Hohngelächter

Hans-Joachim Rech

 

Ein Buch für lebensfrohe Zyniker

 

Impressum

ISBN

9783961185818 (ePub)

9783961185825 (mobi)

 

© andersseitig.de 2018


Covergestaltung: Erhard Coch

Digitalisierung: Erhard Coch


andersseitig Verlag

Helgolandstraße 2

01097 Dresden

info@new-ebooks.de

 

Für lebensfrohe Zyniker, im Aktivleben stehende Berufsschadenfrohe und manisch Missgünstige

Das menschliche Verhalten ist nicht eindeutig, es ist auch nicht zwei- oder mehrdeutig. Es ist schlichtweg undeutig - unkalkulierbar denn – freier Wille und das Daseinsbewusstsein machen aus dem sogenannten Vernunft begabten Wesen (wenn es denn seine Begabung nachhaltig nutzen würde) von einer Sekunde zur anderen ein Irrsinns-Männlein/Fräulein, dem es offenbar die größte Freude bereitet, alles und jegliches nicht nur auf die Spitze zu treiben, sondern in möglichst zahlreichen Varianten zu erproben. Die Welt ist voller Extreme, liebe Leser, zweifellos. Bedenken sie nur allein die Wetterkapriolen oder das auf- und ab bei den Rentenerhöhungen, der Benzinpreise und Lebenshaltungskosten für die geliebten familiären Mitglieder wie Hunde, Katzen, Vögel oder Kleinkinder. Die Verkündung der Arbeitslosenzahlen hat schon messianischen Charakter und gehört zum Lebensinhalt wie das Amen in der Kirche. Auch der sportliche Bereich bietet unendlich viele Ansätze – überhaupt praktisch alles, was seit der Erfindung des Keuschheitsgürtels und der Einführung des G-Punktes über die zivilisierte Welt kam; die anderen üben noch. Die einen reagieren auf derartige Extreme, wenn man sie denn noch am eigenen Leib erfährt, ungehalten, harsch oder regelrecht böse. Die anderen kümmert es einen Scheißdreck, ihnen ist es egal, womit sie nicht das schlechteste Los gezogen haben. Dann ist da noch die kleine Gruppe derer, die entweder nicht betroffen ist oder in irgendeiner anderen Weise mit dem Extrem in Verbindung steht, sich also der Muße der außen stehenden Betrachtung widmen kann, welche Extreme oftmals in einem anderen Licht und vor allem – in ihrer Gesamtheit erscheinen lassen. Denn eines ist Sonnenklar - das größte Extrem von allen ist der Mensch. So bereitet es auch den Poeten, den Schreibern und Literaten nicht selten ausgesprochen Freude, sich mit den Missgeschicken anderer – und auch der eigenen zu befassen und das in einer Ausdrucksart, welche das Extrem in konzentrierte Reinform gießt, die sich dem Leser auch als Satire und Groteske offenbart. Die nachfolgenden Geschichten geben ihnen einen Einblick in die bizarre Welt der Extreme menschlichen Verhaltens, nicht immer unbedingt erheiternd zu lesen, aber dem Kern des Extrems in unzerbrechlicher Treue verbunden. Wenn auch die geschilderten Begebenheiten oftmals den Charakter der Banalität und Nebensächlichkeit wie eine Standarte vor sich hertragen – wird doch erst durch genügend Distanz zum Geschehen sichtbar, wie komplex, vielschichtig und extrem das menschliche Leben und Verhalten ist. Höre ich das Hohngelächter – viel Vergnügen bei der Lektüre.

Abstellgleis

Quietschend und knarrend kroch der Güterzug über die Gleise des Verschiebebahnhofs. Fast fünfzig Waggons schleppte die gute alte Lissy, Stratmanns persönlicher Name für das Dampfross, das seit Jahrzehnten unverdrossen seinen Dienst versah. Genauso wie Stratmann, der Rangierlokführer. Schon vierzig Jahre stand er hinter dem Schieber, seit vierzig Jahren befeuerte er den Kessel und schob in dieser langen Zeit Zehntausende Waggons von einem Gleis zum anderen. Er stellte mit seiner Lissy Züge zusammen, deren Ziele er nicht kannte und deren Herkunft im Nebel lag, wie oftmals der Bahnhof, wenn die Tage noch warm, die Nächte längs des Flusses, an denen sein Bahnhof wie eine Burg stand, schon kühl waren.

"Ich bin auf der Lok geboren, meine Muttermilch waren Ruß und Dampf."

So sprach Stratmann, wenn er nach seinem Beruf gefragt wurde. Die Jahrzehnte gingen ins Land, der technische Fortschritt fraß die letzten Enklaven einer beschaulichen Verbundenheit und machte auch vor Stratmann und seiner Lissy nicht halt. In der modernen Bahnwelt war kein Platz für Dampfrösser und nostalgisch vertrottelte Rangier-Lokführer. Schnelle E-Loks übernahmen Lissys Arbeit. Moderne Containerterminals überspannten mit Krakenarmen gewaltige Abfertigungsanlagen und die Herzen der Menschen. Die Elektronik bestimmte den Arbeitstakt, dem der große alte Verschiebebahnhof nicht gewachsen war. Immer weniger Züge rangierte Startmann mit seiner Lissy zu den Be- und Entladerampen.

Meistens waren es Leerwaggons, denn Füllgut wollte man ihm und seiner schnaufenden Freundin kaum noch anvertrauen. Es ging einfach nicht schnell genug. Nach und nach verschwanden die Werkstätten, die Depots und Kohlenhallen, die Wasserspeicher und der große Lokschuppen mit seiner Drehscheibe. Und dann - eines Morgens, war Stratmann allein. Seine Kollegen erschienen nicht mehr zu ihrer gewohnten Arbeit. Gesundschrumpfen - Rationalisierung - Vorruhestand und was nicht noch für absonderliche Bezeichnungen wurden gefunden, um das Entfernen seiner Kollegen zu rechtfertigen.

Stratmann machte sich keine Illusionen, er wusste wie es um ihn und seine Lissy stand. Aber solange er noch den Schieber betätigen, die Kohlen schaufeln und die Signale richtig deuten konnte, solange wollte er seiner Lissy die Treue halten, das hatte sich Stratmann geschworen. Rauswerfen konnten sie ihn nicht, er war zulange dabei. Versetzen kam nicht in Frage, da musste er und der Betriebsrat zustimmen. Gesund war er immer noch, auch wenn die Vertrauensärzte gerne etwas anderes in ihre Berichte eingeschrieben hätten. Nicht zu seinem Wohle, sondern nur um ihn auf eine angenehme Art und Weise loszuwerden. Aber den Gefallen tat er ihnen nicht. So schaffte es Stratmann mit Beharrlichkeit, seiner schon fast sprichwörtlichen Gelassenheit und mit Hilfe seiner Lissy, ein Jahr um das andere diesen Kalkulationsschiebern und Rentabilitätsrechnern abzutrotzen.

Der große alte Verschiebebahnhof verlor mit der Zeit seinen düsteren, Ruß verschmierten Charakter, sein Aussehen nahm lieblichere Züge an; zwischen den Gleisen wuchsen Blumen, das Gras bedeckte weithin die Schwellen und überall hatten sich Holunder- und Fliederbüsche angesiedelt. Die Stellwärterhäuschen waren kaum mehr zu sehen. Wild wachsende Birken und Weiden verwandelten sie längst in verwunschene Burgen und geheimnisvolle Schlösser, verliehen dem Bahnhofsgelände ein friedlich verträumtes Aussehen, in denen Stratmanns Träume von der ewigen Fahrt mit seiner geliebten Lissy immer konkretere Formen annahmen.

Stratmanns Hund Flocke stand stets neben seinem Herrchen, wenn er den Schieber öffnete, und der Dampf seine Lissy zischend und fauchend in Bewegung setzte.

Auch Flocke spürte die Veränderungen, die sie längst alle erfasst hatte. Flocke liebte das Bahnhofsgelände - hier gab es viel zu jagen. Doch Flocke war in die Jahre gekommen, wie Lissy, der Bahnhof und Stratmann, sein bester Freund. Beide hatten nur sich und Lissy. Wenn Flocke mit Stratmann nach getaner Arbeit heimwärts ging, dann freuten sie sich schon auf den nächsten Tag, und mit jeder Stunde, die sie nicht mit Lissy auf dem Bahnhof verbringen konnten, starb Stück um Stück ein winziges Teil ihres Traums, den sie für kein Geld der Welt einzutauschen bereit wären. Flocke wünschte sich nichts sehnlicher, als auf seine alten Tage, gemeinsam mit Stratmann und ihrer treuen Lissy, losgelöst von allen Zwängen und Pflichten nur noch um die Welt zu fahren, ferne Länder sehen, endlose grüne Wälder, die Weiten Alaskas, die Savannen Afrikas, die Himmel hohen Gebirge Asiens und die unendlich weiten Ozeane dieser Welt. Und wenn sie das alles irgendwann einmal gesehen haben würden, dann stände ihrer ganz großen, nie enden werdenden Reise nichts mehr im Wege. Welche Tour fährt Stratmann denn heute? Das ist aber seltsam. So ganz ohne Waggons, nur wir drei.

"Wauu - wauuu" heulte Flocke.

"Ist schon recht, mir ist auch danach zumute. Aber bald haben wir das alles vergessen. - Komm mein Guter, wir erfüllen uns unseren Traum. Wir haben schon viel zulange gewartet. Jetzt ist es soweit. Das wird die schönste Reise unseres Lebens - weil sie niemals enden wird."

Grenzbegegnung

Summend zog eine Fliege an einem Sommermorgen den verlöschenden Faden ihres kurzen Lebens durch die vom Tau getränkte Luft. Sie war nicht angetrieben von besonderer Eile, doch zur Verträumtheit ließ ihr die Form ihres Daseins keinen Raum, und so flog sie brummend und scheinbar ohne erkennbares Ziel zwischen Bäumen und Sträuchern umher. Das Vergnügen war nicht auf ihrer Seite mit den stets hungrigen Vögeln um die Wette zu fliegen, doch ihre Beweglichkeit ließ die gefiederten Bewohner des Waldes schier verzweifeln. Von Zeit zu Zeit stoppte sie ihren Flug, um sich auf einem beliebigen Blatt niederzulassen, wo sie alsdann etwas Nahrung aufnahm. Aber auch diese Betätigung war geprägt von einer Hast und Unruhe, dass ihr schwarzer, wie Ebenholz schimmernder Leib nie zur Ruhe kam. Ihre großen Facettenaugen genossen diese Welt in tausend Bildern, und so drang jeder Sonnenstrahl vielfach in sie ein. Die zunehmende Tageslänge erwärmte die sie tragende Luft, und sie selbst bevorzugte jene Blätter zur kurzen Rast, die ihr grünes Kleid dem lichten Schein entgegenhielten. Aber ihre Aufenthalte und Pausen waren in einer solchen Hast aneinandergereiht, die Augenblicke der Einkehr und Besinnung von Unsicherheit und Schrecknis begleitet, und so sorgten schon diese Umstände dafür, ihr nicht all zuviel von jenem Lebensglück zu gewähren, das sich leichtfüßig zwischen den rauschenden Kronen der Bäume verbarg. Wenn ihr gedrungener Leib einen Lichtstrahl kreuzte sah es aus, als hätte sie in einem Regenbogen gebadet und wäre nun damit beschäftigt, dem verblassenden Glanz davonzufliegen, um ihn für immer auf ihrem Körper zu bewahren.

Das Schwirren der Flügel ähnelte dem Geräusch eines verhalten summenden Ventilators, und das glitzernde Funkeln auf den transparenten Schwingen sah sich an wie ein nie versiegender Fluss von Diamanten, der in ständigem Quell aus einer unsichtbaren Schatztruhe herausgeschleudert wurde. Die Zahl ihrer Feinde war beträchtlich und jene, die ihr nachstellten, verlangten Tribut und stillten den ewigen Hunger des Lebens an ungezählten schwarzen, wie Ebenholz schimmernden Körpern die eigens nur dazu erschaffen schienen, von irgendwelchen gefräßigen Räubern verschlungen zu werden. Der Lebensinhalt ihrer Art war von der Allgegenwart des Todes geprägt, und diese Gegenwart des Unvermeidlichen trieb sie wohl in unstetem Flug durch den Wald und verweigerte ihr das Geschenk eines ruhigen Daseins. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt führte sie ihr Weg um die mächtigen Stämme der Buchen, leicht flügelig überquerte sie die Rücken der Sträucher und Hecken, erreichte die kleine Lichtung hinter der Fichtenschonung, auf der sich Hasen und Rehe in wechselseitigem Beobachten durch die sprießenden Kräuter fraßen. Sie bemerkte den Widerstand erst , als sich das Gespinst feinster Webart wie ein elastischer Muskel an ihren Körper schmiegte und das danach trachtete, ihren sausenden Flug mit gewaltigen Bremsen zu verzögern. Obwohl ihre Flügel weiter bestrebt waren dem schweren Leib die nötige Geschwindigkeit zu verleihen, entzog dieses feine, fast unsichtbare, zwischen den Zweigen eines Holunderstrauches hängende Hindernis dem brummenden Körper in erschreckender Art seine Kraft und Beweglichkeit. In immer neuen Anläufen versuchte die Fliege sich aus dieser Umfassung zu befreien, immer länger wurden die Pausen, die zwischen den Versuchen lagen, diesem unheimlichen Gefängnis zu entfliehen. Die Heftigkeit ihrer Bewegungen riss große Löcher in das seidig schimmernde Geflecht, jedoch gelang es ihr an keiner Stelle den Fallstricken des Unbekannten zu entrinnen. Ihr Zustand glich dem eines angeschlagenen Boxers, der von seinem Gegner durch den Ring getrieben, ziellos umhertaumelnd nach einem Ausweg suchend, schließlich erschöpft in den Seilen hängen bleibt, um sich in das Unabänderliche zu fügen. Ihr Körper zeigte nur noch matte Bewegungen, die filigranen Fäden des Gewebes hielten ihren Leib fest und sicher, und im zarten Hauch des Tageslichtes schimmerten Teile ihres noch unbedeckten Rumpfes wie die Reste eines Regenbogens, der von heranstürmenden Wolken zerrissen wird. Das feine Pergament ihrer Flügel bestand nur noch aus faserigen Resten, nie mehr fähig dem Ebenholzleib der Besitzerin den brausenden Genuss des freien Fluges zu vergönnen. Noch am Morgen flog sie über prall duftende, dicht blühende Wiesen dahin, neckte die Sperlinge, führte Meisen und Ammern an der Nase herum, nahm Platz auf dem rot-braunen Fell des Rehbockes, der ihre anwesende Lästigkeit mit kratzen und schütteln zu beenden suchte. So flog sie weiter in den Tag hinein auf der Suche nach den Grundlagen ihrer Existenz, unbewusst, ganz Fliege, fast sich selbst gehörend bis auf jenen winzigen Moment, da eine andere Macht sich anschickte von ihrem Leben Besitz zu ergreifen. Es war keine bedrückend sichtbare Macht die über das Insekt hereinbrach, aber die Art des Anspruchs erzeugte schreckendes Entsetzen. Diese Macht lauerte im Verborgenen, sie versteckte sich, um dann um so brutaler und unnachgiebiger über ihre Opfer herzufallen. Von sicherer Warte aus verfolgte der Erbauer dieser Falle den verzweifelten Befreiungskampf des Opfers; aus kalten Augen traten Blicke unbegreiflicher Gelassenheit, befriedigt durch die Qualität der Konstruktion, die binnen kürzester Zeit den Lebenswillen des Opfers zerstörte, seine Kraft aufsog und es bereit machte, seiner letzt weltlichen Bestimmung, dem Opfer zugeführt zu werden. Rasch, aber dabei bestimmt und zielsicher, näherte sich der Jäger der Beute, der Sieger dem Verlierer, emotionslos, allein dem Trieb der Bestimmung gehorchend, das eigene Leben zu erhalten durch den Tod anderer. Leicht wiegte sich der in unzähligen feinen Garnen verstrickte Fliegenleib im lauen Hauch des Tages, ein letztes mal gewärmt durch eine Sonne die auch ihren Bezwinger wärmt und dessen Bezwinger und alles hier in diesem Wald und auf dieser Welt.

Vorsichtig, ja fast behutsam, berührten die feingliedrigen Beine den prallen Leib des Insektes, prüften die Beschaffenheit des Opfers, ertasteten den Rest an Leben in ihm. Die schwarzen abstehenden Beine der Fliege zuckten im Gefühl der Bewegung, und im gleichen Augenblick drangen die Zangen des Jägers knirschend durch den schwärzlich schimmernden Chitin-Panzer der Fliege, drückten das zersetzende Gift in den sterbenden Körper des Tieres. Sodann begann der Sieger den Leib der Fliege auf, Feinste zu verspinnen, um die Bilanz seiner Jagd zu bewahren. Leichtfüßig und elegant transportierte der Herrscher der Falle die Trophäe an einen sicheren Ort an dem schon einige Auszeichnungen darauf warteten, ergänzt zu werden. Die Fliege erhielt einen würdigen Platz unter all den Opfern welche ihr vorangingen, und bevor die Sonne ihre nachmittägliche Wanderung begann, wehte weich und leicht im warmen Sommerwind, fast unsichtbar zwischen sich wiegenden Holundersträuchern, wartend auf weitere Begegnungen, das feine Gespinst des Siegers dessen Muße darin besteht zu warten, und der im Sieg die Muße findet, seinen Erfolg mit den Leibern der Opfer zu schmücken.

Reifenwechsel

Zählen Sie zu den glücklichen Besitzern eines Automobils. Dann werden Sie sicher mit mir einiggehen, dass wir in diesem Jahr aus reichend Winter genossen haben. Aus diesem Grund ist die Freude auch groß bei mir, endlich mein geliebtes Kraftfahrzeug aus seiner winterlichen Starre herauslösen zu können. Es ist nämlich so, dass ich über die Winterzeit nur sehr ungern meinen Wagen in betrieb nehme, allein schon wegen der Verunreinigung und erhöhten Abnutzung, von der Gefährdung durch Eis und Schnee sowie leichtsinniger Fußgänger nicht zu sprechen.  Aber nun ist es endlich soweit. Die nachösterliche Zeit bescherte mir strahlenden Sonnenschein und die Lust auf eine längere Ausfahrt. Zuvor jedoch befragte ich mein Gefährt auf seinen Gesundheits- bzw. Allgemeinzustand, und die Antwort fiel zu meiner Zufriedenheit aus. Ein wenig den Reifendruck erhöhen, ein wenig Öl nachfüllen, und zum Abschluss der Untersuchung gab es eine Generalwäsche, die meinen Freund in neuer Pracht erstrahlen ließ. Auch das Schiebedach bewegte sich, durch das Drehen der Kurbel beflügelt, leichtfüßig auf seinen Gleitschienen einher. Beide Außenspiegel stellte ich meiner Sitzposition gemäß ein, und auch der Rückspiegel verlangte nach Beachtung. Ich bin schließlich ein umsichtiger Fahrer. Ergänzend, weil von späterer Bedeutung, sei noch zu erwähnen, dass sich in meinem Fahrzeug nichts weiter mehr befand als ein Ersatzrad und ich selbst. So konnte die Ausfahrt beginnen. Der Starterschlüssel sprang fast von alleine in die vorgesehene Öffnung des Zündschlosses. Ein letzter entschlossener Dreh, und leiernd begann sich die verschlafene Technik zu bewegen. Erste Qualmwölkchen entflohen dem dunklen Auspuffmund und schon brummte der Motor sein bekanntes Lied. Ich war glücklich, ließ mich doch mein Automobil nicht im Stich. Ja, ich gewann den Eindruck, als wollte mir der Motor seine Freude mitteilen darüber, endlich wieder laufen zu können nach all den Monaten der Trägheit. So trieb denn mein Bedürfnis den Motor wie den Wagen zu immer neuer Leistung an, und bald schon erreichten wir die waldigen Höhen des nahen Mittelgebirges. Welch ein Geschenk wurde mir und meinen Sinnen zuteil. Durch das geöffnete Schiebedach strömte mir der harzige Geruch der erwachenden Wälder über mein Gesicht, und nur zuweilen vermischte sich dieses Aroma mit dem Gestank eines vor mir fahrenden Kraftfahrzeuges. Ich schimpfte auf den Stinker und suchte den Moment, um mich mit meinem Fahrzeug an ihm vorbeizuschieben und um ohne Einschränkungen erneut in den Genuss unverfälschter Natur zu kommen. So eine Unverschämtheit, fahren mit ihren stinkenden Benzinkisten in den herrlich duftenden Wald hinein, ohne Rücksicht auf andere. Gott sei Dank hatte ich mich schon rechtzeitig um einen Termin gekümmert, der die Entgiftung meines Fahrzeugs vorsah, genauer des Motors. Dann bin ich zu dieser Untersuchung gefahren und habe auch sofort meine Plakette bekommen. Nun war ich nicht der einzige, der sich um einen umweltfreundlichen Auspuff bemühte, nein, es gab eine Menge derer, die sich mit einem jährlichen Obolus freikauften von der Sorge um den deutschen Wald. Es ist übrigens ein herrliches Gefühl sich freikaufen zu können. Die Plakette auf dem Nummernschild befreite mich für eine lange Autofahrerzeit vor jeglicher Anfeindung und Nachstellung. Sorglos genoss ich das ruhige Dahin gleiten, eingebettet in einen weichen Fahrzeugsitz, den sonoren Klang des Motors, der sich als feines Zischeln zwischen endlosen Wäldern verlor und die unentwegt einströmende frische Waldluft, die mir als Abgasgeprüftem besonders gut bekam.

Erst das Bedürfnis meines Wagens einen anderen Weg zu nehmen als ich ihn wünschte ließ in mir den Gedanken reifen, dass etwas nicht in Ordnung war mit dem geliebten Fahrzeug, und ich suchte nach einer Möglichkeit, das Automobil von der Fahrbahn zu lenken, um es zu inspizieren. Aber so sehr ich auch Ausschau hielt, es zeigte sich kein Parkplatz oder Parkstreifen, der meinem Wunsch entgegenkam. Mittlerweile setzte sich mein Kraftfahrzeug stärker in Szene, und ein rumpeln und bollern riss mich vollends aus meinen motorisierten Wochenendträumen, und schon erspähte ich auf der Seite der Straße in Fahrtrichtung folgend eine Einfahrt und auch wieder keine Einfahrt, vielmehr den Zugang zu einem Wald und Forstweg, der im ländlichen Sprachgebrauch auch Arbeits- oder Wirtschaftsweg genannt wird. Ohne mich groß zu besinnen, das Bollern und Rumpeln ließ mir dazu keine Zeit mehr, lenkte ich den Wagen in den besagten Weg und schon nach wenigen Metern begriff ich, warum diese Rollbahnen den zuvor genannten Namen tragen. Ein Schmatzen und Glucksen begleitete die gequälten Versuche des Automobils weiter Boden zu gewinnen, hoch spritzte Schlamm und Wasser zu beiden Seiten, und die frische einströmende Luft, die sich noch bis vor wenigen Augenblicken ihren Weg durch das offene Schiebedach bahnte, vermischte sich mit dem Inhalt der Pfützen zu einem feinen Nebel, der sich weich und geschmeidig über mein Gesicht und den übrigen Innenraum des Fahrzeugs legte, der wie eine zweite Haut alles umschloss und dem gepflegten Gefährt in erschreckender Schnelligkeit ein abenteuerliches Aussehen verlieh. Instinktiv schnappte meine rechte Hand nach der Kurbel des Schiebedachs, um den Zustrom lehmgeschwängerter Waldluft zu stoppen, doch vergaß ich über diese Mühe den Fuß vom Gaspedal zu nehmen; infolge meines minderen Wuchses muss ich mich immer und überall abstützen, und so trat ich unbewusst den Gashebel bis zum Anschlag durch.

Was nun folgte lässt sich schwerlich beschreiben, doch will ich versuchen, den nun stattfindenden Abläufen den höchstmöglichen Grad an Genauigkeit und vor allem Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Durch diesen enormen Kraftstoffschub ereigneten sich mehrere Dinge gleichzeitig. Die Maschine meines geliebten Automobils heulte auf wie ein getretener Hund und ließ den Wagen bis in die letzte Fuge erzittern. Die durch diesen Kraftakt angetriebenen Räder schaufelten Berge von Schlamm und Geröll in die Luft dass ich den Eindruck gewann, ich würde an einer Abenteuerrundfahrt durch den Amazonasdschungel teilnehmen. Gleichzeitig trieb es meine Luxuskarosse der Second-Hand Klasse mit Elefantentritten durch die Reste eines kaum mehr erkennbaren Pfades voran, um diesem Restprodukt waldpflegerischer Forstkunst ein völlig neuartiges Profil zu verschaffen. Angesichts der Tatsache mangelnder Kontrolle meinerseits über das dahin schießende Fahrzeug; ich klammerte mich angstvoll an die Kurbel des Schiebedachs und versuchte dem Ertrinken durch Schlamm und Geröll zuvorzukommen, gehorchte dieser Berg von Metall seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und ließ mich wie einen Tennisball durch sein Inneres hüpfen. Die weitere Amokfahrt wurde durch das Dazutun einer hochgewachsenen urdeutschen Tanne jäh unterbrochen gerade in dem Augenblick, als ich das Schiebedach seiner Bestimmung zugeführt und die Öffnung des Fahrzeugdaches verschlossen hatte. Da ich immer noch - gottlob - durch den Sicherungsgurt gehindert war die Frontscheibe meines verunstalteten Fahrzeugs zu durchdringen, blieben mir mögliche Blessuren an Leib und Gesundheit erspart, und nur die deformierte Nase meines Lieblings rührte meine Seele an. Die vergehenden Nebel letzter Bewegung senkten sich still herab und hüllten den Ort brutaler Gewalt in erstickendes Schweigen.

Das beeindruckende Königsblau des Automobils, so nennt sich diese Lackierung, war dem militärischen Lehmbraun eines Panzerwagens gewichen und ließ nichts mehr erkennen von einstiger Schönheit und Größe. Bei näherer Betrachtung meiner Person stellte ich fest, dass mein Aussehen sehr gut zur Farbgebung des Wagens passte, und selbst die Polsterung ließ sich einen Hauch von Wildheit nicht nehmen. Schwer atmete ich ein und aus und war doch glücklich darüber, dieses gefährliche Abenteuer überstanden zu haben obwohl ich immer noch nicht begreifen konnte dass es möglich sein sollte, einem Automobil solche Fähigkeiten abzuverlangen. Da stand ich nun, tannenumkränzt an Moos bewachsenen Wegesrändern, den Rest meiner automobilistischen Ausflugslust vor den Augen und versuchte zu ergründen, warum ich noch vor drei Minuten verträumt genießend auf dieser herrlichen Straße einher fuhr, nicht denkend an den heimtückischen Überfall eines defekten Reifens der dafür sorgte, dass ich jetzt Lehm- und dreckverschmiert der Ursache allen Übels auf den Grund kam.

Reifenpanne nennen es die Autosachverständigen. Einen Platten haben heißt es im Volksmund. Ich konnte mich weder für das eine noch das andere entscheiden, ich fand die gesamte Lage sehr bedenklich. Daran war nicht die kaputte Motorhaube schuld, auch nicht der platte Reifen und auch nicht mein lehmverschmiertes Äußeres. Am meisten ärgerte mich die Gewissheit, dass ich vergaß Werkzeug einzupacken für alle Fälle. Ein Ersatzrad lag in der Kofferraummulde, aber mit dem Wagenheber zusammen war dies schon der Gesamtbestand an Zusatzteilen, der ohne größere Kraftaufwendung zu bewegen war. Was ich benötigte war ein Werkzeug durch das ich in der Lage war, die Muttern am Vorderrad zu lösen und das defekte Rad auszuwechseln gegen das in der Radmulde liegende Ersatzrad. Zur Straße waren es ungefähr dreißig Meter, aber da würde sich ganz sicher kein Mutternschlüssel finden der nur darauf wartet, von mir eingesetzt zu werden. Also blieb mir keine andere Wahl als in das nächste Dorf zu marschieren, zu einer Tankstelle oder Werkstatt, um mir dort das dringend notwendige Werkzeug auszuleihen oder käuflich zu erwerben. So ausgerüstet wäre ich dann sicherlich in der Lage mein krankes Fahrzeug zu heilen. Über den Weg in das naheliegende Dorf gibt es nichts zu sagen, auch nicht über den Kauf des Schlüssels in einer nach meiner Meinung recht verkommenen Werkstatt, die durch ein ebensolches Subjekt geführt wurde. Als ich jedoch auf dem Rückweg zu meinem Automobil an einem Gasthaus vorbeikam, zog die Werbetafel des Wirtes meine Aufmerksamkeit auf sich. Auf dieser Tafel stand:

"Sauerbraten, eingelegt wie zu Hause,

 mit Klößen und Rotkohl, frisch,

 und mit Mirabellen, auch frisch."

Sofort stellten sich Hungerempfindungen ein und meine Füße beschrieben einen rechten Winkel zur Eingangstür dieses Gasthauses. Ich nahm die Stufen zum Paradies der Genüsse mit Schwung.

Als ich die Tür zum Gastraum öffnete erlahmte mein Elan schlagartig, denn die Blicke der Anwesenden und des Wirtes signalisierten mir Ablehnung und Feindseligkeit.

Was hatte ich an mir, dass solche Reaktionen hervorrief?

"Guten Tag" sagte ich trotzdem und bemühte mich so höflich wie möglich zu sein.

"Was willst du hier? Es ist nichts zu betteln da und kaufen tu ich kein Stück. Steht doch draußen an der Tür. Betteln und Hausieren verboten. Kannst wohl nicht lesen, wie? Also raus hier du Dreckspatz und putz die Platte!"

Ich verstand die Welt nicht mehr und war wie vor den Kopf geschlagen. Bevor ich noch etwas erwidern konnte befand ich mich dort wieder, wo ich hergekommen war, nämlich draußen vor der Tür. Bettler, Hausierer, nicht zu fassen. So etwas nennt sich nun Gastwirtschaft oder Gasthaus. Leicht betrübt machte ich mich auf den Weg zu jenem Platz, wo ich mein geliebtes Automobil zurückließ. Schon von weitem bemerkte ich an der berüchtigten Einfahrt in diesen Feldweg, der dazu beigetragen hatte mein Auto in einen Ackerschlepper zu verwandeln, einen Menschenauflauf, eine Traube, wild gestikulierend und irgendeinen Sachverhalt erörternd. Hoffentlich kein Unfall, schoss es mir durch den Kopf wobei ich mir gleichzeitig meiner Erste-Hilfe-Unkenntnis bewusst wurde. Je näher ich dem Ort meiner technischen Niederlage kam; ich beeilte mich diesen Ort so schnell wie möglich zu erreichen, um so lauter bedrängte mich ein Durcheinander von Stimmen, deren Ursache auf das Vorhandenseins dieser Waldwegmischmaschine zurückzuführen war, unter deren lehmverkrusteter Haut sich schamhaft die geschundenen Reste des einst strahlenden Königsblau verbargen. Jetzt erst bemerkte ich den zwischen Tannen und Fichten stehenden Großkraftwagen, hoch beladen mit den Stämmen jener Bäume, die durch den sauren Regen angeregt ihr Wachstum rasch beendeten und sich zur Verarbeitung meldeten. Diesem eisernen Monstrum war der Weg versperrt durch die kranke Hülle meines geliebten Freundes. Mir war unbehaglich zumute, ja richtig mulmig wurde mir in der Magengrube, vernahm ich doch nun deutlich den erregten Wortwechsel zwischen den Streitenden.  Es waren Waldarbeiter, Holzfäller und andere Gehilfen, mit Sägen und Äxten in den Händen als gelte es, das bestehende Waldgebiet bis zum Abend hin abzuholzen.

"Sauerei, einfach die Karre hier in den Wald zu fahren. Kein Schwein kommt mehr durch."

Ich war keineswegs davon überzeugt, dass sich ein Schwein vom Torso meines Automobils würde abhalten lassen diesen Schlammstrom zu durchqueren, aber mir stand nicht der Sinn danach mich mit den Opfern höherer Gewalt auf die Erörterung dieser Aussage einzulassen.

"Wahrscheinlich ist die Kiste geklaut und die Burschen haben den Tank leer gefahren. Jetzt steht der Blechhaufen auf meinem Weg und blockiert mir die Ausfahrt. Bruno -- setz dich in Marsch und schiebe den Schrott zur Seite. Soll doch der Eisen-Schorsch damit wachen was er will."