Josef Baierlein

 

Unschuldig verurteilt

 

Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung und Druckvorbereitung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke


2018 andersseitig.de

ISBN

9783961187225 (ePub)

9783961187232 (mobi)




andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


info@new-ebooks.de


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Inhalt

Impressum

I.

II.

III.

IV.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

 

I.

Im Hause des Gütlers Valentin Schmiedkonz im oberpfälzischen Dorf Zirkenreuth waren Trauer und Bekümmernis eingekehrt. Denn gestern hatte sich der Gerichtsdiener von Waldsassen eingefunden und unter anderen Militärpflichtigen auch dem Gütlerssohn Wolfgang Schmiedkonz den Befehl zugestellt, sich am andern Tage nach dem Amtssitz zu begeben, um von dort aus mit den übrigen Rekruten zu seinem in Amberg garnisonierenden Regiment gebracht zu werden. Das war der Grund, weshalb im Schmiedkonzschen Hause Kummer und Bestürzung herrschten.

»Ach!« jammerte Wolfgangs alte Mutter, »ist es denn nicht genug, daß wir schon zwei Söhne verloren haben? Unser Franz und der Thomas sind in Rußland gefallen; wir können nicht einmal ihre Gräber besuchen, um an diesen für ihre Seelen zu beten. Und nun nimmt man uns den letzten Sohn auch noch! Hat denn der Kaiser Napoleon kein Gewissen? Fürchtet er sich nicht vor dem Gericht Gottes, wenn er einmal Rechenschaft geben muß wegen des vielen Bluts, das seinetwegen geflossen ist? Denn sicher und gewiß muß unser König die jetzt neu ausgehobenen Soldaten auch wieder dem Franzosenkaiser zuschicken, damit der sie auf die Schlachtbank führen kann.«

»Laß es gut sein, Marianne,« suchte der Gütler seine Frau zu trösten, »das Klagen hilft ja doch nichts. Drum ist es besser, sich in den Willen Gottes ruhig zu ergeben. Freilich tut es weh, sein eigenes Fleisch und Blut für einen fremden Kaiser hinopfern zu müssen, der das deutsche Volk nicht liebt, sondern uns stets nur Böses zugefügt hat. Aber vielleicht ist die Zeit der Vergeltung schon näher, als man glaubt.«

»Wie soll ich deine Rede verstehen?« fragte die Frau.

»Als ich neulich die Steuern aufs Rentamt trug und dann beim Lammwirt einkehrte, wurde dort allerlei erzählt, wovon man in unserm kleinen Dörfchen nichts oder nur wenig erfährt. Und wenn nur die Hälfte von dem, was ich gehört habe, wahr ist, dann scheint das Glück Napoleons im schnellen Abnehmen zu sein.«

»Das würde ich dem Menschenschlächter gönnen! Was erzählen sich denn die Leute?«

»Daß der Kaiser in Rußland die schönste und bestausgerüstete Armee verlor, die Europa jemals gesehen hat, ist dir ohnehin bekannt, Marianne. Verloren ja im vorigjährigen strengen Winter auch unsere zwei Söhne auf den russischen Schneefeldern das Leben. Von 600 000 Mann, die der Kaiser zum Kampf gegen Rußland zusammenbrachte, erreichten nur mehr 50 000 Flüchtlinge die deutsche Grenze; alle anderen waren tot oder gefangen. Deshalb braucht Napoleon neue Soldaten, und darum hat man jetzt auch noch unsern Wolfgang einberufen. Aber, wie gesagt, die Zeit der Vergeltung scheint nahe zu sein. Rußland führt nicht mehr allein den Krieg gegen den Franzosenkaiser, sondern auch Preußen kämpft jetzt gegen ihn, und wenn auch Österreich sich auf die Seite Preußens schlagen sollte, was man allgemein hofft, dann wäre Napoleons Glücksstern bald zum Verlöschen gebracht. Mit Schimpf und Schande würde dann der welsche Kaiser aus Deutschland hinausgejagt.«

»O, wenn dies doch geschähe, ehe unser Wolfgang mit seinem Regiment von Amberg abmarschieren muß!« seufzte Frau Schmiedkonz.

Der Gütler zuckte die Achseln.

»Ob Napoleon seinen verdienten Lohn schon so schnell erhält,« sagte er, »das weiß ich nicht. Wir wollen alles der Vorsehung und dem heiligen Willen Gottes überlassen.« – –

Dieses Gespräch wurde, wie schon aus seinem Inhalt hervorgeht, im Frühjahr 1813 geführt, also wenige Monate nach dem unglücklichen Feldzug, den Kaiser Napoleon I. gegen Rußland geführt hatte, und an welchem auch eine 30 000 Mann starke bayerische, auf Seite der Franzosen kämpfende Armee beteiligt gewesen war. Denn als Mitglied des Rheinbundes hatte Bayern dem französischen Kaiser Heeresfolge leisten müssen.

Aber der Untergang der »großen Armee« Napoleons in Rußland, der von ganz Europa wie ein Gottesgericht betrachtet wurde, gab Anstoß zu einer allgemeinen politischen Umwälzung in Deutschland. Zuerst stellte Preußen sich an die Seite Rußlands und erließ am 27. März 1813 die förmliche Kriegserklärung an Frankreich; dann erfolgte am 12. August die österreichische Kriegserklärung und am 14. Oktober jene Bayerns, nachdem es sich von Frankreich losgesagt und im Vertrag von Ried am 8. Oktober 1813 mit Österreich verbündet hatte.

So kam es, daß Napoleon die dreitägige große Schlacht bei Leipzig vom 16. bis 18. Oktober 1813, die sogenannte Völkerschlacht, mit seinen Franzosen allein gegen die Heere der verbündeten Mächte Preußen, Rußland und Österreich schlagen mußte. Er erlitt dabei eine entscheidende Niederlage, indem er 30 000 Mann an Toten und Verwundeten, 15 000 Gefangene und 300 Geschütze verlor. Aber auch die Alliierten beklagten den Verlust von 51 000 Mann an Toten und Verwundeten.

Doch der Sieg der verbündeten Armeen war des Preises wert, mit dem er bezahlt werden mußte. Napoleons Weltmacht war vernichtet, und Deutschland mit einem Schlage frei bis an den Rhein! Rechts des Rheins hatte der Franzosenkaiser nichts mehr zu befehlen! –

Um den Trümmern der nach der Leipziger Schlacht dem Rhein zufliehenden französischen Armee noch möglichst viel Schaden zuzufügen und sie, wenn es glückte, etwa ganz aufzureiben, machte sich eine aus Bayern und Österreichern zusammengesetzte Heeresabteilung in der Stärke von 40 000 Mann vom Innviertel aus eiligst auf den Marsch. Sie beabsichtigte, Napoleon, der noch über ungefähr 60 000 Mann Truppen verfügte, den Weg nach Frankreich abzuschneiden und ihn noch einmal zu einer Schlacht zu zwingen. Dieses österreichisch-bayerische Korps stand unter dem Befehl des bayerischen Generals von Wrede; es bewegte sich in Eilmärschen über Würzburg und den Spessart nach Westen, und seine Vorhut traf in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1813 bei der damals hessischen Stadt Hanau ein. –

In den kurzen Zeitraum nun vom Frühjahr bis Ende Oktober 1813 fällt die merkwürdige Geschichte, welche ich meinen jungen Lesern in den folgenden Blättern erzählen will. Innerhalb der welthistorischen Begebenheiten, die sich in jenen Monaten abspielten, bildet sie eine nicht weniger erschütternde Episode aus dem Lebensgang eines einzelnen Menschen.

 

II.

Nach einem tiefbewegten Abschied von seinen schmerzerfüllten Eltern machte Wolfgang Schmiedkonz sich auf den Weg, um dem Befehl des Gerichts nachzukommen. Er war ein schöner Jüngling von hohem schlanken Wuchs und guter Haltung. Auf seinen Wangen lag das Rot der Gesundheit; die Augen schauten frei und mutig in die Welt, und die einnehmenden Züge seines Gesichts verrieten ein gutes Gewissen und ein unverdorbenes Herz. Schon sein Äußeres ließ darauf schließen, daß er einen tüchtigen Soldaten abgeben würde, und da ihm auch kein innerliches Gebrechen anhaftete, war kein Zweifel möglich, daß er zum Militärdienst tauglich war. Wolfgang hatte sich auch keinen Augenblick der Hoffnung hingegeben, etwa doch frei zu werden. Obwohl er nach dem Tod seiner zwei älteren, im russischen Krieg gefallenen Brüder nur mehr die einzige Stütze seiner alten Eltern war, und es ihn schwer bekümmerte, sie jetzt allein und sich selbst überlassen zu wissen, war ihm doch zu gut bekannt, daß auf diesen Umstand in den damaligen kriegerischen Zeitläuften keine Rücksicht genommen wurde. Napoleon verbrauchte so viel Menschenmaterial und hatte gerade jetzt, nach den schrecklichen Verlusten in Rußland, so dringend neue Soldaten nötig, daß er in der Einziehung der Blutsteuer unersättlich war. Er schonte nicht einmal Frankreich, sein eigenes Land, sondern ließ fortgesetzt neue Rekruten ausheben, bis man darin, wie gleichzeitige Geschichtsschreiber versichern, fast nichts anderes mehr fand, als Kinder, Greise und Krüppel. Noch viel weniger Erbarmen hatte er mit den ihm verbündeten deutschen Ländern, und da der bayerische König Max Joseph I. dem Rheinbund angehörte, wurden auch in Bayern die dezimierten Regimenter stets wieder durch frische Rekruten ergänzt. Wer nur eine Muskete tragen konnte, wurde als Soldat eingereiht; einzig die offenbaren Krüppel und jene Militärpflichtigen, welche an einer ansteckenden oder einer unheilbaren innerlichen Krankheit litten, ließ man wieder laufen.

Für Wolfgang Schmiedkonz bestand also nicht die geringste Aussicht, von den Soldaten frei zu kommen, um so weniger, als es ihm gegen Ehre und Gewissen ging, das verwerfliche Beispiel solcher Rekruten nachzuahmen, welche aus Furcht vor dem Kriegsdienst entweder sich selbst verstümmelten oder schwere Krankheiten simulierten. Er nahm sich vielmehr vor, stets die Mahnung zu befolgen, welche ihm seine braven Eltern beim Abschied eingeprägt hatten: in allen Dingen Gott vor Augen zu haben und nach seinem heiligsten Willen zu handeln und zu leben. –

Als Wolfgang in Waldsassen ankam, traf er dort mit ungefähr fünfzig Schicksalsgenossen zusammen, die, auf diesen Tag aus dem ganzen Gerichtsbezirk vorgeladen, die Abreise nach Amberg zu ihrem Regiment erwarteten. Nachdem die Schar vollzählig war, zögerte man auch nicht lange mit dem Aufbruch; ein Gerichtsdiener stellte sich an ihre Spitze und fort ging es über Tirschenreuth und Weiden der den meisten Rekruten noch unbekannten Garnisonsstadt entgegen. Aber es war ein trauriger Zug. Auf den jungen Leuten lastete ein schwerer Druck. Der Gedanke, welche ungewisse Zukunft sie erwartete, ließ ebensowenig eine fröhliche Stimmung laut werden, wie das niederdrückende Bewußtsein, daß sie für die Interessen eines fremden, ihnen verhaßten Eroberers fechten mußten, auch wenn sie unter den Fahnen des eigenen Königs kämpften.

Da die Reise noch nicht in militärischer Marschordnung vor sich ging, bildeten sich bald Gruppen von solchen, die, aus der nämlichen Ortschaft oder Gegend stammend, einander bekannt waren, und deshalb in kleinen Abteilungen zusammen wanderten.

Auch zu Wolfgang gesellte sich auf dem Wege zwischen Schönficht und Neustadt ein derartiger Kamerad. Es war ein Hirtensohn aus Großensees, namens Joseph Binder, und weil die Gemeindefluren von Zirkenreuth und Großensees nur durch einen kleinen, der Wondreb zufließenden Bach getrennt sind,