man in kurzer Zeit gar nichts, das sei hier einmal offen gesagt. Wer ein Pferd völlig „begreifen“ will, der muss es über Monate oder Jahre hinweg betreuen und verwenden und sollte auch dessen Verwandte gut kennen, erst dann wird das Bild etwas vollständiger.