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Das Buch

Ein Sommertag vor der Alten Oper. Thomas Abega, Stürmer und Tormaschine der Eintracht, gibt ein Interview. Unvermittelt aber verändert sich das Verhalten des Fußballers. Abega fällt wie von Sinnen über den Journalisten Thorsten Unger her und attackiert im Anschluss mit tödlichen Folgen eine Frau, die ihn zuvor um ein Autogramm gebeten hat.

Der Vorfall versetzt die Sportwelt, insbesondere aber die windigen Spielerberater Jürgen Makovic und Niels Kelle in Schrecken. Als der verletzte Journalist ein ähnlich aggressives Verhalten wie zuvor Abega zeigt und aus der Universitätsklinik flieht, stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang diese sonderbaren Ereignisse stehen. Handelt es sich um Drogen, Spielermanipulation oder eine unbekannte Krankheit?

Die Journalistin Eva Maler und Hauptkommissar Kleist machen sich einmal mehr auf den Weg, um Licht ins Dunkel zu bringen. Unterdessen gedeiht unabwendbar die Saat des Schreckens in den nächtlichen Straßen Frankfurts.

Der Autor

Helmut Flender wurde 1969 im Ruhrgebiet geboren und wuchs in der Nähe von Bad Hersfeld auf. Nach dem Abitur studierte er in Bonn zunächst Mathematik und Physik, orientierte sich aber um und schloss 1999 das Studium der Literaturwissenschaften und Chemie ab. Nach einer beruflichen Tätigkeit in Offenbach zog er in die Nähe von Fulda, wo er heute mit seiner Familie lebt und arbeitet.

„Todesgrüße nach Frankfurt“ war sein Krimi-Debüt bei mainbook und gleichzeitig der erste Eva-Maler-Krimi. Mit „Westend Z“ setzt der Autor die Reihe um die Journalistin Maler fort.

Weitere Informationen: www.helmutflender.de

Es handelt sich bei nachfolgendem Text um eine fiktive Erzählung, die lediglich von allgemeinen Strukturen des Leistungssports inspiriert ist. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind zufällig und vom Autor unbeabsichtigt.

ISBN 978-3-946413-63-9
Copyright © 2017 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer
Covergestaltung: Carolin Müller
Covermotive: © fotolia Dirk Vonten, Eugene Onischenko

Helmut Flender

Westend Z

Ein Eva Maler-Krimi

Für Susanne, die Vielleserin

Inhalt

Das Buch

Der Autor

Tag 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Tag 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Tag 3

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Tag 1

1

„Ich bin auch nur ein Mensch. Ich habe gute und schlechte Tage“, erklärt Thomas und zupft sich den Kragen seines Hemdes zurecht. Es ist heiß, sehr heiß. Entweder das oder er bekommt Fieber.

„In letzter Zeit sind es dann wohl eher nur gute Tage“, antwortet der Journalist mit süffisantem Grinsen. „Sie haben 9 Treffer aus 4 Spielen auf Ihrem Konto und benötigen lediglich 4,2 Ballkontakte pro Tor. Das ist der beste Wert europaweit. Und das, obwohl Sie vor einem Jahr noch in der zweiten Liga gespielt haben.“

Thomas bemüht sich zu lächeln, obwohl ihm jetzt wirklich unangenehm heiß ist, als wäre ein Feuer in ihm entzündet worden und er auf kleiner Flamme gebraten würde. Außerdem brennt die Sonne vom Himmel, prügelt auf seinen Schädel, sodass er die Hitze auf seiner Kopfhaut spürt. Die zu Stoppeln rasierten Haare sind kein Schutz. Hinzu kommen die Menschen, Massen von Menschen, die sich vorbeibewegen, wobei sie ihm ihre neugierigen, weißen Grimassen entgegenstrecken. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Oder mit denen. Können sie ihn nicht wenigstens einmal in Ruhe lassen?

„Wie kommt diese Leistungsexplosion?“ Der Journalist lässt seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern hin und her schwingen wie ein Pendel.

„Ich habe viel trainiert und unser Trainer weiß genau, wie er einen motiviert“, antwortet er, mit einer Hand an seinem Hemdkragen nestelnd. Es fühlt sich an, als sei dort eine Schlinge, die sich langsam zuzieht, ihn erdrosselt.

Der Journalist betrachtet ihn herausfordernd, als halte er diese Erklärung für eine Lüge. Eine verdammte Klugscheißerfresse hat dieser Schmierfink. Thomas bedauert, dass er sich auf ein Interview eingelassen hat. Die Schuld liegt bei seinem Manager, der ihn immer wieder dazu anhält, sich öffentlich zu präsentieren und in jeden Arsch zu kriechen, der auch nur im Entferntesten nach Medien aussieht. Würdelos und ärgerlich ist das alles.

„Sie haben physisch zugelegt in der Sommerpause, Ihre Ernährung umgestellt und sich im neuen Leistungszentrum des DFB beraten lassen. Können Sie kurz darstellen, was man Ihnen empfohlen hat?“

Es ist ein Kribbeln in den Fingerspitzen, das sich rasend schnell ausbreitet, die Arme empor wandert und jeden Muskel zum Zucken bringt. Dieser weiße Wichser will ihn drankriegen. Er giert nach einer Story. Ihm ist es egal, wer den Preis dafür bezahlt. Ihn kümmert es nicht, dass er seit seinem fünften Lebensjahr auf Bolzplätzen geschwitzt hat und ihm manchmal der Rücken weh tut, als ob ein Insekt mit seinen spitzen Greifern die Bandscheiben bearbeitet, Nervenstränge in kleine Stücke schneidet. Er will seine Geschichte, Schlagzeilen, Blutgeld, das ist alles, was ihn interessiert. Thomas spürt, wie er würgen muss.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Der Journalist legt den Kopf schief. Seine Finger spielen mit dem Stift. Es ist keine Anteilnahme in seinem Blick. Vielleicht hofft dieser Journalist, dass Thomas gleich kotzen muss. Das wäre eine kleine Sensation. Noch ein Bild des Erbrochenen, eines mit Thomas Abega, der sich gerade einen Schleimfaden aus den Mundwinkeln wischt. Das ist es, was dieser Schmierer will.

„Entschuldigen Sie, könnte ich bitte ein Autogramm haben?“ Die Frau steht plötzlich am Tisch, bleckt die Zähne, weiße, spitze Zähne, die aussehen, als hätten sie gerade rohes Fleisch von einem Knochen genagt. Die Nase ist zu lang, die Augen liegen tief. Sie sieht ihn mit stumpfem Blick an. Das Lächeln auf ihrem Gesicht ist höhnisch, der gleiche kalte, verächtliche Ausdruck wie bei den Spannern, die sich daran weiden, wenn er sich auf dem Spielfeld windet. Nackter Hass, der ihre Gesichter verzerrt. Sie wollen Schmerz, Blut, Schreie, das ist es, was sie wollen. Er ist kein Mensch, nicht für sie und gewiss nicht für diese Frau.

Das Zittern hat die Mitte seines Körpers erreicht. Er will etwas sagen, sie wegschicken, damit sie nicht seine Wut zu spüren bekommt, denn dann müsste er sich etwas von Jürgen, seinem Manager, anhören. Mann, bist du dir deiner Position nicht bewusst? Du kannst doch nicht die Kontrolle verlieren! Immer nur Kontrolle, sein ganzes Scheißleben ist Kontrolle.

„Könnten Sie mir ein Autogramm geben?“ Sie schiebt ihm ein Foto hin, auf der eine dicke, grinsende Frau abgebildet ist, in deren Zügen er erst auf den zweiten Blick die Autogrammjägerin selbst erkennt.

„Hehwech!“, kommt es ihm über die Lippen. Seine Zunge! Es ist etwas mit seiner Zunge, sie liegt schwer in seinem Mund, ein träger, schwerer Fleischlappen, der seine Elastizität eingebüßt hat.

Der Kragen drückt weiter, zieht sich zusammen wie eine Garotte. Unmöglich noch Luft zu kriegen. Er steht auf, der Tisch fällt um, aber das ist nicht von Bedeutung.

Er sieht nur ihre Zähne, spitz wie Messer. Sie bleckt die Zähne, ganz klar. Dann faucht sie wie ein Tier. Oder ist das die Bremse des LKWs dort drüben auf der Bockenheimer Anlage? Egal!

Sein Arm fährt nach oben, ein Reflex, eine reine Schutzreaktion, nicht mehr, sie aber schnappt danach, bestimmt tut sie das, er spürt ja den Druck ihrer Zähne und jetzt denkt er nicht mehr, hört nur noch die Schreie und registriert die Gesichter, welche sich in Grimassen verwandelt haben. Sie wollen ihn packen, festhalten, beißen. Es sind Tiere, wilde Tiere, das waren sie schon immer.

Er aber ist stark, stärker als seine Gegner. Den Journalisten wirft er mit einer schnellen Bewegung über den Nachbartisch. Die Frau hat den Rückzug angetreten, aber das hilft ihr gewiss nicht. Er packt sie von hinten, reißt sie herum und beißt zu, bis er Blut schmeckt. Sie schreit, kreischt, zuckt, wehrt sich, hämmert ihm ihren Ellenbogen gegen den Schädel.

Lächerlich! Schon liegt sie vor ihm, eine klaffende Wunde knapp unterhalb des Auges. Zwei Münder zieren nun ihr Gesicht, rote, lebendige, atmende Öffnungen, aus denen das Leben strömt. Thomas drückt den Schädel zur Seite, legt die Kehle frei. Dann stößt er auf sie herab, verbeißt sich, schmeckt Eisen, spürt ihren Puls am Hals, spürt, wie es in ihn strömt, er stärker wird, stärker als jene, die ihn leiden sehen wollen. Keine Kontrolle mehr, nie wieder, denkt er. Der Schmerz ist nun verschwunden, jeder Schmerz, den er jemals in sich getragen hat, existiert nicht mehr. Alles löst sich in diesem Pulsieren auf. Was bleibt, ist rasende Wut, ein Tanz auf dem Messer, ein Toben in seiner Brust, das von seinem Herz ausgeht. Er spürt es in sich brennen, als würde er gleich explodieren.

Er springt auf, die Arme angewinkelt, den Kopf leicht gesenkt, bereit, es mit dem nächsten aufzunehmen, der sich ihm entgegenstellt. Sie kommen, sind schon da. Sie bilden einen Kreis um ihn. Aber die Angst ist nun in ihren Gesichtern. Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, was er ihnen antun kann. Ohne zu zögern, stürzt er sich auf den Journalisten.

Du willst eine Geschichte? Hier ist sie.

2

Männer vs. Frauen, so heißt das Spiel, das wir jeden Tag aufs Neue spielen. Im Grunde genommen ist es kein richtiges Gegeneinander, mehr ein Ausschließen und Alleinemachen. Hier regieren wir, die Herrscher des Testosterons (trommel auf Brustkorb), dort drüben dürft ihr ein bisschen Kultur machen und euch den Kopf darüber zerbrechen, was dieses Jahr ein MUST-HAVE ist. Bordeauxrote Fingernägel gehören dazu, soweit ich der Moderatorin aus dem Frühstücks-Radio trauen darf und auch wenn ich Bordeauxrot mag, werde ich mir kein Bordeauxrot zulegen, weil ich Angst hätte, im Mainstream zu ersaufen.

Manchmal macht es mich wütend, mit welcher Unverfrorenheit selbst intellektuell nicht minderbemittelte Männer, allen voran mein Chefredakteur Rüdiger, ihren Machismo ausleben. Meistens aber muss ich einfach nur grinsen, denn mit einem Lachen lassen sich die größten Probleme der Welt vielleicht nicht vom Angesicht des Planeten tilgen, aber sie wirken irgendwie kleiner, niedlicher, rosarot und kringelig, sobald man ihnen entgegen grinst.

„Ist das okay für dich, wenn du Rudolf Weiser interviewst und sein neues Buch vorstellst?“ Rüdiger sieht auf sein Pad und liest vor: „Die Erfindung des Terrors durch einen pubertären Neurotiker auf einer Toilette im Winter 68.“

„Was ist los?“, frage ich entsetzt. Auch eine Journalistin wie ich, die sich den Arm für eine gute Geschichte abschneiden würde, hat ihre Grenzen.

„Steht auf der Shortlist der Buchmesse und ist für den deutschen Buchpreis nominiert. Ich habe es gelesen. Ist ein richtig gutes Buch, da gibt es nichts dran zu rütteln. Ein Kaleidoskop der Sechziger und Siebziger Jahre, fantasievoll ausgestaltet und trotzdem ein Spiegel der damaligen Zeit, aus dem wir heute noch Erkenntnisse gewinnen können. Was ist Terror? Wie wirkt er auf Jugendliche? Was bewegt junge Menschen in einer komplexen Welt, die ihnen stetig neue Herausforderungen und auch Einschränkungen vor die Nase setzt?“

„Aber wenn ich den Titel geschrieben habe, bleibt ja nichts mehr für einen Artikel“, lamentiere ich über den Konferenztisch.

„Stell dich nicht so an. Lies das Buch – von mir aus auch quer -, triff den Mann und du wirst sehen, das gibt einen guten Artikel.“

„Ich würde für die Samstagsausgabe lieber etwas über den VW-Skandal schreiben, über die Männerbünde, welche hinter dieser ganzen Geschichte eine Rolle spielen.“

„Das will doch keiner lesen. Der halbe Vorstand ist zurückgetreten und dass es bei VW nicht gerade frauenfreundlich zugeht, ist allgemein bekannt. Das bringt nichts, sich darüber jetzt auch noch auszulassen.“

„Aber ein Teenager im Jahre 68, der neurotisch ist und auf der Toilette sitzt, der bringt es?“

„Gib dem Mann seine Chance und lass dich nicht vom Titel täuschen. Du bist doch sonst für alles aufgeschlossen.“

Totschlagargumente! Rüdiger will mich mit einfachsten Mitteln mundtot machen, weil er weiß, es wird schwer, jemanden für ein Interview mit diesem Weiser zu begeistern. Ich zögere einen Moment zu lange, suche nach einer geeigneten Volte und schon ist meine Zeit verstrichen.

„Okay, dann machen wir es doch so.“ Rüdiger nickt erst Michael Beyer zu, der heute noch mit einem der Vorstandsvorsitzenden von BMW sprechen wird, sieht dann mich kurz an, meidet es aber Blickkontakt aufzunehmen.

Bevor ich ein letztes Veto geltend machen kann, stürmt Lola den Konferenzraum, den Kopf hochrot, die Haare wie elektrisch geladen. Alle Blicke richten sich auf sie. „Thorsten liegt im Krankenhaus, schwer verletzt.“

Rüdiger schüttelt sich wie ein Eisbär, der gerade aus dem kalten Wasser des Polarmeers auf die letzte Eisscholle weit und breit klettert.

„Was? Thorsten? Thorsten Unger?“

„Liegt im Krankenhaus“, wiederholt Lola und fuchtelt dabei mit den Händen herum, als sei sie auf Gebärden angewiesen, um sich verständlich zu machen. „Thomas Abega hat ihn angegriffen und mehrfach gebissen“, fügt sie hinzu, auch diese Information durch ein entsprechendes Mienenspiel unterlegt.

„Abega? Der Fußballspieler?“, ruft Michael und springt auf.

Auch wenn ich keine Ahnung von Fußball habe, Fußball für eine degenerierte Sportart halte, die erwachsene Männer in Primaten verwandelt, weiß ich, wer Thomas Abega ist. „Der Eintracht-Stürmer hat Thorsten angegriffen und gebissen?“

Lola nickt knapp, bevor sie weiterspricht. „Thorsten und noch drei andere Passanten. Eine Frau schwebt in Lebensgefahr.“

„Das kann doch nicht sein! Abega ist doch kein Psychopath. Wieso sollte er Menschen auf offener Straße angreifen?“

Die Frage schwebt einen Moment durch den Raum, ohne sich aufzulösen, an Substanz zu gewinnen oder beantwortet zu werden. Wieso sollte ein hochbezahlter Fußballspieler etwas Derartiges tun?

„Muss den Verstand verloren haben. Ist wohl während Thorstens Interview völlig ausgetickt“, sagt Lola leise.

„Und wo ist Abega jetzt?“, will ich wissen.

„Liegt wohl auch im Krankenhaus“, antwortet Ina schulterzuckend.

„Ich muss los“, rufe ich, während Rüdiger noch nach seiner Fassung sucht, die sich in den letzten Sekunden irgendwo unter dem Tisch oder in seinem Unterbewusstsein verloren hat. Er zuckt kurz, lässt dann aber wieder die Schultern hängen, während ich den Raum verlasse. Beyer sitzt neben ihm, ebenfalls in Stasis verfallen.

Männer mögen sich als Macher verstehen, aber in Krisensituationen sind sie zumeist zögerlich oder schlagen reflexartig um sich, bestenfalls heben sie ihre tiefen Stimmen und geben irgendeinen adrenalinschwangeren Schwachsinn von sich, um ihre nicht vorhandenen Macherqualitäten zu betonen. Zielgerichtete Handlungen sind nicht ihre Spezialität. Solche Defizite muss eine Frau nutzen, um sich in einer Testosteron-geschwängerten Biosphäre zu behaupten. Bevor Rüdiger wieder zu sich kommt, habe ich die Glastür bereits geschlossen und bin auf dem Weg zur Klinik. Und weil es nur ein kleiner Umweg ist, werde ich bei der Alten Oper vorbeifahren, um mir ein Bild zu machen, was sich dort wirklich zugetragen hat.

3

Der Kaffeeautomat ist schon wieder defekt. Jens steht mit hängenden Schultern vor der Maschine und betrachtete die blinkenden Knöpfe, deren Morsecode ihm eine eindeutige Nachricht übermittelt: Heute kein Kaffee, du Idiot, trink Wasser! Das ist die unschwer zu dechiffrierende Botschaft. Selber schuld, denkt Jens, und drückt ein weiteres Mal auf die Espresso-Taste. Jana sagt ihm mindestens einmal pro Woche, eine Thermoskanne mit Grünem Tee sei gesünder als Automatenplörre, mit der er sich die Magenschleimhaut kaputtmacht.

Er nimmt den Becher aus dem Fach und betrachtet die traurige Pfütze darin. Der Sud, welchen der Automat ausgespuckt hat, ist durchsichtig, riecht nach Spülwasser und hat mit Kaffee so viel gemeinsam wie Crème brûlée mit Fruchtquark vom Discounter. Um Espresso handelt es sich in keinem Fall. Da muss man kein Italiener sein, um diese Brühe als ungenießbaren Angriff auf die Geschmacksnerven einzustufen.

Jens erinnert sich noch genau, wer die glorreiche Idee hatte, eine Maschine zu pachten und von einer externen Firma betreiben zu lassen, damit es keine Streitereien unter Kollegen über vergessene Einkäufe mehr gibt: Römer, Vorgesetzter und Silberrücken des Kommissariats.

Jens schlägt mit der Faust gegen den Automaten und sieht sich dann vorsichtig um, ob er beobachtet wurde.

Ade Kaffee“, sagt er zu sich selbst und lässt den Pappbecher – eine Umweltsauerei ist das – in den Mülleimer fallen, um frustriert ins Büro zurückzukehren.

Tina sitzt in gebückter Haltung vor ihrem Computer und arbeitet an einem Bericht über einen 76-jährigen Mann, der vor zwei Tagen seine Nachbarin mit einer rostigen Schrotflinte ins Nirwana befördert hat, weil sich ihre 8- und 6-jährigen Söhne nicht an die Nachmittagsruhe halten wollten. Der Rentner hat laut Ermittlungen mit dem Gewehrkolben gegen die Tür der Nachbarin gehämmert und der Frau den Kopf weggeblasen, kaum dass diese geöffnet hatte. Die Erinnerung an den Tatort sitzt Jens wie ein scharfkantiges Metallstück, das bei einer Operation vergessen wurde, im Schädel. Sobald er die Augen schließt, sieht er sich die Wohnung betreten, in der die Kriminaltechniker damit zugange sind, gräulich-rote Menschenmasse von den Wänden zu kratzen. Die Kinder des Opfers waren zum Glück nicht mehr zugegen, als Tina und er die Wohnung erreichten. Jens weiß, ihre Gegenwart wäre zu viel für ihn gewesen, er hätte es nicht ertragen, ihnen gegenüberzustehen.

Seltsam, dass ihn das Alter sensibler macht. Bisweilen spürt er eine emotionale Inkontinenz, die sich kaum mit den Erfordernissen seines Jobs in Einklang bringen lässt.

Neulich erst hat er sich ertappt, wie ihm beim Anblick der Nachrichten die Tränen kamen. Die Kamera zeigte apathische, im Schlamm sitzende Kinder an der mazedonisch-griechischen Grenze. Zerzauste Gestalten, die in ihrer Bewegungslosigkeit etwas Tierhaftes an sich hatten. Obwohl er die Fernbedienung in der Hand hielt und den Wunsch verspürte, sich abzuwenden und die Augen zu verschließen, war er unfähig umzuschalten. Der Anblick löste eine Art von Starre aus, ein schleichendes Unwohlsein, das die Bilder auf dem Bildschirm mit seiner Wirklichkeit überlagerte.

Wenn er weiter so emotional reagierte, würde er nicht alt werden in seinem Job. Wie aber soll man es bitteschön ertragen, wenn ein verrückter Drecksack von Rentner einer jungen Mutter den Kopf wegschießt, Kinder zu Waisen werden und die Welt insgesamt den Eindruck vermittelt, so kaputt zu sein, dass nur noch eine Generalüberholung Besserung verspräche?

Er weiß keine Antwort darauf, spürt nur, wie ihm die Müdigkeit zusetzt. Das Problem ist, dass er die Menschen nicht mehr versteht, dass sich ihm ihre Motive rational nicht erschließen und sie ihm wie ferngesteuerte Ungeheuer erscheinen, die nach anderen Gesetzen handeln, als die Menschlichkeit es gebietet.

Das Unverständnis ist es, das ihn schwächt und den Wunsch nach Erholung von Tag zu Tag wachsen lässt. Jana ist bereits intensiv am Planen. Die Vorbereitung der Sommerferien fällt in ihr eheliches Ressort, und irgendwie hat es den Anschein, als bereiteten ihr das Aussuchen des Ziels, die Buchung des Hotels, das Vergleichen der Flugpreise mittels Suchmaschinen, die Bestpreise und Schnäppchen verheißen, ein noch größeres Vergnügen als der Urlaub selbst.

Eine Eigenart, die sich seinem Verständnis entzieht. Wenn es nach ihm ginge – was es gewiss nicht tut –, würde er am letzten Schultag mit verbundenen Augen auf eine Europa-Karte tippen und zu jenem Ort aufbrechen, den sein Finger zufällig berührt.

Jana aber hat für dieses Jahr Spanien als Reiseziel auserkoren.

Auch wieder so ein Krisenland.

Also wird man sich in den Bettenburgen an der Costa del Sol einquartieren und im algenverseuchten Wasser planschen, bis die Haut an den Fingern schrumpelig ist wie die eines Schimpansen.

„Bist du fertig?“, fragt Jens seine Kollegin Tina, deren Schreibfluss ins Stocken geraten ist. Er hat keine Lust mehr, im Büro zu sitzen und sich seiner schlechten Laune hinzugeben. Es gibt noch einen Nachbarn des Psycho-Rentners, den er gerne befragen würde, um den Fall zu den Akten legen und vergessen zu können. Außerdem eröffnet diese dienstliche Tätigkeit außerhalb des Kommissariats die verlockende Möglichkeit, sich einen Kaffee zu besorgen und seiner fortgeschrittenen Entkoffeinierung entgegenzuwirken. Wenn er nicht bald einen Espresso oder eine ordinäre Tasse Filterkaffee bekäme, würde er in Trübsinn und Müdigkeit ertrinken.

Was ist nur mit ihm los? Es ist untypisch für ihn, so lange deprimiert zu sein. Sind das die ersten Zeichen einer Midlifecrisis? Kommt das in diesem Alter?

Jens schüttelt energisch den Kopf. Gewiss nicht!

Zum einen ist es der Rentner-Fall, der ihm aufs Gemüt schlägt, zum anderen sitzt ihm das Wochenende in den Knochen. Tim hatte Geburtstag – Piratengeburtstag – und Jana hat den ganzen Tag herumgewirbelt, als sei sie auf Speed. Das ganze Tohuwabohu hat ihm ebenso zugesetzt wie ihr. Die Regeneration dauert seitdem an. Er fühlt sich müde, abgespannt, grippekrank beinahe. Bei genauer Betrachtung ist seine Stirn auch ein wenig heiß, es brodelt dahinter, entweder weil Viren sein Immunsystem in Aufruhr versetzen oder aufgrund finsterer Gedanken. Im Resultat das Gleiche. Angeblich grassiert ein neuer, überaus ansteckender Grippeerreger. Er ist nicht geimpft und kann gut darauf verzichten, ein paar Tage mit Fieber im Bett zu liegen. Das wäre nicht die Art von Erholung, welche ihm vorschwebt.

„Es geht nicht schneller, wenn du mir auf die Nerven gehst. Ich bin noch nicht durch mit dem Bericht“, antwortet Tina.

Jens zuckt mit den Schultern.

„Kannst du später auch noch machen. Es fehlt doch ohnehin die Befragung des Nachbarn, der auf der gleichen Etage wie dieser alte Giftzwerg gelebt hat. Lass uns hinfahren und sehen, ob er da ist.“

Tina stößt sich vom Schreibtisch, rollt bis zur Wand und schlägt die Beine übereinander. „Du willst doch nur an die frische Luft. Was ist los? Du siehst aus wie eine Wasserleiche. Gestern zu viel getrunken?“

Jens fühlt sich ertappt. Sie arbeiten zu lange zusammen, um sich etwas vormachen zu können.

„Wir hatten Kindergeburtstag. Tim ist zehn geworden. Das war anstrengender als eine durchzechte Nacht. Zehn Jahre, das heißt zehn Freunde, die er einladen durfte. Die haben uns die Bude auseinandergenommen, die Kinderzimmertür vollgekritzelt und die Sofaritzen mit Popcorn aufgepolstert. Wir haben stundenlang gebraucht, um wieder klar Schiff zu machen.“

„Das meiste wird Jana gemacht haben, so wie ich sie kenne.“

Wenn es etwas gibt, das Jens hasst, ist es die unvermeidliche Solidarisierung unter Frauen, sobald es um das Thema Haushalt geht. Egal, was man sagt, immer ist man der Blödmann, der nicht genug hilft oder das Toilettenpapier aufgebraucht hat, ohne es zu ersetzen. „Ich habe die Kinder bespaßt“, hält er Tina entgegen, „und eine Schatzsuche gemacht und dann das Abendessen organisiert.“

„Bei McDonalds?“ Ein breites Grinsen erhellt ihr Gesicht.

Jens verschränkt die Arme vor dem Brustkorb. „Bei Burger King, wenn du es genau wissen willst, und es war so anstrengend, wie einen Sack Flöhe zu hüten. Die sind fast alle zehn Jahre alt und beschmeißen sich mit Pommes, sobald du ihnen auch nur einen Moment den Rücken zudrehst. Da wünscht man sich in die Zeit zurück, als beim Geburtstag nur zwei Mütter aus der Krabbelgruppe gekommen sind, um Stilltee zu trinken und dann wieder abzudampfen.“

Darauf weiß Tina offensichtlich wenig zu sagen. Krabbelgruppen sind nicht ihr Ding und wie Jens die Situation einschätzt, wird das auch noch einige Jahre so bleiben. Sollte Tina sich doch irgendwann fortpflanzen – Wunder gibt es immer wieder –, dürfte es bald eine alleinerziehende Mutter mehr in Deutschland geben. Der Grund ist, wenn man ihn fragt, sie kann einfach nicht angemessen mit Menschen innerhalb einer Beziehung kommunizieren. In diesem Punkt ist sie fast schon männlich veranlagt.

Gestern erst hat er einen Bericht über einen Mann gelesen, der seit Jahren mit einer Latex-Puppe zusammenlebt und es als entscheidenden Vorteil dieses pseudoamourösen Verhältnisses ansieht, keine Diskussionen mehr führen zu müssen wie in seiner letzten Beziehung zu einer lebenden, atmenden Frau.

So sind Menschen eben. Unfähig sich auf andere einzustellen, weil jeder unterschiedliche Bedürfnisse hat, die sich kaum miteinander vereinen lassen.

Gehört er auch diesem Typus an? Der bloße Gedanke ist ihm unangenehm, sodass er beschließt, ihn mit einem Blinzeln in die Abgründe des Bewusstseins zu verbannen, wo er keinen Schaden mehr anzurichten vermag.

„Burger King, aha“, sagt Tina leise und betrachtet gedankenverloren ihren Monitor. Jens weiß, sie wird in den nächsten Augenblicken wieder in ihren Bericht eintauchen, insofern er sie nicht überreden kann, sich auf den Weg zu machen.

„Los, wir sollten jetzt wirklich …“, sagt er. Im selben Moment klingelt das Telefon. Er nimmt den Hörer ab, meldet sich und hört aufmerksam zu, was Polizeihauptwachtmeister Weishaupt-Müller, dessen Stimme selbst durch die Leitung hinweg eine gewisse Aufregung erkennen lässt, ihm mitzuteilen hat.

„Direkt an der Alten Oper?“, fragt er und lässt einen Kugelschreiber zwischen seinen Fingern rotieren. Weishaupt-Müller bestätigt.

„Wir sind in ein paar Minuten da“, sagt Jens und beendet das Gespräch.

Kaum hat er den Hörer aufgelegt, will Tina wissen, um was es geht.

„So wie es aussieht, haben wir einen neuen Fall. Vor der Alten Oper hat es vor einer knappen halben Stunde einen Zwischenfall gegeben. Kennst du einen gewissen Thomas Abega?“

„Den Fußballspieler? Klar kenne ich den. Der ist super. Toller Typ.“

„Dein toller Typ hat gerade vor der Alten Oper einen Journalisten und eine Frau massakriert“, antwortet Jens.

Tina schüttelt den Kopf, als gelinge es ihr nicht, diese Information in ihren Verstand zu lassen. Dann öffnet sie den Mund, schließt ihn im nächsten Moment jedoch wieder, ohne ein Wort zu sagen. Sie sieht dabei aus wie ein Fisch auf dem Trockenen, der nicht begreift, wo das Meer ist, in welchem er Zeit seines Lebens geborgen war.

4

Jürgen Makovic geht in den Vorraum seines Büros, nimmt sich eine weitere Flasche Bier und greift nach dem Öffner, welcher auf dem Porzellanteller mit dem Adler-Emblem liegt. Er braucht noch eins, um sein Nervenkostüm zu massieren, dem Stress, der in schnell aufeinanderfolgenden Wellen durch seinen Körper pulsiert, eine weiche Schicht aus einsetzender Betäubung entgegenzusetzen. Seit fast 20 Jahren ist er in diesem Business und natürlich gibt es immer wieder Hoch- und Tiefpunkte, das aber, was sich heute zugetragen hat, besitzt das Potenzial, ihn nachhaltig zu schädigen. Da baut man sich über viele Jahre ein Netzwerk auf, ist bemüht, seinen Ruf auf Vordermann zu bringen, die nötigen Kontakte zu knüpfen und dann kommt ein durchgeknallter Afrozacken-Kicker und bringt all das in Gefahr. Was ist mit diesem Idioten nur los? Bereits bei ihrem letzten Treffen hat ihn Abega aus Augen angesehen, die wie trübes Glas glänzten. Die Pupillen waren winzige schwarze Punkte im Braun der Iris gewesen, die unruhig hin und her blickten, als suchten sie nach dem Notausgang in einem brennenden Gebäude.

Jetzt also ist dieser muskelbepackte Straßenfußballer völlig durch den Mixer gedreht und hat Menschen angegriffen, eine Passantin sogar mit seinen bloßen Händen getötet, als ob es in Frankfurt zugehen würde wie in seiner westafrikanischen Bananenrepublik. Da muss man sich über Vertragsverlängerung, zukünftige Provisionen und Imageschaden keine Gedanken mehr machen. Minderjährige Prostituierte, schwule Tendenzen, Depressionen, vielleicht noch ein paar krumme Immobiliengeschäfte, das sind alles Dinge, die sich irgendwie in den Griff kriegen lassen, aber doch kein Mord mitten in der Frankfurter Innenstadt! Abega ist tot – karrieretechnisch auf jeden Fall. Bleibt die Frage, wen dieser Schwachmat mit in den Abgrund zieht?

Makovic hat jetzt nicht den Nerv, mit der Presse zu sprechen, früher oder später aber muss das geschehen. Er wird auf Distanz gehen, zurückrudern, seine Ahnungslosigkeit wiederholen, als sei das sein neues Mantra, und dafür beten, dass Gras über die Sache wächst, Vergessen sich herabsenkt wie rieselnder Staub nach einer verheerenden Explosion. Vielleicht ist es sogar an der Zeit, sich für ein paar Monate zurückzuziehen, nach Malle zu fahren und auf seiner Finca nahe Cala D‘or die Füße hochzulegen.

So oder so, Malle oder Malediven, wird er sich mit den Gründen für Abegas Wahnsinn beschäftigen müssen. Wieso ist dieser Typ durchgedreht?

Im Grunde genommen gibt es nur eine plausible Erklärung. Wahrscheinlich geht es um Drogen. Allerdings gibt es Dopingkontrollen und wenn Abega von Zeit zu Zeit ein Näschen nimmt, wofür sein Ausraster – genaugenommen die Mutter aller Ausraster – spricht, müsste das bei den Kontrollen doch aufgefallen sein. Kann Kokain jemanden in einen Zustand versetzen, in dem es ihm danach gelüstet, über seine Mitmenschen herzufallen?

Jürgen trinkt einen Schluck, denkt nach und erinnert sich an seine letzten drogeninduzierten Erfahrungen. Vor ein paar Wochen hat er sich im Moon13 mit Niels Kelle, seinem Kompagnon, und zwei Spielern, die er neu unter Vertrag hat – beide Brasis, denn Brasilien war immer noch der Aldi für Neueinkäufe –, die Nacht um die Ohren geschlagen.

Es war feuchtfröhlich hergegangen, schließlich gab es einiges an dicken Verträgen und ebenso dicken Provisionen zu feiern, und die Jungs, der eine hieß Ronaldinho, der andere Diego (gab es eigentlich keine anderen Namen in dieser Samba-Republik?), hatten eine Runde Schampus nach der anderen bestellt. Kelle hatte dann irgendwann gegen Mitternacht ein kleines Plastiksäckchen aus der Tasche gezogen, in dem weißes Puder schimmerte, und halb sichtbar in seiner Handfläche gehalten, als wolle er im Streichelzoo Ziegen mit Maiskörnern ködern. „Wie schaut‘s aus?“, hatte er gefragt und Makovic erinnert sich auch jetzt noch sehr genau an seine Antwort: „Aber logo!“

In jedem Fall war ihm auch nach dem Besuch auf der Toilette, samt Nasenbestäubung und Zahnfleischmassage nicht danach gewesen, sich kannibalistisch zu betätigen oder die Anwesenden ins Koma zu prügeln. Er war spitz gewesen, spitzer als spitz, und wenn er sich recht entsinnt, hatte es einen kleinen Zwischenfall mit einer Blondine gegeben, weil er sich veranlasst gesehen hatte, die zarten MelonenRundungen ihres Hinterns zu liebkosen. Diese Emanze war allen Ernstes zur Security marschiert, um ihn auf kindische Weise anzuschwärzen, was zum Rauswurf aus dem Club geführt hatte.

Makovic nimmt einen weiteren Schluck Bier. Das Kramen in drogendurchsetzten Erinnerungen hilft ihm jetzt nicht weiter. Fakt ist, er kennt keinen Fall, in dem ein bisschen Koks dazu geführt hätte, dass der betreffende Konsument in absolute Raserei verfallen wäre. Ergo muss es sich bei Abega um etwas anderes handeln, von dem er bis dato nicht weiß, was es sein könnte. Wenn es aber jemanden gibt, der diesen Wissensnotstand beheben kann, ist das Kelle, der sich um alles, was Abega betrifft, kümmert. Kelle weiß bestimmt etwas und bevor die Presse ihm am Arsch klebt wie menschliche Riesenzecken, muss er mit ihm sprechen, um sich aufklären zu lassen. Wenn alles den Bach runtergeht, wofür einiges spricht, wird der gute Niels den schwarzen Peter zugeschoben bekommen. Kelle hat ihm in den letzten Jahren gute Dienste geleistet und damit gutes Geld verdient, da ist es ja wohl kaum zu viel verlangt, gegebenenfalls ein bisschen Verantwortung zu übernehmen.

„Ich muss Sie in diesem Punkt an Niels Kelle verweisen, der Abega beraten hat“, sagt Makovic, um zu testen, wie es sich anfühlt, die Verantwortung von sich zu weisen. „Sprechen Sie mit ihm“, fügt er hinzu und macht eine schwungvolle Bewegung mit der Flasche.

Er wiederholt diesen Satz in Gedanken, wägt ihn ab und versucht sich zu erinnern, ob Niels etwas gegen ihn in den Händen hat, das er gegen ihn verwenden könnte, wenn ihnen die Scheiße um die Ohren fliegt.

Jedes Problem kann eine Ausrede gewiss nicht lösen. Was den Imageschaden für seine Spielerberatung betrifft, ist ein Bauernopfer kaum genug. Aber man muss die Aufgaben in kleine Häppchen zerteilen, die sich leichter schlucken lassen. Mit Schwierigkeiten verhält es sich wie mit großen Tabletten, die sich nicht herunterwürgen lassen. Zerteil sie in kleine Portionen und spül sie mit ein bisschen Alkohol die Kehle runter.

Makovic leert die Flasche, setzt ab und schüttelt erneut den Kopf. Nur nicht zu weit in die Zukunft denken. Zunächst muss er in Erfahrung bringen, wie dieser Blödmann von Kicker den Verstand verloren hat. Erst dann steht Schadensbegrenzung auf der Agenda. Er zieht sein Telefon aus der Hosentasche, geht auf favorisierte Kontakte und sofort erscheint Kelles Nummer. Ein paar Erklärungen ist der gute Niels ihm schuldig.

5

Ein sanftes Plätschern vermischt sich mit dem Rauschen des Verkehrs. Licht flutet den Platz und lässt das historische Gebäude vor mir warm erscheinen, als sei eine besondere Energie in diesem Gemäuer gespeichert. Vor ein paar Jahren habe ich eine Reportage über die Alte Oper geschrieben und erinnere mich noch sehr genau an einige Details. „Könnte ich mir in Berlin nicht leisten“, soll Kaiser Wilhelm der Erste bei der Eröffnung 1880 gesagt haben, so beeindruckt war er von diesem Bau, der seinerzeit ein Vermögen gekostet hat.

Wäre es mir möglich, durch die Zeit zu reisen, würde ich diesem Ereignis beiwohnen, mir einen dekorativen, kleinen Sonnenschirm über den Kopf halten, meine Rüschenärmel bewundern, während ein Mieder mir die Luft abschnürt, und mich gleichzeitig darüber freuen, dass etwas Schönes entstanden ist, welches den Menschen dieser Stadt zur Ehre gereicht. Zugleich aber wüsste ich, was ein halbes Jahrhundert später geschehen wird. Die Nazis werden diesen Ort des Geistes beschmutzen, indem sie Künstlern Gewalt antun und sie im Moment des Untergangs zwingen, ihre Musik darzubieten, bevor sie deportiert werden.

So viel Geschichte – gute wie schlechte – und heute ist ein neues Kapitel hinzugekommen. Eine Wand von Menschen hat sich um das Café drapiert. Männer in schwarzen Anzügen, Frauen in kurzen Röcken, Kinder, die sich an ihren Eltern festhalten, als bestünde die Gefahr, verlorenzugehen, insofern sie auch nur eine Sekunde die Hand ihrer Erzeuger loslassen. Das gelbschwarze Absperrband sehe ich erst, als ich seitlich ausweiche. Polizisten sind dort am Werk, halten die Schaulustigen auf Distanz, denn wer ließe sich schon von einem dünnen Plastikband abschrecken, einen Ort des Schreckens zu inspizieren. Ein Kriminaltechniker fotografiert, ein anderer markiert den genauen Tatort. Es dauert einen Moment, dann registriere ich ein blasses Gesicht am Rande des Schauplatzes: Jens Kleist.

Die Wahrheit ist, auf Erden war ihm nicht zu helfen, geht es mir durch den Sinn. Kriminalhauptkommissar Jens Kleist, den ich im Rahmen einer Recherche nach dem Schulbusattentäter kennengelernt habe. Wir haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen. Es waren unglückliche Ereignisse seinerzeit. Vielleicht gab es Missverständnisse, vielleicht aber war da auch etwas Unausgesprochenes zwischen uns. Ich weiß es nicht, weil ich nicht jede Kellertreppe in mein Unterbewusstsein hinabsteigen mag, um noch die scheußlichste Spinnwebe wegzuwischen.

Kleist macht sich Notizen in seinem altmodischen kleinen Block und das allein lässt meine Zuneigung zu ihm wieder wachsen. Unvermittelt sieht er auf und ich halte die Luft an, als würde ich unsichtbar, weil ich einen Moment nicht atme. Er betrachtet den Kriminaltechnikforensikwasweißich-Vasallen und schaut mit einem Mal in meine Richtung. Es ist zu spät, hinter einem der Schaulustigen in Deckung zu hechten. Der Hauptkommissar hebt die Hand, und ich blicke tatsächlich ebenso dämlich wie zögerlich zurück, bevor ich ihm zur Erwiderung winke.

Kleist wechselt ein paar knappe Worte mit dem Techniker, dann kommt er mitten durch den Tatort in meine Richtung. Mein Puls beschleunigt sich, die Atmung stockt, meine Hände werden kalt. Ich könnte eine Toilette gebrauchen, um mir ein wenig Wasser in Gesicht zu spritzen und mich im Spiegel zu betrachten.

„Hallo Frau Maler“, begrüßt er mich nüchtern und zeigt sein jungenhaftes Lächeln. Irgendwie erinnert er mich in diesem Moment an einen taxifahrenden Studenten, in dessen Wagen ich einmal nachts nach einem Clubbesuch in München gestiegen bin. Wir haben uns die ganze Fahrt über angeregt unterhalten, bis ich am Ende versucht war, ihm meine Telefonnummer zu geben. Die Enge des Taxis war wie ein Teilchenbeschleuniger für gegenseitige Annäherung. Natürlich habe ich es nicht getan, denn im Chancen vergeben und im Zögerlich-sein, sobald es um Gefühle geht, bin ich unübertroffen.

„Hallo Herr Kleist“, erwidere ich seine Begrüßung und bemühe mich freundlich, wenn auch skeptisch dreinzublicken. Zu gut erinnere ich mich an unser letztes Treffen. Damals hat Kleist mir wesentliche Fakten vorenthalten, als es um den Schulbusattentäter ging, weshalb ich mich ausgenutzt fühlte. Zwar ist das Geschichte, aber wenn ich ehrlich zu mir bin, ist ein schaler Nachgeschmack geblieben, und immer noch flüstert die sture Eva, das kleine Mädchen in mir, so leicht dürfe man nicht vergeben.

„Sieht so aus, als würden wir uns immer dort begegnen, wo gerade …“, ich zögere und suche die richtigen Worte, „etwas Schlimmes passiert“, sage ich unprätentiös. Es graut mir davor, das Schreckliche beim Namen zu nennen. In gewisser Weise ist Abega Amok gelaufen und das erinnert mich an Darko Draskovic, den Schulbusattentäter.

„Das dürfte mit unseren Jobs zusammenhängen. Wir sind beide nicht gerade im Kindergarten tätig“, antwortet Kleist grinsend.

„Sie kennen meine Redaktion nicht“, antworte ich, ohne meine Worte abzuwägen. Dann aber erinnere ich mich, dass Kleist sehr wohl in der Redaktion war und plötzlich scheint meine Aussage makaber. Einen Moment schweigen wir uns an und es ist fast greifbar, dass unsere Gedanken um das Gleiche kreisen, lediglich leicht versetzt und aus unterschiedlichen Perspektiven.

„Ich wollte Sie immer noch einmal besuchen“, sagt Kleist und fügt dann diffus hinzu „aber irgendwie hat es nie gepasst.“

Ich zucke Verständnis signalisierend mit den Schultern. „Klar, Sie haben viel zu tun und ich glaube, es war auch wichtig, ein wenig Ruhe zu finden, nach allem, was mit Draskovic war.“

Das Gespräch geht in eine Richtung, die mir wenig behagt. Draskovic hat immerhin zwei meiner Kolleginnen getötet und es hat mich Monate gekostet, bevor ich wieder schlafen konnte, ohne mitten in der Nacht aufzuwachen, weil ich im Traum wieder und wieder Darko sehe, wie er in die Redaktion stürmt und blindlings mit seiner Waffe um sich schießt. Die Angst in den Gesichtern, panische Schreie, der Schrecken, welcher hinter dem Vorhang des Alltag gelauert hat, nur um von einem auf den anderen Augenblick das Dasein zu fluten, das ist es, was mich immer noch verfolgt.

„So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Es ist auch für mich manchmal nicht einfach, sich mit derartigen Fällen auseinanderzusetzen“, gesteht Kleist und wirkt plötzlich sehr verletzlich. „Wir hatten erst vor ein paar Tagen den Fall eines Rentners, der seiner Nachbarin mit einer Schrottflinte in den Kopf geschossen hat.“

„Davon habe ich gehört“, antworte ich spontan. „Ahmed, Ahmed Teluz, den Sie ja auch noch kennen, war mit einem Kollegen vor Ort, um darüber zu berichten.“

„Das war schlimm“, sagt Kleist, den Blick ins Leere gerichtet, als sehe er immer noch vor seinem geistigen Auge die tote Frau, ermordet von einem Mann, der niemals aufgefallen ist, niemals straffällig war, an keinem Tag in seinem Leben hat erkennen lassen, dass der Wahnsinn in seiner Gehirnsuppe unaufhörlich vor sich hin köchelt. „Wegen der Kinder“, fügt er nach einer kurzen Pause fast flüsternd hinzu. Bevor er eine Erklärung folgen lassen kann, legt sich eine Hand auf seine Schulter und zieht ihn in die Wirklichkeit zurück. Es ist Tina Eble, die neben ihm steht. Ich kenne die junge Hauptkommissarin gut, nicht weil ich viel Zeit mit ihr verbracht hätte, sondern weil Ahmed mir mehr als einmal die Mittagspause versaut hat, indem er seinen Beziehungsfrust mit mir teilen musste. Tina und er waren einige Monate ein Paar, sind jetzt aber bereits seit über einem Jahr getrennt. Mittlerweile scheint Ahmed seinen Liebeskummer und die Trennung überwunden zu haben, zumindest bemüht er sich, diesen Eindruck zu vermitteln. Es ist lange her, seit er eine seiner Schimpftiraden über Tina Ebles Beziehungsunfähigkeit vom Stapel gelassen hat. Hätte mich seinerzeit jemand gefragt (fragen Sie Frau Maler, die Paartherapeutin), hätte ich beiden aus dem Stegreif die Prognose geben können, dass ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt ist. Ahmed ist ein Beziehungsegoist, will sich nicht einengen lassen und hasst es, wenn ihm jemand zu sehr auf die Pelle rückt. Tina Eble scheint sich in ihren Grundzügen gar nicht so sehr von Ahmed zu unterscheiden, das aber führt keineswegs zu einer gesunden Beziehung, denn es sind ja gerade die Gegensätze, die sich anziehen und zwei selbstsüchtige Individualisten ergeben noch lange kein rundes Ganzes. Im Gegenteil.

„Wir brauchen dich!“, sagt Tina Eble und begrüßt mich beiläufig, als mache sie mich insgeheim für ihre gescheiterte Beziehung zu Ahmed verantwortlich.

Kleist entschuldigt sich und folgt Tina, die sich bereits abgewendet hat. Die beiden entfernen sich einige Schritte, damit ich ihre höchst geheime Unterhaltung nicht verfolgen kann. Offensichtlich ist etwas passiert, das Kleists Aufmerksamkeit bedarf. Tina gestikuliert wild, als hätte sie erst letzte Woche einen Kurs in Gebärdensprache abgeschlossen und brenne jetzt darauf, ihre neuen Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Kleist nickt mechanisch, reibt sich die Nase und schüttelt dann den Kopf. Das Gespräch dauert keine Minute. Während Tina zu den Kriminaltechnikern zurückkehrt, kommt Kleist wieder zu mir und sieht mich betroffen an.

„Tut mir leid, aber das war wichtig.“

„Ging es um …“, wieder gerate ich ins Stocken, „… das hier?“ In einer fahrigen Bewegung deute ich auf den Tatort, das Geviert aus Absperrband, welches Passanten in Schaulustige verwandelt, die Polizisten und Kriminaltechniker umringen, als seien sie Tiere in einem Gehege.

„Ich darf über laufende Ermittlungen nichts sagen, das wissen Sie ja.“

„Schon okay, ich bin eben nicht lernfähig, was das betrifft. Journalistinnenkrankheit. Die Fragen kommen ganz von alleine, auch wenn ich weiß, es wäre besser, sie nicht zu stellen. Kaum mache ich den Mund auf, schon sprudeln sie raus. Für jede Frage einen Euro und ich wäre reich.“

Kleists Mundwinkel werden spitz, erinnern für den Sekundenbruchteil wieder an das fröhliche Lächeln eines Jungen. Dann aber legt sich ein Schatten über seine Züge. „Ich kann das schon verstehen und außerdem bin ich mir bewusst, wie viel Potenzial die Story besitzt. Dieser Vorfall wird morgen in allen Zeitungen stehen. Ich meine, dieser Abega war …“, Kleist setzt eine rhetorische Pause und sucht meinen Blick, „… schließlich ein Star.“

„Abega war?“, flüstere ich stirnrunzelnd und versuche aus Kleists Gesichtszügen abzulesen, ob ich richtig verstehe, was ich gerade gehört habe.

„Er hat zunächst eine Passantin angegriffen und schwer verletzt. Dann hat er einen Journalisten und zwei weitere Männer attackiert, die versucht haben dazwischen zu gehen. Die liegen jetzt alle schwerverletzt am Theodor-Heuß-Kai in der Uniklinik. Dafür wird sich Abega jedoch nicht mehr verantworten müssen.“

„Ist das Ihr Ernst?“

Kleist sieht in Richtung seiner Kollegin, die aber in diesem Moment mit einem Polizisten in Uniform spricht und uns keine Beachtung schenkt. Unvermittelt beugt er sich zu mir, um leiser sprechen zu können. „Ich denke, die Eintracht wird sich nach einem neuen Fußballgott umsehen müssen. Ich würde an Ihrer Stelle vielleicht mal in die Uniklinik fahren und versuchen, dort Näheres in Erfahrung zu bringen“, erklärt Kleist.

„Das sollte ich wohl machen. Eine gute Idee ist das“, flüstere ich gedankenverloren. „Danke für den Ratschlag!“

„Die Polizei, ihr Freund und Helfer. Würde mich freuen, wenn wir noch einmal in Ruhe sprechen könnten“, erklärt er und blinzelt dabei, als habe ihn ein Lichtstrahl geblendet. Aber da ist kein Licht, nur Schatten. „Ich muss jetzt zu meiner Kollegin und sehen, ob unsere Spurensicherung schon etwas in Erfahrung bringen konnte“, verabschiedet sich der Hauptkommissar.

Der abschließende Händedruck ist knapp, ein vorsichtiges Abtasten, eine Erinnerung an etwas, das ich vor nicht allzu langer Zeit gefühlt und wieder vergessen habe. Dann weicht Kleist in die Mitte des Platzes zurück, die Arme auf den Rücken verschränkt, leicht gebeugt, als falle ihm jeder Schritt schwer. Einmal noch wendet er sich in meine Richtung, hebt die Hand und sieht dabei aus wie ein Mann, der zu einer gefährlichen Reise aufbricht und sich nicht anmerken lassen will, welche Sorgen ihn plagen, wie sehr er fürchtet, nie wieder zurückzukehren.

6

„Na, ihr habt euch aber gut unterhalten“, sagt Tina mit einer spitzen Note, die anzüglich klingt.

Was soll das? Redet er vielleicht in ihre verkorksten Beziehungen hinein oder fährt gleich den Zeigefinger aus, wenn sie sich mit irgendeinem Typen unterhält, als sei es ihre letzte Chance auf eine befruchtete Eizelle?

„Wir haben nur ein bisschen miteinander gesprochen! Oder steht in der Dienstordnung, dass das verboten wäre?“

Tina grinst süffisant, wissend, als sei sie neuerdings eine Expertin für menschliches Miteinander. „So dünnhäutig, nur weil die gute Frau Maler da war? Hat sie dir wenigstens verziehen?“

Jens schüttelt verständnislos den Kopf. „Was gibt es denn zu verzeihen? Die Geschichte mit Draskovic ist Vergangenheit. Sie war seinerzeit sauer, weil ich ihr Informationen vorenthalten habe. Das passiert eben mal. Du bist ja auch nicht immer mit allem einverstanden, was ich mache oder sage.“

Tina zuckt mit den Schultern, als sei dieser Aspekt nebensächlich.

„Bleiben wir lieber bei Eva Maler“, antwortet sie. „Ich meine, es ist doch offensichtlich, was du von ihr hältst.“

„Eine fähige Journalistin würde ich mal sagen“, erklärt Jens abwehrend und betrachtet einen der Kriminaltechniker, der ein kleines Gerät haltend über den Boden rutscht.

„Dass du so viel Respekt vor weiblichen Fähigkeiten hast, ist ja was Positives. Da werde ich dich beizeiten dran erinnern, wenn du an meinen Berichten rummeckerst.“

Jens schüttelt den Kopf und will zu einer erneuten Replik ansetzen, Tina aber zieht ihr vibrierendes Handy hervor und bedeutet ihm, sie in Ruhe telefonieren zu lassen.

Er sieht ihr nach und fragt sich, wieso sie ihn so schnell durchschaut hat, was Eva betrifft. Weibliche Intuition, überdurchschnittliches Hörvermögen oder ein Kurs im Lippenlesen?

Sie hat natürlich recht, in gewisser Weise haben ihn seine Hormone ein wenig überreagieren lassen. Er war froh, Eva wiederzusehen, weshalb er vielleicht zu viel verraten hat, was die Ermittlungen betrifft. Wie aber konnte er nur so indiskret sein und andeuten, Abega sei tot? Die Antwort ist: Es liegt ihm etwas an der Journalistin, und er hat das Gefühl, einen Fehler korrigieren zu müssen, um eine zweite Chance zu bekommen.

Eine Chance auf was eigentlich? Er weiß es nicht, spürt nur eine Affinität, die nicht sein dürfte, weil von ihr Gefahr ausgeht.

„Römer will uns im Kommissariat sehen. Er hat etwas zu besprechen, was mit dem Fall zu tun hat“, verkündet Tina und steckt ihr Handy in die Gesäßtasche.