Renate Göckel

Warte nicht auf
schlanke Zeiten

Ein Buch für starke Frauen

Logo

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design

Umschlagmotiv: © Givaga – Fotolia.com

ISBN (E-Book) 978-3-451-80028-3

ISBN (Buch) 978-3-451-61238-1

Inhalt

Vorwort – oder: Wenn Diäten beflügeln

Kapitel 1
Hauptsache schlank?

Dünner ist alles besser: Der Heile-Welt-Faktor

Selbsttest: Was bedeutet schlank sein für Sie?

Das Leben findet später statt

Das dicke Selbstbild

Kapitel 2
Der große Traum: Dünn, schön, begehrt und geliebt

»Dann wäre in meinem Leben wirklich alles anders ...«

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Ich möchte schön sein

Verstrickt in Irrtümer

Kapitel 3
Schlank werden und bleiben – was uns ausbremst

Jetzt bloß nichts falsch machen

Gefühlsvernebelung

Die verflixten Schuldgefühle

Die Servicerolle

Ohrfeigen und dicke Luft

Ohnmacht! Wut! Ohnmacht! Wut!

Kapitel 4
Fettreserven für schlechte Zeiten

Wenn alte Wunden immer noch bluten

Wenn das Leben geballt kommt

Die vier schlimmsten Kränkungen

Bluffen, panzern und tarnen

Wenn die Gewichtskurve Bocksprünge macht

Das Fett als Tarnkappe

Die gute und folgsame Tochter

Womit die Liebe überfordert ist

Der richtige Mann

Im selbst gebastelten Schlaraffenland

»Fat and jolly« – oder eher phlegmatisch?

Kapitel 5
Machen zu viele Pfunde depressiv?

Den richtigen Schlüssel finden

Zurück zu den Wurzeln

Hilflos und ohnmächtig

Wie Luft behandelt

Die Hände gebunden

Wenn wir uns auf Mutter nicht verlassen können

Nur nicht nachlassen!

Kapitel 6
Gewinnen oder verlieren

»Dann geht es mir zu gut«

Gnadenlos verantwortlich

»Dann mache ich es mir zu leicht«

»Dann bin ich ganz anders«

»Dann müsste ich für mich Verantwortung übernehmen«

Kapitel 7
Sich zu den eigenen Gefühlen bekennen

Die Tür zu alten Wunden öffnen

Der Essdruck als Gefühlskompass

Verborgene Ansprüche verlängern das Warten nur

Wenn Nähe uns unruhig macht

Vom Ducken und Schlucken

Angespannte Imagepflege

Kapitel 8
Der Weg ist das Ziel

Lieber kleine Schritte als große Worte

Nimm dich endlich ernst!

Steh auf deiner eigenen Seite!

Werde egoistischer und tue Buße!

Zeig Biss und Ausdauer!

Baue nährende Beziehungen auf!

Entziehe dem Fett die Verantwortung!

Bring Fülle in dein Leben!

Literatur

Anmerkungen

Vorwort – oder: Wenn Diäten beflügeln

Neulich spürte ich es ganz deutlich, dieses Gefühl.

Es war Samstag, und ich ging in die Stadt. Dort bummelte ich hierhin und dorthin, schaute nach diesem und jenem und fühlte mich unbeschwert und gelassen. Als ich durch ein Kaufhaus schlenderte, fiel mein Blick in einen der vielen Spiegel. Ganzkörperbild, unvorbereitet.

Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Das war ich? Das Gesicht blass, von eiskaltem Neonlicht beleuchtet. Und die Klamotten!

Am Morgen hatte ich vor dem Kleiderschrank gestanden und mir gedacht: Du musst ja heute nicht zur Arbeit, also ziehst du etwas Legeres an. Meine Wahl war auf eine blaue Jeans gefallen. Unverwüstlich und freizeitgeeignet. Dann entdeckte ich noch eine blaue Seidenbluse, die ich schon jahrelang nicht mehr angehabt hatte. Ein paarmal hatte ich bereits damit geliebäugelt, sie in die Altkleidersammlung zu geben. Leider ist sie noch recht gut erhalten, und so durfte sie dann doch immer wieder bleiben.

Eigentlich könntest du sie ja mal wieder anziehen, dachte ich mir, zumal sie ganz toll zu der hellblauen Jeans passte. Da es morgens noch etwas frisch war, beschloss ich, ein Unterhemd überzustreifen. Unterhemd und Bluse stopfte ich in die Hose und legte einen blauen Wildledergürtel dazu an. Dieser – ich gebe es zu – hatte ebenfalls bereits ein paar Jährchen zu viel auf dem Buckel. Dazu trug ich meine bequemen (sprich: ausgelatschten) blauen Stoffschuhe.

Als nun dieses Ganzkörperbild auf mich prallte, war mit einem Schlag alles anders. Die Jeans ausgebeult, die Taille unförmig vom hineingewurstelten Unterhemd und der Bluse. Der Gürtel dehnte sich bereits derart, dass das verwendete Gürtelloch eher oval als rund war. Die Bluse erschien mir wie ein dünner faltiger Lappen, und die ach so bequemen flachen Stoffschuhe ließen meine Beine so kurz erscheinen, dass ich mich erst einmal daran gewöhnen musste.

Schlagartig fühlte ich mich unwohl.

Da ich mit meiner Figur im Großen und Ganzen zufrieden bin, bezog ich die Unzufriedenheit ausschließlich auf meine Kleidung. Ich war nun nicht mehr unbeschwert, sondern sah zu, dass ich schnell nach Hause kam. Dort zog ich mich sofort um und stopfte alles (außer dem Unterhemd) in den Altkleidersack. Sofort fühlte ich mich wieder wohl in meiner Haut.

Ich überlegte, wie es wohl einer Frau ergehen mag, die ernste Figurprobleme hat. Mit Sicherheit bezieht sie alles, was ich zum Glück auf die Kleidung beziehen konnte, auf ihre Figur. Und dann knüppelt sie sich innerlich wegen ihres undisziplinierten Essverhaltens. Sie macht sich herunter und entkommt ihren Selbstvorwürfen und ihrem Selbsthass nur durch »gute Vorsätze«, ab morgen weniger zu essen.

Liebe Leserin, vielleicht haben Sie einfach nur ein paar Pfund zu viel und haben sich diese genussvoll angegessen. Und wenn Sie diese Pfunde wieder loswerden möchten, dann verzichten Sie einfach für einige Zeit auf fettes Essen, auf Süßigkeiten, auf Alkohol und auf den Fettrand am Schinken. Oder bewegen Sie sich etwas mehr.

Wenn es bei Ihnen so einfach ist, dann herzlichen Glückwunsch. Aber in diesem Buch werden Sie sich nicht wiederfinden.

Vielleicht hadern Sie aber auch ständig mit sich und schwanken zwischen Riesenhoffnung und tiefster Verzweiflung je nachdem, ob Sie gerade eine Diät machen oder aber gerade zu viel gegessen haben. Die Patientin hatte schon recht gehabt, als sie sagte: »Das Schlimmste am Dicksein ist, dass man sich zu dick fühlt.« Wenn wir uns »zu dick« fühlen, dann hoffen wir – und vor allem warten wir – auf schlanke Zeiten. Oder auf Zeiten, in denen wir uns auch nur »schlank fühlen«. Und dann?

Sich schlank fühlen heißt für viele Frauen auch, sich lebendig, jung, schwungvoll, unbeschwert, anerkannt und mit sich im Reinen zu fühlen. So sagten es jedenfalls fast alle der 25 betroffenen Frauen, die ich interviewt habe. Diese Aussagen sind weder wissenschaftlich fundiert noch allgemeingültig. Sie sollten aber zum Nachdenken anregen. Zum Nachdenken darüber, was wir mit uns machen, wenn wir unser Leben auf bessere Zeiten verschieben. Bereits zwei Mal habe ich zu diesem Thema ein Buch geschrieben: im Jahr 2002 schon unter dem Titel »Warte nicht auf schlanke Zeiten« und 2008 »Endlich schlank wird alles besser?« Beide habe ich in meine neue Bearbeitung des Themas aufgenommen. Denn das Kernproblem besteht nach wie vor.

Auffallend ist, wie sich tatsächliche oder vermeintliche Perspektivlosigkeit auf das Gewicht auswirkt.

Der Hirnforscher Achim Peters berichtete im »Spiegel«1 über ein schon älteres Langzeitexperiment an der Universität Boston (USA), in dem Mütter aus Problemvierteln in bessere Wohngegenden umziehen durften. Ein Teil der Mütter blieb im alten Viertel, und es änderte sich nichts. Durch die bessere Wohngegend hatten die Mütter bessere Aussichten auf Jobs und ihre Kinder hatten einen besseren Umgang. Diese Frauen stiegen sozial auf. Ergebnis: Nach 15 Jahren waren alle Frauen, die in eine bessere Gegend gezogen waren, deutlich schlanker und fühlten sich wohler.

Ohnmächtige Wut ist nach meinen Beobachtungen ein Hauptauslöser für unkontrollierte Essanfälle. Sozialer Stress verursacht besonders häufig »ohnmächtige Wut«. Sich den Mund stopfen, anstatt zu explodieren, kann zum sozialen Frieden beitragen. Aber auf wessen Kosten?

Ein anderer Mechanismus, der dick machen kann, sind frühe psychische Verletzungen durch Mitmenschen. Wenn unsere Bedürfnisse als Kinder den Erwachsenen lästig waren, dann haben wir die Schlussfolgerung gezogen: »Ich will keinen mehr brauchen.« Dieser Teil ist der »kontrollierende Teil«, mit dem wir uns meist identifizieren. Er treibt uns in die Verausgabung. Ihm ist es nie genug. Wir überlasten und überfordern uns. »Wenn ich schlank bin, darf ich nie mehr faul sein.« Diese Aussage sollte uns Warnung sein.

Der kontrollierende Teil schafft beim Essen Grundsätze wie:

Diese Grundsätze, die zu gnadenlosem Gewichtsverlust führen können, führen immer in die Unterzuckerung (Hypoglykämie). Deren Symptome bringen manche Diät zu Fall. Magenknurren, Zittern und Übelkeit sind ja weithin bekannt. Aber hätten Sie gedacht, dass auch Gähnanfälle, Wutausbrüche, Unruhe, kalter Schweiß, Blutdruckanstieg (roter Kopf), das nächtliche Aufwachen zwischen drei und fünf, Grübelschleifen, Herzklopfen, Sprachstörungen (Lallen), Sehstörungen (unscharfes Sehen), eine verstopfte Nase, Migräneanfälle oder Verzweiflungsanfälle ebenfalls Zeichen einer Unterzuckerung sein können? Wenn der Körper zu wenig Zucker im Blut hat, wird unser Hauptzuckerkonsument, das Gehirn, panisch. Es erreicht durch eine Ausschüttung von Stresshormonen (Adrenalin und Cortisol), dass der in der Leber gespeicherte Zucker herausgerückt und damit dem Gehirn zur Verfügung gestellt wird. Die meisten der Unterzuckerungssymptome werden von der Adrenalinausschüttung verursacht. Und so hat sich schon so manche »Angststörung« als instabiler Blutzuckerspiegel mit heftigen Schwankungen entpuppt.2

Der perfektionistische und kontrollierende Teil lässt unserem »bedürftigen und verletzlichen Teil« keinen Platz. Die meisten Frauen denken, sie seien, wenn sie »dick« sind, bedürftig und verletzbar. Und so möchten sie auf keinen Fall sein. Dieser verletzliche und bedürftige Teil ist in der Kindheit entstanden durch Verletzungen und Entbehrungen, gegen die wir uns damals nicht wehren konnten. Nun fordert dieser Teil aber »Nahrung« von uns. Wenn er nicht gewürdigt und nicht mit Selbstfürsorge zufriedengestellt wird, kommt es zu einer »heimlichen Fütterung« durch Heißhungeranfälle. Dieses »Füttern« ist immer mit Scham (»Du bist minderwertig«) und mit Schuldgefühlen (»Jetzt hast du wieder versagt«) verbunden und endet oft in Verzweiflung (»Du wirst es nie schaffen«). Nur die Hoffnung auf eine erneute Diät oder gar eine Operation bringen uns aus der Verzweiflung – bis zum nächsten Rückfall. Und so geht es immer weiter.

Wir können diesem Teufelskreis nur entrinnen, wenn wir uns unserem verletzlichen, bedürftigen Teil stellen und ihn »legal« füttern.

Dazu müssen wir hinuntersteigen in Tiefen unserer Seele, in die wir nicht steigen wollten. Auch wenn die Heizung spinnt, dann reicht es meist nicht, einfach am Thermostat zu drehen, sondern dann muss auch oft im Keller am Brenner etwas gerichtet werden. Sie fragen dann nicht: Was stimmt am Thermostat nicht, sondern warum funktioniert die Heizung nicht?

Und so wird die Frage »Wie nehme ich am schnellsten ab?« irgendwann ersetzt durch: »Für welche Bedürfnisse und Empfindlichkeiten schäme ich mich?«, »Wobei hilft mir das Fett im Alltag?«, »Wovor schützt es mich?«

Dieses Buch will Sie zum Nachdenken anregen. Ich wünsche Ihnen viele wirksame Erkenntnisse.

Ihre Renate Göckel

Kapitel 1
Hauptsache schlank?

Dünner ist alles besser:
Der Heile-Welt-Faktor

»Es ist jeden Tag dasselbe. Ich komme fix und fertig nach Hause und dabei beginnt dort meine nächste Schicht. Wie soll ich das bloß schaffen?«

Petra S. ist 34 Jahre alt und halbtags berufstätig. Wenn sie mittags nach Hause kommt, ist sie völlig ausgelaugt. Sie arbeitet als Sekretärin und hat einen Chef, der sie zu beschäftigen weiß. Außerdem hat sie bis dahin schon sieben Stunden lang 97 Kilo durch die Welt balanciert. Auch das ist unglaublich anstrengend. Was dann kommt, ist Tag für Tag das Gleiche: Petra S. schließt die Wohnungstür auf, wirft ihre Tasche in die Ecke, geht in die Küche und fängt an zu kochen. Während sie die Kartoffeln schält, holt sie sich immer wieder einige Schokolinsen aus dem Küchenschrank. Gleich kommt ihre achtjährige Tochter aus der Schule. Petra brät drei Schnitzel und kümmert sich um den Salat. Die Schokolinsen-Tüte ist inzwischen leer. Und Petra hat ein schlechtes Gewissen.

Melanie plappert gleich los. Petra hört nur mit einem Ohr hin. Mit dem anderen Ohr wartet sie auf das Drehen des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür. Ihr Mann Harald steckt den Kopf in die Küche. »Hallo, ihr beiden. Was gibt es denn Gutes?« Er küsst seine Tochter und gibt auch Petra einen kleinen Schmatz auf die Wange. Petra fühlt sich dumpf und betäubt. Sie deckt den Tisch, weil es sonst keiner macht. Hunger verspürt sie nicht mehr, und sie will das Essen rasch hinter sich bringen. Beim Essen läuft der Fernseher. Petra stopft mechanisch alles in sich hinein. Harald fragt sie ein paarmal beiläufig nach Einzelheiten aus ihrem Büroalltag. Sie antwortet lustlos.

»Schatz, fällt dir eigentlich auf, dass du gerade wieder stopfst?«, macht Harald Petra auf ihr Essverhalten aufmerksam. Tatsächlich. Petra registriert, dass sie kaum noch kaut. Sie will es aber in diesem Moment nicht wahrhaben. »Ach was«, brummt sie unwirsch, »ich bin völlig ausgehungert, unterzuckert und brauche jetzt etwas.«

»Klar«, kaut Harald weiter, »aber du isst viel zu schnell. Merkst du denn überhaupt, was du in dich hineinschlingst?« Petra gibt keine Antwort.

Als das Geschirr abgeräumt ist, geht Melanie in ihr Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Harald verzieht sich wieder in seine Kanzlei. Und Petra steht vor dem Geschirrberg. Sie fühlt sich unendlich schwach und ohnmächtig. Wie in einer Tretmühle ohne Entkommen. Nein, sagt sie sich. Jetzt nicht. Später kann ich das auch noch machen. Das läuft nicht weg. Jetzt ruhe ich mich erst einmal aus. Petra setzt sich aufs Sofa. Sie macht den Fernseher an und greift automatisch zu der Schale Chips, die von gestern Abend noch dasteht. Chips, Flips und Glotze.

So weit ist es mit dir schon gekommen, denkt Petra. Du wirst immer dicker, immer fauler und immer empfindlicher. Ein Wunder überhaupt, dass Harald noch bei dir ist. Aber bei uns läuft auch nicht mehr viel. Fast jeden Abend surft er im Internet. Und was mache ich? Vor allem den Service.

Petra machen all diese Gedanken Angst. Wenn ich doch nur schnell abnehmen könnte, dann wäre alles wieder gut. Dann wäre ich fitter, besser gelaunt, und Harald hätte wieder Lust auf mich. Ganz bestimmt. Petra beschließt, ab morgen ihr Essverhalten radikal zu ändern, dann würde es ihr nämlich schlagartig besser gehen. Morgen, nicht heute. Dann greift sie wieder zu den Chips.

Sicher kommen Ihnen solche Gedanken bekannt vor. Fast alle Frauen, die zu dick sind oder sich zu dick fühlen, glauben, ihr Leben sähe schlank ganz anders aus. Ich nenne dieses Phänomen den Heile-Welt-Faktor. Die Hoffnung, nach einer erfolgreichen Diät in einer Art Wunderland aufzuwachen, in dem alles besser und schöner ist, es keine Probleme gibt. In dem wir uns rundum in unserer Haut wohl fühlen und von allen anerkannt und geschätzt werden. Das Leben fängt, so meinen viele von uns, erst so richtig an, wenn wir abgenommen und unsere Traumfigur erreicht haben. Dann sind wir gut genug und die Welt liegt uns zu Füßen.

Wenn Sie wissen möchten, wie stark auch Sie an den Heile-Welt-Faktor glauben, dann schreiben Sie doch mal, ohne lange zu überlegen, zehn Sätze mit dem Satzanfang »Wenn ich meine Traumfigur hätte, dann ...« nieder. Unter den vielen Wunschvorstellungen von Betroffenen, die ich gesammelt habe, fand ich folgende am eindrucksvollsten: Wenn ich meine Traumfigur hätte, dann

Wenn Sie genauer in Erfahrung bringen möchten, wie hoch Ihr Heile-Welt-Faktor ist, dann lade ich Sie zu einem kleinen Selbsttest ein.

Selbsttest:
Was bedeutet schlank sein für Sie?

Beantworten Sie die folgenden 20 Fragen. Die zur Auswahl stehenden Antworten bestehen aus Originalaussagen dicker Frauen. Mit welchen Antworten können Sie sich am ehesten identifizieren? Sollten mehrere der Antworten auf Sie zutreffen, dann streichen Sie bitte Ihre Antwort mit der höheren Punktzahl an. Bitte nur eine Antwort pro Frage ankreuzen.

STELLEN SIE SICH VOR, Sie sind schlank. So schlank, dass Sie sich damit gut fühlen. Diese Figur nennen wir Traumfigur. Und dann stellen Sie sich vor, wie sich diese Traumfigur auswirkt auf ...

1 ... Ihre Gesundheit

0   Mit Traumfigur wären meine Schenkel im Sommer, wenn es heiß ist, nicht immer aufgescheuert

1   Mit Traumfigur wäre ich beweglich, fit und hätte mehr Puste

2   Mit Traumfigur wäre ich gesund und fröhlich

2 ... Ihr Sexualverhalten

0   Mit Traumfigur wären manche Sex-Positionen einfacher

1   Schlank hätte ich mehr Spaß am Sex

2   Sex lässt mich jetzt kalt, aber schlank hätte ich mehr Lust auf Sex

3 ... Ihre Umwelt

0   Schlank könnte ich Komplimente eher glauben

1   Schlank wäre ich mit mir und meinen Mitmenschen zufriedener

2   Mit Traumfigur wäre ich für meine Mitmenschen leichter zu ertragen

4 ... Ihre Aktivitäten

0   Auch als Dicke bin ich aktiv und habe Lebensfreude

1   Mit Traumfigur würde ich wieder mehr unternehmen

2   Schlank würde ich viel lieber unter Menschen gehen

5 ... Ihr Essverhalten

0   Um meine Traumfigur zu bekommen und zu halten, müsste ich mein Essverhalten gewaltig umstellen

1   Mit Traumfigur könnte ich auch mal eine Tafel Schokolade essen, ohne schlechtes Gewissen

2   Schlank könnte ich glücklicher sein und müsste nicht immer ans Essen denken

6 ... den Eindruck, den Sie auf andere machen

0   Schlank hätten die Leute einen Grund weniger, um über mich zu lästern

1   Schlank würde man mich um mein Aussehen beneiden

2   Mit Traumfigur würde ich nicht mehr unangenehm auffallen

7 ... Ihre Kontakte

0   Ich nehme auch jetzt leicht Kontakte auf und habe gute Freunde

1   Schlank würde es mir leichter fallen, auf andere Menschen zuzugehen

2   Mit Traumfigur würden die Leute eher auf mich zugehen und mich auch ernster nehmen

8 ... Ihre Kleidung

0   Schlank könnte ich Kleidung in kleinen Größen kaufen

1   Schlank könnte ich modische Kleidung anziehen

2   Schlank könnte ich anziehen, was ich wollte

9 ... Ihren Kleidungsstil

0   Mein Kleidungsstil wäre schlank nicht viel anders als jetzt

1   Schlank wäre meine Kleidung bunter, enger und fröhlicher

2   Mein Kleidungsstil wäre schlank flippiger und sexy

10 ... Ihre Partnerschaft

0   Mein Gewicht ist meinem Partner nicht wichtig

1   Mein Partner würde mich wieder mehr begehren

2   Mit Traumfigur könnte ich meinen Partner um den Finger wickeln

11 ... die Macht in Ihrem Leben

0   Meine Macht im Alltag hängt nur wenig von meiner Figur ab

1   Schlank wäre ich schöner und die Menschen würden mich mit mehr Respekt behandeln

2   Schlank würde ich mein Leben mit links meistern

12 ... Ihren Mut

0   Meist vergesse ich, dass ich dick bin, und mache meinen Mund auf

1   Schlank hätte ich weniger Hemmungen

2   Mit Traumfigur hätte ich Zivilcourage, und andere würden mich dafür bewundern

13 ... den Sinn Ihres Lebens

0   Der Sinn meines Lebens hat mit der Figur nichts zu tun

1   Schlank hätte ich mehr Mut, für mich sinnvolle Dinge zu tun

2   Mit Traumfigur hätten die Dinge an sich mehr Sinn, wenn ich sie tue

14 ... Ihre Schönheit

0   Schlank wäre ich zunächst stolz auf meine Figur, aber diese würde schnell zur Normalität

1   Schlank wäre ich ästhetischer, reiner, klarer, kompakter

2   Schlank wäre ich schön und glücklich

15 ... Ihre Entspannungsfähigkeit

0   Ich kann mich sehr gut entspannen

1   Schlank würde ich mir erlauben, müde zu sein und schlafen zu gehen, wenn ich es will

2   Mit Traumfigur bräuchte ich nicht so viel Entspannung, weil ich viel fitter wäre

16 ... Ihr Selbstvertrauen

0   Abgesehen von meiner Figur finde ich mich ganz okay

1   Schlank könnte ich mich besser abgrenzen, könnte meine Meinung sagen und für mich einstehen

2   Schlank würde ich mich stärker und souveräner fühlen

17 ... Ihre Beziehung zur Männerwelt

0   Als Schlanke würde ich Männern besser gefallen

1   Wenn ich schlank wäre, hätte ich eine Beziehung

2   Mit Traumfigur bekäme ich meinen Traummann

18 ... Ihre Energie

0   Mit Traumfigur hätte ich mehr Energie, weil ich dick schwerfälliger bin

1   Schlank wäre ich viel aktiver und hätte mehr Energie als jetzt

2   Mit Traumfigur ginge ich auf Partys, wäre aktiv und hätte an allem mehr Spaß

19 ... Ihren beruflichen Erfolg

0   Schlank müsste ich im Beruf genauso viel leisten wie jetzt, aber ich hätte es beim Jobwechsel einfacher

1   Schlank könnte ich mir mehr Fehler und Unzulänglichkeiten erlauben

2   Schlank wäre ich im Beruf selbstbewusster und ließe mich von niemandem unterdrücken

20 ... die Reaktion Ihrer Umwelt, wenn Sie einiges abnähmen?

0   Ich würde für diese Leistung bewundert und gelobt werden

1   Ich würde als tolle Frau bewundert werden

2   Ich würde als Mensch anerkannt werden

AUSWERTUNG

Bitte zählen Sie nun Ihre Antwortpunkte auf die Fragen 1 bis 20 zusammen und bestimmen Sie Ihren persönlichen Heile-Welt-Faktor.

HEILE-WELT-FAKTOR 2 (mehr als 33 Punkte):

Sie überfrachten das Schlanksein mit Hoffnungen und Wünschen, die eine schlanke Figur auf keinen Fall erfüllen kann. Warum glauben Sie, dass Sie erst schlank werden müssen, bevor Sie glücklich sein können? Bevor Sie Ihr eigenes Leben in die Hand nehmen dürfen? Jemand hat Sie so stark verletzt, dass Sie sich hinter einem dicken Schutzwall verstecken und Ihr wirkliches Leben auf Sparflamme leben müssen. Wer hat Vorteile, wenn Sie so selbstlos sind? Sie warten auf eine Entschädigung, die irgendwann von irgendwoher kommen soll für Ihr Stillhalten.

Wenn Sie Ihrem Fett die Schuld für Ihre Situation geben, dann geben Sie Ihrem Fett auch die Macht über Ihre Situation. Diese Macht steht Ihrem Fett jedoch nicht zu. Stellen Sie sich lieber Ihren Ängsten, und sehen Sie Ihren Lebenslügen nach und nach ins Auge. Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen.

HEILE-WELT-FAKTOR 1 (19 bis 32 Punkte):

In mancher Hinsicht überschätzen Sie die Segnungen einer guten Figur. Hier ist eine gute Portion Wunschdenken am Werk. Sie schämen sich für Ihre jetzige Figur und halten sich selbst in einem Maße zurück, das Ihnen nicht gut tut. Leider glauben Sie, dass andere Sie genauso streng beurteilen wie Sie selbst. Allerdings ahnen Sie bereits, dass es mit dem Abnehmen alleine nicht getan ist.

Entwickeln Sie mehr Mut zu sich selbst, und finden Sie heraus, weswegen Sie sich hinter Ihrem Fett verstecken.

HEILE-WELT-FAKTOR 0 (0 bis 18 Punkte):

Sie schätzen die Pluspunkte einer schlanken Figur einigermaßen realistisch ein. Ihr Fett scheint nicht viele psychische Aufgaben zu übernehmen. Sie haben mit Ihrem Fett eher technische Probleme. Wenn Sie trotzdem nur sehr schwer abnehmen können, dann dürfte dies eher Gründe haben, die auf der körperlichen Ebene liegen, wie zum Beispiel ein niedriger Grundumsatz. Oder waren es einfach nicht die richtigen Fragen für Sie?

Das Leben findet später statt

Leider sind nicht nur Frauen von erheblichem Übergewicht vom Heile-Welt-Syndrom betroffen, sondern auch etliche, die nur ein paar Pfund zu viel mit sich herumschleppen. Allen gemeinsam ist, dass sie sich von ihrem realen oder imaginierten Fett in ihrer Lebensführung wesentlich beeinflussen lassen. Ich nenne diese Frauen der Einfachheit halber im Folgenden »dicke Frauen«. Wenn Sie also zu den dicken Frauen gehören und wenn Sie zudem noch einen hohen Heile-Welt-Faktor haben, dann ist Ihnen sicher schon aufgefallen, dass Sie ein Leben auf Sparflamme leben, viel zu oft und zu viel warten, eine merkwürdige Scheu an den Tag legen, längst fällige Entscheidungen zu treffen, und dazu neigen, viel zu schnell aufzugeben beziehungsweise gar nicht erst für Ihre Ziele zu kämpfen.

So manche Betroffene verspürt nicht einmal mehr die Lust, sich zu pflegen. »Es lohnt sich nicht für diesen Körper«, sagte mir einmal eine Frau. Aber diese Frau hat nur diesen einen Körper. Wofür lohnt es sich dann, sich selbst etwas Gutes zu tun? Als Außenstehendem kommt es einem vor, als wolle die dicke Frau die Zeit anhalten und sich eine Auszeit nehmen, die gar nicht richtig zählt. Und dann, wenn sie erst einmal schlank geworden ist, würde sie wie Dornröschen aus dem Schlaf erwachen und weitermachen, als hätte es hundert Jahre Dicksein nicht gegeben. Das wirkliche Leben? Das beginnt erst mit dem Schlanksein. Die Gedanken kreisen bis dahin ständig um das Dicksein. Eine Fixiertheit, unter der viele dicke Frauen leiden, wie folgende kleine Geschichte zeigt.

Eine gute Fee kommt zu einer Frau und sagt: »Du hast einen Wunsch frei!«

Die Frau überlegt nicht lange und ruft: »Dünne Oberschenkel!«

»Überlege dir das noch mal ganz genau«, mahnt die Fee. »Die Welt kennt so viel Elend, und mit deinem Wunsch könntest du so viel Gutes tun. Meinst du nicht, dass es etwas kurzsichtig ist, dir dünne Oberschenkel zu wünschen?«

Die Frau überlegt lange. Endlich geht ein Strahlen über ihr Gesicht. »Ja«, sagt sie, »du hast Recht. Ich wünsche mir dünne Oberschenkel für alle.«

Hätte die Fee die Frau gefragt, was denn in ihrem Leben mit dünnen Oberschenkeln anders wäre, so wäre dieser bestimmt viel dazu eingefallen. »Oh«, hätte sie vielleicht gesagt, »ich könnte wieder Hosen anziehen, könnte wieder ins Schwimmbad gehen, meine Ehe wäre glücklicher, und meine Kinder würden mehr auf mich hören.«

Fragt man Betroffene, woran sie ihr Fett hindert, hört man beispielsweise folgende Antworten:

»Das Fett behindert mich im Beruf, denn ich lasse mir vieles gefallen, weil ich mir sage: Petra, wenn du schon so fett bist, dann musst du durch andere Qualitäten glänzen. Dies sind zum Beispiel Zuverlässigkeit, Einsatzbereitschaft und Nettigkeit«, sagt Petra S.

»Das Fett hindert mich daran, Kontakte zu Männern zu knüpfen, zu flirten, zu mir zu stehen und Sicherheit auszustrahlen. Es macht mich faul und träge. Dann bleibe ich lieber im Jogginganzug zu Hause und gehe abends nicht mehr raus«, so Marita, 27 Jahre, Betriebswirtin, 87 Kilo.

»Es hindert mich daran, meine Lebensziele und -inhalte zu finden. Es hindert mich am Führen eines glücklichen und unkomplizierten Lebens«, meint Nadine, 24 Jahre, Bankkauffrau, 75 Kilo.

»Bei allen schönen Dingen, die ich machen möchte, denke ich, wenn man dick ist, kann beziehungsweise darf man das nicht tun«, Maria, 37 Jahre, Hausfrau, 81 Kilo.

»Es hindert mich am Atmen, am Leben und am Nehmen, was ich brauche«, Yvonne, 23 Jahre, Studentin, 70 Kilo.

Eine Frau brachte es auf den Punkt: »Es hindert mich am Glücklichsein.« Wer so denkt, der kann ja nur noch auf die schlanke Zukunft hoffen! – Und was machen diese Frauen, bis es so weit ist? Ausgleichsarbeiten. Diese Zugaben, wie ich sie nennen will, setzen sich aus vorauseilendem Gehorsam, Beschwichtigungsverhalten und kostenlosem Service zusammen.

»Im Beruf arbeite ich mehr als meine gleichgestellte Kollegin, ich merze ihre Fehler aus und versuche, mich unentbehrlich zu machen. Privat versuche ich, die Wohnung in Ordnung zu halten. Ich koche und wasche und versuche alles in allem, mir keine Nachlässigkeiten durchgehen zu lassen. Ich bin fast perfektionistisch und immer angespannt«, Heidi, 33 Jahre, Sekretärin, 97 Kilo.

»Wenn man schon dick ist, dann muss man hilfsbereit sein in der Familie, möglichst nicht widersprechen, beim Sex alles mitmachen«, Patrizia, 40 Jahre, Verkäuferin, 81 Kilo.

»Ich schweige oft, auch wenn ich etwas zu sagen hätte. ›Nur nicht auffallen!‹ ist meine Devise. Ich übernehme unbeliebte Arbeiten, und wenn jemand fehlt, springe ich so oft wie möglich ein. Wegen meines Fettes habe ich permanent ein schlechtes Gewissen. Als ich eingestellt wurde, wog ich 57 Kilo. Ich weiß genau, dass mich mein Chef mit meinem heutigen Gewicht nicht mehr einstellen würde«, Ellen, 32 Jahre, Bankkauffrau, 76 Kilo.

»Ich bin grundsätzlich immer hilfsbereit, eigentlich schon ein gutmütiger Trottel. Meist bin ich zu nett und habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich einmal meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse vor die der anderen stelle«, Arabella, 35 Jahre, Ärztin, 71 Kilo.

Dicke Frauen haben das Gefühl, durch ihre Figur ein Manko zu haben. Um dieses auszugleichen, bringen sie noch eine Zugabe. Je geringer das Selbstwertgefühl der dicken Frau ist, desto größer ist ihre Zugabe. Auf diese Weise versucht sie, sich aufzuwerten und unentbehrlich zu machen. Pech für die dicke Frau, denn: Die Zugabe wird von den anderen als selbstverständlich genommen.

»Ich kann mich nicht durchsetzen und gebe schnell nach aus Angst, ausgegrenzt und nicht mehr gemocht zu werden«, Ulrike, 38 Jahre, Telefonistin, 79 Kilo.

»Ich bin Chefsekretärin und habe einen cholerischen Chef. Bei ihm haben es meine Vorgängerinnen immer nur kurze Zeit ausgehalten. Ich bin quasi die Erste, die seine Schreierei und seine Launen seit Jahren erduldet. Ich muss dann immer viel essen, wenn ich nach Hause komme. Mein Chef weiß aber, was er an mir hat. Zu Weihnachten bekomme ich dafür immer eine Kiste Wein. Eigentlich trinke ich ja keinen Alkohol, aber das interessiert ihn nicht. Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich sogar ein bisschen stolz darauf, dass ich so viel aushalten kann«, Margret, 51 Jahre, Chefsekretärin, 97 Kilo.

»Ich bin demütig, dankbar, nicht aufsässig. Für meine Rechte einzustehen wage ich nicht. Meine Unterwürfigkeit macht meinen Mann und meine Kinder ziemlich aggressiv«, Gisela, 44 Jahre, Arbeiterin, 98 Kilo.

Manche lassen es zu, dass ihre Mitmenschen in ihrem Fett einen Freifahrtschein sehen, sie schlecht zu behandeln. Wenn Sie zu den Frauen gehören, die eine Zugabe anbieten, dann fangen Sie noch heute damit an, diese allmählich zu reduzieren. Denn diese Zugabe macht Sie immer kleiner und minderwertiger. Irgendwann glauben Sie dann, nur wegen der Zugabe geliebt, respektiert oder anerkannt zu werden.