Prof. Dr. Günther Schanz

lehrte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Göttingen. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Unternehmensführung, Personalwirtschaft, Organisation und Grundlagenprobleme der Betriebswirtschaftslehre.

ISBN (Print) 978-3-86764-832-5

ISBN (EPUB) 978-3-7398-0372-2

ISBN (EPDF) 978-3-7398-0373-9

Die erste Auflage dieses Buches ist 2014 bei utb/UVK Lucius unter dem gleichen Titel erschienen.

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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2018

Lektorat: Rainer Berger, München

Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz

Einbandmotiv: Giuseppe Porzani, fotolia.de

Druck und Bindung: Printed in Germany

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Vorwort zur 2. Auflage

Die in der 2. Auflage gegenüber ihrem Vorläufer von mir vorgenommenen Veränderungen betreffen verschiedene inhaltliche Erweiterungen, kleinere Streichungen und zahlreiche stilistische Verbesserungen. Die Gliederung wurde komplett beibehalten.

Weil ich mich weniger als Historiker, sondern primär als ein an Grundlagenfragen der Betriebswirtschaftslehre interessierter Fachvertreter begreife, ist, wenn mir dies erforderlich schien, an kritischen Kommentaren – in der vorliegenden Auflage in verschärfter Form – nicht gespart worden. Für den Leser wird hoffentlich trotz alledem spürbar, dass, wo immer möglich, die positiven Würdigungen nicht zu kurz kommen. Aus meiner persönlichen Präferenz für eine verstärkte Verhaltensorientierung der Betriebswirtschaftslehre will ich von vornherein keinen Hehl machen.

Wie in anderen meiner verschiedenen Publikationen geht es mir auch hier nicht zuletzt um das Menschenbild, von dem – häufig implizit – betriebswirtschaftliches Forschen und Lehren in starkem Maß geleitet wird. Meine persönlichen inhaltlichen Überzeugungen finden dabei im Programm einer verhaltenstheoretischen, konsequent erfahrungswissenschaftlich ausgerichteten Betriebswirtschaftslehre ihren Niederschlag, das, wie auch schon der 1. Auflage zu entnehmen, gerade hinsichtlich dieses Punktes in deutlichem Kontrast zum Neuen Institutionalismus steht.

Das neue Nachwort bot Gelegenheit, speziell auf den Stellenwert der unternehmensethischen Problematik einzugehen. Dabei habe ich insbesondere (aber natürlich nicht ausschließlich) deren Bedeutung für die Lehre im Auge. Auch hier gibt es eine naheliegende Beziehung zum Menschenbild. Das Beharren auf Annahmen, wie sie so mancher Rationalitätsvorstellung und verschiedenen Teilen des Neuen Institutionalismus zugrunde liegen, bergen nach meiner Überzeugung die nicht einfach von der Hand zu weisende Gefahr, bei den damit konfrontierten Studentinnen und Studenten Zynismus und Menschenverachtung zu fördern. Das kann für sie selbst, aber auch für die Gesellschaft insgesamt nicht wünschenswert sein. Im Rahmen von Vorlesungen und Seminaren, in denen auch die unternehmensethische Dimension der jeweiligen Thematik angeschnitten wird, lässt sich dem entgegenwirken.

Stärker auf die betriebswirtschaftliche Forschung zielt mein (in der 2. Auflage ins Nachwort verschobenes) Plädoyer für die explizite Berücksichtigung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. Auch dies steht in engem Zusammenhang mit dem Bemühen um ein adäquates Menschenbild, kann aber auch in überraschend vielfältiger Weise zur Lösung durch und durch praxisrelevanter Probleme herangezogen werden.

Herzlich bedanken will ich mich abschließend bei Herrn Rainer Berger vom UVK Verlag für seine Anregung zur Neuauflage in einem veränderten Gewand sowie für die stets angenehme Zusammenarbeit mit ihm. Lob und Tadel erreichen mich am schnellsten unter schanzg@yahoo.de; empfänglich bin ich für beides. Als außerordentlich ehrenvoll empfinde ich es, dass die 1. Auflage – wie die eine oder andere meiner Publikationen auch – zwischenzeitlich in japanischer Übersetzung erschienen ist.

Landau in der Pfalz, im Januar 2018
Günther Schanz

Vorwort zur 1. Auflage

Es ist nicht unüblich, die Geschichte der Betriebswirtschaftslehre mit der Gründung der ersten Handelshochschulen beginnen zu lassen: Aachen, Leipzig und Wien (1898), kurze Zeit später dann Köln und Frankfurt (1901), Berlin (1906), Mannheim (1908) und einige mehr. Diese Entscheidung – denn um eine solche handelt es sich – rechtfertigt sich damit, dass es geeigneter institutioneller Rahmenbedingungen bedarf, damit sich Forschung und Lehre wirksam zu entfalten vermögen. Aus heutiger Sicht darf davon ausgegangen werden, dass die seinerzeit entstandenen Handelshochschulen eben dies ermöglichten. Übersehen oder ausgeblendet wird damit keineswegs, dass einzelwirtschaftlich relevante Erkenntnisse schon lange vor Gründung dieser Institutionen datieren und, etwa als Kaufmannswissen, erfolgreich und nutzenstiftend zur Anwendung kamen.

Ohne dass sich damit ein Reifeurteil verbindet: Vor dem Hintergrund der erwähnten Entscheidung handelt es sich bei der Betriebswirtschaftslehre um eine vergleichsweise junge Disziplin. Deren (akademische) Geschichte nachzuvollziehen erfolgt hier in der gelegentlich von dem Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn zum Ausdruck gebrachten Überzeugung, Geschichtsschreibung müsse mehr sein »[…] als ein Hort von Anekdoten und Chronologien« (Kuhn [Struktur] 17). Um dem Rechnung zu tragen, werden (wie ich meine: bewährte) wissenschaftstheoretischmethodologische Ideen und Überzeugungen herangezogen, die gleichsam als Messlatte an die im Laufe der Zeit entwickelten Konzepte angelegt werden können.

In inhaltlicher Hinsicht wird die Geschichte des Fachs als Nebeneinander und Abfolge von sogenannten Wissenschaftsprogrammen erzählt. Diese Vorgehensweise verbindet sich mit einer in meinen Augen durchaus wünschenswerten Selektion unter den überaus zahlreichen Wissensbeiträgen, die sich seit mehr als einem Jahrhundert im Fach angesammelt haben oder von außerhalb rezipiert wurden.

Die Konzentration auf Wissenschaftsprogramme, auf relativ umfassende Problemkomplexe also, hat in meinen Augen den weiteren Vorteil, die Geschichte der Disziplin in vergleichsweise gedrängter Form abhandeln zu können. Auf diese Eigenheit wollte ich bereits im Titel aufmerksam machen. Erkennbar (mit-)inspiriert wurde er von Stephen Hawkins »A Brief History of Time«; dies noch in einer weiteren Hinsicht: Ich beanspruche nicht, hier ›die‹ Historie des Fachs schlechthin zu erzählen, sondern wähle, indem von ›einer‹ Geschichte die Rede ist, ganz bewusst den unbestimmten Artikel.

»Eine kurze Geschichte der Betriebswirtschaftslehre« wendet sich, so jedenfalls stelle ich mir dies vor, erstens an Studenten höheren Semesters. Sie könnten es vielleicht als nützlich empfinden, das von ihren verschiedenen akademischen Lehrern an sie herangetragene Wissen in einen größeren historischen Zusammenhang zu bringen und es damit in gewisser Weise zu systematisieren. Zweitens denke ich, dass auch Praktiker von der Lektüre zu profitieren vermögen, speziell dann, wenn sie nach einiger Zeit gestalterischer Tätigkeit den Wunsch empfinden, auf ihr eigenes Studium zurückzublicken und dabei dies und jenes aufzufrischen, was sie dort kennengelernt – oder gegebenenfalls versäumt – haben.

Auch wenn es sich um eine nur kurze Disziplingeschichte handelt – entstanden ist sie über viele Jahre hinweg. Sie basiert maßgeblich auf meinem Beitrag zu der zunächst von F. X. Bea, E. Dichtl und M. Schweitzer, später dann nur noch von F. X. Bea und M. Schweitzer herausgegebenen und zwischen 1983 und 2009 in zahlreichen Auflagen im Verlag Lucius erschienenen »Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre«. Ich bedanke mich dafür, dass die überarbeitete und erweiterte Fassung jetzt als eigenständiges Taschenbuch erscheinen konnte.

Göttingen, im Februar 2014
Günther Schanz

Inhalt

  1. Einführender Überblick
  2. Wissenschaftstheoretische Grundlagen
  3. Rekonstruktion betriebswirtschaftlicher Wissenschaftsprogramme

1 Einführender Überblick

Die zu erzählende kurze Geschichte der Betriebswirtschaftslehre wird auf unübliche, von den geläufigen Darstellungen der Historie des Fachs abweichende Weise eingeleitet – mit einem wissenschaftstheoretischen Vorspann. In inhaltlicher Hinsicht betrifft er Wissenschaft schlechthin. Aus der Fülle der Probleme wissenschaftstheoretisch-methodologischer Natur werden dabei Fragen nach

herausgegriffen und zu beantworten versucht. Damit lassen sich Beurteilungskriterien gewinnen, die – im Vorwort angesprochen – gleichsam als Messlatte auch an betriebswirtschaftliche Wissenschaftsprogramme angelegt werden können und es darüber hinaus erlauben, die Problemsituation des Fachs insgesamt einzuschätzen.

Handelshochschulen, auf die ebenfalls bereits im Vorwort hingewiesen wurde, dienten nicht nur der Vermittlung betriebswirtschaftlichen Wissens, sondern waren auch Forschungsstätten und damit Orte der Wissensgenerierung. Dabei lassen sich – und hier kommt das personelle Element von Wissenschaft ins Spiel – herausragende Fachvertreter identifizieren, Persönlichkeiten also, die seinerzeit Innovatives und vielleicht auch auf Dauer Bewahrenswertes für die Entwicklung der Disziplin schufen. Unter (vorsichtigem) Bezug auf die Vorstellung von Wissenschaftsprogrammen ist dabei insbesondere an

Im Weiteren wird der Wandel der Betriebswirtschaftslehre von disziplinärer Abgeschlossenheit zu einem sich interdisziplinär begreifenden Fach beschrieben. Dieser Entwicklungspfad nimmt in den frühen 1950er Jahren seinen Anfang. Verfolgt werden soll er bis etwa Mitte der 1970er Jahre. Dabei lassen sich ebenfalls drei Ansätze identifizieren, nämlich

Im Anschluss daran ist auf zwei Programme einzugehen, die ihre Entstehung einer insbesondere in zeitlicher Hinsicht spezifischen Problemsituation verdanken. Es handelt sich um

Dabei ist erstere von eher episodischem Interesse, verdient aus historischer Sicht aber nach wie vor Beachtung. In diesem Zusammenhang bietet es sich ferner an, kurz auf alternativwirtschaftliche Ansätze einzugehen, wie sie seinerzeit eine gewisse Rolle spielten. Eindeutig von fortdauernder Bedeutung ist die ökologische Thematik, die im Fach etwa seit Beginn der 1980er Jahre erfolgte.

Zur Darstellung kommen schließlich zwei Entwürfe, von denen der eine den Anspruch erhebt, die Begrenztheit der traditionellen neoklassischen Denktradition durch Berücksichtigung der institutionellen Voraussetzungen und Folgen des Wirtschaftens zu überwinden. Der andere sucht die disziplinäre Begrenztheit des Fachs durch dessen systematische Integration in die Sozialwissenschaft zu überwinden. Im Einzelnen handelt es sich um

und wenn diese beiden Ansätze in eine gliederungslogische Beziehung gebracht werden, so geschieht dies zugleich in der Absicht, neben den Unterschieden, die zwischen ihnen bestehen, auch ihre (nicht auf den ersten Blick erkennbaren) Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Das Nachwort bietet Gelegenheit, unabhängig von einem direkten Bezug zu Wissenschaftsprogrammen einigen allgemeinen Entwicklungstendenzen der Betriebswirtschaftslehre nachzugehen und sie in sowohl kritischer als auch konstruktiver Absicht zu kommentieren. Ferner wird dort dem Stellenwert unternehmensethischer Fragestellungen nachgegangen und für die Berücksichtigung von Erkenntnissen neurowissenschaftlicher Provinienz geworben.

2 Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Fragen, die sich – wie angekündigt – auf mögliche Wissenschaftsziele, auf charakteristische Merkmale von Wissenschaftsprogrammen und auf das Für und Wider von Wissenschaftspluralismus richten, reichen über die Betriebswirtschaftslehre weit hinaus. Sie stellen sich der Wissenschaft insgesamt, die im Rahmen wissenschaftstheoretischer bzw. methodologischer Erörterungen damit selbst zum Reflexionsobjekt wird. Hier zunächst eine Begriffsbestimmung:

Die Wissenschaftstheorie – auch Wissenschaftslehre oder im engeren Sinn als Methodologie bezeichnet – ist ein Teilgebiet der Erkenntnislehre. Ihr Gegenstand ist die Wissenschaft selbst bzw. sind die in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erzielten Ergebnisse und die dabei zur Anwendung kommenden Methoden. Indem sie Möglichkeiten einer rationalen Vorgehensweise in den Wissenschaften aufzeigt, stellt sie eine Technologie des (zweckmäßigen) Problemlösungsverhaltens dar.

2.1 Global Wissenschaftsziele

Unbeschadet aller Unterschiede im Detail scheinen für sämtliche Wissenschaften zwei globale Zielsetzungen charakteristisch zu sein. Die eine leitet sich letzten Endes daraus ab, dass der Mensch ein hochentwickeltes Neugierwesen ist; ein Wesen, das »etwas tut, um etwas zu erfahren« (Lorenz [Weltbild] 75; Hervorh. im Orig.). Die andere hat mit seinem Streben nach Lageverbesserung zu tun, und es darf begründet vermutet werden, dass es zwischen Neugierverhalten und Streben nach Lageverbesserung gewisse Zusammenhänge gibt. Gemünzt auf die Zielsetzungen der Wissenschaft heißt dies:

Die intellektuelle Neugier, die Wissbegierde bzw. der Wissensdurst des Menschen ist Ausdruck seines Erkenntnisinteresses, das sich, gelegentlich zumindest, in Erkenntniswachstum und Erkenntnisfortschritt niederschlägt (kognitives Wissenschaftsziel).

Ferner sind Menschen fortwährend mit Problemen der Lebensbewältigung befasst. Soweit Wissenschaft dazu einen Beitrag leistet, kann von einem Gestaltungsinteresse gesprochen werden (praktisches Wissenschaftsziel).

2.1.1 Such nach wissenschaftlichen Erklärungen: Das kognitive Ziel

Die Vorstellung, dass es so etwas wie ein Erkennen um des Erkennens willen gibt, dürfte vielfach auf Befremden stoßen. Für das Wissenschaftsverständnis im antiken Griechenland war sie hingegen eine Selbstverständlichkeit. Wenn man bedenkt, dass die damalige Wissenschaftsauffassung unser heutiges – von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Anwendungen durch und durch beherrschtes – Weltbild weitestgehend geprägt hat, dann zeigt sich, dass dem kognitiven Ziel (cognoscere, lat. = erkennen) offensichtlich einige Bedeutung zukommen muss. Gleichzeitig wird sichtbar, dass ein an dieser Idee orientiertes wissenschaftliches Unternehmen kein reiner Selbstzweck sein kann.

Intellektuelle Neugier, die den Hintergrund des kognitiven Wissenschaftsziels bildet, wurzelt im Streben des Menschen nach Erkenntnis und Weltorientierung; sie ist demnach Ausdruck eines speziellen Bedürfnisses (Albert [Erkenntnis] 43).

Das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis schlägt sich hauptsächlich in Theorien nieder. Innerhalb der sog. Wirklichkeitswissenschaften (auch: Erfahrungs-, Real- oder empirische Wissenschaften) sind diese als sprachliche Gebilde zu interpretieren, mit deren Hilfe die strukturellen Eigenschaften bestimmter Realitätsausschnitte erfasst werden sollen. Ganz in diesem Sinne werden sie gelegentlich mit Netzen verglichen, die Wissenschaftler auswerfen, »um ›die Welt‹ einzufangen – sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen«. In demselben Atemzug wird die Idee des Erkenntniswachstums bzw. des Erkenntnisfortschritts angesprochen: »Wir arbeiten daran, die Maschen des Netzes immer enger zu machen« (Popper [Forschung] 31).

Mittels leistungsfähiger Theorien können reale Phänomene – eine Sonnenfinsternis, Konjunkturzyklen oder, betriebswirtschaftlich sicher bedeutsam, das häufige Fernbleiben vom Arbeitsplatz – erklärt werden. Zu Erklärungen benötigt man allerdings nicht lediglich Theorien bzw. theoretische Gesetzmäßigkeiten, sondern auch Wissen um die näheren Umstände des Zustandekommens eines erklärungsbedürftigen Sachverhalts. Letztere werden üblicherweise als Rand-, Anfangs-, Anwendungs- oder Antecedensbedingungen bezeichnet. Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, was es damit auf sich hat:

Zu betrachten ist zunächst das oben erwähnte Phänomen einer Sonnenfinsternis. Es fällt in den Bereich der Naturwissenschaften und lässt sich (allerdings nur vor dem Hintergrund des heutigen Erkenntnisstandes) besonders einfach erklären. Wir benötigen dazu – verkürzt ausgedrückt – lediglich das erste Kepler’sche Gesetz (»Planeten bewegen sich in Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht«) sowie spezielles Wissen um die Position von Erde, Mond und Sonne zu einem bestimmten Zeitpunkt (Randbedingungen).

Das hier ausgewählte Beispiel ist für die Naturwissenschaften allerdings eher atypisch, insbesondere was die damit verbundenen Möglichkeiten von präzisen Voraussagen anbelangt. Es liegt nämlich eine ganz bestimmte, außerordentlich ideale Bedingungskonstellation vor, denn unser Sonnensystem kann als (annähernd) isoliert, stationär und zyklisch gelten. Bei anderen, ebenfalls in den Bereich der Naturwissenschaften fallenden Erklärungen liegt in aller Regel eine wesentlich komplexere Ausgangssituation vor.

Beim zweiten Beispiel soll es um eine Erklärung dafür gehen, worauf das Phänomen des häufigen, nicht krankheitsbedingten Fernbleibens vom Arbeitsplatz zurückgeführt werden kann, um Absentismus also. Es fällt in den betriebswirtschaftlich-sozialwissenschaftlichen Bereich, denn wir haben es mit einer speziellen menschlichen Verhaltensweise zu tun.

Benötigt werden mithin zunächst einmal theoretische Erkenntnisse über menschliches Verhalten. Dabei ist insbesondere an Motivationstheorien zu denken, denn es dürfte einigermaßen plausibel sein, dass Individuen ihrer Arbeit nicht ohne irgendwelche Beweggründe fernbleiben. Ferner muss sich der Blick auf ihre Arbeitssituation richten, weil diese unter Umständen Anlass zu zeitweiliger oder permanenter Unzufriedenheit sein kann. Diese Arbeitssituation – das Betriebsklima, die Merkmale der Tätigkeit, das Entlohnungssystem usw. – stellt dabei das Bündel der Randbedingungen dar. Bereits diese Bemerkungen zeigen, dass es sich um ein reichlich kompliziertes Erklärungsproblem handelt. An dieser Stelle war es daher auch nicht möglich (aber auch nicht nötig), mehr als einige knappe Hinweise auf die in diesem Zusammenhang benötigten Theorien und das ebenfalls erforderliche Wissen um die relevanten näheren Umstände zu geben (vgl. hierzu ausführlich Schanz [Personalwirtschaftslehre] 329 ff.).

Bei beiden Beispielen bildet eine theoretische Gesetzmäßigkeit – im einen Fall das Kepler’sche Gesetz, im anderen ein motivationstheoretisches Prinzip – das logische Band zwischen Randbedingungen und dem zu erklärenden Phänomen. Sie – die theoretische Gesetzmäßigkeit – beschreibt hier wie dort einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang.

Trotz ihrer Skizzenhaftigkeit können die beiden Beispiele helfen, die folgende Definition zu verstehen:

Einen bestimmten Sachverhalt zu erklären heißt, ihn aus theoretischen Gesetzmäßigkeiten und gewissen Randbedingungen auf logisch-deduktivem Wege abzuleiten.

Dabei beziehen sich die theoretischen Gesetzmäßigkeiten auf allgemeine Tatbestände, also etwa alle denkbaren Himmelskörper und deren Bewegungen im Raum, oder auf von individuellen Motiven gesteuertes Verhalten schlechthin. Dagegen handelt es sich bei den Randbedingungen um besondere Sachverhalte, z. B. Positionen spezieller Himmelskörper oder die konkrete Arbeitssituation eines Individuums.

Gesetzmäßigkeiten und Randbedingungen werden gemeinsam als Explanans bezeichnet. Das zu erklärende Phänomen heißt Explanandum. In der einschlägigen Literatur findet sich häufig die folgende, in der Fachliteratur auch als Hempel-Oppenheim-Schema bezeichnete Darstellung:

Diese (sehr knappen) Bemerkungen zum kognitiven Ziel der Wissenschaft (vgl. hierzu ausführlicher Schanz [Methodologie]) lassen erkennen, dass zwischen der naturwissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen Vorgehensweise kein prinzipieller Unterschied besteht. Die Gemeinsamkeiten betreffen dabei selbstverständlich die strategische Ebene. Hier wie dort kann von einem »Programm der theoretischen Erklärung auf der Basis von Gesetzmäßigkeiten« (Albert [Praxis] 38) gesprochen werden. (Auf der taktischen Ebene ist differenziert vorzugehen; man wird sich der unbelebten Natur beispielsweise nicht mit einer Fragebogenerhebung nähern können.)

Beendet werden sollen die Ausführungen zum kognitiven Ziel mit dem Hinweis, dass (auch noch so bewährte) theoretische Gesetzmäßigkeiten kein sicheres Wissen verbürgen. Dies gilt ebenfalls im Hinblick auf die erwähnten Rand- bzw. Anfangsbedingungen, die, weil selbst ›theorieimprägniert‹, als ›unsicher‹ gelten müssen. Wissenschaft, die sich dem Erklärungsziel verschrieben hat, ist also eine prinzipiell fehlbare Angelegenheit.

2.1.2 Beherrschung des natürlichen und sozialen Geschehens: Das praktische Ziel

Auf die Funktion der Wissenschaft als ›Helferin‹ oder ›Dienerin‹ der Praxis wird häufig verwiesen. Sie ist im Zusammenhang mit den eingangs erwähnten Problemen der Lebensbewältigung zu sehen. Dabei geht es dann nur sekundär um Erkenntnis. Im Vordergrund steht vielmehr die Beherrschung des natürlichen und sozialen Geschehens – womit nichts Martialisches gemeint ist. Die der Wissenschaft zu verdankende Erweiterung der Einwirkungsmöglichkeiten hat teilweise zu beträchtlichen Verbesserungen für das einzelne Individuum und für die Menschheit insgesamt geführt. Spätestens unter dem Eindruck der ökologischen Problematik (und nicht nur dieser) ist aber auch mehr und mehr deutlich geworden, dass im Zusammenhang damit zugleich beträchtlicher Schaden entstehen kann.

Auf das natürliche und soziale Geschehen einzuwirken ist selbstverständlich auch ohne (explizite) wissenschaftliche Hilfe möglich. So erfüllt beispielsweise jeder Handwerker gewisse Gestaltungsaufgaben. Er wendet dabei erlernte Fertigkeiten sowie allgemeine Verfahrensregeln an. Zu Veränderungen großen Stils kam es allerdings erst, nachdem die sog. angewandten Disziplinen, insbesondere die Ingenieurwissenschaften, eine gewisse Reife erlangt hatten. Die heutige Welt prägen sie in fast unvorstellbarem Umfang.

Es fragt sich, worauf diese Möglichkeiten zurückzuführen sind. Um eine Antwort zu finden, lohnt es sich, einmal zu untersuchen, was in den erwähnten angewandten Wissenschaften eigentlich getan wird: Dort muss, soll die Bezeichnung Sinn haben, zunächst einmal etwas zur Anwendung kommen. Eine angewandte Wissenschaft baut also notwendigerweise auf bereits vorhandenem Wissen auf; auf Wissen, wie es bei der Verfolgung des kognitiven bzw. theoretischen Wissenschaftsziels hervorgebracht wird. Daher ist festzuhalten:

Zwischen dem kognitiven und dem praktischen Ziel bestehen enge Zusammenhänge. Insbesondere ist davon auszugehen, dass theoretische Erkenntnisse in vielen Fällen eine wesentliche Voraussetzung erfolgreichen Handelns sind.

Es fällt auf, dass diese Verbindung häufig übersehen, mitunter sogar bestritten wird. Das dürfte u. a. auf überhaupt nicht zu leugnende Unterschiede im Hinblick auf die Interessenlage des Theoretikers auf der einen Seite, des Praktikers auf der anderen zurückzuführen sein. Während es dem Ersteren primär um die Wahrheit seiner Aussagen über strukturelle Eigenschaften der Realität geht, steht bei Letzterem der (häufig an Effizienzgesichtspunkten orientierte) praktische Erfolg im Vordergrund (Bunge [Research II] 126) – das Funktionieren von technischen oder sozialen Systemen. Derartige Unterschiede in der Interessenlage sind offenbar dazu angetan, das Verhältnis von Theorie und Praxis bzw. von Erkennen und Handeln häufig in einem unzutreffenden Licht zu sehen (Schanz [Methodologie] 76 ff.).

Innerhalb bestimmter Wissenschaften kommt zusätzlich auch Beschreibungen bzw. Deskriptionen (Schweitzer [Wissenschaftsziele] 3 f.) beträchtliche Bedeutung zu, so beispielsweise in den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Den vielleicht wichtigsten Niederschlag finden sie hier im Rechnungswesen, also in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung etwa und innerhalb der Betriebswirtschaftslehre als Bilanzierung oder Kosten- und Leistungsrechnung.

Hier wie dort handelt es sich um Informationssysteme, mit deren Hilfe wirtschaftlich relevante Vorgänge quantitativ bzw. zahlenmäßig erfasst, für bestimmte Zwecke aufbereitet und ausgewertet werden. Aus dieser sprachlichen Festlegung lässt sich ihre Darstellungs- bzw. Ermittlungsfunktion ablesen.

Um Erklärungen im vorangehend dargestellten Sinn handelt es sich nicht. Betriebliche Prozesse etwa werden lediglich auf eine ganz bestimmte, in der Regel hochgradig selektive Weise – zahlenmäßig erfasst etwa in Form von Kosten – abgebildet. Wir erfahren also beispielsweise nichts über die Leistungsmotivation oder die Arbeitszufriedenheit der in einem Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter. Insofern handelt es sich beim Rechnungswesen um ein Beschreibungsmodell. Halten wir fest:

Beschreibungsmodelle haben eine Darstellungs- bzw. Ermittlungsfunktion. Klassische Beispiele sind das betriebliche und das volkswirtschaftliche Rechnungswesen.

Der Wert derartiger Modelle wird zumindest andeutungsweise erkennbar, wenn man sich den (primären) Zweck des betrieblichen Rechnungswesens vergegenwärtigt: Es handelt sich um ein Hilfsmittel, das für betriebswirtschaftlich relevante Situationsbeurteilungen und Entscheidungen Informationen liefert. Damit wird deutlich, dass auch Beschreibungsmodellen im Hinblick auf praktisches Gestalten ein gar nicht hoch genug einzuschätzender Stellenwert zukommen kann. (Mit beabsichtigten oder als Nebeneffekte in Erscheinung tretenden Verhaltenswirkungen des Rechnungswesens befasst sich das als zunehmend bedeutsam erkannte Forschungs- und Lehrgebiet des sogenannten Behavioral Accounting.)

2.2 Wissenschaftsprogramme als Objekte methodologischer Erörterungen

Wird die Entwicklung einzelner Disziplinen rekonstruiert, dann stellt sich heraus, dass es i. d. R. relativ umfassende Problemkomplexe sind, um deren Lösung sich eine mehr oder weniger große Gemeinschaft von Wissenschaftlern arbeitsteilig, vielfach an verschiedenen geographischen Orten und häufig miteinander konkurrierend bemüht. Dabei mag durchaus noch von Theorien gesprochen werden, obwohl sich dieser Begriff eigentlich als zu eng erweist, um die tatsächlichen Verhältnisse angemessen zu beschreiben. Zu denken ist beispielsweise an die Newton’sche Theorie in der Physik, an die sogenannte Erwartungs-Wert-Theorie in der (Sozial-)Psychologie oder an die neoklassische Theorie in der Volkswirtschaftslehre. Faktisch handelt es sich um breit angelegte Forschungs-, Erkenntnis- bzw. Wissenschaftsprogramme, die folglich auch eine sinnvolle Grundlage methodologischer Betrachtungen darstellen.

Im Mittelpunkt derartiger Programme pflegen, dies gilt es festzuhalten, bestimmte Leitideen zu stehen. Zu denken ist etwa an die Gleichgewichtsvorstellung in der erwähnten nationalökonomischen Neoklassik. Bildhaft ausgedrückt kommt ihnen, wie hier zunächst ohne nähere Erläuterung gesagt werden soll, die Funktion von Wegweisern zu – womit zugleich die Themen der beiden folgenden Abschnitte angesprochen sind.

2.2.1 Wissenschaftsprogramme als umfassende Problemkomplexe

Die zur Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen unabdingbaren methodologischen Erörterungen haben sich lange Zeit zumeist auf Probleme der folgenden Art beschränkt:

So wichtig diese Fragen auch sind: Wenn man bedenkt, dass innerhalb der Einzelwissenschaften die eingangs erwähnten umfassenden Problemkomplexe zur Diskussion stehen, dann wird eine Art Leerstelle innerhalb der Wissenschaftstheorie bzw. Methodologie sichtbar. Auf der Grundlage wissenschaftshistorischer Untersuchungen wurde sie insbesondere von Thomas S. Kuhn und Imre Lakatos ausgefüllt.

Bekannt geworden ist Kuhnbeispiellos genugoffen genug