Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch die Südtiroler Landesregierung/Abteilung Deutsche Kultur.

2016

Alle Rechte vorbehalten

© by Athesia AG, Bozen

Fotos: Privatarchiv

Design & Layout: Athesia-Tappeiner Verlag

Druck: Athesia Druck, Bozen

ISBN 978-88-6839-186-7

www.athesiabuch.it

buchverlag@athesia.it

Im Andenken an Edda

Edda im Herbst 2008 am Caldonazzosee

Prolog

Warum habe ich dieses Buch geschrieben? Nun, es gibt dazu einige Gründe, das Hauptanliegen war aber die zwei Jahre der Pflege von Edda, meiner Frau, noch einmal Revue passieren zu lassen, um für mich alles zu verarbeiten.

Als ich von der Diagnose der Ärzte erfuhr, war es ein Schock und um mich herum brach eine Welt zusammen. Hilfe suchend konnte ich keinerlei Literatur über diese seltene, heimtückische Krankheit finden und somit auch keine Erfahrungen im Umgang damit. Das Internet war mein einziger Ansatzpunkt, um etwas zu erfahren. Ärzte und Universitätskliniken konnten mir nur beschränkt oder temporär erklärend zur Seite stehen.

Alles lief darauf hinaus, Edda zu beobachten und auf Schmerzen, körperliche Probleme und Sonstiges mit diversen Therapien oder spezieller Pflege zu reagieren. Was absolut nicht leicht war, Edda konnte sich weder mit Sprache noch Zeichen bemerkbar machen. So blieb mir – uns – nur übrig, auf ihre Augen und Gesichtszüge zu achten und jede noch so kleinste Regung zu registrieren und – hoffentlich – die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein weiterer Grund für dieses Buch ist auch, meine Erfahrungen mit dieser Krankheit Schritt für Schritt erklären zu können, um anderen betroffenen Angehörigen eine eventuelle Hilfe bzw. Stütze zu sein.

Ich habe mir immer gewünscht, dass die Forschung schneller und viel mehr in diesem Bereich arbeiten würde. Durch die Seltenheit von Creutzfeldt-Jakob war und besteht für die Forschung leider kein Bedarf, um eine Therapie zu forcieren. Ich glaube nicht, dass diese Krankheit so selten ist, wie man der Öffentlichkeit vermitteln will. Die Zahlen sind in den letzten Jahren sehr widersprüchlich. Im Oktober 2009 gab das Internet folgende Zahlen bekannt: auf 3 Millionen Menschen eine Erkrankung. Im Frühjahr 2010 waren es derselben Quelle folgend schon ein bis zwei Erkrankungen auf 1 Million Menschen – wohlgemerkt nur in Deutschland. Später wurden diese Zahlen auf die verschiedenen Altersgruppen angepasst und auf die diversen Varianten. Wissenschaftler erklärten nach aktuellem Wissensstand, dass der Erreger möglicherweise jahrzehntelang unbemerkt im menschlichen Körper existieren kann, ohne die Erkrankung auszulösen. Die Schätzung der Experten geht hier in Großbritannien bei einem Fall von 4000 Menschen aus. Meiner Meinung nach besteht die Möglichkeit, dass diese Krankheit in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, zu einer Volkskrankheit wird. Auch zu den Inkubationszeiten gibt es widersprüchliche Aussagen, nach neuesten Studien kann die Krankheit schon innerhalb von sechs Monaten zum Ausbruch kommen. Creutzfeldt-Jakob kann aber auch bis zu 35 Jahre – manche behaupten sogar, bis zu 50 Jahre – im Körper schlummern. Das sind erschreckende Zahlen, auch im Hinblick darauf, dass es inzwischen drei verschiedene Arten von Creutzfeldt-Jakob gibt. Auf diese verschiedenen Varianten werde ich im nächsten Kapitel bei der Erklärung der Krankheit näher eingehen.

In diesem Buch werden aus Gründen der Privacy die Namen der tatsächlichen Personen des Krankenhauses Bozen, des Gesundheitssprengels und des Hauspflegedienstes mit frei erfundenen Namen ersetzt. Eine Namensliste mit Aufgabe und Funktion ist am Ende des Buches als Register angeführt.

Inhaltsverzeichnis

Creutzfeldt-Jakob

Was ist Creutzfeldt-Jakob? Die beim Menschen auftretende Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gilt als Pendant der sogenannten schwammartigen Hirnkrankheit des Rindes (als BSE Bovine Spongiforme Enzephalopathie – umgangssprachlich Rinderwahn – bekannt). Wissenschaftlich noch nicht belegt ist, ob der Erreger tatsächlich über die Nahrung vom Tier auf den Menschen übertragen werden kann. Bei Creutzfeldt-Jakob, wie bei der Rinderseuche BSE, wird die zentrale Informationsverarbeitung zerstört. Dabei sterben nach und nach die etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) des Gehirns ab, sodass dieses löchrig wird – wie ein Schwamm. Eine Heilung ist bislang nicht möglich. Auch eine Therapie ist nicht in Sicht, denn offiziell wird an diesem Erreger nicht geforscht.

Der Name der tödlichen Krankheit stammt vom Kieler Neurologen Hans G. Creutzfeldt (1885–1964) und dem Hamburger Neuropathologen Alfons M. Jakob (1884–1931). Diese beschreiben 1920 bzw. 1921 erstmals die absolut tödliche Krankheit des menschlichen Gehirns mit den Symptomen Depressionen, Bewegungsstörungen, Muskelstarre, Schluckstörungen. Haupterkennungszeichen ist jedoch ein sehr rascher Persönlichkeitsverfall, der mit Demenz nahe einhergeht. Mediziner beschreiben die Krankheit als „Alzheimer im extremen Zeitraffer“.

Eine exakte Diagnose zu Lebzeiten des Patienten ist schwierig, es gibt aber Untersuchungsmethoden, deren Trefferquote bei 90 Prozent liegen soll. Das klinische Bild ist das erste Anzeichen, Gedächtnisverlust, Desorientierung, Gehstörungen zählen dazu. Treten diese erkennbaren Zeichen auf, folgt eine Untersuchung der Hirnströme (EEG). Wenn in regelmäßigen Abständen „Schaufelwellen“ auftreten, ist das ein weiteres Indiz für CJK (Abkürzung für Creutzfeldt-Jakob). Außerdem wird das Nervenwasser aus dem Rückenmarkkanal untersucht, ist das „Protein 14-3-3“ vorhanden. Dies gilt es als ein weiterer deutlicher Hinweis auf die Hirnkrankheit.

CJK wird in drei bisher bekannte Formen unterteilt:

Die sporadische Prionerkrankung (sCJK) ist die weltweit häufigste auftretende Erkrankungsform beim Menschen, der auslösende Faktor sind höchstwahrscheinlich Prionen.

Der genetischen Prionerkrankung wird eine ganze Gruppe von familiär vererbbaren Erkrankungen zusammengefasst. Bei all diesen Formen wird eine spezifische Mutation vererbt, welche zu einem fehlerhaften Prion-Protein führt.

Die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) ist wohl durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch hervorgerufen worden. Großbritannien gab 1996 bekannt, dass mehrere junge Menschen an dieser neuen Variante verstorben waren.

Die Anzeichen

Zunächst einmal gab es keinerlei Anzeichen auf eine solche schwere Krankheit. Merkwürdig erschien mir eine Persönlichkeitsveränderung, die ich anfangs sogar als positiv empfand, da meine Frau ausgeglichener und ruhiger war. Ich muss wohl erst erwähnen, dass Edda ein Wirbelwind war. Sie war immer in Bewegung, in Action, dabei meisterte sie Kinder, Arbeit und Haushalt fast spielerisch. Sie hatte dann noch so viel Energie ein- bis zweimal die Woche abends mit ihren Freundinnen etwas trinken oder tanzen zu gehen. Nicht zu vergessen ihr Sport, zwei- bis dreimal die Woche ging sie laufen oder machte Work-outs zu Hause. Sie war also ein Energiebündel, dem man kaum folgen konnte.

Das änderte sich im Laufe des Jahres 2009. Wir waren in den Semesterferien in Ägypten. Es gab kaum – nein, es gab keinen – Urlaub, in dem es für Edda am ersten Tag nicht etwas zu bemängeln gab. Ich kann mich kaum erinnern, dass das erste Zimmer, welches man uns gab, für sie gut gegangen wäre. Überraschend für mich also, dass sie diesmal nichts auszusetzen hatte – im Gegenteil: Sie war glücklich und zufrieden. Das kam mir dann doch etwas komisch vor, diese Wesensänderung fand ich aber einfach nur schön. Kein Stress am ersten Urlaubstag. Der ganze Urlaub verlief harmonisch, ruhig und entspannt.

Allerdings hatte sie auch weniger Energie, sie war öfter müde und schlief viel. Nach dem Urlaub begann der normale Alltag, Edda behielt diese „positive“ Wesensänderung bei, wurde aber zunehmend unglücklicher und merkte wohl auch, dass etwas mit ihr passierte. Beim Autofahren bestand sie nun darauf, hinten zu sitzen. Das war für mich schon etwas komisch, da sie immer neben mir gesessen hatte. Sie ging öfter zu unserem Hausarzt Dr. Toniutti, zur Pranatherapeutin und ins TAU-Zentrum.

Im Juni verbrachten wir unseren Sommerurlaub in der Türkei und auch diesmal gab es für Edda nichts zu beanstanden. Aber zum ersten Mal schlief sie nach dem Mittagessen jeden Tag etwa zwei Stunden – das hatte sie noch nie gemacht.

Nach diesem Urlaub fühlte sie sich überhaupt nicht ausgeruht, sodass sie sich nach ein paar Tagen Arbeit krankschreiben ließ.

Die nächste Stufe war, dass sie mit ihrem Gleichgewicht Probleme bekam, was sie ziemlich beunruhigte. Sie glaubte, sie wäre nun in den Wechseljahren und wurde immer unausgeglichener. Anfang August war es so schlimm, dass sie einen Psychologen aufsuchte, der sie in die St.-Anna-Klinik in Meran einwies. Edda erhoffte sich, dadurch Kräfte zu sammeln und mit Infusionen aufgepäppelt zu werden.

Juni 2009 im Türkei-Urlaub: Zum ersten Mal festgestellt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wesensveränderung!

Bei der Aufnahme in die Klinik gab es für mich eine einprägsame Situation. Edda musste den Aufnahmeschein unterschreiben, sie sah mich nur an und sagte: „Markus, ich kann nicht unterschreiben, ich weiß nicht, wie das geht!“ Sie probierte es ein paar Mal, brachte aber wirklich ihre Unterschrift nicht mehr zusammen.

Erste Probleme beim Schreiben – nur zwei Wochen später ging gar nichts mehr.

Ich übernahm die Unterschrift und war zum ersten Mal richtig beunruhigt, sodass ich am ganzen Körper zitterte. Von nun an war ich bemüht, herauszubekommen, was mit meiner Frau los war. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der Krankheitssymptome im Internet nachliest. Das Gebiet ist weitreichend und eine genaue Diagnose über dieses Medium ist nicht möglich. Ich erinnere mich noch, dass ich auch auf Creutzfeldt-Jakob stieß. Aber an diese Krankheit glaubte ich nicht und übersprang das Resultat meiner Internetrecherche. Vielmehr redete ich mir ein, dass Edda an einem Burn-out–Syndrom erkrankt sei, an diesem Gedanken hielt ich fest.

Der zehntägige Klinikaufenthalt in Meran brachte keinen Erfolg, trotzdem ging Edda mit mir am nächsten Tag wieder arbeiten. Zur Erklärung: Wir haben uns bei der Arbeit kennen- und lieben gelernt und waren somit 18 Jahre lang Tag und Nacht bis zu diesem Zeitpunkt immer zusammen.

Aber an diesem Morgen folgte der nächste Schock. Edda saß an ihrem Arbeitsplatz, sah mich Hilfe suchend an und meinte: „Du kannst jetzt sagen, was du willst, aber ich weiß nicht, wie ich den Computer einschalten muss!“ Nachdem ich ihren Computer eingeschaltet hatte, wusste sie nicht, was sie nun zu tun hatte. Ich öffnete das E-Mail-Programm und zeigte ihr, was zu bearbeiten wäre. Ich dachte, sie will mich nur ärgern, da ich eine ernsthafte Erkrankung immer noch nicht in Erwägung zog. Aber ich merkte, dass dies bitterer Ernst war: Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie im Büro tun sollte. Ich übernahm ihre Arbeit und ließ sie im Internet surfen, was ihr aber auch nicht gelang. Ganze sechs Stunden war sie auf derselben Internetseite und machte immer wieder denselben Arbeitsgang, dabei blieb sie ganz ruhig und redete mit sich selbst. Ich war froh, dass wir für den folgenden Tag einen Termin beim Primar der Abteilung Neurologie im Bozener Krankenhaus hatten.

Aber das Schlimmste an diesem Tag sollte noch folgen. Zu Mittag machte Edda Käseknödel, diese waren ungenießbar und fielen vollends beim Kochen auseinander. Vielleicht kein großes Malheur, aber Edda konnte in der Vergangenheit perfekte Knödel in allen Variationen machen. Am Nachmittag konnte sie nicht richtig alleine zur Toilette gehen, ich hatte danach alle Hände zu tun, um das Bad wieder sauber zu bekommen. Das nächste Problem kam dann noch auf uns zu. Edda hatte sich mit ihrer Freundin Michaela verabredet, sie wollten in der Stadt etwas trinken gehen. Normalerweise hatte Edda ihre Kontaktlinsen innerhalb von ein paar Sekunden in der richtigen Position in ihren Augen. Diesmal bat ich sie nach einer Dreiviertelstunde vergeblichen Bemühens, die Brille aufzusetzen. Sie war deswegen ziemlich erbost, setzte aber schlussendlich doch die Brille auf. Und nun ging es darum, dass ich sie nicht mehr Auto fahren lassen wollte. Wir hatten den heftigsten Streit unserer Ehe, in dem wir uns am Ende beide tränenaufgelöst in den Armen hielten. Sie wollte partout Auto fahren, Michaela bot ihr an, sie abzuholen und wieder nach Hause zu bringen. Ich hätte sie auch in die Stadt gebracht und wieder geholt, alle Vorschläge schlug sie in den Wind und war nicht davon abzubringen, selbst zu fahren. Am Ende einigten wir uns, dass sie die vier Kilometer bis Oberplanitzing auf einen kleinen Parkplatz fuhr, dort wurde sie dann von Michaela abgeholt.

Ich war noch immer sehr aufgebracht und so sauer auf sie, dass ich schlafen ging und mein Handy ausschaltete. Das hätte ich nicht tun sollen. Mitten in der Nacht, es war so gegen 0.30 Uhr klingelte es an der Haustür Sturm. Roland, der Mann von Eddas Schwester stand mit seinem Sohn Thomas vor der Tür und teilte mir mit, dass Edda nach einem Autounfall im Krankenhaus sei. In mir stieg Panik hoch. Ich zog mich an und fuhr nur Minuten später in die Notaufnahme des Krankenhauses. Edda lag auf einer Trage und war im Schockzustand.

Michaela hatte sie wie abgesprochen auf dem Parkplatz in Oberplanitzing abgesetzt. Edda stieg in ihr Auto und fuhr los. Anscheinend war sie so verwirrt, dass sie anstatt links nach Kaltern, rechts Richtung Eppan-Gand abbog. Dort verlor sie dann vollends die Orientierung und rutschte auf einem steil abfallenden Parkplatz in einem Hotelhof auf einen Baum. Edda war nichts passiert, ein Wunder, denn das Auto hatte einen Totalschaden.

Zur Beobachtung behielten die Ärzte Edda im Krankenhaus, den Termin beim Primar der Neurologie musste ich verschieben. Als es Edda am nächsten Vormittag doch besser ging, konnten wir dann den Termin wahrnehmen. Der Arzt machte einige leichte Tests mit Edda, zum Beispiel zeigte er ihr einen Kugelschreiber und fragte sie, was das sei. Sie musste lachen und fragte ihrerseits, was das für eine Frage sei. Erschreckend war aber, dass sie die Frage nicht beantworten konnte. Danach sollte sie etwas schreiben und eine kleine einfache Zeichnung machen, was ihr mehr schlecht als recht gelang. Ein weiterer Test war, ein paar Schritte ganz gerade zu gehen. Sie hatte keine Gleichgewichtskontrolle und schaukelte beim Gehen. Edda fand das lustig und musste dauernd lachen. Ich war immer mehr beunruhigt, auch als der Primar meinte, dass es wohl besser wäre, wenn Edda im Krankenhaus in seiner Abteilung bliebe. Es war der 1. Oktober 2009.

Wie mir der Arzt zu einem späteren Zeitpunkt sagte, hatte er sofort die Befürchtung, dass es sich um die Krankheit Creutzfeldt-Jakob handele. Es folgten in den nächsten Tagen viele Tests und Untersuchungen, ich war, sooft es mir zeitlich möglich war, bei Edda. Sie hatte immer gute Laune und lachte sehr viel. Ich vermute, dass es auch an den Medikamenten lag, die man ihr verabreichte.

Nach einigen Tagen fragte ich die Ärztin, wie denn nun der Stand der Dinge wäre. Sie meinte, dass sie eine Vermutung hätten, mich aber darüber noch nicht informieren könnten, da sie sicher sein wollten. Edda wollte natürlich auch wissen, was mit ihr los sei, sie hatte eine gewisse Leichtigkeit und nahm alles mit Humor – zum Glück.

Täglich ging es mit ihr bergab, ganz schlimm war das zur Toilette gehen. Sie musste zwar, konnte aber nicht. So blieben wir zeitweise bis zu einer halben Stunde auf der Toilette, dabei musste Edda immer wieder lachen. Richtig sauer wurde Edda aber, als die Krankenschwestern die Lehnen von ihrem Bett hochzogen. Sie war aus ihrem Bett gefallen, aber sie schwor Stein und Bein, dass sie nicht aus dem Bett gefallen war. Sie schickte mir in den vergangenen Tagen bis zu 30 SMS täglich, allerdings ohne Inhalt. Leidtat sie mir auch, als sie mir sagte, dass man ihr eine Spritze in die Wirbelsäule gegeben hatte. Man entnahm ihr Rückenmark und erhoffte sich Aufschluss über das, was Edda fehlte.

Am 15. Oktober bekam ich einen Anruf von Eddas Schwester Irene, ich war gerade bei der Arbeit. Irene war in Tränen aufgelöst und ich wusste gleich, dass es eine Hiobsbotschaft für mich werden würde. Sie sagte mir aber am Telefon nichts, sondern bat mich, sofort zur Ärztin ins Krankenhaus zu fahren. Natürlich fuhr ich sofort in die Neurologie und bereitete mich so gut es ging auf die schlimmste Nachricht meines Lebens vor. Ich war zuerst bei Edda, die wieder gut gelaunt auf mich wartete.

Es fiel mir schwer, mich von ihr zu trennen, um mit der Ärztin zu sprechen. Irgendwie wollte ich die Wahrheit wohl nicht wissen. In einem Vieraugengespräch in ihrem Büro teilte sie mir die definitive Diagnose mit: Creutzfeldt-Jakob.

Ich hatte das Gefühl, mir zieht es den Boden unter den Füßen weg. Ich stand in Tränen aufgelöst unter Schock – obwohl ich mit so einer Diagnose schon gerechnet hatte. Wie sollte ich nun Edda mit verheultem Gesicht gegenübertreten? Normalerweise hatte Edda mir meine Gefühlslagen stets angesehen.

Mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Die Ärztin klärte mich über das Fortschreiten der Krankheit auf. Der nächste Schock folgte, als sie mir die Lebenserwartung mit sechs Monaten mitteilte.

Am liebsten hätte ich sie sofort aus dem Krankenhaus genommen und wäre mit ihr in Urlaub gefahren. Sie bot mir an, Edda am Wochenende mit nach Hause zu nehmen. Vom Krankenhaus hat man die Möglichkeit einen Patienten für 72 Stunden zu beurlauben. Das Angebot nahm ich gleich für das nächste Wochenende an.

Ich musste mich erst sammeln, ehe ich Edda gegenübertrat und natürlich fragte sie mich wieder, was mit ihr los sei. Mein verheultes Gesicht fiel ihr dabei nicht auf. Ich belog Edda und sagte ihr, dass sie nichts Schlimmes hat, dass es sich um eine Art Burnout handele und sie noch länger im Krankenhaus bleiben müsse.

Was mich bewog, ihr nicht die Wahrheit zu sagen? Ab und zu haben wir früher auch über das Alter und den möglichen Folgen schwerer Krankheiten gesprochen. Sie sagte dann immer, dass sie das nicht wissen wolle und jeden Tag so gut leben würde, wie es halt noch ginge. Außerdem war sie panisch, wenn sie eine Anomalie an ihrem Körper entdeckte, dann war der sofortige Gang zum Arzt obligatorisch. Sie hat sich immer gleich schwere Krankheiten eingebildet. Mit meiner Antwort gab sie sich zufrieden. Sie freute sich, als ich ihr sagte, dass wir am Wochenende wegfahren würden. Inzwischen fiel ihr das Gehen immer schwerer und auch ihre Sprache wurde einsilbiger und wirrer. Ihr selber fiel das nicht so auf.

Ich schrieb fast täglich in einer Art Tagebuch auf, wie es Edda ging und welche Schritte von ärztlicher Seite eingeleitet wurden. Als E-Mail wurde dieses Tagebuch zumeist am Abend an meine Eltern geschickt. Nachfolgend finden diese Notizen einen gewichtigen Platz in diesem Buch.

Tagebuch

Dienstag, 6. Oktober 2009

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, an welcher todbringenden Krankheit Edda leidet. Dementsprechend hatte ich noch Hoffnung, dass sie wieder gesund werden würde:

Ich komme gerade wieder aus dem Krankenhaus. Die Ärzte machen immer noch sämtliche Tests mit ihr. Gestern haben sie ihr sehr viel Blut abgenommen, das diesmal ins Labor nach Verona geschickt wird. Ergebnisse werden erst nächste Woche erwartet. Im Moment wird Edda immer noch mit Antibiotika und Antiviren behandelt. Danach ist sie immer sehr müde und schläft auch sonst sehr viel. Mir kommt vor, dass es ihr besser geht, sie sagt das auch. Ihre Bewegungen sind schneller geworden. Heute Abend werde ich wieder bei ihr sein.

Freitag, 9. Oktober 2009

Ich habe gestern mit der behandelnden Ärztin gesprochen, sie sagte, das Ärzteteam hätte Verdachtsmomente, die sie mir jetzt aber nicht sagen wolle. Man würde erst die Resultate aus Verona abwarten, um sicher zu sein. Eddas sprachliche Probleme waren gestern Abend wesentlich besser und ich hatte mich gefreut, dass die Therapie wohl endlich anschlägt. Heute Morgen aber war es wieder eine Katastrophe, ich hatte sie kaum verstanden, aber am Nachmittag ging es wieder recht gut. Sie hatte verständlich gesprochen und war sehr bemüht, gut zu sprechen. Wenn es nicht gelingt, wird sie etwas ungehalten. Ich kann sie aber immer wieder beruhigen und ermutigen.

Montag, 12. Oktober 2009

Seit Samstagnachmittag geht es Edda besser, auch ihre Aussprache ist besser geworden und ihr Gang auch! Heute Morgen hörte sie sich ebenfalls gut an – ich hoffe sehr, dass es nun wieder aufwärtsgeht. Leider ist sie aber immer noch sehr verwirrt. Diese Woche sollten die Resultate kommen.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Wir warten immer noch auf die Resultate. Ich habe gestern wieder mit der Ärztin gesprochen, sie hatten noch einmal sämtliche Tests gemacht, Magnetresonanz, EEG usw., um zu sehen, inwieweit eine Veränderung eingetreten ist. Es gab aber keine Veränderung, alle bisherigen Befunde, die man gemacht hatte, sind in Ordnung. Freitag darf Edda – so wie es momentan aussieht – nach Hause. Wöchentlich muss sie dann zur Kontrolle im Krankenhaus vorbeikommen. Alles ist etwas besser geworden, hauptsächlich die Sprache, dennoch ist Edda immer noch sehr verwirrt und hat einen nicht so reibungslosen Bewegungsablauf. Es scheint wohl wirklich nur Kopfsache zu sein. Wir werden dann wohl ab nächste Woche einen Psychologen oder Psychiater hinzuziehen müssen.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Leider haben wir immer noch keine Befunde aus Verona bekommen. Da sind spezielle und seltene Laboruntersuchungen dabei, die das Labor von mehreren Patienten sammelt, um dann alle gleichzeitig zu bearbeiten.

Heute hat sie den letzten Tag der Flebo-Therapie (Infusion – Antibiotika und Antiviren). Dadurch ist Edda den ganzen Tag sehr verwirrt, zerfahren und sehr zittrig. Zum Abend hin bessert sich ihr Zustand. Mit den Ärzten ist es so abgesprochen, dass sie Freitag nach Hause darf. Allerdings muss sie einmal wöchentlich vorbei kommen und sich Kontrollen unterziehen. Aber ich hoffe sehr, dass es zu Hause wieder besser geht – in ihrem normalen Umfeld.

Donnerstag, 15. Oktober 2009 – die definitive Diagnose

An diesem Tag gab es keine E-Mail bzw. keinen Tagebucheintrag. Am späten Nachmittag teilte man mir die schrecklichste Nachricht meines Lebens mit. Ich bat die Ärztin Edda nichts von der todbringenden Krankheit zu sagen, denn das würde sie nicht verkraften. Es war unglaublich schwer mit diesem Wissen Edda gegenüberzutreten. Die Prognose war ernüchternd, Eddas Zerfall ging sehr schnell voran, so gab man ihr nur noch sechs Monate zu leben. Vielleicht wäre es im Nachhinein besser gewesen, wenn es so schnell gegangen wäre.

Edda war eineinhalb Jahre absolut auf Hilfe angewiesen und konnte nichts mehr selbstständig machen. Andererseits möchte ich diese Zeit nicht missen, auch wenn ich teilweise an meine Grenzen gestoßen bin. Ich habe viele neue Erfahrungen sammeln können. Meine Lebenseinstellung hat sich ebenfalls geändert. Es gibt Situationen, wo man nichts machen kann – nur das Beste aus dieser Situation. Es war für mich schlimm, unseren Kindern Jasmin und Fabian diese katastrophale Nachricht zu vermitteln. Sie waren sehr stark mit ihren 14 Jahren. Ich führte einige Telefonate mit Verwandten und engen Freunden. Unser ganzes Umfeld war geschockt und es flossen wahnsinnig viele Tränen. Danach wollte ich nur eins – wieder zu Edda ins Krankenhaus.

Noch unwissend über die Schwere der Erkrankung

Freitag, 16. Oktober 2009

7.09 Uhr: Es war die schlimmste, schlaflose Nacht. Ich will die bittere Wahrheit nicht wahr haben. Jeder Gedanke kreist um diese schreckliche Krankheit – es ist ein Albtraum. Edda weiß nichts und sie soll es auch nicht wissen – ich denke, das ist das Beste für sie. Wir, die wir jetzt im Moment in ihrem näheren Umfeld sind, versuchen gute Laune und Optimismus zu versprühen. Edda lacht sehr viel, auch dann, wenn es überhaupt keinen Grund dazu gibt. Heute werde ich sie für drei Tage (bis Montag früh) nach Hause holen. Ich möchte noch so viel Zeit mit ihr verbringen, wie das Unausweichliche uns gibt. Für das nächste Wochenende habe ich ein Wellness-Wochenende in Kirchberg (Tirol/Österreich) nur für uns zwei gebucht. Sie hat sich so wahnsinnig darüber gefreut. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, dass es wohl ihr letzter Urlaub sein wird. Auf die Kinder schaut unsere Freundin Sabine.

22.13 Uhr: Ich habe Edda gesagt, dass ihr (meine Eltern) uns das Wellness-Wochenende spendiert habt. Sie hat sich so sehr darüber gefreut und fragt andauernd nach euch. Sie fragt heute schon zum dritten Mal: „Wo sind deine … Eltern?“ Ich könnte sofort losheulen, denn es ist verdammt schwierig, in ihrer Gegenwart immer stark zu bleiben. Sie ist so dankbar, dass sie zu Hause sein kann. Immer wieder schaut sie mich ganz ungläubig an, fast wie eine Fremde in ihrem eigenen Haus. Ich lebe nun von Tag zu Tag und genieße jede Sekunde mit ihr.

Am Montag muss ich sie wieder ins Krankenhaus bringen. Die Ärzte erlauben nur eine 72-stündige Abwesenheit. Am Freitag hole ich sie dann wieder und wir fahren nach Österreich. Sie hat sich gewünscht zu törggelen, Sonntag werden wir das dann machen.

Ich habe mich von allem freistellen lassen, Arbeit und Fußball (Ausschuss und Trainer). Sie tut mir so unendlich leid, wenn sie mich fragt, was eigentlich mit ihr los ist. Sie versteht es nicht. Ich verstehe es auch nicht. Und immer muss man stark bleiben. Die Kinder sind so brav. Sie sind sehr geduldig mit Edda, ihrer Mama, und helfen ihr, wo es nur geht. Ich liebe Edda und ich werde sie immer lieben. Entschuldigt, wenn ich euch so schreibe, aber im Moment muss ich wieder heulen. Edda schläft tief und fest und hat dabei einen zufriedenen Gesichtsausdruck.

Samstag, 17. Oktober 2009

Ich habe Edda soeben zum Schlafen gebracht. Ihr Gang wird immer unsicherer, auch das Sprechen ist schlechter geworden. Wir waren heute in Trient. Als wir geparkt hatten und ich am Parkscheinautomat, der gut 50 Meter entfernt war, den Parkschein löste, war Edda plötzlich weg. Obwohl ich sagte, sie soll beim Auto warten, stand sie plötzlich auf der anderen Straßenseite und ging in eine Seitenstraße. Ich war fast in Panik, weil sie einfach weiterging und ich noch zum Auto zurück musste. Schlussendlich konnte ich sie zum Glück noch einholen, sie fand das Ganze lustig und lachte. Ich habe ihr wieder einen kleinen Wunsch erfüllt. Sie wollte das Parfüm von Gucci haben. Sie meinte noch, dass es zu teuer sei, aber ich habe es ihr natürlich gekauft. Wir waren nur eine halbe Stunde in Trient, es wurde ihr zu anstrengend. In einem Café begleitete ich sie zur Toilette, denn alleine kann ich sie nicht gehen lassen. Sie hat Probleme beim Anziehen. Nach dem Kaffee ging sie urplötzlich ganz schnell los, allerdings in die falsche Richtung. Wir müssen dann immer alle beide lachen, wenn sie die Orientierung verliert.

Ich weiß nicht, wie oft ich ihr am Tag sage, dass ich sie liebe, mir kommt immer noch vor, dass es zu wenig ist. Sie hat heute auch wieder nach euch gefragt, sie ist aber so verwirrt, dass sie glaubt, dass ihr hier wohnt (meine Eltern leben in Hamburg). Im Moment geht’s, nächste Woche habe ich Urlaub genommen und werde viele Laufereien erledigen. Sie ist dann wieder von Montag bis Freitag im Krankenhaus, so schwer dieser Schritt für mich auch fällt, sie wieder dorthin zu bringen. Sie ist dort unter der Woche am besten aufgehoben. Am Freitag hole ich sie dann und wir starten gleich nach Kirchberg. Mir graut vor dem Moment, wenn sie gar nicht mehr sprechen kann. Ihre hilflosen Blicke tun mir jetzt schon sehr weh. Ich bin über eure Anteilnahme sehr dankbar, das tut gut, mir die Seele nachts leer zu schreiben. Immer wieder erwische ich mich bei dem Gedanken, dass sie ja eines Tages nicht mehr da sein wird, und dann tut es richtig weh.

Sonntag, 18. Oktober 2009

Heute war es ein Auf und Ab. Am Morgen ging es Edda gar nicht gut, sie hatte überall Schmerzen. Sie schläft zwar gut, ist aber total verkrampft. Natürlich tut dann am Morgen alles weh. Nach einiger Zeit – im Laufe des Vormittags – ging es ihr dann besser. Wir haben vormittags alte Fotoalben angeschaut und mussten viel lachen, aber dennoch war sie manchmal sehr nachdenklich. Ich weiß aber nicht, ob es an ihrem Zustand lag, oder ob sie vielleicht nicht mehr wusste, wer da auf den Fotos abgebildet war.

Mittags sind wir vier dann alle zusammen mit Irene, ihrem Mann Roland und ihren Kindern Katrin und Alexander essen gegangen. Edda hat sich sehr gefreut, dass wir alle zusammen waren. Danach war sie sehr erschöpft, wir mussten nach Hause fahren, damit sie sich ein wenig ausruhen konnte. Sie schlief gut eineinhalb Stunden. Nachmittags sind wir dann zum Törggelen nach Signat gefahren, wieder mit Irene, Roland und Katrin mit Freund Paul. Der Buschenschank war so voll, dass Edda mit jeder Minute nervöser wurde und nach einer halben Stunde nur noch nach Hause wollte. Wir sind dann gefahren, im Auto war sie merklich erleichtert. Ja – ich glaube, sie auch für einen Augenblick glücklich gesehen zu haben.

Zu Hause habe ich eine Gemüsesuppe gekocht, es war für sie sehr schwierig, diese zu essen. Ich habe ihr dann Löffel für Löffel – wie bei einem Kleinkind – eingegeben. Danach habe ich sie gebadet; das genoss sie in vollen Zügen und wollte kaum noch raus aus der Badewanne. Beim Abtrocknen ließ ich sie nur kurz allein stehen, da war es schon zu spät. Sie verlor die Kontrolle über sich und wäre beinahe rückwärts an die Badewannenkante geknallt. Zum Glück konnte ich sie gerade noch halten. Sie hatte zwar einen mächtigen Schreck bekommen, musste aber lachen. Ich bete jeden Tag, dass ein Wunder geschehe. Ganz schlimm ist die Verkrampfung, die ihren Körper beherrscht.

Morgen früh muss ich sie wieder ins Krankenhaus zurückbringen. Ich danke Gott für das schöne Wochenende mit ihr. Ich hoffe und bete, dass sie auch das nächste genießen kann. Morgen ist auch ein harter Tag für mich, da ich einiges organisieren muss. Der Hausarzt ist über die Diagnose in Kenntnis zu setzen und bei der INPS (Krankenversicherung) ist vorzusprechen, wie das Ganze weitergehen soll. Edda tut mir so leid, wenn ich bloß mehr für sie machen könnte. Dieses Wochenende habe ich mit ihr jede Sekunde genossen. Ich hoffe, sie auch. Manchmal denke ich, sie weiß doch, was mit ihr los ist. Wir versuchen sie alle aufzubauen und zu motivieren, auf gar keinen Fall darf sie erfahren, was sie hat. Ich bin so unsagbar traurig und doch immer glücklich, wenn Edda bei mir ist. Jedes zweite Wort, das sie noch klar und deutlich sagen kann, ist: „Markus!“

Ich denke, dass ich nun an dieser Stelle mein Verhältnis zum Glauben und zu Gott erklären muss. Anfangs war ich gläubig im kirchlichen Sinne, allerdings verließ mich der Glaube mit Fortdauer dieser fürchterlichen Krankheit. Ich glaube, dass es eine Seele gibt, die im Falle des Todes den Körper verlassen wird. Ich glaube aber nicht an eine übergeordnete Gottfigur, wie kann ein solcher „Gott“ so etwas zulassen, bzw. andere schreckliche Dinge. Krebs, Vergewaltigungen, Kindesmisshandlungen, Hungertod usw. Wie kann ein solcher „Gott“ da zusehen, nichts tun und noch behaupten, dass es sich um „Prüfungen“ handelt. Wofür? Was hat das Leben für einen Sinn? Wobei wir nun beim Sinn des Lebens sind! Diese Frage habe ich mir gestellt und stelle sie immer noch. Wer einmal bedingungslos geliebt hat und diese Geliebte verlor, der weiß, warum sich diese Fragen nun immer öfter von Neuem stellen.

(…)

Montag, 19. Oktober 2009

Heute war fast der schlimmste Tag, Edda war im Kopf hellwach und voll da, aber sie kann nicht richtig sprechen. Sie verzweifelt, wenn ich sie nicht verstehe. Die letzte Nacht hat sie kaum geschlafen. Die ganze Zeit über hat sie geredet, gelacht und geweint. Ich habe nur Bruchstücke verstanden, da sie immer unverständlicher wird. Einmal sagte sie so etwas wie: „meine kleinen Ninkerlen“. Ich denke, sie meinte damit Jasmin und Fabian. Dann musste sie lachen. Wahrscheinlich, weil wir ja gestern Fotoalben angeschaut hatten.

Heute Morgen dann war sie total verzweifelt, sie hat nur noch geweint und in ihrer Sprache konnte ich verstehen: „Was ist bloß los mit mir?„ Ein paar Mal fragte sie mich das unter Tränen. Ich kann ihr die Wahrheit nicht sagen, denn das würde für sie alles noch schlimmer machen. Ich habe sie dann angezogen, wir frühstückten zusammen. Sie hat den ganzen Kaffee verschüttet, auch über ihre Kleidung. Ich habe sie dann umgezogen und wir sind wieder ins Krankenhaus gefahren. Der Vormittag verlief recht „normal“.

Nach der Arbeit besuchte ich sie zu Mittag. Zwischen ein und zwei Uhr hat sie fast nur noch geweint und war total verzweifelt. Irene kam auch zu Besuch, brauchte dann aber selbst ärztliche Hilfe, weil sie die Situation überforderte. Marisa, Eddas Cousine von italienischer Seite, und mir gelang es, Edda wieder zu beruhigen. Es kommt andauernd Besuch, was für Edda sehr anstrengend ist. Ich muss die Besucher etwas bremsen. Edda verkraftet nicht mehr viele Menschen. Sie genießt vielmehr die Zeit, wenn wir zwei alleine sind und es alles in einer fast normalen Routine abläuft. Sie ist unglaublich fixiert auf mich. Jeder heißt bei ihr „Markus“.

Heute Abend war sie ganz ruhig und entspannt, wir haben auf ihrem iPod Touch noch ein wenig den Komiker Rüdiger Hoffmann angeschaut und mussten beide sehr viel lachen. Der Komiker gefällt ihr neben Michael Mittermeier sehr gut. Mir kam vor, dass sie sehr viel verstanden hat, weil sie sehr viel lachte. Das war eine wundervolle halbe Stunde mit ihr. Ihre Bewegungen werden von Tag zu Tag schlechter. Ich hoffe so sehr, dass wir das nächste Wochenende die Wellness-Fahrt antreten können. Morgen werde ich ihr ein paar neue Pyjamas kaufen, die Alten sind nicht mehr so schön.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Heute Vormittag musste Edda weitere Kontrolluntersuchungen machen (EEG, Magnetresonanz usw.). Dafür haben die Ärzte ihr Beruhigungstropfen gegeben. Das Resultat war, dass sie fast den ganzen Tag verschlafen hat. Ich war von 10 bis 13.30 Uhr bei ihr, aber sie schlief fast ununterbrochen. Von 14 bis 16.30 Uhr blieben Marisa und ihre Schwester Mercedes bei ihr. Wir haben abgesprochen, dass Marisa ab jetzt immer ab 14 Uhr bei Edda bleibt. Ab circa 16.30 Uhr war ich dann wieder im Krankenhaus. Etwa gegen 18 Uhr ist Edda dann etwas brachial von einer Krankenschwester geweckt worden. Ich gab ihr dann das Abendessen ein, sie hatte ja den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen. Ihr fielen immer wieder die Augen zu, aber zum Glück hat sie etwas gegessen und auch getrunken. Ich bin danach mit ihr zur Toilette gegangen, das war schrecklich. Sie konnte kaum noch laufen. Ich weiß nicht, ob das auf ihre Müdigkeit, die Beruhigungstropfen oder auf den Fortlauf ihrer Krankheit zurückzuführen war.

Heute hat sie zum ersten Mal kaum mit mir gesprochen. Ich hoffe so sehr, dass man das mit ihrer Müdigkeit erklären kann. Mir graut vor dem Moment, wo sie mich anschaut und nicht mehr mit mir sprechen kann. Dafür war die Verkrampfung heute etwas besser, ihr Körper war recht entspannt. Die Ärztin versicherte mir, dass sie kaum leiden wird, da sie wenig, bis gar nichts mitkriegt. Umso schlimmer ist die ganze Situation natürlich für uns. Heute bin ich ziemlich demotiviert, kraftlos und auf dem Boden, am Nachmittag schlief ich kurz neben Edda ein.

Eddas viele Freundinnen, die Verwandtschaft und unsere Freunde sind uns eine Riesenunterstützung. Morgen oder übermorgen werden wir wohl Gewissheit haben, da sollen die Gegenproben überprüft worden sein. Dann sollte auch die Variante von Creutzfeldt-Jakob feststehen, es gibt ja drei Typen. Helfen tut das natürlich nichts, da es keine Therapien gibt. Ich bin so ausgelaugt und kann es immer noch nicht richtig verstehen, was gerade mit unserer Familie passiert. Wir hatten noch so viel vor. Ich hoffe so sehr auf ein Wunder – wo ist dieser Gott? Edda ist so wunderschön, gerade heute, während sie schlief. Ich liebe sie so sehr.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Edda war heute ganz locker und fröhlich. Ihre Hände kann sie leider kaum noch bewegen, das Essen muss ich ihr eingeben. Auf die Toilette muss man sie begleiten und sie danach sauber machen, Hände und Gesicht waschen und Zähne putzen gehört nun auch zum Alltag. Wenn sie das bewusst erleben müsste, würde sie wohl selber total geschockt sein. Diesen Zustand wollte sie NIEMALS erleben. Wir hatten über so etwas schon gesprochen.

Alle kümmern sich sehr liebevoll um sie, das Krankenhauspersonal ist sehr hilfsbereit und auch Eddas Freundinnen sind immer da, wenn man sie braucht. Mir liegt viel daran, dass Edda fast nie allein ist, so weiß ich sie immer gut aufgehoben. Heute hat sie alles aufgegessen, das Mittag- und Abendessen hat sie vollständig weggefuttert. Ich war schon um 9.30 Uhr im Krankenhaus, wie immer habe ich ihr Brioche und Cappuccino mitgebracht. Auch die Brioche hat sie ganz aufgegessen. Schlimm ist für mich, dass sie fast verstummt ist. Sie sagt nur noch JA, NEIN, SI, NO und MARKUS, das ist ihr einziger Wortschatz. Es zerreißt mir das Herz, wenn sie mich mit ihren schönen Augen durchdringend ansieht. Auf Fragen reagiert sie nicht immer. Ich glaube, dass sie nicht mehr alles mitkriegt.

Ich bleibe abends immer so lange im Krankenhaus, bis sie eingeschlafen ist, das ist das Letzte, was ich noch für sie tun kann. Die Kinder wissen Bescheid und akzeptieren, dass ich so lange im Krankenhaus bleibe. Eine Psychologin bot uns (den Angehörigen) heute Hilfe an. Ich brauche diesbezüglich keine Hilfe, werde aber mit den Kindern reden, ob sie diese annehmen wollen. Die beiden gehen gut mit der Situation um, sie sind sehr stark. Sie treffen sich viel mit Freunden, was ich sehr begrüße. Ist das wirklich alles wahr? Ich hoffe immer, jeden Moment aus diesem Albtraum aufzuwachen. Doch er geht immer weiter … und weiter.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Ich weiß nicht, ob ich froh sein soll oder traurig. Edda war den ganzen Tag über mit dem Kopf voll da, auch ihre Motorik schien stark verbessert. Sie konnte sogar teilweise alleine trinken und essen. Ich war sehr erstaunt und überrascht. Doch der Reihe nach: Als ich heute Morgen zu ihr ging, hat sie bitterlich geweint und wollte wieder wissen, was mit ihr los ist. Ich sage ihr dann immer, dass sie körperlich völlig gesund sei, sogar die Zysten in der Brust sind fast vollständig verschwunden. Darüber hat sie sich sehr gefreut. (Edda hatte eine schwierige Brust mit sehr vielen Zysten, die sie selber teilweise für Tumore hielt.) Weiter sagte ich ihr, dass der ganze Stress, den sie sich selbst auferlegt hatte, sich nun an ihrem Körper rächt. Der Stress hat ihrem Gehirn nicht gut getan. Nun hat sich das Gehirn ausgeschaltet und wir müssen es irgendwie wieder einschalten. Mir fällt einfach keine bessere Erklärung für sie ein. Sie darf niemals erfahren, was sie wirklich hat. Das würde sie in einem wachen Moment kaputtmachen.

Ich gab ihr zu Mittag das Essen, welches sie aber – wie schon erwähnt – teilweise selbstständig aß. Während des Mittagessens fragte mich die Ärztin, ob Edda gegen Penizillin allergisch reagiere. Ich verneinte. Sie sagte, sie stehe mit verschiedenen Universitätskliniken in Verbindung und sie würden etwas ausprobieren, dass Penizillin beinhalte. Ich bin für jeden Strohhalm dankbar und gab zu dieser Therapie meine Zustimmung. Sie sagte aber auch, dass man sich nicht allzu viel Hoffnung machen sollte. Die mache ich mir aber dennoch, vielleicht spricht diese Therapie an.

Am Nachmittag erhielt Edda sehr viel Besuch, einige Freundinnen kamen abwechselnd und blieben, bis ich da war. Mir tat es gut, Edda fröhlich inmitten ihrer Freundinnen zu sehen, denn es ging ihr sichtlich gut. Freilich kann sie sich nicht artikulieren, aber wir tun immer alle so, als würden wir sie verstehen. Wenig Hilfe benötigte Edda dann beim Abendessen, auch ihre Motorik war besser, als wir auf die Toilette gingen und beim anschließenden Zähneputzen. Ich wünsche mir so sehr, dass sie wieder meine „alte“ Edda werden würde. Auf meinem Computer schauten wir noch den Film „Shopaholic“ und wieder kam mir vor, dass sie fast den ganzen Film verstanden hatte. Bei den lustigen Szenen musste sie sehr lachen. Danach blieb ich wieder, bis sie eingeschlafen war, und hielt ihre Hand.

Morgen starten wir nach Kirchberg, ich freue mich sehr auf die Tage mit ihr ganz alleine, auch wenn es wohl sehr anstrengend werden wird. Irgendwie bin ich heute positiv eingestellt, auch wenn ich natürlich weiß, dass dies heute nur eine schöne Momentaufnahme war und dass auch schlechte Tage kommen werden.

Freitag, 23. Oktober 2009

14.31 Uhr: Wir sind immer noch im Bozner Krankenhaus!!! Edda musste noch eine Untersuchung (TAG) machen, Sie haben ihr dafür eine Beruhigungstablette gegeben! Die Nachwirkung ist, dass sie immer noch tief und fest schläft!

20.39 Uhr: Wieder einmal läuft es nicht so, wie es geplant war. Leider konnten wir heute noch nicht unseren Wellnessurlaub antreten. Edda hatte heute Morgen noch eine CT-Untersuchung und bekam eine Beruhigungstablette. Sie schlief den ganzen Tag und war nicht wach zu kriegen. Und wenn sie für einen Moment wach war, fielen ihre Augen im nächsten Augenblick wieder zu. Ich war von 9.30 bis 19.45 Uhr im Krankenhaus und immer in der Hoffnung, dass sie jeden Moment aufwacht und wir losfahren können. Jetzt werden wir halt morgen früh starten. Ich habe das schon mit dem Hotel abgeklärt. Dabei hat sie sich heute Morgen so gefreut. Vor Aufregung hat sie viel geredet, darunter viele Wörter recht deutlich. Die Therapie, die sie jetzt macht, stammt von der Universitätsklinik Göttingen. Es gibt aber keine Voraussagen. Die Ärztin sagt, jeder Patient reagiert anders. Ich hoffe so sehr, dass Edda positiv darauf reagiert. Es gibt einen Spezialisten auf diesem Gebiet, der in Verona sitzt. Das Ärzteteam des Bozner Krankenhauses steht mit ihm in engem Kontakt und hat ihm sämtliche Unterlagen zukommen lassen. Von den Gegenproben haben wir bis jetzt noch nichts gehört, die behandelnde Ärztin wird nachfragen. Ich denke, dass sie alle zur Verfügung stehenden Ressourcen in Anspruch nimmt. Wenn Edda kurz wach war, hat sie mich jedes Mal ganz lieb angelächelt. Der Blick wird mir in Erinnerung bleiben.

Montag, 26. Oktober 2009

15:17 Uhr: Ich bin leider nicht zum Schreiben gekommen, da ich Edda jetzt nachts immer die Hand halte. Aber heute Abend schreibe ich detaillierter. Fürs Erste: Es waren zwei schöne Tage mit Edda, die sie sehr genossen hat.

23:30 Uhr: Es ist spät geworden, ich habe Edda wieder solange die Hand gehalten, bis sie einschlief. Am Samstag starteten wir endlich zum Wellnesshotel, sie war sehr aufgeregt und glücklich. Leider musste ich feststellen, dass drei Stunden Autofahrt wohl zu viel für sie waren. Sie saß wieder auf der Rückbank, denn sie war partout nicht dazu zu bewegen, vorne zu sitzen. Im Rückspiegel konnte ich sehen, dass sie viel in ihren Gedanken verweilte. Als wir ankamen, weinte sie heftig. Ich brauchte eine gute Viertelstunde, um sie wieder zu beruhigen.

Ihre Motorik lässt immer mehr nach, sie musste jetzt bei jedem Schritt gestützt werden. Im Zimmer habe ich sie erst einmal hingelegt, damit sie sich entspannt. Das hat auch gut funktioniert, denn sie wurde zusehends ruhiger und entspannter. Ab 15 Uhr gab es im Restaurant Snacks, Kaffee und Kuchen, Tee, Getränke und sogar Nudeln. Edda hat eine Waldbeerentorte sowie etwas Obstsalat ausgesucht und mit meiner Hilfe gegessen. Dazu einen Kaffee – österreichischen – den mag sie nach wie vor nicht.

Nachdem ich ihr wieder im Zimmer den Bikini angezogen hatte, machten wir uns auf den Weg ins Hallenbad. Leider war es dort sehr voll. Viele Menschen machen sie nervös. Ich konnte sie nicht dazu bewegen, ins Wasser zu gehen. Sie hatte Angst. Als ich uns Liegen suchte und sie für einen Moment alleine stehen ließ, fiel sie auch schon um. Dabei wurde sie böse und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich hielt es für besser, dass wir auf das Zimmer zurückgingen. Den Vorfall vergaß sie zum Glück sehr schnell. Während sie sich auf dem Bett ausruhte, ließ ich ihr die Badewanne mit sehr viel Schaum volllaufen. Das anschließende Bad genoss sie in vollen Zügen und wollte nicht mehr aus der Badewanne raus. Nach dem Haarewaschen ließ ich sie noch eine Weile drin. Abtrocknen, föhnen und anziehen ging dann sehr entspannt und fröhlich vonstatten.

Wir lachten viel, dann war es schon Zeit für das Abendessen. Es bereitete mir etwas Sorgen, weil sie unruhig wurde, wenn viele Menschen um uns herum waren. Mein Vorschlag, dass sie sich nur auf mich konzentrieren sollte, setzte sie gut in die Tat um. Es gab an diesem Abend Essen in Buffetform, das ist natürlich nichts für sie. Zum Glück hatten wir eine sehr nette Kellnerin, die uns trotz Buffet bediente und uns allerlei nach Herzenswunsch brachte. So brauchte ich Edda nur einzugeben. Sie hat viel gegessen. Am besten hat ihr die Lammhaxe geschmeckt, aber auch der Wein, der übrigens aus Kaltern war. Zurück auf dem Zimmer richteten wir uns für die Nacht und schauten auf meinem Computer den Film „Wickie und die starken Männer“ von Bully Herbig. Das Ende bekam sie nicht mehr mit, weil sie während des Films einschlief.

Der nächste Morgen war für sie wieder sehr schmerzhaft. Die Gelenke und die Muskeln tun ihr nach dem Aufwachen sehr weh. Die Verkrampfung ist ein großes Problem. Ich gab ihr alle Tabletten, die nach einiger Zeit wirkten und ihr halfen. Beim Frühstück waren zwar viele Menschen am Buffet, aber da sie ausgeschlafen war, störte sie das weniger. Edda hat eine halbe Semmel mit Butter und Nutella gegessen, dazu einen Kaffee und einen Traubensaft. Ich habe ihr noch ein Brot mit Käse für die Rückfahrt gerichtet.

Eigentlich hatte ich noch vor mit ihr nach Kitzbühel zu fahren, aber nachdem ich auf der Hinfahrt bemerkte, dass die drei Stunden Autofahrt schon zu viel waren, verzichtete ich darauf. Gegen 11 Uhr machten wir uns dann auf den Weg. Auf dem Brenner machten wir einen Zwischenstopp und gingen noch ins Einkaufzentrum. Sie weinte wieder bitterlich, als ich ihr beim Aussteigen aus dem Auto half. Sie hatte sehr viele „wache“ Momente dieses Wochenende, es machte mich unglücklich, sie so hilflos zu sehen und nichts dagegen tun zu können. Die Geschäfte lenkten sie etwas ab. Sie fand einen Nicki-Sweater schön, den ich ihr dann auch kaufte. Mehr Geschäfte interessierten sie dann nicht mehr, sie war wieder überfordert.

Zu Hause angekommen begann sie wieder zu weinen. Ich half ihr aus dem Auto. Sie schaute mich an und sagte klar und deutlich: „Markus, i woass nix mehr – Markus, ich weiß nichts mehr!“ In diesem Augenblick standen Jasmin und Fabian in der Tür. Bei ihrem Anblick hat sie sich erschreckt und sah die Kinder mit einem fragenden Blick an. Mir kam vor, dass sie die beiden nicht mehr erkannt hat. Die Kinder überspielten die Situation so gut es ging.

Nach dem Essen, unsere Freundin Sabine hatte Lasagne gemacht, legte ich Edda ins Bett, wo sie gleich für eine halbe Stunde einschlief. Als sie aufwachte, lösten sich Lachen und Weinen beinahe nahtlos ab. Ihre Bewegung wurde zusehends schlechter. Der Fernseher brachte etwas Ablenkung. Die Kinder waren inzwischen in ihren Zimmern und schliefen. Jetzt begann die nächste Verschlechterung, die nicht nur Edda in Schockzustand brachte. Sie konnte von der Couch nicht mehr alleine aufstehen. Sie brach in Tränen aus. Ich gab ihr die Beruhigungstropfen, aber nichts half. Ich wusste nicht mehr weiter. Edda krallte sich an meinen Händen fest. Mit viel Geduld konnte ich sie dann überzeugen, dass wir die Nacht im Wohnzimmer auf Matratzen verbringen sollten. So musste sie die Treppen hinauf ins Schlafzimmer nicht bewältigen. Die ganze Nacht musste ich ihre Hand halten, die sich immer wieder verkrampfte. In diesen Momenten entwickelte Edda eine ungeheure Kraft.

Am frühen Morgen schlief sie dann endlich tief und fest und bekam das Läuten des Weckers nicht einmal mit. Als sie aufwachte, war sie fröhlich und redete – wenn auch unverständlich – ununterbrochen. Die Kraft ihrer Stimme lässt langsam nach, es hört sich wie ein heiseres Sprechen an. Sie hatte richtig gute Laune und lachte viel. Als ich ihr beim Aufstehen half, fiel mir auf, dass die Arme total nass war – bis zum Rücken hoch. Sie hatte sich in der Nacht in die Hosen gemacht. Nachdem ich sie gewaschen und frisch angezogen hatte, frühstückten wir zusammen. Dann war es wieder Zeit, sie zurück ins Krankenhaus zu bringen. Dort angekommen wollte sie partout nicht mehr aus dem Auto aussteigen – sie wollte oder konnte nicht – keine Ahnung. Jedenfalls musste ich einen Rollstuhl organisieren – sie saß zum ersten Mal in einem Rollstuhl. Ich hatte Riesenangst, dass dies nun der nächste Schritt der Krankheit sei.

In der Neurologie freuten sich die Krankenschwestern und Krankenpfleger, sie wieder zu sehen. Edda ihrerseits strahlte über das ganze Gesicht, als eine Pflegerin sagte: „Hoi Edda, do bisch du jo endlich wiedr, mir hobn die schun vermisst! – Hallo Edda, da bist du ja endlich wieder, wir haben dich schon vermisst!“ Ich blieb vormittags noch bei ihr und trat meinen Dienst gegen 14 Uhr an. Inzwischen war Angie bei ihr. Der Nachmittag würde für Edda anstrengend werden, da sich eine ganze Menge Freundinnen angemeldet hatten. Von Marisa, Irene, Gerti, Karin, Michaela wusste ich, dass sie kommen würden. Wer dann noch gekommen ist, weiß ich nicht.