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Impressum

Roy Palmer

Die Rote Korsarin
schlägt zu

Sie zeigt ihre ganze Härte – denn es geht um den Seewolf

Kapitän Charles Stewart, Kommandant der englischen Kriegsgaleone „Dragon“, hatte sich das Gefecht mit dem düsteren Zweidecker anders vorgestellt. Sein Fehler war, den Gegner zu unterschätzen. Vielleicht hatte er auch gedacht, dieser Zweidecker würde die Flagge streichen – angesichts der drohend ausgerannten Kanonen seiner „Dragon“. Dann hätte man den Zweidecker genauso bequem zusammenschießen können, wie man das mit der „Santa Cruz“ getan hatte. Keine dieser Überlegungen stimmte. Noch schlimmer: Der Kapitän dieses Zweideckers war eine Frau, eine sehr hübsche Eurasierin – und die spielte mit Kapitän Stewart Katz und Maus. Das Ende dieses verruchten Spiels bestand darin, daß der „Dragon“ die Flügel gerupft wurden und sie lahm davonhinken mußte …

Die Hauptpersonen des Romans:

Siri-Tong – die Rote Korsarin entschließt sich zum Angriff auf zwei englische Kriegsgaleonen.

Charles Stewart – der Kommandant der „Dragon“ kümmert sich nicht um sein Schiff, sondern um zwei Goldkisten.

Sir Robert Monk – dieser Gentleman brütet ein ganz faules Ei aus.

Sir Henry of Battingham – dieser Nichtstuer bringt es fertig, in den Hauptmars zu klettern, weil er Angst vor Wasser hat.

Marc Corbett – der Erste Offizier der „Orion“ zeigt, daß er ein ganzer Kerl ist.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Die Grand Cays am Nordrand der Kleinen Bahama Bank bestanden aus vielen kleinen und winzigen Inseln, die noch nie irgend jemand richtig gezählt hatte. Auch die Aruaks, die zu den seefahrenden Stämmen unter den Indianervölkern gehörten, hatten das nie getan – und schon gar nicht die Spanier oder Portugiesen, die mit ihren Konvois an den Bahamas lediglich vorbeisegelten.

Auch die Freibeuter und Glücksritter verschiedener Herren Länder waren an den Inselchen nicht interessiert, weil es dort nichts zu holen gab. Ein richtiger Piratenschlupfwinkel wurde hier höchst selten eingerichtet, weil man sich auf den anderen größeren Inseln der Karibik wesentlich besser verstecken konnte.

Im Prinzip waren diese Grand Cays Niemandsland, also unbewohnt und kaum beachtet. Es mußten schon zwei verrückte Kerle wie Speckled Red und Louis Lamare auftauchen, um die Gegend ein bißchen zu beleben. Der Engländer und der Korse mieden bewußt die Nähe großer und kleiner Häfen und begaben sich selten in Küstensiedlungen, denn sie hüteten ihre beiden kleinen Familien wie einen kostbaren Schatz. Nur wenn sie ihre geflochtenen Körbe, die die Frauen selbst herstellten, zum Kauf anboten, suchten sie die Häfen auf.

Red und Lamare hatten Indianerinnen geheiratet – Tampa und Onda, die ihnen wiederum zwei Kinder, beziehungsweise eine Tochter, im Falle von Lamare, geschenkt hatten. Tampa und Onda gehörten zum Stamm der Aruaks. Manchmal, wie heute nacht, zog Red seine Frau damit auf, daß sie sich in der Inselwelt doch nicht so gut auskannte, wie man das von den Ureinwohnern des Landes Amerika annehmen sollte.

„Siehst du“, sagte er grinsend. „Du hast gar nicht gewußt, daß es diese Insel gibt.“

Sie setzte ebenfalls ein etwas verschmitztes Lächeln auf. Jetzt, da die Gefahr gebannt war, konnte sie wieder lächeln, obwohl sie bis vor wenigen Minuten noch erhebliche Angst gehabt hatte. „Wußtest du es denn, mein starker Krieger?“ fragte sie.

„Nein, aber ich bin ja auch kein Aruak.“

„Hör auf“, sagte sie. „Ich bin sicher, daß du noch nicht mal weißt oder ausrechnen kannst, wie groß diese Insel ist.“

„Man kann fast von der einen Seite zur anderen spucken, so klein ist sie“, sagte er und lachte leise. Dann zog er sie zu sich heran und küßte sie.

Lamare, der gerade noch sein Boot unter den Mangroven vertäute und tarnte, mußte ebenfalls lachen.

„Du bist ein Spaßvogel, alter Freund“, sagte er in der Sprache der Aruaks. „Ich habe es immer gewußt.“

„Trotzdem tut es mir leid, daß wir abhauen mußten“, sagte Red.

„Warum?“ fragte Onda.

„Na, wegen der schönen Frau.“

Tampa und Onda hoben gleichzeitig die Köpfe.

„Eine Frau?“ fragte Tampa zurück. „Von der hast du vorhin aber nichts erwähnt.“

„Eine Eurasierin“, sagte Red beharrlich. „Schön wie die Sünde und nackt obendrein. Doch, ich habe von ihr erzählt. Ihr beide habt nur mal wieder nicht richtig zugehört, wie das bei euch oft der Fall ist.“

„Das kannst du mir nicht vorwerfen!“ zischte Tampa.

„Das ist eine Lüge“, sagte Onda sanft, aber bestimmt.

Red sah zu Lamare, dessen Gestalt er im Dunkeln gerade noch erkennen konnte. „Da hast du’s, mein Junge, jetzt sind sie so richtig schön eifersüchtig. Aber wir haben die Eurasierin ja nur beobachtet, wie sie im Lagunensee gebadet hat. Das war alles.“

„Ihr habt …“ Tampa sprach nicht weiter, sie war empört.

„Das nehme ich euch nicht ab.“

„Und doch ist es wahr“, sagte Lamare ernst. Er ließ sich neben ihr nieder und strich seiner Tochter, die wie die beiden anderen Kinder auf dem behelfsmäßigen Lager eingeschlafen war, mit der Hand über die Wange. „Aber man sollte hinzufügen, daß es sich bei der Frau um eine harte, im Kampf geübte Korsarin handelt. Sie ist der Kapitän des Zweideckers.“

„Und sie hat es diesen Drecksäcken von den beiden englischen Kriegsgaleonen gegeben“, sagte Red grimmig. „Schöne Landsleute sind das. Schämen muß man sich. Solche Kerle versauen das Ansehen von England in der Welt.“

„Du bist ja richtig wütend“, sagte Lamare.

„Hast du das noch nicht gemerkt?“ Red blickte auf die See, die sich wie eine polierte schwarze Marmorplatte unter dem weißlichen Licht des Mondes ausdehnte. „Ich wünsche ihnen, daß sie alle absaufen, bis auf die Anständigen natürlich, die sich unter ihnen zu befinden scheinen.“

„Meinst du wirklich, daß der Zweidecker das Gefecht gewonnen hat?“ fragte Lamare.

Red lauschte, als könne ihm die Nacht die Antwort darauf geben. Nach dem Donnern der Kanonen und dem Schreien der Getroffenen war es jetzt wieder ruhig geworden, beinahe totenstill.

„Ich würde gern nachsehen, wie der Stand der Dinge ist“, murmelte Red. „Wenn ich mich mit dem Canoa unter Land anpirsche, kann ich einen Blick in die Nordbucht werfen, ohne daß sie mich entdecken.“

Tampa griff nach seinem Arm. „Nein, das tust du nicht!“

Er sah sie streng an. „Sag mal, wer von uns beiden führt hier eigentlich das Kommando?“

Sie senkte den Blick. „Du. Aber ich will nicht, daß du dich wieder in Gefahr begibst.“

„Das tue ich nicht. Sie haben uns drüben nicht aufgespürt, und sie werden es auch jetzt nicht tun – zumal sie an der Insel auch kein großes Interesse zu haben scheinen.“

„Das kann sich ändern“, sagte Lamare. „Und es ist besser, wenn ich dich begleite.“

„Das alte Lied“, brummte Red. „Siehst du nicht ein, daß es nicht geht? Wer soll bei den Frauen bleiben, um sie zu beschützen, falls etwas Unvorhergesehenes passiert?“

„Wir können uns auch selbst schützen“, sagte Onda und hob stolz den Kopf.

„Klar“, sagte Red. „Und wehe dem, der euch in die Hände fällt. Doch es bleibt dabei: Ich unternehme eine Inspektion. Später, in der Nacht, kannst du diesen Törn übernehmen, Louis. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es recht lustig sein könnte, diese Ratten noch ein bißchen im Auge zu behalten.“

Tampa sagte: „Oder du bist einfach nur neugierig.“

„Das bin ich“, sagte Red, dann stieg er in sein Boot und löste die Leinen. „Denn es sind immerhin meine Landsleute aus dem guten alten England. Sie wüten wie die Teufel und schießen fairen Kämpfern in den Rücken. So was hab’ ich gern.“

Er legte ab und paddelte in die Nacht hinaus. Tampa sah ihm nach. Onda griff nach ihrer Hand.

Lamare murmelte: „Er hat recht, Verärgert zu sein. Und auch ich stehe auf der Seite der Korsaren.“

„Korsaren?“ wiederholte Onda erschrocken. „Aber das sind doch auch – Piraten.“

„Nein, sie sind was besseres“, erwiderte er. „Den feinen Unterschied erkläre ich dir noch genau, damit du Bescheid weißt.“

Speckled Red überbrückte mit dem Canoa die Distanz von etwa zweieinhalb Meilen zwischen ihrem Zufluchtsort und der größeren Insel, in deren Nordbucht die Schiffe ankerten. Die kleine Insel, auf die sich Red und seine Begleiter zurückgezogen hatten, lag südlich des größeren Eilands. Folglich mußte Red das westliche oder das östliche Ufer umrunden, um zur nördlichen Bucht zu gelangen.

Er entschied sich für die Westseite, also Luv. Er hatte das Segel gesetzt, und der Wind aus Südwesten drückte ihn energisch vorwärts. Nicht sehr viel Zeit verstrich, und er sah das dunkle, mit Mangroven und Palmen bewachsene Ufer der Insel vor sich aus der Finsternis auftauchen. Jetzt luvte er etwas an und steuerte nach Norden.

Etwas später barg er das Segel, ging sehr dicht unter Land und bediente wieder das Paddel. Bald hatte er die Bucht erreicht, konnte die Schiffe sehen und die Stimmen der Männer vernehmen. Er versteckte sich unter den knorrigen, bizarren Luftwurzeln der Mangroven an der Spitze der westlichen Landzunge, die die Bucht begrenzte, und konnte von hier aus nahezu alles mühelos beobachten.

Im Mondlicht erkannte er auch, daß draußen, im Norden der Insel, ein düsterer Schatten lag. Der Zweidecker, dachte er, dann glitt sein Blick wieder ins Innere der Bucht, und er sah, daß die Kriegsgaleone, die zum Kampf ausgelaufen war, erheblich gerupft worden war. Sie war angeschlagen und flügellahm und erweckte einen höchst traurigen Eindruck.

Red grinste. Diese Niederlage gönnte er dem Kapitän – der, wie er vernommen hatte, Stewart hieß – von ganzem Herzen. Gespannt verfolgte er, was weiter geschah.

Kapitän Charles Stewart, der Kommandant der Kriegsgaleone „Dragon“ hätte den Abend dieses 22. August 1594 gern aus seiner Erinnerung ausgelöscht. Gerade war die „Dragon“ schwer angeschlagen in die Nordbucht der Insel zurückgekehrt, wo die „Orion“ die ganze Zeit über vor Anker gelegen hatte. Kaum war der schwere Stockanker der „Dragon“ an seiner Trosse ausgerauscht und hatte sich auf den Grund gesenkt, fuhr Stewart mit verzerrtem Gesicht zu seinem Ersten Offizier Arthur Gretton herum.

„Sofort die Jolle abfieren!“ schrie er.

Gretton leitete den Befehl weiter, und vier Männer der Crew beeilten sich, das Boot auszusetzen. Ihre Mienen waren hart und verschlossen, die Spuren des Kampfes hatten sie gezeichnet. Auf dem Hauptdeck und der Back wälzten sich noch ein paar Verletzte, die eben vom Wundarzt und Feldscher untersucht, behandelt und dann in den Krankenraum verfrachtet wurden.

Die Schäden waren groß. Stewart wußte schon jetzt, daß sie sich allein mit Bordmitteln nicht beheben lassen würden. All das hatte seiner Meinung nach nur geschehen können, weil die „Orion“ an dem Gefecht nicht teilgenommen hätte. Er mußte seine Wut irgendwie abladen. Nie hätte er es sich träumen lassen, derart schwer angeschlagen zu werden.

Kaum lag das Boot im Wasser, enterte Stewart ab und gab den Rudergasten barsch den Befehl, zur „Orion“ zu pullen. Schweigend gehorchten die Männer, und die Jolle schob sich durch das ruhige Wasser der Bucht auf das Flaggschiff des vormals aus fünf stolzen Seglern bestehenden Verbandes zu.

Sie legten an. Sofort packte Stewart die Jakobsleiter mit seinen kräftigen Händen und enterte zum Hauptdeck auf. Er würdigte keinen der Männer auch nur eines Blickes, sondern wandte sich unverzüglich dem Achterdeck zu, wo ihn Sir Edward Tottenham, der Kommandant, empfing.

„Haben Sie das gesehen?“ blaffte Stewart, ehe Tottenham auch nur ein Wort sagen könnte. „Diese Bastarde haben uns den Besanmast, die Großrah und die Fockrah weggeschossen! Der Rumpf hat über der Wasserlinie einige Locher, und große Teile des Schanzkleides sind nur noch als Brennholz für die Kombüsenherde zu verwenden!“

Es klang anklagend. Von der Einsicht, sich diese Schlappe selbst eingebrockt zu haben, war Stewart in der Tat weit entfernt. Er war an Bord der „Orion“ erschienen, um Tottenham mit massiven Vorwürfen zu überschütten.

Drohend hob er den Finger und richtete ihn auf den Kommandanten. „Das alles ist Ihre Schuld! Wenn Sie sich nicht geweigert hätten, uns zu begleiten und mit uns gegen diese Satansbraten zu kämpfen, wäre uns das nicht passiert! Aber Sie mußten ja das Grab schaufeln und Clifford bestatten, nicht wahr? Wissen Sie, was ich davon halte? Es war bloß eine Ausrede! In Wirklichkeit haben Sie Angst! Sie haben uns feige im Stich gelassen, jawohl!“

Diese Anschuldigungen spuckte er in seiner maßlosen Wut wie Gift aus. Was ihn jedoch am meisten in Fahrt brachte, das war die Tatsache, daß ihm ausgerechnet eine Frau diese Abreibung verpaßt hatte, ein verdammtes Weib!

Dieses Detail aber verschwieg er tunlichst. Genauso verschwieg er auch, mit welcher souveränen Überlegenheit dieses „Höllenweib“ das Gefecht geführt hatte, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen. All das ließ sich auf einen einfachen Nenner bringen: Er, Kapitän Charles Stewart, Kommandant der „Dragon“, hatte ganz fürchterliche Dresche bezogen, ohne selbst in der Lage gewesen zu sein, etwas davon zurückzuzahlen.

Tottenham schwieg immer noch, er mußte erst einmal verkraften, was Stewart ihm da vorwarf. Hingegen war es Marc Corbett, der Erste Offizier der „Orion“, der jetzt das Wort ergriff und sofort in die richtige Kerbe hieb.

„Mister Stewart, Sir“, sagte Corbett scharf und kalt. „Sie haben, wenn ich mich recht entsinne, auf eigene Faust gehandelt. Daher haben Sie auch für Ihre Niederlage oder den Ausgang des Gefechtes die Verantwortung zu tragen. Jedoch haben Sie kein Recht, anderen dafür die Schuld zuzuschieben.“

„Jetzt halten Sie aber mal die Luft an!“ herrschte Stewart ihn an.

„Nein, das tue ich nicht, Sir“, sagte Corbett bestimmt.

Tottenham griff immer noch nicht ein. Er fand das, was hier geschah, zwar ungeheuerlich, und natürlich verstieß es auch wieder einmal gegen die Vorschriften und die allgemeine Borddisziplin. Außerdem war er über die Vorwürfe höchst empört, aber er wußte ihnen nicht zu begegnen.

Corbett indes erklärte kalt: „Das war der erste Punkt, Sir. Zweitens ist es außerordentlich verwunderlich, daß ein englisches Kriegsschiff von der Kampfkraft der ‚Dragon‘ derart von einem einzigen Gegner zusammengeschossen wird, ohne offenbar bei diesem Gegner auch nur einen einzigen Treffer zu erzielen.“

„Ich verbiete Ihnen, mich zu kritisieren!“ schrie Stewart.

„Eine höchst eindrucksvolle Leistung“, fuhr Corbett trotzdem ironisch fort. „Sie beweist immerhin, daß wir es wohl mit einem äußerst harten und kampferfahrenen Gegner zu tun haben.“

„Sie werden noch jedes einzelne Wort, das Sie aussprechen, bereuen, Corbett, das schwöre ich Ihnen!“