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Das Buch

Christian Pantle bringt uns den so epochalen wie grausamen Dreißigjährigen Krieg so nahe wie kaum jemand zuvor. Er erzählt vom blutigen Leben der Söldner auf dem Schlachtfeld ebenso wie von den Zivilisten in den verwüsteten Dörfern und Städten. Er lässt den Pappenheimer Peter Hagendorf zu Wort kommen, der 23 Kriegsjahre von einem Kampfschauplatz zum nächsten marschiert. Und er schildert die Verzweiflung des Mönchs Maurus Friesenegger über die Zerstörungen rings um sein Kloster. In ergreifender Weise beschreiben die Zeitzeugen ihre schrecklichen Erlebnisse, aber auch Momente der Solidarität und des Mitgefühls. Pantle verknüpft ihre Berichte zu einer großen Erzählung: Wie durch ein Zeitfenster sehen wir in eine von Machtkämpfen und Religionskriegen zerrissene Welt und lernen die Menschen vor 400 Jahren verstehen.

Der Autor

Dr. Christian Pantle, geboren 1970 in München, ist Chefredakteur des Monatsmagazins G/Geschichte. Bei Propyläen erschien bereits sein Bestseller „Die Varusschlacht. Der germanische Freiheitskrieg“.

Christian Pantle

Der Dreißigjährige Krieg

Als Deutschland in Flammen stand

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

Propyläen

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ISBN 978-3-8437-1664-2


© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 (7)

Titelfotografien: © Darko Pavlovic, from Imperial Armies of the Thirty Years’ War (1) © Osprey Publishing, part of Bloombury

Umschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für Heike
und
Dennis, Leon, Jenny, Amelie

EINFÜHRUNG

Die Sonne hatte sich über den Mauern Magdeburgs ­erhoben, und noch immer war kein Laut zu hören aus den Geschützen, die seit Monaten auf die Stadt zielten. Hatte das kaiserlich-katholische Belagerungsheer unter General Graf Tilly die Kämpfe beendet? Der 20. Mai 1631, so schien es zunächst, würde ein friedlicher Tag werden.

Doch plötzlich zerrissen Kanonenschläge die Stille, und auf dieses Signal hin stürmten die Belagerer los: Zu Tausenden versuchten sie, die Befestigungsanlagen im Norden der Stadt zu erklimmen – »so dass der ganze Wall schwarz von Volk und Sturmleitern bedeckt war«, wie ein Unteroffizier schildert. »Da war ein solches Donnern und Krachen von Musketen, Feuermörsern und Kartaunen (schweren Geschützen), dass niemand weder hören noch sehen konnte.« Die Angreifer kletterten auf die Mauerkrone, töteten dort Hunderte Magdeburger und schlugen die übrigen Verteidiger in die Flucht.

Tillys Soldaten glaubten schon, dass der Überraschungsangriff zu einem raschen Sieg geführt hätte. »Da bin ich mit stürmender Hand ohne allen Schaden in die Stadt gekommen«, triumphierte etwa Peter Hagendorf, ein Söldner in dem attackierenden Heer. Doch noch war der Widerstand der Mag­deburger nicht gebrochen. Es begann ein erbitterter Häuserkampf, mit nahezu fatalen Folgen für Hagendorf: »In der Stadt, am Neustädter Tor, bin ich zweimal durch den Leib geschossen worden«, erzählt er in seinem Tagebuch. Eine Kugel traf den Soldaten von vorne in den Bauch, die andere ging durch beide Achseln hindurch. Kameraden brachten den Schwerverwun­deten zum Feldchirurgen. Der band Hagendorf die Hände auf den Rücken, »damit er hat können den Meißel einbringen«. Nach der brachialen Operation »bin ich in meine Hütte gebracht worden, halbtot«.

Währenddessen gelang es den Angreifern in Magdeburg, die Stadttore von innen zu öffnen. Fast das gesamte Heer Tillys flutete hinein, plündernd und mordend in einem Ausmaß, das selbst für damalige Zeiten außergewöhnlich war, wie zahl­reiche Augenzeugenberichte belegen. »Wir mussten oft im großen Gedränge über die toten Körper laufen«, schildert etwa ein überlebender Bewohner. »Wir sahen sehr viel Tote und einige Frauen ganz entblößt liegen. Sie waren mit dem Kopf in ein großes Braufass voller Wasser gestürzt und ertränkt worden, hingen aber mit dem halben Körper und den Beinen heraus, was ein erbärmlicher Anblick war.«

Dann begann das Inferno, das noch mehr Opfer fordern sollte als die Gewalttaten der Sieger. An mehreren Plätzen waren Häuser entflammt, und diese vereinzelten Brandherde vereinigten sich zu einem gewaltigen Feuersturm. Im »Hiroshima des Dreißigjährigen Krieges«, wie Frank-Walter Steinmeier als Bundesaußenminister formulierte, werden 20 000 der 30 000 Einwohner Magdeburgs tot zurückbleiben.

Der schwerverwundete Söldner Hagendorf beobachtet das Flammenmeer von seinem Lazarett aus, zusammen mit seiner Ehefrau Anna Stadlerin und der gemeinsamen Tochter Elisabet, die erst ein Jahr alt und erkrankt war. Die kleine Familie befindet sich in sicherer Distanz – aber auch fern der Beute und der lebensnotwendigen Verbandsmaterialien, die in Magdeburg zu finden sind. Und so fasst Anna Stadlerin einen kühnen Entschluss: Sie übernimmt das Plündern. »Meine Frau ist in die Stadt gegangen, obwohl diese überall gebrannt hat, und wollte ein Kissen holen und Tücher zum Verbinden«, erzählt Hagendorf. »So habe ich auch das kranke Kind bei mir liegen gehabt.« Und während der kinderhütende Soldat auf seine beute­suchende Gattin wartet, »ist nun das Geschrei ins Lager gekommen, die Häuser fallen übereinander« – mit tödlichen Folgen auch für viele Plünderer. »So hat mich meine Frau mehr bekümmert«, schildert Hagendorf seine Ängste, »als mein Schaden.«

Doch eineinhalb Stunden später kehrt Anna Stadlerin zurück: mit Bettgewand, Kleidern, einer großen Kanne Wein und zwei silbernen Gürteln, wie Hagendorf sichtlich stolz auflistet. Sieben Wochen später ist er genesen und kann weiterziehen in dem Krieg, in dem er bis zum Ende 1648 mitkämpfen wird. Hagendorf wird dabei mindestens 22 400 Kilometer zurücklegen, kreuz und quer durch Deutschland und tief hinein nach Italien und Frankreich. Er wird an entscheidenden Schlachten teilnehmen, zweimal unfreiwillig die Seiten wechseln, plündern, vergewaltigen, brandstiften und Zeuge einer Hexenverbrennung werden – aber er wird sich auch für die Schönheiten der Landschaften und Bauwerke begeistern, sich aufopferungsvoll um seine Familie kümmern und Geld dafür aufwenden, seinem Sohn eine Schulbildung zu ermöglichen.

In Hagendorfs Leben und Handeln kristallisiert sich die Zerrissenheit jener Epoche, die den Übergang vom Mittelalter zur Moderne bildet: Seefahrer umrunden bereits die Welt, aber die Kirche bedroht Astronomen wie Galileo Galilei mit dem Tod; der geistige Horizont der Menschen erweitert sich enorm, aber die Hexenverfolgungen erreichen just in dieser Zeit ihren Höhepunkt. Gleichsam als Sinnbild des Zeitenwechsels sind Kavalleristen zu sehen, die ähnliche Rüstungen wie die Ritter tragen und Pistolen in der Hand halten.

Es ist eine Phase der Umwälzungen. Moderne Historiker sprechen gleich von zwei umfassenden Revolutionen, die sich in der Zeit um den Dreißigjährigen Krieg ereignen: zum einen die militärische Revolution – hin zur modernen Kriegsführung mit enorm vergrößerten Heeren, neuartigen Taktiken und Festungsbauten sowie der Ausbreitung der Bürokratie; zum an­deren die Medienrevolution – der Siegeszug der Zeitungen und Flugblätter, die bald die entlegensten Dörfer erreichen und das Zeitalter der Massenmedien und Propagandakriege einläuten.

Nicht nur die Menge der gedruckten Texte explodiert ge­radezu, auch die sogenannten einfachen Leute beginnen in großer Zahl zu schreiben: Bauern, Handwerker, Soldaten und Dorfpriester hinterlassen uns Tagebücher und Dorfchroniken in einer nie dagewesenen Fülle. Im Gegensatz zu den meisten früheren Kriegen kennen wir damit nicht nur die Berichte und die Sichtweise von oben – von Feldherren, Gebildeten, Adeligen –, sondern erhalten erstmals auch einen umfangreichen Blick auf die Ereignisse von unten, von den wahren Leidtragenden.

Dies ist einer der Gründe, weshalb uns der Dreißigjährige Krieg so viel grausamer erscheint als frühere Auseinandersetzungen: Wenn beispielsweise Julius Caesar in seinem Werk »Der Gallische Krieg« mehrfach erwähnt, dass seine Legionäre Zehntausende Zivilisten abschlachteten, geschieht das jeweils nur in wenigen beiläufigen Sätzen – mit der Folge, dass die furchtbaren Massenmorde nur eine untergeordnete Rolle spielen in den Biographien über den römischen Feldherrn und Po­litiker. Wie wäre wohl unser Bild von den Kriegen der Antike, besäßen wir aus dieser Zeit vergleichbare Schilderungen wie die von der Eroberung Magdeburgs 1631? Hier erzählen unmittelbar Betroffene, Söldner und Stadtbewohner, in ergreifender Weise von ihren Ängsten und ihren schrecklichen Erlebnissen, aber auch von überraschender Großherzigkeit und lebensrettender Hilfsbereitschaft.

Dieser reiche Schatz an Einblicken in eine Welt, die uns nah und fern zugleich ist, spielt in den meisten Geschichtswerken leider nur eine untergeordnete Rolle. Selbst neuere Veröffent­lichungen über den Dreißigjährigen Krieg beschreiben zwar oft ausführlich die Charakterzüge des Feldherrn Albrecht von Wallenstein und die Motivationen seines Gegenspielers König Gustav II. Adolf von Schweden, verlieren aber nach dem Tod dieser berühmten Protagonisten in den 1630er Jahren auffallend das Interesse an den weiteren Ereignissen. Gerade das letzte Kriegsjahrzehnt wird allzu oft auf das höfische Geschehen bei den Friedensverhandlungen reduziert, während man über die Ereignisse im Land nicht viel mehr erfährt als den knappen Hinweis, dass die Leiden der Bevölkerung am größten waren und die Kriegszüge verworren. Dabei gehorchten diese Ereignisse einer ebenso zynischen wie klar nachvollziehbaren Logik, die Schlachten wurden angeführt von außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die mit ihrem Handeln die Weichen für das weitere Schicksal der Menschen in und um Deutschland stellten.

Dieses Buch erzählt die ganze Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs. Es umreißt zunächst die zentralen Ereignisse des ersten Kriegsjahrzehnts und rückt anschließend die Perspektive von unten in den Mittelpunkt. Dabei spielen zwei Personen eine Hauptrolle, die nicht zum entrückten Spitzenpersonal zählten, sondern den großen Krieg hautnah in all seinen Facetten miterlebten: zum einen der erwähnte Söldner Peter Hagendorf, dessen bewegtes Leben sich als roter Faden durch das Buch zieht, zum anderen der Mönch Maurus Friesenegger, der im Dorf Erling und im Kloster Andechs nahe München lebte. Die Sicht des Zivilisten Friesenegger bildet einen Kontrapunkt zu den Schilderungen des Söldners.

Wie Hagendorf, so führte auch Friesenegger über das zweite und dritte Kriegsjahrzehnt ein Tagebuch, das uns erhalten geblieben ist. Eindringlich beschreibt der Mönch darin das Auf und Ab des dörflichen Lebens: die katastrophalen Ereignisse, wenn die Heere anrückten, aber auch die Phasen des bangen Friedens und des Aufschwungs, wenn sich die Armeen zwischenzeitlich entfernten und in andere Gegenden weiterzogen.

In den letzten Kriegsjahren zählt Friesenegger zwar als Abt zu den höhergestellten Personen. Er bleibt aber immer nahe an den einfachen Menschen, schildert ihre Hoffnungen und Ängste ebenso wie ihre Versuche, sich den marodierenden Soldaten zu widersetzen. Seine Tagebucheinträge zeigen exemplarisch, was der schier endlose Konflikt für die Zivilbevölkerung bedeutete, für die es irgendwann keinen Unterschied mehr machte, von welcher Kriegspartei sie drangsaliert wurde. Friesenegger schuf damit eines der bewegendsten Zeugnisse seiner Zeit. Es führt uns in aller Deutlichkeit vor Augen, dass es im Krieg kein Gut und Böse gibt, sondern der Krieg an sich das Übel ist. Die Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg legten so den Keim für den Pazifismus, der allen zwischenzeitlichen Rückschlägen zum Trotz heute tief im Gedankengut unserer Kultur verwurzelt ist.