XXXIX.
Was weiters.

Inhaltsverzeichnis

Meines Diensts war ich bald gewohnt. Mein Herr hatte, ohne mein Wissen, etlichemal meine Treu auf die Probe gestellt, und hie und da im Zimmer Geld liegen lassen. Als bald nachher einem andern von den Preußischen Werboffizieren sein Bedienter mit dem Schelmen davon gieng, und ihm über 80. fl. enttrug, sagte mein Herr zu mir: «Willst du mir’s auch e’nmal so machen, Ollrich»? Ich versetzte lachend: Wenn er mir so was zutraue, soll er mich lieber fortjagen. Ich hatte aber wirklich sein Vertrauen so sehr gewonnen, daß er mir den ganzen Winter durch die Schlüssel zu seiner Stube und Kammer ließ, wenn er etwa ohne Bedienten kleine Tours machte. Hinwieder ehrte und liebte ich ihn wie einen Vater. Aber er war auch freundlich und gütig darnach. Nur zu viel konnt’ ich spatziren und müßig gehn; und fuhr ich, besonders im Herbst, oft über Rhein auf Feurthalen (denn die alte Brücke war kurz vorher eingefallen, und die neue mit H. Grubenmann in unserm Gasthof accordirt worden) in die Weinlese. Dort half ich dem jungen Volk Trauben – essen, bis ans Halszäpflin. Einmal bey einer solchen Ueberfahrt, sagte mir jemand: «Nun, wie geht’s Ulrich? Weißt du auch, daß dein Herr ein Preußischer Offizier ist»? Ich. «Ja! meinetwegen, er ist ein herzguter Herr». «Ja, ja»! sagte jener: «Wart’ nur, bis d’enmal in Preussen bist; da mußt Soldat seyn, und dir den Buckel braun und blau gerben lassen. Um tausend Thaler möcht’ ich nicht in deiner Haut stecken». Ich sah dem Burschen starr ins Gesicht, und dachte bloß, der Kerl rede so aus Bosheit oder Neid; gieng dann geschwind nach Hause, und erzählte meinem Herrn alles harklein, worauf derselbe versetzte: «Ollrich, Ollrich! Du mußt nicht so einem jeden Narrn und Flegel dein Ohr geben. Ja! es ist wahr, ein Preußischer Offizier bin ich – und was ist’s denn? – von Geburth ein Pohlnischer Edelmann; und, damit ich dir alles auf die Nase binde, heiß ich’ Johann Markoni. Bisher nanntest du mich Herr Lieutenant! Aber eben dieser Grobiane wegen, sollst du mich könftig ihr Gnaden! schelten, Uebrigens sey nur getrost und guten Muths, dir soll’s, bey Edelmanns Parole! nie fehlen, wenn du anderst ein wackrer Bursche bleibst. Soldat solltest werden? Nein! bey meiner Seel’ nicht! Ich konnt’ dich ja haben; um ein Paar schlichtige Louisd’or wollten deine beyden saubern Landsleuth’ dich verkaufen. Aber du warst mir dazu etwas zu kurz; von deiner Länge nimmt man noch keinen an, und ich behielt dir was besseres vor». Nun, dacht’ ich, bin ich Leibs und Guts sicher – Ha! der gute Herr! – Er hätt mich können haben – Die Schurken! – Ja wohl, mich verkaufen? – Der Henker lohn’s ihnen! – Aber komm’ mir mehr so einer, ich will ihm das Maul mit Erde stopfen. Ja wohl! – Was für ein vornehmer Herr muß nicht Markoni seyn, und dabey so gut! Kurz, ich glaubte von nun an ihm alles, wie ein Evangelium.

LX.
Heurathsgedanken. (1758.)

Inhaltsverzeichnis

Schon im vorigen Jahre gerieth ich bey meinem Herumpatrouilliren hie und da an eine sogenannte Schöne; und es gab deren nicht wenig die mir herzlich gut waren, aber meist ohne Vermögen. Ich nichts, Sie nichts, dacht’ ich dann, ist doch auch zu wenig; denn so unbedachtsam war ich doch nicht mehr, wie im zwanzigsten. Auch sprach der Vater immer zu uns: «Buben! seyt doch nicht so wohlfeil. Seht Euch wohl für. Ich will’s Euch zwar nicht wehren; aber werft den Bengel nur ein Bißlin hoch, er fällt schon von selbst wieder tief; in diesem Punkt darf sich einer alleweil was rechtes einbilden». Nun, das war schön und gut; aber es muß einer denn doch durch wo’s ihm geschaufelt ist. Gleichwohl dacht’ ich etwas zu erhaschen, und glaubte mich eigentlich zum Ehestand bestimmt, sonst wär’ ich um diese Zeit sicher in die weite Welt gegangen. Inzwischen war, aller meiner obenbelobten Bedächtlichkeit ungeachtet, der Geitz wirklich nicht meine Sache. Ein Mädchen, ganz nach meinem Herzen, hätt’ ich nackend genommen. Aber da leuchtete mir eben keine vollkommen recht ein, wie weiland mein Aennchen. Mit einem gewissen Lisgen von K. war ich ein Paarmal auf dem Sprung. Erst machte das Ding Bedenklichkeiten; nachwerts bot es sich selber an. Aber meine Neigung zu ihr war zu schwach; und doch glaub’ ich nicht, daß ich unglücklich mit ihr gefahren wäre. Aber zu stockig, ist zu stockig. Bald darauf kam ich fast ohne mein Wissen und Willen mit der Tochter einer catholischen Witwe in einen Handel, welcher ziemliches Aufsehen machte, obschon ich nur ein Paarmal mit ihr spaziren gegangen, ein Glas Wein mit ihr getrunken, u. d. gl. alles ohne sonderliche Absicht, und vornehmlich ohne sonderliche Liebe. Aber da blies man meinem Vater ein, ich wolle catholisch, und Marianchens Mutter, sie wolle reformirt werden; und doch hatte keins von uns nur nicht an den Glauben, geschweige an eine Aenderung desselben gedacht. Das arme Ding kam wirklich darüber in eine Art geheimer Inquisition von Geist-und Weltlichen; erzählte mir dann alles haarklein, und ihr ward himmelangst. Ich hingegen lachte im Herzen des dummen Lerms; um so viel mehr da mein Vater solider zu Werk gieng, mich zwar freundernstlich examinierte, aber mir dann auch auf mein Wort glaubte, da ich ihm sagte, daß ich so steif und fest auf meinem Bekenntniß leben und sterben wollte als Lutherus, oder unsre Landskraft, Zwinglin. Inzwischen wurde die Sach doch auf Marianchens Seite ernsthafter als ich glaubte. Das gute Kind ward so vernarrt in mich wie ein Kätzgen, und befeuchtete mich oft mit seinen Thränen. Ich glaube, das Närrchen wär’ mit mir ans End der Welt gelaufen; und wenn ihm schon sein mütterlicher Glaube sehr ans Herz gewachsen war, meint’ ich doch fast, ich hätt’ in der Waagschal’ überwogen. Auch setzte mir itzt das Mitleid fast mehr zu, als je zuvor die Liebe. Und doch mußt’ ich, wenn ich alles und alles überdachte, durchaus allmählich abbrechen; und that es wirklich. Hier falle eine mitleidige Thräne auf das Grab dieses armen Töchtergens! Es zehrte sich nach und nach ab, und starb nach wenig Monathen im Frühling seines zarten Lebens. Gott verzeihe mir meine grosse schwere Sünde, wenn ich je an diesem Tod einige Schuld trug. Und wie sollt’ ich mir dieß verbergen wollen?

LXXXI.
Glücksumstände und Wohnort.

Inhaltsverzeichnis

Nur Weniges bleibt mir noch übrig, und dann wird’s genug seyn. Ein Häuschen und ein Gärtchen ist mein ganzes Vermögen. Eine Frau und vier Kinder, also sechs Mäuler und ein Dutzend Hände machen meinen Haushalt aus. Aber das gesunde Speisen der erstern (Kleider und anderes miteingezählt) zerrt das Produkt einer noch so muntern Arbeit der letztern beynahe völlig auf. Meinen Baumwollengewerb hab’ ich schon beschrieben. Dieser ist wie ein Vogel auf dem Zweig, und wie das Wetter im Aprill. Wer sein ganzes Studium darauf wendet, und zumal die rechte Zeit abzupassen weiß, kann noch sein Glück damit machen. Aber dieß Talent in gehörigem Maasse hatt’ ich nie, war immer ein Stümper, und werd’ es ewig bleiben. Und doch hab’ ich diese Art Handel und Wandel (die von vielen sonst einsichtsvollen Männern, welchen aber nur seine schlimme Seite auffällt, wie’s mir scheint, so unschuldig verlästert wird) gleichsam von Jahr zu Jahr lieber gewonnen. Warum? Ich denke natürlich: Weil derselbe das Mittel war, durch welches mich die gütige Vorsehung, ohne mein sonderliches Zuthun, aus meiner drückenden Lage wenigstens in eine sehr leidliche emporhub. Freylich wär’ ich, ohne die Rolle eines Handelsmanns zu spielen, vielleicht auch niemals so tief in jene hineingerathen? – Doch, wer weiß? Es wäre wohl gleich viel gewesen, mit welchem Berufe ich mich – läßig, unvorsichtig und ungeschickt beschäftigt hätte. Und heißt’s, denk’ ich, auch hier: Der Hund, der ihn biß, leckt’ ihn wieder, bis er heil war. Genug, itzt liegen mir meine kleinen Geschäfte wirklich am Herzen, ich nehme mich ihrer mit allem mir möglichen Fleiß an, und denke auch meinen Sohn darinn fortfahren zu lassen, wenn er anders Lust dazu hat, und meinen Unterricht, so weit dieser reichet, annehmen will – der alles leitende Himmel ordne denn etwas anders und besseres für ihn, oder dieser Gewerb komme ganz in Verfall. Derselbe hat mich fünfzigjährigen Mann, itzt dreyssig Jahre beschäftigt. In der ersten göldenen Zeit hätt’ er mir die besten Dienste gethan, wenn ich ihn verstanden, oder vielmehr ihn zu verstehen nur den rechten Willen gehabt. Auch Dato würd’ ich ihn an keine andre Profession vertauschen, obwohl manche ihren Mann, wo nicht reicher doch sicherer nährt. Meine Ausgaben bemüh’ ich mich einzuschränken. Meine Kinder haben’s so, daß sie’s besser und schlimmer auch annehmen könnten. In den Kleidern muß ich’s freylich andern gleich halten; doch laß’ ich sie keinen übermäßigen Aufwand machen. Sonst aber gestatt’ ich ihnen, vielleicht nur gar zu gern, alles erlaubte Vergnügen, versage ihnen keine öffentliche Lustbarkeiten, gewöhnliche Trinktage, u. s. f. und habe wohl gar schon selber mit ihnen kleine, nicht wenig kostbare Reischen gemacht. Aber dann säh’ ich auch herzlich gern, daß sie wacker die Hände brauchten, und auch einmal so viel Verstand bekämen, daß sie lernten, meinen und ihren Nutzen zu födern. Sonst ist, wie gesagt, ihr Vergnügen auch mein Vergnügen; und nichts kränkt mich mehr als ihre Unzufriedenheit. Auch ausser meinem Hause, und bey andern Menschen, geht es mir eben so: Ich kann keine traurige Miene sehn, und erkaufe die frohen oft aus meinem eigenen Beutel. Wenn ich schon tausend Vorsätze fasse, eigentlich ökonomisch zu handeln, geht’s doch immer den alten Schlendrian – und wird weiter so gehn. Ihr seht also, meine Lieben! daß Schätze sammeln meiner ganzen Natur zuwider ist; und glaube auch nicht, daß es euch viel Nutzen brächte. Aber das ist euch nutz und gut, wenn ihr schon frühe lernt, euer bescheidenes Brodt in der Ehre der Unabhängigkeit zu erwerben. Wenn mir Gott Leben und Gesundheit fristet, werd’ ich dann schon trachten, jedes so zu versorgen, wie es nach meinen Umständen möglich ist. Einem von euch wird mein artiges Häuschen zu Theil werden, dessen Lage mir itzt noch zu beschreiben übrig bleibt.

Mein Vaterland ist zwar kein Schlauraffenland, kein glückliches Arabien, und kein reitzendes Pays de Vaud. Es ist das Tockenburg, dessen Einwohner von jeher als unruhige und ungeschliffene Leuthe verschrieen waren. Wer ihnen hierinn Unrecht thut, mag’s verantworten; ich müßte bey der Behauptung des Gegentheils immer partheyisch scheinen. So viel aber darf ich doch sagen: Aller Orten, so weit ich gekommen bin, hab’ ich eben so grobe, wo nicht viel gröbere – eben so dumme, wo nicht viel dümmere Leuth’ angetroffen. Doch wie gesagt, es gehört nicht in meinen Plan, und schickt sich nicht für mich, meine Landleuthe zu schildern. Genug, sie sind mir lieb, und mein Vaterland nicht minder – so gut als irgend einem in der Welt das seinige, und wenn er in einem Paradiese lebte. – Unser Tockenburg ist ein anmuthiges, 12. Stunden langes Thal, mit vielen Nebenthälchen und fruchtbaren Bergen umschlossen. Das Hauptthal zieht sich in einer Krümmung von Südost nach Nordost hinab. Gerade in der Mitte desselben, auf einer Anhöhe, steht – mein Edelsitz, am Fuß eines Berges, von dessen Spitze man eine trefliche Aussicht beynahe über das ganze Land genießt, die mir schon so manchmal das entzückendste Vergnügen gewährte: Bald in das mit Dörfern reich besetzte Thal hinab; bald auf die mit den fettesten Waiden und Gehölze bekleideten, und abermals mit zahllosen Häusern übersäete Anhöhen zu beyden Seiten, über welche sich noch die Gipfel der Alpen hoch in die Wolken erheben; dann wieder hinunter auf die durch viele Krümmungen sich mitten durch unser Hauptthal schlängelnde Thur, deren Dämme und mit Erlen und Weiden bepflanzten Ufer die angenehmsten Spatziergänge bilden. Mein hölzernes Häuschen liegt gerade da, wo das Gelände am allerlieblichsten ist; und besteht aus 1. Stube, 3. Kammern, Küche und Keller – Potz Tausend die Nebenstube hätt’ ich bald vergessen! – einem Geißställchen, Holzschopf, und dann rings um’s Häuschen ein Gärtchen, mit etlichen kleinen Bäumen besetzt, und mit einem Dornhag dapfer umzäunt. Aus meinem Fenster hör’ ich von drey bis vier Orten her läuten und schlagen. Kaum etliche Schritte vor meiner Thüre liegt ein meinem Nachbar zudienender artiger beschatteter Rasenplatz. Von da seh’ ich senkrecht in die Thur hinab – auf die Bleicken hinüber – auf das schöne Dorf Wattweil – auf das Städtgen Lichtensteig – und hinwieder durch’s Thal hinauf. Hinter meinem Haus rinnt ein Bach herab, der Thur zu, der aus einem romantischen Tobel kömmt, wo er über Steinschrofen daherrauscht. Sein jenseitiges Ufer ist ein sonnenreiches Wäldchen, mit einer hohen Felswand begränzt. In dieser nisten alle Jahr’ etliche Sperber und Habichte in einer unzugänglichen Höhle. Diese, und dann noch ein gewisser Berg, der mir um die Tag und Nacht Gleiche die liebe Sonne des Morgens eine Stunde zu lang aufhält, sind mir unter allem, was zu dieser meiner Lage gehört, allein widerlich. Beyde würd’ ich gern verkaufen, oder gar verschenken. Die vertrackten Sperber zumal plagen nicht nur von Mitte Aprill bis späth in den Herbst mit ihrem Zettergeschrey meine Ohren, sondern – was noch weit ärger ist – verjagen mir die lieben Singvögelchen, daß bald kein einziges mehr in der Gegend sich einzunisten wagt. Meine Nachbarn sind recht gute ehrliche Leuthe, die ich aufrichtig schätze und liebe. Freylich läuft bisweilen auch ein andrer mitunter, wie überall. Innige Freunde, mit denen man Gedanken wechseln und Herzen tauschen kann, hab’ ich in der Nähe keine. Dieß ersetzen mir meine platonischen Geliebten in meinem Stübchen. Im Frühlinge liegt mir der Schnee auch ein Bißchen zu lang in meinem Gärtchen. Aber ich fange einen Krieg mit ihm an, zerfetze ihn zu kleinen Stücken, und werfe ihm Asche und Koth auf die Nase; dann verkriecht er sich in die Erde, so daß ich noch mit den Frühesten gärtnen kann. Und überhaupt macht mir dieß kleine Grundstück viel Vergnügen. Zwar ist die Erde ziemlich grob und ungeschlacht, obgleich ich sie schon an die fünf und zwanzig Jahre bearbeitet habe: Dem ungeachtet giebt das Ding Kraut, Kohl, Erbsen, und was ich immer auf meinen Tisch brauche, zur Genüge; mitunter auch Bluhmwerk, und Rosen die Fülle. Kurz, es freut mich so wohl als manchen Fürsten alle seine Babylonische Gärten. – Sag’ also, Bube! ist unser Wohnort nicht so angenehm, als je einer in der Welt? Einsam, und doch so nahe bey den Leuthen; mitten im Thal, und doch ein wenig erhöht. Oder geh’ mir einmal im Maymond auf jenen Rasenhügel vor unserer Hütte. Schau durch’s buntgeschmückte Thal hinauf; sieh’, wie die Thur sich mitten durch die schönsten Auen schlängelt; wie sie ihre noch trüben Schneewasser gerade unter deinen Füssen fortwälzt. Sieh’, wie an ihren beyden Ufern unzählige Kühe mit geschwollnen Eutern im Gras waden. Höre das Jubelgetön von den grossen und kleinen Buschsängern. Ein Weg geht zwar an unsern Fenstern vorbey; aber der ist noch nichts. Sieh’ erst jenseits der Thur jene Landstrasse mitten durch’s Thal, die nie lär ist. Sieh’ jene Reihe Häuser, welche Lichtensteig und Wattweil wie zusammenketten. Da hast du einigermaassen, was man in Städten und auf dem Lande nur haben kann. Ha! (sagst du vielleicht) Aber diese Matten und Kühe sind nicht unser! – Närrchen! freylich sind sie – und die ganze Welt ist unser. Oder wer wehrt dir, sie anzusehn, und Lust und Freud’ an ihnen zu haben? Butter und Milch bekomm’ ich ja von dem Vieh, das darauf weidet, so viel mir gelüstet; also haben ihre Eigenthümer nur die Mühe zum Vortheil. Was braucht’ es, jene Alpen mein zu heissen? Oder jene zierlich prangenden Obstbäume? Bringt man uns ja ihre schönsten Früchte in’s Haus! Oder jenen grossen Garten? Riechen wir ja seine Blumen von weitem! Und selbst unser eigener kleiner; wächst nicht alles darinn, was wir hinein setzen, pflegen und warten? – Also, lieber Junge! wünsch’ ich dir, daß du bey all’ diesen Gegenständen nur das empfinden möchtest, was ich dabey schon empfunden habe, und noch täglich empfinde; daß du mit eben dieser Wonne und Wollust den Höchstgütigen in allem findest und fühlest, wie ich ihn fand und fühlte – so nahe bey mir – rings um mich her, und – in mir; wie er dieß mein Herz aufschloß, das er so weich und so fühlend schuf. Lieber, lieber Knabe! Beschreiben kann ich’s nicht. Aber mir war schon oft, ich sey verzückt, wenn ich all’ diese Herrlichkeit überschaute, und so, in Gedanken vertieft, den Vollmond über mir, dieser Wiese entlang hin und hergieng; oder an einem schönen Sommerabend dort jenen Hügel bestieg – die Sonne sinken – die Schatten steigen sah – mein Häusgen schon in blauer Dämmerung stand, die schwirrenden Weste mich umsäuselten – die Vögel ihr sanftes Abendlied anhuben. Wenn ich dann vollends bedachte: «Und dieß alles vor dich, armer, schuldiger Mann»? – Und eine göttliche Stimme mir zu antworten schien: «Sohn! dir sind deine Sünden vergeben». O! wie da mein Herz in süsser Wehmuth zerschmolz – wie ich dem Strohm meiner Freudenthränen freyen Lauf ließ, und alles rings um mich her – Himmel und Erde hätte umarmen mögen – und noch selige Träume der folgenden Nacht mein gestriges Glück wiederholten.

Seht, meine Lieben! Das ist meine Geschichte bis auf den heutigen Tag. Könftig, so der Herr will und ich lebe, ein Mehrers. Es ist ein Wirrwarr – aber eben meine Geschichte.

Gott verzieh’ mir’s, wo ich, selbst ohne mein Wissen, irgend ein unwahres Wort schrieb! –

Jesu Blut tilge meine Schulden, die ich verhehlte, und die ich gestuhnd!

Beßter Vater im Himmel! Dir, und dir allein, sey der Rest meiner Tage geweiht!

Vorrede des Verfassers.

Inhaltsverzeichnis

Obschon ich die Vorreden sonst hasse, muß ich doch ein Wörtchen zum voraus sagen, ehe ich diese Blätter, weiß noch selbst nicht mit was vor Zeug überschmiere. Was mich dazu bewogen? Eitelkeit? – Freylich! – Einmal ist die Schreibsucht da. Ich möchte aus meinen Papieren, von denen ich viele mit Eckel ansehe, einen Auszug machen. Ich möchte meine Lebenstage durchwandern, und das Merkwürdigste in dieser Erzählung aufbehalten. Ist’s Hochmuth, Eigenliebe? Freylich! Und doch müßt’ ich mich sehr mißkennen, wenn ich nicht auch andere Gründe hätte. Erstlich das Lob meines guten Gottes, meines liebreichen Schöpfers, meines besten Vaters, dessen Kind und Geschöpf ich eben so wohl bin als Salomon und Alexander. Zweytens meiner Kinder wegen. Ich hätte schon oft weiß nicht was darum gegeben, wenn ich so eine Historie meines sel. Vaters, eine Geschichte seines Herzens und seines Lebens gehabt hätte. Nun, vielleicht kann’s meinen Kindern auch so gehen, und dieses Büchlein ihnen so viel nutzen, als wenn ich die wenige daran verwandte Zeit mit meiner gewohnten Arbeit zugebracht hätte. Und wenn auch nicht, so macht’s doch mir eine unschuldige Freude, und ausserordentliche Lust, so wieder einmal mein Leben zu durchgehen. Nicht daß ich denke, daß mein Schicksal für andre etwas seltenes und wunderbares enthalte, oder ich gar ein besondrer Liebling des Himmels sey. Doch wenn ich auch das glaubte – wär’s Sünde? Ich denke wieder Nein! Mir ist freylich meine Geschichte sonderbar genug; und vortrefflich zufrieden bin ich, wie mich die ewig weise Vorsehung bis auf diese Stunde zu leiten für gut fand. Mit welcher Wonne kehr’ ich besonders in die Tage meiner Jugend zurück, und betrachte jeden Schritt, den ich damals und seither in der Welt gethan. Freylich, wo ich stolperte – bey meinen mannigfachen Vergehungen – o da schauert’s mir – und vielleicht nur allzugeschwind werd’ ich über diese wegeilen. Doch, wem wurd’s frommen, wenn ich alle meine Schulden herzählen wollte – da ich hoffe, mein barmherziger Vater und mein göttlicher Erlöser haben sie, meiner ernstlichen Reue wegen, huldreich durchgestrichen. O mein Herz brennt schon zum Voraus in inniger Anbetung, wenn ich mich gewisser Standpunkte erinnere, wo ich vormals die Hand von oben nicht sah, die ich nachwärts so deutlich erkannte und fühlte. Nun, Kinder! Freunde! Geliebte! Prüfet alles, und das Gute behaltet.

I.
Meine Voreltern.

Inhaltsverzeichnis

Dererwegen bin ich so unwissend als es Wenige seyn mögen. Daß ich Vater und Mutter gehabt, das weiß ich. Meinen sel. Vater kannt’ ich viele Jahre, und meine Mutter lebt noch. Daß diese auch ihre Eltern gehabt, kann ich mir einbilden. Aber ich kannte sie nicht, und habe auch nichts von ihnen vernommen, ausser daß mein Großvater M. B. aus dem Käbisboden geheissen, und meine Großmutter (deren Namen und Heimath ich niemals vernommen) an meines Vaters Geburt gestorben; daher ihn denn ein kinderloser Vetter J. W. im Näbis, der Gemeind Wattweil, an Kindesstatt angenommen; den ich darum auch nebst seiner Frau für meine rechten Großeltern hielt und liebte, so wie sie mich hinwieder als ein Großkind behandelten. Meine müterlichen Großeltern hingegen kannt ich noch wohl; es war U. Z. und E. W. ab der Laad.

Mein Vater war sein Tage ein armer Mann; auch meine ganze Freundschaft hatte keinen reichen Mann aufzuweisen. Unser Geschlecht gehört zu dem Stipendigut. Wenn ich oder meine Nachkommen einen Sohn wollten studiren lassen, so hätte er 600. Gl. zu beziehen. Erst vorm Jahr war mein Vetter, E. B. von Kapel, Stipendi-Pfleger. Ich weiß aber noch von keinem B. der studiert hätte. Mein Vater hat viele Jahre das Hofjüngergeld bekommen; ist aber bey einer vorgenommenen Reformation, nebst andern Geschlechtern, welche, wie das seinige, nicht genugsame Urkunden darbringen mochten, ausgemerzt worden. Mit der Genossami des Stipendii hingegen hat es seine Richtigkeit, obschon ich auch nicht recht weiß, wie es gestiftet worden, wer von meinen Voreltern dazu geholfen hat, u. s. f.

Ihr seht also, meine Kinder, daß wir nicht Ursache haben, ahnenstolz zu seyn. Alle unsre Freunde und Blutsverwandte sind unbemittelte Leuthe, und von allen unsern Vorfahren hab’ ich nie nichts anders gehört. Fast von keinem, der das geringste Aemtli bekleidete. Meines Großvaters Bruder war Mesmer zu Kapel, und sein Sohn Stipendipfleger. Das ist’s alles aus der ganzen weitläuftigen Verwandschaft. Da können wir ja wohl vor dem Hochmuth gesichert seyn, der so viele arme Narren anwandelt, wenn sie reiche und angesehene Vettern haben, obgleich ihnen diese keinen Pfifferling geben. Nein! Von uns B. quält, Gott Lob! diese Sucht, so viel ich weiß keinen einzigen; und ihr seht, meine Kinder! daß sie auch mich nicht plagt – sonst hätt’ ich wenigstens unserm Stammbaum genauer nachgeforscht. Ich weiß, daß mein Großvater und desselben Vater arme Leuthe waren, die sich kümmerlich nähren mußten; daß mein Vater keinen Pfenning erbte; daß ihn die Noth sein Lebenlang drückte, und er nicht selten über seinen kleinen Schuldenlast seufzte. Aber deswegen schäm’ ich mich meiner Eltern und Voreltern bey weitem nicht. Vielmehr bin ich noch eher ein Bischen stolz auf sie. Denn, ihrer Armuth ungeachtet, hab’ ich von keinem Dieb, oder sonst einem Verbrecher den die Justitz hätte straffen müssen, von keinem Lasterbuben, Schwelger, Flucher, Verleumder u. s. f. unter ihnen gehört; von keinem, den man nicht als einen braven Biedermann mußte gelten lassen; der sich nicht ehrlich und redlich in der Welt nährte; von keinem der betteln gieng. Dagegen kannt’ ich wirklich recht manchen wackern, frommen Mann, mit zartem Gewissen. Das ist’s allein, worauf ich stolz bin, und wünsche, daß auch Ihr stolz darauf werdet, meine Kinder! daß wir diesen Ruhm nicht besudeln, sondern denselben fortzupflanzen suchen. Und eben das möcht’ ich Euch recht oft zu Gemüthe führen, in dieser meiner Lebensgeschichte.

II.
Mein Geburthstag. (22. Dezembr. 1735.)

Inhaltsverzeichnis

Für mich ein wichtiger Tag. Ich sey ein Bischen zu früh auf der Welt erschienen, sagte man mir. Meine Eltern mußten sich dafür verantworten. – Mag seyn, daß ich mich schon in Mutterleibe nach dem Tageslichte gesehnt habe – und dieß nach dem Licht sehnen geht mir wohl all mein Tage nach! Daneben war ich die erste Kraft meines Vaters – und Dank sey ihm unter der Erde, von mir auch dafür gesagt! Er war ein hitziger Mann, voll warmen Blutes. O ich habe schon tausendmal drüber nachgedacht, und mir bisweilen einen andern Ursprung gewünscht, wenn flammende Leidenschaften in meinem Busen tobten, und ich den heftigsten Kampf mit ihnen bestehen mußte. Aber, sobald Sturm und Wetter vorbey war, dankt’ ich ihm doch wieder, daß er mir sein feuriges Temperament mitgetheilt hat, womit ich unzählige schuldlose Freuden lebhafter als so viele andere Leuthe gemessen kann. Genug, an diesem 22. Dez. kam ich ans Tageslicht. Mein Vater sagte mir oft: Er habe sich gar nicht über mich gefreut: Ich sey ein armes elendes Geschöpf gewesen; nichts als kleine Beinerchen, mit einem verschrumpften Häutgen überzogen; Und doch hätt’ ich Tag und Nacht ein gräßliches Zettergeschrey erhoben, das man bis ins Holz hören konnte, u.s.f. Er hat mich oft recht bös damit gemacht. Dachte: Ha, ich werd’s auch gemacht haben, wie andre neugeborne Kinder! Aber die Muter gab ihm allemal Beyfall. Nun, es kann seyn.

Am H. Weihnachtstag ward ich getauft, in Wattweil; und ich freute mich schon oft, daß es gerad an diesem Tage geschah, da wir die Geburt unsers Hochgelobten Erlösers feyern. Und wenn’s eine einfältige Freude ist, was macht’s – giebt’s doch gewiß noch viel kindischre? H. G. H. von Kapel aus der Au, und A. M. M. aus der Schamatten, waren meine Taufpathen; Er ein feuriger reicher Junggesell, Sie eine bemittelte hübsche Jungfer. Er starb ledig; sie lebt noch im Wittwenstand.

In meinen ersten Lebensjahren mag ich wohl ein wenig verzärtelt worden seyn, wie’s gewöhnlich mit allen ersten Kindern geht. Doch wollte mein Vater schon frühe genug mit der Ruthe auf mich dar; aber die Mutter und Großmutter nahmen mich in Schutz. Mein Vater war wenig daheim; er brennte hie und da im Land und an benachbarten Orten Salpeter. Wenn er dann wieder nach Hause kam, war er mir fremd. Ich floh ihn. Dies verdroß den guten Mann so sehr, daß er mich mit der Ruthe zahm machen wollte. (Diese Thorheit begehen viele neuangehende Väter, und fordern nämlich von ihren ersten Kindern aus pur lauter Liebe, daß sie eine eben so zärtliche Neigung gegen sie wie gegen ihre Mütter zeigen sollten. Und so hab’ ich auch bey mir und viel andern Vätern wahrgenommen, daß sie ihre Erstgeborenen unter einer ungereimt scharfen Zucht halten, die dann bis zu den letzten Kindern nach und nach völlig erkaltet.)

III.
Mein fernstes Denken. (1738.)

Inhaltsverzeichnis

Gewiß kann ich mich so weit hinab – oder hinauf – wo nicht gar bis auf mein zweytes Lebensjahr zurückerinnern. Ganz deutlich besinn’ ich mich, wie ich auf allen Vieren einen steinigten Fußweg hinabkroch, und einer alten Baase durch Gebehrden Aepfel abbetelte. – Ich weiß gewiß, daß ich wenig Schlaf hatte – daß meine Muter, um hinter den Großeltern einen geheimen Pfenning zu verdienen, des Nachts verstohlner Weise beym Licht gesponnen – daß ich dann nicht in der Kammer allein bleiben wollte, und sie darum eine Schürze auf den Boden spreiten mußte, mich nackt darauf setzte, und ich mit dem Schatten und ihrer Spindel spielte. – Ich weiß, daß sie mich oft durch die Wiese auf dem Arm dem Vater entgegentrug; und daß ich dann ein Mordiogeschrey anfieng, sobald ich ihn erblickte, weil er mich immer rauh anfuhr, wenn ich nicht zu ihm wollte. Seine Figur und Geberden die er dann machte, seh’ ich jetzt noch wie lebendig vor mir.

IV.
Zeitumstände.

Inhaltsverzeichnis

Um diese Zeit waren alle Lebensmittel wohlfeil; aber wenig Verdienst im Lande. Die Theurung und der Zwölferkrieg waren noch in frischem Angedenken. Ich hörte meine Mutter viel davon erzählen, das mich zittern und beben machte. Erst zu End der Dreyßigerjahre ward das Baumwollenspinnen in unserm Dorf eingeführt; und meine Muter mag eine von den ersten gewesen seyn, die Löthligarn gesponnen. (Unser Nachbar, A. F. trug das erste um einen Schilling Lohn an den Zürchsee, bis er eine eigne Dublone vermochte. Dann fieng er selber an zu kaufen, und verdiente nach und nach etlich tausend Gulden. Da hörte er auf, setzte sich zur Ruhe, und starb.) In meinen Kinderjahren sind auch die ersten Erdapfel in unserm Ort gepflanzt worden.

V.
Schon in Gefahr. (1739.)

Inhaltsverzeichnis

Sobald ich die ersten Hosen trug, war ich meinem Vater schon lieber. Er nahm mich hie und da mit sich. Im Herbst d. J. brannte er im Gandten, eine halbe Stunde von Näbis entfernt, Salpeter. Eines Tags nahm er mich mit sich; und, da Wind und Wetter einfiel, behielt er mich zu Nacht bey sich. Die Salpeterhütte war vor dem Tenn, und sein Bett im Tenn. Er legte mich darein und sagte liebkosend, er wolle bald auch zu mir liegen. Unterdessen fuhr er fort zu feuern, und ich schlief ein. Nach einem Weilchen erwacht’ ich wieder, und rief ihm – Keine Antwort. – Ich stund auf, trippelte im Hemdli nach der Hütte und um den Gaden überall herum, rief – schrie! Nirgends kein Vater. Nun glaubt ich gewiß, er wäre heim zu der Mutter gegangen. Ich also hurtig, legte die Höslin an, nahm das Brusttüchlin übern Kopf, und rannte in der stockfinstern Regennacht zuerst über die nächstanstossende lange Wiese. Am End derselben rauschte ein wildangelaufener Bach durch ein Tobel. Den Stäg konnt’ ich nicht finden, und wollte darum ohne weiters und gerade hinüber, dem Näbis zu; glitschte aber über eine Riese zum Bach hinab, wo mich das Wasser beynahe ergriffen hätte. Die äusserste Anstrengung meiner jugendlichen Kräfte half mir noch glücklich davon. Ich kroch wieder auf allen Vieren durch Stauden und Dörn’ hinauf der Wiese zu, auf welcher ich überall herumirrte, und den Gaden nicht mehr finden konnte – als ich gegen einer Windhelle zwey Kerls – Birn-oder Aepfeldiebe – auf einem Baum ansichtig ward. Diesen ruft ich zu, sie sollten mir doch auf den Weg helfen. Aber da war kein Bescheid; vielleicht daß sie mich für ein Ungeheuer hielten, und oben im Gipfel noch ärger zittern mochten, als ich armer Bube unten im Koth. – Inzwischen war mein Vater, der während meinem Schlummer nach einem ziemlich entfernten Haus gieng, etwas zu holen, wieder zurückgekehrt. Da er mich vermißte, suchte er in aller Winkeln nach, wo ich mich etwa mögte verkrochen haben; zündete bis in die siedenden Kessel hinein, und hörte endlich mein Geschrey, dem er nachgieng, und mich nun bald ausfindig machte. O, wie er mich da herzte und küßte, Freudenthränen weinte und Gott dankte, und mich, sobald wir zum Gaden zurückkamen, sauber und trocken machte – denn ich war mausnaß, dreckigt bis über die Ohren, und hatte aus Angst noch in die Hosen… Morndeß am Morgen führte er mich an der Hand durch die Wiese: ich sollt ihm auch den Ort zeigen, wo ich heruntergepurzelt. Ich konnt’ ihn nicht finden: Zuletzt fand Er ihn an dem Geschlirpe, das ich beym Hinabrutschen gemacht; schlug dann die Händ’ überm Kopf zusamen, vor Entsetzen über die Gefahren worinn ich geschwebt, und vor Lob und Preis über die Wunderhand Gottes, die mich allein erretten konnte: «Siehst du,» sprach er, «nur noch wenige Schritte, so stürzt der Bach über den Felsen hinab. Hätt’ dich das Wasser fassen können, so lägst du dort unten todt und zermürset!» Von allem diesem begriff ich damals kein Wort; ich wußte nur von meiner Angst, nichts von Gefahr. Besonders aber schwebten die Kerle auf dem Baum mir viele Jahre vor Augen, sobald mich nur ein Wort an die Geschichte erinnerte.

Gott! Wie viele tausend Kinder kämen auf eine elende Art ums Leben, wenn nicht deine schätzenden Engel über sie wachten. Und, o wie gut hat auch der meinige über mich gewacht. Lob und Preis sey dir dafür noch heute von mir gebracht, und in alle Ewigkeit!

VI.
Unsre Nachbauern im Näbis.

Inhaltsverzeichnis

Der Näbis liegt im Berg, ob Scheftenau. Von Kapel hört man die Glocke läuten und schlagen. Es sind nur zwey Häuser. Die aufgehnde Sonne strahlt beyden gerad in die Fenster. Meine Großmutter und die Frau im andern Haus waren zwo Schwestern; fromme alte Mütterle, welche von andern gottseligen Weibern in der Nachbarschaft fleißig besucht wurden. Damals gab es viel fromme Leuthe daherum. Mein Vater, Großvater, und andre Männer, sahen’s zwar ungern; durften aber nichts sagen, aus Furcht sie könnten sich versündigen. Der Bätbeele war ihr Lehrer (seinem Bruder sagte man Schweerbeele), ein grosser langer Mann, der sich nur vom Kuderspinnen und etwas Allmosen nährte. In Scheftenau war fast in jedem Haus eins, das ihm anhieng. Meine Großmutter nahm mich oft mit zu diesen Zusammenkünften. Was eigentlich da verhandelt wurde, weiß ich nicht mehr; nur so viel, daß mir dabey die Weil verzweifelt lang war. Ich mußte mäuslinstill sitzen, oder gar knieen. Dann gab’s unaufhörliche Ermahnungen und Bestrafungen von den Baasen allen, die ich so wenig verstuhnd als eine Katze. Dann und wann aber stahl mich mein Großvater zum voraus weg, und mußt’ ich mit ihm in den Berg, wo unsre Kühe waideten. Da zeigte er mir allerley Vögel, Käfer und Würmchen, dieweil er die Matten säuberte, oder junge Tännchen, den wilden Seevi, u.s.f. ausraufte. Wenn er dann alles an einen Haufen warf, und’s bey einbrechendem Abend anzündete, da war’s mir erst recht gekocht. Anderer Buben, die etwa dabey seyn mochten, erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber etlicher halberwachsener Meidlinen, die mit mir spielten. Ich gieng damals in mein sechstes Jahr; hatte schon zwey Brüder und eine Schwester, von denen es hieß, daß eine alte Frau sie in einer Butte gebracht.

VII.
Wanderung in das Dreyschlatt. (1741.)

Inhaltsverzeichnis

Mein Vater hatte einen Wanderungsgeist, der zum Theil auch auf mich gekommen ist. In diesem Jahr kaufte er ein groß Gut (für 8. Kühe Sömmer-und Winterung), Dreyschlatt genannt, in der Gemeind Krynau, zu hinderst in einer Wildniß, nahe an den Alpen. Das nicht halb so grosse Gütchen im Näbis hingegen verkaufte er dafür: Weil er (wie er sagte) sah, daß ihn eine grosse Haushaltung anfallen wolle; damit er für viele Kinder Platz und Arbeit genug hätte; auch daß er sie in dieser Einöde nach seinem Willen erziehen könnte, wo sie vor der Verführung der Welt sicher wären. Auch rieth der Großvater, der von Jugend an ein starker Viehmann war, sehr dazu. Aber mein guter Aeti verbande sich den unrechten Finger, und watete sich, da er an das Gut nichts zu geben hatte, in einen Schuldenlast hinein, unter welchem er nachwerts 13. Jahre lang genug seufzen mußte. Also im Herbst 41. zügelten wir mit Sack und Pack ins Dreyschlatt. Mein Großäti war Senn; Ich jagte die Kühe nach; mein Bruder G. nur 20. Wochen alt, ward in einem Korb hingetragen. Mutter und Großmutter, mit den zwey andern Kindern kamen hinten nach; und der Vater, mit dem übrigen Plunder, beschloß den Zug.

VIII.
Oekonomische Einrichtung.

Inhaltsverzeichnis

Mein Vater wollte doch das Salpetersieden nicht aufgeben, und dachte damit wenigstens etwas zu Abherrschung der Zinse zu verdienen. Aber so ein Gut, wie der Dreyschlatt, braucht Händ’ und Armschmalz. Wir Kinder waren noch wie für nichts zu rechnen; der Großäti hatte mit dem Vieh, und die Mutter genug im Haus zu thun. Es mußten also ein Knecht und eine Magd gedungen werden. Im folgenden Frühjahr gieng der Vater wieder dem Salpeterwerk nach. Inzwischen hatte man mehr Küh’ und Geissen angeschafft. Der Großäti zog jungen Fasel nach. Das war mir eine Tausendslust, mit den Gitzen so im Gras herumlaufen; und ich wußte nicht, ob der Alte eine grössere Freud an mir oder an ihnen hatte, wenn er sich so, nachdem das Vieh besorgt war, an unsern Sprüngen ergötzte. So oft er vom Melken kam, nahm er mich mit sich in den Milchkeller, zog dann ein Stück Brod aus dem Futterhemd, brockt’ es in eine kleine Mutte, und machte ein kühwarmes Milchsüpple. Das assen ich und er so alle Tage. So vergieng mir meine Zeit, unter Spiel und Herumtrillern, ich wußt’ nicht wie? Dem Großäti giengs eben so. Aber, aber – Knecht und Magd thaten inzwischen was sie gern wollten. Die Mutter war ein gutherziges Weib; nicht gewohnt jemand mit Strenge zur Arbeit anzuhalten. Es mußte allerhand Milch-und Werkgeschirr eingekauft werden; und, da man viel Waide zu Wiesen einschlug, auch Heu und Stroh, um mehr Mist zu machen. Im Winter hatten wir allemal zu wenig Futter – oder zu viel fressende Waar. Man mußt’ immer mehr Geld entlehnen; die Zinse häuften sich, und die Kinder wurden grösser, Knecht und Magd feißt, und der Vater mager.

IX.
Abänderungen.

Inhaltsverzeichnis

Er merkte endlich, daß so die Wirthschaft nicht gehen könne. Er änderte sie also; und gab nämlich das Salpetersieden auf, blieb daheim, führte das Gesind selber zur Arbeit an, und war allenthalben der erste. Ich weiß nicht ob er auf einmal gar zu streng angefangen, oder ob Knecht und Magd, wie oben gesagt, sonst zu meisterlos geworden; kurz, sie jahrten aus, und liefen davon. Um die gleiche Zeit wurde der Großäti krank. Erst stach er sich nur an einem Dorn in den Daumen; der wurde geschwollen. Er band frischwarmen Kühmist drauf; da schwoll die ganze Hand. Er empfand entsetzliche Hitz’ darinn, gieng zum Brunnen, und wusch den Mist unter der Röhre wieder ab. Aber das hatte nun gar böse Folgen. Er mußte sich bald zu Beth legen, und bekam die Wassersucht. Er ließ sich abzäpfen; das Wasser rann in den Keller hinab. Nachdem er so 5. Monathe gelegen, starb er zum Leidwesen des ganzen Hauses; denn alle liebten ihn, vom Kleinsten bis zum Größten. Er war ein angenehmer, Freud’ und Friede liebender Mann. Er hatte an meinem Vater und mir ungemein viel gethan; und ich habe nie von keinem Menschen etwas Böses über ihn sagen gehört. Mein Vater und Mutter erzählten noch viele Jahre allerhand Löbliches und Schönes von ihm. Als ich ein wenig zum Verstand kam, erinnerte ich mich seiner erst recht, und verehrt’ ihn im Staub und Moder. Er liegt im Kirchhof zu Krynau begraben.

X.
Nächste Folgen von des Großvaters Tod

Inhaltsverzeichnis