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eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2019

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Die Originalausgabe Caderno de Memórias Coloniais

erschien 2015.

© 2015 Isabela Figueiredo e Editorial Caminho.

Die Übersetzung folgt der 8. Auflage, 2018.

Funded by the Direção-Geral do Livro,

dos Arquivos e das Bibliotecas (DGLAB) / Portugal

Dank an Ana Patrícia Severino, Ana Castro

und Assunção Mendonça

Lektorat: Stefan Weidle

Korrektur: Kim Lüftner, Ludger Tolksdorf

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: Dezember 2019

ISBN 978-3-95988-162-3

Über das Buch

Diese Erinnerungen an das Mosambik der Kolonialzeit konnten erst 2009 erscheinen, nach dem Tod des Vaters der Autorin. Das Buch war sofort ein Skandal und ein Bestseller dazu, bislang erlebte es neun Auflagen. Und stellte einen Tabubruch dar: Es räumte radikal mit der Legende von der »sanften« portugiesischen Herrschaft in Übersee auf und vermittelte einen ungeschönten Blick auf den blutigen Kolonialkrieg in Mosambik.

 

Im Zentrum steht der Vater der Autorin, ein Elektriker, der seit den 1950er Jahren in Mosambik lebt und arbeitet. Er ist den ärmlichen Verhältnissen der portugiesischen Provinz entflohen und entfaltet nun seine Macht als Weißer, der mit seinen schwarzen Untergebenen scheinbar auf vertrautem Fuß steht, seine Position jedoch wie selbstverständlich mißbraucht, besonders Frauen gegenüber. Die Tochter erlebt das hautnah mit. 1974 bricht die Kolonialmacht zusammen, der Vater schickt die Zwölfjährige allein nach Portugal zu seiner Mutter. Sie soll dort berichten, welches Unrecht ihm und den anderen Siedlern geschieht. Das tut sie nicht.

 

Isabela Figueiredo versteht es, die Perspektive des Kindes mit Reflexionen über die Realität des Kolonialismus zu verbinden. Es entsteht das Bild eines alltäglich gelebten Rassismus, einer menschenverachtenden Ausbeutung, die nie hinterfragt wird. Doch der unverstellte Blick des Kindes sieht mehr, weil er nicht an den Fassaden hängenbleibt. Gleichzeitig aber wird damit der geliebte Vater zum Feind – dem sie dann ihr Buch widmen wird.

 

Über die Autorin

Isabela Figueiredo wurde 1963 in Lourenço Marques, dem heutigen Maputo, geboren. Mitten in den Kolonialkriegen wächst sie in enger Nachbarschaft zu den Schwarzen auf, doch als Weiße. Diese Jugend geht früh zu Ende: 1975, nach der Nelkenrevolution und Mosambiks Unabhängigkeit, verläßt sie Afrika allein und lebt fortan – bis zum Studium – bei Verwandten in der tiefsten portugiesischen Provinz. Die Eltern wird sie erst zehn Jahre später wiedersehen, als auch sie aus Afrika zurückkehren. Mit nahezu leeren Händen kommen diese »retornados« nach Portugal, verachtet von der einheimischen Bevölkerung, die in ihnen arbeitsscheue Versager sieht.

 

Über den Übersetzer

Markus Sahr übersetzt aus dem Portugiesischen und Englischen. Zum Übersetzen wurde er angeregt durch die portugiesische Autorin Yvette K. Centeno und in den vergangenen Jahren mehrfach durch das Instituto Camões gefördert. Er lebt und arbeitet in Leipzig und Lissabon. Im Weidle Verlag erschien seine Übersetzung von Marina Colasanti, Mein fremder Krieg.

 

Isabela Figueiredo

 

Roter Staub

 

Mosambik am Ende der Kolonialzeit

 

Aus dem Portugiesischen von Markus Sahr

 

Mit einem Vorwort von Sophie Sumburane

 

CulturBooks Verlag

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Vorbemerkung

Einem Mann der Vergangenheit

Das sind die künftigen Zeiten, die dein Herz

stets fürchtete, das unter Steinen dorrte,

was kann so tief dich ängstigen nun,

da nicht der Kummer herreicht noch die harten Worte?

 

Du gingst immer weiter hinab; am Ende war

alles so unvermeidlich wie der Rest.

Du drehtest dich um, und vor dir verschwanden

die guten wie die schlechten Augenblicke.

Du hieltest diese Tür noch in der Hand.

(Ich wette, du gingst hindurch mit einer verächtlichen Verbeugung.)

Nun ist Sterben nicht länger möglich,

zumindest langt’s nicht mehr, die Augen zu verschließen.

 

(Manuel António Pina, Nenhum Sítio)

 

Im Anfang war ich aus Fleisch und befand mich auf der Erde. So begann es. Ich begriff mich weder als Mädchen noch als eine Weiße, weder als arm noch als reich. Ich dachte nicht, denn es war nicht erforderlich. Ich war aus Fleisch und war auf der Erde.

Ich sah, ich hörte, was um mich herum gesprochen wurde, und bildete unbewußt und absichtslos Urteile über das Gute und das Böse. Ich dachte mit dem Herzen, denn es ist im Körper die Instanz, mit der man am Anfang wie auch am Ende denkt.

Ich wußte, daß ich ein kleiner Mensch war und kein Tier, denn mich durfte man nicht töten und essen. Ich war nicht erwachsen. Was ich wollte, zählte nicht.

Ich beobachtete die Welt, in der ich lebte, ich lauschte auf Worte, begierig, zu verstehen und zu lernen. Ich beobachtete die Welt, um zu begreifen, was die Menschen antrieb. Was sagten und was taten sie? Und weshalb? Was war ihnen wichtig?

Es gab niemanden, mit dem ich über die Dinge, die mich umtrieben, hätte sprechen können, vor allem nicht über die Dinge, die ein menschliches Wesen mit einem anderen verbinden oder es von ihm trennen. Es gab keine Sprache dafür und auch keine Auseinandersetzung darüber. Niemand war fähig, es mir zu erklären.

Nicht verstanden zu haben. Dort nahm alles seinen Anfang.

Vergessen ist leichter. Immer.

Das Paradox liegt in der Tatsache, daß man über einen Schock nur hinwegkommt, indem man das Erlebte wieder ausgräbt und in dessen Resten wühlt. Die schweigsame Zeit hält sich lediglich zurück und will keinen Lärm.

Gleichfalls leichter ist es, sich auszusuchen, was man zu erinnern bereit ist. Eine solche Erzählung wird für den Betreffenden dann zu der Wirklichkeit, der einzigen, an die man glaubt und die man für sich reklamiert.

Immer stößt die Geschichte auf dieses mächtige Hindernis, das es zu überwinden gilt: das Schweigen darüber, was lange geheimgehalten oder verborgen wurde. Was einem keinerlei Ehre einträgt. Den Dreck läßt man verschwinden, die Leichen kommen hinter Mauern, und alles hört auf zu existieren. Wir haben nichts gesehen, wir wissen nichts, darüber haben wir nie reden hören, wir haben nichts bemerkt.

Nach der Veröffentlichung des »Hefts mit Erinnerungen an die Kolonialzeit«, so der Originaltitel, 2009 sagten mir viele Kinder und Enkel von retornados, ihre Angehörigen hätten außerhalb der eigenen vier Wände nicht über das Thema gesprochen und diese Angelegenheit sogar innerhalb des Hauses als heikel erachtet.

Meine Ratlosigkeit, und das gilt ebenso für die Zeit vor den »Erinnerungen« wie danach, zielt weiter auf denselben Punkt der »postkolonialen Intrige«: Wenn wir doch alle dasselbe erlebten, am selben Ort und zur selben Zeit, wie kann dann nur ich gesehen und empfunden haben, was den anderen entging? Weil es mein fester Wille war, mich zu erinnern?

Das »Heft mit Erinnerungen an die Kolonialzeit« erzählt die Geschichte eines Mädchens, das auf dem Weg ist zur Adoleszenz und diese Phase ihres Lebens in der aufrührerischen Zeit des zu Ende gehenden portugiesischen Kolonialreichs erlebt. Schauplatz ist die Stadt Lourenço Marques, heute Maputo, der Raum, in dem die beiden miteinander streitenden Figuren, Vater und Tochter, sich bewegen. Sie sind Symbole einer alten und einer neuen Macht; einer alten Welt, die an ihr Ende gelangt ist und sich mit einer neuen Zeit konfrontiert sieht, die gerade erwacht und nach Erklärungen verlangt. Der Krieg der Welten 1970.

Doch das »Heft« geht über die Probleme kolonialer, rassischer, sozialer und sexueller Macht weit hinaus und gerät auch zu einer Erzählung von verwirrter, doch unzerstörbarer Kindesliebe. Es folgt dem sinnlichen Weg des Mädchens, das seinen eigenen Körper und den der anderen entdeckt. Es ist die Geschichte eines Verlusts, in der ein Mädchen, dessen autonomen Weg man erahnt, die Notwendigkeit empfindet (und dies auch bekundet), den größtmöglichen Widerstand zu entwickeln und rasch größer zu werden, um ihr Überleben zu sichern, zunächst beim Durchqueren der feindlichen Realität von Kolonialisierung und Dekolonisierung in Mosambik, später in Portugal, wohin sie allein, ohne die Eltern, geschickt wird.

Wir stehen vor der Herausbildung einer unbestimmten, ortlos gewordenen nationalen Identität, vor der Herrschaft des Exils und der Verbannungen.

Im Laufe der Kapitel dieses »Hefts« befördert das Mädchen Bruchstücke von Stimmen, die aus einer anderen Epoche widerhallen, in unsere eigene Zeit, als könne ein Transistor eine Zeitreise unternehmen und uns eine Polyphonie von Klängen aus der Vergangenheit übermitteln.

Die Stimmen kamen, wie nicht anders zu erwarten, je nach Empfänger gut oder schlecht an. Was 2009 in Buchform zum Leben der Weißen in Lourenço Marques erschien, rief Diskussionen hervor und gefiel einem nostalgischen Teil unter den retornados nicht, selbst unter denen nicht, die diese Diskriminierung bis zu einem gewissen Grad miterlebt hatten. Ich beziehe mich dabei auf die Vorgesetzten der kolonialen Verwaltung zum Beispiel, die selbst Mestizen waren, auf Inder und auf Leute aus Goa, die in der Kolonie von einem höheren, da »weißeren« Status profitierten. All diese Leute, die vom selben Modell geprägt worden waren, das auch meinen Vater hervorbrachte, von der Politik des »Estado Novo«, zählten zum Kontingent an retornados, das von 1974 an, vor allem aber nach der Unabhängigkeit, 1975 und 1976 Aufnahme in Lissabon fand.

Einige versuchten, die Glaubwürdigkeit des »Hefts« in Zweifel zu ziehen mit Argumenten, die auf mein zartes Alter und meine mangelnde Kenntnis anspielten oder auf die Tatsache, daß ich in Alto-Mãe sowie in Matola gelebt hatte, Orten, die von weniger gebildeten Weißen bewohnt waren.

Nichts davon hat mich umstimmen können, ich lebe weiter in vollkommenem Frieden mit dem, was ich geschrieben habe.

Von den Rezensenten wie den Lesern im allgemeinen wurde das Buch sehr gut aufgenommen. Es erlebte bislang fünf Auflagen und wird in der ganzen Welt gelesen und diskutiert. Es hat mein Leben verändert und mir tausendfach Freundschaften eingetragen, es verhalf mir zu neuen Kenntnissen, brachte mir Bestätigung und führte mich an Orte, an die zu kommen ich nie erwartet hatte. Von einem Augenblick auf den anderen sprachen Unbekannte mich geradezu gerührt an, wie in einer kollektiven Psychoanalyse. »Das habe ich erlebt.« – »Das habe ich getan.« – »Meine Eltern haben das vertuscht.« – »Ich weiß genau, was Sie empfunden haben, als ...«

Das »Heft« hat ein eigenes Leben, das wiedererkennt, wer es liest, als öffnete sich plötzlich ein Fenster und der Wind brächte das unversehrte Ambiente der Vergangenheit herein, vollständig und authentisch, mit seinen Geräuschen, Farben und Gerüchen; um jedoch die Wahrheit sagen zu können, fiktionalisiert das Buch auch, und dies ist das andere große Paradox der Literatur. Man darf erwarten, daß die erzählten Tatsachen dem entsprechen, was ich bezeugt, erlebt und gefühlt habe, wenn es auch kein wortwörtlicher Bericht ist, der frei wäre von literarischer Umgestaltung.

Auf Konferenzen, auf Podien und in Interviews wurde ich immer wieder mit dem mehr oder minder eingestandenen »kollektiven Wunsch« konfrontiert, die Handlungsweise der Figur meines Vaters den Schwarzen gegenüber zu relativieren, indem ich ihn als einen Einzelfall darstelle, ihn einer Gruppe von weniger gebildeten Individuen einer sozial niederen Herkunft zurechne, die nicht dem Stereotyp entsprechen, wie er vom vorherrschenden Diskurs über die koloniale Elite der Provinz in Mosambik definiert wird.

Gerade deshalb muß ich über meinen Vater, der direkt oder indirekt für meine Erziehung und Entwicklung verantwortlich war und damit für das, was ich bin und erreicht habe, einen Punkt klären, und dieser Punkt darf im Hinblick darauf, wie das Leben in der Kolonie ablief, nicht ignoriert werden.

Während sich mein Vater mit den Schwarzen darum kümmerte, daß die elektrischen Installationen der Häuser, in denen die Weißen der ersten und zweiten Kategorie lebten, rechtzeitig fertig wurden, nutzten diese die Tage an den Stränden des Indischen Ozeans und gaben dem Neger in der Baixa,* der ihnen die Schuhe putzte (und das war genauso einer wie die Schwarzen meines Vaters), einen halben Escudo** Trinkgeld.

Die Arbeit des Elektrikers aus Matola und die des machambeiro*** in Infulene waren elementar für das Funktionieren der Stadt, denn der Weiße machte sich nun einmal ungern die Finger schmutzig, schließlich »rochen die Neger derart schlecht«.

Es kam also sehr zustatten, daß mein Vater im Morgenrot aufstand, um die Schwarzen aus der Strohhütte zu holen oder sie an der Landstraße aufzulesen, denn jemand mußte es ja tun, und das war eben nicht der Weiße aus der Oberschicht, der mit den gepflegten Verwalterhänden, mit denen er auf der »Banco Nacional Ultramarino« den Profit einstrich, den die Ausbeutung der schwarzen Arbeit abwarf, zum Nutzen eines Systems, von dem alle in ihrer Heuchelei abhängig waren; ein System, das sie aufrechterhielt und mit dem sie paktierten, indem sie die Ordnung der Dinge akzeptierten, ohne sie zu hinterfragen.

Was hier gezeigt wird, ist ein Mensch in einer bestimmten Zeit, in seinem Kontext, genauso rassistisch wie die, die in Lissabon und in Übersee Rassisten waren, und das waren viele.

Und wie sie es, hier und heute, noch immer sind. Seien sie nun retornados oder nicht.

Im Laufe dieser Jahre habe ich es zu meiner Mission gemacht, die Figur meines Vaters vor der so naheliegenden wie verführerischen Diabolisierung zu schützen, ein Bild, das man leicht von ihm haben kann.

Ich habe bemerkt, wie es mich ermüdet, das zu tun. Ich habe eingesehen, daß ich nicht kontrollieren kann, was man über ihn sagt und noch sagen wird. Es gibt meinen Vater und die Figur meines Vaters. Ich behalte ersteren.

Das »Heft« ist seinetwegen und für ihn entstanden. Es war eine der Lektionen, die ich gelernt habe, und dieses Buch ist der Brief, den ich ihm hinterlassen wollte.

Ich möchte glauben, daß mein Vater, indem er mich 1975 nach Portugal schickte, wo er selbst geboren war und von wo er mit dem Vorsatz wegging, nicht wiederzukehren, diesem mir unbekannten Land eine gewisse Überlegenheit und die Macht zuerkannte, mich zu retten.

Mir bleibt die verlangende und verzweifelte Liebe zur schwarzen Erde, der er mich anvertraute.

Auf ihr suche ich die Landkarte für den Schatz, den er hier versteckt hat und den ich eines Tages finden werde.

 

 

*Baixa (port. für Unterstadt): hier ist ein Teil des Zentrums von Lourenço Marques gemeint.

**»uma quinhenta«, wie es im Original heißt, entspräche heute etwa einem Viertelcent in der portugiesischen Euro-Währung. Die Münze war Wechselgeld; auf der Straße konnte man davon einen gebratenen Maiskolben oder eine Tüte geröstete Mandeln kaufen.

***Machambeiro: Besitzer von Feldern, »machambas «.

 

Meinem Vater.

Der Tod wie auch das Leben sterben,

und unter ihrer Ewigkeit bleibt

einzig die Erinnerung an das Vergessen von allem;

auch das Schweigen dessen, der spricht, wird verstummen.

 

Wer von diesen Dingen

und vom Reden darüber spricht,

flieht ins reine Vergessen

außerhalb des Kopfes und seiner selbst.

 

Was existiert, fehlt

unter der Ewigkeit;

Wissen ist Vergessen, und

eben dies ist die Weisheit des Vergessens.

 

(Manuel António Pina, Aquele Que Quer Morrer)

Nachwort von Sophie Sumburane

 

Neger, Fotze, Ficken, Dunkelland. Die Drastik der Sprache der ersten Kapitel erfaßt die Drastik des Lebens der Menschen in Mosambik kurz vor dem Ende der Kolonialzeit nur rudimentär. Natürlich ließe sich wie an vielen Stellen in der Literatur darüber streiten, ob es die Verwendung des Wortes »Neger« tatsächlich braucht, ist »Schwarzer« nicht politisch korrekter? Angebrachter? Reproduziert und manifestiert der Text damit nicht Rassismen, die wir in unserer schönen Literaturwelt nicht mehr haben wollen? Ganz sicher ist es ein Stück weit so, und doch im Fall von Isabela Figueiredo auch wieder nicht. Denn wenn wir uns darüber im klaren sind, daß jeder kleine Schauer, jedes Unbehagen, das wir beim Lesen dieses Wortes empfinden, zehnmal verstärkt auch dem so Bezeichneten jedes Mal aufs neue über den Rücken lief, haben wir eine wesentliche Leistung der Literatur benannt. In die Haut eines anderen hineinfahren, ihn oder sie fühlen, das kann Literatur, mit den passenden Worten.

Und manche Themen lassen sich eben nicht mit politisch korrekter Gefälligkeit vermitteln.

Die Geschichte des jungen Mädchens, die, wie wir im Vorwort erfahren, zu großen Teilen auf den fiktionalisierten Erinnerungen der Autorin basiert, ist ein Novum, ein bisher fehlendes Puzzleteil in der literarischen Beschreibung des afrikanischen Kontinents.

Schon seit langem gibt es Literaturen aus Afrika, auch von Weißen!, ist man auf den ersten Blick versucht zu sagen, denkt man über den Stand der Literaturproduktion in den 54 Ländern auf dem Kontinent nach. Schließlich verfaßte bereits im 16. Jahrhundert der Leo Africanus genannte Hassan al-Wazzan im Auftrag Papst Leos X. seine Cosmographia Del’ Africa (Beschreibung Afrikas). Es folgten Olfert Dapper und Raymond Roussel, die den Kontinent in Karten zerlegten, Mythen, Sitten und Gebräuche beschrieben, aber vor allem: ihn nie betreten hatten.

Auf den zweiten Blick fällt schnell auf: Es waren Europäer, die für die ersten Texte aus und über Afrika sorgten, die fasziniert von dem »Fremden« niederschrieben, was sie zu wissen glaubten, und so das Bild des »Negers« festigten.

Erst im Jahre 1921 erschien der als erster »roman nègre« bezeichnete Roman Batouala von René Maran, für den er in Paris den Prix Goncourt erhielt. Der Kolonialismus wird in dem Buch so scharf angegriffen, daß es lange Zeit in Afrika verboten war. Welch Ironie, daß ausgerechnet der Roman eines Afrikaners in Afrika verboten ist, während sich Jules Vernes 1863 erschienener Text Fünf Wochen im Ballon, der die Freude am Exotischen mit Abenteuerlust vermischt, großer Beliebtheit erfreut. Hier spielen natürlich die Strukturen des Kolonialismus die tragende Rolle, weshalb sich die meisten der frühen Romane afrikanischer Autorinnen und Autoren thematisch den Widerstand gegen eben diese Strukturen zum Ziel gesetzt hatten.

Erst 1981 erschien der erste von einem Afrikaner geschriebene Roman, der sich mit der Zeit vor dem Kolonialismus auseinandersetzt. Die Kinder der Regenmacher des aus Tansania stammenden Aniceti Kitereza, der das Manuskript bereits 1945 beendet hatte, jedoch keine Möglichkeit zur Veröffentlichung fand, weshalb es erst einige Wochen nach dem Tod des Autors publiziert wurde. Kitereza starb als Viehhirte in seiner Hütte. Glanz und Gloria des Autoren-Daseins waren (nicht nur) an ihm vorbeigegangen. Heute gibt es glücklicherweise einige Möglichkeiten zur Veröffentlichung, wenn auch häufig im europäischen Ausland. So nehmen beispielsweise französisch schreibende Autorinnen und Autoren häufig den Umweg über Paris. Doch trotz allem, es gibt sie: Autoren wie Ngugi wa Thiong’o aus Kenia, Chinua Achebe und Nobelpreisträger Wole Soyinka aus Nigeria, woher auch die Pionierin Buchi Emecheta stammt. Ebenso Awa Thiam aus Mali und die erste Frau Mosambiks, die dort einen Roman veröffentlicht hat: Paulina Chiziane. Von ihnen erfahren wir viel darüber, wie die Kolonialisten in die Länder kamen, missionierten, unterdrückten und entmenschlichten. Wir lernen die Dörfer kennen, die Steppen und Lebensweisen vor und nach der Unabhängigkeit, und das ist wertvoll, um zu verstehen, warum die neunziger Jahre die »Lost Decade of Africa« sind: Warum die Länder heute sind, wie sie sind, warum Industrie oft fehlt, warum Identitäten sich spalten, Flüsse heilig sind und die Ahnen über alles wachen. Doch was fehlt, ist der kritische Blick der Gegenseite, des Portugiesen, Engländers, Franzosen, Italieners, Deutschen. Des Kolonisierenden. Wir finden Exotismus, Beschreibungen von willigen Frauen mit immer nackten Brüsten, staunende Worte über den Wilden, den es zu zivilisieren gilt, nur nie die Frage des Portugiesen, ob der »Wilde« das eigentlich will. Es fehlt ein Hinterfragen, ein kritisches Betrachten des eigenen Handelns – wie so oft und eigentlich auch wenig überraschend. Ich kenne keine Studie dazu, aber ich kenne einige Weiße in Mosambik, und die standen in ihren Erzählungen stets auf der Seite der Schwarzen, haben sie schon immer respektiert und fanden natürlich diese Unterdrückung irgendwie blöd. Und ihre Väter auch. Die wenigsten Menschen lassen Schlechtes über Menschen gelten, die sie lieben. »Es gibt das Bild meines Vaters, und es gibt meinen Vater«, beschreibt Isabela Figueiredo dieses Phänomen. Und wohl auch aus diesem Grund gibt es keinen zweiten Roman eines Weißen aus einer der ehemaligen afrikanischen Kolonien, in dem steht: Wir waren ungerecht, Invasoren, die Fremden, entmenschlichend, entwürdigend, Zukunft zerstörend.

 

Nestbeschmutzerin. Isabela Figueiredo hat in Mosambik, aber vor allem in Portugal, viel Kritik an ihrem Text ertragen müssen. Keine stilistische, rein inhaltliche. Um so wichtiger ist es, daß er gelesen wird. Nicht, weil ein armes weißes Mädchen, Tochter eines Elektrikers aus Mosambik, ihre Heimat verliert und in ein fremdes Land geschickt wird, um frei zu sein, zur Uni zu gehen. Sondern weil der Text zeigt, wie die Weißen wirklich über »die Neger« dachten: dem Tier näher als dem Menschen, etwas, das es zu unterjochen gilt. Zu züchtigen. Das man quasi ohne Konsequenzen töten darf, weil es eigentlich nichts wert ist – und, ja, ich verwende ganz bewußt »es«. Und diese Art zu denken, über Menschen, die anders sind als man selbst, ist tief verwurzelt in uns. Macht ausüben können, sich über andere erheben können, andere benutzen können, um im Kalifornien Portugals das Leben eines Königs zu führen, das ist es am Ende doch, worauf der Mensch getrimmt wird. Und wenn er die Möglichkeit dazu hat, dann unterdrückt er andere. Nennt sie Tiere und Neger und Frauen mit weiten Fotzen, und all diese Begriffe treffen noch immer nicht das Maß an Grausamkeit, das diese Weltsicht den betroffenen Menschen antut. Damals, 1974 in Mosambik, wie heute, 2019 in Deutschland und überall auf der Welt.