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Klett-Cotta

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Cover: Roland Sazinger, Stuttgart

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Datenkonvertierung: Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung Stuttgart

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94 730-4

E-Book: ISBN 978-3-608-10299-4

1. Kapitel Einleitung

Der Begriff der Identität bezieht sich auf die einzigartige Kombination von persönlichen unverwechselbaren Daten eines Individuums, ganz allgemein gesprochen nämlich der Name, das Geschlecht, Alter und Beruf, so wie es auch in der carte didentité, dem Personalausweis, festgehalten ist. In einem engeren psychologischen und psychoanalytischen Sinn verstehen wir darunter die einzigartige Persönlichkeitsstruktur einer Person, die aus den Beziehungen zu wichtigen anderen im Laufe des Lebens entstanden ist. Dieses Empfinden der Kohärenz und Kontinuität im Kontext der sozialen Bezogenheit prägt das Leben und wird Identität genannt (Ermann, 2011). Die Identität enthält viele Komponenten, u. a. die Geschlechtsidentität, die ethnische Identität, die zeitliche Kontinuität des Selbsterlebens, die realistische Wahrnehmung des Selbst im Raum, über die Zeit und in unterschiedlichen sozialen Bezügen. Den meisten Menschen gelingt es trotz des Experimentierens mit verschiedenen Rollen, die Kontinuität des Selbst und die Wahrnehmung von anderen über die Zeit und in verschiedenen Situationen zu integrieren – eine bemerkenswerte Leistung.

Schon in einem der ersten Bücher, die in der wissenschaftlichen Psychologie geschrieben wurden, in William James’ 1890 publizierten Principles of Psychology, wird vermutet, dass der Mensch das einzige Tier ist, das sich mit sich selbst unterhält. Tagtäglich kommentiert das Me, unser Selbst, das I, unseren Bewusstseinsstrom, der wesentlicher Bestandteil unserer Identität ist – was wir fühlen, denken, schmecken. Freud (1923/2000) hat später das Ich in das Spannungsfeld zwischen triebhaften Bedürfnissen und gesellschaftlichen Normen und Erwartungen gestellt. Er hat auch die enorme Bedeutung des Eltern-Kind-Verhältnisses für die Entwicklung des Ichs betont. Die Selbstpsychologie und die Objektbeziehungstheorie haben dann unser Wissen über die Erschaffung des Selbst aus frühen sozialen Erfahrungen erweitert. Mit Selbst bezeichnet man die Vorstellung von der eigenen Person, also eine psychische Repräsentanz. Erikson (1959/1971, S. 123) führte dann den Begriff der Ich-Identität in die psychoanalytische und sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise ein. Damit ist »ein spezifischer Zuwachs an Persönlichkeitsreife …, den das Individuum am Ende der Adoleszenz der Fülle seiner Kindheitserfahrungen entnommen haben muss, um für die Aufgaben des Erwachsenenlebens gerüstet zu sein«, gemeint. Identität nimmt nach alldem Bezug auf das Selbst in einem bestimmten Kontext. Identität und Selbst sind also miteinander verquickt, aber sie sind nicht dasselbe (Bohleber, 1992).

Das Interesse an der Identitätstheorie von Erikson hält in der Psychoanalyse unvermindert an. 2010 hat Peter Conzen die psychoanalytische Identität für Forum Psychoanalyse aufbereitet. Rasch voranschreitende Prozesse der Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung eröffnen den Individuen heute neue Spielräume des Selbsterlebens und der Selbstdarstellung. Allerdings stellt die Veränderung bzw. der Ausfall nahezu aller haltgebenden Strukturen in der gegenwärtigen Gesellschaft für viele heute lebenden Menschen eine Überforderung dar. Immer häufiger haben es Psychotherapeuten mit verwirrten, isolierten und ausgebrannten Menschen zu tun, die sich nach festen Bindungen sehnen und gleichzeitig davor zurückschrecken, die sich von immer neuen Ersatzbefriedigungen treiben lassen und keinen Sinn in ihrem Dasein finden, die sich an so viele Rollen anpassen, dass sie kaum noch wissen, wer sie überhaupt sind. Es ist bedenkenswert, wie Conzen (2010) ausführt, dass die Psychoanalyse sich mit Identität zu beschäftigen begann, nämlich um 1950, als diese in besonderer Weise problematisch geworden war. Er zieht eine Parallele zu der Beschäftigung mit Sexualität, die zu Freuds Zeiten das vordringliche Thema war.

Wir blicken mittlerweile auf 100 Jahre Theorie und Forschung im Bereich der Identität zurück (Goldenberg & Shackelford, 2005), die viel Interessantes erbracht haben. Wir wissen inzwischen ziemlich genau, wie sich Identität entwickelt, welche Rolle der Körper dabei spielt, in welchem Umfang Identität aus sozialen Beziehungen zu wichtigen anderen stammt und wie sich die Identitätsentwürfe von Jungen und Mädchen, von Männern und Frauen unterscheiden. Während die Psychoanalyse vor allem die innere Sicht herausgearbeitet hat, also die Phantasien und die Bildung innerer Objekte und Selbstrepräsentanzen, hat die Entwicklungspsychologie die spezifische Dynamik der frühen identitätsbezogenen Lernprozesse aufgezeigt, den Einfluss des Entwicklungskontexts auf die Möglichkeiten zur Selbstexploration nachgewiesen und die kulturellen Determinanten von Identität dargelegt. Beide Perspektiven ergänzen einander gut und entsprechen unserer heutigen Sicht, wonach innere und äußere Bedingungen im therapeutischen Kontext gleichermaßen zu beachten sind. Wenn Identität das Empfinden von Kohärenz und Kontinuität im Kontext der sozialen Bezogenheit bedeutet, dann ist es plausibel, dass Brüche in der Beziehung zum sozialen Umfeld Labilisierungen des Identitätserlebens bewirken.

Da Identitätsentwicklung ein lebenslanger Prozess ist und wir zunehmend zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden sind, müssen auch diese Veränderungen ihren Niederschlag in der Behandlungstechnik finden. Im therapeutischen Kontext ist es darüber hinaus wichtig, Rahmendaten für die Identitätsentwicklung zu haben, um eine Entscheidung treffen zu können, ob eine Entwicklung als normal oder pathologisch gelten soll. Handelt es sich im Falle eines Patienten oder einer Patientin um eine krankheitswertige Störung oder vielmehr um eine allgemeine Gesetzmäßigkeit, von der viele Menschen in einem deutlich veränderten Lebenskontext betroffen sind? Die Beantwortung dieser Frage ist in den letzten zehn Jahren deutlich schwieriger geworden. Es gibt zwar schon seit einigen Jahrzehnten Beobachtungen über einen Krankheitswandel, aber erst in jüngster Zeit ist das ganze Ausmaß deutlich geworden, hat man den gesellschaftlichen Kontext als eine Ursache für veränderte psychische Befindlichkeit anerkannt. Die veränderten Lebensbedingungen und, damit im Zusammenhang stehend, die veränderte Identitätsentwicklung der heute lebenden Menschen in ihrem multikulturellen Kontext machen auch neue therapeutische Antworten notwendig.

Dieses Buch basiert auf der in Lindau 2010 gehaltenen Vorlesung »Identität im Wandel – therapeutische Herausforderungen« und hat sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Lösung der geschilderten Probleme zu leisten. Es arbeitet die Ursachen für die veränderte Identitätsentwicklung auf, die letztendlich auch zu veränderten Beziehungen geführt haben, und reflektiert die Konsequenzen für die therapeutische Arbeit. Die psychoanalytische Identität ist schon immer Gegenstand von Diskussionen gewesen, was zum einen Teil mit der Geschichte der Psychoanalyse und ihrer starken Anfeindung von außen, zum anderen Teil aber mit den Abgrenzungen innerhalb der psychoanalytischen Bewegung zu tun hat. Die Entwicklung der professionellen Identität erfolgt über einen langen Zeitraum, von frühen Identifizierungen und Rollenvorbildern über die langjährige therapeutische Ausbildung bis zur Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule oder Richtung. Hier müssen wir uns der Frage stellen, wie es um unsere analytische Identität heute bestellt ist.