Vicente Blasco Ibañez

Die blutige Arena

 

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

 

I

Juan Gallardo betrat als erster den weiten Speisesaal, in welchem er sich zu einem einfachen Mahle setzte: Ein Stück gebratenen Fleisches war sein einziger Gang, der Wein blieb unberührt vor ihm stehen. Er durfte nichts trinken, wollte er sich nicht der Gefahr aussetzen, den sicheren Blick zu trüben, die Schnelligkeit seiner Entschlüsse zu lähmen. Er trank zwei Tassen schwarzen, starken Kaffees und zündete sich eine dicke Zigarre an. Dann setzte er die Ellbogen auf den Tisch, stützte das Kinn in die Hände und schaute träumerischen Blickes auf die Gäste, welche langsam den Speisesaal füllten.

Seit seinem ersten Auftreten in Madrid, das schon einige Jahre zurücklag, blieb er dem Hotel in der Alcalastraße treu, denn hier behandelten ihn die Besitzer mit einer Herzlichkeit, als gehörte er zur Familie, während die Kellner, Türhüter, die Köche und die alten Stubenmädchen bewundernd zu ihm aufblickten. Hier hatte er infolge zweier Verwundungen manch bösen Tag auf dem Schmerzenslager, in einer von Jodoform und Zigarrenrauch verpesteten Luft verbracht. Doch diese Erinnerung machte keinen weiteren Eindruck auf ihn. In seinem durch alle möglichen Gefahren genährten Aberglauben dachte er, daß ihm dieser Gasthof Glück bringe und er hier gegen jedes Unglück gefeit sei. Er konnte Pech haben, indem ihm ein Hornstoß das Galakleid zerriß oder seinen Körper traf, aber etwas Ernstliches, wie es so vielen anderen Kameraden passiert war, deren Bild nun seine schönsten Stunden trübte, das war bei ihm ausgeschlossen.

An Tagen eines Stierkampfes blieb er gerne nach seinem frühen Mittagmahl im Speisesaal sitzen, um dem Leben und Treiben um ihn zuzuschauen: Fremde oder Leute aus anderen Provinzen gingen gleichgültigen Blickes, ohne ihn anzuschauen, vorüber, doch drehten sich alle sofort neugierig um, wenn sie von den Kellnern erfuhren, daß dieser stattliche Mann mit dem glattrasierten Gesicht und den schwarzen Augen, der wie ein feiner Herr gekleidet war, Juan Gallardo, der berühmte Stierkämpfer sei, den alle familiär nur Gallardo nannten.

In dieser aus Neugierde und Bewunderung zusammengesetzten Umgebung verbrachte er die aufreibende Wartezeit bis zu der Stunde, die ihn in die Arena rief. Doch wie lang wurde ihm die Zeit! Diese Augenblicke der Ungewißheit, in welchen eine unbestimmte Furcht aus der Tiefe seines Herzens aufstieg, eine Furcht, welche ihn an sich selbst zweifeln ließ, diese Stunden waren die bittersten seines Berufes. Er wollte nicht auf die Straße gehen, da er an die Anstrengungen des Stiergefechtes und an die Notwendigkeit dachte, sich frisch und gelenkig zu erhalten. Ebensowenig durfte er sich den Genüssen der Tafel hingeben, da er die nach üppigen Mahlzeiten eintretende Mattigkeit während des Kampfes zu fürchten hatte.

Er blieb also an seinem Tische, das Kinn in die Hände gestützt und eine Wolke duftenden Rauches vor den Augen, welche manchmal mit einer gewissen Eitelkeit einige Damen anblickten, die ihrerseits den berühmten Stierkämpfer mit Interesse betrachteten. In solchen Augenblicken glaubte er als der verwöhnte Liebling der Menge, Lob und Schmeicheleien in diesen Blicken zu erraten, die ihn wohlgefällig ansahen, da er hübsch und elegant war. Diese Huldigung der Frauen brachte ihn gleich auf andere Gedanken, er setzte sich mit der Gebärde eines Mannes, der gewohnt ist, eine stolze Haltung vor dem Publikum einzunehmen, aufrecht hin, streifte mit dem Nagel die Asche seiner Zigarre ab und richtete sich den breiten Ring, dessen großer Diamant einen Strahlenglanz um sich verbreitete.

Sein Blick glitt voll Zufriedenheit über seine Person, er bewunderte die Eleganz der Kleidung, seine goldene Uhrkette, die Krawattennadel, deren Perle in ihrem milchigen Schein den dunklen Ton seines Gesichtes zu mildern schien, seine Lackschuhe, welche zwischen dem Schaft und der Hose ein Paar Seidensocken freiließen, die wie Strümpfe einer Kokotte durchbrochen und gestickt waren.

Ein starker Duft nach englischem Parfüm stieg aus den Kleidern und aus den Wellen seines schwarzen, glänzenden Haares auf, als er so vor der weiblichen Neugierde die Haltung eines Triumphators annahm. Für einen Stierkämpfer paßte das ganz gut, er fühlte sich von seiner Person befriedigt. Doch gleich darauf stellten sich die früheren Gedanken wieder ein und der Glanz seiner Augen trübte sich. Er dachte sehnsüchtig an die Stunden der Dämmerung, an die Heimkehr, wann er schweißbedeckt und ermüdet nach Hause kam, aber voll Freude auf die besiegte Gefahr zurückblickte, er dachte an seine nun durch kein Verbot gehemmten Neigungen, an seine närrische Begierde nach Lust und an die Gewißheit, so viele Tage in Sicherheit und Ruhe verleben zu können. Wenn Gott ihn so wie früher beschützen wollte, dann würde er auch wieder mit seinem alten Appetit essen, sich einige Gläschen Wein vergönnen und ein Mädchen aufsuchen, das in einer music-hall sang. Es war eine Bekanntschaft aus früheren Tagen, die er aber auf seinem Zigeunerleben quer durch die ganze Halbinsel nicht weiter fortgesetzt hatte.

Inzwischen hatte sich der Saal mit Freunden und Anhängern Gallardos, welche den Stierkämpfer vor ihrem Mittagessen noch sehen wollten, fast ganz gefüllt. Es waren alte Verehrer, welche ihn mit einer gönnerhaften Vertraulichkeit begrüßten. Er antwortete ihnen, wobei er ihrem Namen die Anrede »Don« vorsetzte und so den traditionellen Unterschied betonte, der noch immer zwischen dem aus dem Volke emporgestiegenen Torero und seinen Bewunderern besteht. Auch andere Gäste in abgetragener Kleidung und mit blassen, vor Hunger abgezehrten Mienen betraten den Saal. Es waren Leute, welche nur den Stierkämpfern bekannt waren und deren Beruf ein Geheimnis blieb. Allein sie stellten sich pünktlich ein, wenn Gallardo auftrat und machten sich dann mit Bitten und Schmeicheleien an ihn heran, um Karten zu erhalten. Doch eine gemeinsame Begeisterung verband sie mit den anderen Herren, welche Großkaufleute oder öffentliche Würdenträger waren und die eifrig mit ihnen die Chancen des Stiergefechtes erörterten, ohne sich irgendwie durch das bettelhafte Äußere ihrer Nachbarn abgestoßen zu fühlen.

Alle umarmten den Torero oder drückten seine Hand, wobei sie Fragen und Ausrufe an ihn richteten. Es war der erste Stierkampf im Frühjahr und die Anhänger Gallardos zeigten große Zuversicht, da sie sich an die Nachrichten erinnerten, welche sie in den verschiedenen Zeitungen über die jüngsten Erfolge ihres Helden gelesen hatten. Er war der Stierkämpfer, welcher die meisten Verträge abgeschlossen hatte. Nach der ersten Toreada zu Ostern in Sevilla, womit die Saison eröffnet wurde, reiste Gallardo von Stadt zu Stadt, um Stiere zu töten. Im August und September mußte er die Nacht im Zug und den Nachmittag im Zirkus verbringen, ohne Zeit zu haben, sich ein wenig auszuruhen. Sein Vertreter in Sevilla wurde oft halb verrückt, da er so viele Anträge erhielt, daß er nicht mehr wußte, wie er sie in die noch freie Zeit einordnen sollte. Vorgestern hatte er in Ciudad Real gekämpft und war noch im Galakleide in den Zug gestiegen, um am Morgen in Madrid anzukommen. Er hatte die Nacht, nur von Zeit zu Zeit ein wenig nickend, auf dem Sitz verbracht, den ihm gefällige Reisende abgetreten hatten, um dem Mann, der am Nachmittag sein Leben wagen sollte, ein wenig Erleichterung zu gewähren. Die Enthusiasten bewunderten seine physische Widerstandskraft und seine Tollkühnheit, mit welcher er sich auf die Stiere stürzte, wenn er ihnen den Todesstoß versetzte. »Wir werden ja heute abends sehen, was du kannst«, sagten sie mit der Überzeugung treu ergebener Anhänger. »Deine Freunde erhoffen viel von dir. Trachte nur, daß du dich so wacker hältst, wie in Sevilla.« Langsam löste sich die Schar der Bewunderer, die nach Hause eilten, auf, weil sie nach dem Mittagessen rechtzeitig in die Arena kommen wollten. Da sich Gallardo allein sah, entschloß er sich, der nervösen Spannung, die ihn beherrschte, nachgebend, auf sein Zimmer zu gehen.

Als er aus dem Speisesaal trat und sich der Treppe zuwandte, da kam eine Frau, welche in einen alten Mantel gehüllt war, aus der Portierloge des Hotels und eilte auf ihn zu, ohne sich um die Einsprache der Kellner zu kümmern. »Juan! Mein lieber Juan! Kennst du mich nicht? Ich bin die Caracola, die Dolores des armen Lechuguero.« Gallardo lachte der alten, schwarzen, kleinen und verrunzelten Frau, welche ihn mit einem Wortschwall begrüßte und ihn mit feurigen Augen anschaute, freundlich zu. Da er gleichzeitig den Grund ihrer Lobsprüche erriet, hob er die Hand zur Weste. »Mein Sohn, seit ich wußte, daß du heute auftrittst, sagte ich mir: Suche Juan auf, denn er wird die Frau seines Kameraden nicht vergessen haben ... Wie hübsch du bist. Die Frauen laufen dir auch alle nach ... Mir geht es schlecht. Man läßt mich aus Mitleid im Gasthof Pepona dort unten, ein sehr feines Haus, komm einmal hin, um dich zu überzeugen ... Ach, wenn mein armer Junge lebte! Erinnerst du dich an Pepiyo und an die Nacht, in der er starb?«

Gallardo legte schnell den Duro in ihre magere Hand und bemühte sich, ihrem Geschwätz zu entfliehen. Verdammte Alte! Sie mußte ihn auch gerade am Tage des Stierkampfes an den Kameraden seiner ersten Jahre, den armen Lechuguero erinnern, den er an den Folgen eines Hornstoßes, der ihm die Brust durchbohrt hatte, auf der Plaza de Lebrija hatte sterben sehen, als sie beide noch Anfänger waren. Verdammte Alte! Er schob sie zur Seite, doch sie wechselte unvermittelt ihr Thema und begann eine Lobrede auf die wackeren Burschen, die Toreros, welche das Geld der Zuschauer und die Herzen der Frauen gewinnen. Die lauten Bemerkungen der Alten und ihre begeisterten Apostrophen verursachten unter den Angestellten des Gasthofes eine allgemeine Heiterkeit und ermutigten dadurch eine Menge Neugieriger und Bittsteller, welche die Gegenwart des Toreros angelockt hatte. Sie stürzten sich alle, Kellner und Angestellte des Hauses beiseite drückend, in das Vestibül, die Straßenjungen mit ihren Zeitungspaketen unter den Armen schwenkten die Mützen und grüßten Gallardo mit einer Begeisterung, in welche sich auch eine gewisse Vertraulichkeit mischte. »Hoch Gallardo, hoch die Stierkämpfer!« Die Kühnsten haschten nach seiner Hand, faßten und schüttelten sie nach allen Richtungen, wobei sie nur den Wunsch hatten, dieses Zusammensein mit dem berühmten Nationalhelden, den sie so oft in den Zeitschriften abgebildet gesehen hatten, so lang als möglich auszudehnen. Sie ermutigten ihre Kameraden, denen sie auch einen Strahl dieses Ruhmes verschaffen wollten. »Gib ihm nur die Hand, er ist nicht böse, sondern sehr freundlich.« Und es fehlte nicht viel, so hätten sie sich in ihrer Begeisterung vor dem Stierkämpfer niedergekniet. Andere Zuschauer, mit struppigem Bart, alten Kleidern, schäbiger Eleganz und zerrissenen Schuhen umringten das Ideal starker Männlichkeit und schwenkten vor ihm ihre schmutzigen Hüte. Dabei sprachen sie leise zu ihm und nannten ihn Don Juan, um sich dadurch von dem zudringlichen Gesindel zu unterscheiden. Einige baten ihn um ein Almosen, andere wieder, die kühner waren, ersuchten mit Rücksicht auf ihre Verehrung für ihn um eine Karte, die sie dann schleunigst verkaufen wollten. Gallardo verteidigte sich lachend vor dieser Lavine, die auf ihn einstürzte, ohne daß es den Angestellten des Hotels, die über eine solche Popularität nicht wenig bestürzt waren, möglich gewesen wäre, ihn zu befreien. Er hielt in seinen Taschen Nachlese, und verteilte blindlings alles, was er fand. »Nun habe ich nichts mehr, die Taschen sind leer. Laßt mich in Ruhe, ihr Schlingel!« Indem er sich über diese Beliebtheit, die ihm schmeichelte, ungehalten stellte, bahnte er sich mühsam einen Weg und eilte die Treppe hinauf, während die Diener nun rücksichtslos die Menge auf die Straße hinausstießen.

Gallardo ging an dem Zimmer, welches sein Diener Garabato bewohnte, vorüber, und sah durch die offene Tür, wie sein Famulus zwischen Koffern und Schachteln das Kostüm für den Stierkampf vorbereitete. Als er dann allein im Zimmer stand, fühlte er, wie mit einem Schlage die fröhliche Erregung, in welche ihn die Begeisterung der Menge versetzt hatte, schwand. Nun kamen die schwarzen Momente jener Tage, an welchen er den Degen umgürtete, die Ungewißheit der letzten Stunden, ehe er den Zirkus betrat. Stiere aus Miura und das Publikum aus Madrid warteten auf ihn. Die Gefahr, welche er um sich sah, schien ihn zu berauschen, seine Kühnheit zu vergrößern, beim Alleinsein jedoch zu bedrücken, wie etwas Übernatürliches, das schon durch die Ungewißheit Furcht und Schrecken erregt. Er fühlte sich ganz klein, als ob mit einem Schlage die Anstrengung der vergangenen bösen Nacht auf ihn einwirkte. Er empfand das Verlangen, sich auf das Bett zu werfen, doch die Ungewißheit dem gegenüber, was ihn erwartete, verscheuchte sein Schlafbedürfnis. Er ging unruhig durch das Zimmer und zündete sich am Ende der abgerauchten Zigarre eine neue an. Wie würde sich die Saison, die er nun in Madrid eröffnen sollte, für ihn anlassen? Was würden seine Feinde sagen, wie sich seine Konkurrenten verhalten? Er hatte schon viele Stiere aus Miura erlegt, einer war schließlich so wie der andere. Gleichwohl dachte er an die Kameraden, die tot in der Arena geblieben waren, alle ein Opfer der Viehzucht dieses Ortes. Glückliche Leute aus Miura! Dafür verlangte er und die anderen Stierkämpfer in den Kontrakten um tausend Pesetas mehr, wenn sie diesen Tieren entgegentreten sollten.

Er ging noch immer nervösen Schrittes durch das Zimmer. Manchmal hielt er an, um Gegenstände zu betrachten, die ihm schon längst vertraut waren, dann ließ er sich in einen Lehnstuhl fallen, als ob ihn ein plötzlicher Schwindel erfaßt hätte. Er schaute wiederholt auf die Uhr, es war noch nicht zwei. Wie langsam verging die Zeit! Er wollte, um seine Nerven zu beruhigen, schon vor dem Augenblicke stehen, in welchem er sich anziehen und auftreten mußte. Die Menge, der Lärm, die Neugierde des Volkes, der Wunsch, sich heiter vor der öffentlichen Bewunderung zu zeigen, und vor allem die Nähe der wirklichen und greifbaren Gefahr verscheuchten sofort dieses Angstgefühl der Einsamkeit, in welcher sich der Toreador, da ihm das Stimulans der von außen kommenden Spannung fehlte, in nichts vor einem anderen furchtsamen Menschenkinde unterschied. Der Wunsch, sich zu zerstreuen, ließ ihn in der inneren Tasche seines Rockes Nachschau halten. Er zog mit seiner Brieftasche auch ein Schreiben heraus, welches einen süßen und starken Duft verbreitete. Er trat an ein Fenster, durch welches die gedämpfte Helle eines Hofes fiel, und betrachtete den Briefumschlag, den man ihm bei seiner Ankunft im Hotel überreicht hatte, wobei er die schöne Schrift der Adresse bewunderte.

Er zog das Blatt heraus und entfaltete es, während er mit Entzücken den undefinierbaren Duft einsog, der dem Brief entströmte. Oh, diese vornehmen, vielgereisten Personen! Wie lassen sie doch ihre unnachahmliche Überlegenheit sogar in den kleinsten Einzelheiten erkennen und fühlen! Denn Gallardo parfümierte sich, als ob ihm wieder der üble Geruch des Elends seiner ersten Jahre in die Nase gestiegen wäre, in einer übertriebenen Weise. Seine Feinde spotteten diesbezüglich oft über den athletischen Burschen und gingen in ihrer Gehässigkeit so weit, ihm die natürlichen Empfindungen seines Geschlechtes abzusprechen. Seine Freunde lächelten über diese Schwäche, mußten aber oft das Angesicht abwenden, da sie nicht selten von den übermäßigen Parfümwolken, die der Stierkämpfer um sich verbreitete, wie betäubt waren. Auf seinen Reisen begleitete ihn eine Sammlung verschiedener Riechwasser und die weibischesten Essenzen salbten seinen Körper, wenn er die Arena betrat. Einige begeisterte Kokotten hatten ihm das Geheimnis ausgesuchter Mischungen feiner Parfüms mitgeteilt. Aber dieser Brief hatte einen geheimnisvollen, undefinierbaren Duft, den man nicht nachahmen konnte und der aus einem aristokratischen Körper auszuströmen schien, so daß er ihn »Frauenduft« nannte.

Er las die Karte mit dem glücklichen Lächeln der Freude und des Stolzes. Es war nicht viel. Ein halbes Dutzend Zeilen, ein Gruß aus Sevilla, der ihm viel Glück in Madrid wünschte, ein schon vorweggenommener Glückwunsch für seinen Triumph. Dieser Brief konnte ohne jede Gefahr für die Frau, welche ihn geschrieben hatte, in fremde Hände kommen. Am Beginn stand »Freund Gallardo«, am Ende »Ihre Freundin Sol«, alles in einem kalten, höflichen Stil, die Ansprache »Sie« mit einem liebenswürdigen Ton der Überlegenheit, als ob die Worte nicht zu einem Ebenbürtigen gesprochen, sondern herablassend an ihn gerichtet wären. Der Torero konnte sich, als er den Brief las, eines gewissen Gefühls des Unbehagens, von oben herab behandelt zu werden, nicht erwehren. »Dieses Weib,« murmelte er, »nur sie kann mir in dieser kalten Form schreiben!« Doch die Erinnerung an verschwiegene schöne Stunden ließ ihn voll Befriedigung lächeln. Der kalte Stil war für den Brief, es war die Gepflogenheit der großen Damen, welche viel in der Welt herumgekommen waren. Sein Ärger verwandelte sich in Bewunderung und in seinem Lächeln zeigte sich die Genugtuung, der Stolz des Bändigers, der, wenn er die Kräfte des besiegten Tieres mit seinen eigenen vergleicht, mit dem Erfolge prahlt.

Während Gallardo den Brief betrachtete, trat sein Diener Garabato in das Zimmer und brachte Kleider und Schachteln, welche er auf das Bett legte. Er war still und geschickt in seinen Bewegungen und begleitete den Torero schon lange Jahre als treuer Leibbursche. Er hatte in Sevilla mit Gallardo die Stierkämpferlaufbahn begonnen. Doch wie seinem Gefährten der Ruhm, so waren ihm die Schattenseiten des Berufes vorbehalten geblieben. Er war klein, schwarz, schwach, eine schlecht verharschte Narbe durchschnitt wie ein weißer Haken sein vertrocknetes und schlaffes Gesicht. Es war dies die Erinnerung an eine Wunde, die ihn für tot auf den Sand hingestreckt hatte, und zu dieser Erinnerung gesellten sich noch andere, die sein Körper an verschiedenen Stellen aufwies. Wie durch ein Wunder kam er trotz all' dieser Verletzungen mit dem Leben davon, doch das Grausamste war für ihn, daß die Leute über sein Unglück lachten und ein Vergnügen daran fanden, wenn sie sahen, wie die Stiere ihn zugerichtet hatten. Endlich mußte sich seine starrköpfige Ungeschicklichkeit vor der Ungunst des Glückes für besiegt erklären und er wurde der treue Diener seines alten Kameraden. Er war der glühendste Bewunderer Gallardos und tat sich manchmal etwas auf seine Freundschaft zugute, indem er sich Ratschläge und Kritiken erlaubte: wäre er an Stelle seines Herrn gewesen, so hätte er manches besser gemacht. Die Freunde des Torero hatten über die gescheiterten Ambitionen seines Dieners viel zu lachen, doch dieser kümmerte sich nicht um diese Scherze. Er sollte auf die Stiere verzichten? Niemals! Um aber die Erinnerung an seine Vergangenheit nicht ganz zu verwischen, kämmte er sich das störrige Haar in glänzenden Locken über die Ohren und trug rückwärts das traditionelle Büschel Haare, das Kennzeichen des Toreros. Wenn sich Gallardo mit ihm zankte, ereiferte sich der Espada immer über diesen Kopfputz. Garabato hörte alle Drohungen seines Herrn an, ohne ein Wort zu erwidern, rächte sich aber, indem er sich in Schweigen hüllte und mit einem Achselzucken die fröhliche Laune Gallardos beantwortete, wenn dieser nach einem glücklichen Stiergefecht mit kindlicher Befriedigung fragte: »Nun, was denkst du?« Von ihrer früheren Kameradschaft her hatte er das Vorrecht behalten, seinen Herrn zu duzen, er konnte gar nicht anders mit ihm sprechen. Doch begleitete er jedes »Du« mit einer würdevollen Bewegung, mit einem Ausdruck tiefen Respektes. Seine Vertraulichkeit war ungefähr dieselbe, mit welcher die alten Knappen ihre Raubritter behandelten.

Torero vom Scheitel bis zur Sohle war er gleichzeitig auch Schneider und Kammerdiener. Bekleidet mit einem englischen Anzug, einem Geschenk seines Herrn, brachte er Büchsen mit Näh- und Stecknadeln und auf einem Kissen verschiedene schon eingefädelte Nadeln. Seine trockene, braune Hand hatte eine fast frauenhafte Anmut, die Gegenstände zu handhaben und herzurichten. Als er die für seinen Herrn notwendige Kleidung auf dem Bette ausgebreitet hatte, musterte er noch einmal die verschiedenen Gegenstände, um sich zu überzeugen, daß nichts fehlte. Dann stellte er sich in die Mitte des Zimmers, und ohne Gallardo anzublicken, sagte er, gleichsam zu sich sprechend, mit mürrischer Stimme und starker Betonung: »Zwei Uhr!«

Gallardo hob nervös den Kopf, als hätte er die Gegenwart des Dieners bis jetzt noch nicht bemerkt. Er steckte seinen Brief in die Tasche und ging nachlässig durch das Zimmer, wie um den Augenblick des Anziehens hinauszuschieben. Doch plötzlich belebte sich sein blasses Gesicht wie unter einem heftigen Schlag, seine Augen öffneten sich weit, als ob er unter der Einwirkung einer furchtbaren Überraschung zu leiden hätte. »Welches Kleid hast du da herausgenommen?« Garabato zeigte auf das Bett, doch ehe er antworten konnte, schrie ihn der Torero zornig an: »Verdammt! Kennst du noch immer nicht dein Geschäft? Bist du verrückt! Ich soll hier in Madrid gegen Stiere aus Miura auftreten und du bringst mir den roten Anzug, denselben, welchen der arme Emanuel Espartero trug? Es scheint, daß du mir den Tod wünschest, du Schurke!« Seine Erregung stieg in dem Maße, als er den Gedanken, der einer Todesdrohung gleichkam, weiterspann. Seine Augen funkelten in einem feindseligen Feuer, als wenn er gerade einen heimtückischen Überfall erlebt hätte. Das Weiße der Augen rötete sich und es schien, als ob er über den armen Garabato herfallen wollte.

Ein diskretes Klopfen an der Tür machte dieser Szene ein Ende. »Herein!« Ein junger, weißgekleideter Mann mit roter Krawatte und dem Filzhut in der Hand, trat in das Zimmer. Gallardo erkannte ihn sogleich mit jener Leichtigkeit, mit der sich Leute, welche immer vor den Augen der Menge stehen, an Gesichter erinnern. Sein Zorn verwandelte sich sofort in liebenswürdigste Freundlichkeit. Es war ein Freund aus Bilbao, einer aus der Schar seiner begeisterten Verehrer. Das war alles, woran er sich erinnerte. Doch der Name, wie lautete er nur? Er wußte bloß, daß er ihn duzen konnte, daß beide schon lange Zeit Freunde waren. »Welche Überraschung! Wann bist du gekommen? Wie geht es zu Hause?« Sein Bewunderer setzte sich mit der Befriedigung eines Jüngers, der in das Heiligtum des Meisters eindringen darf. Voller Freude, von ihm mit »du« angesprochen zu werden, schien er entschlossen, ihn erst im letzten Augenblicke zu verlassen. Nach jedem zweiten Wort nannte er ihn Juan, damit das ganze Haus und alle, welche draußen vorbeigingen, ihn um seine Vertraulichkeit beneiden konnten. Er war in der Frühe aus Bilbao gekommen und wollte am nächsten Morgen wieder zurückfahren, das alles, nur um Gallardo zu sehen. Er hatte seine großen Erfolge gelesen, die Saison fing ja gut an, und nun freute er sich auf den Kampf. Den Morgen hatte er bei den Stieren verbracht und dort einen schwarz-braunen Bullen bewundert, der unter der Hand Gallardos sicher ein spannendes Spiel aufführen würde.

Doch der Meister unterbrach diese Prophezeiungen seines Verehrers mit einer gewissen Hast. »Entschuldige mich jetzt, ich muß mich anziehen.« Und er verließ das Zimmer und ging schnell zu einer kleinen Tür am Ende des Korridores. »Was soll ich herauslegen?« fragte Garabato mit einer Stimme, welche durch das Bestreben, sich unterwürfig zu zeigen, noch brüchiger klang. »Das grüne, das braune, das blaue, was du willst«, und Gallardo verschwand hinter der Tür, während der Diener, der sich nun allein sah, boshaft vor sich hinlächelte. Er kannte dieses plötzliche Verschwinden seines Herrn im Augenblick des Anziehens. Und sein Lächeln drückte Befriedigung darüber aus, daß auch die Großen und Starken die gleiche Furcht, das gleiche Bedürfnis empfanden wie er, als er seinerzeit in die Arena ging.

Als Gallardo in sein Zimmer zurückkehrte, begegnete er einem neuen Besucher. Es war Dr. Ruiz, der bekannte Arzt, der seit dreißig Jahren den ärztlichen Dienst bei den Stierkämpfern versah und den Toreros im Falle einer Verwundung Hilfe leistete. Gallardo bewunderte ihn und hielt ihn für den ersten Vertreter des universalen Wissens, während er sich gleichzeitig freundliche Späße über seinen gütigen Charakter und sein vernachlässigtes Äußere erlaubte. Seine Bewunderung war die eines Mannes aus dem Volke, der das Wissen nur bei einem Sonderling anerkennt. Der Doktor war klein und dick, hatte ein breites Gesicht, eine etwas platte Nase und einen graumelierten Backenbart; all das verlieh seinem Aussehen eine gewisse Ähnlichkeit mit Sokrates. Wie er so dastand, schien sich sein Bauch mit jedem Wort zu bewegen, beim Sitzen ragte dieser Teil des Körpers weit über seine flache Brust hinaus. Schmutzige und abgetragene Kleider schlotterten wie Geschenke aus fremder Hand um seinen Körper, der in den Partien, die der Verdauung fröhnten, dick und fett war, jedoch dort, wo Bewegung zu leisten war, armselig und zurückgeblieben aussah. »Er ist ein guter Kerl,« sagte Gallardo, »einer, der niemals einen Peseta nimmt. Er gibt was er hat, und nimmt, was man ihm geben will.«

Zwei große Leidenschaften füllten das Leben des Doktors aus: die Revolution und die Stiere. Eine in ihrem Wesen noch unbestimmte und furchtbare Revolution, welche noch kommen und alles Bestehende in Europa umstürzen mußte; ein dem Anarchismus nahekommender Republikanismus, den er sich nicht die Mühe nahm zu erklären, der ihm nur in seinen umstürzlerischen Verneinungen klar vor Augen schwebte. Den Stierkämpfern war er ein Vater, sie standen alle unter seinem Schutze, es genügte ein Telegramm aus irgend einem fernen Punkte der Halbinsel und unser Doktor bestieg sofort den nächsten Zug, um eines seiner »Kinder« von irgend einer Verwundung zu heilen, ohne auf eine andere Belohnung zu rechnen als auf die, welche man ihm freiwillig gab. Als er Gallardo nach so langer Abwesenheit sah, umarmte er ihn, indem er seinen schwammigen Bauch gegen den Körper des Toreros drückte.

»Wie steht's mit der Republik, Doktor, wann kommt sie?«, fragte Gallardo mit leichtem Spott. »Der ›Nacional‹ sagt, daß sie jeden Tag ausgerufen werden kann.«

»Was kümmert dich das, du Spaßvogel? Laß den armen ›Nacional‹ in Ruhe. Zieh dich lieber an! Was dich interessieren soll, ist etwas ganz anderes. Trachte vielmehr, deine Stiere auf den ersten Stich zu treffen. Du hast heute eine schwere Arbeit vor dir. Man sagte mir, daß der Preis ...«

In diesem Augenblick unterbrach der junge Mann, der zu Besuch gekommen war und mit Nachrichten dienen wollte, den Redeschwall des Doktors, um von einem schwarzbraunen Bullen zu sprechen, der ihm aufgefallen war und der sich, wie er hoffte, wacker halten würde. Die beiden Männer standen sich jetzt gegenüber, so daß es Gallardo für angezeigt hielt, sie einander vorzustellen. Doch wie hieß nur der Freund, den er duzte? Er zerbrach sich den Kopf und runzelte die Stirne, als er so vergeblich nachdachte. Allein sein Schwanken dauerte nicht lange.

»Du, sag' mal, wie heißt du denn? Du weißt, bei soviel Leuten ...«

Der junge Mann verbarg seine Enttäuschung, sich von dem Meister vergessen zu sehen, unter einer lächelnden Zustimmung und nannte seinen Namen. Als Gallardo ihn hörte, da fühlte er die Vergangenheit vor seinen Blicken aufsteigen und er machte die Vergeßlichkeit dadurch gut, daß er hinzufügte: »Der reiche Bergwerksbesitzer aus Bilbao«. Hierauf stellte er den Doktor vor und die beiden Männer begannen, als ob sie sich schon ihr ganzes Leben kannten, in ihrer gemeinsamen Begeisterung von den Aussichten des heutigen Tages zu sprechen.

»Setzen Sie sich doch!« sagte Gallardo und wies auf ein Sofa. »Lassen Sie sich in Ihrem Gespräch nicht stören, ich ziehe mich jetzt an. Ich glaube, unter Männern ...« Und er entledigte sich seines Anzuges und blieb in der Unterkleidung. Er setzte sich auf einen Sessel unter dem Bogen, der den Salon vom Schlafzimmer trennte, und überließ sich den Händen Garabatos, der einen Lederkoffer geöffnet hatte und ein Necessaire herauszog, das eher für eine Frau als für einen Stierkämpfer paßte. Da dieser immer sorgfältig rasiert war, ging der Diener mit der Geschicklichkeit eines Mannes, der ein solches Geschäft täglich vollführt, daran, ihm das Gesicht einzuseifen und das Messer über seine Wange zu führen. Sogleich nach dem Waschen setzte sich Gallardo wieder nieder. Der Diener befeuchtete sein Haar mit Brillantin und Essenzen und zog dann die Haarlocken über die Stirne und Schläfen. Dann kam das traditionelle Zeichen seines Berufes an die Reihe: der alte, ehrwürdige Zopf, den jeder Stierkämpfer trägt. Garabato kämmte mit einer gewissen Ehrfurcht die breite Haarflechte auf dem Hinterhaupt seines Herrn und befestigte sie mit zwei Haarnadeln am Kopf, wobei er sie mehr nach vorne legte. Nun bückte er sich zu den Füßen Gallardos, zog dem Torero die Socken aus, so daß dieser in seinem Hemde und den seidenen Beinkleidern dasaß. Die starke Muskulatur des Stierfechters trat unter diesen dünnen Hüllen in kräftiger Schwellung hervor. Eine Vertiefung in einem Schenkel verriet die Narbe eines Hornstoßes. Unter der braunen Haut der Arme schimmerten weiße Flecken, es waren die Spuren überstandener Stöße. Die breite, unbehaarte Brust war von zwei unregelmäßigen, violetten Linien durchzogen, gleichfalls eine Erinnerung an blutige Ereignisse. Dieser Organismus des Kampfes und der Kraft hauchte den Geruch reinen und wilden Fleisches in einer seltsamen Vermischung mit Frauenparfüms aus. Garabato hatte inzwischen Watte und weiße Binden geholt und bückte sich zu den Füßen des Toreros nieder.

»Genau so, wie bei den alten Gladiatoren«, sagte der Doktor Ruiz, der sein Gespräch mit dem Besuche Gallardos unterbrach. »Du bist ein ganzer Römer, Juan!«

»Schon recht, alter Doktor«, erwiderte der Stierkämpfer mit einer gewissen Melancholie. »Man wird alt. Als ich außer mit Stieren noch mit dem Hunger kämpfte, da brauchte ich all das nicht und stand wie Eisen in der Arena.«

Garabato steckte kleine Watteflocken zwischen die Zehen des Toreros. Dann bedeckte er die Sohlen und den Oberteil des Fußes mit der weißen Binde, zog sie zusammen und begann, sie in Spiralen aufzuwickeln, als ob er einen Verband anlegen wollte. Dann zog er Nähnadeln aus einem Kissen und vernähte sorgfältig die Enden der Rolle. Gallardo stampfte mit den Füßen, welche durch ihre weißen Binden stärker geworden zu sein schienen, auf den Boden. Er fühlte, wie sie trotz des Druckes der Umhüllung stark und beweglich waren. Der Diener legte ihm dann lange Strümpfe an, welche bis zur Mitte der Lenden reichten und stark und schmiegsam wie Gamaschen waren. Sie bildeten unter dem dünnen Galakleid aus Seide den einzigen Schutz für das Bein. »Paß auf die Falten auf, Garabato!« Bei diesen Worten warf der Torero einen prüfenden Blick in den großen Wandspiegel und bückte sich dann, um glättend über die Waden zu streifen. Über die weißen Strümpfe kam ein zweites Paar aus rosa Seide, dann wählte Garabato unter den Schuhen, welche auf dem Koffer standen, ein Paar noch ungebrauchter, mit weißer Sohle aus. Nun begann erst die eigentliche Arbeit des Ankleidens. Der Diener reichte ihm die Hose aus brauner Seide, deren Nähte mit breiten Goldstreifen besetzt waren. Gallardo schlüpfte hinein und ließ die starken, mit Goldquasten durchwirkten Bänder, welche das Beinkleid unterhalb des Knies zusammenzogen, herabhängen. Diese Bänder, welche die Beine mit festem Druck umschlossen, hießen in der Torerosprache »Schrauben«. Gallardo sagte nun seinem Diener, ihn fest unterhalb der Knie zu drücken, während er gleichzeitig die Muskeln seiner Beine anspannte. Diese Probe war unerläßlich notwendig, denn ein Stierkämpfer muß die »Schrauben« straff anliegen haben. Garabato drehte die eingerollten Schnüre, welche unter der Hose verborgen blieben, geschickt und flink in engen Windungen um das Bein seines Herrn. Dieser nahm dann ein feines schmiegsames Hemd, das auf der Brust mit Spitzen besetzt war, entgegen. Nun schlang Garabato den Knoten der breiten Krawatte, die wie eine rote Schlange über die Brust lief, sie in zwei Hälften teilte und sich dann in dem Gürtel verlor. Jetzt kam das Schwerste der ganzen Toilette: die Schärpe, ein Seidenband von mehr als vier Meter Länge, welches die ganze Breite des Zimmers auszufüllen schien und das Garabato mit gewohnter Kunstfertigkeit durch seine Hände gleiten ließ.

Der Stierkämpfer trat nun wieder zu seinen Freunden und steckte einen seiner Finger in den Gürtel. »Aufgepaßt!« sagte er zu seinem Helfer. Dann drehte er sich langsam um seine Achse und brachte so die Schärpe in regelmäßigen Windungen um die Hüften, während Garabato mit geschickten Handbewegungen nachhalf. Einmal legte sich die Schärpe doppelt auf, ein andermal war sie wieder offen und trotzdem schmiegte sie sich flüssig, wie aus einem Stück, ohne Falten an den Körper des Stierkämpfers. Während seiner Drehungen hielt Gallardo, der mit allem, was seine Person betraf, äußerst genau und schwer zu befriedigen war, manchmal inne, um zwei oder drei Windungen wieder aufzurollen und die Arbeit besser zu machen. »Es paßt mir nicht gut«, sagte er unwillig, »verdammt, gib doch acht!«

Nach mehreren Unterbrechungen kam Gallardo endlich zum Ziel und trug das ganze Stück Seide um seine Hüften gerollt. Der Diener hatte überall Sicherheitsnadeln und Stecknadeln angebracht und so den Anschein erweckt, als ob die Kleidung seines Herrn nur aus einem Stück bestünde. Um sich ihrer zu entledigen, hätte der Stierkämpfer Scheren und die Hilfe fremder Hände gebraucht. Er mußte in seinen Hosen bleiben, bis er in das Hotel zurückkehrte, außer einer der Stiere riß sie ihm in der Arena herunter oder man zog sie ihm im Spital aus. Gallardo setzte sich wieder nieder und Garabato beschäftigte sich mit dem Haarzopf. Er machte die Haarnadeln los und flocht nun eine Schleife aus schwarzen Kokarden, welche an das alte Netz der früheren Stierkämpfer erinnerte, durch das Haar.

Wie um den Augenblick zu verzögern, die letzte Hand an seine Toilette zu legen, dehnte und streckte sich der Torero, bat Garabato um die Zigarre, welche er auf das Nachttischchen gelegt hatte, fragte wie spät es sei, weil er behauptete, daß alle Uhren vorgingen. »Es ist noch immer Zeit, die anderen sind ja auch noch nicht zur Stelle. Ich will nicht so früh auf dem Platze sein, man wird ja nur von allen Seiten gestoßen, wenn man dort wartet.« Ein Kellner meldete, daß unten der Wagen mit der Cuadrilla, dem Gefolge des Stierkämpfers, warte. Nun war es Zeit, er hatte keine Ausrede mehr, den Aufbruch hinauszuschieben. Er legte die Weste über die Schärpe und schlüpfte in ein helles Jäckchen mit schwerer Stickerei, die wie der Schein der roten Glut leuchtete. Die braune Seide war nur auf der inneren Seite der Ärmel und dem Dreieck des Degengehänges sichtbar. Das ganze verschwand fast vollständig unter dem großen Mantel und der Goldstickerei, welche Blumen mit farbigen Steinen in ihren Kelchen vorstellte. Die Achselstücke waren aus schwerem Golde und trugen Troddeln aus gleichem Metall. Das Gold lief in Fransen aus, welche bei jedem Schritte zitterten. In der vergoldeten Öffnung der Tasche sah man das Seidenfutter im gleichen Rot der Schärpe und der Krawatte aufleuchten. »Die Mütze!« Garabato hob aus einer ovalen Schachtel behutsam die Torerokappe heraus. Sie war schwarz und trug zwei Quasten. Gallardo setzte sie auf, wobei er darauf achtete, daß der Haarschopf freiblieb. »Den Mantel!« Der Diener reichte ihm den Galamantel aus Seide, der in der Farbe des Kostüms gehalten und ebenso mit Gold und Stickerei überladen war wie jenes. Gallardo legte ihn über eine Schulter und betrachtete sich dann, zufrieden mit all seinen Vorbereitungen, in dem Spiegel. Er machte keinen schlechten Eindruck. »Vorwärts in die Arena!«

Seine zwei Freunde empfahlen sich schnell, um eine Kutsche zu nehmen und ihm zu folgen. Garabato ergriff ein Bündel roter Tücher, unter deren Fransen sich die Griffe mehrerer Degen abhoben. Als Gallardo durch die Vorhalle des Hotels ging, sah er die Straße von einer zahlreichen und drängenden Menge erfüllt, die auf ihn wartete als hätte er schon einen großen Erfolg zu verzeichnen. Er konnte bereits das Gesumme der Menge, die ihm noch durch die Tür verborgen blieb, vernehmen. Der Wirt und seine ganze Familie eilten ihm mit ausgestreckten Händen entgegen, als ob sie sich für eine lange Reise empfehlen wollten. »Viel Glück!« Auch die Diener vergaßen unter dem Impulse der Begeisterung und der inneren Bewegung die Schranken der Zurückhaltung und streckten ihm die Rechte entgegen. »Viel Glück, Don Juan!« Und er verbeugte sich lächelnd nach allen Seiten, ohne sich viel um die erschreckten Gesichter der Frauen zu kümmern. »Ich danke! Auf Wiedersehen!« Er war ein anderer: seitdem er sich den leuchtenden Mantel umgeworfen hatte, erhellte ein fröhliches Lächeln sein Gesicht, welches, von feinen Schweißperlen benetzt, in seiner Blässe dem Antlitz eines Kranken glich. Dennoch lächelte er voller Freude, sich zu zeigen und das Publikum durch seine Erscheinung zu begeistern. Er fand sich sofort mit der instinktiven Leichtigkeit eines Mannes, der einer gewinnenden Geste bedarf, um sich vor der Menge zu zeigen, in seine neue Umgebung hinein. Er schritt würdevoll weiter und sog an der Zigarre, welche er in der linken Hand trug. Er bewegte beim Gehen die Hüften und ging mit der Eitelkeit eines strammen Burschen durch die Menge. »Bitte meine Herren, machen Sie Platz. Ich danke sehr!«

Als er sich so den Weg durch die schlechtgekleidete und schmutzige Schar, welche vor der Tür des Hotels hin und her drängte, bahnen mußte, da trachtete er so viel als möglich, jede Berührung mit der unreinlichen Umgebung zu vermeiden. Alle diese Leute hatten keinen Duro in der Tasche, um sich eine Karte zu kaufen. Gleichwohl benützten sie die Gelegenheit, dem berühmten Gallardo die Hand zu drücken oder seine Kleider zu berühren.

Hart am Gehsteig wartete eine Kutsche mit vier Maultieren, deren Geschirr mit Quasten und Schellen aufgeputzt war. Garabato hatte sich mit seinem Bündel bereits auf den Kutschbock geschwungen. Im Innern saßen drei Toreros und hielten ihre Mützen auf den Knien. Ihre bunten Kleider waren ebenso wie das Kostüm Gallardos mit reicher Stickerei, jedoch nur aus Silber, verziert. Gallardo, der, so gut er es unter den Püffen der begeisterten Menge vermochte, alle Hände abwehrte, kam endlich zum Trittbrette der Kutsche. Die Begeisterung all dieser Leute hatte sich in freundschaftlichen Püffen und Zurufen Luft gemacht. »Guten Abend Caballeros!« sagte er zu den Teilnehmern seiner Cuadrilla. Dann setzte er sich neben den Kutschenschlag, so daß ihn alle sehen konnten, und lächelte dem Publikum zu, während er mit einem Kopfnicken für die Rufe einiger zerlumpter Frauen und für den kurzen Applaus der Zeitungsverkäufer dankte.

Die Kutsche rollte schnell durch die Straßen, welche sie mit dem lustigen Schellengetön der Maultiere erfüllte. Die Menge teilte sich, um das Gespann durchzulassen, aber viele drängten sich an den Wagen, als ob sie sich unter die Räder stürzen wollten. Sie schwenkten Hüte und Stöcke. Eine Welle der Begeisterung erfaßte alle Zuschauer, es war ein Taumel, welcher zu gewissen Stunden die Menge handeln und reden läßt, ohne daß sie eigentlich wußte, warum und wofür. »Hoch unsere wackeren Burschen, es lebe Spanien!« Gerührt über diese Begeisterung und voll Stolz, seinen Namen mit dem seines Vaterlandes vereinigt zu hören, grüßte Gallardo bleich und lächelnd nach allen Seiten. Eine Schar Straßenjungen und zerlumpter Mädchen lief aus Leibeskräften hinten her, als ob sie hofften, am Ende ihres närrischen Wettlaufes etwas ganz Außergewöhnliches zu finden.

Seit ungefähr einer Stunde glich die Alcalastraße einem Strom von Karren und Wagen zwischen zwei Ufern, als welche man die langen Reihen der Fußgänger bezeichnen konnte, die bis an das andere Ende der Stadt marschierten. Alle modernen und alten Beförderungsmittel figurierten in dieser zeitweiligen, lärmenden, alles mitreißenden Auswanderung, von der ehrwürdigen längst überholten Postkutsche bis zum modernen Automobil. Die Straßenbahn war überfüllt, Trauben von Menschen hingen an den Trittbrettern. Der Omnibus nahm an der Ecke der Sevillastraße Fahrgäste auf, während der Schaffner von der Plattform des Daches herabschrie: »Einsteigen!« Mit fröhlichem Geklingel trabten Maultiere daher und zogen Wagen, in denen Frauen in blauer Mantilla und mit blühenden Blumen saßen. Jeden Augenblick ertönte ein Schreckensruf, wenn sie plötzlich einen Straßenjungen mit affenartiger Gelenkigkeit zwischen den fahrenden Wagen hindurch von einem Gehsteig zum anderen laufen sahen. Die Hupen der Automobile tuteten, die Kutscher brüllten, die Zeitungsverkäufer priesen ihre Blätter an, in denen man die Abbildungen und die Geschichte der Stiere, dann die Bilder und Biographien der berühmten Toreros sehen und lesen konnte. Und von Zeit zu Zeit hörte man noch einen Ausruf der Neugierde in dem dumpfen Gemurmel der Menge. Neben den dunkelgekleideten Reitern der Stadtwache sah man auffallend kostümierte Männer auf armseligen Pferden. Die Reiter trugen gelbe Beinkleider, ein goldfarbenes Wams, breite Hüte mit einer starken Quaste. Es waren die Picadores, rauhe Burschen mit wildem Aussehen.

Die Stierkämpfer fuhren in offenen Wagen und die Stickereien, welche das Licht der Nachmittagssonne reflektierten, schienen die Menge zu blenden und ihren Enthusiasmus anzustacheln. Zufrieden, die Vorüberfahrenden erkannt zu haben, eilten die Leute hastig hinter ihnen her, als ob sie fürchteten, zu spät zu kommen.

Oben von der Alcalastraße übersah man die breite Verkehrsader in ihrer ganzen Länge. Die Sonne brannte auf die Chaussee herab, welche unter dem Ameisengewimmel der Menge und den dichten Reihen der Wagen nur streckenweise sichtbar war. Zuschauer blickten von den Balkonen der Häuser diesem Heereszug nach, aus der Ferne grüßten, durch die Bäume, welche die Gehsteige von dem Fahrdamm trennten, halb verdeckt, die Berge herüber und ganz unten ragte wie ein Triumphbogen das Tor der Alcalastraße auf, dessen durchbrochene Konturen sich hell vom blauen Himmel abhoben, auf welchem wie einsame Schwäne einige weiße Wolken schwammen.

Gallardo blieb schweigend auf seinem Sitze und betrachtete mit einem unbeweglichen Lächeln die Menge. Seit dem Gruß an die Banderillos hatte er kein Wort gesprochen. Auch sie blieben stumm und bleich unter der Angst vor dem Unbekannten. Da sie jetzt um sich nur Stierkämpfer sahen, verzichteten sie, weil es unnütz war, auf die zur Schau getragene selbstbewußte Miene.

Ein geheimnisvoller Einfluß schien der Menge das Nahen der letzten Cuadrilla, welche nach dem Platze fuhr, zu melden. Die Straßenjungen, welche hinter dem Wagen mit Hochrufen auf Gallardo hergelaufen waren, mußten schon lange zurückbleiben, doch nichtsdestoweniger wandten die Leute den Kopf, als würden sie in ihrem Rücken das Kommen des berühmten Stierkämpfers erraten haben. Sie blieben stehen und stellten sich längst des Straßenrandes auf, um ihn besser zu sehen. Unverständliche Zurufe erschollen aus manchen Gruppen, welche auf dem Gehsteig standen. Es waren Beifallskundgebungen. Einige schwenkten die Hüte, andere hoben die Stöcke in die Höhe und winkten mit ihnen, als ob sie grüßen wollten.

Gallardo antwortete allen mit einem Lächeln, schien sich aber in seinen Gedanken dieser Begrüßung nicht recht bewußt zu sein. Neben ihm saß ein Banderillo, der um zehn Jahre älter war als er und »Nacional« genannt wurde. Er erfreute sich unter seinen Kollegen wegen seiner Freundlichkeit, seines geraden Wesens und seiner politischen Gesinnung einer großen Beliebtheit. »Juan, du wirst dich über Madrid nicht beklagen«, sagte er. »Du hast das Publikum schon für dich«. Doch Gallardo erwiderte, als hätte er ihn nicht verstanden und als wollte er die Gedanken, die ihn beschäftigten, abschütteln: »Mir sagt eine Ahnung, daß es heute heiß hergehen wird«. Plötzlich hielt die Kutsche an. Es kam ein großer Leichenzug daher. Gallardo wurde noch bleicher, als er voll Entsetzen den Zug der Priester betrachtete, welche ihre Gesänge unterbrachen und teils mit abweisender Strenge, teils mit Neid auf das gottverlassene Volk blickten, welches zu seiner Belustigung lief.

Der Torero machte sich mit seinen Gefährten bereit, das Barett abzunehmen. Nur der »Nacional« tat nichts dergleichen. »Zum Teufel,« rief Gallardo, »herunter mit der Mütze, du Ketzer!« Und er schaute ihn wütend an, als wollte er ihn prügeln, im unklaren Gefühl, daß diese Auflehnung für ihn die schwersten Folgen haben könne. Sie mußten lange Zeit stehen bleiben, um den Leichenzug vorbeizulassen. »Schlechte Vorbedeutung«, murmelte Gallardo mit vor Zorn zitternder Stimme. »Das fehlte uns noch, einem Leichenzug vor dem Stierkampf zu begegnen. Ich sagte ja schon, heute wird es etwas abgeben«. Der Andere lächelte und zuckte mit den Schultern: »Aberglauben und dummes Gerede. Gott und die Natur kümmern sich nicht um solche Dinge«. Diese Worte, welche Gallardo noch mehr in Zorn setzten, weckten die anderen Toreros aus ihren Gedanken und sie fingen an, sich über ihren Nachbarn lustig zu machen, was immer geschah, wenn er seine beliebte Phrase »Gott und die Natur« hören ließ.

Als der Zug vorüber war, griffen die Maultiere tüchtig aus und der Wagen rollte schnell zwischen den anderen Fuhrwerken dahin. Beim Zirkus angelangt, wendete er sich nach links zur Pforte, durch welche man zu den Ställen und Gehegen gelangte. Hier erhielt Gallardo eine neue Ovation, als er mit seinen Banderillos vom Wagen stieg. Mit Händen und Ellbogen suchte er die Berührung mit den mehr oder weniger reinlichen Zuschauern abzuwehren. Er grüßte mit einem Lächeln und versteckte seine rechte Hand, welche alle fassen wollten. »Laßt mich durch, Caballeros. Danke sehr!«

Der weite Platz zwischen den Tribünen und den Stallgebäuden des Zirkus war von dem Publikum erfüllt, welches sich vor Beginn des Kampfes die Stiere anschauen wollte. Über den Köpfen der Menge tauchten die Picadores (Lanzenstecher) und die Alguacilen (Polizisten) in ihrer altmodischen Tracht des XVII. Jahrhunderts auf. Auf der einen Seite des Platzes erhoben sich einstöckige Gebäude aus Ziegeln mit Weinranken über den Türen und Blumentöpfen in den Fenstern. Es waren Büros und Werkstätten, worin die Stallburschen, Zimmerleute und das übrige Gesinde des Zirkus hauste.

Der Stierkämpfer bahnte sich mühsam einen Weg durch die vielen Leute. Sein Name ging von Mund zu Mund, begleitet von allen möglichen Ausrufen der Begeisterung. Er aber ging zufrieden und voll Selbstbewußtsein weiter, als ob er ein ihm zu Ehren veranstaltetes Fest beehren würde.

Zwei Arme legten sich um seinen Hals und gleichzeitig verspürte er einen starken Weingeruch. Es war ein gut gekleideter Mann, offensichtlich ein Bürger, der mit seinem Freunde gefrühstückt hatte und welcher nun sein Haupt an die Schulter des Stierkämpfers lehnte. Er blieb in dieser Stellung als wollte er vor lauter Begeisterung an der Brust des berühmten Mannes einschlafen. Die Freunde Gallardos machten dieser endlosen Umarmung ein Ende, worauf der Betrunkene, der sich so von seinem Idol verdrängt sah, vor Begeisterung in laute Hochrufe auf die Toreros ausbrach.

Gallardo durchschritt einen großen, weißgetünchten, kahlen Saal, in welchem seine Kollegen unter Gruppen begeisterter Anhänger standen. Er drängte sich durch die Leute, welche die Tür verstellten, und sah sich hierauf in einem kleinen, dunklen Raum, in welchem Lichter brannten. Er stand in der Kapelle. Ein altes Marienbild nahm die Stirnseite des Altars ein, verwelkte Blütenzweige wurden in irdenen Blumentöpfen von den Motten zerfressen.