August Gottlieb Meißner

 

Die Seelenfolter

 

Geschichten von Unstern und Aberwitz

 

 

 

»Und was für einen Zweck

haben schließlich Bücher,

in denen überhaupt keine Bilder

und Unterhaltungen vorkommen.«

Lewis Caroll, Alice im Wunderland

 

 

Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung und Druckvorbereitung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke



9783961188079

9783961188086

2018 andersseitig.de


andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


info@new-ebooks.de


(mehr unter Impressum-Kontakt)


Inhalt

Impressum

Der Mörder aus Bruderliebe

Die geopferten Kinder

Französischer Justizmord

Die Seelen-Folter

Der Schieferdecker. Eine ganz wahre Geschichte

Mord an seiner Frau, um ihre Seele zu retten

Die Edelfrau unter Mördern

Mörder, nach Übereinstimmung aller Umstände und seiner eigenen Überzeugung, und dennoch unschuldig

Mord-Entdeckung durch Träume

Mordbrenner und Schadenstifter, um für heilig zu gelten

Auch Mordbrenner und Selbstverräter

Der Findling

 

Der Mörder aus Bruderliebe

 

Katharina H. war eine achtzehn- bis neunzehnjährige, von Gestalt nicht uneben, von Denkungsart ziemlich wollüstige, böhmische Landdirne. Da sie das einzige Kind ihrer Eltern und zukünftige Erbin eines recht artigen Bauerngutes war, so bewarben sich viele junge Burschen um ihre Gunst. Sie gab dem Sohne ihres Nachbarn, Anton S., sichtlich den Vorzug vor allen andern. Er machte immer ihren Tänzer in der Schenke, ihren Begleiter auf Kirch- und Spazierwegen; auch ihr Kammerfenster fand er des nachts offen. Doch ihre Eltern stimmten nicht zu dieser Wahl. Sie untersagten ihr streng und plötzlich allen Umgang mit ihm und zwangen sie endlich, einen Schmied aus der nahe gelegenen Stadt C. zu heiraten.

Diese Heirat schlug aus, wie gezwungene Ehen gewöhnlich ausschlagen. Der vor der Hochzeit schon verhaßte Gatte ward ihr nach derselben noch verhaßter. Alltäglich zankte sie sich mit ihm; was sie wußte und konnte, tat sie ihm zum Possen; auch mit ihrem vorigen Liebhaber setzte sie unter der Hand den vertrautesten, jetzt zweifach unerlaubten Umgang fort. Ziemlich lange hielt die Geduld des beleidigten Ehemannes aus; doch unermüdlich war sie keineswegs. Da er anfangs das Nachgeben und dann die ernstliche Vermahnung fruchtlos versucht hatte, so schritt er endlich zur Schmiede-Rhetorik und ließ sie seine schwere Hand tüchtig fühlen. Sie lief wehklagend zu ihren Eltern, doch diese versicherten, es sei ihr recht geschehen. Auch hier ohne Unterstützung, kroch sie zwar daheim dem Scheine nach zum Kreuze; doch im Herzen hegte sie Gift und Galle. Zu allem, selbst zu den schändlichsten Gegenmaßregeln hielt sie sich nunmehr für berechtigt.

Sie erklärte daher bei der nächsten heimlichen Zusammenkunft ihrem Buhler geradezu: sie halte es nicht länger bei ihrem Wüterich aus. Er müsse ihr von ihm helfen, oder er habe es nie gut mit ihr gemeint. Sein eigner Vorteil sei damit verbunden. Denn so wie sie jetzt Witwe werde, stehe sie auch unter niemands Botmäßigkeit mehr, sei fast noch einmal so reich als vorher und werde dann ihm mit Freuden ihre Hand reichen. Anton stutzte gewaltig bei dieser Rede und meinte, das Ding sei sehr schwer, wo nicht gar unmöglich auszuführen. Aber sie wußte alles ihm leicht zu machen; zeichnete sogar ihm Schritt vor Schritt den Weg vor, den er einzuschlagen habe.

Übermorgen, sagte sie, sei Sonntag und zugleich der Namenstag ihres Vaters. Ganz gewiß werde sie dann nebstihrem Manne ins elterliche Haus gehen. Indessen wolle sie sich nach Möglichkeit zwingen, ihrem Untiere recht schön tun und ihn dadurch kirren, daß er sie diesen Sonnabend in die Schenke zur Musik führe. Dort wolle sie bleiben, bis gegen elf Uhr. Wenn sie nun heimgingen, führe sie ihr Weg bei einem Teiche zwischen einigen Weiden hin, wo es am Tage schon düster und des nachts gewiß völlig einsam sei. Hier solle Anton aufpassen. Zum Zeichen, daß sie es wären und niemand sonst mitgehe, wolle sie von weitem schon ein Liedchen trällern. Dann solle er rasch hervorspringen, ihrem Mann entweder einen Strick über den Kopf werfen oder mit einem Beile einen so kräftigen Streich aufs Hinterhaupt versetzen, daß er hinstürze. Sie selbst wolle ihn dann schon erdrosseln helfen. Daß sie zwei eines Einzigen, der sich dessen nicht vermutend und überdies wahrscheinlich halb trunken sei, Meister werden würden, sei gar keine Frage.

Sie fiel, indem sie dies sagte, ihrem Liebhaber um den Hals, wies ihm die Merkmale der seinetwegen, wie sie vorgab, erhaltenen Schläge, streichelte, herzte ihn, weinte wohl ein paar Tränen; kurz, tat alles Mögliche, um ihn anzufeuern, und er – widerstand nicht länger. Mit Hand und Mund ward man einig: daß der verhaßte Ehemann die Mitternachtsstunde des nächsten Sonntags nicht mehr schlagen hören solle. Zur Vermeidung alles Argwohns wolle man nach vollbrachtem Morde ihn berauben, und seine Mörderin, absichtlich hier und da blutrünstig geritzt, solle in die nächsten Häuser eilen, allda Räuber oder Mörder schreien und die Leute zu Hilfe rufen, wenn keine Hilfe mehr möglich sei.

So schied man voneinander. Aber kaum war Anton wieder allein, kaum überdachte er, was er versprochen hatte, genauer, da stellten sich auch schon wieder Bedenklichkeiten in Menge bei ihm ein: der Schmied war ein großer, baumstarker Kerl; wenn der erste Schlag in der Dunkelheit oder Eile ihn verfehlte; wenn er dann selbst über seinen Angreifer herfiele; wenn der genossene Trunk seine ohnedem beträchtlichen Kräfte eher verstärkt als geschwächt hätte; wenn auf sein Rufen andre Menschen herbeieilten?

Alles dieses waren Möglichkeiten, die in Antons Kopfe bald zu Wahrscheinlichkeiten wurden, welche den ganzen Sonnabend ihn tiefsinnig umhertrieben und ihn endlich Sonntag morgens zu dem Entschlusse bewogen, noch einen Gehilfen sich anzuwerben. Er hatte einen Bruder, Georg mit dem Vornamen, der einige Jahre älter und Knecht auf einem benachbarten Meierhofe war, ein guter, ehrlicher Bursche, der mit Bruder Anton stets in bestem Einverständnis gelebt, um seine ehemalige Liebschaft mit Katharinen gewußt, die Fortdauer ihres Umgangs ebenfalls schon gemerkt, doch nie in etwas sich eingemischt hatte. Zu ihm ging jetzt Anton, vertraute ihm alles haarklein und schloß mit der Bitte: Abends seinen Begleiter und Beistand zu machen.

Aber mit Abscheu verwarf Georg einen solchen Vorschlag; mit dem wärmsten Eifer drang er in seinen Bruder, das ganze Unternehmen aufzugeben. Nicht bloß von der Seite der Gefahr, mehr noch von der Abscheulichkeit des Verbrechens selbst nahm er seine Gründe her. Daß ein Weib mit solchen Vorsätzen durchaus nicht Liebe verdiene; daß den Vollbringer einer so abscheulichen Tat, auch wenn sie unentdeckt bliebe, sein Gewissen durchs ganze Leben elend mache. Das stellte er ihm mit den hellsten Farben vor und ließ nicht eher ab, bis er von ihm das Versprechen erhielt, seinem Anschlag wenigstens für dies Mal noch zu entsagen.

Anton hatte bei des Bruders letztern Worten wirklich gerührt zu sein geschienen, hatte ihm mit merklichen Zittern die Hand darauf gegeben, daß er von ihm nach Hause gehen und nach Sonnenuntergang nicht mehr vor die Türschwelle, geschweige an den bewußten Ort sich begeben wolle. Gleichwohl traute Georg nicht völlig. Nach dem Abendessen, als er alle ihm zukommende Arbeit verrichtet, erbat er sich von seinem Dienstherrn die Erlaubnis, noch ein Stündchen wegzugehen, und eilte ins väterliche Haus. Anton war nicht da. Georg sah in der Schenke nach und fand ihn dort eben so wenig. Ha, was gilts! Er lauert schon am Teiche! So dachte er und flog gleichsam mehr hin, als daß er ging.

Sein Argwohn war leider nur zu gegründet. Er traf ihn hinter einer dieser Weiden, mit Strick und Beil bewaffnet.

Jetzt – dies bezeugte nachher beim Verhör Anton selbst mit Tränen! – jetzt wandte Georg noch einmal alle ihm mögliche Beredsamkeit an, seinen Bruder zur Rückkehr zu bewegen. Da er wohl sah, daß sein Gewissen, durch Leidenschaft und Eigennutz verelendet, sich über alle Sträflichkeit der Tat wegsetze, so suchte er ihn durch Vorstellung der Unmöglichkeit, daß so ein Mord unentdeckt bleibe, zu schrecken. Ja, er schwur hoch und teuer, daß er jetzt gleich zum Richter hineilen, alles anzeigen und diesem Bubenstück zuvorkommen wolle, wenn Anton nicht stracks mit ihm heimgehe.

Diese letzte Drohung wirkte; Anton entschloß sich endlich zum Mitgehen. Aber indem er kaum einige Schritte fortgeschlichen war, schlug es auf dem Kirchturm in C. elf Uhr, und indem der Zaudernde stehen blieb, um, wie er sagte, zu zählen, hörte er von weitem schon die unselige Losung – hörte singen und erkannte gar leicht Katharinens Stimme. Unaufhaltsam riß er sich jetzt von seinem Bruder los und stürzte auf den Ort zu, von wannen der Schall herkam.

Stockstill und unentschlossen stand Georg einige Augenblicke da. Was sollte er auch tun? Dem Wütenden nacheilen, ihn rufen – seinen eigenen Bruder verraten? Oder auf dem Heimweg fortschreiten und alles gehen lassen, wie es gehe? Peinlich genug war diese Lage, doch was darauf folgte, war noch peinlicher. Denn kaum ein oder zwei Minuten später vernahm er ein dumpfes Getöse, rasch darauf einen harten Fall und Antons Ruf: Um Gottes willen, Bruder, zu Hilfe! Er bringt mich um!

Hier verließ Georgen alle Fassung, ja fast alles Bewußtsein. Ohne zu wissen, was er eigentlich tue, flog er hinzu, erblickte – so viel es der Ort und die Düsternheit der Nacht zuließen – zwei Männer, die auf dem Erdboden zusammen ringend lagen, und hörte, daß der untere nochmals röchelnd rief: Bruder, rette mein Leben! schlage zu!

Nicht einmal einen Stock hatte Georg in der Hand, aber leider sah er in diesem Augenblick das Beil blinken, das Antons Faust beim Fall entsunken war. Rasch griff er darnach und führte aufs Haupt des oben liegenden Schmieds einen so gewaltigen Streich, daß dem Unglücklichen stracks die Hirnschale zerspaltete und er mit einem lauten jammervollen Jesus Maria! seinen Gegner fahren ließ. Leicht wandte sich Anton nun wieder hervor und erdrosselte denjenigen vollends, der ohnedem schon mit dem Tode rang.

Alles dies war das Werk einiger wenigen gräßlichen Minuten. Georg hatte gleich nach vollführtem Streiche das unselige Werkzeug des Mordes weit von sich weggeschleudert. Ohne weiter auf seines Bruders Zuspruch zu achten, ohne einen Augenblick länger zu verziehen, floh er querfeldein über Äcker, Steine, Gräben seiner Heimat zu. An Beraubung des Ermordeten gedachte er nicht weiter; kaum war er sich so viel gegenwärtig, daß er das weggeworfene Beil aufsuchte und mitnahm.