König Hussein von Jordanien ringt mit dem Tod. Anhaltende Spekulationen um seine Nachfolge verschärfen die Sorge um die politische Stabilität im Nahen Osten. Die NASA-Raumsonde Stardust ist von Cape Canaveral aus ins All gestartet, um Staubpartikel aus dem Koma des Kometen Wild 2 zur Erde zu bringen. Ziel der Mission: Erkenntnisse über die Entstehung des Universums. Bundeskanzler Schröder begrüßt die neue EU-Richtlinie zur Liberalisierung der Strommärkte. In Jacksonville, Florida, verliert die deutsche Nationalelf gegen die Auswahl der USA mit 3:0. Kaltluft im Norden verlagert sich westwärts und bringt …
Durch Ziehen des Zündschlüssels beendet ein junger Mann die 22-Uhr-Nachrichten aus seinem Autoradio und wirft die Fahrertür hinter sich zu. Er ist auf dem Weg zu einer Party. Sein Name ist Fleck. Bei seinem eigentlichen Namen nennt ihn seit seiner Schulzeit keiner mehr, er sich selber auch nicht. Es ist kalt, er geht schnell. Die Taschensäume seiner Jeans schneiden ihm in die Handrücken. Ein Abend im Spätwinter 1999, dem letzten Jahr des alten Jahrtausends.
Fleck ist einunddreißig, ein Alter, in dem in den letzten Jahren des alten Jahrtausends die Midlife-Crisis quasi vor der Tür steht. Er sieht nicht schlecht aus, in den Augen mancher Leute sogar gut, allerdings auf eine beinahe unzeitgemäße Weise, nicht dem Schönheitsideal entsprechend, nach dem etwa die Kühlergrills der Autos dieser Zeit gestaltet sind – weit auseinanderliegende Augen, schräg zulaufende Brauen, platte, brutal wirkende Nase –, eher dem vergangener Zeiten, schmal, hoch, europäisch, der Art Gesichter, wie sie einem aus alten Porträtbildern entgegensehen, oder, um im Bild zu bleiben, der sachlichen Front eines Siebzigerjahre-Coupés; gut, aber nicht unverschämt gut, will sagen sein Gut-Aussehen führt nicht zu einer anhaltenden Verzerrung der Kräfteverhältnisse im Umgang mit anderen Menschen. Nach dem Abitur hat er eine Weile herumstudiert, Orchideenfächer wie Theaterwissenschaften und Germanistik. Er hat Seminare in Philosophie und Psychologie belegt, halbherzig versucht, auf die Filmhochschule aufgenommen zu werden, und sich sogar, dem plötzlichen Impuls folgend, etwas Vernünftiges zu machen, ein Semester lang für Rechtswissenschaften eingeschrieben. Irgendwann hat er den Schulgeruch nicht mehr ertragen, den Dunst von Bohnerwachs und Lernschweiß, den er inklusive Gymnasiumszeit fünfzehn Jahre eingeatmet hatte, und die Uni verlassen. Ein paar Jahre hat er in einer kleinen Werbeagentur gearbeitet, ein Zufallsjob, den ihm ein Freund verschafft hat und den er in dem Moment hinschmiss, als ihm seine Großmutter, eine kühle, depressive alte Dame, zu der er nie ein besonderes Verhältnis hatte, einige Tausend Mark hinterließ. »Ihrerseits ist aufgrund dieses Bescheids weiter nichts veranlasst«, hatte auf dem Schreiben vom Nachlassgericht gestanden. Während des Kündigungsgesprächs in seiner Agentur hat er auf Zweifel gewartet, etwa ob es richtig sei, der Arbeitswelt und den Kollegen den Rücken zu kehren. »Ist das dein Ernst?«, hat seine Chefin gefragt, als er den gewissen Satz ausgesprochen hatte, nicht ohne Kränkung im Blick über die mangelnde Bedeutung ihrer Person und ihrer Firma in Flecks Leben. Fleck hat genickt. »Gut, dann bist du draußen.« Und Fleck hat festgestellt, dass er niemals hatte drinnen sein wollen, nicht eine Stunde, weder in dem Drinnen einer Werbeagentur noch in irgendeinem anderen.
Fleck ist angekommen, drückt die Klingel. Es ist lange her, dass er einer Einladung gefolgt ist. Mindestens drei Monate hat er ein Schneckenhausdasein geführt. Auslöser war ein Mädchen, das sich nach ein paar unschönen Vorfällen aus seinem Leben verabschiedet hat. Eine Abtreibung spielte eine Rolle. Er hat selbst gestaunt, wie sehr ihn diese Trennung aus dem Tritt gebracht hat. Etwas wegmachen zu lassen bedeutet eben nicht, dass es auch tatsächlich weg ist. Der Öffner surrt. Fleck drückt mit der Schulter die Haustür auf, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen. Durchs Treppenhaus hallt Musik. Er zögert kurz.
Eine kleine Zweizimmerwohnung voller lärmender Leute, knapp hundert Menschen auf fünfzig Quadratmetern, die sich im Flur aneinander vorbeiquetschen, in Hockstellung am Boden kauern, sich vor dem Klo stauen, wo sich im Badewannenwasser die Etiketten der Bierflaschen lösen. Es ist Faschingssaison. Masken und Kostüme, wie man ihnen gerade überall auf der Straße begegnet, sieht man hier nicht. Die meisten Gäste sind Studenten der Kunstakademie, einige von ihnen kennt Fleck aus einem vergangenen Früher. Leonhard, dessen großformatige Arbeiten überall an der Wand hängen, feiert Geburtstag. Gerade drängt er vorbei, verschwitzt und rot im Gesicht vor Hingabe an die Gastgeberrolle. Er trägt eine Kurzsichtigenbrille mit mächtigem Rahmen und gibt Fleck einen Kuss ans Kinn.
»Mann, Fleck, schön, dass du da bist. Dich kriegt man ja gar nicht mehr zu Gesicht!«
Durchs Gedränge zerrt er seinen Freund hinter sich her, einen kleinen blonden Polen mit Skinfrisur, der kaum Deutsch spricht und den er als Staszek vorstellt. Fleck schiebt sich in die Küche und schüttet kurz hintereinander zwei Pappbecher Gin Tonic in sich hinein. Ich muss Gehen, Stehen, Reden in Gesellschaft wieder lernen, denkt er. Eine Weile starrt er auf eins von Leonhards Bildern. Zu seinen Werbeagenturzeiten hat er in denselben Kneipen abgehangen wie diese Akademie- und Filmschüler, weil er sich einbildete, dieselben Interessen wie sie zu haben. Mit Leonhard hat er sich ein paar Mal besoffen, seine Bilder kennt er nicht. Drei nackte Jungs in einem offenen Cadillac mit Heckflügeln. Na ja.
»Du magst mich nicht, stimmt’s?«, sagt eine Stimme mit amerikanischem Akzent.
»Wer? Ich?«
»Ja, du.«
»Warum?«
Das Mädchen hat einen merkwürdig breiten Mund mit großen Zähnen, glatte schwarze Haare, die ihr im Pony in die Stirn hängen. Nicht unbedingt hübsch, aber fröhlich, selbstsicher, betrunken. Fleck ist sich nicht bewusst, sie überhaupt angesehen zu haben.
»’cause you look sinister.«
Fleck schaut.
»This boy is nett, aber he doesn’t like me«, meint sie zu einem großen Schwarzhaarigen, der neben ihr steht. »He’s sinister.«
Der Schwarzhaarige könnte der Bruder des Mädchens sein. Flächiges, beinahe asiatisch wirkendes Gesicht, die Haare bläulich schimmernd und glatt. Er legt ihr den Arm um die Schulter und prostet Fleck zu.
Sinister heißt finster, überlegt Fleck, war es nicht so? Böse, link.
»Chicks forced to dance!«, schreit die Amerikanerin und fängt an, auf und ab zu springen. Sie packt den Schwarzhaarigen und zieht ihn über die Schwelle ins nächste Zimmer, wo die Leute zu wie mit Puppenstimmen gesungenen japanischen Schlagern tanzen. Die zwei Gin Tonic kommen allmählich in Flecks Kopf an. Der Schmerz stellt sich gar nicht ein, denkt er. Offensichtlich darf ich ungestraft Teil einer Menge sein. Jemand gibt der Reihe, in der er steht, einen Stoß, er verliert das Gleichgewicht, stolpert ins Tanzzimmer, stößt gegen die Wand und verschüttet seinen Drink. Schöne Party, sagt er sich.
»Ich bin Janet«, ruft die Amerikanerin und hüpft mit grotesk wedelnden Armen vor ihm in die Höhe.
»Das ist Janet«, echot der Schwarzhaarige und greift ihr von hinten an die Brüste. »Janet und ich heiraten. Stimmt’s, Bitch, wir heiraten! Hey, du da, was sagst du?«
Janet hebt die Arme, fasst hinter sich und zieht den Schwarzhaarigen an seinen schwarzen Haaren zu sich herunter. Nachdem sie ihn geküsst hat, sieht der Schwarzhaarige zu Fleck hinüber, schüttelt sich wie ein Comic-Hund und verdreht die Augen. Der ganze Raum tanzt. Alle hüpfen durcheinander, dass der Boden vibriert. Wirklich schöne Party, denkt Fleck.
Dann steht er mit dem Schwarzhaarigen, von dem er inzwischen weiß, dass er Jan heißt und ebenfalls Kunst studiert, in der Küche vor dem zermatschten Buffet, wo Kuchen, Nudelsalat, Käsereste und Joghurtnachspeise zusammen mit verschüttetem Rotwein eine bröckelige Masse bilden. Sie trinken Wodka und Gin gemischt mit lauer Cola und Tonic, das in offenen Plastikflaschen herumsteht. Gemeinsam hacken sie mit dem Brotmesser aus dem Eisfach des Kühlschranks Gefrierreif für ihre Drinks. Fleck fühlt sich gut.
»Das mit dem Heiraten«, sagt er, »meinst du das ernst?«
»Klar, warum nicht?«
»Mit Standesamt und allem?«
Jan nickt. »Im Mai. Wonnemonat und so. Janet wird die Mutter meiner Kinder. Mindestens sechs will ich haben.«
Jan lacht laut. Fleck sieht ihn an.
»Wie alt bist du?«
»Neunundzwanzig, yeah.«
»Und Janet?«
»Fünfundzwanzig.«
»Wie lang kennt ihr euch?«
»Halbes Jahr, bisschen länger.«
»Den gleichen Namen habt ihr ja schon. Aber heiraten? Ist das nicht … übertrieben?«
»Wieso übertrieben? Wir lieben uns. Irgendwann muss man es halt tun.«
»Meine Eltern waren auch verheiratet«, meint Fleck unbestimmt.
»Man muss es halt anders machen. Sich gegenseitig die Freiheit lassen. Vielleicht nicht mal zusammenziehen, jeder seine eigenen Freunde und so, eben wie wir bisher auch gelebt haben. Wieso soll ich sie nicht heiraten, Mann? Sieht sie nicht geil aus? Wir lieben uns, verstehst du? Den Rest sehen wir schon. Müssen wir deswegen gleich auf ein Häuschen sparen und Kreuzworträtsel lösen?«
Janet kommt herein, drückt Jan die Zunge in den Mund und sagt gleichzeitig: »Come on, baby, tanz mit mir. It’s my favorite song.«
Der künftige Gatte scheint keine Lust zu haben. Da greift das Mädchen nach Flecks Hand und zieht ihn ins Tanzzimmer. Leute sind gegangen, nun ist Platz. Fleck lässt sich von Janets ausladenden Bewegungen anstecken. Er tanzt zum ersten Mal seit langer Zeit. Die Musik wird ruhiger, Janet wirft sich ihm in die Arme, immer noch mit ausladenden Bewegungen, sie kommen aus dem Gleichgewicht, lachen. Katzenartig sieht sie zu ihm herauf, legt den Kopf an seinen Hals und schließt sich an ihn an, wie um herauszufinden, wie ihre Körperformen ineinanderpassen. Die macht mich an, denkt Fleck erstaunt. Jan kommt rein, lehnt sich in den Türrahmen und sieht ihnen zu, ohne dass es ihn zu stören scheint. Fleck genießt Janets Nähe und gibt sich Mühe, es vor Jan zu verbergen. Janet untersucht tastend seinen Rücken, die Flanken, seinen Hintern. Jan redet mit jemandem, dreht ihnen den Rücken zu. Als er wieder in die Küche verschwunden ist, wagt Fleck, Janets Berührungen zu erwidern. Janet dreht sich in seinen Armen, wendet ihm den Rücken zu und schiebt ihn, indem sie sich an ihn anlehnt, gegen die Wand, wo sie, wie sie es vorher mit Jan gemacht hat, hinter sich fasst und seinen Kopf zu sich herunterzieht. Sie küsst ihn. Offenbar geht das, denkt Fleck. Offenbar machen die das so.
Um halb vier haben die meisten Gäste die Party verlassen.
»Du bist ein okayer Typ«, sagt Jan zu Fleck, als sie wieder in der Küche stehen, Alkoholreste zusammenschütten und rauchen.
»Selber«, erwidert Fleck.
Janet erzählt von einem misslungenen Konzert ihrer eben gegründeten Girlieband, Leonhard von den Sake-Besäufnissen während eines Japanaufenthalts seiner Akademieklasse. Drüben im Tanzzimmer liegt Leonhards polnischer Freund betrunken auf einer Matratze und wird von einer ebenso betrunkenen Freundin in den Schlaf gestreichelt. Eine wirklich schöne Party, die allmählich zu Ende geht. Fleck überlegt laut, wie er heimkommen soll.
»Bist du mit dem Auto da, du Idiot?«, fragt Leonhard. »Du fährst nicht mehr, dass das klar ist. Janet und Jan, ihr bleibt doch auch? Wir haben meine Matratze, irgendwo gibt’s noch eine, da ist nur noch Birgit, wir kommen klar.«
Schließlich liegen alle mehr oder weniger angezogen, provisorisch mit Schlafsäcken und Wolldecken zugedeckt im Tanzzimmer: Gastgeber-Leonhard mit seinem Freund und Birgit auf der einen Matratze, Janet, in der Mitte zwischen Jan und Fleck auf der anderen. Die Skalenbeleuchtung des Verstärkers ist das einzige Licht im Raum, leise Musik, gedämpftes Reden und Kichern, ab und zu ein müder Satz von einer Matratze zur anderen. Fleck bemerkt, wie Janet anfängt, ihn an der Brust zu berühren, nur mit dem Fingernagel durchs T-Shirt, spielerisch und zufällig. Sie fährt an seinem Körper herunter, ohne Eile, ohne besondere Absicht. Offenbar geht das, offenbar machen die das so. Genauso vorsichtig berührt er Janet nun ebenfalls, durch ihr Shirt hindurch, fährt so langsam, dass seine Bewegung Zufall sein könnte, nach unten, hebt den Rand ihres Shirts auf und streicht mit der Hand über ihre nackte Haut. Eine dritte, größere, rauere Hand mischt sich ein: Jan, der gemerkt zu haben scheint, warum sie beide so still geworden sind. Janet öffnet den obersten Knopf von Flecks Hose, dann die übrigen, Fleck fährt in ihren Hosenbund, was sie ihm durch Einziehen des Bauches erleichtert, Jan streicht mit der Hand über Flecks Bauch, Fleck greift über Janet hinweg unter Jans T-Shirt und befühlt seine haarige Brust. Als Flecks Mittelfinger in Janets Möse eindringt, seufzt sie leise, greift in bekannter Weise hinter sich, biegt Jans Kopf zu sich herunter und küsst ihn.
»There must be justice«, flüstert sie, dreht sich zu Fleck, sucht seinen Mund und lässt ihre Zunge hinter seine Zähne gleiten.
Jan stützt sich auf den Ellenbogen und sieht zu, wie seine Freundin Fleck küsst. Im Dunkeln glitzern seine Augen. Er beugt sich über Janet, die jetzt mit den Lippen an Flecks Kehlkopf herumzupft, drückt seinen Mund auf den von Fleck und greift hinunter nach dessen Schwanz. Auch Fleck fasst nach unten. Ein unerwartet erregendes Gefühl, mit einem Mann im Bett zu liegen. Zwei Schwänze statt einem. Dass der von Jan kleiner ist als sein eigener, erfüllt ihn mit einer gewissen Befriedigung.
»Was geht ab da drüben?«, fragt Gastgeber-Leonhard laut ins Rascheln der Schlafsäcke.
Janet und Jan kichern. Auch von der anderen Matratze hört man Geräusche von Küssen und Berührungen, wahrscheinlich Leonhard und Staszek, das Mädchen Birgit schläft bereits oder tut so.
»Do you mind me suck another man’s cock?«, flüstert Janet ihrem Freund zu und rutscht, ohne eine Antwort abzuwarten, unter der Decke an Fleck hinunter. Fleck spürt, wie Janets Lippen seinen Schwanz umschließen, und drückt seine Zunge tiefer in Jans Mund. Jan erwidert seine Heftigkeit fast unangemessen hart, seine stoppeligen Wangen kratzen in Flecks Gesicht, dennoch ist mit Händen zu greifen, dass er nicht mehr richtig bei der Sache ist: Jans Schwanz in Flecks Hand wird biegsam, kleiner, schlaff. Mechanisch streicht er auf Flecks Brust herum, lässt schließlich von ihm ab und zieht sich auf seine Seite zurück. Janet kommt hoch und sucht die Augen ihres Freundes.
»Ich glaub, ich will gehen, Süße«, sagt Jan. Er spricht leise, aber sachlich und entschieden. Draußen dämmert es, die Skalenbeleuchtung des Verstärkers leuchtet weniger hell, die Konturen des Zimmers treten hervor, auf der Nachbarmatratze zeichnet sich ein unordentlich bewegtes Gebirge ab.
»Okay«, sagte Janet. Es klingt wie eine Frage.
Fleck ist maßlos enttäuscht. Warum kann es nicht weitergehen, wie es angefangen hat? Da ist er ja doch, der Altteilehaufen bürgerlicher Treuemoral, mit dem Jan angeblich nichts zu tun haben will. Warum können sie nicht noch eine Weile bleiben in diesem paradiesischen Zustand, wo es nur Lust gibt und die Neugier auf den Körper des anderen? Wenn er ehrlich ist, kann er Jans Gefühle durchaus nachempfinden. Er reagiert, wie jeder Mann reagiert, der merkt, dass »seine« Frau auch mit einem anderen Spaß haben kann: Er fängt an, an seinen Fähigkeiten als Liebhaber zu zweifeln, an seinen Qualitäten überhaupt, er bekommt es mit der Angst. Es ist klar, dass Jan seine Freundin nicht mit ihm teilen will.
Janet scheint weder glücklich noch unglücklich, dass die Sache an dieser Stelle zu Ende ist. Fast hätte sich Fleck gewünscht, sie würde Widerstand leisten. Mit ihrem Gesicht kommt sie dicht an seines, sieht ihm in die Augen und küsst ihn lange auf den Mund. Auch Jan küsst ihn auf den Mund. So nah sei er einem Mann noch nie gewesen, flüstert er, es klingt ehrlich, voller Einsicht in seine Eifersucht, aber das, das müsse er jetzt erst mal verarbeiten. Leise steht er auf.
Drüben raschelt es.
»Geht ihr?«, fragt Leonhard. Sein Gesicht sieht weiß unter der Decke hervor.
»Ja«, meint Jan knapp.
»Jetzt? Mitten in der Nacht?«
Janet und Jan ziehen sich an. Noch einmal beugt Janet sich zu Fleck herunter, küsst ihn mit der Zunge. Jan tut das Gleiche, fast wie zur Entschuldigung, sagt »Schlaf gut«, und: »Das nächste Mal machen wir’s richtig.« Dann verlassen beide den Raum.
Fleck kommt sich liegen gelassen vor auf der unbezogenen Matratze mit seiner Erektion. Hilfloser Ärger steigt in ihm auf. Natürlich wird es zu einem nächsten Mal nicht kommen. Der Moment ist vertan. Im Zimmer wird es heller, er fühlt sich plötzlich unangenehm nüchtern. Aus der anderen Ecke hört man tiefe, regelmäßige Atemzüge. Morgen mithelfen, den ganzen Scheiß aufzuräumen? Nee. Jedes Geräusch vermeidend angelt er nach seinen Kleidern neben der Matratze, zieht sich an, greift sich im Gang seine Jacke und drückt sich aus der Tür.
Während des unruhigen Schlafs am Vormittag hat Fleck einen Traum. Zunächst nur ein Gefühl, eine körperliche Empfindung, dann erst stellt sich das Bild dazu ein. Sein Zeigefinger ist von etwas Weichem, Warmen, Feuchtem umschlossen: Er steckt in einer Vulva. Die Vulva gehört nicht zu einem individuellen Körper, sie ist isoliert, ohne Zusammenhang, gleichsam anonym. Sein Zeigefinger gleitet darin auf und ab. Flecks Blick fährt zurück, andere weibliche Geschlechtsorgane tauchen auf, große, kleine, es werden immer mehr. Ein fleischfarbenes Gebilde voller Öffnungen, überall Poren wie ein Schwamm, und in jeder Pore steckt ein Zapfen, ein männliches Geschlechtsteil, Tausende von Penissen unterschiedlichster Größe und Stärke, die sich, wie Raubfische in ein Beutetier, wie Würmer in einen Klumpen Fleisch, in die kleinste Öffnung des Gebildes bohren und es wie besessen penetrieren. Tausendfaches Schmatzen und Schnalzen liegt in der Luft. Während Fleck aus der Nähe so etwas wie Lust verspürt hat, empfindet er jetzt Ekel. Sein Blick entfernt sich weiter, aus dem Schmatzen wird ein betäubendes Vibrieren, das fleischfarbene Gebilde zeigt sich in seiner ganzen Riesenhaftigkeit, rund, bis zum Platzen aufgewölbt, aus Abermillionen von geilen Löchern und fickenden Schwänzen bestehend. Groß wie ein Planet schwebt es im leeren Raum, pumpend, exzessiv, hemmungslos. Mit zunehmendem Abstand wird es kleiner, wird zu einem Himmelskörper, zu einem summenden Stäubchen. Andere summende Stäubchen geraten ins Blickfeld, immer mehr von ihnen, die sich zu einer Wolke verdichten, die Wolke wird zu einer Schnecke mit weiten Windungen, die sich majestätisch wummernd durch die Jahrmillionen schraubt. Es gibt nur noch Paarung, Begattung, Kopulation, hat nie etwas anderes gegeben, eine große Zeugungsmaschine, ein geiler Mahlstrom, der mit weit ausgreifenden Tentakeln ins All hineingreift, es einschlürft, in sich ballt und in seiner Mitte durch einen kosmischen Abfluss ins Nichts vergurgelt.