image

Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-820-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Hexenkessel
Havanna

Gewalt vor Recht – das war das Prinzip des Gouverneurs

Das Unfaßbare war geschehen – die Black Queen hatte sich mit dem Gouverneur von Kuba verbündet, und beide verfolgten das Ziel, den Bund der Korsaren zu vernichten und deren Schatzbeute auf der Schlangen-Insel an sich zu bringen. Hatten sie das erreicht, dann stand ihrer Gewaltherrschaft über die Karibik nichts mehr im Wege. Aber die Black Queen brauchte Schiffe für ihren Kampf gegen den verhaßten Feind, und Don Antonio de Quintanilla hatte sie ihr zu beschaffen, als Gouverneur verkörperte er die Macht über Havanna und Kuba. Dabei spielte Gewaltanwendung keine Rolle, um ein Schiff zu beschlagnahmen. Recht hatte der Stärkere mit seinen Schergen, wer sich widersetzte, wurde niedergeknüppelt. In Havanna war wieder der Teufel los …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Für einen Umtrunk war es nie zu früh. Schon um zehn Uhr morgens hockten an diesem 5. August 1594 drei Kerle in der Kellerkaschemme „Malagena“ von Havanna zusammen und prosteten sich mit ihren vollen Bierhumpen zu: Escobar, der Mulatte, Grillo, das Halbblut, und Mantilla, der Kreole.

Sie tranken, wischten sich den Schaum vom Mund, knallten die Humpen auf den blankgewetzten Kastanienholztisch und grinsten sich zu. Dann erzählte Grillo einen seiner schmutzigsten Witze, und sie lachten grölend darüber.

Sie glaubten, allen Grund zum Feiern zu haben. Am Vortag hatten sie von dem Zweimaster abgemustert, auf dem sie bislang gefahren waren und Küstenhandel betrieben hatten. Jetzt wollten sie sich für einige Tage im Hafen von Havanna umtun und in den Kneipen und Spelunken ihre Heuer verjubeln. Am Vorabend hatten sie mit dem Zechen angefangen und anschließend in einem Heuschober geschlafen. Heute ging es weiter. Der Tag war noch lang, und sie hatten vor, die Mäuse auf dem Tisch tanzen zu lassen.

Bei Lopez, dem Wirt des „Malagena“, gab es das beste Bier, das war überall bekannt. Wein kriegte man in jeder Hafenkneipe, wenn man Glück hatte, war er nicht einmal gepantscht. Aber gutes, wohlschmeckendes Bier war selten. So war es verständlich, daß sich die Krüge des Trios rasch leerten und sie wieder Nachschub brauchten.

Escobar winkte dem kleinen, schmächtigen Schankgehilfen zu, der damit beschäftigt war, den Tresen einer symbolischen Reinigung zu unterziehen. Lopez selbst lag um diese Zeit noch in den Federn und schlief. Libero – so hieß der Gehilfe – versah den Frühdienst, und nur aus diesem Grund war das „Malagena“ eine der wenigen Spelunken, die um diese Stunde bereits geöffnet hatten.

Seufzend begab sich Libero zu den drei Kerlen und nahm den leeren Krug entgegen.

„Wieder Bier?“ fragte er überflüssigerweise.

Sie lachten, und Mantilla rief: „Was denn sonst? Wasser vielleicht?“

Libero grinste. „Nein. Wasser gibt’s am Brunnen, so sagt mein Patrón immer.“

„Verrate mir mal, woher ihr das gute Bier habt“, sagte Grillo und sah den Kleinen aus seinen schmalen, listigen Augen an. Er war der Sohn eines Sizilianers und einer Araberin und hatte sich schon in der ganzen Welt herumgetrieben. Selbst im fernen Cathay und Zipangu, China und Japan, war er gewesen und brüstete sich gern damit. „So einen Gerstensaft habe ich nur einmal getrunken. Das war 1587, als ich mal kurz in Hamburg bei den Teutonen war.“

„Mein Patrón kauft es von einem Holländer“, sagte Libero mit wichtigtuerischer Miene.

„Was, er läßt es aus Holland kommen?“ fragte Mantilla verblüfft.

„Nein, nein. Der Holländer sitzt auf Hispaniola, glaube ich, und er heißt Willem Tomdijk oder so ähnlich“, erwiderte Libero.

„Aha“, sagte Grillo. „So klärt sich das Geheimnis auf. Hispaniola, wie? Na, da werden wir vielleicht mal vorbeischauen und ein Fäßchen einkaufen. He, wie wäre das?“

„Großartig“, erwiderte Escobar, dann hob er wieder seinen Humpen an den Mund und trank ihn leer. „Noch besser wären zwei Fäßchen.“

„Hoppla“, sagte Grillo. „Da fällt mir noch ein Witz ein.“

Libero entfernte sich, füllte den Krug und kehrte an den Tisch zurück. Er wurde fast rot, als er die Pointe vernahm, ließ sich aber nichts anmerken. Er setzte den Krug ab und wollte wieder gehen, aber Mantilla hielt ihn am Arm fest und zog ihn zu sich heran.

Er drückte ihm einen Silberling in die Hand und brummte: „Hier, das ist für dich. Du bist ein feiner Kerl.“

„Danke, Señor“, sagte Libero hastig und ließ die Münze mit dem Geschick eines Taschenspielers verschwinden.

„Aber jetzt verrate mir noch was anderes. Wo sind die Weiber?“

„Die fangen erst gegen Mittag an.“

„Ach so. Ja, klar“, sagte Mantilla. „Weißt du was? Ich war früher schon mal hier, so etwa vor einem Jahr, aber vielleicht ist es auch länger her. Da lief hier eine blonde Schönheit herum. Joanna hieß das Weib, wenn mich nicht alles täuscht. Ein tolles Frauenzimmer. Ist sie noch hier?“

„Nein.“ Libero schien ein wenig zu erblassen. Es entging ihnen nicht.

„He!“ sagte Grillo. „Du bist ja plötzlich merkwürdig maulfaul. Willst wohl nicht mehr recht mit der Sprache raus, was? Was steckt dahinter?“

Libero kratzte sich im Nacken, es war eine Geste der Verlegenheit. „Joanna ist Ende April weggegangen. Sie ist jetzt in Santiago, glaube ich, aber genau weiß ich es nicht, ehrlich nicht. An die Geschichte, die sich hier abgespielt hat, erinnert sich keiner von uns gern. Irgendwie hat ihr die Sache so zugesetzt, daß sie Havanna lieber verlassen hat – obwohl sie wirklich keine Schuld an allem hatte.“

„Setz dich hin“, sagte Escobar. Er griff nach einem vierten Humpen, der auf dem Nebentisch stand. „Los, trink einen Schluck und erzähl uns, was das für eine Geschichte war. Was mich betrifft, bin ich neugierig geworden.“

„Wir auch“, sagten Grillo und Mantilla gleichzeitig.

Libero schaute sich um. „Eigentlich darf ich das nicht. Wenn Lopez mich beim Trinken ertappt, bin ich dran.“

„Er erwischt dich nicht“, sagte Mantilla. „Er pennt jetzt, ich kann sein Schnarchen hören. Los, setz dich hin und sauf einen mit. Wieso ist Joanna abgehauen? Das ist doch eigentlich schade, wie? Und die anderen Weiber? Wo sind die abgeblieben? Die Rothaarige zum Beispiel – wie hieß sie doch gleich?“

„Die rote Anita“, entgegnete Libero. „Doch, die ist noch hier. Wenn du willst, sage ich ihr nachher Bescheid, und sie kommt.“

„Das wäre mir recht“, sagte Mantilla. „Aber berichte jetzt. Und laß dir die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen. Das haben wir nicht so gern.“

Escobar schenkte Libero Bier ein.

Libero trank und sagte: „Im April war ein großer Neger hier, ein Kerl wie der Teufel in Person, dann schlug er alles kurz und klein, weil der Fischhändler Diego Cámara ihn als Nigger und schwarzen Dreck beschimpfte. Das schlimmste aber war, daß er Cámara dabei tötete. Der Gouverneur ließ ihn in den Kerker der Residenz werfen, aber dem Kerl gelang es, wieder auszubrechen. Dabei tötete er mehrere Soldaten und entkam sogar noch den Bluthunden.“

„Wie heißt er?“ fragte Grillo.

„Caligula.“

„Von dem habe ich schon gehört“, sagte Mantilla. „Er soll einer der gefährlichsten Piraten der Karibik sein. Aber er ist nur der Unterführer eines Teufelsweibes, das sich die Black Queen nennt. Sie soll ein männermordendes Satansweib sein, mit dolchspitzen Krallen und messerscharfen Zähnen, die jedem Kerl die Gurgel zerfetzen.“

„Das ist nicht untertrieben“, sagte Libero, und unwillkürlich erschauerte er. „Ich rate keinem, sich mit ihr anzulegen.“

Escobar grinste. „Kennst du sie denn?“

„Persönlich nicht. Aber sie ist in Havanna.“

„Was?“ stieß Mantilla überrascht hervor. „Und das sagst du jetzt erst? Die würde ich gern mal sehen.“

„Sie ist gestern eingetroffen“, sagte Libero und trank rasch noch einen Schluck Bier. „Und sofort hat es Ärger gegeben. Die Witwe Cámara hat Caligula wiedererkannt. Sie hat Rache für ihren Mann gefordert und verlangt, daß der Schwarze am nächsten Baum aufgeknüpft werden müsse.“

„Und?“ fragte Grillo drängend. „Dafür wird der Gouverneur in der Zwischenzeit ja wohl gesorgt haben.“

Libero schüttelte den Kopf. „Das ist es ja, was ich nicht verstehe. Plötzlich tauchte Don Antonio de Quintanilla wieder auf, wie aus dem Nichts, und gab diesen Schwarzen und einem anderen Kerl namens Pablo als seine persönlichen Leibwächter aus. Er ließ das Gelände des Arsenals vom Pöbel, der gegen ihn protestierte, säubern, und die Witwe Cámara einsperren. Die beiden Schwarzen nahm er in die Residenz mit. Kapiert ihr das?“

„Nicht ganz“, sagte Mantilla. „Aber immer hübsch der Reihe nach. Don Antonio war also verschwunden, wenn ich dich richtig verstanden habe?“

„Ja. Ausgelaufen mit einem Verband von Kriegsschiffen zur Bekämpfung der englischen Piraten.“

„Ach“, sagte Escobar. „Und er ist als triumphierender Sieger zurückgekehrt?“

„Nein. Der Verband existiert nicht mehr, wird im Hafen gemunkelt. Don Antonio ist mit einem Anderthalbmaster gekommen, einem Handelssegler, der offenbar von der Black Queen kommandiert wird“, erklärte Libero.

„Eine merkwürdige Geschichte“, sagte Grillo. „Ich steig’ da nicht ganz durch. Und wo liegt dieser Anderthalbmaster?“

„An der Arsenalpier.“

„Die ist ja nicht weit entfernt“, sagte Mantilla. „Wenn wir Glück haben, kriegen wir die Black Queen also irgendwann noch zu sehen. Das wird immer spannender. Ho, Kleiner, deine Geschichte ist wirklich gut.“

„Auch wenn die blonde Joanna leider nicht mehr greifbar ist“, sagte Grillo grinsend.

„Sie ist nicht wirklich blond“, sagte Libero. „Sondern dunkelhaarig.“

Escobar fragte: „Hast du dich selbst davon überzeugt? Du bist ja ein ganz ausgekochter Schlingel!“

Die drei lachten dröhnend – und Libero errötete nun doch, denn im selben Augenblick wurde ihm bewußt, was er gesagt hatte.

„Du mußt uns alles erzählen“, sagte Grillo. „Alles, was du weißt. Auch über dieses Unternehmen gegen die Engländer.“

Libero hob den Blick und sah zu einem der flachen, von außen vergitterten Fenster des Kellerlokals, die sich etwa in Augenhöhe befanden.

„Ihr wollt die Black Queen doch sehen, nicht wahr?“ sagte er leise. „Dazu habt ihr jetzt Gelegenheit. Da – sie geht gerade vorbei.“

Die drei sprangen auf und eilten zum Fenster. Sie rempelten sich gegenseitig an und traten sich auf die Füße, und Grillo stieß einen lästerlichen Fluch aus. Dann aber schwiegen sie. Die dunkelhäutige Frau, die zum Greifen nah an ihnen vorbeiging, hatte die geschmeidigen Bewegungen eines schwarzen Panthers.

Sie sahen ihre langen Beine und folgten dem Schwung ihrer Hüften mit geweiteten Augen. Sie wußten nicht, daß sie gewöhnlich nahezu nackt auftrat und nur für Havanna Frauenkleider angelegt hatte. Und noch wußten sie nicht, wie brutal und gnadenlos sie war.

Sie sahen nur eine exotische Frau, deren starke sinnliche Ausstrahlung wie ein Feuer auf sie übergriff. Sie glaubten, einen doppelten Grund zum Feiern zu haben, und ließen sie nicht mehr aus den Augen. Aber sie ahnten nicht, wie sehr sie sich täuschten. Die Dinge sollten noch eine unerwartete Wende nehmen.

Es gab noch einen anderen aufmerksamen Beobachter. Er hieß Jussuf, stammte aus der fernen Türkei und war ein wendiger, ideenreicher und außerordentlich geschickter Mann. In seinem derzeitigen Aufzug, davon war er überzeugt, hätte ihn seine eigene Mutter nicht wiedererkannt.

Denn auf seine Tarnung legte er den größten Wert. Wenn er als Kundschafter im Hafen von Havanna unterwegs war, trat er mal als Herumtreiber, mal als Greis und mal als Trunkenbold auf – oder aber als „fliegender Händler“ wie an diesem Morgen.

Er lehnte an seinem Obstkarren und schien im Stehen zu schlafen, denn noch zeigte sich kein einziger Kunde, der seine Bananen oder Kakifrüchte kaufen wollte. Rein zufällig – so schien es zumindest – stand der Karren in der Nähe des Arsenals. Jussuf hatte den Platz jedoch ausgewählt, um den Anderthalbmaster im Auge zu behalten.

Jörgen Bruhn befand sich zur selben Zeit mit einer steifen, seetüchtigen Jolle auf See, und zwar ostwärts von Havanna – offiziell, um zu fischen, tatsächlich jedoch, um die erwartete „Wappen von Kolberg“ abzufangen und Philip Hasard Killigrew und die anderen an Bord befindlichen Männer zu warnen.

Jussuf und Jörgen waren die jüngsten Entwicklungen natürlich nicht entgangen. Sie waren Zeugen der Ankunft des dicken Gouverneurs Don Antonio de Quintanilla und der Vorfälle am Arsenal geworden.

Sofort hatten sie daraufhin Arne von Manteuffel über die erstaunliche Tatsache informiert, daß der Dicke sich offenbar mit der Black Queen und Caligula verbündet hätte. Wie das geschehen konnte, blieb ihnen ein Rätsel. Aber die Tatsache als solche warf neue Probleme auf.

Die Brieftaube Achmed hatte die Nachricht überbracht, daß die „Wappen von Kolberg“ von der Schlangen-Insel aus eintreffen würde und sich auch der Seewolf und Don Juan de Alcazar an Bord befänden. So bestand die Gefahr, daß die Black Queen Hasard oder einen der Seewölfe erkannte, sobald die „Wappen“ in den Hafen von Havanna einlief – das gleiche galt natürlich auch für Arne selbst.

Die „Wappen“ mußte in diesen Tagen eintreffen. Es galt, eine entsprechende Tarnung zu finden und Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Black Queen durfte auf keinen Fall mißtrauisch werden und Verdacht schöpfen – sonst war die Hölle los.

Wenn die „Wappen“ einlief, durfte sich nur die deutsche Crew zeigen, die Seewölfe und Don Juan mußten unter Deck verschwinden. Äußerste Vorsicht war geboten. Hasard und seine Männer würden aller Voraussicht nach die Galeone nicht verlassen können, und wenn Don Juan im Hafen erkannt wurde, würde Don Antonio de Quintanilla Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihn zu fassen. Nach wie vor war Don Juan des Mordes an der Señora de Azorin angeklagt – eine Intrige, die der Gouverneur eingefädelt hatte.

Während Jörgen also auf Lauerstellung lag und pausenlos die Kimm mit dem Kieker abforschte – eine Aufgabe, die ihm große Geduld und Ausdauer abverlangte –, versah Jussuf seinen „Dienst“ als Obstverkäufer. Eine alte Frau näherte sich seinem Karren, die erste Kundin. Er versuchte sofort, sie in ein Gespräch zu verwickeln.

„Einen schönen guten Morgen“, sagte er. „Wie wär’s mit einem Pfund knackfrischer Bananen, Señora?“

Sie verharrte und warf einen argwöhnischen Blick auf den Inhalt des Karrens.

„Die Bananen sind zu gelb“, sagte sie.

„Ein Zeichen, daß sie besonders saftig sind“, sagte Jussuf.

„Nein, daß sie bald faulen.“

„Grüne Bananen verkaufen sich aber schlecht.“