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Heliosphere 2265

Band 22

„Heimkehr“


von Andreas Suchanek

 

 

 

Titelseite

Die neue HYPERION

Was bisher geschah

 

Ende des Jahres 2266 hat Imperator Björn Sjöberg seine Macht als Diktator gefestigt und die Solare Union in ein Schreckensregime verwandelt, das Solare Imperium.

Auf der NOVA-Station kommt es am 8. Mai 2267 endlich zur lange ersehnten Wahl eines Staatsoberhaupts für die neu gegründete Solare Republik, die aus der Rebellion gegen den machthungrigen Imperator hervorging.

Trotz zahlreicher Attacken von Sjöberg, einem freigesetzten Virus, angreifenden Flottenverbänden und schließlich die Dunkle Welle, kann sich der neue galaktische Staat behaupten, obgleich auf einem fragilen Fundament.

Die HYPERION erreicht in der Zukunft des Jahres 2317 endlich den Dunklen Wanderer, erfährt die Wahrheit über den Jahrhundertplan und macht sich bereit für die Rückreise. Doch der Tachyonentunnel ist mittlerweile zerstört, die Zeitlinie wird von einer gigantischen schwarzen Masse ausgelöscht. Im letzten Moment entgeht die Besatzung gemeinsam mit dem Volk der Aaril und 24 Raumschiffen rebellierender Imperiums-Offiziere der Vernichtung. Das gesamte System der Element-Aliens, mit allen Bewohnern, wird in die Gegenwart zurückversetzt. Der Transfer gelingt, und das Wissen um die wahren Absichten von Richard Meridian könnte die letzte Phase des Jahrhundertplans verhindern.

Der Interlink-Kreuzer fliegt durch einen Phasenraumtunnel zurück ins Alzir-System, wo bisher jeder von der Zerstörung der HYPERION ausgegangen war. Beinahe kommt es zur Konfrontation, da man in den einfliegenden Raumschiffen eine Flotte des Imperiums vermutet. Das Missverständnis kann jedoch im letzten Augenblick aufgeklärt werden, und die überraschte Präsidentin heißt die Crew in der Heimat willkommen.

 

Prolog

 

An Bord der JAYDEN CROSS

 

Mit wenigen Schritten sank Captain Kristen „Kirby“ Belflair in ihren Konturensessel.

„Unsere Sensoren haben soeben eine Raumverzerrung in einer Entfernung von 3,2 AE detektiert“, meldete Lieutenant Tasha Yost. „Die Daten deuten auf die Porta eines Wurmlochs hin.“

Kirby fuhr innerlich zusammen. „Überprüfen Sie diese Anzeige und legen Sie mir die visuelle Auswertung auf den Schirm.“

„Ich bestätige“, sagte die Funkoffizierin kurz darauf.

Kirbys Gedanken überschlugen sich. War das etwa die ganze Zeit das Ziel von Sjöberg gewesen? Er hatte hier irgendwelche Gravitationswirbel erzeugt, um ein Wurmloch zu etablieren? Wenn das stimmte, war eindeutig, was als nächstes geschehen würde.

„Ma'am“, sagte Tasha und bestätigte damit die schlimmsten Befürchtungen. In der Stimme der sonst so beherrschten Frau schwang etwas mit, von dem Kirby gehofft hatte, es sehr lange nicht mehr hören zu müssen: Angst. „Fünfundzwanzig Raumschiffe haben kurz nacheinander die Porta des Wurmlochs verlassen. Die Bauweise ist eindeutig menschlich. Ich beginne mit einem Auslesen der Transponder.“

„Wir gehen auf Gefechtsalarm.“ Kirby schlüpfte in ihren Skinsuit, wie die anderen es bereits getan hatten. Die einzelnen Stationen machten sich gefechtsbereit, Klarmeldungen gingen ein. „Senden Sie eine Warnung an die übrigen Schiffe der Patrouille, Tasha. Und stellen Sie mir einen Kontakt zur NOVA-Station her.“

„Bisher konnten wir aufgrund der starken Schwankungen in der Gravitation nur einige Transponder auslesen“, sagte sie. „Es sind alles martialische Namen, die eindeutig auf eine Zugehörigkeit zum Imperium hindeuten.“

„Abfangkurs einleiten“, befahl Kirby. „Sobald wir in Reichweite sind, feuern Sie nach eigenem Ermessen, Sienna.“

Die schlanke Taktik- und Waffenoffizierin nickte. „Aye, Ma'am.“

Die JAYDEN CROSS glitt auf ihre Feinde zu, flankiert von der SAGITTA, der SANNING und der TRIDENT. Die Kommandanten der gegnerischen Schiffe konnten sich auf etwas gefasst machen. So leicht würde sie ihnen das Alzir-System nicht überlassen. Immerhin: Wenn sie genug der feindlichen Einheiten zerstörten, würden die Gravitationstrichter den Rest erledigen, sobald einzelne Raumer einen Vorstoß ins Systeminnere wagten.

Das Eingangsschott schloss sich hinter einem gehetzt wirkenden Lieutenant Bai Yun. Der junge Offizier glitt auf seinen Konturensessel an der Sensorkonsole und verschaffte sich einen Überblick über die Daten. Manchmal kamen die Dienstpausen zum ungünstigsten Zeitpunkt. „Danke, Lieutenant Yost, ich übernehme wieder.“

Die Kommunikationsoffizierin nickte nur abwesend. Stirnrunzelnd prüfte sie die eingehenden Daten auf ihrem Display. „Eines der feindlichen Raumschiffe versucht einen systemweiten Laserpuls-Kontakt herzustellen.“

„Was für ein Schiff?“, fragte Commander Sienna McCain. „Das muss das Flaggschiff sein. Wenn Sie mir die Daten liefern, Bai Yun, können wir es direkt anvisieren.“

Kirby beobachtete erfreut, wie ihre Offiziere sich die Bälle zuwarfen. Innerhalb kürzester Zeit wurden Daten zwischen den Konsolen hin- und hergeschickt. Auf ihrem Kommandodisplay verfolgte sie den Fortschritt. „Kennsington-Gondeln ausschleusen und ankoppeln.“

„Aye, Ma'am“, bestätigte Sienna.

Die JAYDEN CROSS glitt auf den feindlichen Pulk zu.

„Position bestimmt“, sagte Bai Yun. „Ich lege die Koordinaten und das Bild in die zentrale Holosphäre.“

„Transponder ausgelesen“, kam es von Tasha. Für einen Augenblick schwieg sie und starrte auf ihre Konsole, als wäre Sjöberg höchst selbst darauf aufgetaucht.

„Tasha, was ist los?“, fragte Kirby. „Irgendein zusätzliches Problem? Lassen Sie mich raten, das Zielschiff ist der größte Brocken?“

„Ma'am“, sagte die Kommunikationsoffizierin. „Mit den Sensordaten muss etwas nicht stimmen. Der Transponder des anvisierten Zielobjektes weist das Schiff als 'Interlink-Kreuzer HYPERION, Baujahr 2265' aus. Angefügt sind die üblichen Spezifika.“

Selbst die Miene der toughen Sienna McCain entgleiste für einen Moment. Kirbys Blick wanderte zur Holosphäre, in der soeben das Flaggschiff herangezoomt wurde.

Das ist ein Trick.

Sie starrte auf das Schiff, das eindeutig Ähnlichkeiten mit dem ersten Interlink-Kreuzer der Menschheit aufwies. Allerdings gab es auch zahlreiche Unterschiede: Das Triebwerk war gewaltiger, was auf eine andere Höchstgeschwindigkeit hindeutete, und es waren mehr Laserports sichtbar. Die Gefechts-K.I. markierten soeben die Torpedoschächte.

„Das ist ein Trick“, sagte Kirby heiser.

„Gerade sendet das Flaggschiff einen systemweiten Laserpuls“, bemerkte Tasha. „Ich lege ihn auf die Lautsprecher.“

Schweigen breitete sich auf der Kommandobrücke aus, das kurz darauf von einer wohlbekannten Stimme unterbrochen wurde.

„Mein Name ist Captain Jayden Cross vom Interlink-Kreuzer HYPERION. Bitte stellen Sie das Feuer ein. Da wir den anfliegenden Kreuzer, JAYDEN CROSS“, bei diesen Worten verzog der Kommandant gepeinigt das Gesicht, „bereits bemerkt haben, gehen wir davon aus, dass die HYPERION als 'Gefallen' eingestuft wurde. Wie Sie sehen, trifft das nicht zu. Die Schlacht im Stillen Sektor …“

Die weiteren Worte nahm Kirby kaum noch wahr. Der gesamte Raum schien ein Eigenleben zu entwickeln. Konnte das tatsächlich sein? War Jayden durch irgendein Wunder wirklich zurückgekehrt?

„Ma'am?“, erklang die Stimme von Sienna. „Wir erreichen die minimale Schussdistanz. Soll ich die Torpedos abfeuern?“

 

Terra, SOL-CENTER

„… die Schlacht im Stillen Sektor war härter als angenommen, doch wir konnten die diesseitige Porta des Tachyonentunnels erreichen und einfliegen. Der Ausflug ins Jahr 2317 wäre beinahe gescheitert, aber es ist uns gelungen, die HYPERION auf einer Raumwerft von den Schäden des Kampfes zu befreien und aufzurüsten. Das ist auch der Grund, weshalb das Schiff eine deutlich andere Tonnage aufweist als vor dem Aufbruch. Ich versichere …“

Mit verschränkten Armen stand Imperator Björn Sjöberg vor einer Holosphäre auf Ebene 13 im SOL-CENTER und lauschte den Worten von Captain Jayden Cross. „Ist das live?“

Harrison Walker, der Vorsitzende der Inner Security Police, die auf diesem Stockwerk ihre Schaltzentrale hatte, nickte. „Unser Spähschiff ist vor drei Tagen im Alzir-System eingetroffen und hat am Systemrand Position bezogen. Es fungiert quasi als Relais. Wir sind über normalen Phasenfunk verbunden.“

Während innerhalb des Alzir-Systems durch die ausgelöste Dunkle Welle eine überlichtschnelle Kommunikation, die gemeinhin über das Phasenband erfolgte, unmöglich geworden war, galt diese Einschränkung nicht für das Spähschiff. Es hielt Position am Rand des Sonnensystems, wodurch es nicht den Auswirkungen der Gravitationstrichter unterlag. Außerdem war es an die Phasenfunk-Relais-Kette des Solaren Imperiums angebunden.

„Der kleine Mistkerl hat es mal wieder geschafft“, murmelte Björn. Gedankenverloren strich er sich durch den gepflegten Vollbart. „Vielleicht ist das aber gar nicht so schlecht.“

Mit dem dichten schwarzen Haar und der wachsbleichen Haut wirkte Harrison wie ein ins Leben zurückgekehrter Zombie, der nun verblüfft die Stirn runzelte. Die Stimme des Mannes glich einem Reibeisen, als er sprach: „Inwiefern könnte es günstig für uns sein, wenn die Ikone der Solaren Republik einem Messias gleich von den Toten aufersteht?“

Björn überdachte kurz die Situation, in der sie sich aktuell befanden. Es war ihm nicht gelungen, den Einsatz der Dunklen Welle zu verhindern, wodurch er seinem ehemaligen Weggefährten und jetzigen Feind, Richard Meridian, in die Hände gespielt hatte. Noch immer besaßen sie nur bruchstückhafte Informationen über dessen wahre Pläne. „Vielleicht kann der gute Captain Cross unsere Wissenslücken füllen.“

Harrison fuhr sich durch das Haar. Es gefiel ihm nicht, mit Feinden der Republik auf irgendeine Art zusammenzuarbeiten. Andererseits musste sein logischer Verstand längst die Vorteile erkannt haben. „Dann stehen wir vor der Wahl: Entweder wir entführen Cross, foltern ihn und pressen alles aus ihm heraus, was wir wissen müssen - eine neuronale Restrukturierung würde mir bei dem Kerl auch gefallen. Oder wir müssen auf diplomatischen Kanälen einen Wissensaustausch anstreben.“ Die zweite Option ließ Harrison erschaudern.

Björn wandte sich an Doktor Abigail Rosen und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Deine Meinung?“

Die Frau in dem weißen Kittel mit dem elegant geschnittenen dunkelblonden Haar legte die Stirn in Falten. „Die Rückkehr der HYPERION bringt für uns Vor-, aber auch Nachteile. Immerhin besitzt die Republik nun Technologie aus der Zukunft. Andererseits könnte uns das sogar zugutekommen, sollten wir mit ihnen zusammenarbeiten. Da ist außerdem Michael Larik. Vergessen wir nicht, dass der Marsianer in Richards Masterplan eine Rolle spielt, so wären wir näher an ihm dran. Und zu guter Letzt haben wir mittlerweile zwar die gesamten DNA-Muster aus Richards gesichertem Speicher, aber bisher keinen Positiv-Abgleich.“

Björn schnaubte. „Das sind gute Argumente. Am liebsten würde ich diese dämliche Kuh - Jessica Shaw - noch einmal von einem Attentäter besuchen lassen. Und Jansen kann er auch gleich aus der nächsten Luftschleuse werfen.“ Er ballte die Fäuste. „Immerhin ist Pendergast erledigt. Ein Gutes hat die Sache also. Schön, schön, ich werde darüber nachdenken.“

In der Holosphäre kam Captain Jayden Cross zum Ende seiner Ansprache.

 

An einem unbekannten Ort

„… versichere Ihnen, wir sind die, die zu sein wir vorgeben. Ich senke nun die Schilde. Außerdem werden wir alle Waffen deaktivieren. Sie können eine Mannschaft an Bord schicken, die uns untersucht und sich einen Überblick verschafft. Captain Jayden Cross, Ende“

Stille senkte sich über den Raum, nur unterbrochen von verschiedenen Terminals, die einen Signalton von sich gaben, wenn eine weitere Rechenoperation der komplexen Algorithmen beendet wurde.

„Er ist also wieder da“, sagte Doktor Richard Meridian mit der Stimme von Captain Stark, in dessen Körper er die letzten Jahrzehnte verbracht hatte. „Ausgezeichnet. Beinahe wäre es doch noch schiefgegangen.“

„Es gibt keine perfekten Pläne“, erklang die Stimme der TRION-Intelligenz, die er aus dem Speicher des Menger-Schwamm-Artefakts im Stillen Sektor geborgen hatte. Dank eines neuartigen Kristallspeichers, den er selbst entwickelt hatte, stand genug Rechenkapazität zur Verfügung, um die künstlichen neuronalen Strukturen des uralten Wesens zu bewahren. „Als Kriegshand der Ash'Gul'Kon besaß ich einst einen Körper, in dem ich gigantische Flotten befehligte. Es gab niemanden, der mir taktisch überlegen war. Doch ab und an misslang selbst einer meiner Pläne.“

Richard lächelte. Vielleicht war es ganz gut, dass die dämliche Solare Republik den Hybriden auf Pearl entdeckt hatte, weshalb der nun dort festsaß. Ursprünglich war der Mensch-Parliden-Mischling geschaffen worden, um der TRION-Intelligenz als Leib zu dienen.

Ohne Körper bist du mir aber irgendwie sympathischer, dachte Richard. Da kannst du dich nicht ständig ins Geschehen einmischen.

Vor vielen Jahren hatte er die gigantische Raumstation geschaffen, auf der sie an der Vollendung des Jahrhundertplans arbeiteten. Versorgungsflüge waren umgeleitet, Zeugen beseitigt worden. Heute, Jahrzehnte später, waren auch alle Schattenspiegel korrekt ausgerichtet.

Ich kann das Schloss also anvisieren und die Energien mit der Station bündeln, überlegte er. Dank der Intelligenz sind die Berechnungen abgeschlossen.

Es liefen lediglich noch Überprüfungen. Doch was ihm nach wie vor fehlte, waren die fünf Genschlüsselträger.

„Sollen wir den Zugriff auf Michael Larik einleiten?“, fragte die TRION-Intelligenz.

„Nein“, sagte Richard entschieden. „Die HYPERION ist wieder da, sollen sie sich in Sicherheit wiegen. Wir benötigen die übrigen Träger. Und das, bevor die Idioten den Retrovirus herstellen.“

Bedauerlicherweise gab es an der Stelle ein letztes kleines Problem. Er war jedoch dabei, es zu lösen. Auf der Zielgeraden durfte nichts schiefgehen. Das Schloss konnte erst anvisiert, die Schattenspiegel aktiviert werden, wenn die fünf Schlüsselträger sich dort befanden, wo sie hingehörten.

Richard deaktivierte die Holosphäre.

Auf zum Finale meines Meisterstücks.

 

Akiba-Habitat

„Ich grüße Sie, Captain Cross. Ihr Auftauchen kommt ein wenig … überraschend. Mein Name ist Jessica Shaw, ich bin die Präsidentin der neu gegründeten Solaren Republik. Einstweilen gehen wir davon aus, dass Sie tatsächlich diejenigen sind, die Sie behaupten zu sein …“

„Siehst du“, sagte Yuna. Die Arme verschränkt, breit grinsend, schaute sie auf die kleine Holosphäre im Wohnraum der Familie Ishida, in der das Konterfei der Präsidentin zu sehen war.

„Das ist sooo cross“, sagte Miu, die auf der Couch lümmelte.

„Wenn deine große Schwester ihren Kommandanten zum Essen mitbringt, will ich dieses Wort nicht hören. Der arme Kerl wird sich auf Pearl flüchten, wenn er den Wahn um seinen Namen mitbekommt.“

Riku gluckste. Selten zuvor war er so glücklich gewesen. Obgleich seine Frau ständig darauf beharrt hatte, dass sie Noriko in ihren Träumen sah und die Tochter keinesfalls mit der HYPERION den Tod gefunden hatte, war es ihm schwergefallen, daran zu glauben. Yuna etwas auszureden, war allerdings schlichtweg unmöglich, in ihrem Inneren schien ein kleiner Fusionsreaktor auf Volllast zu laufen.

Und sie hatte recht.

Vor wenigen Minuten hatten sie gesehen, wie Captain Jayden Cross den Kontakt zur Republik hergestellt hatte. Auch Noriko war von dem Kamerafeld erfasst worden.

„Wieso sollte ihr Kommandant bei uns zu Abend essen?“, fragte er.

„Weil ich ihn einlade“, sagte Yuna, die Stirn gerunzelt, als sei sie überrascht darüber, dass er eine so selbsterklärende Frage überhaupt stellte. „Hat schon einmal irgendwer meine Einladungen abgelehnt?“

Das würde niemand wagen. „Natürlich nicht, mein Schatz.“

Er nahm seine Frau in die Arme und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich kann es kaum erwarten, unsere Kleine wieder hier zu haben.“

Yuna lächelte glücklich. „Ich auch nicht. Sie war viel zu lange fort. Hoffentlich lassen diese Bürokratenhengste sie bald aus ihren Klauen.“

Er lachte. „Zuerst muss die HYPERION die NOVA-Station erreichen, dann geht es weiter. Wir müssen uns also noch ein wenig gedulden.“

„Das war noch nie meine Stärke“, sagte seine Frau grimmig. „Da habe ich eine bessere Idee.“

Oh, oh.

„Ich fliege zur NOVA-Station und begrüße unsere Tochter persönlich. Der letzte Plausch mit Admiralin Jansen war erfrischend. Sie ist manchmal etwas zugeknöpft, aber das lässt sich beheben. Vielleicht kann ich die Gelegenheit nutzen, ein wenig mit der Präsidentin zu plaudern. Ja, das würde mir gefallen.“

Beim Gedanken daran, wie Yuna sich Präsidentin Shaw schnappte und auf sie einredete, wurde ihm ganz anders. Vermutlich war seine Frau mittlerweile der inoffizielle Staatsfeind Nummer 1, und es kam nicht von ungefähr, dass zahlreiche Offiziere die Flucht antraten, wenn seine kleine süße Ehefrau auf sie zugeschossen kam.

„Vielleicht sollten wir den Dingen einfach ihren Lauf lassen?“

Sie kicherte. „Manchmal hast du einen erfrischenden Sinn für Humor. Nein, nein, ich werde auf jeden Fall auf der NOVA-Station vorbeischauen. Irgendwer muss ja auch auf den armen Jungen achtgeben.“

„Jungen?“

„Na, Jayden Cross.“

Riku räusperte sich. „Du meinst Captain Jayden Cross.“

„Richtig.“ Wie meist war seine Frau gegen Subtext gefeit. „Möglicherweise …“

Das Schott zum Wohnzimmer öffnete sich mit einem leisen Hisss, und ein verstrubbeltes Wesen, das Ähnlichkeit mit einem Teenager besaß, trottete zur Couch, wo es sich neben Miu niederließ. „Hey.“

„Hey“, erwiderte Miu.

„Nimm die Beine vom Couchtisch, Joey“, sagte Yuna.

„Klar. Sorry.“ Die Füße verschwanden vom Tisch.

„Und über deine Kleidung müssen wir uns auch mal unterhalten.“

„Hä?“, kam es von der Couch.

Yuna ging näher heran und gab dem Fragenden einen Klaps auf den Hinterkopf. „Das heißt 'Wie bitte?', junger Mann.“

Nach all den Katastrophen um das Attentat, bei dem der Vater des jungen Joey den Tod gefunden hatte, war der Kleine einfach vergessen worden. Seitdem wohnte er in einem Gästequartier auf NOVA und hatte sich mit Miu angefreundet. Obschon er rotzfrech war, mochte Riku das Kerlchen. Er hatte Mitleid mit Joey, dessen altes Leben abrupt vom Ketaria-Bund beendet worden war. Seine Frau hatte mehrfach angedeutet, dass sie mit der Präsidentin persönlich das weitere Schicksal des Jungen besprechen wollte. Immerhin ging es nicht an, dass er ohne Eltern aufwuchs und verwahrloste.

Rikus Gedanken wanderten zu Noriko. Sie würde gar nicht begeistert sein, wenn ihre Mutter auf der Raumstation auftauchte und dort wie ein Feldwebel tobte.

Er schmunzelte.

Sie müsste mittlerweile ja daran gewöhnt sein.

 

Union-Habitat

Angelo Angelosanto rannte so schnell er konnte, doch Alexis legte ein geradezu wahnwitziges Tempo vor. Vermutlich glaubten die Vertreter der anderen Parteien, seine Frau und er wollten diesen Moment des Glücks alleine verbringen – so hoffte er jedenfalls.

Seine Schritte wurden durch den Filz des Bodens gedämpft, Wandpanele und Leuchtstreifen flogen an ihm vorbei. Alle paar Meter gab es Smart-Wall-Areale, die den Weltraum, Alzir-12 oder die Silhouette von Pearl zeigten.

„Was ist denn um Himmels willen los?“, fragte Angelo, als er hinter Alexis den verlassenen Konferenzraum betrat, das Schott eingerastet war und ein Dämpfungsfeld sicherstellte, dass sie nicht abgehört werden konnten. „Solltest du nicht glücklich sein?“

„Glücklich?“, kam es zurück. „Nein, sicher nicht.“

„Aber das ist doch perfekt! Die Rückkehr von Jayden verschafft uns einen Publicity Boost. Das wird die nächsten drei Nachrichtenzyklen dominieren – so weit man bei den zeitverzögerten Aufzeichnungen überhaupt von Nachrichten sprechen kann.“ Er schnaubte. „Die richtige Ansprache und ein ausgewogener Subtext katapultieren meine Umfragewerte auf neue Höhen.“

Alexis, gekleidet in ein elegant geschnittenes dunkles Businesskostüm, verzog angewidert das Gesicht. Im nächsten Moment trug sie das wohlbekannte nichtssagende Lächeln zur Schau, das er so gut kannte. „Natürlich, du hast recht. Es ist eine gute Sache.“

Angelo verschränkte die Arme und taxierte seine Frau. „Was ist los? Warum beunruhigt es dich so sehr, dass dein Sohn wieder zurückgekehrt ist? Ich weiß ja, dass ihr euch nicht gut versteht, aber diese Reaktion ist doch ein wenig übertrieben.“

Normalerweise hätte sie ihm auf eine solch provokante Bemerkung eine geharnischte Erwiderung präsentiert. Stattdessen seufzte sie nur. „Es ist kompliziert. Versteh das nicht falsch, grundsätzlich ist mir Jayden völlig egal. Er hat sich für seinen Weg entschieden, und auch wenn ich ihn in der Vergangenheit gerne aus der nächsten Luftschleuse geworfen hätte, ist das verjährt. Es geht hier um Wichtigeres.“

„Nämlich?“

„Sagen wir einfach so“, erklärte sie, „es wäre besser, wenn du ihm gegenüber nicht erwähnst, dass die Idee, das alte Habitat zu beanspruchen, von mir stammt. Er ist politisch nicht sehr auf Zack, von alleine wird er nicht darauf kommen. Und falls doch, misst er dem Ganzen hoffentlich keine große Bedeutung bei.“