Vorwort

Die Bebauungsplanverfahren sind komplexer geworden. Zu den im Verfahren zu behandelnden Fragen der zulässigen Festsetzungen, des naturschutzrechtlichen Eingriffs und Ausgleichs sind zunehmend Fragen gekommen, die zwar außerhalb des Bebauungsplanverfahrens, aber parallel dazu und abschließend vor dem Satzungsbeschluss zu behandeln sind, wie z.B. der unionsrechtliche Artenschutz, der Überschwemmungsschutz, die Abstandsproblematik der Störfallverordnung und Fragen der Raumordnung.

Die vollständig überarbeitete Neuauflage will – der bewährten Form folgend – entlang des im BauGB vorgegebenen, deutlich strenger gewordenen Verfahrens ein praxisbezogenes Handlungs- und Prüfungsschema bieten, um Verfahren und Inhalt eines Bebauungsplans auf rechtssicheren Bahnen zu leiten.

Neben dem Bebauungsplanverfahren werden die praxisrelevanten Themen der Veränderungssperre und des Vorkaufsrechtes behandelt; Instrumente, die sich im Alltag nicht selten mit ihren Fallstricken präsentieren. Das Recht der Baugenehmigung nach §§ 29–35 BauGB schließt sich an und wird ebenfalls alltags- und problembezogen behandelt.

Unser Bauplanungsrecht ist stark rechtsprechungsorientiert; auf viele wichtige Entscheidungen wird hingewiesen oder sie werden auszugsweise zitiert. Dies dient der Verdeutlichung der richterlichen Argumentationsabfolge ebenso wie der Vereinfachung bei der Suche nach dem Stand der Rechtsprechung.

Der Aufbau des Buches weicht bewusst von jenem der einschlägigen Kommentare ab, weil er dem praktischen Ablauf einer Bebauungsplanaufstellung oder eines Genehmigungsverfahrens folgt. Deshalb werden die Planerhaltungsvorschriften (§§ 214, 215 BauGB) bei den Planungsvorschriften (und ihren möglichen Fehlern) behandelt. Die Idee der Darstellung ist, auf die Kommentare (erst) dann zurückzugreifen, wenn man das Problem oder die Rechtsfrage im Verfahrensablauf „verortet“ hat und eine einfache Lösung sich nicht anbietet.

Ich danke meiner langjährigen Sekretärin, Frau Wittmann, sehr herzlich, die das Manuskript dieser Auflage, wie alle früheren auch, mit großer Konzentration, Geduld und Genauigkeit, gegen manche Widrigkeiten der EDV kämpfend (da der Text einfach zu lang war), geschrieben und betreut hat.

Stuttgart, im Januar 2015

Hans-Jörg Birk

Kapitel 1
Bebauungsplanverfahren

Teil 1 Einführung

A. Vorbemerkungen

Das kommunale Planungsrecht, vorrangig das Bauplanungsrecht, hat in den letzten Jahren eine kaum vorstellbare Komplexität erreicht. Den Gründen ist hier nicht nachzugehen1; sie mögen berechtigt, sinnvoll, unausweichlich und zukunftsorientiert sein. Für die Praxis ist zu konstatieren, dass die formell und materiell relevante Regelungsdichte die Aufstellung eines Bebauungsplans oder die Erteilung einer Baugenehmigung nach §§ 34 oder 35 BauGB zu einem z. T. höchst schwierigen (und damit rechtsunsicheren) Unterfangen gemacht hat. Strenge Formvorschriften stehen Planerhaltungsregelungen gegenüber. Probleme, die im Bebauungsplanverfahren abgearbeitet werden können, „konkurrieren“ mit Fragen, die zuvor oder parallel zum Bebauungsplanverfahren oder zur Genehmigung abschließend zu klären sind.

Mit der nachfolgenden Darstellung soll der Versuch unternommen werden, ein rechtssicheres Prüfungs- und Bearbeitungssystem aufzuzeigen, um nicht den Weg zum sicheren Baurecht zu verlieren, sondern erfolgreich zum Ziel zu kommen – oder: je nach Aufgabenstellung, anderen aufzuzeigen, dass sie es nicht geschafft haben!

Die folgenden Seiten wollen Lotsenfunktion übernehmen. Es soll aufgezeigt werden, auf was formell und materiell geachtet werden muss, was die Rechtsprechung verlangt, um einen Bebauungsplan als wirksam und rechtmäßig zu akzeptieren. Viele Gerichtsentscheidungen werden mit ihren maßgeblichen Aussagen zitiert, um ein Gefühl für die Anforderungen zu prägen (und das Suchen der Entscheidungen zu vermeiden). Der Text soll für Fragestellungen, die auftauchen oder sonst übersehen werden, Wege zu Antworten und Lösungen aufzeigen; dabei helfen dann Fachgutachten und Kommentare; beides kann der folgende Text nicht ersetzen.

B. Methodik der Darstellung

I. Bauleitplanung

1

Die nachfolgende Darstellung der Bauleitplanung weicht bewusst von der Methode eines Kommentars oder eines Lehrbuchs ab. Ansatzpunkt ist die systematische, d. h. schrittweise Prüfung der Rechtmäßigkeit eines in Kraft getretenen Bebauungsplanes, eines Bebauungsplanentwurfes oder eines laufenden Bebauungsplanverfahrens.

Diese Methode ist unabhängig davon anwendbar, ob der Bebauungsplan auf seine Rechtmäßigkeit im Rahmen einer Investitionsentscheidung überprüft wird oder Nachbarn oder andere den Bebauungsplan „zu Fall bringen wollen“ und deshalb zur Ungültigkeit führende Fehler gesucht werden. Sie taugt auch zur nachsorgenden Überprüfung (z. B. im Vorfeld eines Normenkontrollverfahrens), wie zu einer das Aufstellungsverfahren begleitenden Beratung und Überprüfung, sei es auf Seiten der Gemeinde oder auf der Seite eines Bauwilligen.

Vor diesem Hintergrund ist das der Darstellung zugrunde gelegte Überprüfungsschema bewusst nach einem 6-stufigen „KO-System“ aufgebaut. Findet sich in einer Stufe ein beachtlicher Fehler, dann führt dies zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans, die weiteren Prüfungsstufen sind für die Rechtsgültigkeit des Plans nicht mehr von Bedeutung. Ob sinnvollerweise zur Vorbereitung der Heilung des Planes (trotzdem) die weiteren Verfahrensschritte durchgeprüft werden, ist eine Frage der jeweiligen Aufgabenstellung.

2

Die 6 Prüfungsstufen sind:

Stufe 1:

Bebauungsplanverfahren

Stufe 2:

„Sichtprüfung“ des eigentlichen Plans

Stufe 3:

Konformität mit übergeordneten Planungen

Stufe 4:

Zulässige Festsetzungen

Stufe 5:

Spezielle materiell-rechtliche Anforderungen an die Bauleitplanung

Stufe 6:

Abwägung

Diesen Stufen folgt die Darstellung der Bauleitplanung.2

II. Zulässigkeit von Bauvorhaben

3

Auch für die planungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben wird ein Prüfungsschema dargestellt, das für die Feststellung der bauplanerischen Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens ebenso geeignet ist, wie für die Überprüfung der Frage, ob sich Nachbarn mit Erfolg gegen das Vorhaben wehren können. Hier wird das Augenmerk vor der Behandlung der wichtigen Einzelprobleme vor allem auf das Auffinden der einschlägigen Genehmigungsnorm gelegt. Auch dieser Darstellung wird ein praxisorientiertes methodisches Vorgehen zugrunde gelegt.3

C. Rechtsquellen

4

Als Vorfrage ist stets zu prüfen, welches Recht anwendbar ist. Die Besonderheit des Bebauungsplanrechtes liegt darin, dass dies nicht automatisch und stets das derzeit geltende BauGB ist; anderes gilt für das Bebauungsrecht der §§ 34 und 35 BauGB.

I. Besonderheiten des Bauplanungsrechtes

1.Bebauungsplanrecht

5

Das Recht der Bauleitplanung zeichnet sich dadurch aus, dass die jeweilige Gesetzeslage in die ortsgesetzliche Satzung (Bebauungsplan, vorhabenbezogener Bebauungsplan) – das gilt auch für den Flächennutzungsplan, der keine Satzung ist – inkorporiert wird. Es handelt sich also um eine statische Bindung. Daraus folgt: Ändert sich das BauGB (oder die BauNVO), gelten die bisherigen, durch die Änderung außer Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen als Teil der gemeindlichen Satzung weiter. Die Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans ist an dem Recht zu überprüfen, nach dem er hat aufgestellt werden müssen, nicht nach dem Recht, das zum Zeitpunkt der Überprüfung gilt. Das gilt ebenso für die nach diesem Bebauungsplan zulässigen Vorhaben. Diese Feststellung gilt für alle Prüfungsstufen; sie gewinnt ihre besondere Bedeutung bei der Frage der jeweils anwendbaren BauNVO.4 Diese Tatsache macht das Recht der Bauleitplanung nicht einfacher; es ist tendenziell unübersichtlich.

6

Jede Prüfung eines Bebauungsplans beginnt deshalb mit der Frage:

Welche Fassung des BauGB (früher BBauG) findet für den Bebauungsplan Anwendung?

7

Neue Bebauungspläne sind jeweils nach dem derzeit geltenden Recht aufzustellen.5 Treffen laufende Bebauungsplanverfahren auf Gesetzesänderungen, gilt Übergangsrecht.6

2. Vorhaben nach §§ 34, 35 BauGB

8

Anderes gilt für die Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben im Innen- und Außenbereich. Hier ist jeweils die zum Zeitpunkt der Genehmigung eines Vorhabens geltende Fassung des BauGB anzuwenden. Insoweit liegt eine dynamische Bindung vor.

II. Behandelte Bebauungsplanfassungen

9

Es würde die Konzeption dieses Buches sprengen, wollte man den Versuch unternehmen, alle durch das BBauG und BauGB seit 1960 geschaffenen Rechtsschichten darzustellen. Darauf muss hier verzichtet werden.7

10

In diesem Skript wird die BauGB-Fassung 2013 und vom 20.11.2014 samt der Änderungen vom 15.07.20148 behandelt.

III. BauNVO 90

11

Am 27.01.1990 ist die BauNVO 90 i. d. F. vom 23.01.1990 (BGBl. I, 132) in Kraft getreten. Die BauNVO 1977 mit der Änderung des § 11 BauNVO im Jahre 1986 ist damit außer Kraft gesetzt worden. Nachstehend wird die BauNVO 90 mit ihren seither, einschließlich der Novelle 20139, vorgenommenen Änderungen dargestellt.

D. Gesetzeszitate

12

Zitate ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf das derzeit geltende BauGB.

Teil 2 Bebauungsplan

A. Verfahren – Allgemeines

13

In der 1. Prüfungsstufe10 wird – methodisch bewusst losgelöst von allen anderen für die Rechtmäßigkeit des Planes bedeutsamen Fragen – ausschließlich geprüft, ob das im BauGB vorgeschriebene Verfahren fehlerfrei durchgeführt wurde.

Stufe 1:

Bebauungsplanverfahren

Stufe 2:

„Sichtprüfung“ des eigentlichen Plans

Stufe 3:

Konformität mit übergeordneten Planungen

Stufe 4:

Zulässige Festsetzungen

Stufe 5:

Spezielle materiell-rechtliche Anforderungen an die Bauleitplanung

Stufe 6:

Abwägung

Nach der Entscheidung des Gesetzgebers sollen Verfahrensfehler nicht automatisch zur Unwirksamkeit eines Planes führen. Deshalb werden den Verfahrensregeln solche der Planerhaltung (§§ 214, 215) gegenübergestellt.11 Diese Regelungen bestimmen, welche Fehler unter welchen Voraussetzungen zur Unwirksamkeit des Planes führen.

Die Darstellung in diesem Buch folgt der aufgezeigten Prüfungsmethode:

Zusammen mit der Darstellung des Verfahrens und möglicher Fehler folgt die Überprüfung der Bedeutung dieser Fehler anhand der Vorschriften über die Planerhaltung, §§ 214, 215.

Zuvor ist eine (eigentlich selbstverständliche) praktische Frage zu klären:

I. Die „Gegenstände“ der Überprüfung und wie man sie „erlangt“

14

Jede Prüfung eines Bebauungsplans beginnt mit dem kontrollierenden Nachvollzug des Verfahrens. Um dies bewerkstelligen zu können, muss der Prüfende wissen, welches Verfahrensrecht anzuwenden ist12 und aus welchen Bestandteilen ein vollständiger Bebauungsplan nach ordnungsgemäß durchgeführtem Bebauungsplanverfahren besteht. Dies sind

15

Der bekannt gemachte (damit in Kraft getretene) Bebauungsplan ist gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 mit der Begründung und der zusammenfassenden Erklärung nach § 10 Abs. 4 zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten. Unter den Begriff „Bebauungsplan“ nach § 10 Abs. 3 Satz 2 fallen auch die textlichen Festsetzungen, soweit diese nicht mit der zeichnerischen Darstellung fest verbunden sind. § 10 Abs. 3 Satz 2 spricht damit den Bebauungsplan samt Textteil und die Begründung (einschließlich zusammenfassende Erklärung)13 an, gibt somit jedoch keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Einsicht in die eigentlichen Verfahrensakten (vgl. oben (4)).

16

Ohne Verfahrensakten ist aber eine Überprüfung eines Bebauungsplans auf seine formelle und materielle Rechtsgültigkeit ausgeschlossen. Viele Gemeinden sind zwischenzeitlich bereit, die Bebauungsplanakten einsehen zu lassen. § 29 LVwVfG (identisch in allen Bundesländern) – außer Schleswig-Holstein, dort § 88 LVwG – gibt keine Rechtsgrundlage für die Einsicht in die Bebauungsplanakten: Die Rechtssetzung ist von der Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes ausgeschlossen, dazu gehören auch Satzungen und damit auch der Bebauungsplan. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 HS 2 gibt es einen Auskunftsanspruch über den Inhalt des Bebauungsplans. Es spricht manches dafür, „auch einen Anspruch auf Auskunft zum Verfahrensablauf der Bebauungsplanaufstellung und auf Einsicht in die entsprechenden Verfahrensakten zugestehen (zu) müssen, weil Verfahrensfehler binnen Jahresfrist schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht werden müssen (§ 215 Abs. 1)“.14

17

Durchsetzen lässt sich die Akteneinsicht in Gerichtsverfahren, sei es im Normenkontrollverfahren15 oder im Inzidentverfahren16.

Die Einsichtnahme wird im Regelfall – wie jene nach § 10 Abs. 3 Satz 2 – bei der Behörde erfolgen, die die Akte führt. Eine Verpflichtung zur Übersendung der Akte in die Kanzlei des Rechtsanwalts besteht also nicht.

18

Die Behörde ist auch nicht zur Anfertigung von Fotokopien verpflichtet.17 Im gerichtlichen Verfahren (z. B. Normenkontrolle nach § 47 VwGO) besteht die Einsichtnahmemöglichkeit nach § 100 VwGO. Diese erfolgt in aller Regel durch Übersendung der Bebauungsplanakten an die Kanzlei des Rechtsanwalts, § 100 Abs. 2 Satz 3 VwGO.

II. Grundsystem Verfahrensregelungen – Vorschriften zur Planerhaltung

1. Einführung

19

Die Verfahrensregelungen des BauGB schreiben detailliert vor, wie ein Bebauungsplan unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden aufzustellen ist. Die Vorschriften über die Planerhaltung relativieren die Bedeutung dieser Verfahrensvorschriften, indem sie aussagen, ob und gegebenenfalls welche Fehler unter welchen Voraussetzungen für die Rechtsgültigkeit des Planes von Bedeutung sind.

Um die Vorschriften über das Verfahren und jene über die Planerhaltung gemeinsam behandeln und darstellen zu können, ist – gleichsam vor die Klammer gezogen – die Mechanik der Regelungen über die Planerhaltung darzustellen.

2. Das System der Vorschriften über die Planerhaltung, §§ 214, 215
a) System

20

Das Bebauungsplanverfahren wird nach den Vorschriften des BauGB durchgeführt. Regelt das Gesetz nichts, ist, da der Bebauungsplan als gemeindliche Satzung beschlossen wird, die jeweilige landesrechtliche Gemeindeordnung anzuwenden. Damit ist der Bebauungsplan zwei Gruppen von Verfahrensvorschriften unterworfen:

Gruppe 1: Verfahrensvorschriften des BauGB,

Gruppe 2: Verfahrensvorschriften der jeweiligen landesrechtlichen Gemeindeordnungen.

21

Sowohl im BauGB wie in den Gemeindeordnungen sind in Bezug auf Verfahrensfehler Unbeachtlichkeitsregelungen vorgesehen, die sich in folgende Kategorien gliedern lassen:

Kategorie 1: Vorschriften, deren Verletzung stets unbeachtlich ist; das sind alle in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–4 BauGB nicht genannten Vorschriften.

Kategorie 2: Vorschriften, deren Verletzung beachtlich ist. Diese Beachtlichkeit führt aber nur teilweise zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Zu unterscheiden sind drei Teilkategorien:

Sämtliche, ob (nur) mit oder ohne Rüge beachtlichen Fehler können durch ein ergänzendes Verfahren geheilt werden, § 214 Abs. 4.18

22

Die Kategorien 2.1, 2.2 und 2.3 finden sich vergleichbar in den Verfahrensvorschriften der Gemeindeordnungen (z. B. § 4 GemO Baden-Württemberg).19

23

Für die oben genannte Kategorie 2.2 – Beachtlichkeit eines Fehlers entfällt durch fehlende Rüge – ist auf Folgendes hinzuweisen: Bis zum Ablauf der Rügefrist ist der Bebauungsplan unwirksam, wenn ein rügefähiger Fehler tatsächlich vorliegt. Die Fehlerbeachtlichkeit steht nicht unter der aufschiebenden Bedingung einer frist- und formgerechten Rügeerhebung, sondern unter der auflösenden Bedingung der Rügeverfristung.20 Das bedeutet, dass ein Gericht bis zum Ablauf der Rügefrist von Amts wegen einen rügefähigen Fehler zum Anlass nehmen kann, von der Unwirksamkeit des Bebauungsplanes auszugehen!

b) Rüge und Rügefristen

24

Das BauGB 07 hat die Rügefristen vereinheitlicht. Sie beträgt für alle Mängel – nicht nur diejenigen, die das Verfahren betreffen, sondern auch für beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs (§§ 214 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. 215 Abs. 1 Ziff. 3)21 – ein Jahr seit Bekanntmachung, § 215 Abs. 1 BauGB 07. Die Rüge ist gegenüber der Gemeinde auszusprechen; der die Verletzung begründende Sachverhalt ist anzugeben. Die Rüge hat so konkretisiert und substantiiert zu sein, dass die Gemeinde prüfen und eine Fehlerbehebung vornehmen kann.22 In Normenkontroll- oder anderen Gerichtsverfahren ist darauf zu achten, dass die Frist nur gewahrt wird, wenn die Rüge innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Bebauungsplans bei der Gemeinde eingeht. Die Rüge gegenüber dem Gericht wahrt die Frist nur, wenn dieses den Schriftsatz so rechtzeitig an die Gemeinde weiterleitet, dass dieser vor Ablauf dieser Ein-Jahres-Frist bei der Gemeinde eingeht.

Hinweis:

Zur Fristwahrung ist die Rüge von Verfahrensfehlern bei anhängigen Gerichtsverfahren durch direkte Zustellung des Schriftsatzes an die Gemeinde vorzunehmen.

25

Die Rüge ist stets nach Bekanntmachung23 des Bebauungsplans zu erheben. Dies gilt selbst dann, wenn allein die Stellungnahme wiederholt wird, die schon während der Auslegung nach § 3 Abs. 2 vorgetragen wurde. Die Rüge erfordert eine gesonderte Aktivität.

Wird ein Bebauungsplan nach ergänzendem Verfahren erneut bekannt gemacht, ist die Rügefrist nach § 215 Abs. 1 auch gewahrt, wenn die Rüge nur nach der ersten Bekanntmachung fristgerecht erhoben worden ist; einer erneuten Rüge bedarf es nicht.24

26

Die §§ 214 und 215 – ebenso die landesrechtlichen „Unbeachtlichkeitsvorschriften“ – gelten nur dann, wenn beim Inkrafttreten des Bebauungsplans auf die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verletzung nach §§ 214 und 215 hingewiesen worden ist, § 215 Abs. 2. Das Fehlen dieses Hinweises macht den Bebauungsplan nicht ungültig, sondern führt allein dazu, dass die Rügen uneingeschränkt geltend gemacht werden können.

3. Ergänzendes Verfahren, § 214 Abs. 4
a) Rechtlicher Rahmen

27

§ 214 Abs. 4 ermöglicht die Heilung eines Bebauungsplans (einer anderen Satzung des BauGB oder des Flächennutzungsplanes) im ergänzenden Verfahren. Diese Heilungsmöglichkeit besteht nach Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans im Normenkontrollverfahren, § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO, ebenso allerdings, wenn die Gemeinde selbst Fehler erkennt; das ergänzende Verfahren kann deshalb auch während gerichtlicher Verfahren (Normenkontrolle oder Inzidenzprüfung) stattfinden.

28

Die (frühere) Feststellung der Nichtigkeit hatte den Bebauungsplan und das Verfahren von Anfang an (ex tunc) „beseitigt“. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Der unwirksame Bebauungsplan existiert in jenem Entwurfszustand weiter, der fehlerfrei geblieben ist, der also nicht von dem zur Unwirksamkeit führenden Mangel „infiziert“ ist. Das ist bei den klassischen formellen Fehlern unschwer festzustellen.

b) Ergänzendes Verfahren

29

Das Bundesrecht regelt nicht allgemein, welches gemeindliche Organ für die Fehlerbehebung zuständig ist.25 Dies bestimmt sich nach dem zu behandelnden Fehler: Ist für den fehlerbehafteten Verfahrensschritt der Gemeinderat usw. zuständig, so muss er dort durch eine rechtmäßige Entscheidung wiederholt werden. Ist der Bürgermeister zuständig, z. B. bei der Ausfertigung oder öffentlichen Bekanntmachung, so hat er die (heilende = wiederholende) Handlung vorzunehmen. Nicht nur der Fehler ist zu beseitigen – ab dem Fehler ist das Verfahren zu wiederholen. Es gelten die (ab diesem Verfahrenschritt geltenden) allgemeinen Verfahrensvorschriften.

30

Das ergänzende Verfahren stellt eine „Wiederaufnahme“ des fehlerhaften Bebauungsplanverfahrens vor dem zur Unwirksamkeit führenden Fehler dar. Es handelt sich um keine Bebauungsplanänderung; diese setzt einen wirksamen Bebauungsplan voraus. § 4a Abs. 3 ist anzuwenden.26

31

Die Gemeinde kann ein ergänzendes Verfahren nicht nur durchführen, wenn ein Normenkontrollgericht den Bebauungsplan für unwirksam erklärt hat27, sondern auch dann, wenn sie selbst einen Fehler entdeckt oder auf ihn aufmerksam gemacht wird (z. B. nach Rüge gem. § 215) oder ein Gericht im Inzidentverfahren28 den Plan für unwirksam erklärt. Selbst „während“ eines Normenkontrollverfahrens kann das ergänzende Verfahren durchgeführt werden.

32

Hinweis:

Soll der Bebauungsplan, z. B. als Voraussetzung einer Investition, rechtssicher aufrechterhalten werden, können (mögliche) Fehler im ergänzenden Verfahren beseitigt werden. Anhängige gerichtliche Verfahren hindern das ergänzende Verfahren nicht.

Das durchgeführte ergänzende Verfahren muss auf dem Plan, den Festsetzungen und der Begründung vermerkt werden und damit nachvollzogen werden können. Dies gilt unabhängig vom Umfang des ergänzenden Verfahrens.

33

Das ergänzende Verfahren ist nicht nur für die Beseitigung der in § 214 genannten beachtlichen Mängel anwendbar, sondern auch zur Beseitigung sämtlicher sonstiger, formeller und materieller, auch landesrechtlich begründeter Mängel.29

c) Besonderheiten des ergänzenden Verfahrens bei materiell-rechtlichen Fehlern

34

Ein ergänzendes Verfahren kann für materiell-rechtliche Fehler nur dann Anwendung finden, wenn die Prognose vor Beginn dieses Verfahrens ein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich der „Ergebnissicherheit“ erlaubt. Wählt eine Gemeinde in einem Bebauungsplan z. B. eine nach § 9 BauGB oder nach den Vorschriften der BauNVO unzulässige Festsetzung, so ist dieser Mangel nur dann einem ergänzenden Verfahren zugänglich, wenn eine zulässige Festsetzung bereitsteht und die Gemeinde diese Festsetzung auch (ursprünglich) erkennbar wollte. Letzteres muss sich aus dem Gesamtzusammenhang der Bebauungsplanbegründung, der Abwägung oder sonstigen Unterlagen ergeben.

„Ein ergänzendes Verfahren i. S. des § 215a BauGB30 ist nicht ausgeschlossen, wenn ein festgestellter Mangel nur durch eine Änderung des Planinhaltes behoben werden kann.“

Aber:

„Ein ergänzendes Verfahren scheidet aus, wenn es nicht auf dem erkennbaren städtebaulichen Konzept der Gemeinde aufbauen kann, auf dem das bisherige Bebauungsplanverfahren beruht, sondern wenn es um die Entwicklung neuer städtebaulicher Vorstellungen geht.“31

Beispiel:

Eine Gemeinde weist eine Friedhofserweiterungsfläche aus, die zur Beseitigung eines Wohnhauses führt. Das Abwägungsmaterial ist ordnungsgemäß zusammengestellt (2. Stufe). Es fehlt aber an jeglicher „Dokumentation“ der Abwägung in der Bebauungsplanakte und im Gemeinderatsprotokoll. Hier kann die Gemeinde im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB die Abwägung und den Satzungsbeschluss nachholen, ohne dass es einer erneuten Auslegung bedarf. Ersetzt die Gemeinde eine z. B. nach § 9 BauGB unzulässige Festsetzung durch eine zulässige, wird sie den Bebauungsplan im ergänzenden Verfahren nochmals auslegen müssen, wenn nicht die Vorschriften des Verfahrens nach § 4a Abs. 3 BauGB Anwendung finden können.

Werden in einem ergänzenden Verfahren inhaltliche Änderungen der Bebauungsplanfestsetzungen vorgenommen, so muss – zwingend – eine neue Auslegung erfolgen.32

35

Scheidet das ergänzende Verfahren aus, so bleibt der Bebauungsplan auf Dauer unwirksam. Das bisherige (nicht von dem zur Unwirksamkeit führenden Fehler infizierte) Verfahren kann durch einfachen Beschluss des zuständigen kommunalen Gremiums beendet werden. Ein Aufhebungsverfahren nach § 1 Abs. 8 ist nicht notwendig, da der Bebauungsplan nicht wirksam ist. Dies gilt aber nur dann, wenn ein Normenkontrollurteil die Unwirksamkeit festgestellt hat. Der Gemeinde steht wohl das Recht zu, vorsorglich ein ergänzendes Verfahren durchzuführen; eine Verwerfungskompetenz ist ihr nur im Rahmen eines Verfahrens nach § 1 Abs. 8 (Aufhebung oder Änderung) zugebilligt.

d) Rechtsfolgen

36

Der fehlerhafte Bebauungsplan bleibt ohne Rechtswirkungen, bis im ergänzenden Verfahren der Fehler beseitigt ist.

Das bedeutet:

e) Inkrafttreten/rückwirkendes Inkraftsetzen

37

Das ergänzende Verfahren nach § 214 Abs. 4 ist stets durch öffentliche Bekanntmachung gem. § 10 Abs. 3 abzuschließen.

§ 214 Abs. 4 lässt – unabhängig von der Fehlerqualität, also bei Verfahrens- wie Abwägungsfehlern – ein rückwirkendes Inkraftsetzen zu. Die beabsichtigte Rückwirkung löst für sich genommen keine (neue) Öffentlichkeitsbeteiligung aus. Werden reine Form- oder Verfahrensfehler geheilt (z. B. Ausfertigung35 oder Nichtvorlage nicht berücksichtigter Stellungnahmen36), reicht die öffentliche Bekanntmachung.37 Dieses rückwirkende Inkraftsetzen ist nur bis zu dem Zeitpunkt möglich, in dem der ursprüngliche (fehlerhafte) Bebauungsplan in Kraft gesetzt worden ist. Die Rückwirkung unterliegt aber einer weiteren (materiell-rechtlichen) Einschränkung: Sie ist ausgeschlossen, wenn der Bebauungsplan im ergänzenden Verfahren andere Festsetzungen oder sonstige materiell-rechtliche Änderungen erfährt. Insgesamt sollte daher mit der rückwirkenden Inkraftsetzung nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zurückhaltend umgegangen werden.38

4. Zusammenfassung

38

Festzuhalten ist die Grundkonstruktion der §§ 214, 215:

39

Hinweis:

Bei der folgenden Darstellung des Bebauungsplanverfahrens werden die möglichen Verfahrensfehler, ihre Beachtlichkeit und die Möglichkeit eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 immer mit behandelt und dargestellt. So prüft man sinnvollerweise auch ein konkretes Bebauungsplanverfahren auf seine formelle und materielle Rechtmäßigkeit.

B. Das Planaufstellungsverfahren des qualifizierten Bebauungsplans

Nachstehend wird (zuerst) das „klassische“ Aufstellungsverfahren des qualifizierten Bebauungsplans behandelt. Sonderregelungen gelten für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan (§ 12)39, den Bebauungsplan im vereinfachten Verfahren (§ 13)40 und den Bebauungsplan der Innenentwicklung (§ 13a)41.

I. Der Aufstellungsbeschluss und Beginn der Umweltprüfung

1. Einführung

40

Das eigentliche formelle Bebauungsplanverfahren beginnt mit dem Aufstellungsbeschluss, § 2 Abs. 1 Satz 2. Die zeitlich davor liegenden Überlegungen der Verwaltung, Anträge von Betroffenen oder Interessenten, Grundsatzdiskussionen im Gemeinderat o. Ä. liegen außerhalb des Verfahrens. Bebauungsplanrechtliche Vorschriften gibt es für diesen tatsächlichen Bereich nicht; dies schließt logischerweise auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften aus. Rechtlich gesichert ist diese Vor-Phase zusätzlich durch § 1 Abs. 3 Satz 2: „Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch.“ Diese Vorschrift gilt streng und wird ausnahmslos (eine juristische Rarität!) angewandt.42

41

Nachdem die Regelungen über den städtebaulichen Vertrag und den Vorhaben- und Erschließungsplan43 in §§ 11 und 12 aufgenommen worden sind, wurde in § 1 Abs. 3 Satz 2 HS 2 klargestellt: „Ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.“ Eine trotzdem eingegangene Verpflichtung ist nichtig.44

Eine ganz andere Frage ist, ob aus einer solchen vertraglichen Bindung Schadensersatzansprüche gegen eine Stadt oder Gemeinde entstehen können.45

42

§ 2 Abs. 4 Satz 1 fordert für jeden Bebauungsplan eine Umweltprüfung, die in einen Umweltbericht mündet.46 Der Inhalt dieses Umweltberichtes ist in der Anlage zum BauGB im Detail vorgegeben. Die Gemeinde bestimmt für jeden Bebauungsplan – also nicht generell – den Umfang und den Detaillierungsgrad der Umweltprüfung auf der Basis des zum Zeitpunkt ihrer Durchführung vorhandenen Wissensstandes und anerkannter Prüfmethoden. Aber: Die Umweltprüfung bezieht sich auf das, was erforderlich (§ 2 Abs. 4 Satz 2) ist und angemessenerweise verlangt werden kann (§ 2 Abs. 4 Satz 3).

Das bedeutet: Das Bestimmungsrecht der Gemeinde besteht nicht uneingeschränkt; es ist determiniert durch eine Erforderlichkeits- und Angemessenheitsregelung. Diese stellt keine Ermessensregelung zu Gunsten der Gemeinde dar; es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt.

Kriterien der Angemessenheit in § 2 Abs. 4 Satz 3 sind:

43

Der Aufstellungsbeschluss ist in § 2 Abs. 1 geregelt, die Bestimmung des Prüfungsumfangs in § 2 Abs. 4 BauGB. Dieser Regelungszusammenhang deutet darauf hin, dass die Bestimmung zusammen mit dem Aufstellungsbeschluss zu erfolgen hat.

44

Die Festlegung des Prüfungsumfangs ist schriftlich zu dokumentieren („… legt dazu für jeden Bauleitplan fest …“); dies gilt ebenso für spätere Änderungen des Prüfungsumfangs, weil neue Erkenntnisse eine Erweiterung oder Einschränkung der Prüfung notwendig oder zulässig erscheinen lassen. Erkenntnisse aus anderen Überprüfungen können verwendet werden, § 2 Abs. 4 Satz 5.47

45

Die Festlegung (= Dokumentation) des Prüfungsumfangs hat schriftlich zu erfolgen und ist Teil der Bebauungsplanakte.

2. Zuständigkeit
a) Aufstellungsbeschluss

46

Wer für den Aufstellungsbeschluss innerhalb der Gemeinde zuständig ist, regelt das BauGB nicht. Dies bestimmt sich nach Landesrecht (Gemeindeordnung in Verbindung mit dem jeweiligen Ortsrecht).48

Die Zuständigkeit kann z. B. in Baden-Württemberg durch Hauptsatzung auf einen beschließenden Ausschuss übertragen werden. Ein Verstoß gegen § 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO BW liegt nicht vor.49

b) Umfang der Umweltprüfung

47

Das BauGB regelt nicht, welches Gemeindeorgan für die Festlegung des Untersuchungsumfangs zuständig ist. Es dürfte sich in der Regel um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handeln50; ein förmlicher Beschluss ist nicht erforderlich.

3. Form

48

Für den Aufstellungsbeschluss51 gilt für ein rechtmäßiges Verfahren:

4. Bekanntmachung
a) Aufstellungsbeschluss

49

Der Aufstellungsbeschluss ist ortsüblich bekannt zu machen, § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB. Auch dies – die Art der öffentlichen Bekanntmachung – bestimmt sich nach Landesrecht (z. B. § 1 DVO Gemeindeordnung Baden-Württemberg) und den darauf fußenden ortsrechtlichen Regelungen (z. B. Bekanntmachungssatzungen). Die Spezialregelung des § 10 BauGB (Inkrafttreten des Bebauungsplans) gilt allein für die Bekanntmachung des Bebauungsplanes (also nach Satzungsbeschluss und zur Erlangung der Rechtskraft).

b) Bestimmung des Umfangs der Umweltprüfung

50

Der Umfang der festgelegten Prüfung ist nicht öffentlich bekannt zu machen. Es fehlt eine dem § 2 Abs. 1 Satz 2 entsprechende Regelung; siehe auch § 3 Abs. 2 Satz 2 für die Monatsauslegung: Dort ist auf die schon vorliegenden Prüfungsergebnisse hinzuweisen, diese sind mit auszulegen (§ 3 Abs. 2 Satz 153).

Entsprechend der Grundkonzeption der Behandlung des Verfahrens werden mögliche Verfahrensfehler bei jedem Verfahrensschritt behandelt.54

51

5. Bedeutung von Verfahrensfehlern

Entsprechend der Grundkonzeption der Behandlung des Verfahrens werden mögliche Verfahrensfehler bei jedem Verfahrensschritt behandelt.55

a) Aufstellungsbeschluss

52

Verfahrensfehler beim Aufstellungsbeschluss sind für das Bebauungsplanverfahren insgesamt unbeachtlich; sie führen nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplanes.56

Zum einen ist § 2 Abs. 1 in § 214 Abs. 1 nicht genannt. § 214 Abs. 1 beinhaltet einen Positivkatalog: Beachtlich ist nur die Verletzung der dort genannten Vorschriften, alle anderen Verletzungen von Verfahrensvorschriften sind unbeachtlich.57

Zum anderen ist anerkannt, dass der Auslegungsbeschluss gemäß § 3 Abs. 2 den fehlenden und damit auch fehlerhaften Aufstellungsbeschluss konkludent einschließt.58

53

Der (frühere) Streit, ob ein ohne Aufstellungsbeschluss begonnenes Bebauungsplanverfahren rechtswidrig ist59 oder nicht, ist daher für die Praxis irrelevant und zwischenzeitlich entschieden. Das BVerwG hat schon in seinem Beschluss vom 15.04.1988 festgestellt, dass der Aufstellungsbeschluss keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Gültigkeit eines Bebauungsplanes ist.60

54

Aus dem gleichen Grund spielt in dieser Stufe des Bebauungsplanverfahrens (ganz im Gegensatz zu späteren) die Teilnahme von befangenen Gemeinderäten – losgelöst von unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen61 – keine Rolle62;

55

Aber: Beachtlich können Verfahrensfehler für andere Verfahren außerhalb des Bebauungsplanverfahrens dann sein, z. B. wenn sich auf den Aufstellungsbeschluss eine plansichernde Rückstellung eines Baugesuches bzw. Bauvoranfrage oder eine Veränderungssperre stützt (§§ 14, 15)63 oder Voraussetzung für den Beginn eines gesetzlichen Umlegungsverfahrens darstellt, § 47 Abs. 2.64

b) Bestimmung des Umfangs der Umweltprüfung

56

Das Fehlen der Bestimmung oder inhaltliche Fehler bei der Bestimmung des Prüfungsumfangs im Zusammenhang mit dem Bebauungsplanaufstellungsbeschluss sind insgesamt unbeachtlich; sie führen nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.65

57

Hinweis:

Der fehlende oder fehlerhafte Aufstellungsbeschluss gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 oder die fehlende oder fehlerhafte Bestimmung des Prüfungsumfangs für die Umweltprüfung haben keine Auswirkung auf die Gültigkeit des Bebauungsplanes; die Fehler sind unbeachtlich. Dies gilt auch für die Genehmigungs- bzw. Anzeigebehörde; § 216 greift nicht, da der Auslegungsbeschluss konkludent als Aufstellungsbeschluss gewertet wird.

II. Öffentlichkeitsbeteiligung

58

Die Bürgerbeteiligung findet nach dem BauGB zweistufig statt:

1. Unterrichtung der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 1)

59

Die Beteiligung der Öffentlichkeit (früher: Vorgezogene Bürgerbeteiligung) hat den Zweck, die Öffentlichkeit „möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung“, Planalternativen usw. zu unterrichten und die Möglichkeit zur Äußerung und Erörterung der Planüberlegungen und ihrer Alternativen zu geben.

60

§ 3 Abs. 1 spricht – anders als noch der Gesetzesentwurf – die Umweltprüfung nicht ausdrücklich an. Deren geplanter Umfang und Stand ist also nicht notwendiger Teil der Unterrichtung der Öffentlichkeit.

a) Form

61

Das BauGB stellt die Form der Unterrichtung der Öffentlichkeit in das Ermessen der Gemeinde.

Denkbar sind: Öffentliche Veranstaltung mit Vorstellung der Planung und Diskussion, Veröffentlichung im Amtsblatt, Aushang, Einzel- oder Gruppenerörterung.

Für die planende Gemeinde ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit deshalb von besonderem Interesse, weil sich dabei meist schon die hauptsächlichen Konfliktherde zeigen, Interessen sich formieren und artikulieren. Gerade die sorgfältig planende Gemeinde wird dieses Instrument konzentriert einsetzen, weil sie in der Gestaltung deutlich freier ist, als bei der Auslegung (§ 3 Abs. 2), der 2. Stufe der Bürgerbeteiligung.

Führt die Unterrichtung der Öffentlichkeit zu einer Änderung des bisherigen Planentwurfes, so ist die vorgezogene Bürgerbeteiligung nicht zu wiederholen, § 3 Abs. 1 Satz 8 Ziff. 2 und Satz 4; dies ist bei der Auslegung anders.66

62

§ 3 Abs. 1 regelt zwei Fälle, in denen die Unterrichtung der Öffentlichkeit beim Aufstellungsverfahren eines Bebauungsplanes gänzlich unterbleiben kann:

b) Bedeutung des Verstoßes gegen Formvorschriften

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Nur zwei „Formvorschriften“ betreffen die Unterrichtung der Öffentlichkeit, da direkte Verfahrensvorschriften über ihre Ausgestaltung nicht vorliegen:

Verstöße sind nach § 214 nicht beachtlich, führen deshalb nicht zur Unwirksamkeit des Planes.67

Die Genehmigungsbehörde – soweit sie einzuschalten ist68 – kann Fehler nach § 216 rügen; dabei werden aber die dargestellten Ausnahmen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 1–2 eine besondere rechtfertigende Rolle spielen.69

64

Hinweis:

Mängel bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit führen nicht zur Nichtigkeit eines in Kraft getretenen Bebauungsplans; Kriterien der Umweltprüfung können, aber müssen nicht in die Unterrichtung einbezogen werden. Im Regelfall wird die Genehmigungsbehörde – soweit sie einzuschalten ist – bei der Überprüfung auf solche Mängel nicht reagieren.

2. Auslegung, § 3 Abs. 2

65

Wie schon im bisherigen Recht, ist die zweite Stufe der Bürgerbeteiligung deutlich formeller ausgestaltet, sind Fehler bedeutsam für das weitere Verfahren und die Gültigkeit des Bebauungsplans. Jeder wird hierauf sein besonderes Augenmerk richten, unabhängig davon, ob er den Bebauungsplan „kippen“ oder „halten“ will.

a) Zeitpunkt und Zweck der Auslegung

66

Die Planung ist ein fortschreitender, zweckbezogener Vorgang. Die Auslegung findet statt, wenn die Mehrheit des Rates durch Beschluss zum Ausdruck bringt: So stellen wir uns derzeit die Bebauung eines bestimmten Gebietes unter Einbeziehung städtebaulicher Zielsetzungen, bekannter Interessenlagen und Einhaltung vorgegebener Planungsvorschriften vor. Die Auslegung dient also der Vorstellung der gemeindlichen Planungsüberlegungen, verbunden mit dem deutlichen Hinweis an direkt und indirekt Planbetroffene, ihre divergierenden Ansichten innerhalb der vorgesehenen und bekannt gemachten Frist kundzutun.70

67

Bis zum BauGB 98 konnten während der Auslegung Bedenken und Anregungen vorgetragen werden, § 3 Abs. 2 BauGB 98 sprach nur noch von Anregungen, eine sprachliche „Vereinfachung“, die inhaltlich nichts änderte, da bisher in der Praxis – nach allgemeinem Sprachgebrauch – die Bedenken den Anregungen quantitativ und qualitativ deutlich vorangingen. Das BauGB 04 hat den neuen Begriff Stellungnahmen eingeführt.

68

Die Rechtsprechung unterscheidet bei der Zulässigkeit eines Normenkontrollverfahrens und bei der Begründung eines Normenkontrollantrages zwischen

Dies unterstützt jetzt ausdrücklich § 3 Abs. 2 Satz 2 HS 271: Materiell-rechtlich hat sich dadurch aber nichts geändert; dies ergibt sich aus § 4a Abs. 6.

b) Auslegungsbeschluss

69

Bisher galt:

Bundesrecht, also das BauGB, verlangt ausdrücklich keinen „Auslegungsbeschluss“; das Fehlen führt also nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.72

70

Fraglich ist, ob sich heute die Verpflichtung nicht aus anderem Zusammenhang ergibt. In § 3 Abs. 2 Satz 1 ist geregelt, dass die Entwürfe der Bauleitpläne mit Begründung „und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen“ auszulegen sind. Wer in der Gemeinde ist für die Einschätzung zuständig?

Trotz der Tatsache, dass die „Gemeinde“ nun wieder in § 3 Abs. 2 auftaucht, dürfte (weiter) davon auszugehen sein, dass sich die Frage, wer innerhalb der Gemeinde für die Einschätzung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 zuständig ist, nach Landesrecht entscheidet. Bundesrechtlich, also nach den Regeln des BauGB, führt ein fehlerhafter oder fehlender Auslegungsbeschluss nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Entscheidend – und davon zu unterscheiden – ist, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung auf der Basis der hierfür erforderlichen ausgelegten Unterlagen nach § 3 Abs. 2 ordnungsgemäß stattgefunden hat.73 Dies soll beispielhaft geklärt werden:

aa) Zuständigkeiten am Beispiel Baden-Württemberg

71

§ 24 Abs. 1 GemO BW regelt die Allzuständigkeit des Gemeinderates.74

Nach § 44 Abs. 2 GemO BW erledigt der Bürgermeister in eigener Zuständigkeit die Geschäfte der laufenden Verwaltung und die ihm sonst durch Gesetz oder Gemeinderat übertragenen Aufgaben. Der Auslegungsbeschluss nach § 3 Abs. 2 gehört nach allgemeiner Ansicht nicht zu den Geschäften der laufenden Verwaltung75; dies dürfte ebenso für die Einschätzung gelten, welche „wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen“ (§ 2 Abs. 2 Satz 1) mit auszulegen sind. Das spricht für die Zuständigkeit des Gemeinderates. Ist der Gemeinderat zuständig und schreibt das Bundesrecht keine Zuständigkeit des „Vollgemeinderates“ vor, dann kann durch die Hauptsatzung die Aufgabe auf einen beschließenden Ausschuss übertragen werden. Eine solche Delegation muss in Baden-Württemberg allgemein in einer ordnungsgemäß beschlossenen und bekannt gemachten Hauptsatzung geschehen sein.76

72

Jeder „Prüfende“ wird also, findet er in den Bebauungsplanakten einen Aufstellungsbeschluss gemäß § 3 Abs. 2, der nicht vom (Voll-)Gemeinderat gefasst ist, stets die Hauptsatzung anfordern und prüfen, ob diese Zuständigkeit übertragen ist. Sie muss ausdrücklich übertragen sein, sonst bleibt der (Voll-)Gemeinderat zuständig und der Beschluss seines Ausschusses ist rechtswidrig und stellt einen Fehler im Bebauungsplanverfahren dar.77

73

Überlegt worden ist, ob der Auslegungsbeschluss und die Einschätzung im Bebauungsplanverfahren deshalb nach § 39 Abs. 2 Ziff. 3 GemO Baden-Württemberg dem Vollgemeinderat (und nicht den beschließenden Ausschüssen) deshalb vorbehalten bleibt, weil dort vom „Erlass von Satzungen“ die Rede ist und die Auslegung Teil des Rechtssetzungsverfahrens ist.78

Diese Annahme geht zu weit: „Erlass der Satzung“ i. S. des § 39 Abs. 2 Ziff. 3 GemO ist nur der Beschluss des Bebauungsplans als Satzung nach § 10; Verfahrensschritte gehören jedoch nicht dazu. Auch vom Sinn und Zweck her scheint eine Behandlung im Gesamtgemeinderat nicht geboten, weil dem Auslegungsbeschluss keine abschließende Entscheidung der Gemeinde zugrunde liegt.

74

Der Beschluss des (jeweils nach Landesrecht zuständigen) Gemeindeorgans hat regelmäßig in öffentlicher Sitzung (das gilt auch für Ausschüsse nach § 39 Abs. 5, § 35 GemO BW) nach ordnungsgemäßer Bekanntmachung der Sitzung und Einladung der Gremiumsmitglieder stattzufinden; § 35 GemO BW. Gründe für eine nichtöffentliche Sitzung sind ausnahmslos nicht gegeben.

Festzuhalten bleibt: Fehler auf dieser landesrechtlichen Ebene, selbst wenn sie zur Nichtigkeit des Auslegungsbeschlusses führen, berühren für sich genommen die Wirksamkeit des Bebauungsplanes nicht.79

bb) Befangenheit

75

Früher war streitig, ob die Befangenheit im Rahmen des Auslegungsbeschlusses zur Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses und damit des weiteren Verfahrens führt. Diese Frage ist von der Unbeachtlichkeit eines Verfahrensfehlers80 zu unterscheiden. Der VGH BW81 geht davon aus, dass „ein Bebauungsplan nicht ungültig (ist), weil an der Beschlussfassung über die Aufstellung oder Auslegung ein befangener Gemeinderat mitgewirkt hat, denn die endgültige Entscheidung über den Inhalt wird erst durch den Beschluss als Satzung nach § 10 gefällt.“ Dieses Ergebnis wird auch durch die Überlegung82 gedeckt, wonach eine unzulässige Delegation auf einen Ausschuss durch den späteren ordnungsgemäßen Satzungsbeschluss (außerhalb von § 214, § 215) geheilt wird.83

76

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage auf einen Vorlagebeschluss des VGH BW84 hin mit folgendem Ergebnis entschieden:

„Ein Bebauungsplan ist bundesrechtlich nicht deshalb nichtig, weil Ratsbeschlüsse, die im Verfahren zu seiner Aufstellung vor dem Satzungsbeschluss (§ 10 BBauG/BauGB) gefasst worden sind, infolge der Mitwirkung befangener Gemeinderäte – nach Landesrecht – rechtswidrig sind.“85

cc) Zeitpunkt des Auslegungsbeschlusses

77

Der Beschluss über die Auslegung und die „Einschätzung“ nach § 3 Abs. 2 wird regelmäßig und logischerweise vor der Bekanntmachung und der tatsächlichen Auslegung gefasst werden.

dd) Inhalt des Auslegungsbeschlusses und der Einschätzung nach § 3 Abs. 2 Satz 1

Der Auslegungsbeschluss und damit die Auslegung umfasst nach § 3 Abs. 2 Satz 1

Daraus folgt:

78

Inhalt des Beschlusses ist zum einen ausdrückliche Billigung eines bestimmten (also mit Datum versehenen und damit nachvollziehbaren) Entwurfes und dessen Begründung gemäß § 3 Abs. 2.

86