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Ann Pettifor

Die Produktion des Geldes

Ein Plädoyer wider die Macht der Banken

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer

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Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH

Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Mittelweg 36

20148 Hamburg

www.hamburger-edition.de

© der E-Book-Ausgabe 2018 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-932-4

© der deutschen Ausgabe 2018 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-318-6

© der Originalausgabe 2017 by Ann Pettifor

First published by Verso 2017

Titel der Originalausgabe: »The Production of Money.

How to Break the Power of Bankers«

Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras

Inhalt

Vorwort

1Die Macht des Kredits

2Wie Geld entsteht

3Der »Preis« des Geldes

4Unser Schlamassel

5Klasseninteressen und die Bildung ökonomischer Denkschulen

6Sollte die Gesellschaft den Banken die Macht der Geldschöpfung entziehen?

7Das Finanzsystem unterwerfen, die Demokratie wiederherstellen

8Ja, wir können uns leisten, was wir tun

Danksagung

Literaturverzeichnis

Zur Autorin

Vorwort

Im Frühjahr 2006 schrieb ich ein bescheidenes kleines Buch mit dem Titel The Coming First World Debt Crisis (Die bevorstehende erste weltweite Schuldenkrise). Es war als eine nicht eben subtile Warnung an Freund_innen gedacht, die fest an die Liberalisierung der Finanzmärkte glaubten und sich Geld liehen, als gäbe es kein Morgen. Ich befürchtete, wegen des verbreiteten Unwissens über die Aktivitäten des globalen Finanzsektors und weil die Wirtschaftswissenschaften selbst anscheinend Geld, Bankwesen und Schulden nicht verstanden, würden ganz normale Spekulant_innen schlafwandlerisch in eine Krise steuern.

Mit der Entscheidung des Verlags für den Titel war ich nicht einverstanden, weil ich meinte, das Buch könnte bei seiner Veröffentlichung im September 2006 bereits überholt sein. Bis dahin wäre die Krise doch sicher gekommen? Wie unrecht ich hatte und wie recht der Verleger hatte, als er mich überstimmte. In der Zwischenzeit musste ich einige unfreundliche Kommentare zu meiner Analyse des Systems über mich ergehen lassen. In einer Kolumne im Guardian vom 29. August 2006 argumentierte ich, der Einbruch der Immobilienmärkte in Florida und Kalifornien im Sommer zuvor sei der sprichwörtliche Kanarienvogel in der großen, tiefen Kohlemine des amerikanischen Subprime-Marktes gewesen und die Schuldenkrise in den Vereinigten Staaten werde viel größere Auswirkungen für uns alle haben als die damals aktuelle Krise im Libanon. »Alles Schwarzmalerei!«, schrie das Web auf. Bobdoney – ich vermute, ein Aktienhändler aus der Londoner City – wurde poetisch:

»Nächste Woche schreibt Ann über einen Asteroiden mit zehn Kilometern Durchmesser, der soeben im Van-Allen-Gürtel mit einem Schmetterling zusammengestoßen ist und in diesem Augenblick, während ich mein Gurkensandwich esse und meine dritte Tasse Tee für heute trinke, unausweichlich auf seinen endgültigen Bestimmungsort kurz vor der Küste von Grimsby zurast, wo er am 29. August 2016 um 14.30 Uhr einschlagen wird.

Platsch!«

Bobdoney lag um zehn Jahre daneben. Nach Ausbruch der Krise hörte man nichts mehr von ihm.

Die Krise ist da

Ich weiß noch genau, wo ich mich an jenem sonnigen 9. August 2007 aufhielt, als die Nachricht kam, dass der Interbankenmarkt für Kredite eingefroren war. Die Banker_innen wussten, dass ihre Kolleg_innen pleite waren und man nicht mehr erwarten konnte, dass sie ihre Verpflichtungen erfüllen würden. Ich glaubte damals noch ganz naiv, meine Freund_innen hätten die Botschaft verstanden. Und ich hoffte ebenfalls vergeblich, die wirtschaftswissenschaftliche Zunft werde sich dem Chor der Stimmen anschließen, die vor der Katastrophe warnten. Aber es kam nicht so. Abgesehen von Leser_innen der Financial Times und natürlich einigen Spekulant_innen aus dem Finanzsektor selbst schienen nur wenige zu registrieren, was vor sich ging.

Ein ganzes Jahr später, im September 2008, als Lehman Brothers implodierte, dämmerte einer breiteren Öffentlichkeit, dass das internationale Finanzsystem kollabiert war. Aber da war es zu spät. Die Welt stand gefährlich nah am vollständigen finanziellen Zusammenbruch. Die Befürchtung, Bankkund_innen könnten demnächst an Geldautomaten kein Geld mehr bekommen, war begründet. Am Mittwoch nach dem Zusammenbruch von Lehman bat Mohamed El-Erian, der CEO der Investmentgesellschaft PIMCO, seine Frau, zum Geldautomaten zu gehen und so viel Bargeld abzuheben wie möglich. Als sie ihn nach dem Grund fragte, sagte er, er fürchte, die amerikanischen Banken könnten geschlossen bleiben.1 Industrielle Schwergewichte riefen das amerikanische Finanzministerium an und erklärten, sie hätten Finanzierungsprobleme. In diesen haarsträubenden Wochen erlebten wir ein erschreckendes wirtschaftliches Experiment, das beinahe schiefgegangen wäre.

Vor diesem Hintergrund war es keine Überraschung, dass die Verantwortlichen in der Regierung, Politiker_innen und Kommentator_innen keine kohärente Antwort auf die Krise hatten. Viele auf dem linken Flügel des politischen Spektrums waren genauso sprachlos. Wie die meisten Ökonom_innen schienen sie einen blinden Fleck zu haben, wenn es um den Finanzsektor ging. Stattdessen konzentrierten sie sich ganz auf die Realwirtschaft: Besteuerung, Märkte, internationaler Handel, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, Arbeitsmarktpolitik, Umwelt, der öffentliche Sektor. Nur sehr wenige hatten die riesigen und immer noch weiter wachsenden, gleichzeitig ungreifbaren Aktivitäten im Blick gehabt, die zur Deregulierung des privaten Finanzsektors gehörten. In der Folge verfügten nur sehr wenige Linke (alles in allem, natürlich mit Ausnahmen), und die Rechte genauso wenig, über eine klare Analyse der Ursachen der Krise und deshalb über Vorstellungen, welche politische Strategie nötig wäre, um die Kontrolle über das wichtige öffentliche Gut wiederzuerlangen, welches das Geldsystem darstellt.

Auch die Banker_innen waren zuerst wie erstarrt, hofften verzweifelt auf Rettung mit Geld der Steuerzahler_innen und schienen sogar einen Augenblick lang in Demut zu verharren. Aber das hielt nicht an. Nach den Rettungsaktionen standen die Politiker_innen vor einem großen politischen Vakuum. Die G8-Länder, angeführt vom britischen Premierminister Gordon Brown, kooperierten zunächst auf internationaler Ebene, um das System zu stabilisieren. Ihre Kooperation und international abgestimmte Stimuli verflüchtigten sich rasch. Weltweit fielen verantwortliche Politiker_innen und politische Strateg_innen auf orthodoxe Stabilisierungsmethoden zurück, in erster Linie fiskalische Konsolidierungsmaßnahmen, oder wurden dazu überredet. Wie Naomi Klein gewarnt hatte, erkannten viele im weltweiten Finanzsektor in der Krise die Chance, den Zugriff des weltweiten Finanzsystems auf die gewählten Regierungen und die Märkte zu verstärken. Nach einigem Zögern ergriffen sie anders als viele Linke und die sozialdemokratischen Parteien diese Chance.

An der internationalen Finanzarchitektur gab es keine grundlegenden Veränderungen. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht bastelte nach der Krise an Reformen herum, unterbreitete aber keine Vorschläge für strukturelle Veränderungen an der Architektur des internationalen Finanzsystems. Der Neoliberalismus – die herrschende ökonomische Lehre – dominierte allenthalben. Paul Mason schrieb 2009 ein Buch mit dem Titel Meltdown (Kernschmelze) und dem Untertitel The End of the Age of Greed (Das Ende des Zeitalters der Gier). Wie sehr er sich irrte. Zehn Jahre nach Beginn der Rezession im Jahr 2007, während die Ungleichheit Gesellschaften spaltet, wird die Welt von einem Oligopol beherrscht, das gierig Reichtum in einem obszönen Ausmaß anhäuft. Und trotz des Crashs am Anfang ist die globale Finanzkrise noch nicht zu Ende. Stattdessen hat sich das Epizentrum von den angelsächsischen Volkswirtschaften zuerst in die Eurozone verlagert und mittlerweile zu den sogenannten »Schwellenländern«. Geschäftsbanken und andere Finanzinstitute sind vollgestopft mit billigem Geld, das die Zentralbanken ihnen geliehen haben, und haben im Gegenzug eine Flut teurer Kredite an Unternehmen, Haushalte und Einzelpersonen ausgeschüttet.

Die Konsequenzen mussten die Menschen in den westlichen Ländern tragen. Während ich diese Zeilen schreibe, revoltieren Millionen und unterstützen populistische, meistens rechtsgerichtete politische Kandidat_innen. Sie hoffen, dass diese »starken Männer und Frauen« sie vor rigoroser neoliberaler Politik zugunsten ungehemmter globaler Finanz-, Waren- und Arbeitsmärkte schützen werden.

Die Folgen der anhaltenden Finanzkrise

Während eine kleine Elite im Finanz- und Technologiesektor weiterhin gewaltige finanzielle Gewinne einstreicht, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation, dass weltweit mindestens 200 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. In einigen europäischen Ländern ist jeder zweite junge Mensch arbeitslos. Der Nahe Osten und Nordafrika, Zentren politischer, religiöser und militärischer Unruhen, haben die höchsten Arbeitslosenquoten unter Jugendlichen weltweit. In Ländern wie Großbritannien sind die Beschäftigungszahlen zwar gestiegen, aber es handelt sich um prekäre Arbeitsverhältnisse, oft in Teilzeit, auf Abruf oder als Solo-Selbstständige mit unsicheren Einkünften. Unzählige Stimmen warnen davor, dass in Zukunft Roboter immer mehr Tätigkeiten übernehmen werden und die menschliche Arbeitskraft überflüssig wird. Diese Vision wird angepriesen, als wären die für die Roboterproduktion erforderlichen Metalle – unter anderem Zinn, Tantal, Wolfram und Koltan – unbegrenzt vorhanden und die mit ihrem Abbau verbundenen Emissionen unbegrenzt tragbar. Doch der Misserfolg, Millionen Menschen keine sinnvolle Arbeit anbieten zu können – zu einer Zeit, in der viel getan werden muss, um die Wirtschaft von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzustellen –, beschäftigt die meisten sozialdemokratischen Regierungen wenig. Nur vereinzelte Stimmen, wenn überhaupt, fordern Vollbeschäftigung mit qualifizierten und gut bezahlten Arbeitsplätzen.

Während das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 77 Billionen Dollar liegt, sind die weltweiten Finanzanlagen nach einem Bericht des McKinsey Global Institute seit 2007 auf 225 Billionen Dollar angewachsen. Dank unregulierter Kreditmärkte steigt die Last der weltweiten Schulden immer weiter. 2015 summierten sich die Schulden auf 286 Prozent des weltweiten BIP gegenüber 269 Prozent im Jahr 2007.2 Millionen Arbeitnehmer_innen weltweit haben in den letzten sieben Jahren keine Lohnerhöhung erhalten. Große und kleine Firmen erleben, dass die Preise fallen, gefolgt von Gewinneinbrüchen und Bankrotten. Die Volkswirtschaften im Süden Europas ächzen unter der »Austerität«, die auch andernorts die Nachfrage und die Wirtschaftstätigkeit bremst. In den Vereinigten Staaten muss ein Drittel aller Erwachsenen, rund 76 Millionen Menschen, »kämpfen, um über die Runden zu kommen« oder »kommt gerade so zurecht«.3

Doch für all jene, die von Kapitalerträgen leben, sieht die Welt rosiger aus als üblich – für die Banken, Schattenbanken und andere Finanzinstitute, die sich halten können dank staatlicher Bürgschaften, für die wiederum die Steuerzahler_innen geradestehen, dank billigem Geld und anderer Wohltaten der Zentralbanken, die nur an den Finanzsektor fließen. Auch den neuen Oligopolisten der Welt geht es gut – großen Firmen wie Apple, Microsoft, Uber und Amazon, die mit ihren monopolistischen, auf maximale Rendite getrimmten Geschäften riesige Vermögen anhäufen.

Während sie und das oberste 1 Prozent der Unternehmen angeblich Cash in Höhe von 945 Milliarden Dollar horten, haben die amerikanischen Unternehmen insgesamt nur etwa 1,84 Billionen Dollar Cash. Diese Zahlen werden durch die Kreditsummen weit in den Schatten gestellt. Während dieses Buch in den Druck geht, belaufen sich die Schulden amerikanischer Unternehmen auf 6,6 Billionen Dollar.4 2015 übertrafen die Schulden die Einkünfte vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen um das Dreifache – laut Bloomberg ein Zwölf-Jahres-Rekord. Allein im Jahr 2015 sprangen die Verbindlichkeiten der Unternehmen um 850 Milliarden Dollar in die Höhe, nach Einschätzung von Standard & Poor’s das Fünfzigfache des Zuwachses an Cash. Geschätzt ein Drittel der Unternehmen ist nicht in der Lage, ausreichend hohe Renditen zu erwirtschaften, um die Kreditkosten zu decken. Damit laufen viele kleinere Unternehmen Gefahr, Bankrott zu gehen. Ihre Gläubiger_innen machen sich vielleicht keine Sorgen, aber es ist durchaus möglich, dass irgendwann die verschuldeten Unternehmen und nicht die verschuldeten Haushalte das System sprengen könnten.

In den Kohleminen des weltweit verflochtenen Finanzsystems gibt es noch mehr »Kanarienvögel« – und alle warnen vor einer weiteren Krise. Am furchteinflößendsten ist die Deflation: eine viel zu wenig verstandene Bedrohung, weil nur wenige Zeitgenossen eine deflationäre Ära erlebt haben. Politiker_innen und Ökonom_innen befassen sich nicht ernsthaft mit der Gefahr der Deflation, aber in Europa und Japan ist sie bereits Realität, und in China könnte sie Realität werden. China rettete 2009 die Weltwirtschaft, indem es 600 Milliarden Dollar in seine Wirtschaft pumpte, was den westlichen Volkswirtschaften half, flüssig zu bleiben. Westliche Politiker_innen reagierten, indem sie zur orthodoxen gegenläufigen Politik zurückkehrten und dadurch die Nachfrage nach chinesischen Waren und Dienstleistungen bremsten. Darum steht China nun mit einem Berg von Bankschulden da und mit einem Überangebot an Waren wie Reifen, Stahl, Aluminium und Diesel. Infolge dieses Überangebots fiel die Inflation der chinesischen Produzentenpreise vor 2016 vier Jahre lang unter null. Als die Überkapazitäten in die globalen Märkte gelenkt wurden, traf der deflationäre Druck die westlichen Volkswirtschaften.

Westliche Politiker_innen und Finanzkommentator_innen nahmen die Nachricht von fallenden Preisen positiv auf. Als das Vereinigte Königreich im Mai 2015 erstmals seit über einem halben Jahrhundert in die Deflation rutschte, begrüßte Schatzkanzler George Osborne »die richtige Art von Deflation als gute Nachricht für Familien«. Er befürchtete »keinen Teufelskreis von fallenden Preisen und Löhnen«.5 Niemand aus dem politischen und ökonomischen Establishment Großbritanniens wollte zugeben, dass der Rückgang der Preise eine Folge des rückläufigen Wachstums der Weltwirtschaft war und insbesondere der schwachen Nachfrage nach Arbeitskräften, Kapital, Waren und Dienstleistungen. Stattdessen taten die meisten Mainstream-Ökonom_innen die Deflation als ein Zeichen ab, dass die Konsument_innen Kaufentscheidungen hinausschoben!

Das größte Problem ist, dass die Deflation den Wert von Schulden und Zinsen aufbläht. Während sich ein genereller Preisrückgang durch das globale Finanzsystem verbreitet, fallen Löhne und Gewinne, und Unternehmen gehen bankrott. Gleichzeitig steigt unweigerlich und unmerklich der Wert vorhandener Schulden im Verhältnis zu Löhnen und Preisen. Der Preis der Schulden (der Zinssatz) steigt ebenfalls, selbst wenn die Zinsen nominal niedrig, negativ oder statisch sind. Negative Real zinsen sind nur möglich, wenn die Nominalzinsen sehr weit im negativen Bereich liegen – und solche Zinssätze sind für die Zentralbanken womöglich politisch schwer durchsetzbar.

Ganz direkt gesagt: Für eine überschuldete Volkswirtschaft ist Deflation ein wahrhaft bedrohliches Szenario.

Aber was mir wirklich Sorge bereitet – und vielen anderen auch –, ist, dass die Zentralbanken die politischen Instrumente, die ihnen zur Verfügung stehen, um eine weitere Finanzkrise mit globalen Auswirkungen einzudämmen, ausgereizt haben. Im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten haben die Zentralbanken nach der Krise von 2007 bis 2009 die Zinssätze von rund 5 Prozent auf beinahe null heruntergefahren. Außerdem haben sie ihre Bilanzen durch den Aufkauf oder die Ausleihung von Finanz- und Unternehmensanlagen (Wertpapieren) auf den Kapitalmärkten massiv aufgebläht und den Konten der Verkäufer_innen Kredite gutgeschrieben. Auf diese Weise hat die amerikanische Notenbank ihre Bilanzsumme um 4,5 Billionen Dollar vergrößert. Die Bilanzsumme der Bank of England ist im Verhältnis zum BIP des Vereinigten Königreichs größer als jemals in ihrer langen Geschichte. Die quantitative Lockerung (Quantitative Easing, QE) hat vielleicht das Finanzsystem stabilisiert, auf jeden Fall hat sie den Wert von Anlagen wie Immobilien – die meist im Besitz von wohlhabenden Menschen sind – massiv in die Höhe getrieben. Dadurch hat die QE die soziale Ungleichheit vergrößert und die damit verbundene politische und soziale Instabilität verschärft. Deshalb kommt es aus politischen Gründen wohl nicht infrage, die QE noch mehr auszuweiten.

Trotz der lockeren Geldpolitik stockte die wirtschaftliche Erholung oder verlangsamte sich sogar, weil die Staaten gleichzeitig die fiskalischen Zügel fester anzogen. Zu dieser »Austerität« ermutigten sie Mainstream-Vertreter_innen der ökonomischen Zunft, Zentralbanken und globale Institutionen wie der IWF und die OECD, noch angefeuert von den Medien. Der Ergebnis war vorhersehbar: Die schwer verschuldete Weltwirtschaft litt unter anhaltender ökonomischer Schwäche und sich überlappenden Rezessionen. Die Erholung war vor allem in Europa schwieriger als nach der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre; damals dauerte es deutlich weniger lang, bis die Länder bei Beschäftigung, Einkommen und wirtschaftlicher Aktivität wieder das Niveau vor der Krise erreicht hatten.

Während ich das schreibe, hat sich die Einstellung gegenüber der »Austerität« verändert. Globale Institutionen blicken voller Panik auf die Volatilität des Finanzsystems, auf die drohende Gefahr einer Schuldendeflation, auf die Abschwächung der Weltwirtschaft und den Aufstieg populistischer Parteien und Bewegungen. Als Reaktion darauf haben sie eine Reihe außergewöhnlicher Kehrtwendungen vollzogen und ihre Empfehlungen für die fiskalische Konsolidierung radikal verändert. Der IWF stellte in einem Paper vom Mai 2016 die Frage, ob der Neoliberalismus nicht womöglich zu sehr angepriesen worden sei. Die OECD warnte die politisch Verantwortlichen 2016 mehrfach: »Jetzt handeln! Versprechen einhalten« – und riet zu mehr Staatsausgaben und höheren staatlichen Investitionen. Im Juni 2016 formulierte sie die vernünftige Aussage, »Geldpolitik allein führt nicht aus Zder[ Falle des niedrigen Wachstums heraus, womöglich erwartet man zu viel von ihr. Durch die niedrigen Zinsen erhöht sich der fiskalische Spielraum.« Die Staaten wurden gedrängt, »durch öffentliche Investitionen das Wachstum zu unterstützen«.6 Aber diese neuen, frisch zu einer expansiven Fiskalpolitik bekehrten Ökonom_innen rannten beim amerikanischen Kongress und bei neoliberalen Finanzministern wie Wolfgang Schäuble in Deutschland, Alexander Stubb in Finnland oder George Osborne in Großbritannien gegen Wände. Die Ideologie der »Austerität« – die den öffentlichen Sektor verkleinern und privatisieren will – ist zusammen mit dem marktwirtschaftlichen Fundamentalismus mittlerweile so fest in den Finanzministerien der westlichen Länder verankert, dass tragischerweise weder politisch Verantwortliche noch sonstige Entscheidungsträger_innen handeln können.

In ihrer Verzweiflung haben einige Zentralbanken (die Europäische Zentralbank und die Zentralbanken der Schweiz, Schwedens und Japans) den Rubikon überschritten und negative Zinssätze festgesetzt. Das bedeutet, dass Kreditgeber_innen den Zentralbanken Geld für das Privileg bezahlen, Kapital (in Form von Krediten) bei der Zentralbank parken zu dürfen. Das ist ein Zeichen dafür, dass das Geldsystem nicht mehr funktioniert, und auch ein Zeichen für die Furcht, die an den Investor_innen nagt, weil die finanzielle Volatilität sie dazu treibt, den einzigen »Hafen« aufzusuchen, den sie noch als sicher für ihr Kapital ansehen: Staatsschulden.

Was tun?

Was also können die guten – progressiven – Kräfte tun, um das Weltfinanzsystem zu stabilisieren und Beschäftigung, politische Stabilität und soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen?

Erstens brauchen wir ein besseres allgemeines Verständnis dafür, wo das Geld herkommt und wie das Finanzsystem funktioniert. Bedauerlicherweise werden diese Bereiche der Ökonomie von vielen fortschrittlichen und auch von Mainstream-Ökonom_innen sträflich vernachlässigt – ein praktischer blinder Fleck, der dem Finanzsektor zweifellos gelegen kommt. Dieses Buch möchte Schlüsselkonzepte hinsichtlich Geld, Finanzwesen und Wirtschaft vereinfacht darstellen und sie damit für ein breiteres Publikum verständlich machen, insbesondere für Frauen und Umweltschützer_innen. Es baut auf meinem Buch Just Money (2015) auf und bringt hoffentlich zusätzlichen Inhalt und mehr Klarheit in ein Thema, das nicht leicht abzuhandeln ist. Trotzdem bleibe ich dabei, denn ich bin überzeugt, dass nur ein breiteres allgemeines Verständnis für Geld, Kredit und die Funktionsweise des Banken- und Finanzsystems zu einer wirklichen Veränderung führen wird.

Das zweite Ziel jeder progressiven Bewegung sollte es sein, den Ärger, den Banken und die Politik geweckt haben, in progressive und positive alternative Bahnen zu lenken. Leider versteht sich die Rechte besser darauf, öffentlichen Unmut zu kanalisieren und Immigrant_innen, Asylsuchenden und anderen Sündenböcken die Schuld zu geben. Genauso besorgniserregend ist, dass Teile der sogenannten Linken Ärger über Banken in neoklassische wirtschaftspolitische Vorschläge zur Lösung der Krise ummünzen. Einige ihrer Vorschläge für eine »Reform« des Bankensystems werden in diesem Buch ebenfalls diskutiert. Dafür steht das Stichwort »Mindestreserve-Bankwesen«, sie wollen die Verstaatlichung der Geldversorgung, und für Staaten soll das Ziel »ausgeglichene Haushalte« gelten. Diese politischen Vorstellungen haben ihre Wurzeln bei der Chicago School sowie bei Friedrich von Hayek und Milton Friedman. Für die arbeitende Bevölkerung und für alle, die von staatlichen Unterstützungsleistungen abhängen, hätten sie verheerende Folgen. Deshalb werden in diesem Buch die zwar gut gemeinten, aber falschen Ansätze zivilgesellschaftlicher Organisationen kritisiert, die viele Linke meiner Auffassung nach in eine intellektuelle Sackgasse manövrieren.

Kritik an den Ökonom_innen

Dass es so viel allgemeine Verwirrung über Geld, Bankwesen und Schulden gibt, hängt zum Teil damit zusammen, dass die Wirtschaftswissenschaften gegenüber dem Finanzsystem auf Distanz bleiben, es (überwiegend) ablehnen, diese Themen zu verstehen und zu unterrichten, und auf arrogante Weise andere (wie Politiker_innen und Konsument_innen) für Finanzkrisen verantwortlich machen. Als Beweis dieser Arroganz zitiert Professor Steve Keen in seinem Buch Debunking Economics eine Äußerung von Ben Bernanke, der zur Zeit der Krise Chef der amerikanischen Notenbank war: »Die aktuelle Finanzkrise war mehr ein Versagen von ökonomischen Techniken und des Managements als der ökonomischen Wissenschaft.«7

Die »ökonomischen Wissenschaftler_innen« (und viele Linke) haben auch die Geldtheorie und Geldpolitik des genialen John Maynard Keynes systematisch ignoriert oder heruntergespielt – theoretische Erkenntnisse und konkrete politische Vorschläge, die die Krise der Jahre 2007 bis 2009 hätten abwenden können. Stattdessen wird »keynesianische« Politik als »Steuer- und Ausgabenpolitik« verspottet, während Keynes’ Hauptinteresse tatsächlich der Geldpolitik galt (dem Management von Währung, Geldmenge und Zinssätzen). Ihm ging es vor allem darum, Krisen zu verhindern, und weniger um deren Bewältigung. Sein großes Werk trägt nicht umsonst den Titel Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Doch das soll nicht heißen, dass er der Fiskalpolitik (der Besteuerung und der Ausgabenpolitik) als Mittel zur »Lösung« einer Krise keine Bedeutung beigemessen hätte. Nach seiner Vorstellung sollte die Geldpolitik einfach dazu dienen, Beschäftigung und Wohlstand zu sichern und Krisen zu verhindern. Weil Keynes’ Geldtheorie so bedeutsam ist, bezieht sich das vorliegende Buch sehr auf seine politischen Ideen – die für das ökonomische Establishment immer noch ein Tabu sind.

Der britische Intellektuelle Keynes war nach meiner Einschätzung genauso bedeutend wie Charles Darwin. Beide revolutionierten die Gebiete, auf denen sie forschten und arbeiteten, und eröffneten ein neues Verständnis dafür, zum Unmut vieler Zeitgenossen und Kollegen. Beide erlebten außerordentlichen Widerstand, im Falle Darwins ablesbar daran, dass an vielen Schulen in den Vereinigten Staaten immer noch der Kreationismus gelehrt wird8, und im Falle von Keynes zeigt es die Rückkehr aller Fakultäten und sogar seiner eigenen Alma Mater, der Universität Cambridge, zur klassischen ökonomischen Lehre.

Nach meiner Überzeugung pflegen die orthodoxen Ökonom_innen (und auch ein großer Teil der politischen Klasse) die Art irrationaler Verleugnung, die auch für den »Kreationismus« der Gegner Darwins typisch ist, weil sie nicht in der Lage waren, auf Keynes’ radikalem Verständnis des Geldsystems aufzubauen. Die Missachtung von Keynes, so meine Argumentation, fordert einen hohen Preis: Arbeitslosigkeit und Verarmung von Millionen Menschen, wiederkehrende finanzielle und wirtschaftliche Krisen, Ungleichheit, die die Gesellschaft spaltet, soziale und politische Unruhen bis hin zu Krieg. Aber diese Missachtung sollte nicht überraschen, denn Keynes verlangte kompromisslos die Unterordnung des Finanzsektors unter die Interessen der Gesellschaft insgesamt und forderte den »sanften Tod des Rentiers«. Die Liebe zum Geld um seiner selbst willen war in seinen Augen »ein ziemlich widerliches Leiden, eine jener halbverbrecherischen, halbkrankhaften Neigungen, die man mit Schaudern an die Fachleute für geistige Erkrankungen verweist«.9

Keynes machte sich viele Feinde im Finanzsektor und bei seinen Kolleg_innen in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, deshalb ist es kein Wunder, dass sie seine Ideen begraben haben und zuließen, dass das neoliberale Äquivalent des »Kreationismus« an unseren Universitäten und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen dominieren konnte.

Während sich seit Keynes’ Tod viel verändert hat, ist sein Verständnis der Grundlagen des Geldsystems immer noch relevant und kann nach wie vor vernünftige Politik leiten. Außerdem wird es meiner Meinung nach entscheidend für die Wiederherstellung von wirtschaftlicher Stabilität, ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit sein, dass wir Keynes’ Geldpolitik und seinen daraus abgeleiteten politischen Empfehlungen folgen.

Was brauchen wir also neben einem besseren Verständnis des Finanzsystems, um wieder zu wirtschaftlichem Wohlstand, finanzieller Stabilität und sozialer Gerechtigkeit zu gelangen?

Die Antwort lässt sich meines Erachtens in einem Satz zusammenfassen: Der Offshore-Kapitalismus muss wieder onshore, in die jeweiligen Länder, zurückgebracht werden.

Damit eine regulatorische Demokratie das Finanzsystem im Interesse der gesamten Bevölkerung steuern kann, und nicht nur im Interesse der mobilen, global orientierten wenigen, muss das Offshore-Kapital durch Kapitalverkehrskontrollen wieder ins Land zurückgeholt werden. Nur dann können die Zentralbanken die Zinssätze festlegen und über das gesamte Spektrum der Kreditvergabe niedrig halten – eine wesentliche Voraussetzung für die Gesundheit und das Gedeihen jeder Volkswirtschaft. Wie ich später in dem Buch erklären werde, ist das auch wesentlich für den Umgang mit toxischen Emissionen und den Schutz des Ökosystems. Nur so wird es möglich sein, die Kreditschöpfung zu steuern und die Gefahren des nicht nachhaltigen Konsums und der Verschuldung einzudämmen. Und nur so wird es gelingen, demokratisch festgelegte Regeln für die Besteuerung durchzusetzen und gegen Steuerhinterziehung vorzugehen. Demokratische politische Entscheidungen – zu Steuern, Renten, Strafjustiz, Zinssätzen und so weiter – brauchen Grenzen und den Schutz von Grenzen. Ein Land ohne Grenzen kann Steuersätze nicht durchsetzen, kann nicht festlegen, welche Bürger_innen Renten erhalten, und kann Verbrecher_innen nicht bestrafen. Aber ungebundene globale Finanziers verabscheuen Grenzen und regulatorische Demokratie.

Manche unerschrockene Ökonom_innen sagen seit Jahren, dass Staaten die Macht haben sollten, Kapitalströme zu kontrollieren. Zu ihnen zählen die Professoren Dani Rodrick und Kevin P. Gallagher. Kürzlich sind noch einige orthodoxe Ökonom_innen dazugekommen, darunter die hochangesehene Professorin Hélène Rey, die gesagt hat, im Arsenal der makroprudenziellen Instrumente dürften Kapitalverkehrskontrollen nicht fehlen. Bislang wurden ihre Stimmen vom Lobbygetöse der Banker_innen an der Wall Street und in der City of London übertönt. Zugleich haben Kapitalverkehrskontrollen keine Unterstützung von linken Kräften und sozialdemokratischen Parteien erhalten. Im Gegenteil, viele sozialdemokratische Regierungen akzeptieren eine Form der Hyperglobalisierung und fördern sie noch.

Das globale Kapital zurück nach Hause zu bringen, würde die weltweite monetäre Ordnung verändern. Nur so können wir hoffen, dass wir in einer gespaltenen und gefährlich ungleichen Welt Stabilität, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit wiederherstellen. Nur so können wir hoffen, dass es uns gelingt, die Herausforderung des Klimawandels zu meistern.

1El-Erian, The Lehman Crisis: One Year Later.

2Dobbs u.a., Debt and (Not Much) Deleveraging.

3Leitartikel in der New York Times, The Millions Who Are Just Getting By.

4Miller, Risky Reprise of Debt Binge Stars US Companies Not Consumers.

5Cadman, Osborne Welcomes Right Kind of Deflation as Good News for Families.

6OECD, Policymakers: Act Now to Keep Promises!

7Keen, Debunking Economics, S. xiii.

8Carlson, Americans Weigh In on Evolution vs. Creationism in Schools.

9Keynes, Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder, S. 270.

1Die Macht des Kredits

Das moderne Finanzwesen ist für durchschnittliche Männer und Frauen im Allgemeinen unverständlich […]. Das Niveau des Verständnisses vieler Banker_innen und Regulator_innen ist nicht wesentlich höher. Wahrscheinlich ist das Absicht. Wie der Wolf im Märchen sagt: »Damit ich dich besser schröpfen kann.«

Satyajit Das, Traders, Guns and Money (2010)

Das Finanzwesen muss der Diener sein, und zwar ein intelligenter Diener, für die Gemeinschaft und die produktive Industrie; es darf nicht ihr dummer Herr und Meister sein.

Nationales Exekutivkomitee der britischen Labour Party

(Juni 1944) über Vollbeschäftigung und Finanzpolitik

Der globale Finanzsektor hat heute außerordentliche Macht über die Gesellschaft und insbesondere über Regierungen, die Industrie und den Arbeitsmarkt. Finanzmarktakteur_innen bestimmen die Wirtschaftspolitik, unterhöhlen demokratische Entscheidungsprozesse und tragen dazu bei, nahezu alle Bereiche der Wirtschaft (vielleicht ausgenommen Glaubensorganisationen) den Gesetzen des Finanzkapitalismus zu unterwerfen. Investor_innen haben riesige Gewinne gemacht, indem sie Renten (Zinsen) aus Schulden einstrichen, haben aber auch mühelos Renten aus vorhandenen Vermögenswerten, wie Land, Immobilien, Monopole auf natürliche Ressourcen (Wasser, Elektrizität), Wälder, Kunstwerke, Rennpferde, Marken und Unternehmen, bezogen. Wie Michael Hudson schreibt: »Ziel des Finanzsektors ist es nicht, die Kosten von Straßen, Elektrizität, Verkehr, Wasser und Bildung zu minimieren, sondern die Beträge zu maximieren, die als Monopolrente veranschlagt werden können.«1

Banker_innen und Hedgefonds-Manager_innen an der Wall Street und in anderen Finanzzentren haben sich sehr bemüht, die demokratischen Institutionen zu schwächen. Sie haben sich für die Aufweichung von Regulierungsvorschriften, für Steuersenkungen auf Kapitalerträge und für die Rücknahme fortschrittlicher Besteuerungsregeln eingesetzt. Und der Sektor hat die Mobilität des Kapitals ausgenutzt, um es außerhalb der nationalen Grenzen zu verschieben, in Steuerparadiese wie Panama, London, Delaware in den Vereinigten Staaten, Luxemburg, die Schweiz und britische Überseegebiete. Der globale Finanzsektor hat allen Grund zu triumphieren. Es ist ihm gelungen, Staaten und ihre Steuerzahler_innen zu kapern, auszuplündern und den Interessen ungebundener und nicht rechenschaftspflichtiger Investor_innen und der Finanzmärkte zu unterwerfen.

Geoffrey Ingham, Soziologe in Cambridge, hat die heutige Macht des Finanzsektors als »despotisch«2 bezeichnet.

Weil der Finanzsektor so undurchsichtig ist und weil es gezielte Bemühungen gibt, seine Aktivitäten zu verschleiern, herrscht leider verbreitet Unwissen darüber, wie Geld geschaffen wird, welche Rolle Kredit und Schulden in einer Volkswirtschaft spielen, welche Aufgabe Banken haben und wie das Finanz- und Geldsystem funktioniert. Schuld daran tragen die meisten orthodoxen Ökonom_innen, denn in ihren universitären Lehrveranstaltungen und in ihren Analysen wirtschaftlicher Aktivitäten gehen sie auf Geld, Schulden und das Bankensystem nicht ein. Ein einflussreicher internationaler Ökonom, der nicht genannt werden will, hat es so ausgedrückt: Geld und Kredit seien »von drittrangiger Bedeutung«. Die meisten Ökonom_innen (sowohl die »klassischen« wie die »neoklassischen« und viele vermeintliche »Keynesianer_innen«) behandeln das Geld als »neutral« oder einfach als »Schleier«, der wirtschaftliche Transaktionen umgibt. Banken sind in ihren Augen lediglich Vermittlungsinstanzen zwischen Sparer_innen und Kreditnehmer_innen, und der Zinssatz ergibt sich »natürlich« aus der Nachfrage nach dem Geld und dem Angebot an Geld. Angesichts dieser Ignoranz gegenüber Geld und Bankwesen darf es nicht überraschen, dass die meisten Mainstream-Ökonom_innen die große Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 weder vorausgesehen noch korrekt analysiert haben. Besorgniserregend ist diese Missachtung grundlegender Tatsachen im Zusammenhang mit der Finanzierung der Volkswirtschaft auch deshalb, weil dadurch Debatten über die »despotische Macht« des Finanzwesens und die Frage, in wessen Interesse das Geldsystem gesteuert wird, lange ausgeblendet wurden. Manche halten das nicht für einen Zufall. Schließlich konnte das globale Finanzkapital dank dieser Ignoranz florieren, ohne kritischen Blicken der Wissenschaft oder der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein.

Aber das hat auch zu gravierenden Missverständnissen geführt. Ein sehr schwerwiegendes ist der häufig wiederholte Vorwurf, Zentralbanken würden »Geld drucken« und dadurch Inflation verursachen. Es stimmt zwar, dass die Zentralbanken für die Ausgabe des Geldes und die Erhaltung der Geldwertstabilität verantwortlich sind, aber sie lassen nicht das Geld »drucken«, das ein Land braucht. Wie der damalige Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, 2013 gesagt hat, »drucken« die privaten Geschäftsbanken 95 Prozent der Geldmenge (Geld in jeder Form einschließlich Bank- und anderer Guthaben sowie Geldscheine und Münzen), während die Zentralbank höchstens 5 Prozent ausgibt.3 In einem wenig regulierten System liegt die Macht, die wirtschaftlichen Akteur_innen mit Geld zu versorgen oder ihnen Geld vorzuenthalten, bei den privaten Geschäftsbanken.4 Doch neoliberale Ökonom_innen ignorieren das »Drucken« von privatem Geld weitgehend und nehmen stattdessen die Regierungen und staatlich ernannten Zentralbanker_innen ins Visier und werfen ihnen regelmäßig vor, sie würden die Inflation schüren. Der blinde Fleck der Monetarist_innen für den Zusammenhang zwischen der Geldschöpfung durch private Banken und Inflation erklärt zum Teil, warum Margaret Thatchers Wirtschaftsberater_innen meinten, sie könnten die Inflation nicht eindämmen.5 Sie zielten nur auf die staatliche Geldversorgung – Ausgaben und Kreditaufnahme des Staates. Monetarist_innen wiesen der Deregulierung der Kreditvergabestandards bei der Kreditschöpfung durch private Geschäftsbanken den Weg. Dank dieser Deregulierung konnten die Banken in einen Kreditvergaberausch verfallen, der die Inflation befeuerte. Deshalb hatte es Margaret Thatcher im ersten Jahr ihrer Regierungszeit mit einer Inflationsrate von 21,9 Prozent zu tun. Erst im vierten Regierungsjahr lag die Inflationsrate niedriger als bei ihrem Amtsantritt, und das nur infolge strikter »Austerität«. Wie William Keegan erklärt, führte die »überholte (monetaristische) Lehre nicht nur zu einem Anstieg der Inflation, sondern auch zu einem starken Einbruch der britischen Wirtschaft und steigender Arbeitslosigkeit«.6

Der blinde Fleck gegenüber privater Kreditschöpfung ist Teil einer Ideologie, die behauptet, der private Sektor sei gut und der staatliche sei schlecht. Man könne sich darauf verlassen, so heißt es, dass »freie, kompetitive Märkte«, die unsichtbar und nicht verantwortlich sind, den weltweiten Finanzsektor und die Weltwirtschaft richtig steuerten. Diese Denkweise rührt nicht nur von einem geradezu religiösen Glauben an »freie« Märkte her, sondern auch von Verachtung gegenüber dem demokratischen, regulierenden Staat – die Anhänger_innen von Thatcher und Reagan drückten diese Verachtung in den 1980er Jahren ganz offen aus, ebenso wie gewählte Politiker_innen seither.

Das Management des Geldsystems

Es ist eine faszinierende und für viele neue Entdeckung, dass Geld »aus dem Nichts« geschaffen wird. Ich werde argumentieren, dass es nicht auf das Geld per se ankommt, sondern vielmehr auf das Management oder die Kontrolle über die, wie Keynes sagte, »elastische Produktion von Geld«. Es sollte keinen Widerstand gegen ein Währungssystem geben, in dem Geschäftsbanken das für produktive Aktivitäten in der Realwirtschaft erforderliche Geld schaffen, Aktivitäten, die Menschen in Lohn und Brot bringen. Tatsächlich spielen Geschäftsbanken eine entscheidend wichtige Rolle bei der Bewertung von Risiken, sie sorgen für den Geldfluss innerhalb der Volkswirtschaft und für seinen reibungslosen Verlauf. Bankangestellte sind wichtig in den zahllosen sozialen Beziehungen zwischen Schuldner_innen und der Bank, sie schätzen die Risiken ein, die potenzielle Kreditnehmer_innen für die Bank darstellen. Ich lehne zwar die Verstaatlichung von Banken nicht ab, aber Beamte in großen bürokratischen Apparaten sind nicht am besten dafür geeignet, die Risikobewertungen bei den vielen Kreditanträgen vorzunehmen, die an jedem Arbeitstag bei Banken eingereicht werden. Ich kann mir bessere Aufgaben für unsere Staatsdiener_innen vorstellen, als dass sie Ms Jones’ Antrag auf ein Hypothekendarlehen, Mr Smiths Antrag auf einen Autokredit und den Antrag des Ladenbesitzers um die Ecke auf einen Überziehungskredit bewerten.