Johann Gottlieb Fichte

Die Bestimmung des Menschen



Philosophie-Digital Nr. 18

Impressum

Covergestaltung: andersseitig

Bearbeitung: andersseitig


ISBN: 9783961189786

2019 andersseitig.de


andersseitig Verlag

Helgolandstraße 2

01097 Dresden


info@new-ebooks.de


Vorrede

Was ausser der Schule brauchbar ist von der neueren Philosophie, sollte den Inhalt dieser Schrift ausmachen, vorgetragen in derjenigen Ordnung, in der es sich dem kunstlosen Nachdenken entwickeln müsste: Die tieferen Zurüstungen, welche gegen Einwürfe und Ausschweifungen des verkünstelten Verstandes gemacht werden, das, war nur Grundlage für andere positive Wissenschaften ist, endlich, was bloss für die Pädagogik im weitesten Sinne, d. h. für die bedachte und willkürliche Erziehung des Menschengeschlechtes gehört, sollte aus dem Umfange derselben ausgeschlossen bleiben. Jene Einwürfe macht der natürliche Verstand nicht; die positive Wissenschaft aber überlässt er seinen Gelehrten, und die Erziehung des Menschengeschlechtes, inwiefern sie vom Menschen abhängt, seinen Volkslehrern und Staatsbeamten.

Das Buch ist sonach nicht für Philosophen von Profession bestimmt, und diese werden nichts in demselben finden, was nicht schon in anderen Schriften desselben Verfassers vorgetragen wäre. Es sollte verständlich seyn für alle Leser, die überhaupt ein Buch zu vorstehen vermöchten. Von denjenigen, die nur schon ehemals auswendiggelernte Redensarten in einer etwas veränderten Ordnung wiederholen wollen, und dieses Geschäft des Gedächtnisses für das Verstehen halten, wird es ohne Zweifel unverständlich befunden werden.

Es sollte anziehen und erwärmen, und den Leser kräftig von der Sinnlichkeit zum Uebersinnlichen fortreissen; wenigstens ist der Verfasser sich bewusst, nicht ohne Begeisterung an die Arbeit gegangen zu seyn. Oft verschwindet während der Mühe der Ausführung das Feuer, mit welchem man den Zweck ergriff; ebenso ist man im Gegentheil unmittelbar nach der Arbeit in Gefahr, über diesen Punct sich selbst Unrecht zu thun. Kurz, ob diese Absicht gelungen sey, oder nicht, kann nur aus der Wirkung entschieden werden, welche die Schrift auf die Leser machen wird, denen sie bestimmt ist, und der Autor hat hierüber keine Stimme.

Noch habe ich – für wenige zwar, zu erinnern, dass der Ich, welcher im Buche redet, keinesweges der Verfasser ist, sondern dass dieser wünscht, sein Leser möge es werden; – dieser möge nicht bloss historisch fassen, was hier gesagt wird, sondern wirklich und in der That während des Lesens mit sich selbst reden, hin und her überlegen, Resultate ziehen, Entschliessungen fassen, wie sein Repräsentant im Buche, und durch eigene Arbeit und Nachdenken, rein aus sich selbst, diejenige Denkart entwickeln, und sie in sich aufbauen, deren blosses Bild ihm im Buche vorgelegt wird.

Erstes Buch

Zweifel

So wohl glaube ich nunmehr einen guten Theil der Welt, die mich umgiebt, zu kennen; und ich habe in der That Mühe und Sorgfalt genug darauf verwendet. Nur der übereinstimmenden Aussage meiner Sinne, nur der beständigen Erfahrung, habe ich Glauben zugestellt; ich habe betastet, was ich erblickt, ich habe zerlegt, was ich betastet hatte; ich habe meine Beobachtungen wiederholt, und mehrmals wiederholt; ich habe die verschiedenen Erscheinungen unter einander verglichen; und nur, nachdem ich ihren genauen Zusammenhang einsah, nachdem ich eine aus der anderen erklären und ableiten, und den Erfolg im Voraus berechnen konnte, und die Wahrnehmung des Erfolges meiner Berechnung entsprach, habe ich mich beruhigt. Dafür bin ich nun auch der Richtigkeit dieses Theiles meiner Erkenntnisse so sicher, als meines eigenen Daseyns, schreite mit festem Tritte in der mir bekannten Sphäre meiner Welt einher, und wage in jedem Augenblicke Daseyn und Wohlseyn auf die Untrüglichkeit meiner Ueberzeugungen.

Aber, – was bin ich selbst, und was ist meine Bestimmung?

Ueberflüssige Frage! Es ist schon lange her, dass meine Belehrung über diesen Gegenstand geschlossen ist, und es würde Zeit erfordern, um alles das, was ich hierüber ausführlich gehört, gelernt, geglaubt habe, mir zu wiederholen.

Und auf welchem Wege bin ich denn zu diesen Kenntnissen gelangt, welche zu besitzen ich mich dunkel erinnere? Habe ich, getrieben durch eine brennende Wissbegier, mich hindurchgearbeitet durch Ungewissheit, durch Zweifel und Widersprüche? Habe ich so wie etwas Glaubliches sich mir darbot, meinen Beifall aufgehalten, das Wahrscheinliche geprüft, und wieder geprüft, und geläutert und verglichen, – bis eine innere Stimme unverkennbar und unwiderstehlich mir zurief: So, nur so ists, so wahr du lebest und bist? – Nein, ich er innere mich keines solchen Zustandes. Jene Belehrungen wurden mir entgegengebracht, ehe ich ihrer begehrte; es wurde mir geantwortet, ehe ich die Frage aufgeworfen hatte. Ich hörte zu, weil ich es nicht vermeiden konnte; es blieb in meinem Gedächtnisse hängen, soviel als der Zufall fügte; ohne Prüfung und ohne Theilnahme liess ich alles an seinen Ort gestellt seyn.

Wie könnte ich sonach mich überreden, dass ich in der That Erkenntnisse über diesen Gegenstand des Nachdenkens besitze? Wenn ich nur dasjenige weiss, und von ihm überzeugt bin, was ich selbst gefunden, – – nur dasjenige wirklich kenne, was ich selbst erfahren habe, so kann ich in der That nicht sagen, dass ich über meine Bestimmung das geringste wisse; ich weiss bloss, was andere darüber zu wissen behaupten; und das einzige, was ich hierin wirklich versichern kann, ist dies, dass ich so oder so über diese Gegenstände sprechen gehört.

Ich habe sonach bisher, indess ich mit genauer Sorgfalt das minderwichtige selbst untersuchte, in Ansehung des wichtigsten auf die Treue und die Sorgfalt Fremder mich verlassen. Ich habe anderen eine Theilnahme für die höchsten Angelegenheiten der Menschheit, einen Ernst, eine Genauigkeit zugetraut, die ich in mir selbst keinesweges gefunden hatte. Ich habe sie unbeschreiblich höher geachtet, als mich selbst.

Was sie etwa wahres wissen, woher können sie es wissen, ausser durch eigenes. Nachdenken? Und warum sollte ich durch dasselbe Nachdenken nicht dieselbe Wahrheit finden, da ich ebensoviel bin als sie? Wie sehr habe ich bisher mich selbst herabgesetzt und verachtet!

Ich will, dass es nicht länger so sey! Mit diesem Augenblicke will ich in meine Rechte eintreten, und Besitz nehmen von der mir gebührenden Würde. Alles Fremde sey aufgegeben. Ich will selbst untersuchen. Sey es, dass geheime Wünsche, wie die Untersuchung endigen möge, dass eine vorliebende Neigung für gewisse Behauptungen in mir sich rege; ich vergesse und verläugne sie, und ich werde ihr keinen Einfluss auf die Richtung meiner Gedanken verstatten. Ich will mit Strenge und Sorgfalt zu Werke gehen, ich will mir alles aufrichtig bekennen – Was ich als Wahrheit finde, wie es auch immer laute, soll mir willkommen seyn. Ich will wissen. Mit derselben Sicherheit, mit welcher ich darauf rechne, dass dieser Boden mich tragen wird, wenn ich darauf trete, dass dieses Feuer mich verbrennen würde, wenn ich mich ihm näherte, will ich darauf rechnen können, was ich selbst bin, und was ich seyn werde. Und sollte man etwa dies nicht können, so will ich wenigstens das wissen, dass man es nicht kann. Und selbst diesem Ausgange der Untersuchung will ich mich unterwerfen, wenn er sich mir als Wahrheit entdeckt. – Ich eile meine Aufgabe zu lösen.

Ich ergreife die forteilende Natur in ihrem Fluge, und halte de einen Augenblick an, fasse den gegenwärtigen Moment fest ins Auge, und denke nach über ihn! – über diese Natur, an welcher bisher meine Denkkraft entwickelt und für die Schlüsse, die auf ihrem Gebiete gelten, gebildet wurde. –

Ich bin von Gegenständen umgeben, die ich als für sich bestehende, und gegenseitig, von einander geschiedene Ganze anzusehen mich genöthigt fühle: ich erblicke Pflanzen, Bäume, Thiere. Ich schreibe jedem Einzelnen Eigenschaften und Merkmale zu, woran ich sie von einander unterscheide, dieser Pflanze eine solche Form, der anderen eine andere, diesem Baume solche, dem anderen anders gestaltete Blätter.

Jeder Gegenstand hat seine bestimmte Anzahl von Eigenschaften, keine darüber, noch darunter. Auf jede Frage, ob er dieses sey, und jenes, ist für den, der ihn durchaus kennt, ein entscheidendes Ja möglich, oder ein entscheidendes Nein, das allem Schwanken zwischen Seyn und Nichtseyn ein Ende macht, Alles; was da ist! ist etwas, oder es ist dieses etwas nicht; ist gefärbt oder nicht gefärbt; hat eine gewisse Farbe, oder hat diese Farbe nicht, ist schmackhaft oder nicht schmackhaft; ist fühlbar oder nicht fühlbar, und so in das unbestimmte fort.

Jeder Gegenstand besitzt jede dieser Eigenschaften in einem bestimmten Grade. Giebt es einen Maassstab für eine gewisse Eigenschaft, und vermag ich ihn anzulegen, so findet sich ein bestimmtes Maass derselben, welches sie nicht um das mindeste überschreitet, noch unter ihm zurückbleibt. – Messe ich die Höhe dieses Baumes; sie ist bestimmt, und er ist um keine Linie höher oder niedriger, als er ist. Betrachte ich das Grün seiner Blätter; es ist ein bestimmtes Grün, nicht um das mindeste dunkler oder heller; frischer oder verblichener, als es ist; ob es mir gleich am Maassstabe und am Worte für diese Bestimmung fehlt. Werfe ich meinen Blick auf diese Pflanze: sie steht auf einer bestimmten Stufe zwischen ihrem Entkeimen und ihrer Reife; beiden nicht um das mindeste näher oder entfernter, als sie es ist. – Alles was da ist, ist durchgängig bestimmt; es ist was es ist, und schlechthin nichts anderes.

Nicht etwa, dass ich überhaupt nichts zwischen widersprechenden Bestimmungen in der Mitte schwebendes zu denken vermöchte. Ich denke allerdings unbestimmte Gegenstände, und mehr als die Hälfte meines Denkens besteht aus dergleichen Gedanken. Ich denke einen Baum überhaupt. Hat dieser Baum überhaupt, Früchte oder nicht, Blätter oder nicht, und falls er welche hat, welches ist ihre Anzahl? Zu welcher Gattung von Bäumen gehört er? Wie gross ist er? und so weiter. Alle diese Fragen bleiben unbeantwortet, und mein Denken ist hierüber unbestimmt, so gewiss ich nicht einen besonderen Baum, sondern den Baum überhaupt zu denken mir vornahm. Nur spreche ich diesem Baume überhaupt – das wirkliche Daseyn ab, eben darum, weil er unbestimmt ist. Alles wirkliche hat seine bestimmte Anzahl von allen möglichen Eigenschaften des wirklichen überhaupt, und hat jede derselben in einem bestimmten Maasse, so gewiss es wirklich ist; ob ich mich gleich bescheide, vielleicht nicht Eines Gegenstandes Eigenschaften durchaus erschöpfen, und den Maassstab an dieselben anlegen zu können. –

Aber die Natur eilt fort in ihrer stäten Verwandlung: und indess ich noch rede über den aufgefassten Moment, ist er entflohen, und alles hat sich verändert; und ehe ich ihn auffasste, war gleichfalls alles anders. Wie es war, und wie ich es auffasste, war es nicht immer gewesen, es war so geworden.

Warum nun und aus welchem Grunde war es gerade so Geworden, wie es geworden war; warum hatte die Natur unter den unendlich mannigfaltigen Bestimmungen, die sie annehmen kann, in diesem Momente gerade diese angenommen, die sie wirklich angenommen hatte, und keine andere?

Deswegen, weil ihnen gerade diejenigen vorhergingen, die ihnen vorhergingen, und keine möglichen anderen; und weil die gegenwärtigen gerade ihnen, und kehlen möglichen anderen folgten. Wäre im vorhergehenden Momente irgend etwas um das mindeste anders gewesen, als es war, so würde auch im gegenwärtigen irgend etwas anders seyn, als es ist. – Und aus welchem Grunde war im vorhergehenden Momente alles so, wie es war? Deswegen, weil es in dem, der diesem vorherging, so war, wie es in ihm war. Und dieser hing wieder ab von dem, der ihm vorherging; dieser letzte abermals von seinem vorhergehenden; – und so aufwärts ins unbestimmte fort. Ebenso wird in dem zunächstfolgenden Momente die Natur bestimmt seyn, wie sie es seyn wird, deswegen, weil sie im gegenwärtigen so bestimmt ist, wie sie es ist; und es würde nothwendig in diesem zunächstfolgenden Momente irgend etwas anders seyn, als es seyn wird, wenn im gegenwärtigen nur das mindeste anders wäre, als es ist. Und in dem Momente, der diesem folgen wird, wird alles so seyn, wie es seyn wird, deswegen, weil in dem zunächstfolgenden Momente alles so seyn wird, wie es seyn wird; und so wird sein nachfolgender wieder von ihm abhängen, wie er von seinem vorhergehenden abhängen wird; und so abwärts in das unbestimmte fort.

Die Natur schreitet durch die unendliche Reihe ihrer mög- lichen Bestimmungen ohne Anhalten hindurch; und der Wechsel dieser Bestimmungen ist nicht gesetzlos, sondern streng gesetzlich. Was da ist in der Natur, ist nothwendig so, wie es ist, und es ist schlechthin unmöglich, dass es anders sey. Ich trete ein in eine geschlossene Kette der Erscheinungen, – da jedes Glied durch sein vorhergehendes bestimmt wird und sein nachfolgendes bestimmt; in einen festen Zusammenhang, – da ich aus jedem gegebenen Momente alle mögliche Zustände des Universums durch blosses Nachdenken würde finden können, aufwärts, wenn ich den gegebenen Momenterklärte, abwärts, wenn ich aus ihm ableitete; wenn ich aufwärts die Ursachen, durch welche allein er wirklich werden konnte, abwärts die Folgen, die er nothwendig haben muss, aufsuchte. Ich empfange in jedem Theile das Ganze, weil jeder Theil nur durch das Ganze ist, was er ist, durch dieses aber nothwendig das ist.

Was ist es denn also eigentlich, das ich soeben gefunden habe? Wenn ich meine Behauptungen im Ganzen übersehe, so finde ich dies als den Geist derselben: Jedem Werden ein Seyn vorauszusetzen, woraus und wodurch es geworden ist, jedem Zustaude einen anderen Zustand, jedem Seyn ein anderes Seyn vorauszudenken, und schlechthin nichts aus dem Nichts entstehen zu lassen.

Verweile ich hierbei länger, entwickle und mache mir vollkommen klar, was darin liegt! – Denn es könnte leicht seyn, dass von meiner klaren Einsicht in diesen Punct meines Nachdenkens das ganze Glück meiner ferneren Untersuchung abhinge.

Warum, und aus welchem Grunde sind denn nun die Bestimmungen der Gegenstände in diesem Momente gerade diejenigen, die sie sind, – hub ich an zu fragen. Ich setzte sonach ohne weiteren Beweis, und ohne die mindeste Untersuchung, als ein an sich bekanntes, unmittelbar wahres und schlechthin gewisses voraus, – wie es denn auch ist, und wie ich es noch jetzt finde, und stets finden werde – ich setzte; sage ich, voraus, dass sie einen Grund hätten; – dass sie nicht durch sich selbst, sondern durch etwas ausser ihnen liegendes, Daseyn und Wirklichkeit hätten. Ich fand ihr Daseyn für ihr eigenes Daseyn nicht hinlänglich, und fühlte mich genöthigt, um ihrer selbst willen noch ein anderes Daseyn ausser ihnen anzunehmen. Warum nun wohl fand ich das Daseyn jener Beschaffenheiten oder Bestimmungen nicht hinlänglich, warum fand ich es als ein unvollständiges Daseyn? Was mag es seyn in ihnen, das mir einen Mangel verräth? Dies ohne Zweifel ist es; zuvorderst sind jene Beschaffenheiten gar nichts an und für sich, sie sind nur etwas an einem anderen; Beschaffenheiten eines Beschaffenen, Formen eines Geformten, und ein solches die Beschaffenheit annehmende und tragende, – ein Substrat derselben, nach dem Ausdrucke der Schule, – wird für die Denkbarkeit derselben immer vorausgesetzt. Ferner, dass ein solches Substrat eine bestimmte Beschaffenheit habe, drückt einen Zustand der Ruhe, und des Stillestehens seiner Verwandlungen, ein Anhalten seines Werdens aus. Versetze ich es in Veränderung, so ist in ihm keine Bestimmtheit mehr sondern ein Uebergeben aus einem Zustande in den entgegengesetzten anderen durch Unbestimmtheit hindurch. Der Zustand der Bestimmtheit des Dinges ist sonach Zustand und Ausdruck eines blossen Leidens, und ein blosses Leiden ist ein unvollständiges Daseyn. Es bedarf einer Thätigkeit, die diesem Leiden entspreche, aus welcher sich dasselbe erklären durch, und vermittelst welcher es sich erst denken lasse; oder, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, die den Grund dieses Leidens enthalte.

Was ich dachte und zu denken genöthigt war, war daher keinesweges dies, dass die verschiedenen auf einander folgenden Bestimmungen der Natur, als solche, einander bewirken, – dass die gegenwärtige Beschaffenheit sich selbst vernichte, und in dem künftigen Momente, da sie selbst nicht mehr ist, eine andere, die nicht sie selbst ist, und die in ihr nicht liegt, an ihrer Stelle hervorbringe, welches völlig undenkbar ist. Die Beschaffenheit bringt weder sieh selbst, noch etwas anderes ausser ihr hervor.

Eine thätige, dem Gegenstande eigenthümliche und sein eigentliches Wesen ausmachende Kraft ist es, welche ich dachte und denken musste, um die allmählige Entstehung und den Wechsel jener Bestimmungen zu begreifen.

Und wie denke ich mir diese Kraft, welches ist ihr Wesen und die Art ihrer Aeusserung? Keine andere, als die, dass sie unter diesen bestimmten Umständen, durch sich selbst, und um ihrer selbst willen diese bestimmte Wirkung, – und schlechthin keine andere – diese aber auch ganz sicher und unfehlbar, hervorbringe.

Das Princip der Thätigkeit, des Entstehens und Werdens an und für sich, ist rein in ihr selbst, so gewiss sie Kraft ist, und in nichts ausser ihr; die Kraft wird nicht getrieben oder in Bewegung gesetzt, sie setzt sich selbst in Bewegung. Der Grund davon, dass sie gerade auf diese bestimmte Weise sich entwickelt, liegt theils, in ihr selbst, weil sie diese Kraft ist und keine andere, theils ausser ihr selbst, in den Umständen, unter denen sie sich entwickelt. Beides, die innere Bestimmung der Kraft durch sich selbst, und ihre äussere, durch die Umstände, muss sich vereinigen, um eine Veränderung hervorzubringen. Was das erste anbelangt: die Umstände, das ruhende Seyn und Bestehen der Dinge, bringen kein Werden hervor, denn in ihnen selbst liegt das Gegentheil alles Werdens, das ruhige Bestehen. Was das zweite betrifft: jene Kraft ist, so gewiss sie denkbar seyn soll, eine durchgängig bestimmte; aber ihre Bestimmtheit wird vollendet durch die Umstände, unter denen sie sich entwickelt. – Eine Kraft denke ich nur; eine Kraft ist für mich nur inwiefern ich eine Wirkung wahrnehme; eine unwirksame Kraft, die doch eine Kraft seyn sollte und kein ruhendes Ding, ist völlig undenkbar. Jede Wirkung aber ist bestimmt, und da die Wirkung nur der Abdruck, nur eine andere Ansicht des Wirkens selbst ist, – die wirkende Kraft ist im Wirken bestimmt, und der Grund dieser ihrer Bestimmtheit liegt theils in ihr selbst, weil sie ausserdem gar nicht als ein besonderes und für sich bestehendes gedacht würde, theils ausser ihr, weil ihre eigene Bestimmtheit nur als eine bedingte gedacht werden kann.

Es ist hier eine Blume dem Boden entwachsen, und ich schliesse daraus auf eine bildende Kraft in der Natur. Eine solche bildende Kraft ist für mich überhaupt da lediglich, inwiefern es für mich diese Blume und andere, und Pflanzen überhaupt, und Thiere giebt; ich kann diese Kraft nur durch ihre Wirkung beschreiben, und sie ist für mich schlechthin nichts weiter, als – das – eine solche Wirkung Hervorbringende; das – Blumen und Pflanzen und Thiere, und überhaupt organische Gestalten Erzeugende. Ich werde ferner behaupten, es habe an diesem Platze eine Blume, und diese bestimmte Blume entspriessen können, lediglich inwiefern alle Umstände sich vereinigten, um dieselbe möglich zu machen. Durch diese Vereinigung, aller Umstände für ihre Möglichkeit aber ist mir die Wirklichkeit der Blume noch keinesweges erklärt; und ich bin genöthigt, noch eine besondere, durch sich selbst wirkende, ursprüngliche Naturkraft anzunehmen: und zwar bestimmt eine Blumen hervorbringende; denn eine andere Naturkraft würde vielleicht unter denselben Umständen ganz etwas anderes hervorgebracht haben. Ich erhalte sonach folgende Ansicht des Universums.

Es ist, wenn ich die sämmtlichen Dinge als Eins, als Eine Natur ansehe, Eine Kraft; es sind, wenn ich sie als Einzelne betrachte, mehrere Kräfte, – die nach ihren inneren Gesetzen sich entwickeln, und durch alle möglichen Gestalten; deren sie fähig sind, hindurchgehen; und alle Gegenstände in der Natur sind nichts anderes, als jene Kräfte selbst in einer gewissen Bestimmung. Die Aeusserung jeder einzelnen Naturkraft wird bestimmt, – wird zu derjenigen, die sie ist, – theils durch ihr inneres Wesen, theils durch ihre eigenen bisherigen Aeusserungen, theils durch die Aeusserungen aller übrigen Naturkräfte, mit denen sie in Verbindung steht; aber sie steht, da die Natur ein zusammenhängendes Ganzes ist, mit allen in Verbindung. – Sie wird durch dieses alles unwiderstehlich bestimmt. Nachdem sie nun einmal ihrem inneren Wesen nach diejenige ist, die sie ist, und unter diesen Umständen sich äussert, fällt ihre Aeusserung nothwendig so aus, wie sie ausfällt, und es ist schlechterdings unmöglich, dass sie um das mindeste anders sey, als sie ist.

In jedem Momente ihrer Dauer ist die Natur ein zusammenhängendes Ganze; in jedem Momente muss jeder einzelne Theilderselben so seyn, wie er ist, weil alle übrigen sind, wie sie sind; und du könntest kein Sandkörnchen von seiner Stelle verrücken, ohne dadurch, vielleicht unsichtbar für deine Augen, durch alle Theile des unermesslichen Ganzen hindurch etwas zu verändern. Aber jeder Moment dieser Dauer ist bestimmt durch alle abgelaufenen Momente, und wird bestimmen alle künftigen Momente; und du kannst in dem gegenwärtigen keines Sandkornes Lage anders denken, als sie ist, ohne dass du genöthigt würdest, die ganze Vergangenheit ins unbestimmte hinauf, und die ganze Zukunft ins unbestimmte herab dir anders zu denken. Mache, wenn du willst, den Versuch mit diesem Körnchen Flugsandes, das du erblickst. Denke es dir um einige Schritte weiter landeinwärts liegend. Dann müsste der Sturmwind, der es vom Meere hertrieb, stärker gewesen seyn, als er wirklich war. Dann müsste aber auch die vorhergehende Witterung, durch welche dieser Sturmwind und der Grad desselben bestimmt wurde, anders gewesen seyn, als sie war, und die ihr vorhergehende, durch die siebestimmt wurde; und du erhältst in das unbestimmte und unbegrenzte hinauf eine ganz andere Temperatur der Luft, als wirklich stattgefunden hat, und eine ganz andere Beschaffenheit der Körper, welche auf diese Temperatur Einfluss haben, und auf welche sie Einfluss hat. – Auf Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit der Länder, vermittelst dieser und selbst unmittelbar auf die Fortdauer der Menschen, bat sie unstreitig den entscheidendsten Einfluss. Wie kannst du wissen, – denn da es uns nicht vergönnt ist, in das Innere der Natur einzudringen, so reicht es hier hin Möglichkeiten aufzuzeigen, – wie kannst du wissen, ob nicht bei derjenigen Witterung des Universums, deren es bedurft hätte, um dieses Sandkörnchen weiter landeinwärts zu treiben, irgend einer deiner Vorväter vor Hunger oder Frost oder Hitze würde umgekommen seyn, ehe er den Sohn erzeugt hatte, von welchem du abstammest?

– dass du sonach nicht seyn würdest, und alles, was du in der Gegenwart und für die Zukunft zu wirken wähnest, nicht seyn würde, weil – ein Sandkörnchen an einer anderen Stelle liegt.

Ich selbst mit allem, was ich mein nenne, bin ein Glied in dieser Kette der strengen Naturnothwendigkeit. Es war eine Zeit, – so sagen, mir andere, die in dieser Zeit lebten, und ich selbst bin durch Folgerungen genöthigt, eine solche Zeit, deren ich nicht unmittelbar mir bewusst bin, anzunehmen – es war eine Zeit, in der ich noch nicht war, und ein Moment, in welchem ich entstand. Ich war nur für andere, noch nicht für mich. Seitdem hat allmählig mein Selbstbewusstseyn sich entwickelt, und ich habe in mir gewisse Fähigkeiten und Anlagen, Bedürfnisse und natürliche Begierden gefunden. – Ich bin ein bestimmtes Wesen, das zu irgend einer Zeit entstanden ist.

Ich bin nicht durch mich selbst entstanden. Es wäre die höchste Ungereimtheit anzunehmen, dass ich gewesen sey, ehe ich war, um mich selbst zum Daseyn zu bringen. Ich bin durch eine andere Kraft ausser mir wirklich worden. Und durch welche wohl, als durch die allgemeine Naturkraft, da ich ja ein Theil der Natur bin? Die Zeit meines Entstehens, und die Eigenschaften, mit denen ich entstand, waren durch diese allgemeine Naturkraft bestimmt; und alle die Gestalten, unter denen sich diese mir angeborenen Grundeigenschaften seitdem geäussert haben, und äussern werden, so lange ich seyn werde, sind durch dieselbe Naturkraft bestimmt. Es war unmöglich, dass statt meiner ein anderer entstände; es ist unmöglich, dass dieser nunmehr Entstandene in irgend einem Momente seines Daseyns anders sey, als er ist und seyn wird.

Dass meine Zustände nun eben von Bewusstseyn begleitet werden, und einige derselben, – Gedanken, Entschliessungen und dergleichen – sogar nichts anderes zu seyn scheinen, als Bestimmungen eines blossen Bewusstseyns: darf mich in meinen Folgerungen nicht irre machen. Es ist die Naturbestimmung der Pflanze, sich regelmässig auszubilden, die des Thieres, sich zweckmässig zu bewegen, die des Menschen, zu denken. Warum sollte ich Anstand nehmen, das letzte ebenso für die Aeusserung einer ursprünglichen Naturkraft anzuerkennen, als das erste und zweite? Nichts, als das Erstaunen, könnte mich daran verhindern; indem das Denken allerdings eine weit höhere und künstlichere Naturwirkung ist, als die Bildung der Pflanzen, oder die eigenthümliche Bewegung der Thiere; aber wie könnte ich jenem Affecte Einfluss verstatten auf eine ruhige Untersuchung? Erklären kann ich freilich nicht, wie die Naturkraft den Gedanken hervorbringe; aber kann ich denn besser erklären, wie sie die Bildung einer Pflanze, die Bewegung eines Thieres hervorbringe? Aus blosser Zusammensetzung der Materie das Denken abzuleiten, – auf dieses verkehrte Unternehmen werde ich freilich nicht verfallen; könnte ich denn daraus auch nur die Bildung des einfachsten Mooses erklären? – Jene ursprünglichen Naturkräfte sollen überhaupt nicht erklärt werden, noch können sie erklärt werden; denn sie selbst sind es, aus denen alles Erklärbare zu erklären ist. Das Denken ist nun einmal, es ist schlechthin, so wie die Bildungskraft der Natur nun einmal ist, und schlechthin ist. Es ist in der Natur; denn das Denkende entsteht und entwickelt sich nach Naturgesetzen: es ist sonach durch die Natur. Es giebt eine ursprüngliche Denkkraft in der Natur, wie es eine ursprüngliche Bildungskraft giebt.

Diese ursprüngliche Denkkraft des Universums schreitet fort, und entwickelt sich in allen möglichen Bestimmungen, deren sie fähig ist, so wie die übrigen ursprünglichen Naturkräfte fortschreiten, und alle mögliche Gestalten annehmen. Ich bin eine besondere Bestimmung der bildenden Kraft, wie die Pflanze; eine besondere Bestimmung der eigenthümlichen Bewegungskraft, wie das Thier; und überdies noch eine Bestimmung der Denkkraft: und die Vereinigung dieser drei Grundkräfte zu Einer Kraft, zu Einer harmonischen Entwickelung, macht das unterscheidende Kennzeichen meiner Gattung aus; so wie es die Unterscheidung der Pflanzengattung ausmacht, lediglich Bestimmung der bildenden Kraft zu seyn.

Gestalt, eigenthümliche Bewegung, Gedanke in mir hängen nicht etwa voneinander ab, und folgen auseinander: so dass ich meine, und mit ihr die mich umgebenden Gestalten und Bewegungen so dächte, weil sie so sind; oder dass umgekehrt sie so würden, weil ich sie so dächte, sondern sie sind allzumal und unmittelbar die harmonirenden Entwickelungen einer und ebenderselben Kraft, deren Aeusserung nothwendig zu einem mit sich innig zusammenstimmenden Wesen meiner Gattung wird, und die man menschenbildende Kraft nennen könnte. Es entsteht in mir ein Gedanke schlechthin, und ebenso schlechthin die ihm entsprechende Gestalt, und ebenso schlechthin die beiden entsprechende Bewegung. Ich bin nicht, was ich bin, weil ich es denke oder will; noch denke oder will ich es, weil ich es bin, sondern ich bin und denke, – beides schlechthin; beides aber stimmt aus einem höheren Grunde zusammen.

So gewiss jene ursprünglichen Naturkräfte etwas für sich sind, und ihre eigenen inneren Gesetze und Zwecke haben, so gewiss müssen die einmal zur Wirklichkeit gekommenen Aeusserungen derselben, falls nur die Kraft sich selbst überlassen bleibt, und nicht durch eine fremde ihr überlegene unterdrückt wird, eine Zeitlang dauern, und einen gewissen Umfang von Verwandlungen beschreiben. Was in demselben Augenblicke verschwindet, da es entstand, ist gewiss nicht Aeusserung einer Grundkraft, sondern nur Folge von der Zusammenwirkung mehrerer. Kräfte. Die Pflanze, eine besondere Bestimmung der bildenden Naturkraft, geht sich selbst überlassen von ihrem ersten Entkeimen bis zur Reife des Saamens. Der Mensch, eine besondere Bestimmung aller Naturkräfte in ihrer Vereinigung, geht sich selbst überlassen von der Geburt fort zum Tode vor Alter. Daher die Lebensdauer der Pflanze, wie des Menschen, und die verschiedenen Bestimmungen dieses ihres Lebens.

Diese Gestalt, diese eigenthümliche Bewegung, dieses Denken, in Harmonie mit einander, – diese Fortdauer aller jener wesentlichen Eigenschaften unter mancherlei ausserwesentlichen Verwandlungen, kommen mir zu, inwiefern ich ein Wesen meiner Gattung bin. – Aber die menschenbildende Naturkraft hat sich schon dargestellt, ehe ich entstand, unter mancherlei äusseren Bedingungen und Umständen. Diese äusseren Umstände sind es, welche die besondere Weise ihrer gegenwärtigen Wirksamkeit bestimmen, in denen sonach der Grund liegt, dass gerade ein solches Individuum meiner Gattung wirklich wird. Dieselben Umstände können nie zurückkehren, weil dann das Natur-Ganze selbst zurückkehren, und zwei Naturen statt Einer entstehen würden: es können daher diejenigen Individuen nie wieder wirklich werden, die es Schon einmal waren. – Ferner, die menschenbildende Naturkraft stellt sich dar in derselben Zeit, da auch ich bin, unter allen in dieser Zeit möglichen Umständen. Keine Vereinigung solcher Umstände ist derjenigen vollkommen gleich, durch welche ich wirklich wurde, wenn nicht das Ganze sich in zwei vollkommen gleiche, und untereinander nicht zusammenhängende Welten theilen soll. Es können zu derselben Zeit nicht zwei vollkommen gleiche Individuell wirklich seyn. Dadurch ist denn bestimmt, was ich, ich, diese bestimmte Person  ; und, weil in ihr selbst kein Grund liegen kann, sich zu beschränken, da sie es konnte, nothwendig werdenmusste