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Titel

Copyright

Vampirblut

Patricia und die Nachtgeschöpfe

Das Blutreich

Wiedergänger

Magierblut

Der Rattengott

Blutige Tränen

Biss zur Auferstehung

Burg-der-Schatten

Die Bibliothek der Vampire: Fantasy Paket

von Alfred Bekker

 

Über diesen Band:

 

Dieser Band enthält folgende Geschichten:

 

Alfred Bekker: Vampirblut

Alfred Bekker: Patricia und die Nachtgeschöpfe

Alfred Bekker: Das Blutreich

Alfred Bekker: Wiedergänger

Alfred Bekker: Magierblut

Alfred Bekker: Der Rattengott

Alfred Bekker: Blutige Tränen

Alfred Bekker: Biss zur Auferstehung

Alfred Bekker: Burg der Schatten

 

 

Die Reporterin Patricia Vanhelsing lernt einen faszinierenden Mann kennen, der allerdings in Zusammenhang mit rätselhaften Morden steht, die sich in London ereignen. Sie folgt dem Geheimnisvollen nach Indien und stößt auf ein uraltes Vampirgeschlecht. Dessen Angehörige trinken kein Blut - aber sie saugen Lebenskraft...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER WERNER ÖCKL

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Vampirblut

Ein Patricia Vanhelsing Roman

von Alfred Bekker

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 112 Taschenbuchseiten.

 

Vampire im schottischen Hochland. Aus einer zunächst unglaublichen Meldung wird für Patricia Vanhelsing rasch Gewissheit. Ausgerechnet ihre Tante hat sich auf den Weg dorthin aufgemacht, um einem alten Freund zur Seite zu stehen. Patti und Tom Hamilton machen sich ebenfalls auf den Weg, doch schon auf der Anreise wird der Zug von den Vampiren überfallen. Nur mit Hilfe einer alten Beschwörung entgehen sie einem grausigen Schicksal. Aber wo ist Tante Lizzy, und weshalb benehmen sich die Leute hier so seltsam? Als Patricia gebissen wird, erkennt sie die Hintergründe, doch sie verwandelt sich gerade selbst in einen Vampir, ohne Hoffnung auf Erlösung.

 

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

1

Es waren Tausende …

Der Flügelschlag schwarzer Schwingen verdichtete sich zu einem Rascheln, dessen Klang einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.

Einer dunklen Wolke gleich erhob sich der Schwarm der Fledermäuse aus den grauen Nebelbänken heraus, die aus den Wiesen emporkrochen. Ihre Körper hoben sich als dunkle Schatten gegen das Fahle des Vollmonds ab, der als runde Scheibe am dunklen Nachthimmel stand.

Der Schwarm wirkte wie ein einziger Organismus.

Er bewegte sich erst nordwärts, über die bewaldeten Anhöhen hinweg, dann ging es weiter über nebelverhangene Wiesen.

Und wie auf ein geheimes Zeichen hin stürzten sie hinab in die Schicht aus dichtem Bodennebel hinein. Ohrenbetäubende, schrille Kreischlaute stießen sie dabei hervor.

Es war ein Angriff.

Und während sie im Sturzflug auf den Boden zuschossen, setzte eine gespenstische Verwandlung ein. Ihre zierlichen Körper wuchsen ins Monströse und bildeten menschenähnliche Formen. Zusätzlich zu den Flügeln wuchsen ihnen Arme, die mit messerscharfen Krallen bewehrt waren.

Ihre Köpfe erinnerten jetzt an Affenschädel. Die Mäuler waren weit aufgerissen, so dass die überlangen Eckzähne zum Vorschein kamen. In den dunklen Augen dieser Kreaturen der Nacht spiegelte sich das Mondlicht. Ein unheimlicher, schier unersättlicher Hunger sprach aus ihnen.

Die ersten dieser Monstren verschwanden in der grauen Nebelschicht …

Schreie gellten.

Furchtbare Todesschreie, die so verzerrt waren, dass kaum zu bestimmen war, ob sie menschlichen oder tierischen Ursprungs waren …

 

2

„Hast du das gehört?‟

„Was denn?‟

„Diesen ... Schrei!‟

„Ein Tier!‟

„Ich weiß nicht ...‟

„Irgend etwas ist da draußen in der Dunkelheit‟, meinte Pat McRory. „Etwas Grauenhaftes!‟ Er schluckte. Ein unangenehmer Druck machte sich in seiner Magengegend breit.

Der Puls schlug ihm bis zum Hals. Sein Gesicht wirkte angestrengt. Furcht stand in seinen Zügen. Und nach den Vorkommnissen der letzten Zeit, war die auch angebracht.

Der breitschultrige Mann schob sich die Schiebermütze aus Tweed in den Nacken. Er umfasste das doppelläufige Jagdgewehr fester.

Ein Pferd wieherte.

Der andere Mann war etwas jünger.

Auch er trug ein Gewehr. Sein Blick suchte angestrengt den dunklen Horizont ab. Graue Nebelschwaden erhoben sich aus den Wiesen und krochen wie vielarmige Wesen über den feuchten Boden. Der Himmel war sternenklar. Nur der Vollmond tauchte alles in sein fahles Licht.

„Gary!‟, zischte Pat McRory seinem Gefährten zu. Pats Gesicht war aschfahl geworden. Sein Mund war vor Schrecken geöffnet.

Gary hob das Gewehr.

Am Horizont erhob sich mit einem unheimlichen, raschelnden Geräusch etwas Dunkles.

„Was ist das?‟, flüsterte Pat.

„Es sieht aus wie ein Vogelschwarm ...‟

„Nein, Gary, das sind keine Vögel.‟

„Aber was dann?‟

„Fledermäuse!‟

„So viele? Mein Gott ...‟

Die dunkle Wolke bestand aus vielen kleineren, schwarzen Flecken. Der Schwarm bewegte sich wie auf geheime Zeichen hin. Misstrauisch beobachteten die beiden Männer die Fledermäuse. Hin und wieder drangen schrille Piepslaute an ihre Ohren, die auf das Trommelfell wie Nadelstiche wirkten.

Nächtelang hatten Gary und Pat auf der Lauer gelegen, denjenigen – oder besser: dasjenige – zu stellen, das es in letzter Zeit auf Pferde und Rinder abgesehen hatte. Furchtbar zugerichtete Tiere waren von den Farmern der Umgebung in letzter Zeit immer wieder aufgefunden worden. Spekulationen hatten die Runde gemacht. In ihnen wurde von Krähenschwärmen gemunkelt, die seit Schließung einer nahen Müllhalde keine Nahrungsgrundlage mehr hatten. Aber Krähen waren – selbst wenn es sich um Dutzende von Vögeln handelte – nur in der Lage, kleinere Tiere zu erlegen. Kaninchen, vielleicht Ziegen oder Lämmer. Aber kein ausgewachsenes Kaltblutpferd, dessen Stockmaß den Scheitel der meisten Männer der Gegend überstieg! Und auch keines der wilden, robusten Hochlandrinder mit ihren zotteligen braun-schwarzen Fellen.

Jemand hatte die Theorie aufgestellt, dass ein Perverser unterwegs war, der des Nachts Tiere auf bestialische Weise abschlachtete. Die Polizei war der Sache nachgegangen, aber sie tappte bis heute im Dunkeln.

Und so hatten Gary O′Bolan und sein Schwager Pat McRory zur Selbsthilfe gegriffen. Mit ihren Jagdgewehren lagen sie nun auf der Lauer.

Und sie blickten dem Unfassbaren entgegen.

Die Pferde trabten unruhig auf der Weide umher. Sie wieherten aufgeregt. Die Tiere spürten die Gefahr, die förmlich in der Luft lag.

Dann erfolgte der Angriff.

Als ob ein gemeinsamer Wille die vielen Fledermäuse leitete, stürzten sie sich hinab. Die Pferde stoben auseinander. Ihr Wiehern glich einem furchtbaren Schrei der Verzweiflung. Die schwarze Wolke aus kleinen, dunklen, geflügelten Leibern senkte sich nieder. Eines der Pferde versuchte, über einen der Zäune zu springen, blieb mit der Hinterhand hängen und riss den Zaun mit sich. Das Tier strauchelte. Die geflügelten Jäger der Nacht waren über ihm.

Gary hob das Gewehr, legte an und schoss zweimal kurz hintereinander.

Pat tat dasselbe.

Die Männer schossen, so schnell sie konnten, obgleich die Chance, auch einen der kleinen dunklen Leiber zu treffen, nicht gerade groß war. Kalte Wut hatte die beiden Männer gepackt. Die Pferde stellten den Großteil ihres Vermögens dar. Und das würden sie sich nicht tatenlos wegnehmen lassen. Mit zitternden Fingern luden die Männer nach.

Pat hielt mitten in der Bewegung inne.

Ihm stockte der Atem.

„Nein!‟, flüsterte er, als er sah, was im fahlen Schein des Mondes geschah.

Unmöglich!

Kurz bevor die kleinen, geflügelten Angreifer den Boden berührten, ging eine gespenstische Verwandlung mit ihnen vor sich. Sie wurden größer. Die ovalen Körper streckten sich, Arme wuchsen aus ihnen heraus.

Sie erinnerten an affenartige Wesen oder …

Menschen.

Einen durchdringenden, grollenden Laut stieß eines dieser Ungeheuer aus, wandte den Kopf so ins Mondlicht, dass die überlangen Eckzähne sichtbar wurden.

Das Zerrbild eines Menschen!

Eines der Wesen stürzte sich mit aufgerissenem Maul auf das gestürzte Pferd, dessen verzweifeltes Wiehern die Nacht durchdrang.

Mit entschlossenen Handbewegungen spannte Gary die beiden Hähne der doppelläufigen Jagdflinte. Er zielte genau, obwohl er dabei ein Zittern in seinen Händen mit aller Macht unterdrücken musste.

Die erste Kugel ging daneben, aber das zweite Projektil erwischte eine der Nachtkreaturen mitten im Oberkörper. Das Wesen taumelte, hielt sich dann aber doch auf den Beinen.

Die Kugel hatte ein Loch in die Brust gerissen. Eine furchtbare Wunde, etwas oberhalb des gut erkennbaren linken Rippenbogens.

Also ungefähr dort, wo sich bei allen Säugetierspezies das Herz befand!

Aber die Wunde blutete nicht.

Ein halbes Dutzend dieser unheimlichen Bestien stürzten sich indessen auf das am Boden liegende Pferd. Hin und wieder, wenn sich eines der Wesen erhob, war zu erkennen, wie das Blut von den Eckzähnen troff.

Weitere Fledermäuse stürzten herab, jagten den davonpreschenden Pferden im Tiefflug nach, um dann auf ihnen zu landen und sie niederzureißen. Auf den letzten Metern vor der Landung verwandelten sie sich und wurden zu gewaltigen, affenartigen Kreaturen. Mit scharfkralligen Pranken rissen sie ihre Beute nieder, bevor sie dann ihre spitzen Eckzähne in sie hinein senkten. Ein Bild des Grauens, untermalt von den Schreckenslauten der Pferde.

Eine der Fledermäuse näherte sich den beiden Männern.

Pat schlug mit dem Gewehrkolben nach ihr und traf sie sogar.

Das Tier war bereits in seiner Verwandlung begriffen, die aber noch nicht abgeschlossen war. Die Fledermaus vollführte eine seitliche Flugbewegung und gewann wieder an Höhe. Die begonnene Verwandlung bildete sich innerhalb von Sekunden zurück. Schneller, als Gary sein Gewehr anlegen und das Wesen treffen konnte. Denn um ein Tier von der Größe einer Fledermaus zu treffen, musste man schon ein sehr guter Schütze sein. Und Gary war eigentlich schon froh, wenn er ein dickes Kaninchen traf.

„Wir müssen hier weg!‟, rief Gary.

„Und die Pferde?‟, schrie Pat. „Verdammt nochmal die Pferde!‟ Und dabei feuerte er mehr oder weniger ziellos in den Pulk der Schattenkreaturen hinein, die sich zu Dutzenden niederließen.

„Für die können wir nichts mehr tun!‟, war Garys düstere Erwiderung.

Er begann zu laufen.

„Los, Pat!‟

Pat stand noch einen Moment lang unentschlossen da, ehe er sich in Bewegung setzte. Gary war ihm einige Meter voraus.

Sie liefen jetzt durch hohes, feuchtes Gras, aus dem der Nebel nur so herausquoll. Es war kühl geworden. Eine feuchte Kühle, die alles durchdrang und von der man glauben konnte, dass sie in Wahrheit von „innen‟ kam.

Immer weitere Fledermäuse setzten zum Landeanflug an und verwandelten sich. Es waren jetzt hunderte.

Eine furchtbare Horde der Dunkelheit, die über alles Lebendige wahllos herfiel.

Pat schlug um sich, als eine der Fledermäuse sich ihm näherte. Das Tier wich aus, verwandelte sich, und Pats zweiter Schlag ging ins Leere. Sekunden später stürzte sich die verwandelte Nachtkreatur auf ihn und warf den Mann nieder.

Pat fiel rücklings zu Boden, während ihn mit messerscharfen Krallen bewehrte Pranken an den Schultern hielten. Die Krallen durchdrangen mit Leichtigkeit den dicken Tweed-Stoff seiner Jacke. So leicht, als wäre es nichts. Pat blickte in das verzerrte, gleichermaßen aus tierischen und menschlichen Anteilen bestehende Gesicht seines unheimlichen Gegners. Das weit aufgerissene Maul mit den langen Eckzähnen öffnete sich weit, und der Atem des Todes hauchte ihn an. Ein Geruch, der an Fäulnis und Verwesung erinnerte, an halb vermoderte Särge und zu Staub zerfallene Gebeine. Mit der Kraft der Verzweiflung wehrte sich Pat gegen den unheimlichen Feind. Die spitzen Eckzähne näherten sich. Pat schrie wie von Sinnen. Seine Hand krallte sich am Körper des Monstrums fest.

Er war ein kräftiger Mann, aber der übermenschlichen Energie dieser Nachtkreatur hatte er nicht das Geringste entgegenzusetzen.

Die Zähne senkten sich nieder, auf seinen Hals zu.

Pats Augen quollen vor Angst aus ihren Höhlen hervor.

Ein Schuss donnerte.

Das war Gary.

Die Kugel traf das Wesen mitten zwischen die dämonisch leuchtenden Augen.

Im Mondlicht war das Einschussloch zu sehen.

Aber der Treffer machte dem Wesen nichts aus. Die Kreatur der Nacht schlug ihre furchtbaren Eckzähne in den Hals des Mannes.

Pat drehte den Kopf, wand sich verzweifelt, schrie wie von Sinnen. Das Letzte, was er dann aus den Augenwinkeln heraus sah, war Gary.

Er lief taumelnd davon, schlug mit dem Gewehrkolben auf die landenden Fledermäuse ein, deren gespenstische Verwandlung sie zu grauenhaften Monstren machte. Garys Schreie gingen im Tumult unter, als ein halbes Dutzend der Nachtkreaturen sich auf ihn stürzte, und er unter ihren Leibern förmlich begraben wurde.

 

3

„... und ich möchte im Namen der gesamten Redaktion der LONDON EXPRESS NEWS sagen, dass wir alle unseren Kollegen Jim Field nicht vergessen werden. Ganz gleich, in welcher – vielleicht besseren – Welt er sich nun befinden mag ...‟

Die bewegenden Worte, die unser Chefredakteur Michael T. Swann an die versammelte NEWS-Mannschaft richtete, ließen eine tiefe Traurigkeit in mir aufsteigen.

Ich gebe gerne zu, in diesen Momenten den Tränen sehr nahe gewesen zu sein.

Tom Hamilton, der Mann, den ich liebte und der wie ich Teil der NEWS-Redaktion war, spürte das.

Er nahm meine Hand.

Und ich fühlte mich ein wenig geborgener.

„Miss Vanhelsings Recherchen legen nahe, dass unser Starfotograf Jim Field am Oberlauf des Stoeng Sen-Flusses im nördlichen Kambodscha durch Machenschaften ums Leben kam, in die wohl auch der ORDEN DER MASKE verwickelt ist, jene sektenähnliche Geheimorganisation, die in letzter Zeit immer wieder versucht hat, durch Druck auf unsere Inserenten unsere Berichterstattung über sie und ihre Verbrechen zu beeinflussen. Dank der mutigen Haltung unseres Verlegers Arnold Reed ist das bislang fehlgeschlagen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann man es wieder versuchen wird. Von einem Reporter erwarte ich Mut – Mut, wie Jim Field ihn zweifellos hatte. Ganz gleich, wie nun die wahren Hintergründe seines Todes sein mögen – er starb zweifellos im Dienst des Journalismus, der immer auch ein Dienst an der Wahrheit sein muss.‟

Michael T. Swann, unser manchmal etwas bärbeißiger Chefredakteur machte eine Pause. Die Hände waren in den Hosentaschen verschwunden. Der Schlips hing ihm wie ein Strick um den Hals, und die Hemdsärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt.

Tiefe Furchen durchzogen im Augenblick seine Stirn. Es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr ihn Jims Tod mitgenommen hatte.

„Was ich jetzt sage, fällt mir nicht leicht‟, murmelte er dann. Sein Tonfall war etwas gedämpfter, sein Blick nach innen gekehrt. Er sah förmlich durch die im Großraumbüro der NEWS-Redaktion versammelten Reporter-Mannschaft hindurch.

Er schluckte zweimal, bevor er in der Lage war, fortzufahren. „Wie keinem von Ihnen entgangen sein dürfte, gab es in letzter Zeit des öfteren Meinungsverschiedenheiten zwischen Mr. Field und mir. Differenzen, die so schwerwiegend waren, dass Mr. Field mit dem Gedanken spielte, unsere Redaktion zu verlassen. Ich wollte es nicht dazu kommen lassen, denn ungeachtet allen Streits war ich entschlossen, alles zu tun, um ihn bei uns zu halten. Auch das war für mich ein Grund, ihm den Auftrag mit der Kambodscha-Story zu geben. Können Sie sich vorstellen, was ich jetzt empfinde, da er nicht von dort zurückkehrt?‟ Er schüttelte den Kopf. „Ich werde mir ewig Vorwürfe machen und nichts und niemand wird mich davon befreien können.‟ Er hob den Kopf. Sein Blick wurde etwas heller. „Ich glaube, niemand von uns wird Jim Field je vergessen.‟

Nein, dachte ich. Ich bestimmt nicht.

Eine Flut von Bildern ging mir in diesem Moment durch den Kopf. Erinnerungen an die Abenteuer, die wir gemeinsam bestanden hatten. Eine Zeitlang hatten Jim und ich sehr eng zusammengearbeitet. Und für eine gewisse Weile war der unkonventionelle Starfotograf, mit seiner geflickten Jeans und dem ausgebeulten Jackett sogar insgeheim in mich verliebt gewesen, auch wenn ich diese Gefühle nie erwidert hatte.

Tom Hamilton und ich waren Jim nach Kambodscha nachgereist.

Der ORDEN DER MASKE hatte dort versucht, furchtbare Monstren zu beschwören, die dem altindischen Gott Ganandravan glichen – einer Gottheit der Zerstörung. Wir hatten die Pläne des Ordens durchkreuzen können. Aber um Jim zu retten, waren wir zu spät gekommen. Möglicherweise existierte er in einer anderen Wirklichkeit, zusammen mit den Mönchen des rätselhaften Klosters von Pa Tam Ran, das eigenartigerweise wie vom Erdboden verschwunden war, als wir zusammen mit kambodschanischem Militär an den Ort des Geschehens zurückkehrten.

Die Reporter der NEWS gingen auseinander. Jeder zurück an seinen Schreibtisch, ins Archiv oder an irgendeinen Ort in London und Umgebung, wo etwas Sensationelles geschehen war, das auf die Seiten dieses Boulevardblattes gebracht werden musste.

Ich sah nachdenkliche Gesichter.

Mir war kalt. Ich fühlte eine Gänsehaut meine Unterarme überziehen.

Tom legte mir den Arm um die Schulter. Ich blickte in seine meergrünen Augen, die mich stets an das Meer und den Geruch von Seetang erinnerten.

„Du machst dir auch Vorwürfe, nicht wahr, Patti?‟, fragte er.

„Verwundert dich das?‟

„Was hätten wir tun können?‟

Ich zuckte die Schultern. „Was glaubst du, wie oft ich mir seit unserer Rückkehr aus Asien schon den Kopf darüber zerbrochen habe ...‟

„Und? Bist du zu irgendeinem Schluss gekommen?‟

„Nein.‟ Ich atmete tief durch. „Ich glaube, dass wir Jim Field irgendwann wiedersehen werden‟, meinte ich dann.

Tom nickte.

Ich brauchte ihm nichts zu erklären. Er wusste von meiner leichten übersinnlichen Begabung, die sich vornehmlich in Ahnungen, Träumen und Visionen offenbarte.

„Irgendwann ...‟, flüsterte ich.

„Sicher.‟

Ich versuchte ein Lächeln.

„Wie auch immer. Für Selbstmitleid ist keine Zeit, Tom.‟

Für uns galt das in besonderer Weise.

In einer Redaktion laufen täglich unzählige Nachrichten ein. Katastrophen, Kriege, Wahnsinnstaten. In letzter Zeit waren es vor allem die schrecklichen Ereignisse im Kosovo, die unsere Ticker nicht zur Ruhe kommen ließen. Und so schlimm es manchmal sein konnte, immer mit den Horrormeldungen aus aller Welt direkt konfrontiert zu sein, von denen schließlich nur ein Bruchteil in unserer Zeitung Platz haben würden – es hatte auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil.

Das eigene Unglück erschien einem plötzlich nicht mehr so bedeutend, wenn man es im Verhältnis zu dem betrachtete, was sich anderswo tagtäglich abspielte.

 

 

4

Es war ein regnerischer Tag.

London lag unter einer Dunstglocke, aus der es immer wieder nieselte. Jeder Blick aus den Fenstern des Verlagsgebäudes an der Lupus Street konnte einen nur depressiv machen.

Der Regen wurde in mehr oder minder gleichmäßigen Intervallen heftiger oder ließ nach. Aber der Wind trieb immer neue graue Wolken heran, die dafür sorgten, dass die Feuchtigkeit nicht versiegte.

Es war kurz nach der Mittagspause, als eine Meldung auf meinen Schreibtisch flatterte, die mich etwas meiner Agonie herausriss.

Ich überflog sie schnell.

Es ging um eine Reihe seltsamer Vorfälle in Schottland.

Rinder und Pferde waren durch eine bislang unbekannte Ursache ums Leben gekommen.

In der vergangenen Nacht waren nun zwei Farmer hinzugekommen, die ihre Tiere mit der Waffe in der Hand gegen das Unbekannte verteidigen wollten. Die Fotos, die man uns zugefaxt hatte, waren ziemlich grobkörnig und außerdem an manchen Stellen etwas verschwommen. Aber es war genug zu erkennen, um erahnen zu können, wie schrecklich die Männer zugerichtet worden waren.

Ein besonderer Umstand ließ mich aufmerken.

Die Leichen hatten keinen einzigen Tropfen Blut enthalten!

 

 

5

An diesem Tag hatte ich Glück und kam recht früh nach Hause.

Tante Lizzys Villa, wo ich noch immer wohnte, war ein verwinkelter viktorianischer Bau, umgeben von einem etwas verwilderten Garten. Es dämmerte bereits – aber an diesem verregneten Tag fiel das kaum auf. Man hatte den Eindruck, dass bereits seit den Morgenstunden ein Zustand ständiger Dämmerung geherrscht hatte.

Ich fuhr meinen kirschroten Mercedes 190 in die Einfahrt und stieg aus.

Ganz kurz nur – es mochte der Bruchteil einer Sekunde gewesen sein – hatte ich ein Bild vor meinem inneren Auge, das mich aus irgendeinem Grund zutiefst erschreckte. Ich sah eine Art Herrenhaus oder Schloss, das auf einem Hügel errichtet worden war. Der graue Stein war moosbewachsen und wirkte abweisend. Die Aura unvorstellbar hohen Alters haftete diesem Gebäude an – und der Geruch, den ich in der Nase zu fühlen glaubte, kündete von Verwesung, Tod und Verfall. Das Schloss hatte zahllose Erker und einige kleinere und größere Türme. Eine eigenartige, sehr verschnörkelte Architektur, die sich mit keinem Stil in Verbindung bringen ließ, den ich kannte, während mich die Landschaft an die schottischen Highlands erinnerte. Nebel umwaberten das eigenartige Schloss.

Etwas Dunkles, sehr Kleines flog aus einem der Turmfenster heraus und erhob sich in den grauen Himmel.

Das Bild war verschwunden, und ich versuchte verzweifelt, mich an Einzelheiten zu erinnern.

Eine Vision, dachte ich. Das stand für mich fest. In dieser Hinsicht war ich inzwischen ziemlich sicher. Träume und Visionen, die in Wahrheit übersinnliche Wahrnehmungen darstellten, konnte ich relativ sicher von gewöhnlichen Traumbildern unterscheiden, auch wenn es lange gedauert hatte, bis ich meine Gabe gut genug unter Kontrolle gehabt hatte.

Meine Gabe.

Das war immer Tante Lizzys Ausdruck für meine übersinnliche Begabung gewesen, die ich von meiner viel zu früh verstorbenen Mutter geerbt hatte.

Was mochte nur dieses Bild eines Schlosses in den schottischen Highlands – oder einer vergleichbaren Landschaft – bedeuten?, fragte ich mich. Es war nicht das erste Mal, dass ich dieses Bauwerk vor meinem innere Auge sah.

Am Tag nach unserer Rückkehr aus Kambodscha hatte ich es zum ersten Mal gesehen und gleich gewusst, dass es irgend etwas zu bedeuten hatte. Es hatte mit meinem Schicksal zu tun.

Ich war mir so gut wie sicher.

Schottland, dachte ich. Wie komme ich eigentlich auf Schottland? Vielleicht durch die Meldung, die heute auf meinem Schreibtisch gelegen hat?

Ich atmete tief durch und ging dann zur Tür.

Ein Gefühl der inneren Unruhe hatte mich erfasst.

Ich schloss die Tür auf.

Tante Lizzy – eigentlich Mrs. Elizabeth Vanhelsing – traf ich im Flur. Die alte Dame war gerade damit beschäftigt, einen Pappkarton in Richtung der halboffenen Tür zur Bibliothek zu schieben.

„Hallo, Patti!‟, meinte sie etwas atemlos. Sie richtete sich auf, lächelte matt und griff sich mit der Hand an den Rücken. „Uh!‟, stöhnte sie, „ich glaube, das hätte ich nicht tun sollen. Aber hinterher ist man ja bekanntlich immer etwas klüger.‟

„Tante Lizzy!‟, rief ich tadelnd. „Du hast doch nicht etwa die schwere Kiste aus dem Keller hier herauf gehievt?‟

„Nun ...‟

„Das ist nicht dein Ernst!‟

„Was soll ich machen? Ich beschäftige mich zwar den ganzen Tag mit nichts anderem als okkulten Beschwörungen und übersinnlichen Phänomenen, aber das bedeutet leider nicht, dass ich selbst in dieser Hinsicht irgendeine Begabung hätte ... so etwas wie Telekinese oder Levitation wäre manchmal ganz praktisch. Andererseits würden mir dann die Geheimdienste die Türen einrennen, um mich als Geheimwaffe in internationalen Konflikten einzusetzen – und das möchte ich nun eigentlich nun wieder nicht so gerne!‟

„Tante Lizzy, du hättest doch warten können. Ich trag dir doch gerne mal so eine Kleinigkeit ...‟

Ich hob die Kiste an.

Sie war wirklich sehr schwer.

Tante Lizzy griff ebenfalls nach der Kiste.

„Sag jetzt nicht: Lass los, Kind, du musst noch wachsen!‟, brachte ich ächzend heraus.

Aber ich war ganz froh, dass sie mit anfasste. Wir schleppten die Kiste in die Bibliothek, was im Fall der Vanhelsing-Bibliothek ein irreführender Begriff war. Denn in Wahrheit war die gesamte Villa – mit Ausnahme meiner Räumlichkeiten – nichts anderes als ein einziges Archiv. Die Wände waren überall mit Regalen bedeckt, in denen sich uralte Folianten drängten. Unterbrochen wurden diese Bücherreihen hin und wieder von archäologischen Fundstücken, die Tante Lizzys auf einer Forschungsreise verschollener Mann Frederik von seinen Reisen mitgebracht hatte, und okkulten Gegenständen, die zusammen mit den Büchern zu ihrer „Sammlung‟ gehörten.

Tante Lizzy hatte ihr Leben der Erforschung des Ungewöhnlichen in all seinen Facetten gewidmet. Übersinnliche Wahrnehmung gehörte ebenso dazu wie Geisterbeschwörungen und Magie.

„Leider weiß man nie genau, wann du nach Hause kommst, Patricia‟, meinte sie. „Darauf wollte ich einfach nicht warten. Ich habe nämlich eine Entdeckung gemacht. Du erinnerst dich an die Notizen, die sich in dem Geheimfach meines Schreibtischs fanden ...‟

Natürlich erinnerte ich mich daran. Tante Lizzy hatte vor einiger Zeit einen antiken Schreibtisch erworben, dessen Herkunft unklar und dessen Geschichte äußerst verwickelt war.

In einem Geheimfach hatten sich fragmentarische Notizen des deutschen Okkultisten Hermann von Schlichten befunden, der um die Jahrhundertwende herum mit dem Buch ABSONDERLICHE KULTE so etwas wie DAS Kompendium des Okkulten geschaffen hatte. Legenden und Gerüchten nach hatte von Schlichten auch einen zweiten Band angefangen, möglicherweise sogar vollendet, aber das Manuskript ging sehr wahrscheinlich bei einem Hausbrand verloren. Tante Lizzy hatte nun in ihrem Schreibtisch Notizen zu diesem legendären zweiten Band gefunden.

Sie blickte mich an und in ihren Augen brannte ein Feuer, das einer viel jüngeren Frau zur Ehre gereicht hätte. Was ihre Energie anging, so hatte ich das Gefühl, konnte es Tante Lizzy mit den meisten Jüngeren spielend aufnehmen. Nur ihr krankes Herz grenzte sie bei ihren Aktivitäten manchmal ein.

Und dann berichtete sie mir von den aufregenden Studien, die sie gerade betrieb. Davon, dass sie zu der Überzeugung gelangt war, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem legendären zweiten Band und einem Buch mit dem Namen ZEICHEN DER GEHEIMEN MACHT des ungarischen von-Schlichten-Schülers Ferenz Borsody geben musste.

„Ich glaube, Borsody hat den zweiten Band der absonderlichen Kulte gekannt!‟, war sie überzeugt. „Jedenfalls habe ich eine ganze Reihe von Belegen dafür gefunden. Und das nicht nur in von Schlichtens Notizen, sondern auch in seiner Korrespondenz!‟

„Und was ist hier drin?‟, fragte ich und deutete auf den Karton.

Tante Lizzy öffnete ihn.

„Kopien aus dem Nachlass Ferenz Borsodys. Ein Bekannter bei der britischen Botschaft in Wien war so freundlich, die entsprechenden Kontakte herzustellen.‟ Tante Lizzy rieb die Handflächen aneinander und setzte dann hinzu: „Ich habe nicht eine einzige Minute zu verlieren, Patti.‟

„Wieso diese Eile?‟

„Ich möchte die Sache unbedingt noch fertig haben, bevor ...‟

Sie sah mich etwas erstaunt an, runzelte dann die Stirn und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

Ich hob die Augenbrauen.

„Was ist?‟

„Mein Gott, das habe ich dir ja noch gar nicht gesagt!‟

„Wovon sprichst du?‟

„Davon, dass ich eine kleine Reise machen werde.‟ Sie sah mich an und genoss sichtlich mein Erstaunen. Ein nachsichtiges Lächeln glitt über ihre freundlichen Züge. An den Augen hatte sie Lachfalten. „Nein, keine Sorge, ich mache nicht so ausgefallene Dinge wie du. Zum Beispiel deine Expedition in den kambodschanischen Regenwald ... Solche Dinge würde mein Herz auch nicht mehr mitmachen. Aber, was eine Reise in die schottischen Highlands angeht, ist das etwa anderes.‟

„Schottland?‟, fragte ich.

Es versetzte mir einen Stich.

Ich dachte an das düstere Schloss, sah es wieder deutlich vor meinem inneren Auge. Dunkel und drohend thronte es auf einer Anhöhe, während die Nebelschwaden wie böse Geister über den Boden krochen.

„Was ist los, Patti? Du machst ja ein Gesicht, als hätte Mr. Swann dich rausgeworfen!‟

„Es ... es ist nur, ich hatte eine Vision.‟

„Sie hat etwas ... mit mir zu tun?‟

„Ja, das heißt ...‟ Ich stockte, schloss kurz die Augen und schüttelte dann den Kopf. „Ich weiß es nicht genau. Aber ich sah ein Schloss, das im schottischen Hochland liegen könnte. Und ich spürte eine unheimliche Bedrohung, die von jenem Ort ausging ...‟ Ich seufzte hörbar und spürte dabei, wie mein Puls zu rasen begonnen hatte. Ich presste die Lippen aufeinander und versuchte, ein leichtes Zittern zu unterdrücken.

Dein Körper reagiert sensibler, unverfälschter auf das, was deine Gabe wahrgenommen hat, als dein Verstand!, ging es mir durch den Kopf. Ich musste diese Sache ernst nehmen.

Tante Lizzy spannte mich nun nicht länger auf die Folter.

„Arnold Reed hat mich auf seinen Landsitz in der Nähe von Inverness eingeladen. Na – was sagst du nun? Morgen geht’s los.‟

Arnold Reed, allgewaltiger Verleger der LONDON EXPRESS NEWS war ein alter Freund meiner Großtante. Soweit ich wusste, hätte Reed sogar um ein Haar um Tante Lizzys Hand angehalten, wäre ihm nicht ein junger Archäologe namens Frederik Vanhelsing zuvorgekommen. Zumindest pflegte Reed diese Version immer zu erzählen, während Tante Lizzy sich dazu ausschwieg.

Der Tatsache, dass Tante Lizzy eine gute Bekannte des NEWS-Verlegers war, war es im Übrigen wohl auch zu verdanken, dass ich den Job als Reporterin überhaupt bekommen hatte. Michael T. Swann war anfangs alles andere als begeistert gewesen, eine Anfängerin, die gerade ihr Studium abgeschlossen hatte, gewissermaßen von oben aufs Auge gedrückt zu bekommen. Den Reporterberuf, so war Swann immer überzeugt gewesen, musste man sich von der Picke auf erarbeiten. Inzwischen hatte sich Swanns Einstellung mir gegenüber längst geändert. Denn was man ansonsten auch immer über ihn sagen mochte – Leistung fand stets seine Anerkennung. Da war er unbestechlich.

„Ich wusste gar nicht, dass Mr. Reed einen Landsitz in der Nähe von Inverness besitzt‟, meinte ich.

„Er hat ihn vor einigen Jahren erworben, als er sich nach dem Tod seiner Frau für einige Zeit aus der Öffentlichkeit zurückziehen wollte. Lange hat der gute Arnold die Einsamkeit der Highlands allerdings nicht ausgehalten. Immerhin schreibt er immer noch regelmäßig Leitartikel in den LONDON EXPRESS NEWS ...‟

„Was will Mr. Reed von dir?‟

„Nun, ich wünschte, er hätte diese Einladung nur der alten Zeiten wegen ausgesprochen. Aber es gibt da wohl noch einen anderen Grund.‟

„Und der wäre?‟

„Es geht um einige eigenartige Vorfälle in der Umgebung seines Landsitzes.‟

„Etwa um die Tierkadaver, die keinen Blutstropfen mehr enthielten?‟

Tante Lizzy sah mich erstaunt an. „Du weißt davon?‟

„Ich bekam heute eine entsprechende Meldung auf den Tisch. Allerdings sind inzwischen auch Menschen dem Unbekannten zum Opfer gefallen...‟

Tante Lizzy nickte. „Ja ... gestern Nacht starben zwei Farmer unter entsetzlichen Umständen. Die beiden Männer versuchten, ihre Tiere zu schützen. Wer auch immer sie angegriffen haben mag, sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Arnold hat mich im Verlauf des Vormittags angerufen. Er schien sehr besorgt zu sein und wollte unbedingt, dass eine Expertin für Okkultismus und Übersinnliches sich der Sache annimmt, da die örtliche Kriminalpolizei wohl ziemlich auf der Stelle tritt.‟

Ich schluckte.

„Vielleicht war es Mr. Reeds Anwesen, dass ich in der Vision sah ...‟

„Ich habe ein Foto. Arnold hatte es vor Jahren einem Brief beigelegt, kurz nachdem er den Landsitz erwarb. Es heißt Mondrich Manor und machte wirklich einen sehr stilvollen Eindruck.‟

„Zeig mir das Bild‟, forderte ich eindringlich. „Bitte.‟

Tante Lizzy sah mich nachdenklich an.

„Du glaubst, dass es jenes Anwesen ist, dass du in deiner Vision vor Augen hattest.‟

„Ja.‟

„Würde es etwas ändern, wenn es so wäre?‟

„Tante Lizzy, ich spüre ...‟

„Was?‟

„Die Gefahr ...‟ Ich zuckte die Achseln. „Ich weiß auch nicht.‟

Tante Lizzy lächelte. „Ob du es nun glaubst oder nicht: Ich bin eine erwachsene Frau, Patti. Und ich kann durchaus auf mich aufpassen.‟

Ich musste lächeln.

Als Jugendliche hatte ich mich gegen Tante Lizzys Bevormundung wehren müssen – jetzt kehrte die alte Dame den Spieß kurzerhand um. Sie ging an den Schreibtisch, der in einer Ecke der Bibliothek stand. Es handelte sich schon optisch um ein besonderes Möbelstück. An den Ecken befanden sich eigenartige Schnitzereien, die tierhafte Gesichter von Fabelwesen darstellten. Tante Lizzy öffnete eine Schublade, holte einen Umschlag hervor und nahm ein Foto heraus. Sie reichte es mir.

„Nun?‟, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein‟, sagte ich, „Das ist ganz sicher nicht das Anwesen, das ich gesehen habe.‟

Aus irgend einem Grund beruhigte mich diese Tatsache etwas.

Aber ein leichtes Unbehagen blieb.

„Ich werde dich natürlich über alles unterrichten, was ich herausfinde‟, versprach Tante Lizzy.

„Darum möchte ich gebeten haben!‟

 

 

6

Tante Lizzy brach am nächsten Tag nach Schottland auf. Arnold Reed musste die Anwesenheit meiner Großtante wirklich überaus wichtig sein, denn er ließ sie mit einem Privatflugzeug von London Heathrow aus abholen.

„Einen derartigen Luxus lässt Mr. Reed eben nur seinen langjährigen Bekannten zukommen – und nicht den Angestellten seines Verlages‟, meinte Tom dazu, als ich ihm davon berichtete.

Tom Hamilton und ich hatten einen Termin bei Scotland Yard, der indirekt mit unserer Kambodscha-Reise in Zusammenhang stand.

Als wir den dortigen Machenschaften des ORDENS DER MASKE auf die Spur kamen, hatten wir unter Anderem feststellen müssen, dass der berüchtigte Kriminelle und ehemalige Gesichtschirurg Dr. Skull dort eine wichtige Position eingenommen hatte. Angesichts der Tatsache, dass Skull über erhebliche okkulte Kenntnisse verfügte, konnte sein rascher Aufstieg in der Organisation des ORDENS eigentlich nicht weiter verwundern.

Dr. Skull wurde auch im Vereinigten Königreich gesucht, und so interessierte sich natürlich auch Scotland Yard für sein Verbleiben.

Wir konnten nur aussagen, dass Dr. Skull aller Wahrscheinlichkeit nach tot war.

Inspektor Craven, den ich durch einige Gerichtsreportagen kannte, hörte nachdenklich unserem Bericht zu.

Selbstverständlich ließen wir darin alles aus, was nach übersinnlichen Kräften oder anderen, nicht auf Anhieb erklärbaren Dingen aussah. Schließlich hatten wir keine Lust, uns langwierigen psychiatrischen Untersuchungen stellen zu müssen.

„Haben Sie eine Ahnung, was für eine Funktion Dr. Skull letztlich innerhalb des ORDENS ausübte?‟, erkundigte sich Craven mit nachdenklichem Gesicht.

„Nein‟, meinte ich. „Aber ich vermute, man muss jederzeit mit weiteren Aktionen dieser Weltuntergangs-Sekte rechnen.‟

Craven nickte. „Ja, das steht zu befürchten‟, gab er zu.

Das Wissen, das Scotland Yard über den ORDEN besaß, war sehr gering. Und es gelang eher den Maskenträgern, sich bei der Polizei und den Behörden einzuschleichen als umgekehrt.

Scotland Yard Inspector Gregory Barnes war dafür vor Kurzem ein erschreckendes Beispiel gewesen. Es hatte sich herausgestellt, dass er ein Mitglied des ORDENS gewesen war.

Inzwischen fehlte von ihm jede Spur.

Nachdem die Befragung zu Ende war, fuhren wir nicht gleich zurück zum Verlagsgebäude in der Lupus Street. Stattdessen machten wir einen Abstecher in die Außenbezirke und gingen Arm in Arm an der Themse spazieren.

Irgendwann blieben wir am Ufer stehen und sahen den Schiffen zu, die sich flussaufwärts quälten.

Ich schmiegte mich an Tom, während ein kühler Wind über die Flussniederungen strich.

„Es gefällt dir nicht, dass deine Tante Lizzy sich selbständig nach Schottland aufmacht, was?‟, meinte er.

Ich drehte mich zu ihm herum, blickte in seine meergrünen Augen.

Tom grinste.

„Unsinn‟, meinte ich. „Das ist es nicht. Es ist nur diese Vision, von der ich dir erzählt habe. Und was diese Todesfälle unter den Farmern angeht, so finde ich das ziemlich beunruhigend.‟

„Sieht nicht so aus, als würde Mr. Swann uns als Verstärkung nach Schottland fahren lassen!‟

„Nein.‟

„Was denkt denn Tante Lizzy, was diesen Vorfällen zu Grunde liegt?‟

Ich zuckte die Achseln. „Ich weiß nur, dass sie einige Bücher eingepackt hat, die sich mit verschiedenen Formen des Vampirismus beschäftigen ...‟

Eine Vermutung, die im Übrigen auf Grund der Tatsache, dass sich weder in den Tierkadavern noch in den menschlichen Leichen auch nur ein einziger Tropfen Blut gefunden hätte, sehr wahrscheinlich war.

Wir gingen ein Stück weiter, während der Wind immer stärker wurde. Ein durchdringender Seewind, gegen den es keine Kleidung zu geben schien. Als wir dann erneut stehen blieben, fanden sich unsere Lippen zu einem Kuss voll inniger Leidenschaft. Wenigstes für einige Momente gelang es mir, all die düsteren Dinge zu vergessen, die wie drohende Schatten über mir hingen.

Rare Augenblicke des Glücks.

 

 

7

Mondrich Manor war ein prächtiges Anwesen, bestehend aus einem gewaltigen Haupthaus und mehreren Nebengebäuden. Die grauen Steinquader, aus denen sie im 16. Jahrhundert errichtet worden waren, ließen sie wie Überbleibsel aus einer anderen Zeit erscheinen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Gebäude sehr gründlich restauriert waren und das gesamte Anwesen über jeden nur erdenklichen modernen Komfort verfügte.

Mondrich Manor wurde von einem Park umgeben, der an von geometrischen Formen geprägten Barockgärten orientiert war.

Klare Linien, das passte zu Arnold Reed, dem Herrn dieses imposanten Landsitzes, zu dem außerdem noch einige ausgedehnte Fischteiche, ein Golfplatz und eine Landebahn für private Flugzeuge gehörten.

Arnold Reed holte Tante Lizzy persönlich ab, als der Privatflieger auf der gut ausgebauten Piste landete.

Reed war ein hochgewachsener, aristokratisch wirkender Mann mit vollem, aber ergrautem Haar. Er trug einen dünnen, ebenfalls grauen Oberlippenbart, und seine konservativ geschnittenen dreiteiligen Anzüge saßen ihm wie angegossen.

Der erfolgreiche Verleger war ein Mann des vollendeten Stils. Er begrüßte Tante Lizzy mit einem formvollendeten Handkuss.

„Ich freue mich wirklich außerordentlich, dass du meiner Bitte, so schnell wie möglich hierher zu kommen, entsprochen hast!‟

„Das war doch selbstverständlich, Arnold.‟

Reeds Lächeln war verhalten. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich nicht wohl fühlte. Irgend etwas nagte offenbar an seiner Seele. Tante Lizzy kannte ihn gut genug, um das sofort zu bemerken.

Tante Lizzy seufzte hörbar und sog dann die frische, klare Luft der Highlands ein.

Kurz ließ sie den Blick über das beeindruckende landschaftliche Panorama schweifen. „Du hast einen imposanten Besitz, Arnold!‟, musste sie anerkennend feststellen. „Ich hatte ja Gelegenheit, mir aus der Luft einen Überblick zu verschaffen.‟

„Leider warst du noch nie hier, Elizabeth.‟

„Es hat sich nie die Gelegenheit ergeben!‟

„Gelegenheit? Elizabeth, du hattest nie Zeit.‟

„Nun, ich bin zwar eigentlich in einem Alter, in dem man geruhsam seinen Lebensabend genießen sollte, aber irgendwie liegt es mir nicht, untätig herumzusitzen.‟

„Da geht es dir wie mir!‟ Er machte eine ausholende Bewegung. „Da habe ich mir dieses wunderbare Refugium erworben und meine Gedanken sind doch oft in der Londoner Lupus Street.‟ Er deutete auf ein Cabriolet, das ganz in der Nähe stand. „Steig ein, Elizabeth!‟

„Danke.‟

Einer der Bediensteten, die dafür sorgten, dass Arnold Reeds Anwesen reibungslos geführt wurde, nahm Tante Lizzys Koffer und schleppte sie hinter das Cabriolet. Es machte ihm sichtlich Mühe, sie in den Kofferraum zu hieven. Reed half ihm.

„Meine Güte, was hast du denn alles mitgenommen, Elizabeth?‟

„Nur das Wichtigste!‟

„Das ist schwer wie Stein!‟

„Ein paar Schriften zum Thema Vampirismus.‟ Tante Lizzy zuckte mit den Achseln. „Schließlich muss man sein Handwerkszeug dabeihaben ...‟

Reeds Gesicht wurde sehr ernst. Er nickte leicht.

„Ja, das ist wahr‟, murmelte er. Und Tante Lizzy dachte darüber nach, weshalb Arnolds Reeds Gesicht auf einmal so blass geworden war. Er trat etwas näher an sie heran. Bevor er etwas sagte, wartete er, bis sein Bediensteter sich entfernt hatte.

„Hier geht etwas Schreckliches vor sich, Elizabeth ... Etwas Unfassbares!‟

 

 

8

Es war Nacht.

Das dunkle Schloss – gezeichnet vom Verfall und der Last der Jahrhunderte – schimmerte als dunkler Schatten durch eine Nebelbank hindurch.

Etwas flog aus den Fenstern eines Turms heraus. Schwarze Punkte, die sich sammelten, einen Schwarm bildeten und erst nach links, dann nach rechts drifteten. Sie schwebten durch die Nebelbänke hindurch, erhoben sich zeitweise darüber und verbreiteten durch ihren Flügelschlag einen raschelnden Laut.

Es war windstill.

Beinahe hatte man den Eindruck, als ob das Land den Atem anhielt, während die geflügelten dunklen Schatten ausschwärmten.

„Was ist das für ein Ort, an den du mich gebracht hast?‟, fragte Tante Lizzy an die dunkle, nur als schwarzen Umriss erkennbare Gestalt gewandt, die zu ihrer Linken stand.

Keine Antwort.

„Diese Ruine ...‟, murmelte Tante Lizzy nachdenklich. „Ich glaube ich weiß, was das ist.‟

Die Fledermäuse kamen näher. Für Augenblicke drang das fahle Mondlicht als verwaschener Fleck durch den Nebel hindurch und strahlte sie an. In diesem fahlem Licht sahen sie ausgetrockneten Präparaten ähnlich.

Tante Lizzy presste die Lippen aufeinander.

Sie fühlte ihr Herz stärker klopfen, griff sich an die Brust. Mein Gott, was geschieht hier?, ging es ihr durch den Kopf.

Der Schwarm der Fledermäuse hatte sich unterdessen fast völlig aufgelöst. Die Tiere waren in alle Richtungen zerstoben. Manche von ihnen tauchten hin und wieder als dunkle Punkte im Nebel auf. Es hatte den Anschein, als ob sie zwischenzeitlich zu einer Art Sturzflug ansetzten, hinab zur Erde tauchten, um …

Sie sind Jäger, dachte Tante Lizzy.

Tierische Schreie durchdrangen hier und da die beunruhigende Stille, die über diesem Land lag. Schreie, die ein Sinnbild der Verzweiflung und der Todesangst waren.

Tante Lizzy wandte den Kopf und blickte die hochgewachsene Schattengestalt an, die neben ihr stand. Den Umrissen nach war es vermutlich ein Mann. Zumindest sprachen die breiten Schultern dafür.

„Es hat seinen Grund, dass du mich her geführt hast, nicht wahr?‟

„Ja.‟

Die Stimme war kaum mehr als ein Wispern.

„Ist dies der Ort, von dem aus das Übel ausgeht?‟, fragte Tante Lizzy.

Die Gestalt trat zurück, drehte sich und ging ein paar Schritte. Vor dem Cabrio blieb sie stehen und lehnte sich an den Kotflügel. „Ich weiß es nicht.‟

Auf Tante Lizzys Stirn bildete sich eine tiefe Furche zwischen den Augen.

„Was ist plötzlich mit dir?‟

Ein Geräusch lenkte sie ab.

Es war das charakteristische Rascheln von Fledermausflügeln. Sie drehte sich herum und sah eines der Tiere auf sich zu flattern. Rasch näherte es sich. Sie wich einen Schritt zurück. Die Fledermaus setzte zur Landung an.

Auf den letzten Metern begann die Verwandlung!

Der Leib wuchs auf ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe. Ein affenartiges Gesicht mit dicken Augenwülsten und einem zahnbewehrten Maul bildeten sich vor Tante Lizzys Augen.

Das Wesen, das nun vor ihr stand, hatte die Größe eines Menschen. Die meisten Details wurden jedoch durch die Dunkelheit versteckt.

Mondlicht spiegelte sich in den Augen.

Tante Lizzy war starr vor Schrecken.

Sie schrie in der nächsten Sekunde auf, als zwei mit Krallen ausgestattete Pranken nach ihr griffen. Das Maul des Wesens öffnete sich weit. Ein Geruch von Moder und Verwesung drang daraus hervor.

Und dann waren da die langen, leicht gebogenen Eckzähne, deren Form Ähnlichkeiten mit dem Gebiss einer Königskobra hatten.

 

 

9

Schweißgebadet und mit einem Schrei auf den Lippen tauchte ich aus der Dunkelheit empor. Ich war hellwach, saß kerzengerade im Bett und zitterte am ganzen Körper. Zu deutlich standen mir noch die Bilder meiner letzten Traumvision vor Augen.

Ich zuckte zusammen, als mich von hinten zwei Hände an den Schultern berührten. Obwohl es eine zärtliche Berührung war.

„Patti ...‟, murmelte Tom meinen Namen. Und der Klang seiner Stimme beruhigte mich etwas. Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht und blickte mich um. Es war fast so, als müsste ich mich erst wieder der Tatsache vergewissern, dass ich mich im Hier und Jetzt befand.

In der Wirklichkeit, dachte ich. Aber das war eigentlich nicht der richtige Begriff. Denn das, was ich in meiner Vision gesehen hatte, war auf seine Weise auch Wirklichkeit. Vielleicht eine zukünftige Realität – oder ein Geschehen an einem anderen, weit entfernten Ort.

Ich schluckte.

Immer wieder sah ich das fratzenhafte Gesicht des Wesens vor mir, in das sich die Fledermaus verwandelt hatte. Ich glaubte beinahe jetzt noch spüren zu können, wie die mit Krallen bewehrten Pranken mich an den Schultern packten.

Ich bin hier, in Toms Wohnung an der Ladbroke Grove Road in London, sagte ich mir.

Tom nahm mich in den Arm.

Ich schmiegte mich an ihn, spürte seinen Herzschlag und versuchte einige Augenblicke lang, ruhig zu atmen.

Tom strich mir über das Haar.

Augenblicke vergingen.

Schließlich sagte Tom irgendwann: „Erzähl es mir, Patti. Was hast du gesehen?‟

Ich brauchte ihm gar nicht erst zu erklären, dass es eine meiner Traumvisionen war, die mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Er kannte mich gut genug, um Bescheid zu wissen, ohne dass es dafür noch irgendeiner Erklärung bedurft hätte. Und er war bereit, auch mit den Schattenseiten meiner Gabe zu leben. Etwas, was ich ihm sehr hoch anrechnete.

Ich setzte mich auf, blickte ihn an. Dann stand ich auf, ging zum Lichtschalter und knipste es an. Ich wollte einfach, dass es jetzt hell war – und nicht so dunkel wie in meinem Alptraum. Tom blinzelte zunächst etwas.

Ich ging zurück, setzte mich auf die Bettkante und blickte in seine meergrünen Augen.

„Es war Tante Lizzy‟, sagte ich. „Und dann war da ein dunkles Schloss ... ein Schloss, das ich zuvor schon einmal in einer Vision gesehen habe. Fledermäuse entwichen aus den Türmen dieses Schlosses. Wenn sie landeten, verwandelten sie sich in furchtbare Bestien.‟ Ich strich mir über das Gesicht. „Ich glaube, Tante Lizzy ist etwas Furchtbares geschehen. Und wenn nicht, dann wird es bald geschehen.‟

Ich griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch und wählte die Nummer von Tante Lizzys Handy.

Zunächst war sie nicht begeistert davon gewesen, so ein Ding mit sich herumzuschleppen, aber ich hatte sie schließlich überzeugen können. Ihr Herz bereitete ihr ja schon seit Längerem gewisse Probleme. Und da konnte es gut sein, dass sie plötzlich auf sehr schnelle Hilfe angewiesen war.

Ein Handy konnte in einer solchen Situation lebensrettend sein.

Nach einigen Schwierigkeiten, die ihr die kleinen Knöpfe und das in ihren Augen komplizierte Menü bereiteten, kam sie jetzt gut damit zurecht.

Ich wartete ungeduldig auf ein Freizeichen.

Stattdessen erklang eine Stimme mit dem monoton gesprochenen Satz: „Die Person, die sie angerufen haben, ist nicht erreichbar. Die Person, die sie anger ...‟ Ich unterbrach die Verbindung.

„Was ist?‟, fragte Tom. „Meldet sich niemand?‟

„Nein.‟

Es gab viele Möglichkeiten, die die Tatsache erklären konnten, dass Tante Lizzy nicht zu erreichen war. Vielleicht war der Akku ihres Handys leer, oder Mondrich Manor befand sich in einem sogenannten Funkloch.

Eine dunkle Ahnung sagte mir, dass dem nicht so war.

Ich atmete tief durch und versuchte es noch einmal.

Wieder meldete sich niemand.

Ich wählte erneut, diesmal die Nummer der Auskunft.

„Hallo? Ja, ich hätte gerne die Nummer von Arnold Reed auf Mondrich Manor bei Inverness ...‟

„Bist du wahnsinnig?‟, fragte Tom, nachdem ich mir die Nummer notiert und wieder aufgelegt hatte. „Du hast hoffentlich nicht vor, Mr. Reed um diese Zeit aus den Federn zu klingeln.‟

„Wenn es sein muss ...‟

„Patti, bist du dir dessen bewusst, dass dieser Mr. Reed es ist, der uns das Gehalt zahlt?‟

„Tom, da ist etwas Furchtbares geschehen – mit Tante Lizzy!‟

Tom stand auf, umrundete das Bett und sah mich nachdenklich an. „Du bist dir wirklich sicher?‟

„Ziemlich.‟