Josef Baierlein

Das Kastell in der Kiloa-Bucht


Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung: Gunter Pirntke


2018 andersseitig.de

ISBN

9783961187201 (ePub)

9783961187218 (mobi)



andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


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Inhalt

Impressum

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

 

 

1.

Das Meer war sehr stürmisch.

Schon länger als eine Woche wehte ein steifer Nordostwind, der nach und nach an Stärke gewonnen und sich zur Heftigkeit eines Sturms entwickelt hatte, über jenen Teil des Indischen Ozeans, der südlich vom Äquator die Seschellen- und Amiranten-Inseln umtost und die ostafrikanische Küste von der Tanamündung im Norden bis zum Kap Delgado im Süden bespült.

Der Sturm trieb eine Dhau vor sich her, ein arabisches Segelboot mit Ganzverdeck, das dem Wind keine Handbreit Leinwand überließ, sondern mit gerefften Segeln und nur dem Steuer mühsam gehorchend durch die hochgehenden Wellen hinschoß. Den einen Augenblick zeigte das kleine Fahrzeug sich auf der Spitze eines breitschäumigen Wogenkamms, um im nächsten Moment hinabzugleiten und in der Tiefe des nassen Abgrunds scheinbar zu versinken. Aber das wackere Boot trotzte dem Sturm und Wassergebraus; es arbeitete sich stets wieder empor zum Licht des mit Wolken bedeckten Firmaments, auf das die untergehende Sonne einen rötlichfahlen Schein ausgoß.

Obwohl die Dhau einem Schiffer aus Hodeida gehörte und von ihm auch gesteuert wurde, bestand die Mehrzahl ihrer Besatzung doch aus Europäern; denn ihrer waren vier, drei Männer und ein dem Jünglingsalter naher Knabe, während nur der Bootseigner Abdul ben Eddin und sein Matrose Ali ben Zeid aus Jemen in Arabien stammten. Die vier Europäer verteilten sich auf drei Nationen. Herr Knut Erikson war ein Schwede, Monsieur Henri Lancier ein Franzose, und Herr Dr. Karl Bender und sein 16jähriger Sohn Johannes nannten Bayern ihr Vaterland.

Der Schwede und der Franzose waren Kaufleute. Sie hatten im Sinn, in Deutsch-Ostafrika Handelsverbindungen anzuknüpfen, und deshalb die Reise dahin unternommen. In Aden, der den Engländern gehörigen, am südlichsten Punkt der arabischen Küste im Innern eines erloschenen Kraters erbauten Stadt, hatten sie den deutschen Arzt und Naturforscher Dr. Bender angetroffen. Dieser stand im Begriffe, in Begleitung seines Sohnes eine Forschungsreise durch den dunklen Erdteil anzutreten, und wartete hier in Aden auf das Eintreffen eines Dampfers der British India Steam Navigation-Company, da diese Gesellschaft im Jahre 1880, wo die nachstehende Geschichte sich ereignete, noch allein den Verkehr zwischen Aden und Sansibar vermittelte. Die vier Europäer wohnten zusammen im »Hotel Europe«, dem von einem Franzosen betriebenen besten Gasthaus der arabischen Stadt. Sie fanden Gefallen aneinander und beschlossen die Reise nach Ostafrika gemeinsam zu machen.

Als sie sich aber beim Agenten der britischen Dampfschiffs-Gesellschaft erkundigten, wann das nächste Schiff nach Sansibar abginge, mußten sie zu ihrem Mißvergnügen erfahren, daß ein solches erst in vierzehn Tagen von Bombay eintreffen werde. Das schien den vier Reisenden eine allzulange Wartezeit, um so mehr, als die im tiefen Kraterkessel liegende Stadt jeden Reizes entbehrt, und Ausflüge in die Landschaft wegen der räuberischen Küstenbewohner nicht ohne Gefahr sind. Zudem hatte der deutsche Arzt Dr. Bender, der jetzt eine zweite Forschungsreise nach Afrika unternahm und auf seiner ersten sich die Kenntnis des an der dortigen Ostküste von den Eingeborenen gesprochenen Suaheli angeeignet hatte, schon früher einmal die der Stadt Aden vorgelagerte Insel Sirah und ebenso die Umgegend auf der Landseite vom Dschebil Schamscham bis zum Dschebil Hasan durchstreift.

Es war also keine Aussicht vorhanden, daß die Europäer sich die Zeit bis zum Eintreffen des Dampfers in angenehmer Weise hätten vertreiben können, und sie hielten deshalb Rat, was unter den gegebenen Umständen zu tun sei. Des Franzosen wegen, der nur seine Muttersprache verstand, führten sie ihre Unterhaltung stets französisch.

Der Franzose war es auch, der bei dieser Unterredung zuerst das Wort ergriff.

»Meine Herren!« begann er, »ich schlage vor, daß wir diesem jämmerlichen Nest schnellstens den Rücken kehren. Wenn wir vierzehn Tage in dieser erbärmlichen Stadt zwischen den öden vegetationslosen Kraterwänden auf die Ankunft des Dampfers aus Bombay warten sollen, dann tötet uns die Langweile, wenn wir nicht zuvor verschmachtet sind vor Hitze und Durst. Denn nicht einmal Quellwasser gibt es in dieser von Gott verlassenen Felsenwüste. Mit brackigem Zisternen- oder destilliertem Seewasser muß man sich begnügen, wenn man nicht für Wein und Selters unerschwingliche Preise zahlen will. Darum fort von hier, – je eher desto besser.«

»Ihr Vorschlag ließe sich wohl hören, Herr Lancier,« meinte der schwedische Kaufmann Erikson. »Die Frage ist nur, wie er ausgeführt werden soll. Ohne Schiff können wir nicht reisen.«

»O, was das betrifft, so hat es keine Not,« entgegnete der Franzose lebhaft. »Ich habe mich bei unserm Hotelier erkundigt, und der sagte mir, den hiesigen Einwohnern falle es gar nicht ein, stets auf den Dampfer zu warten, wenn sie nach Sansibar wollten. Bei der jetzigen guten Jahreszeit komme auch ein Segelschiff bequem hinüber an die Insel, da es vom Kap Guardafui an nur immer an der afrikanischen Küste südwärts hinabzusteuern brauche. Gefahr sei also keine dabei, und wenn die Fahrt natürlich auch länger dauere als mit dem Dampfer, so könnten wir doch schon früher in Sansibar sein, als der letztere nur in Aden einträfe. Ich rate daher, einen kleinen Segler zu mieten und mit diesem unsere Reise fortzusetzen.«

Da auch Dr. Bender gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden hatte, begaben die vier Europäer sich noch am nämlichen Tage hinab in den Hafen, trafen dort den Schiffer Abdul ben Eddin aus Hodeida, dessen Dhau vor Anker lag, und wurden mit ihm handelseinig, daß er sie und ihr Reisegepäck nach Sansibar, der Hauptstadt des gleichnamigen Sultanats und der Insel Sansibar an der Ostküste Afrikas, brächte. Die Fahrt ging während der ersten 24 Stunden auch glücklich von statten. Dann aber erhob sich ein starker Nordostwind, der sich bald zu einem Sturm auswuchs und die Dhau aus ihrem Kurs warf. Und nun befand sich das Segelboot schon eine Woche lang in der schweren See, ohne sein Ziel erreicht zu haben.

Damit stehen wir wieder am Anfang dieser Geschichte. –

 

 

2.

Kurz nach Sonnenuntergang wurde das über dem stürmischen Meer lagernde Dämmerlicht vom Dunkel der schnell hereinbrechenden Nacht aufgesogen.

Die vier europäischen Reisenden hatten sich in die kleine, unter Deck befindliche und ihnen zur gemeinsamen Benützung dienende Kajüte begeben, wo sie beim trüben Schein der unaufhörlich schaukelnden Schiffslampe auf Holzschemeln einander gegenüber saßen und über ihre gegenwärtige Lage plauderten. In einem niedrigen Raum nebenan schnarchte, auf einer Matratze ausgestreckt, der Matrose Ali ben Zeid so kräftig, daß die rauhen Kehltöne selbst im Tosen der an die Borde der Dhau klatschenden Wellen noch hörbar blieben. Der arme Bursch war volle sechs Stunden am Steuer gesessen und von seinem Herrn erst vor kurzem abgelöst worden; jetzt schlief er tief und fest, um wieder bei Kräften zu sein, wenn ihn die Reihe des Wachens aufs neue traf. Der Schiffer Abdul ben Eddin steuerte unterdessen selbst das Boot. Er war der einzige Mann auf Deck und hielt scharfen Ausguck nach den Lichtern eines etwa in der Nähe vorbeisegelnden fremden Schiffs. Denn nichts wäre in solcher Sturmnacht verhängnisvoller gewesen als ein Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug.

Drunten in der Kajüte war eine kleine Pause im Gespräch der Reisenden eingetreten. Sie hatten das Thema, ob es nicht doch besser gewesen wäre, in Aden auf die Ankunft des Dampfers zu warten, nach allen Richtungen hin erörtert, waren aber zum Schluß gekommen, daß sie im Grunde genommen nichts zu bereuen hätten.

»Wir sind ja alle see- und wetterfest,« sagte der Schwede, »und wenn wir von den Wellen auch tüchtig geschüttelt werden, so hat das nicht viel zu bedeuten. Überdies kann der heftige Wind nicht ewig andauern. Er muß doch einmal wieder aufhören.«

»Wobei nicht zu vergessen ist, daß das Leben in diesem Schiff mir immerhin noch erträglicher vorkommt als im trostlosen Kraterloch von Aden,« setzte der Franzose hinzu. »Das einzige, was bedenklich erscheint, ist, daß wir seit drei Tagen nicht mehr wissen, auf welchem Punkte unseres Planeten das Schiff sich befindet.«

»Weil wir leider seit drei Tagen keinen Sonnenblick mehr hatten, weshalb ich meinen Sextanten nicht benützen konnte,« sagte Dr. Bender. »Doch brauchen wir deshalb keine Angst zu haben. Ich habe mich überzeugt, daß unser Schiffsführer, um vom Wind nicht an die afrikanische Küste geworfen zu werden, wo allerdings die Gefahr des Scheiterns bestünde, immer den Kurs nach Süden statt nach Westsüd einhält. Und da wir auf diesem Wege nirgends auf Land stoßen, haben wir auch keinen Schiffbruch zu befürchten, – es müßte denn sein, daß wir der Küste viel näher sind, als wir denken – –«

»Horch, Vater – –!«

Mit diesen Worten unterbrach der junge Johannes Bender plötzlich die Rede des Doktors, und in der sofort eingetretenen Stille vernahmen die Reisenden deutlich einen Ruf.

»Aje! Aje!« klang es vom Verdeck her.

Das war ein Schrei, den die Araber bei jeder Gelegenheit auszustoßen pflegen, sei es, daß sie etwas Überraschendes entdecken, oder einen anderen darauf aufmerksam machen wollen. Es ist ein Schrei, der Schmerz ausdrückt und Hilfe begehrt, der aber nicht weniger eine Kundgebung der Freude sein kann. Was er in diesem Augenblick zu bedeuten hatte, war freilich rätselhaft.

»Unser Schiffer hat gerufen,« sagte der Franzose. »Was will der braune Kerl? Herr Doktor! Wollen Sie nicht die Güte haben, an Deck zu gehen, um ihn zu fragen, was los ist? Sie sind ja der einzige von uns, der das Gekrächze dieser Araber versteht.«

Bereitwillig erhob der deutsche Arzt sich von seinem Schemel und verließ die Kajüte. Doch schon nach wenigen Minuten kam er wieder zurück. Seine Miene erschien jetzt ernst.

»Was gibt's? Was gibt's?« riefen der Franzose und der Schwede wie aus einem Mund.

»Meine Herren!« antwortete der Arzt. »Wir werden eine unruhige Nacht bekommen. Denn wir befinden uns hart am Lande, wissen aber nicht, ob wir eine Insel oder die Küste des schwarzen Erdteils vor uns haben. Ein Licht, das immer an der nämlichen Stelle bleibt, also von keinem vorüberfahrenden Schiff herrühren kann, sagt uns jedoch, daß Land in nächster Nähe ist. Wenn es unserm Boot nicht gelingt, gegen den Wind aufzukreuzen und sich in der offenen See zu halten, so besteht Gefahr, daß wir an den Strand getrieben werden. Es bleibt daher nur übrig, den schlafenden Ruderknecht zu wecken; er muß seinem Herrn helfen, ein Segel aufzurollen und die Dhau gegen den Wind zu bringen. Bleiben wir dann die Nacht über in der offenen See, so haben wir gewonnenes Spiel; denn erst bei Tagesanbruch läßt sich entscheiden, ob und wo wir eine Landung bewerkstellen können. Weil aber niemand mit Sicherheit voraussagen kann, wie das Segelmanöver, das die Schiffsleute jetzt vornehmen müssen, abläuft, und ob es ihnen glückt, das Boot trotz des ungünstigen Winds vom Lande abzubringen, ersuche ich die Herren, sich nicht zum Schlafen niederzulegen. Es ist besser, wenn wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sind.«

Obgleich der Doktor seine Mitteilung