MICHKA (Hrsg.)
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© 2018 bei den Autoren
© 2018 Nachtschatten Verlag
Aus dem Englischen und Französischen übersetzt von Albert Rutz und Laurence Gradoz.
Die Originalausgabe dieses Titels „Se soigner avec le cannabis“ sowie dessen englische Übersetzung „Healing with Cannabis“ erschienen 2017 im Verlag Mama Éditions.
Projektbetreuung: Markus Berger
Korrektorat: Inga Streblow
Layout und Umschlaggestaltung: Sven Sannwald
Druck: Druckerei & Verlag Steinmeier & Co. KG, Deiningen
ISBN: 978-3-03788-567-3
eISBN: 978-3-03788-575-8
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische digitale Medien und auszugsweiser Nachdruck sind nur mit Genehmigung des Verlags erlaubt.
HEILEN MIT CANNABIS
1. Medizinisches Cannabis - von gestern bis heute
Indischer Hanf - ein Allheilmittel
Problematische Dosierung
Morphium als Konkurrenz
Das Ende einer Ära
Cannabis-Verbot
Eine zufällige Wiederentdeckung
Ein halbes Jahrhundert Forschung
Cannabinoide
Wie nimmt man CBD ein?
Bessere Wirksamkeit aller Pflanzeninhalte
Synthetische Moleküle versus natürliche Moleküle
2. Vom Bhang zum Pflaster: Die verschiedenen Möglichkeiten, Cannabis aufzunehmen
Inhalieren
Der Joint
Die Pfeife
Die Bong
Dab oder Dabber
Die E-Zigarette
Trinken
Bhang
Die Urtinktur
Kräutertee
Roher Cannabissaft
Essen
Fett-Extrakt (oder Cannabis-Butter)
Majoun
Kaugummi
Kapseln
Hanfsamen-Öl
Aufnahme über die Haut
Wickel und Umschläge
Das Pflaster
Der Mundspray
Das Zäpfchen
Das Vaginalei
3. EINSATZGEBIETE
Übelkeit und Erbrechen
Appetitlosigkeit und Auszehrung
Spastik
Tourette-Syndrom und andere Bewegungsstörungen
Schmerzbehandlung
Juckreiz
Glaukom
Epilepsie
Asthma
Abhängigkeit und Entzugssymptome
Psychiatrische Symptome
Hyperaktivitätssyndrom/ADHS
Morbus Alzheimer
Autoimmunerkrankungen, Entzündungen und Allergien
Verschiedenes, gemischte Syndrome
4. Neue Cannabinoid-Medikamente auf dem Markt
Das Endocannabinoid-System
Eine neuroprotektive Rolle
Reduzierung von Krebstumoren
Die Medikamente von morgen
Aktuelle Forschung
5. Verfügbare Medikamente
Medizinisches Cannabis, abgeleitete Produkte und Extraktionsderivate
Medizinisches Cannabis anbauen?
Synthetische Cannabinoid-Arzneimittel
Wenige oder gar keine Nebenwirkungen
Schwankender Rechtsstatus
Die rechtliche Lage in 13 europäischen Ländern
6. Zur Geschichte moderner Cannabissorten
Die Einführung der BLD-Sorten
Das Ende der Begeisterung für BLD-Sorten
Medizinisches Cannabis
7. Anbau von medizinischem Cannabis
Anbau im Freien
Vorbereitung des Bodens
Den Anbau vorbereiten
im Frühjahr
Bewässern
Anlegen eines Indoor-Gartens
Licht
Luft
Wasser
Samen
Die Anbaukammer
Boden, Dünger und Bewässerung
Bestimmen des Geschlechts der Pflanzen
Trocknen des Erntegutes
8. Medizinisches Cannabis in den Vereinigten Staaten
Das Bundesgesetz und die Gesetze einzelner Staaten - ein langandauernder Konflikt
Staatliche Unterdrückung
Der Krieg gegen medizinisches Cannabis
Kehrtwende
Am Anfang einer neuen Ära?
Wie funktioniert die legale Verwendung von medizinischem Cannabis?
Medizinisches Cannabis in verschiedenen Formen
Sichere und kontrollierte Produkte
Cannabis zur Unterstützung von AIDS-Patienten
Kalifornien setzt sich gegen das FBI zur Wehr
Kalifornien und die medizinische Verwendung von Cannabis
Staaten, die den Gebrauch von medizinischem Cannabis erlauben
9. Medizinisches Cannabis in Kanada
Kliniken – eine patientenzentrierte Strategie
Medizinische Cannabisforschung in Kanada
Die Situation Anfang 2017
10. Fortschritte in Spanien
Die Situation in Spanien
Cannabinoide und junge Patienten
11. Die holländische Ausnahme
Eine kurze Geschichte der Coffeeshops
Rückschlag
Licht am Ende des Tunnels?
Über die Autoren
Für Millionen von Menschen ist die Behandlung mit Cannabis in den USA, in Kanada, in Israel und in mehreren Ländern Europas und Südamerikas eine Selbstverständlichkeit geworden. In vielen anderen Ländern wird diese alte Medizin immer noch als anrüchig betrachtet. Egal, ob ihre Wirksamkeit durch eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Studien belegt ist, und egal, ob Cannabis bzw. Cannabinoide bereits von großen Laboratorien zur Herstellung von Arzneimitteln genutzt werden, der Gesetzgeber verbietet diese wertvolle Heilpflanze weiterhin. Und das aus Gründen, die oft nichts mit dem Schutz der Gesundheit zu tun haben.
Dieses kleine Buch zielt darauf ab, den aktuellen Wissensstand um die Verwendung dieser Pflanze, die die Medizin nach jahrzehntelanger Verdrängung wiederentdeckt hat, zu überprüfen. Es dokumentiert überdies, dass die Entwicklung und die Erforschung der medizinischen Nutzung von Cannabis oft dem Engagement der Patienten und ihrer Angehörigen zu verdanken ist.
Da die Forschung rasch voranschreitet und sich die Gesetzgebung in vielen Ländern anpasst, ist davon auszugehen, dass medizinisches Cannabis bald von all jenen, die einen gesundheitlichen Nutzen davon erwarten können, genutzt werden kann.
Michka
Die Cannabispflanze ist eines der ältesten bekannten Heilmittel, und ihre Anwendungsmöglichkeiten sind äußerst vielfältig. Aber es findet in der Medizin nach wie vor nur selten Verwendung – die Pflanze wird derzeit hauptsächlich zu Erholungs- und Genusszwecken konsumiert.
Aber sollte eine Pflanze unter dem Vorwand, dass sie auch als Genussmittel dienen kann, anderen, deren Gesundheit sie verbessern könnte, vorenthalten werden?
Es stellt sich ohnehin die Frage, wie viele der sogenannten «Freizeit-Konsumenten» sich und ihrer Gesundheit mit dieser Medizin einen Dienst erweisen, ohne dass ihnen das bewusst ist.
Schauen wir uns also an, aus welchen Gründen Cannabis verboten wurde, und wie es in den letzten Jahren wieder dazu kam, dass seine nicht zu leugnende Wirkung als Heilmittel wieder Gegenstand wissenschaftlicher Studien und Forschung wurde.
In seinen asiatischen Ursprungsregionen galt «Ganja» schon immer als Allheilmittel. Während der kolonialen Eroberungen im 19. Jahrhundert entdeckte dann auch der Westen das medizinische Potenzial der Cannabispflanze, denn es blieb europäischen Ärzten nicht verborgen, dass diese Pflanze zur Behandlung einer ganzen Reihe von Krankheiten eingesetzt werden kann.
So wurde Cannabis jahrzehntelang bei Schmerzen, Krampfleiden, Tetanus, Tollwut, Epilepsie sowie Angina, Husten und Tuberkulose, Asthma, Schlaflosigkeit, Migräne und Appetitlosigkeit verschrieben. Hanfmedizin war darüber hinaus zur Unterstützung des Entzugs bei Alkoholikern und Heroinabhängigen in Gebrauch, ebenso zur Erleichterung der Geburt sowie zur Behandlung von Menstruationsstörungen.
Der französische Arzt Dr. Louis Aubert-Roche wurde während Napoleons Expedition in Ägypten um das Jahr 1798 mit Cannabis bekannt gemacht.
Der Ire Sir William Brooke O‘Shaughnessy, Chemiker und Mediziner, entdeckte den Hanf seinerseits um 1840 in Indien.
J. Russell Reynolds, der Leibarzt von Queen Victoria (1837-1901), verschrieb ihr eine Cannabis-Tinktur, um ihre Menstruationsbeschwerden zu lindern.
GIBT ES EINEN UNTERSCHIED ZWISCHEN HANF UND CANNABIS?
Als der schwedische Naturforscher Carl von Linné 1753 das binäre System der Benennung von Pflanzen und Tieren erfand, verwendete er die noch heute gültige Sprache der Wissenschaft: Latein. In seinem zweibändigen Grundlagenwerk «Species Plantarum» nannte er den Hanf Cannabis sativa L. (wobei das L. für Linné steht).
Die Worte «Hanf» und «Cannabis» – das eine ein deutsches, das andere ein lateinisches Wort – sind daher gleichbedeutend und austauschbar. Einen Unterschied zwischen Hanf und Cannabis gibt es somit nicht.
Mit der UN-Konvention gegen psychotrope Drogen von 1961 wurde Cannabis als «Betäubungsmittel ohne jeglichen medizinischen Nutzen» eingestuft. Seitdem wird die lateinische Bezeichnung der Hanfpflanze in weiten Teilen der Gesellschaft mit etwas Gefährlichem assoziiert – ganz so, als gäbe es zwei verschiedene Pflanzen: den «guten» Nutz- und Faserhanf einerseits und das «schlechte» psychotrope Cannabis andererseits.
Dabei enthalten alle natürlichen Sorten des Hanfs (freilich in sehr unterschiedlichen Anteilen) eine widerstandsfähige Faser (im Stamm), einen großen Nährstoffreichtum (im Samen) und psychoaktive und therapeutische Inhaltsstoffe (im Harz, das hauptsächlich an den Blüten gebildet wird). Alle Sorten sind sich ähnlich (mit bloßem Auge oft nicht voneinander zu unterscheiden), und alle sind untereinander hybridisierbar, das heißt kreuzungsfähig.
Cannabis wird in Form einer Tinktur verwendet, die durch einen alkoholischen Auszug (Extrakt) der getrockneten Pflanzenteile gewonnen wird. Allerdings enthalten die diversen Pflanzen je nach Herkunft mehr oder weniger Wirkstoffe, so dass die Potenz des Medikaments stark variieren kann. Ist sie zu gering, bringt sie keine Wirkung, ist sie zu hoch, können die Nebenwirkungen störend bis schädlich sein. Bis in die 1960er Jahre hinein war die Dosierung von Cannabismedizin ein Problem, da die Wirkstoffe des Hanfs noch nicht klar identifiziert waren und ohnehin keine standardisierbaren Heilmittel aus den Wildpflanzen gewonnen werden konnten.
Aufgrund der geringen Toxizität der Cannabispflanze verursacht eine Überdosierung von Marihuana oder Haschisch jedoch keine lebensbedrohlichen Komplikationen, sondern schlimmstenfalls einen schweren Angstanfall (meist aufgrund von Kreislaufproblemen), gefolgt von einem tiefen Schlaf. In zehntausend Jahren Kulturgeschichte des Cannabiskonsums hat die Einnahme dieser Pflanze niemals jemanden das Leben gekostet – aber das war für die internationalen Institutionen offensichtlich kein Grund, den Hanf nicht als ein «gefährliches Betäubungsmittel» einzustufen.
Bis heute sind etwa 800 Sorten von Hanf oder Cannabis bekannt.
Ende des 19. Jahrhunderts begann sich die Verwendung der gerade neu erfundenen Injektionsspritze allmählich zu verbreiten. Im Gegensatz zum aus dem Schlafmohn isolierten Morphium sind die Inhaltsstoffe des Cannabis nicht wasserlöslich und können deshalb nicht injiziert werden. Deshalb ersetzte Morphium zusehends die Hanfpräparate im Rahmen der Schmerzbehandlung.
In Frankreich wurde die Repression gegen die medizinische Verwendung des Hanfs Anfang der 1950er Jahre eingeleitet. Cannabis wurde kurzerhand aus der Pharmakopöe, der offiziellen Liste der Arzneimittel, entfernt und besaß somit plötzlich nicht mehr den Status eines Heilmittels. Die Pflanze und ihre verschiedenen Anwendungen durften fortan von Ärzten nicht mehr verschrieben werden.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Genuss von indischem Hanf im Westen zunehmend verrufen und als anrüchig verurteilt. Zuvor war der Konsum berauschender Hanfprodukte kein großes Thema gewesen und stillschweigend toleriert worden. Die abendliche Pfeife des Hanfbauern – gefüllt mit seinem «Arme-Leute-Kraut» – wurde damals interessanterweise noch nicht mit indischem Hanf assoziiert.
Der Klub der Haschischesser
Um 1845 gründete der französische Arzt Jacques Joseph Moreau de Tours (1804-1884) in Paris den «Club des Hachichins», den «Klub der Haschischesser», in dem Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler mit Haschisch und anderen psychoaktiven Substanzen experimentierten, um deren Auswirkungen auf Körper, Geist und Kreativität zu erforschen. Zu den prominenten Mitgliedern des Klubs, der etwa fünf Jahre lang existierte, gehörten u.a. Théophile Gautier, Charles Baudelaire und Alexandre Dumas der Ältere.
In den Vereinigten Staaten, damals noch von der Rassentrennung geprägt, erfinden schwarze Musiker eine Musik, die als skandalös gilt (den Jazz) und rauchen Marijuana (ein aus Mexiko stammender Begriff), was beides als eine Bedrohung der etablierten Ordnung angesehen und mit den Nachkommen schwarzer Sklaven und mexikanischer Saisonarbeiter in Verbindung gebracht wird.
Nichtsdestotrotz hatte sich der Cannabiskonsum Ende der 1930er Jahre in gewissen Schichten der amerikanischen Gesellschaft so stark verbreitet, dass der weiße Gesetzgeber sich besorgt zeigte. 1937 wurde deshalb in aller Eile eine Steuer erhoben, die so hoch war, dass sie einem faktischen Verbot gleichkam. Allerdings blieb die gewünschte Wirkung aus.
Die Beatniks, diese in Jazz und Dichtung vernarrten Hitchhikers und Umherziehenden, interessierten sich ebenfalls für Marijuana und trugen dazu bei, dieses über die gewohnten Kreise hinaus zu verbreiten. Hinzu kam die Hippie-Bewegung, die es sogar zu ihrem Emblem erhoben hatte und ihm dazu verhalf, in der weißen Bourgeoisie heimisch zu werden. Zu Beginn der 1970er Jahre wurde Gras populär, hochgehalten von einer Jugend, die forderte, dass man «Liebe mache, und nicht Krieg». Die Eltern geraten in Panik. Die Regierungen ergreifen sofortige Zwangsmaßnahmen und verabschieden prohibitive Gesetze mit strengen Strafen.