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Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts Ausgewählt von Jörg Baberowski, Bernd Greiner und Michael Wildt

Das 20. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert des Genozids, der Lager, des Totalen Krieges, des Totalitarismus und Terrorismus, von Flucht, Vertreibung und Staatsterror – gerade weil sie im Einzelnen allesamt zutreffen, hinterlassen diese Charakterisierungen in ihrer Summe eine eigentümliche Ratlosigkeit. Zumindest spiegeln sie eine nachhaltige Desillusionierung. Die Vorstellung, Gewalt einhegen, begrenzen und letztlich überwinden zu können, ist der Einsicht gewichen, dass alles möglich ist, jederzeit und an jedem Ort der Welt. Und dass selbst Demokratien, die Erben der Aufklärung, vor entgrenzter Gewalt nicht gefeit sind. Das normative und ethische Bemühen, die Gewalt einzugrenzen, mag vor diesem Hintergrund ungenügend und mitunter sogar vergeblich erscheinen. Hinfällig ist es aber keineswegs, es sei denn um den Preis der moralischen Selbstaufgabe.

Ausgewählt von drei namhaften Historikern – Jörg Baberowski, Bernd Greiner und Michael Wildt – präsentieren die »Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts« die Forschungsergebnisse junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Monografien analysieren am Beispiel von totalitären Systemen wie dem Nationalsozialismus und Stalinismus, von Diktaturen, Autokratien und nicht zuletzt auch von Demokratien die Dynamik gewalttätiger Situationen, sie beschreiben das Erbe der Gewalt und skizzieren mögliche Wege aus der Gewalt.

Alexander Korb

Im Schatten des Weltkriegs

Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941–1945

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Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH

Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Mittelweg 36

20148 Hamburg

www.hamburger-edition.de

© E-Book 2013 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-578-4

© der Printausgabe 2013 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-259-2

Redaktion: Sigrid Weber

Karten: Tobias Stiefel, Berlin

Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras

Coverabbildung: USTASHA, Jasenovac death camp.

© JEWISH HISTORICAL MUSEUM of the Federation of

Jewish Communities in Serbia, Belgrade

Typografie und Herstellung: Jan und Elke Enns

Satz aus der Stempel-Garamond von Dörlemann Satz, Lemförde

Für Zeev und Tamar

Inhalt

Einleitung

I. Gewaltraum und Gewaltakteure: Kroatien, die Ustaša und die Besatzungsmächte

Nationsbildung in Jugoslawien

Der Aufbau des Ustaša-Staates

Die Rolle der Besatzungsmächte

Ideologie und politisches Programm der Ustaša

Frühe Verfolgungspraxis und Gewaltpolitik

II. Ordnende Gewalt: Vertreibungen

Umsiedlungsprojekte

Die Organisation der Vertreibungen

Ethno- und bevölkerungspolitische Verschränkungen

Enteignungspolitik: Erscheinungen und Folgen

Deutsche und italienische Reaktionen auf Flucht und Vertreibung

III. Entgrenzte Gewalt: Die Massaker der Ustaša und ihre Folgen

1941: Eskalation der Gewalt

Ausdrucksformen der Gewalt

Folgen der Massaker

1942: Das Wiederaufflammen der Milizgewalt

Entgrenzung und Einhegung der Gewalt

IV. Konzentrierte Gewalt: Die Lager der Ustaša

Die Tötungsstätten der Ustaša in Westkroatien, Sommer 1941

Das Konzentrationslager Jasenovac

Massentötungen in Jasenovac und Auschwitz, 1942

Deutsche Reaktionen auf die Gewalt im Lager Jasenovac

V. Die letzten Kriegsjahre und das Ende der Gewalt

Resümee

Danksagung

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

Zum Autor

Einleitung

Mit der Zerstörung Jugoslawiens durch die Deutsche Wehrmacht im Jahr 1941 verschwand einer der letzten supraethnischen Staaten von der Landkarte Europas. Die Nationalsozialisten sahen in supraethnischen Staaten wie Jugoslawien, aber auch der Tschechoslowakei oder der Sowjetunion, ihre politischen und weltanschaulichen Feinde und setzten diesen ein Europa entgegen, das aus ethnisch homogenen »Einvolkstaaten« bestehen sollte.1 Als im März 1941 serbische Offiziere in Belgrad gegen die deutschen Hegemonieansprüche putschten, galt dies den Deutschen nachgerade als Beleg dafür, dass sich antideutsche Kräfte in supraethnischen Staaten durchzusetzten und die Juden die Völker gegen Deutschland in Stellung zu bringen vermochten. Solche Staaten wurden als gefährlich eingeschätzt, und ein solches Denken erklärt Hitlers Jähzorn, als er befahl, Jugoslawien als Staat zu vernichten. Nach dem siegreichen Feldzug im April 1941 errichtete er in Zusammenarbeit mit Mussolini auf den Trümmern Jugoslawiens einen Satellitenstaat, den Unabhängigen Staat Kroatien (USK). Hitler und Mussolini einigten sich darauf, die radikalnationalistische Ustaša-Bewegung mit der Regierung Kroatiens zu betrauen.2

Mochten die Deutschen auch glauben, dass sie der Karte Europas einen neuen Nationalstaat hinzugefügt hatten, in Wirklichkeit war das neue Kroatien nicht weniger multiethnisch als der jugoslawische Staat zuvor. Allerdings drangen kroatische Nationalisten auf die Schaffung eines vergrößerten Nationalstaates und dessen ethnische Homogenisierung. Die Ustaša unternahm einen Feldzug gegen die gesamte als nichtkroatisch klassifizierte Bevölkerung: namentlich gegen Serben, Roma und Juden. Für dieses Projekt schufen die deutschen Besatzer die Rahmenbedingungen, doch waren es lokale Protagonisten, die in den Jahren zwischen 1941 und 1945 versuchten, im Schatten des Weltkriegs mittels Gewalt ethnische Homogenität zu schaffen und so ihre eigenen politischen Agenden durchzusetzen.

Die Idee vom ethnisch reinen Nationalstaat war somit keineswegs ein deutscher Export: Nationalisten aller südosteuropäischen Völker kämpften seit Jahrzehnten für ihre Unabhängigkeit, die territoriale Vergrößerung und die nationale Homogenisierung ihrer Länder. In Jugoslawien waren es die Ustaša und makedonische Separatisten, die die Auflösung des jugoslawischen Bundes zugunsten eines großkroatischen bzw. makedonischen Nationalstaates forderten. Und auch ihre serbischen oder albanischen Gegenüber suchten ihr Heil in der Schaffung »ethnisch reiner« Territorien. In Rumänien träumte Ministerpräsident Marschall Antonescu von einer von Minderheiten gereinigten Nation. Juden und Roma wurden nach 1941 zu Zehntausenden nach Transnistrien deportiert;3 zugleich wuchs der Druck auf die ungarischen und slawischen Minderheiten. Bulgarien verfolgte eine aggressive Assimilierungspolitik gegen Türken sowie gegen muslimische Bulgaren. Auch die Deportation von Juden aus von Bulgarien annektierten Grenzgebieten in die deutschen Vernichtungslager muss als Teil dieser Homogenisierungspolitik begriffen werden. Gleiches gilt für Ungarn, wo die Horthy-Regierung bei aller Zögerlichkeit, sich am Holocaust zu beteiligen, Judendeportationen als Chance begriff, Grenzräume »ungarischer« zu machen.4 Ethnonationale Gewalt prägte den Holocaust in weiten Teilen Europas entscheidend mit. Insofern kann die Geschichte des kroatischen Ustaša-Staates als beispielhaft für Versuche mittel- und südosteuropäischer Länder gesehen werden, die Nazi-Herrschaft und den Holocaust für eigene ethnische Homogenisierungsprojekte zu nutzen, und steht somit paradigmatisch für die Beteiligung nichtdeutscher Täter an der Gewalt des Zweiten Weltkriegs.

Allerdings sollte die Meistererzählung von der deutschen Allmacht nicht durch eine ersetzt werden, die die Gestaltungskraft nichtdeutscher Täter überhöht. Deshalb gilt es, das jeweilige Kräfteverhältnis genau zu analysieren, regionale Unterschiede zu berücksichtigen und die Spezifika der jeweiligen Fälle zu erkennen.5 Grob lassen sich in Südost- und Osteuropa drei Konstellationen unterscheiden, in denen nichtdeutsche Täter ethnonationale Gewalttaten verübten. Eine erste Konstellation ist durch einen schnellen deutschen Vormarsch und durch ein vergleichsweise starkes deutsches Besatzungsregime gekennzeichnet. Dies betrifft Gebiete wie Ostpolen und das Baltikum. Dort verübten Einheimische Pogrome oder beraubten und töteten ihre jüdischen Nachbarn. Paradigmatisch ist hier der polnische Fall. Jan Tomasz Gross hat 2001 eine wichtige innerpolnische Debatte angestoßen, als er in seinem Buch »Nachbarn« die entsolidarisierenden, atomisierenden und brutalisierenden Effekte der Besatzung schilderte, die Dorfbewohner zu Mördern machten.6 Damit stellte er die nationale Beteiligung an Gewaltverbrechen auf den Prüfstand und stieß die Tür weit auf für ein neues Forschungsgebiet. Eine zweite Konstellation zeichnet sich dadurch aus, dass die deutsche Besatzung schwach war und lokale Bürgerkriege ausbrachen, wie beispielsweise in Wolhynien, Galizien sowie in Griechenland. Dort bekämpften sich einheimische Milizen und verübten im Zuge dessen ethnonationale Gewalttaten. Eine dritte Konstellation ist mit den bereits genannten unabhängigen Staaten gegeben, die den Weltkrieg für Gewalt gegen Minderheiten nutzten.

Kroatien bildet eine Mischung aus diesen Konstellationen, und im Vergleich zu anderen Ländern offenbaren sich zudem bedeutende Eigenheiten. Dies betrifft vor allem die deutsch-italienische Teilung des Landes sowie die Intensität und das Ausmaß der Gewalt. Aufgrund der relativen Schwäche der deutschen Truppen, der unausgereiften Planung für die Zeit nach dem Feldzug und den nicht funktionierenden Absprachen mit dem italienischen Partner entstand in Kroatien ein Machtvakuum, das es in anderen besetzten Gebieten insbesondere so früh im Krieg nicht gab. Dieser Raum, bar funktionierender staatlicher oder militärischer Strukturen, trug maßgeblich zur mörderischen und eskalativen Gewalt der Ustaša bei. Sie entfachte einen Bürgerkrieg, dem zwischen 1941 und 1945 über 500000 Menschen zum Opfer fielen – und zwar zumeist durch die Hände ihrer Landsleute.7 Neben den deutschen und italienischen Besatzungsmächten versuchten verschiedene lokale nationalistische Milizen und Widerstandsgruppen ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen. In sich permanent verändernden Konstellationen kam es zu einem häufigen Wechsel der Koalitionspartner. Gruppen, die heute miteinander paktierten, konnten sich schon morgen bekriegen. So formierte sich die serbische Bevölkerung in Kroatien in einem gewaltigen Aufstand gegen den Terror der Ustaša. Bald jedoch spaltete sich die Aufstandsbewegung in kommunistische Partisanen und nationalserbische Četnici, die ab Ende 1941 einen erbitterten Bürgerkrieg gegeneinander führten.8 Daneben gab es eine Vielzahl weiterer Banden und Gruppen, die sich mit der einen oder anderen Seite verbündeten. Gewalt und Gegengewalt prägten die Auseinandersetzungen, denen Hunderttausende zum Opfer fielen. Analytisch sollten Auseinandersetzungen dieser Art als Bürgerkriege bzw. Besatzungsbürgerkriege betrachtet werden, doch wird dies aus einer Reihe von Gründen selten getan. In Bezug auf Jugoslawien werden Krieg und Partisanenkrieg vor allem als Teil des Zweiten Weltkriegs verstanden, womit die Agenden lokaler Akteure zwangsläufig aus dem Blickfeld rücken. Zudem werden zwischenethnische Auseinandersetzungen tendenziell nicht als Bürgerkrieg angesehen.9 Dabei eröffnet gerade die Analyse des Zusammenhangs zwischen kollektiver Gewalt und Bürgerkrieg die Möglichkeit, neue Akzente in der vergleichenden Gewaltforschung zu setzen. Die Komplexität des Geschehens erfordert ergebnisoffene Ansätze, die der Gleichzeitigkeit der Asymmetrie der Machtbeziehungen, der Multikausalität der Gewalt, der Bedeutung spezifischer Formen der Gewalt und der unterschiedlichen Motivationen für ihren Einsatz gerecht werden. Einen wegweisenden Beitrag auf diesem Gebiet stellt Stathis Kalyvas’ Studie über die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung während des griechischen Bürgerkriegs (1943–1949) dar.10 Kalyvas demonstriert, dass die Dichotomie von Gewalttätern auf der einen und betroffenen Zivilisten auf der anderen Seite eine Fiktion ist, da die Beteiligung von Zivilisten überhaupt erst das Funktionieren eines Gewaltregimes gewährleistet.

Der Blick auf Bürgerkriegsdynamiken offenbart darüber hinaus die Schwächen von Konzepten, die den Begriff Genozid ins Zentrum ihres analytischen Rahmens stellen. Dies führte dazu, dass eine Reihe von Historikern die Brauchbarkeit der Kategorie Genozid für die Geschichtswissenschaften grundsätzlich in Zweifel zogen, während andere versuchten, das analytische Potenzial des Konzepts zu verbessern, indem sie sein Instrumentarium verfeinerten.11 Diesen methodischen Standards hinkt die Analyse der Massengewalt der Ustaša hinterher.12 Bislang hält sich die Auffassung, dass es sich bei der Verfolgungspolitik der Ustaša um einen Genozid an Serben, Juden und Roma gehandelt habe.13 Anstatt die methodisch komplizierte Frage nach Interdependenzen verschiedener Tätergruppen und miteinander verschränkter Gewalttaten zu stellen, wurde entweder von einer Verfolgung aus einem Guss ausgegangen, oder es wurden die Unterschiede zwischen verschiedenen Verfolgungspolitiken und den jeweiligen Verantwortlichkeiten der Täter verwischt. So behaupteten einzelne Autoren, die kroatischen Roma seien auf Veranlassung der Deutschen verfolgt und nach Auschwitz deportiert worden, obgleich der Massenmord an ihnen das Ergebnis der Entscheidungen und Handlungen kroatischer Akteure war.14 Auch die Verfolgung der Juden im USK wurde oft ausschließlich den Deutschen zugeschrieben, wobei übersehen wurde, dass die Ustaša im ersten Jahr ihrer Herrschaft eigenverantwortlich gegen die Juden vorging.15

Die vorliegende Studie gibt sich nicht damit zufrieden, Genozid lediglich als eine asymmetrische Machtbeziehung zu begreifen, in deren Rahmen die Täter der einen Gruppe Opfer einer anderen Gruppe töteten, und stellt den analytischen Wert solcher Einordnungsbemühungen infrage. Stattdessen wird zu zeigen sein, dass die Verfolgung von Serben, Juden und Roma durch die Ustaša multikausal war und sich nicht ausschließlich aus rassistischen und/oder kulturalistischen Motivationen speiste, die gemeinhin als der eigentliche Grund von Genoziden gelten.

Eine zweite Annahme, die die Forschungslandschaft prägt, ist die vom Vorhandensein eines systematischen, schon im Vorfeld der Machtübernahme mehr oder weniger präzise ausgearbeiteten Verfolgungsplans der Ustaša.16 Von der Vorstellung ausgehend, dass ein Völkermord einer Vernichtungsintention folgen muss, setzten Historiker Intention und Planung fälschlicherweise gleich und begaben sich auf die Suche nach Belegen für ein systematisches und planvolles Vorgehen. Die Praxis galt dabei sozusagen als Beleg für planvolle Vernichtungspolitik.17

Untersucht werden in dieser Arbeit stattdessen der Verlauf des Gewalteinsatzes der Ustaša vor dem Hintergrund der Bürgerkriegsdynamiken, die Motive der Ustaša, eine Vielzahl von Gruppen zu verfolgen, sowie die Methodik und Systematik ihres Vorgehens gegen Serben, Juden und Roma. Dabei werden auch lokale Variationen der Ustaša-Herrschaft sowie regionale Besonderheiten berücksichtigt. Des Weiteren interessiert, unter welchen Bedingungen sich die Ustaša für welche Formen der Gewalt entschied. Denn die Unterscheidung zwischen verschiedenen Gewaltformen lenkt den Blick auf die Taten selbst und lässt sie in einem eigenständigen Licht erscheinen. Dabei wird zu zeigen sein, dass Vertreibungen, Massaker und Deportationen in Lager nicht gleichzeitige Elemente ein und desselben Gewaltprozesses waren, sondern zu bestimmten Zeiten eine Dominanz beanspruchten. Durch eine solche Unterscheidung kommen überdies die Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen der Täter in den Blick. Welche Gewaltformen waren also zu welchem Zeitpunkt opportun, und welche Gewaltmittel standen der Ustaša wann zur Verfügung?

Die Milizionäre der Ustaša töteten die Verfolgten mit roher Gewalt, quälten sie, schlugen sie mit Knüppeln, verletzten sie mit Messern und stürzten sie von Klippen oder von den Rändern von Karsthöhlen in den Tod. Indem diese eigentlichen Gewaltakte untersucht werden, sollen die Logiken der Gewalt der Ustaša, die Motivationen der Täter und die Bedingungen, unter denen sie sich für die Ausübung von Gewalt entschieden, entschlüsselt werden. Nicht zuletzt soll die Beschreibung der Taten Aufschluss darüber geben, wie die genaue Akteurskonstellation vor Ort aussah, ob es nur die Mitglieder der Ustaša waren, die Massaker verübten, oder ob sich auch die Nachbarn der Verfolgten an den Taten beteiligten. Die Analyse unterschiedlicher Variationen und Gewaltformen zu unterschiedlichen Zeitpunkten an unterschiedlichen Orten ergibt somit eine Art Grammatik der Gewalt, die einen differenzierten Blick auf die Gründe für die Radikalisierung wie auch die Deradikalisierung des Vorgehens der Ustaša jenseits ihrer Ideologie zulässt.

Die Holocaustforschung weist schon lange darauf hin, dass es für die Analyse des Handelns der Täter auch erforderlich ist, die Politiken, die Praxen und die Handlungsspielräume der Verfolgten zu untersuchen.18 Insofern werden auch die Interaktivität zwischen Verfolgern und Verfolgten, der wirkungsvolle Widerstand gegen das Ustaša-Regime und die Strategien der Verfolgten berücksichtigt. Es spricht für die Macht der Widerstandsbewegungen, dass Jugoslawien das einzige Land Europas war, das nicht von alliierten Truppen, sondern von autochthonen Partisanenverbänden befreit wurde. Damit zusammen hängt eine weitere zentrale Frage der Studie, nämlich inwieweit die Ustaša in ihrem Handeln von den Dynamiken des Bürgerkriegs angetrieben wurde und inwiefern die Taten der anderen Kriegs- und Bürgerkriegsparteien ihr Handeln radikalisierten.

Dazu kommt mit der Achsenkonkurrenz ein weiterer radikalisierender Faktor. Italien, Deutschland und Kroatien waren einander in Kooperation gleichermaßen verbunden wie durch Konflikte entzweit. In dieser Matrix überlagerten sich die Verantwortlichkeiten der Besatzungsmächte und die der lokalen Akteure. Die jeweiligen Akteursgruppen gingen aus unterschiedlichen Motiven gegen die Verfolgtengruppen vor. Es gilt herauszufinden, welche Tätergruppe welche Anteile an welchen Gewalttaten hatte, worin sich die Verfolgungskonzepte glichen und worin sie sich unterschieden. Der Grad der Handlungsautonomie der Ustaša lässt sich nur analysieren, wenn man die deutschen, kroatischen und italienischen Politiken miteinander in Beziehung setzt.

Damit bewegt sich die Arbeit an der Schnittstelle dreier Forschungsrichtungen. Zur Holocaustforschung trägt sie bei, indem sie aufzeigt, dass – und aus welchen Gründen – nichtdeutsche Täter sich an den Gewalttaten des Zweiten Weltkriegs beteiligten. Zur vergleichenden Genozid- bzw. Gewaltforschung trägt sie bei, indem sie die Entwicklungslinien kollektiver Gewalt in einer historischen Situation nachzeichnet und die Frage stellt, was die Gewalt eskalieren ließ, sie beschleunigte und sie verlangsamte. Am kroatischen Beispiel verbindet die Studie zugleich das Erkenntnisinteresse und die methodischen Errungenschaften der vergleichenden Genozidforschung mit den Erkenntnissen der Holocaustforschung, indem sie den Holocaust an den kroatischen Juden gemeinsam mit den Massenmorden an Serben und Roma in Kroatien analysiert. Ein solcher kombinierter Zugriff wurde zwar schon mehrfach eingefordert, empirisch bislang jedoch kaum umgesetzt.19 Schließlich trägt die Studie zur vergleichenden Faschismusforschung bei, da sie diese mit den distinkten Zielen einer südosteuropäischen faschistischen Bewegung bekannt macht und sie europäisch kontextualisiert.

Der Forschungsrahmen: die Ustaša als Marionetten oder Monster

»Die Ustaša-Männer, die in die Stadt Glina kamen, um unsere Väter umzubringen, waren gedungene Gestalten, trugen gelbe Uniformen und schwarze Stiefel, in die sie ihre Messer steckten. Sie liefen herum mit ihren gekrümmten Beinen, als ob es sich um Monster aus einer anderen Welt handele. In Wirklichkeit waren sie Monster.«20 Dass Menschen, über deren Leben albtraumhafte Gewalterfahrungen hereingebrochen sind und die mit der tödlichen Brutalität entschlossener Täter in Berührung kamen, diese als Inkarnation des Bösen erinnern, kann nicht verwundern. Doch lässt sich die Gewalt wirklich durch die Monstrosität der Täter erklären? »Gewalt ist kein ›Betriebsunfall‹«, schreibt dazu Jörg Baberowski, sondern eine jedermann zugängliche und dadurch attraktive Handlungsoption, er markiert damit die Tendenz der jüngeren Gewaltforschung, sich der konkreten Situation zuzuwenden, in der Gewalt angewandt wird, anstatt abstrakte Ursachenforschung zu betreiben, welche Fehlentwicklung einen Menschen zum Gewalttäter werden ließ.21 Demnach ist die Anwendung von physischer Gewalt weder per se anormal noch funktional, sondern eine Form sozialen Handelns, das einen sozialen Raum in besonderer Weise zu verändern weiß. In augenfälligem Unterschied hierzu haben in der historischen Forschung zwei bis heute dominierende Lesarten der Ustaša besondere Wirkung entfaltet: die Ustaše als Marionetten oder als Monster. In der einen Lesart sind die Ustaše ausführende Organe der von den deutschen Nationalsozialisten vorgegebenen Politik. Nach der anderen sind sie blutrünstige Nationalisten, die in ihrem Morddrang nicht zu bremsen waren. Trotz ihres offensichtlichen Widerspruchs verschmelzen beide Narrative oftmals, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Die Motive der Ustaša, Gewalt einzusetzen, erscheinen als nicht weiter erklärungsbedürftig, da die Gewalt entweder von außen oder aber von Trieben gesteuert wird.

Im Narrativ von den Ustaše als Marionetten wird die Verantwortung für die Gewalt externalisiert und den Deutschen sowie einigen wenigen Kollaborateuren zugeschrieben.22 Es sucht die Ursachen für die Gewalt tendenziell außerhalb Kroatiens und entlastet die lokalen Gesellschaften von der Verantwortung. »Der kroatische Marionettenstaat akzeptierte die nationalsozialistische Doktrin als eine Endlösung für Serben, Juden und Zigeuner«, heißt es beispielsweise in der renommierten »Encyclopedia of Genocide«.23 Vor allem in der Historiografie im Realsozialismus vor 1990, aber auch in Ländern wie Italien und Frankreich sollte die größtmögliche Distanzierung vom Faschismus dadurch erreicht werden, dass ausländische Besatzer und einige wenige »Quislinge« zu den eigentlichen Schuldigen erklärt wurden. Das von dem politisch marginalen norwegischen Faschisten Vidkun Quisling abgeleitete Fremdwort impliziert, dass es sich bei Kollaborateuren meist um unmoralische Bösewichte handelte, die zahlenmäßig nicht ins Gewicht fielen.24 Auch im jugoslawischen Fall wurde das Volk von der Verantwortung für den Faschismus freigesprochen. Tito selbst bediente diese Lesart, indem er schrieb, dass »es den Nazis 1941 mit Hilfe der Ustaša-Schufte gelang, mehr als eine halbe Million Serben in Kroatien auszulöschen«25. Diese Interpretation korrespondierte mit dem jugoslawischen Gründungsmythos: Unter der Führung der Kommunisten sei es den werktätigen Klassen der Völker Jugoslawiens gelungen, sich vom Faschismus zu befreien und einen Bund der Brüderlichkeit und der Einheit der Völker zu schmieden.26 Die interethnischen Spannungen wurden zugunsten einer dichotomen Erzählung vom Kampf zwischen Faschisten und Antifaschisten ignoriert.

Parallel dazu beschrieb die national zentrierte Zeitgeschichtsforschung in der Bundesrepublik die Geschichte des Nationalsozialismus als eine ausschließlich deutsche Geschichte. Nichtdeutsche lokale Akteure, ihre Ideen und Spielräume kamen darin kaum vor.27 Das Verlangen, in den Deutschen die Inspiratoren für die Verbrechen zu identifizieren, die während des Zweiten Weltkriegs in den Ländern Europas begangen wurden, war so wirkmächtig, dass häufig ein deutscher Einfluss immer dort behauptet wurde, wo Gewalt im Spiel war. Praxen der Ustaša wurden zu »Kopien« erklärt, doch die Art und Weise, wie Herrschaftsideen und Gewaltpraktiken von einem Land ins nächste flossen, schien nicht erklärungsbedürftig. Beispielsweise hieß es, dass die Tatsache, dass die Ustaše im Zuge des Massenmordes auch die Besitztümer ihrer Opfer raubten, ein Beleg dafür sei, dass sie das Verhalten ihrer »Nazi teachers« kopierten.28

Dennoch zogen auch die Spezifika der Ustaša die Aufmerksamkeit der historischen Forschung auf sich: Kaum eine europäische Bewegung des 20. Jahrhunderts wurde sowohl in ihrer Zeit als auch in der Forschungsliteratur als so archaisch gewalttätig beschrieben wie die Ustaša. Das Narrativ von den Ustaše als mordenden Barbaren, kurz: als Monstern, zieht sich vom Beginn ihrer Aktivitäten bis in die Gegenwart. »Die bisher erfolgte Europäisierung des Südostens hatte doch vielfach nur die Fassade berührt und die triebhaften balkanischen Instinkte nicht ausgemerzt«, heißt es in der ersten deutschsprachigen wissenschaftlichen Publikation über Kroatien im Zweiten Weltkrieg.29 Der Effekt einer solchen Perspektive war zum Teil die Entlastung der deutschen Täter in Südosteuropa von ihrer Verantwortung für die Gewalt. Nicht nur in der Memoirenliteratur erscheinen die deutschen Soldaten sogar als die Leidtragenden der balkanischen Gewalt, inmitten derer sie fochten.30

Das einleitende Zitat von Damir Mirković, einem kanadischen Soziologen jugoslawischer bzw. serbischer Herkunft, veranschaulicht, wie die Gewalt der Ustaša zum Bestandteil eines Diskurses der Monstrosität geworden ist. Mirković selbst überlebte die Jahre der Verfolgung als Kind. Sein Ansatz vereint objektives Erkenntnisinteresse mit Familiennarrativen und nationaler Betroffenheit und ist in dieser Mischung typisch für die Diskurse über Gewalt in Jugoslawien. Seine Plausibilität erhielt dieser Diskurs durch die tatsächlich von den Ustaše verübte Gewalt, durch zahllose schreckliche Massaker und Gewaltexzesse. Abbildungen, auf denen Ustaša-Soldaten mit ihren toten Gegnern posieren oder deren Körperteile zur Schau stellen, bestätigen das Urteil über die Monstrosität der Gewalt (siehe beispielsweise Abbildung S. 315).

Allerdings war die Motivlage der Täter weit komplexer, als das Bild von blutgierigen Mördern suggeriert. Wie kam es also zu solchen Lesarten der Gewalt? Hierfür sind grundsätzliche Überlegungen zur Pathologisierung, Externalisierung oder, mit Jan Phillip Reemtsma, »Verrätselung von Gewalttätern« hilfreich.31 Im April 2005 attackierte der damalige kroatische Präsident Stjepan Mesić Apologeten der Ustaša dafür, dass sie noch immer nicht verstanden hätten, dass der Unabhängige Staat Kroatien weder unabhängig noch ein Staat noch Kroatien gewesen sei.32 Die Argumentation der gut gemeinten Replik auf die anhaltende Popularität der Ustaša ist nicht ungewöhnlich: Denn die Verlagerung von Gewalt aus der Gesellschaft heraus bietet die Chance, sich nicht mit ihr auseinandersetzen oder Erklärungen für sie finden zu müssen. So werden Gewalttäter zu irrationalen, psychisch entgrenzten oder sozial devianten Personen abgestempelt, die Gewalt wird als die Aktivität »der Anderen« externalisiert.33

Man kann drei sich überschneidende Stränge der Externalisierung unterscheiden: In einer ersten Variante wird die Ustaša pathologisiert, indem ihr ein »satanischer« und »krankhafter« Charakter zugeschrieben wird. Ihr anormales Verhältnis zur Gewalt offenbare sich darin, dass sie »Gewaltorgien zur puren Lustbefriedigung als Erfüllung ihres Lebensinhalts verübt« habe.34 Hauptmerkmal der zweiten Variante ist, dass die Täter entmenschlicht werden: Die Ustaše seien »Bestien in Menschengestalt«, die »wie aus dem Käfig gelassene wilde Tiere« über das Land hergefallen seien.35 Und in einer dritten wird die Ustaša archaisiert, wenn z.B. betont wird, sie habe schlimmer als eine mittelalterliche Landplage gewütet und eine »chaotische Re-Balkanisierung« Kroatiens betrieben.36 In all diesen Deutungen erscheinen die Ustaše nicht als rationale Akteure, sondern ihre Taten gelten als allenfalls durch ihre Triebe erklärbar.

Zeitgenössische Berichte deutscher Täter in Kroatien zeichnen sich durch Distanzierungen von der Grausamkeit der Ustaše aus. Harald Welzer hat dieses Zusammenspiel für den Holocaust als »Inanspruchnahme des sadistischen Anderen«37 beschrieben. So grenzten sich die deutschen Besatzer in Kroatien weniger von sadistischen Einzeltätern aus den eigenen Reihen ab als vielmehr von den Ustaše. Mit den Ustaše war das »Andere« klar markiert, sie dienten als negative Referenzfiguren. Die deutschen Täter bewegten sich in einem Referenzrahmen, in dem das Verhalten des eigenen Kollektivs in einer fremden Umwelt zur unhinterfragbaren Normalität umgedeutet wurde. Die Exzesstaten der Ustaša schufen dafür eine wichtige Legitimation, ließen sie doch das eigene Vorgehen im Vergleich als zivilisiert, modern und human erscheinen.

Der Abstand zwischen historiografisch messbarer Realität und verrätselndem Diskurs lässt sich nicht leicht vermessen: Das Bild von den Ustaše als Monstern basiert auf den zahllosen schrecklichen Taten ihrer Milizen und sucht die Ursachen für die Gewalt im südosteuropäischen Kontext. Zusätzliche Plausibilität wird diesem Bild durch die Vorstellung vom Balkan als blutigem Unruheherd verliehen, und es besitzt eine anhaltende Wirkmächtigkeit.38 So sahen sich die einrückenden deutschen und italienischen Besatzungskräfte mit ihren Bildern vom chaotischen Balkan in Jugoslawien in ihren Vorurteilen bald bestätigt. »Die Nationalsozialisten stellten sich in die Tradition derer, die auf dem Balkan einen primitiven, orientalischen Blutdurst nachklingen sahen«, bemerkt Mark Mazower treffend.39 Deutsche und italienische Besatzungssoldaten beschwerten sich, dass unter den Ustaše nur wenige ernsthafte Anhänger des Faschismus seien, sondern dass sie vor allem aus »delinquenten, kriminellen, pathologischen, defekten oder verdorbenen Typen [bestünden], die […], geneigt nur dem Morden und Plündern, zusammengelaufen« seien. Wenn deutsche Beobachter die Ustaše als »entmenschte Wüstlinge«, »Psychopathen«, »Orientalen«, als »vom Wunsch nach blutiger Rache psychisch Kranke« oder als »Massenmörder, Säufer und Hurenknecht[e]« bezeichneten, fanden solche Zitate in der Regel Eingang in die Forschung als Belege für den Charakter der Ustaše als Gewalttäter.40

In deutschen Lazaretten kursierten Gerüchte über die Gewalttaten der Ustaše, die dem Reich der Spukgeschichten entstammten. Eine von einem Soldaten aus Wien kolportierte Geschichte soll hier als Beispiel dienen: Danach ließ sich ein Ustaša-Soldat von Wehrmachtsangehörigen nach einem siegreichen Gefecht gegen Partisanen zehn jugendliche serbische Gefangene aushändigen. Im Beisein der fassungslosen Deutschen schlitzte er ihnen dann die Kehle auf, biss ihnen in den Hals und saugte ihnen »wie ein riesenhafter Dämon mit einer diabolischen Gier«41 das Blut aus. Eine andere Geschichte, die immer wieder aufs Neue auch von der aktuellen Forschung reproduziert wird, stammt vom italienischen Zeitungskorrespondenten Curzio Malaparte (1898–1957), der 1944 einen Bestseller mit reißerischen Kriegs- und Gewaltgeschichten landete. Darin beschreibt er sein Zusammentreffen mit dem Ustaša-Führer Ante Pavelić im Jahr 1941. Pavelić habe für seine Besucher eine Schale mit Austern bereitgestellt, die sich aber bei genauem Hinsehen als menschliche Augen herausstellten. Lächelnd habe der Staatschef dann vor seinen Gästen behauptet, dass es sich bei den Augen um ein Geschenk seiner treuen Ustaša-Soldaten von der serbischen Front handle.42

Der Wahrheitsgehalt dieser Schauergeschichten sei dahingestellt, interessant ist vielmehr, wie sie im Sinne der oben angesprochenen Deutungen der Ustaša dienstbar gemacht werden. Dass exotisierende Geschichten den Einsatz von Soldaten in fremden Ländern begleiten, ist ein Teil der Geschichte des Krieges.43 Deshalb ist es zunächst nicht weiter erstaunlich, dass in Bezug auf den Balkan gruselige Erzählungen kursierten. Indem die deutschen und italienischen Soldaten darüber kommunizierten, versicherten sie sich ihres Selbstverständnisses und versuchten, in einer fremden Umwelt Orientierung zu erlangen. Die (Re-)Produktion von Vorurteilen half ihnen dabei.44

In den Augen vieler Historiker waren jedoch gerade deutsche Nazis und italienische Faschisten besonders glaubwürdige Kronzeugen, wenn es um die Gewalt der Ustaše ging. Ein wiederkehrendes Narrativ lautet, dass, wenn selbst die Deutschen als die Meister des Holocaust abgestoßen waren von der kroatischen Brutalität, diese in der Tat höllisch gewesen sein muss.45 Um ihre Abscheu vor den Taten der Ustaša herauszustellen, gaben SS-Offiziere wie der Chef der Zivilverwaltung in Serbien, Harald Turner, in ihren Berichten überhöhte Opferzahlen der ermordeten Serben an, mit denen sie von serbischen Nationalisten versorgt worden waren. Daraus ergab sich ein kaum zu durchbrechender Referenzkreislauf, denn die Berichte der deutschen Besatzer galten wiederum als besonders glaubwürdige Belege für die überhöhten Opferzahlen. Mit diesen Zahlen machten serbische Nationalisten noch in den 1990er Jahren Politik.46

Die italienischen Faschisten galten aus anderen Gründen als glaubwürdig, wenn sie über die Gewalt der Ustaša schrieben. Lange überwog in der historischen Forschung die Ansicht, dass es sich bei den Italienern um eine humane Besatzungsmacht gehandelt habe, und die Abscheu italienischer Soldaten der Brutalität der Ustaša gegenüber galt als Beleg für ihre Humanität.47 Da aber versäumt wurde, die Dialektik zwischen den Taten und Wahrnehmungen von Besatzungsmächten und lokalen Milizen zu untersuchen, wurde übersehen, dass die zeitgenössische Pathologisierung der Gewalt lokaler Akteure eine bestimmte Funktion erfüllte. Denn das Klischee vom »wahrhaftig balkanischen Wirrwarr«48 ließ die Gewalt, die die Besatzungsmächte selbst verübten, als sachlich, modernisierend und Ordnung stiftend erscheinen. Der angebliche Blutrausch der lokalen Ustaša und ihrer Gegner sprach die Besatzer von der Verantwortlichkeit für die Gesamtsituation frei.

Dieser Zusammenhang lässt sich an vielen Abschnitten der deutschen Ostfront wie auch in Südosteuropa beobachten.49 Wenn beispielsweise deutsche Funktionäre des Sicherheitsdienstes (SD) der SS die Ustaša mit »vertierten Bolschewisten« gleichsetzten, hieß es im selben Atemzug, dass »Handlungen, die mit der Humanität und der deutschen Kultur nicht vereinbar seien, bald nicht mehr hingenommen werden würden«. Ein Land, das solche Taten zulasse, »müsse von der Karte Europas radiert werden«.50 Manch deutscher Beobachter sah in der Gewalt der Ustaša geradezu den Beleg dafür, dass sie »jüdisch-bolschewistisch« unterwandert sei, da sie bolschewistische Methoden anwende.51 Insofern machte in den Augen der Besatzer der ungehemmte Gewalteinsatz lokaler Akteure den ordnenden Einsatz deutscher Gewalt geradezu erforderlich. Dies lässt sich auch an der erwähnten Vampirgeschichte ablesen, die mit einem Akt reinigender Gewalt endet: Die Landser warteten einen geeigneten Moment ab, um den blutsaugenden Ustaša zu stoppen, und machten dann »dem Spuk mit ein paar Handgranaten ein Ende«, wobei der Ustaša-Täter und seine serbischen Opfer gleichermaßen zugrunde gingen und Friedhofsruhe herrschte.52

Solche Bilder vom kriegerischen Balkan wurden indes nicht nur in den Köpfen westlicher Beobachter, sondern aus verschiedenen Gründen auch von dessen Bewohnern gestaltet.53 Während des Zweiten Weltkriegs versuchten die verfeindeten Gruppen, insbesondere die Ustaša und die Četnici, sich gegenseitig bei den Besatzungsmächten zu desavouieren, indem sie ihr Gegenüber als balkanisch verteufelten, sich selbst hingegen als zum »Neuen Europa« zugehörig präsentierten. So behauptete die Ustaša, das europäische Abendland gegen den Osten zu verteidigen. In dieser Perspektive erschien die Verfolgung der Serben als eine defensive Gegenreaktion auf den großserbischen Expansionismus. Serbischen Nationalisten wiederum gelang es, mit ihrer Propaganda während des Krieges die Ustaša zu verteufeln und mit völlig übersteigerten Opferzahlen den Grundstein für den Mythos von mehr als einer Million serbischer Opfer des kroatischen Völkermordes zu legen. Der auf ein Bündnis mit Serbien setzende Teil des deutschen Besatzungspersonals verließ sich auf eben diese von seinen lokalen Verbündeten gelieferten Zahlen – nicht zuletzt, um innerdeutschen Konkurrenten zu schaden, denen sich mittels überhöhter Opferzahlen das Scheitern der deutschen Besatzungspolitik ankreiden ließ.54 Kroatische wie serbische Nationalisten fungierten im Bürgerkrieg als Alteritätspartner; beiden Parteien war daran gelegen, die Trennung der beiden Volksgruppen zu perpetuieren und Individuen zu zwingen, sich für die Wahl der einen oder der anderen Seite zu entscheiden. Akte brutaler Gewalt dienten gleichermaßen als Beleg dafür, dass Serben, Kroaten und Muslime nicht zusammenleben konnten.55 Darüber hinaus präsentierten sich die Kriegsparteien in einem archaischen Gewand, da sie so hoffen konnten, militärische Interventionen vonseiten der Deutschen und der Italiener zu verhindern. Denn wo vermeintlich primordiale Kräfte wirken, erscheint es sinnlos, die Kriegsparteien zum Frieden zu zwingen.56 Serbische und kroatische Nationalisten behaupteten, dass der Krieg zwischen ihren Völkern unvermeidbar sei. Schlussendlich gehörten jedoch sowohl die Ustaše als auch die Četnici zu den Verlierern des Zweiten Weltkriegs. Ihre Pläne scheiterten, und es waren die siegreichen supranationalen Partisanen, die das neue Jugoslawien gestalteten.57

Darüber hinaus bedienten beide Kriegsparteien auch antisemitische Affekte der Deutschen, indem sie jeweils die Gegenseite als projüdisch charakterisierten. Serbische Nationalisten setzen Gerüchte in die Welt, die Ustaša würde in ihren Konzentrationslagern im Verbund mit jüdischen Vorzugshäftlingen serbische Lagerinsassen systematisch terrorisieren. In der Propaganda der Ustaša wiederum hieß es, dass die Juden das serbische Volk gegen das kroatische gehetzt hätten und die eigentlichen Nutznießer des Bürgerkriegs seien.58 Solche Berichte, Gräuelpropaganda, Übertreibungen und Fälschungen fanden Eingang ins Archiv der Besatzungsmächte: Historiker nahmen die Quellen oft unkritisch für bare Münze.59 Besonders die apologetischen Memoiren eines der wichtigsten deutschen Vertreters im Ustaša-Staat, des Generals Glaise von Horstenau, wurden als eine Art Kronzeugenbericht gehandelt, anstatt quellenkritisch analysiert und kontextualisiert zu werden.60

Die beschriebenen Pathologisierungsdiskurse westlicher Historiker sind also als ein Echo der Wahrnehmung des Balkans als etwas Fernes und Fremdes durch die deutschen und italienischen Besatzer zu verstehen. Die Taten der Ustaša wurden als pittoresk-exotische Akte entfesselter, blutiger Gewalt gedeutet. Vorschnell legte man sich darauf fest, dass die »Gewaltkultur« der Ustaša auf Emotionen und Affekt beruhe, sodass zweckrationale und funktionale Motive automatisch in den Hintergrund rückten.61

Im Unterschied dazu wurde das Verhalten der Deutschen und ihr Massenmord an den Juden »zur Metapher für eine abstrakte moderne conditio humana […] – eine Erzählung des Erhabenen«62 erklärt. Die Überbetonung der funktionalen und modernistischtechnokratischen Aspekte des Holocaust sowie die parallele Beschreibung der Ustaša-Gewalt als archaisch geben ein starkes Kontrastpaar ab. Zahlreiche Untersuchungen beschränken sich darauf, diesen vermeintlichen Gegensatz zu konstatieren und damit letztlich deutschen Selbstwahrnehmungen zu folgen. Denn die Deutschen selbst hoben wiederholt den Unterschied zwischen ihrer Gewalt und der der Ustaša hervor. In einem Brief vermeldete der Chef der Zivilverwaltung in Serbien dem Wehrmachtsbefehlshaber Südost nicht ohne Stolz: »Serbien einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst«. Im nächsten Satz attackierte er in scharfen Worten die Ustaša wegen »tägl. Greueltaten, Abmurksen der Serben, Anarchie in Kroatien«.63

Die Taten der Italiener als der dritten Gruppe von Gewaltakteuren schließlich wurden zugunsten eines Narrativs vom spezifisch italienischen Humanismus der Besatzer verharmlost. Auch hier folgte die Forschung lange Zeit den Selbstverortungen der Beteiligten. Diese Selbstbilder und die Dichotomisierungen zwischen wild und rational (von deutscher) bzw. human (von italienischer Seite) gilt es genau zu analysieren. Was schätzten Deutsche und Italiener an der eigenen Gewalt, und was störte sie an der Gewalt der anderen? Eine Analyse jenseits der Pathologisierung der Täter, die dem dialektischen, konfliktreichen und einander stimulierenden Nebeneinander verschiedener Gewaltformen einheimischer Akteure und der Besatzungsmächte Aufmerksamkeit zollt, steht weiterhin aus.

Der Forschungsstand

In Jugoslawien fand keine Analyse der Gewalt der Ustaša statt, weil gesellschaftliche Tabus den Weg dazu verstellten.64 Die meisten Historiker wurden ihrer staatssozialistischen Aufgabe gerecht und zelebrierten den Heroismus der Partisanen. So konzentrierte sich die große Masse der in Jugoslawien erschienenen Publikationen auf den »Volksbefreiungskampf«.65 Die Ustaša wurde vor allem als Feind der Arbeiterklasse gesehen, die sich im Bündnis mit der katholischen Kirche und der Bourgeoisie befunden habe, außerdem als eine Ansammlung von Individuen, nicht aber als eine politische Bewegung betrachtet.66 Regionalstudien fragten in der Regel nicht nach regionalen Spezifika, sondern erzählten den für die gesamtstaatliche Ebene aufgestellten historiografischen Kanon für die jeweils untersuchte Provinz nach.67 Jugoslawische Historiker, allen voran Bogdan Krizman, verfassten einige dickleibige und wenig strukturierte Studien zum Ustaša-Staat, die zwar die Ereignisgeschichte aufarbeiteten, die Fragen nach Art und Umfang der Gewalt indes umschifften.68

Außerhalb Jugoslawiens erschienen lediglich in der BRD einige Veröffentlichungen zu Südosteuropa im Zweiten Weltkrieg.69 Dabei handelte es sich jedoch entweder um Memoirenliteratur oder aber um Veröffentlichungen in der Tradition der NS-Südostforschung.70 Die 1964 erschienene erste deutsche Monografie zum Ustaša-Staat war ein hybrides Werk: Ein ehemaliger ungarischer Presseattaché im USK, Ladislaus Hory, wollte seine Erinnerungen und Notizen veröffentlichen und suchte Unterstützung beim Münchner Institut für Zeitgeschichte. Bald kam es zu Konflikten zwischen Hory und dem ihm zur Seite gestellten Zeithistoriker Martin Broszat.71 Letzterer setzte sich durch, und das entstandene Werk gilt als Meilenstein auf dem Gebiet der deutsch-kroatischen Geschichtsforschung. In der DDR erlangte der Zweite Weltkrieg in Jugoslawien nur geringe Aufmerksamkeit, wobei jedoch der Blick auf die Ustaša vergleichsweise differenziert ausfiel. Die deutsche Gesamtverantwortung für deren Taten wurde stark betont, ohne dabei die Spezifika der Ustaša zu übersehen.72

Obgleich die Gewalt nichtdeutscher Täter weder in Ost noch in West eine Leitfrage der Zeitgeschichtsforschung darstellte,73 hätten die entsprechenden Beiträge dennoch eine gute Basis für eine weitere Erforschung der Ustaša bilden können. Doch die beginnende Desintegration Jugoslawiens seit den frühen 1980er Jahren machte aus den jugoslawischen Geschichtswissenschaften zunehmend nationalistische Erfüllungswissenschaften und entkoppelte sie von der internationalen Forschung. Einstmals staatssozialistische Historiker verwandelten sich, manchmal über Nacht, zu glühenden Nationalisten74 und wurden sekundiert von den nationalistischen Zentren der jeweiligen Diaspora75. Wie schon während des Zweiten Weltkriegs war von nun an das wichtigste Ziel der Geschichtswissenschaften, den nationalen Gegner zu desavouieren.76 In Serbien führte dies zu Behauptungen, dass dem kroatischen Nationalismus ein eliminatorischer Charakter eigen sei. Verschwörungstheoretische Mutmaßungen durften dabei nicht fehlen, die sowohl die Sehnsüchte orthodoxer Kommunisten wie orthodoxer Christen bedienten: die angeblich sinistre und antiserbische Politik des Vatikan, die in der klerikalfaschistischen Liaison zwischen Ustaša und kroatischer katholischer Kirche ihren Ausdruck gefunden habe.77 Die Begleitmusik bildete ein zynischer Kult um die Opferzahlen mit der Tendenz zu deren absoluter Übertreibung. Dies geht, wie erwähnt, auf die Propagandaaktivitäten serbischer Nationalisten während des Zweiten Weltkriegs zurück. Noch im Jahr 2009 sendete der serbische Staatsfunk, dass im KZ Jasenovac mindestens 700000 Menschen umgebracht worden seien, was einer Verzehnfachung der plausiblen Opferzahlen entspricht.78 Die Litanei von der nationalen Leidensgeschichte wurde durch das Gerede von einem »serbisch-jüdischen Holocaust« und einer angeblichen Opfergemeinschaft beider Gruppen verstärkt.79 Solche Verweise sollten in westlichen Foren die Glaubwürdigkeit der serbischen Sache erhöhen.80 Der Zusammenhang zwischen großserbischer Idee und nationalem Opfermythos versinnbildlicht die nationalistische Forderung, Serbien sei dort, wo serbische Gebeine liegen (siehe Abbildung S. 34). So mag es nicht verwundern, dass die sogenannten ethnischen Säuberungen der 1990er Jahre mit historischen Argumenten unter Verweis auf die überhöhten Opferzahlen legitimiert wurden.81 Seit einigen Jahren nimmt jedoch die Zahl der serbischen Historiker, die mit überhöhten Opferzahlen ein politisches Spiel betreiben, stetig ab.83

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Abb. 1: Karte serbischer Diasporakreise (vermutlich 1944), die den während des Zweiten Weltkriegs gemeinschaftlich von insgesamt sechs Nationen am serbischen Volk verübten Massenmord verdeutlichen sollte. Ein Kreuz steht für 1000 getötete Serben.82

Arhiv Jugoslavije, 103, 86-3-371/VI

In Kroatien hingegen führte die nationalistisch-affirmative Umwertung der Geschichte zur Neubewertung der Ustaša als Vorkämpferin der kroatischen Unabhängigkeit, zur Verklärung der Rolle der katholischen Kirche und zum Herunterrechnen der Opferzahlen. Nationalistische Historiker suggerierten, dass es sich beim kroatischen Staatswesen der Jahre 1941 bis 1945 um ein legitimes Projekt gehandelt habe, das konzeptionell von den Verbrechen der Ustaša zu trennen sei. Dieser Revisionismus dominierte während der 1990er Jahre die Geschichtspolitik des neuen kroatischen Staates und fand und findet in der Öffentlichkeit breiten Anklang.84 Vertreter Kroatiens, Serbiens und der bosnischen Muslime qualifizierten die von der jeweiligen Gegenseite verübten Kriegsverbrechen als Genozid und verharmlosten dabei die von der eigenen Seite begangenen Verbrechen.85 Vermeintliche und wirkliche Vertreter der Verfolgtengruppen konkurrierten um den Status, ein singuläres Verfolgungsschicksal erlitten zu haben.86 Die jahrzehntelangen geschichtspolitischen Kämpfe zwischen serbischen, kroatischen und neuerdings auch bosniakischen Nationalisten ließen wenig Raum für nuancierte Studien. Der Nationalismus verhinderte auch die Untersuchung der Interdependenz der Gewalttaten.

Auch viele westliche Wissenschaftler verliefen sich im Drahtverhau der zerstrittenen Historiografien und übernahmen unkritisch die Ergebnisse der einen oder der anderen Seite.87 Darüber hinaus scheint es unmöglich, über die Gewalttaten zu schreiben, ohne von der einen oder anderen Seite als proserbisch bzw. prokroatisch denunziert zu werden.

Gleichwohl gelang es allmählich, das holzschnittartige Bild von Kroatien im Zweiten Weltkrieg auszudifferenzieren. Die Historiker Holm Sundhaussen und Klaus Schmider zeigen für die Wirtschaftsund Militärpolitik der deutschen Besatzungsmacht, dass diese keineswegs omnipotent, sondern kaum in der Lage war, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen.88 Parallel dazu gab es eine Reihe von Studien zur lokalen Herrschaft der Ustaša, die sowohl die Handlungsspielräume der Bewegung als auch die komplexen Machtverhältnisse im USK belegten. Ivo und Slavko Goldstein zeigten, dass die Judenpolitik im USK in weiten Teilen auf die Politik und Praxen der Ustaša selbst zurückzuführen war.89 Umstritten bleibt dabei, wie stark die Ustaša das Geschehen im Land überhaupt bestimmen konnte. So veranschaulichte Emily Greble in einer Studie zu Sarajevo während des Zweiten Weltkriegs, dass lokale Herrschaft weniger durch die Befehle der Führung in Zagreb bestimmt war als durch die Auseinandersetzungen um bosnische Identitäten vor Ort.9091