Josef Baierlein

 

Der Spruchbauer


Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung und Druckvorbereitung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke


2018 andersseitig.de

ISBN

9783961187294 (ePub)

9783961187317 (mobi)


andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


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Inhalt

Impressum

1.

2.

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5.

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1.

Anders geartet als die übrige Menschheit von Schattendorf war der Großbauernsohn Stephan Niedermaier von jeher gewesen. Das hatten auch seine Eltern gemerkt und deshalb den Spintisierer und Sinnierer, der lieber mit offenen Augen träumend unter dem Blätterdach eines Baumes lag und den ziehenden Wolken nachsah, statt im Feld und auf den Wiesen mitzuhelfen, nach Regensburg geschickt – zum Studieren. Sie waren der Meinung gewesen, in dem Stephan stecke das Zeug zu einem geistlichen Herrn. Warum gerade zu einem solchen, blieb unaufgeklärt. Vielleicht dachten die guten Alten, ein geistlicher Herr hätte nichts anderes zu tun, als den Wolken nachzuschauen, sobald er nur mit seinen kirchlichen Verrichtungen fertig wäre.

Ehe Stephan Niedermaier an sich selbst erproben mußte, wie irrig und grundfalsch diese etwaige Meinung seiner Eltern war, machte der liebe Gott einen Strich durch der letzteren Rechnung. Denn in einem und demselben Jahre starben sein Vater und sein jüngerer Bruder, der voraussichtliche Erbe des großen Besitztums, an den Pocken und dem Stephan blieb, da weder ein anderer Sohn noch eine Tochter vorhanden war, nichts übrig, als die lateinischen und griechischen Bücher in die Ecke zu stellen und nach Schattendorf zu seiner verwitweten, einsam zurückgebliebenen Mutter heimzukehren.

Und mit dieser hauste er jetzt schon an die zwölf Jahre zusammen, bewirtschaftete sein Bauerngut – wider alles Erwarten und zur Verwunderung des ganzen Dorfes – mit Fleiß und Geschick, legte Geld auf Zins und galt schon lange für den reichsten Großgrundbesitzer im ganzen Landgericht. Dabei hatte sich Stephan aber wenig verändert; er war noch der nämliche nachdenkliche, stille und bescheidene Mensch, welcher er zur Zeit gewesen, als er in Regensburg fremdsprachliche Vokabeln lernte. Auch machte er nicht die geringste Anstalt, eine Hausfrau in seinen Bauernhof einzuführen. So sehr ihm auch die Mutter vorstellte, daß sie, vom beginnenden Alter gedrückt, sich nach einer Schwiegertochter sehne, blieb er doch dabei, daß er noch kein Mädchen gesehen hätte, mit dem er den langen Weg durchs ganze Leben wagen möchte. Das nahmen ihm nun nicht nur die heiratsfähigen Dorfschönen, sondern auch deren Eltern gewaltig in übel, und um ihrem Ärger Luft zu machen, sprengten sie aus, Stephan habe sich geäußert, eine Bauerntochter wäre zu gering für ihn. Wahrscheinlich warte er auf eine Prinzessin; einem solchen Gischpel und Träumer sei ja jede Dummheit zuzutrauen.

Daß diese übeln Nachreden schließlich auch Stephan zu Ohren kamen, ist bei der Kleinheit des Dorfes leicht erklärlich. Die Klatschfraubasen sorgten schon dafür. Er machte sich aber nichts daraus, sondern ging unbeirrt seine stillen Wege. Nur ließ er die Außenwände seines Bauernhofs neu tünchen und die hölzernen Fensterläden mit grüner Ölfarbe anstreichen. Wenn wirklich einmal eine Prinzessin käme, sagte er gleichsam als Antwort auf die in Schattendorf herumgehenden Gerüchte, so solle sie auch eine saubere und freundliche Wohnung vorfinden. Da aber zum verjüngten Aussehen des Hauses das alte, schadhafte, hier und da schon verfaulte Strohdach nicht mehr passen wollte, erschien eines Tags der Maurermeister aus der Amtsstadt und deckte das Haus mit Schieferplatten ein.

Das gab ein Gerede im Dorf! Schmähsucht und Neid wetzten an Stephan ihre giftigen Zähne und überschütteten ihn und sein Werk mit Spott und Hohn. Einen Hoffartsnarren hießen ihn die Leute, einen Neuerer, der sich überalthergebrachten Brauch hinwegsetze, indem er seinem Bauernhof ein Schieferdach überstülpe. Ob er sich denn wirklich für etwas Vornehmeres halte als alle anderen in Schattendorf, weil ihm das Strohdach, unter dem seine Vorfahren gewohnt, nicht gut genug mehr sei? Oder ob er deshalb kein Stroh mehr auf dem Hause sehen könne, weil er schon genug davon in seinem Hirnkasten mit herumtrage? Ja, es kam so weit, daß die verbissensten von Stephans Neidern sich vor sein Haus hinstellten und taten, als müßten sie sich vor Lachen darüber den Bauch ausschütten. Das geschah regelmäßig, wenn sie wußten, daß der junge Bauer daheim war und den Vorgang beobachten konnte. In Schattendorf galt es nämlich jetzt als ausgemachte Sache, daß Stephan wirklich kein Mädchen aus dem Ort heiraten würde, sondern irgend eine Putzdocke aus der Stadt, welche die Renovierung des alten Hauses zur Bedingung ihres Einzugs gemacht hätte. Und diese Zurücksetzung der einheimischen Schönheiten, wenn sie auch nur in der Phantasie der Schattendorfer Einwohnerschaft bestand. wollte man ihn entgelten lassen, indem man seinen neu hergerichteten Bauernhof laut verspottete.

Doch auch das brachte Stephan nicht aus seinem beneidenswerten seelischen Gleichgewicht. Der einzige Erfolg, den die Schmähsüchtigen erzielten, erwies sich darin, daß bald ein zweiter Handwerksmeister aus der Stadt in Schattendorf eintraf. Diesmal war es ein Tüncher, und der brachte an der Giebelwand des Hauses mit großen Buchstaben eine weithin sichtbare Inschrift an. Sie lautete:

Was schad'ts dem Haus?
Einer macht's,
Der andere betracht's,
Ein dritter acht's,
Oder er verlacht's.
Was macht's?!
Nichts macht's dem Haus,
Und wer eingeht und aus.

Schön waren die Verse nicht und von Poesie steckte wirklich blutwenig in ihnen. Aber die Bauern begriffen doch, daß Stephan damit auf seine Weise Antwort auf ihr hämisches Benehmen erteilte und gleichzeitig zu erkennen gab, daß sie nicht imstande wären, ihn zu ärgern und seinen Frieden zu stören. Da ließen sie ihn denn endlich in Ruhe. Vom Spruch an der Hauswand aber nannten sie ihn den Spruchbauer und so heißt, sechzig Jahre nach den Ereignissen, die ich erzählen will, sein Sohn und Nachfolger auf dem großen Hofgut noch heutigen Tags. –

 

2.

Wiederum waren zwei Jahre verflossen, seit Stephans Haus ein Schieferdach trug, und noch immer war er unbeweibt. Da sich auch kein Stadtfräulein eingefunden hatte, das das Regiment im Spruchbauernhof geführt hätte, gaben sich die Dorfleute mit der Sachlage zufrieden. Höchstens zuckten sie die Achseln, wenn sie auf Stephan zu reden kamen, oder sie gaben ihre Meinung dahin ab, der dalkete Mensch könne es noch immer nicht verwinden, daß er kein geistlicher Herr werden durfte; deshalb wolle er, um einem solchen wenigstens in diesem einen Punkte ähnlich zu sein, für immer ledig bleiben.

Wenn dies die Absicht des jungen Mannes gewesen sein sollte, – er selbst war viel zu schweigsam und verschlossen, um sich darüber zu äußern, – so hatte er bei seiner Rechnung einen Hauptfaktor außer Ansatz gelassen, und das war seine Mutter. Die alte Frau war sehr wenig erbaut davon, daß ihr Sohn so gar keine Miene machte, ihren Wunsch nach einer Schwiegertochter der Erfüllung näher zu bringen. Deshalb nahm sie sich vor, ihm einmal auf den Leib zu rücken und ernsthaft ins Gewissen zu reden.

Am Pfingstmontag war es, nach der Vesper. Stephan saß im Baumgarten auf einer vor den Bienenständen in die Erde gerammten Holzbank und sah träumerisch zu, wie die fleißigen Tierchen bei den Stöcken ein- und ausflogen. Eine breitästige Linde schützte ihn vor den heißen Sonnenstrahlen und spendete kühlen Schatten; über dem ganzen Dorf lag festtäglicher Frieden. Es war ein einsames Plätzchen, so recht geschaffen zum stillen Sinnen und Hindämmern, wie es zu Stephans Gewohnheiten paßte. Da kam seine Mutter und setzte sich neben ihn auf die Bank. Sie hatte ein Strickzeug mitgebracht, weil sie nicht einmal an dem hohen Festtag ganz müßig gehen wollte.

»Hör', mein Bub,« leitete sie die Unterredung ein, »ich hätt' 'was zu verhandeln mit Dir.«

»Was könnt' das wichtiges sein?« fragte er lächelnd. »Denn wegen einer Bagatellsachen kämest Du mir nicht in den Garten nach, Mutterl, – und tätest auch kein so finsteres G'sicht machen, wenn Dich der Schuh nicht fest drücken würd'.«

»Ganz recht hast, Stephan! Eine wichtige Ang'legenheit führt mich zu Dir.«

»So red', Mutterl,« ermunterte der junge Mann die Bäuerin. »Vor mir brauchst Du doch g'wiß kein Blattl vor den Mund z'nehmen. Wenn Du einen Wunsch hast, den ich erfüllen kann, so ist meine Einwilligung schon im voraus dabei.«

Die Frau seufzte.

»Ich wollt', Stephan, ich dürft' Dich beim Wort nehmen,« sagte sie, »dann wär' uns gleich all' zweien geholfen.«

Nun war die Aufmerksamkeit des Bauern voll erwacht. Hastig rückte er sich auf seinem Sitz zurecht, daß er der alten Frau in die Augen schauen konnte, und fragte im Tone aufrichtiger Besorgnis:

»Mein Gott, – ist 'leicht' was ungutes vorg'fallen? – Du redest so g'spassig – –«

»Nein, nein – hab' keine Angst! Mich kommt's nur allemal so hart an, wenn ich Dich an was erinnern muß. Also kurz und gut: denkst Du denn gar nicht d'ran, daß es für Dich die allerhöchste Zeit ist zum Heiraten?«

Der Spruchbauer lachte laut auf. Dann sank er in seine lässige Haltung zurück und erwiderte geringschätzig:

»Das war's also? Nun, dessentwegen hättest mir nicht nachz'laufen brauchen. Denn das hast mir schon so oft vorg'sagt, daß ich's jetzt auswendig weiß!«

»Und doch tust Du nicht dergleichen, als ob mir G'hör schenken wolltest,« klagte die Frau. »Du kümmerst Dich wenig, daß mir bei meinem Alter ein so großes Haushalten wie das unsrige schwer ankommt.«

»Aber Mutterl!« suchte Stephan die Bäuerin mit unverhohlener Herzlichkeit zu beschwichtigen, »red' doch nicht so! Du bist ja kaum über die fünfzig Jahrln drauß', dabei g'sund und nudeldick. Auch hab ich noch nicht g'merkt, daß in unserm Haushalten nur 's G'ringste fehlen tät'. Aber damit Du siehst, daß ich Deine Wünsch' nicht hintansetz', so sag' ich halt wieder wie schon öfters: Gut, ich will heiraten; aber z'erst muß ich eine Hochzeiterin g'funden haben, die mir g'fällt, und die ich mit Freuden als Bäuerin in meinen Hof einführen kann. Bis jetzt hab ich freilich noch kein solches Mädel 'troffen.«

»Es gibt doch g'nug reiche Bauerntöchter im Dorf,« warf seine Mutter ein.

»Muß es g'rad eine reiche sein?« fragte er nachdenklich. »Der Reichtum allein macht nicht glücklich und es heißt, wo viel Geld ist, dort sitzt der Teufel.«

»Wo kein's ist, sitzt er zweimal!« lautete die schlagfertige Antwort der Frau.

»Das trifft bei uns nicht zu, Mutter! Wir sind von unserm Herrgott so gnädig bedacht worden im Haus und Hof, mit Geld und Gut, daß ich ohne Besinnen auch ein ganz armes Ding heiraten kann, wenn's mir nur g'fallen tut, und wenn's zu mir den richtigen Z'sammenstand hat. Aber darüber länger z'reden, hat keinen Wert; denn ich merk' schon, daß Du ein g'wisses Mädel im Sinn hast. Also schieß los, Mutterl, damit ich g'schwind erfahr', was nur für eine Hochzeiterin b'stimmt sein soll.«

»So weit sind wir ja noch nicht,« sagte sie einlenkend. »Ich hab' mir nur denkt in meinem Sinn, die Wiesenbauern-Lene wär' eine, die für Dich taugen tät'. De hätt' das richtige Alter und mit dem Heiratsgut klappt's auch. Ihr Vater gibt jeder von seinen Töchtern zehntausend Gulden und einen Teil von seinen besten Grundstücken mit – –«

»Ich hab Dir schon g'sagt, Mutter, daß das viele Geld in meinen Augen nicht die Hauptsach' ist,« unterbrach er ihre Rede.

»Schaust Du's 'leicht gar für ein Hindernis an beim Heiraten?«

»G'wiß nicht. Aber z'allererst muß mir die Hochzeiterin selber g'fallen. Davon geh' ich kein Haarbreit ab. Und dessentwegen will ich Dir nur sagen, daß ich mit der Wiesenbauern-Lene noch niemals ein Sterbenswörtl g'redt hab', als höchstens guten Morgen und Guten Abend, g'schweig' daß ich sie mir darauf ang'schaut hätt', ob ich sie zur Frau möcht'.«

»So versprich mir wenigstens, daß Du Dir das Mädel einmal betrachtest,« drängte sie. »Tu' mir halt den G'fallen!«

»Wenn Dir damit 'was z'lieb g'schieht, Mutter, dann von Herzen gern.« –

Zufrieden, ihren Sohn wenigstens zu diesem Versprechen bewogen zu haben, das ihn freilich zu nichts Sicherem verpflichtete, schloß die Bäuerin die Unterredung und verließ den Baumgarten. –

 

3.

Stephan hätte wirklich der beschränkte Spruchbauer sein müssen, als welchen ihn die Schattendorfer mit Unrecht ausschrien, wenn er nicht gemerkt hätte, daß seine Mutter mit dem soeben erzählten Gespräch nicht nur einen bestimmten Plan verfolgte, sondern daß sie auch schon Vorbereitungen getroffen hatte, ihn auszuführen. In der Tat hatte die Bäuerin, vom brennenden Verlangen, ihren Sohn endlich zu einer Heirat zu bewegen, geleitet, vorerst ihrerseits Umschau unter jenen Töchtern in der Gemeinde gehalten, die vermöglich genug waren, um nach landesüblichem Dafürhalten als Ehefrauen eines Großbauern in Betracht zu kommen. Sie hatte lange überlegt und geprüft, und schließlich war ihre Wahl aus mehrfachen Gründen auf des Wiesenbauern Lene gefallen. Denn erstens war die Lene, wie man so sagt, ein sauberes Mädchen, dann bekam sie einen schweren Batzen Geld mit; auch lagen die Grundstücke, die ihr der Wiesenbauer bei ihrer dereinstigen Verheiratung zugedacht hatte, in der Nähe von Stephans Besitzungen, so daß sie sich leicht damit arrondieren ließen. Nach der Bäuerin Meinung bildete also eine Verbindung mit Lene für ihren Stephan eine ausgezeichnete Partie, weil sie auf allen Seiten Vorteile und nur Vorteile zu bieten schien.

Als kluge Frau suchte sie aber zuerst Fühlung mit Lenes Eltern und fand sofort verständnisvolles Entgegenkommen. In den reichen Spruchbauernhof als Herrin einzuziehen, war ja nach bäuerlichen Begriffen ein so großes Glück, daß wohl jede heiratsfähige Tochter mit beiden Händen zugelangt und jeder Vater seinen Segen dazu gegeben hätte. Daß man Stephan im Grund nicht für ganz vollwertig einschätzte, kam dabei in keinen Betracht. Denn einerseits war die Abneigung der Schattendorfer gegen den Spruchbauer hauptsächlich nur daraus entstanden, daß er sich vom Verkehr mit ihnen möglichst fernhielt und namentlich keine Verschwägerung mit ihnen suchte, andrerseits ziehen manche Mädchen einen dummen Freier, wenn er nur sonst seinen Platz unter den Vornehmen der Gemeinde ausfüllt, dem allergescheitesten vor, weil sie den ersteren leichter unter ihren Willen zu beugen hoffen. Es gibt nämlich Weiber, die in ihrem Haushalt nicht nur den Dienstboten befehlen, sondern auch dem Mann kommandieren wollen und die Wiesenbauern-Lene zeigte alle Veranlagung zu einer solchen bösen Frau. Ihre Leute hätten etwas erzählen können von dem Starrsinn, dem harten Kopf und – dem harten Herzen des Mädchens. – –

Die Mutter Stephans hatte also die Sache mit Erfolg eingefädelt und vom Wiesenbauer die Versicherung erhalten, daß er eine Heirat seiner Tochter mit ihrem Sohn nur durchaus gern sähe, und daß Lene gleichfalls nicht abgeneigt sei, dem Spruchbauer die Hand zu reichen zum Bunde fürs Leben. Auch über die Höhe der Mitgift und eine standesgemäße Ausfertigung hatte man sich bald geeinigt, und da Stephan überdies versprochen hatte, die für ihn in Aussicht stehende Braut wenigstens einmal anzuschauen, so schien die Angelegenheit auf dem besten Weg zu sein.

Gelegenheit, die Lene zu sehen, erhielt Stephan von dieser Zeit an genug; denn seit der Wiesenbauer den jungen Mann schon halb und halb als Schwiegersohn betrachtete, entwickelte er eine merkwürdige Geschicklichkeit darin, die zwei Leutchen einander näher zu bringen. Was früher niemals geschehen, ereignete sich jetzt fast jede Woche ein paarmal: bald lud der Wiesenbauer den Stephan in sein Haus, um dessen Urteil über ein neu angekauftes Roß zu hören, bald über den Preis für fette Ochsen, welche er auf den Viehmarkt treiben wollte. Heute bat er ihn, mit einem Gespann auszuhelfen, um schneller mit dem Einfahren von Torf fertig zu werden, und auf morgen bestellte er den jungen Spruchbauer schon wieder zu einem Gang nach der Stadt, weil der Metzger wegen fetten Hämmeln für den Herbst angefragt hatte. An allen solchen Gesprächen, Arbeiten und Gängen aber, zu denen Stephan in freundnachbarlicher Weise sich bereitwillig herbeiließ, nahm auch Lene teil; sie begleitete die Männer in die Ställe und auf den Kornspeicher, fuhr mit dem Spruchbauer in den Torfstich oder auf den Rindermarkt, feilschte mit dem Metzger um den Preis der Herbstschafe, – kurz, sie tat alles, um sich vor Stephan als ein tüchtiges, im Bauerngewerbe bestens erfahrenes Mädchen zu zeigen, das einem großen Haushalt wohl vorzustehen und ihn zu regieren verstünde.

Auch wenn die Unterredung mit seiner Mutter nicht vorausgegangen wäre, hätte der Spruchbauer erkennen müssen, daß die Zuvorkommenheiten Lenes und ihres Vaters nicht von Wohlwollen und Herzlichkeit, sondern von Berechnung und dem Wunsche eingegeben waren, ihn recht bald und für immer mit der Familie des Wiesenbauer zu verbinden. Diese Erkenntnis schärfte aber den sonst mehr nach innen gerichteten Blick Stephans, so daß er an Lene manches wahrnahm, was ihn abstieß, weil er es mit dem besten Willen als keinen Vorzug betrachten konnte. Solche wiederholte Entdeckungen waren auch die Ursache, daß es mit seiner Freierei um keinen Schritt vorwärts ging, und daß es trotz ihres vielen Zusammenseins zwischen ihnen noch zu keiner vertraulichen Aussprache gekommen war. –

 

4.

Zur Zeit der Grummeternte schickte der Wiesenbauer wieder einmal zu Stephan, er möchte am andern Tag beim Hereinbringen des Futters mithelfen; er hätte dasselbe gerne unter Dach und Fach, weil das Wetter nicht mehr fest scheine.

»Ich wollte,« sagte Stephan zu seiner Mutter, welche ihm die Botschaft ausrichtete, »der Wiesenbauer tät' sich noch einen Dienstboten einstellen. Ich bin doch sein Knecht nicht, daß er mich alle Fingerlang zu einer anderen Arbeit für ihn begehrt!«

»Bist Du auf einmal so ung'fällig worden?« fragte die Bäuerin, indem sie ihn mit einer Art Sorge betrachtete. »Der Nachbar wird halt glauben, seine Einladung tät' Dir eine Freud' machen; denn ganz sicher hilft die Lene mit beim Heurechen.«

»Das glaub' ich schon selber, und auch das weiß ich im voraus, daß sie dabei wieder ein anderes neues Kopftüchl aufhaben wird, und einen anderen neuen Rock am Leib und eine blumichte Schürze drüber. Leicht hat sie auch wieder knarzende Lederschuh' an'zogen, wie neulich beim Holzabladen.«

Der unverhohlene Spott, mit dem ihr Sohn das Arbeitsgewand des Mädchens beschrieb, bekümmerte die Frau. Das war kein gutes Zeichen für des Wiesenbauern Tochter. »Merkst denn nicht,« sagte sie, »daß die Lene allemal wenn Du dabei bist, sich nur dessentwegen so sauber macht, weil sie Dir g'fallen möcht'?«

»Wenn sie das wollt', müßt' sie sich wohl anders benehmen.«

»Wie meinst denn das, Stephan?«

»Ich mein' halt, daß ich's nicht leiden kann, wenn ein Frauenzimmer ungattiger ist als das gröbste Mannsbild. Mit ihrem Vieh und auch mit den Leuten springt die Lene um, daß ich mich für sie schämen tu'. Kaum macht ein Gaul oder ein Zugochs einen falschen Tritt, sagt sie nicht etwa Hüst oder Hott, – nein, sie schlagt gleich mit dem Geißelstecken auf das arme Tier ein und flucht dazu und sackermentiert, ärger wie ein b'soff'ner Wagenschmierbrenner. Soll mir so 'was g'fallen? Und wenn sie nur mit dem lieben Vieh allein so barbarisch umgeh'n tät'! Aber den Dienstboten geht's auch nicht besser bei ihr. Da muß der Wiesenbauer kürzlich eine neue Kleinmagd 'dungen haben; wenigstens ist mir das Mädel früher nicht vor Augen 'kommen – –«

»Eine neue Kleinmagd?« fragte die Bäuerin dazwischen, »jetzt außer der Dienstzeit? Davon weiß ich gar nichts. Wie schaut sie denn aus?«

»Ach, sie ist ein schmächtig's, schmal's, blutjunges Ding, – kaum achtzehn oder neunzehn Jahr' alt. Man sieht ihr's an, daß sie noch nicht viel Bauernarbeit 'tan hat; denn sie stellt sich noch ein bißl tappig an und ihre Händ' sind auch so klein und weiß. Im übrigen aber ist sie ein hübsches G'schöpf mit dicken braunen Zöpfen und guten Augen.«

»Nun,« sagte sie schier verwundert, »Du hast Dir ja die Kreszenz fast g'nauer ang'schaut, als so ein fremdes Leut es wert ist.«

»Richtig, Kreszenz heißt sie. So hat die Lene sie immer gerufen. Du weißt also doch 'was von ihr, Mutter?«

»Nicht viel; nur daß der Wiesenbauer sie nicht als Magd aufgedungen hat.«

»Als was denn sonst?«

»Sein Weib hat das Mädel nur aus Gnad' und Barmherzigkeit ins Haus g'nommen, weil sie die Firmpatin ist davon. Der Kreszenz ihre Eltern sind nämlich Schullehrersleut' g'wesen in Elsenfeld, zwölf Stunden von hier, und die Mutter war schon vor ein paar Jahrln wegg'storben. Drum hat das Mädel ihrigem Vater haushalten müssen, bis er nächst auch die Augen zu'druckt hat. Und weil also die Kreszenz kein Unterstand g'habt hätt', dessentwegen ist sie zu ihrer Patin, der Wiesenbäuerin, 'gangen, und die hat s' aufg'nommen, – aber nicht als Magd, sondern aus lauter gutem Willen. Denn das Mädel, sagt die Wiesenbäuerin, ist so dumm, begreift alle Arbeit so schwer, und verdient kaum eine ung'schmalzene Wassersuppen; an einen Lohn, wie man ihn einer Magd bezahlt, wär' da gar nicht z'denken.«

»So, so,« machte der Spruchbauer nachdenklich. »Na, weißt, Mutter, seine Wassersuppen muß dasselbige Firmkind schon recht sauer verdienen. Denn, damit ich meine vorige Red' nicht vergeß': – wie die Lene mit deriger Kreszenz umspringt, das ist nicht zu sagen. Ich tät' mich Sünden fürchten, wenn ich einer offenkundigen Zuchthäuslerin solchene Schimpfnamen anhängen wollt', wie sie der armen Dingin alle Täg' zwanzigmal an den Kopf schmeißt. Daß sie das junge Mädel nicht mit dem Geißelstecken prügelt wie das liebe Vieh, – 's andere alles! Aber ob es nicht schon Schläg' 'kriegt hat, etwa wenn ich nicht dabei war, das weiß ich nicht. Nach dem, wie ich die Lene jetzt kennen g'lernt hab', wär' auch das möglich.«

»Ich glaub', Stephan, Du bist in deriger Sachen ein bißl z'streng,« wandte die Bäuerin ein, welche die künftige Schwiegertochter gerne entschuldiget hätte. »Eine tüchtige Frau muß allzeit fest hinter den Leuten her, und drum schadet's gar nichts, wenn die Lene ein wengl rösch mit ihnen umgeht. Sie hat halt einen solchenen Hamur.«

»Für den bedank' ich mich, Mutter! Ein Lot Mitleid ist mehr wert als eine Schubkarrenladung Grobheit. Und ich will Dir nur ganz aufrichtig g'stehen: die Röschen von der Lene g'fallt mir gar nicht.«

Damit wollte er die Stube verlassen, in welcher dieses Gespräch stattfand, als ein Pochen an der Tür laut wurde. –

 

5.

»Herein!« rief der Spruchbauer.

Zwei Männer traten über die Schwelle. Beide trugen graue Lodenjoppen, ebensolche Beinkleider und Stiefel mit langen Schäften; die runden Filzhüte hatten sie abgezogen und hielten sie in den Händen. Obwohl also ihr Gewand von der landesüblichen Bauerntracht nur wenig verschieden war, verrieten doch Haltung, Gesichtsausdruck und die weißen geschonten Hände auf den ersten Augenblick, nicht nur daß die Ankömmlinge Städter waren, sondern auch daß sie den gebildeten Ständen angehörten.

»Guten Tag!« begann der eine, der eine goldene Brille trug und dessen scharf gezeichnetes intelligentes Gesicht von einem blonden Vollbart umrahmt wurde, »wie mir scheint, haben wir die Ehre, den Herrn Stephan Niedermaier gleich bei unserm ersten Besuch zu Hause anzutreffen.«

»Ja, ich bin der Bauer Niedermaier,« gab Stephan zur Antwort. »Was wär' den Herren 'leicht g'fällig?«