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Auch als E-Book erhältlich

ISBN 978-88-6839-389-2

2018 · Zweite Auflage

Alle Rechte vorbehalten

© by Athesia Buch GmbH, Bozen (2017)

Fotos: Familienarchive

Design & Layout: Athesia-Tappeiner Verlag

Druck: Athesia Druck, Bozen

ISBN 978-88-6839-388-5

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Inhaltsverzeichnis

Grad, als ob man die Stubentüre aufmacht

Maria Anna R., geb. 1910, Meraner Gegend

„Jemand wurde einmal gefragt, wie ihm denn diese vielen Jahre, die er nun schon lebe, vorkämen. Da sagte er: ‚Grad so, als wenn man die Stubentür aufmacht und langsam wieder zumacht.‘ So könnte ich wohl auch antworten, wenn man mir diese Frage stellen würde.“ Dies sind die Worte von Maria Anna R., die eine harte Kindheit und Jugendzeit hatte. Trotzdem ist sie bis an ihr Lebensende eine positiv denkende Frau geblieben.

Ich wurde in Zwölfmalgreien bei Bozen, das damals noch eine eigene Gemeinde war, geboren. Meine Eltern wohnten in Kampill bei Bozen in einem der beiden kleinen Häuser hoch am Hang neben der Kohlerer Bahn. Die Bahn fuhr genau am Schlafzimmerfenster meiner Eltern vorbei.

Als ich geboren wurde und man sah, dass ich ein Mädchen war, sagte meine Mutter: „Oje, ein Mädchen – was wird die wohl alles mitmachen müssen?“

Ja, wenn ihr beide der Hölle zufahren wollt …

Mein Vater war ein Bauernsohn aus Jenesien. Sein älterer Bruder bekam das kleine Anwesen, mein Vater als jüngerer Sohn aber musste sehen, wie er sich anderswo einrichtete. Beruf hatte er keinen gelernt – eine Lehre war viel zu teuer –, und so war er eben Gelegenheitsarbeiter geworden. Als ich zur Welt kam, war er Hilfsarbeiter bei der „Südbahn“ in Bozen.

Ich war das zweite Kind meiner Eltern, und schon ein Jahr nach mir kam wieder eines, und dann wieder, und so hatten meine Eltern bald vier Kinder, jedes Jahr eines. Das, meinten sie, reiche für eine besitzlose Arbeiterfamilie aus, damit hätten sie ihr Soll erfüllt. Die Kirche freilich hatte da eine andere, weit strengere Auffassung, und so waren meine Eltern in einer argen Zwickmühle. Zum einen waren sie noch sehr jung, zum anderen aber waren sie treue Kinder der Kirche und wollten nicht etwas tun, was nicht erlaubt war. Die Kirche aber gestattete als einzige Methode die Enthaltsamkeit, jede andere galt als schwer sündhaft. Dass ein mittelloses Paar nach vier Kindern genug hätte, das hatte für die Kirche keine Bedeutung.

Meine Mutter konnte das in diesen harten Jahren aber kaum glauben. Deshalb beschloss sie, einen bekannten Pater in der Beichte zu fragen, ob es nicht doch eine andere Möglichkeit geben würde. Doch als der Pater verstanden hatte, was die junge Frau genau meinte, lief er rot an und schrie: „Ja, wenn ihr beide zur Hölle fahren wollt, dann nur zu!“

So kam es, dass meine Eltern noch weitere sieben Kinder bekamen, insgesamt elf – fünf Mädchen und sechs Buben. Alle waren gesund und wuchsen auf. Aber unter welchen finanziellen Verhältnissen, das hat keiner je gefragt.

Dem Tode nahe

Bereits mit zehn Tagen bekam ich einen schlimmen Keuchhusten. Meine Mutter zündete einen geweihten Wachsstock an, um Gott auf diese Weise zu bitten, mich doch am Leben zu lassen. Aber obwohl meine Mutter den Wachsstock so lange brennen ließ, bis er aufgebraucht war, schien das nicht helfen zu wollen. Meine lieben Eltern sagten immer wieder ganz betrübt: „O, jetzt derschnauft sie’s nimmer – das arme Kind, muss so viel leiden, bevor es sterben kann.“ Viele Kinder sind damals an Keuchhusten gestorben, aber ich hatte offenbar eine gute Natur und überstand diese schwere Krankheit.

Als ich zwei Jahre alt war, fiel ich einmal über eine Stiege hinab. Ich kollerte über 22 steinerne Stufen hinunter und blieb zuunterst reglos liegen. Meine Mutter hörte drinnen im Haus einen Rumpler und eilte heraus. Sie sah mich am Ende der Stiege bewegungslos liegen. Als sie hinablief, um mich aufzuheben, sagte eine Nachbarin trocken: „Die brauchst nimmer aufzuheben, die ist schon hin.“ Aber ich überlebte – als meine Mutter mich hinauftrug, kam ich bald wieder zu mir und begann zu weinen. Außer ein paar Schrammen hatte ich bei diesem Sturz keinen Schaden genommen.

Bestrafter Geiz

Der Erste Weltkrieg war eine Zeit des Hungers. Die Männer waren fast alle eingezogen worden und mussten an verschiedenen Fronten kämpfen. Im Hinterland aber machte sich bitterste Not breit. Die Frauen bekamen zwar etwas Geld als Unterstützung, aber mit diesem Geld konnte man nicht viel anfangen. Denn bei den Bauern bekam man fast nichts dafür, weil diese ihre Produkte zu Schwarzmarktpreisen verkauften, nicht aber zu den vom Staat festgelegten Preisen. Es war eine harte und bittere Zeit. Auch mein Vater war im Krieg, und meine Mutter war mit uns mittlerweile sieben Kindern alleine.

In dem Ort, in dem wir damals wohnten, lebte ein Bauer mit seinen beiden Schwestern auf einem schönen Hof. Alle drei waren gut genährt, eigentlich dick, zugleich aber sehr geizig. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit meiner Mutter, die sieben kleine Kinder zu ernähren hatte, zu diesem Bauern ging. Sie flehte ihn mit dem baren Geld in der Hand an, ihr doch um Himmels willen etwas Essbares für ihre Kinder zu verkaufen: Kartoffeln oder Mehl oder sonst etwas, sie hätten alle großen Hunger. Drinnen auf der Anrichte in der Küche sah ich einen schönen gelben duftenden Kuchen stehen. Mir rann das Wasser im Mund zusammen.

Aber der hartherzige Mann schaute meine Mutter nur spöttisch an und sagte: „Haben wohl. Haben, aber nit geben.“ Damit drehte er sich um und verschwand. Meiner Mutter kamen die Tränen, und auch ich musste weinen. Hand in Hand gingen wir mit leeren Händen nach Hause.

Obwohl wir dem Mann nichts Böses wünschten, kam kein Segen über diesen Hof. Die Kartoffeln, die er in die Erde setzte, verfaulten und er erntete nur wenig. Auch das Getreide, das er speicherte, verdarb, da kleine Insekten die Getreidekörner von innen her auffraßen und dann als Käfer davonflogen. Nach einigen Jahren erkrankte er schwer und starb bald.

Im Singen einen Fünfer

Später übersiedelten meine Eltern nach Nals. Dort wurde ich dann eingeschult. Ich ging gerne zur Schule und bekam auch immer gute Noten. In der vierten Klasse aber bekam ich einmal im Singen einen Fünfer. Ich weiß nicht einmal mehr, warum. Ich war ganz traurig. Als ich diese Note meinem Vater zeigte, drückte er mich an sich und sagte: „Ach, wenn du nur nicht singen kannst, das macht nichts, deshalb kommst du schon doch durchs Leben. Bist ja sonst so ein gescheites Mädchen.“

Ich sang immer gern. Später war ich einige Jahre lang Mitglied im Kirchenchor. Mit Anfang zwanzig lernte ich Gitarre spielen und kaufte mir dritter Hand eine eigene. Ich habe viel musiziert und gesungen, diesen Fünfer von damals kann ich mir nicht erklären.

Advent und Weihnachten

Am Tag vor Nikolaus randalierten die Krampusse abends in den Gassen herum. Darum war es nicht ratsam, vor die Tür zu gehen. So sperrten unsere Eltern schon früh die Haustür zu, weil sie nicht wollten, dass die Krampusse uns Kinder erschreckten.

Auch den Nikolaus bekamen wir nicht zu Gesicht, denn er kam über Nacht. Nach dem Abendessen wurde wie immer der Rosenkranz gebetet. Dann stellten wir dem Nikolaus ein Stamperle Schnaps hin und ein Tschippl Heu für seinen Esel, denn sie hatten einen weiten Weg bis zu unserem Haus herauf. Sodann stellten wir Kinder je ein Tellerchen mit einem Zettel, auf dem unser Name stand, auf den Tisch und gingen erwartungsvoll zu Bett.

Am Nikolaustag fanden wir dann in unseren Tellern einige Äpfel, Nüsse, Feigen, Erdnüsse und Zuckerlen. Das war ein Jubel und eine Freude.

In der Adventzeit gab es täglich die schönen Rorate-Messen. Schon sehr früh am Morgen gingen wir mit einer Laterne hinab zur Kirche. Sie war hell erleuchtet, es wurde während der Messe wunderschön gesungen und gefeiert. Das war eine richtige Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Wir Kinder bemühten uns, besonders brav zu sein. Zu Hause roch es wunderbar nach Weihnachtsbäckereien und Zelten. Hin und wieder gab uns die Mutter einen Koster. Wenn wir auch nicht viel Geld hatten, unsere Mutter versuchte trotzdem, uns das Weihnachtsfest so schön wie möglich zu gestalten.

Am Heiligen Abend wurde das Haus blitzblank aufgeräumt und geputzt. Nach dem Abendessen schmückten wir den Christbaum, den unser Vater aus dem Wald geholt hatte, mit Engelshaar, Sternen, Kerzen, Sternspritzern und Keksen. Zudem hängten wir winzig kleine Äpfel, die mein Vater selbst züchtete, an den Baum. Darunter kam die Krippe mit dem Jesuskind, Maria, dem heiligen Josef, Hirten und Schafen sowie den Drei Weisen aus dem Morgenland. Wir versammelten uns in der Stube und beteten den Rosenkranz, sangen danach Weihnachtslieder und gingen dann zeitig ins obere Stockwerk hinauf zum Schlafen.

Am Christtag schlichen wir schon früh in die Stube hinab, um zu sehen, ob das Christkind gekommen war. Welche Freude empfanden wir, denn es hatte uns warme Sachen gebracht, Socken, Handschuhe, Unterwäsche, dazu Taschentücher, Schulsachen und einige Süßigkeiten. Alle waren wir glücklich und zufrieden und dankten dem Christkind von Herzen.

Einmal – wir waren wieder umgezogen und wohnten inzwischen in Sirmian – war sehr viel Schnee gefallen und das Christkind konnte bei diesem tiefen Schnee nicht zu uns heraufkommen. Wir waren tief enttäuscht. So kam es erst zu Dreikönig. Aber der weihnachtliche Zauber war nicht mehr da.

Ein anderes Weihnachtsfest habe ich auch in unschöner Erinnerung. Ich glaubte fest an das Christkind und war der Meinung, dass dieses alle gewünschten Dinge nur so oben im Himmel hernehmen könne. Ich wollte einmal auch richtig viele Geschenke bekommen, so wie ich es aus den Geschichten kannte, die ich in der Schule gelesen hatte.

Deshalb beschloss ich, dem Christkind einen Brief zu schreiben, in dem ich ihm alle meine vielen Wünsche darlegte. Ich wünschte mir also eine Nähmaschine, eine schöne Puppe, die die Augen auf- und zumachen kann und „Mama“ sagt, dann noch ein richtiges Fahrrad und schließlich noch viele Süßigkeiten und gutes Obst.

Ich legte meinen Brief vor das Fenster und war überzeugt, dass das Christkind ihn dort finden würde. Es kam aber anders.

Als der Christtag kam, waren die Teller meiner Geschwister wie jedes Jahr schön gefüllt, meiner aber – war leer. Gar nichts hatte ich bekommen. Das war eine große Enttäuschung. Die Tränen flossen reichlich, denn ich fühlte mich ungerecht behandelt. Meine Mutter aber sagte zu mir: „Glaubst du denn, dass das Christkindl so viel vom Himmel heruntertragen kann? Andere Kinder wollen ja auch beschenkt werden, da darf es nicht einem einzigen Kind so viele Sachen bringen. Man darf sich deshalb nur wenig wünschen und muss bescheiden sein.“

Beim nächsten Weihnachtsfest schrieb ich wieder einen Brief an das Christkind. Diesmal hatte ich gelernt und schrieb: „Liebes Christkindl, bitte bringe mir, was du willst, ich will mit allem zufrieden und recht brav sein.“

Am Christtag war auch mein Teller wieder gefüllt, daneben lag ein Päckchen mit einem warmen Stoff für ein Hemd. Ich freute mich, aber damals habe ich damit aufgehört, mir irgendetwas zu wünschen.

Armut überall

Meine Großeltern besaßen in jüngeren Jahren ein mageres Höfl oben am Berg. Weil dieses aber zu wenig abwarf, um die 13 Kinder ernähren zu können, gingen sie auch noch ins Tagewerk. Um zusätzlich ein paar Kreuzer zu verdienen, stellte mein Großvater Knoschpn her, die er dann verkaufte.

Oft ging es schmal zu auf dem Höfl meiner Großeltern, schließlich aber wuchsen die Kinder doch heran und wurden fleißige, ordentliche Leute. Alle heirateten und hatten wieder Kinder. Aber alle hatten gleich zu mergeln wie vorher ihre eigenen Eltern. Als meine Großeltern alt wurden, ging ihnen die Arbeit nicht mehr so leicht von der Hand. Sie übergaben den Hof dem ältesten Sohn und zogen in das Dorf hinunter, wo sie eine kleine Wohnung in einem alten Haus bezogen. Hier verbrachten sie ihre letzten Jahre.

Eine Altersrente kannte man damals noch lange nicht, und so hatten die alten Leute eigentlich nur das, was sie sich unter harter Mühe erspart hatten oder sich noch gelegentlich dazuverdienten – also wenig oder nichts. Die Kinder waren selbst arm und sahen sich außerstande, die Eltern finanziell zu unterstützen. Nur eine Kleinigkeit war gelegentlich möglich, aber eben nicht mehr. So fristeten meine Großeltern wie viele andere in ihren alten Tagen ein karges Dasein.

Die jüngste Tochter, also das 13. Kind, war hinab in die Stadt gezogen und hatte dort ihren Mann kennengelernt. Zusammen mit ihm übernahm sie nach dem Krieg eine kleine Obst- und Gemüsehandlung. Sie waren fleißige Leute und kamen gut voran. Aber viel hatten sie auch nicht übrig, da sie fünf Kinder hatten. Trotzdem steckte sie den Eltern immer wieder etwas zu. Einmal mehr, einmal weniger, wie es gerade ging. So konnten sich die alten Leute doch einigermaßen gut weiterbringen.

„Siehst du“, sagte meine Großmutter zu mir, als ich sie einmal besuchte, „ich habe 13 Kinder haben müssen, damit das dreizehnte auf mich schauen kann.“

Das Geschäft meiner Tante, die auch meine Patin war, gedieh trotz der damals wirtschaftlich schweren Zeiten. Mehr als einmal sagte sie zu mir: „Das ist der Segen Gottes, wenn es uns so gut geht – weil die vielen Vergelt’s Gott der Eltern Glück und Segen bringen.“

Schon früh in den Dienst

Wie das damals in kinderreichen Familien allgemein üblich war, musste auch ich schon sehr früh zu fremden Leuten in den Dienst gehen. Mit zwölf Jahren kam ich zu einer Bauernfamilie nach Tisens, wo ich Kindsdirn wurde, also auf die kleinen Kinder schauen musste, und auch sonst im Haus half. Ich kam schon bald nach Schulende dorthin und blieb den ganzen Sommer über dort. Auch als es Herbst wurde und die Schule wieder anfing, musste ich bleiben.

Eigentlich hätte ich ja in die Schule gehen müssen, aber die Bauersleute schickten mich einfach nicht. Weil sich auch sonst niemand um mich kümmerte, habe ich die Schule in Tisens nie von innen gesehen. Auch im darauffolgenden Jahr ging ich nicht, und so habe ich nur sechs Jahre lang eine Schule besucht statt der vorgeschriebenen acht.

Oft habe ich den Schulkindern nachgeschaut und sie beneidet. Sie durften in die Schule gehen, während ich schon arbeiten musste. Aber es wurde nie gefragt, was ich wollte, und mir wäre es nie in den Sinn gekommen, etwas zu sagen. Ich durfte den Bauernkindern bei der Hausaufgabe helfen, dabei blühte ich auf. Die Kinder waren keine besonders guten Schüler und konnten meine Hilfe gut gebrauchen. Ich aber durfte nicht mehr zur Schule, weil meine Eltern es sich nicht leisten konnten. Das war schon sehr ungerecht.

Nach zwei Jahren, ich war inzwischen 14, schickten mich meine Eltern auf einen anderen Hof. Auch hier hatte ich auf die Kinder zu schauen und der Bäuerin nach Möglichkeit zur Hand zu gehen. Ich hatte es nicht schlecht hier, denn es gab ausreichend zu essen, und die Bäuerin hatte mich schon bald lieb gewonnen. Sie lobte mich und liebkoste mich sogar manchmal. Sie hatte wohl Mitleid mit mir armem und körperlich noch sehr kindlichem Mädchen.

Aber ich blieb leider nicht lange hier. Die Bäuerin hat öfter geweint, ohne dass ich den Grund dafür kannte. Einmal, als ich gerade dazukam, wie sie wieder weinte, hat sie mich umarmt, an sich gedrückt und dabei geschluchzt: „O du gutes, unschuldiges Kind. Du weißt ja noch nicht, wie viel Kummer es auf der Welt gibt.“ Die Frau hatte Eheprobleme, denn ihr Mann betrog sie ständig mit anderen, aber ich war noch vollkommen unschuldig und konnte mit dieser Situation wenig anfangen.

Der Grund, warum ich dann aber von diesem Hof wegkam, war ein anderer. Auf dem Hof gab es noch einen Knecht und eine Magd. Der Knecht war nicht besonders nett, er redete nicht viel und schon gar nicht mit mir. Die Magd aber, die Zenzi, war freundlich und hat mich gut behandelt. Einmal sah ich den Knecht, der mit den anderen auf dem Feld arbeitete, wie er plötzlich auf einmal vorsichtig nach links und nach rechts sah und dann der Magd ein Zeichen gab. Er begab sich zum nahen Wäldchen hinauf. Die Zenzi arbeitete noch eine kurze Weile weiter und tat, als ob nichts geschehen sei. Dann aber schaute auch sie sich um und ging dem Franz nach. Schon nach kurzer Zeit kamen sie zurück, zuerst die Zenzi und dann er. Sie arbeiteten weiter, als ob nichts gewesen wäre.

Ich war neugierig geworden, mir entging selten einmal etwas. Aber das Geschehene konnte ich mir nicht erklären. Am nächsten Tag geschah dasselbe wieder. Was das wohl zu bedeuten hatte? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Nach fünf oder zehn Minuten kamen die beiden unauffällig zurück. Was mochte dort im Wald wohl zu sehen sein?

Als sich am folgenden Tag wieder dasselbe abspielte, hielt ich es vor Neugier nicht mehr aus. Ich schlich den beiden nach kurzer Zeit nach. Als ich mich vorsichtig nach den beiden umschaute, sah ich plötzlich die Zenzi, wie sie auf dem Boden lag, mitten in den gelben Himmelschlüsseln, die bereits in voller Pracht blühten, und der Franz war bei ihr. Ich war noch nicht aufgeklärt, doch das kam mir doch seltsam vor. Plötzlich erblickte mich die Zenzi, schob den Franz weg, stand schnell auf und richtete sich die Kleider zurecht. Sie hatte ihren Kittel ganz oben gehabt. Der Franz blickte mich böse an und während er noch an seiner Hose herumnestelte, kam er mit großen Schritten auf mich zu und sagte drohend: „Gitsch, wenn du nur ein Wort zu einem sagst, bring ich dich um.“ Ich hatte große Angst, da aber kam die Zenzi zu mir und sagte: „Gell, du sagst niemand, was du gesehen hast, ich schenk dir dann einmal etwas dafür. Weißt, der Franz und ich haben uns gern, und da haben wir uns halt ein bissl gebusslt, aber das darf niemand wissen.“ Dann legte sie den Arm um meine Schulter und wir gingen wieder zur Arbeit zurück.

Ich sagte nichts zur Bäuerin. Am nächsten Sonntag ging ich aber beichten und da habe ich dem Herrn Kooperator erzählt, was ich gesehen hatte. Ob das Sünde sei, wenn ich der Bäuerin nichts davon erzähle? Der Herr Kooperator bekam ein rotes und ernstes Gesicht und antwortete: „Nein, das ist keine Sünde. Aber du sollst nicht so neugierig sein.“ Mit diesem Versprechen verließ ich nach ein paar Bußgebeten die Kirche.

Am nächsten Sonntag kam mein Vater unerwartet auf den Hof und sagte zur Bäuerin, dass er mich wieder mitnehme. Als diese ganz überrascht war und mich nach dem Grund fragte, wusste ich selber keine Antwort. Aber mein Vater machte weiterhin ein ernstes Gesicht und sagte: „I nimm das Madl mit. Dankschön für alles, Bäuerin.“ Erst viel später erfuhr ich, dass der Herr Kooperator von Tisens zu ihnen heimgekommen war und sie aufgefordert hatte, mich abzuholen, um mein Seelenheil nicht zu gefährden.

Ich kam dann zu einem Bauernhof in der Nähe von Nals, wo ich es gut hatte und länger blieb. Als ich 17 wurde, kam ich zu einem Baron in der Meraner Gegend. Auch dort wurde ich gut behandelt.

Hausmädchen, Stubenmädchen, Köchin