Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch

die Stiftung Südtiroler Sparkasse,

die Südtiroler Landesregierung/Abteilung Deutsche Kultur,

die Tiroler Landesregierung/Innsbruck

und durch die Autonome Region Trentino-Südtirol

in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Kulturinstitut.

2019 • Zweite, überarbeitete Auflage
Alle Rechte vorbehalten
© by Athesia Buch GmbH, Bozen (2015)
Design & Layout: Athesia-TappeinerVerlag

ISBN 9788868394707

www.athesia-tappeiner.com
buchverlag@athesia.it

Inhalt

  1. Gab es ein urgeschichtliches »Tirol«?
  2. Wer ist der bekannteste Ur-»Tiroler«?
  3. Was machten die Römer in bzw. aus»Tirol«?
  4. Seit wann gibt es ein Land Tirol?
  5. Woher kamen die Tiroler?
  6. Wovon lebten die Menschen in Tirol?
  7. Was heißt »Schwaz ist aller Bergwerke Mutter«?
  8. Welche Bedeutung hat die Salzgewinnung für Tirol?
  9. Verkehr durch Tirol – Segen oder Fluch?
  10. Seit wann spricht man in Tirol Deutsch?
  11. Seit wann sind die »Tiroler« Christen?
  12. Welche politische Bedeutung hatten die Bischöfe für die Grafschaft Tirol?
  13. Wie kam Tirol unter die Herrschaft der Habsburger?
  14. Wie kamen Margarethe »Maultasch«, Friedl »mit der leeren Tasche« und Sigmund»der Münzreiche«zu ihren Beinamen?
  15. War Innsbruck unter Kaiser Maximilian I. die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches?
  16. Wie kam es zu den Grenzen des historischen Landes?
  17. Wie wehrhaft waren die Tiroler?
  18. Gibt es eine »Magna Charta libertatum Tirols«, und ist Tirol die älteste Festlanddemokratie?
  19. Welche Bedeutung hat das (Tiroler) Landlibell des Jahres 1511?
  20. War Tirol ein Land der freien Bauern?
  21. Wer war Michael Gaismair?
  22. Innsbruck als Hauptstadt von »Oberösterreich«?
  23. Wo und wann entstanden Städte in Tirol?
  24. Wozu dienten Burgen?
  25. War Tirol schon immer ein »heiliges« Land?
  26. Warum blieb Tirol auch nach der Reformation katholisch?
  27. Welche Bedeutung hatte das Täufertum in Tirol?
  28. Welche berühmten Bauten in Tirol stammen aus dem Mittelalter?
  29. Warum gibt es keinen Bischof von Tirol und hat es nie einen gegeben?
  30. Wie kam es zu den Bezeichnungen Tirolini, Berner, (Etsch-)Kreuzer, Guldiner und Taler für Tiroler Münzen?
  31. Welche Rolle spielten die Grafen von Görz in der Geschichte Tirols?
  32. Seit wann gibt es den Tiroler Adler als Wappentier?
  33. Jüdische Ritualmorde in Tirol?
  34. Wo und wie konnte man in Tirol Bildung erwerben?
  35. Gab es auch in Tirol Hexen und Zauberer?
  36. Woher kamen die Frauen der Tiroler Landesfürsten?
  37. Wie weit reichte der Arm der Innsbrucker Regierung in der frühen Neuzeit?
  38. Luthers Gegenspieler in Tirol –wer war Petrus Canisius?
  39. Wem verdankt Tirol das berühmteste Badezimmer des Alpenraums?
  40. Schloss Tirol, Schloss Ambras und Castello del Buonconsiglio – wie erklärt sich die unterschiedliche Geschichte der drei berühmtesten Schlösser Tirols?
  41. Weshalb kam eine Florentinerin als Landesfürstin nach Tirol?
  42. Welches war das Aufsehen erregendste Todesurteil des 17. Jahrhunderts in Tirol?
  43. Welches Ereignis rückte die Innsbrucker Hofkirche ins Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit?
  44. Wer gründete die Innsbrucker Universität?
  45. Was war der »Bayerische Rummel«?
  46. Wie kam es in »Tirol« zur Gründung einer wissenschaftlichen Akademie?
  47. Welcher Triumph wurde mit der Innsbrucker Triumphpforte gefeiert?
  48. Wer war die »kropferte Liesl«?
  49. Gab es in Tirol eine »Aufklärung«?
  50. Wann und warum ging die weltliche Herrschaft der Bischöfe zu Ende?
  51. Warum kam Tirol 1806 zu Bayern?
  52. Wofür und wogegen kämpften die Tiroler im Jahr 1809?
  53. Ein »Held« – viele Schicksale: Wer denkt in Tirol an Andreas Hofers Mitstreiter?
  54. Herz-Jesu-Feiern-seit wann und warum gibt es diese Tradition?
  55. Wie kam es zur Ausweisung der Zillertaler»lnklinanten«?
  56. Die Tiroler Landeshymne–auf wen und auf welches Ereignis geht sie zurück?
  57. Wann wurde Tirol zur »österreichischen« Provinz?
  58. Welche Festungen sollten Tirol vor seinen »Feinden« schützen?
  59. Gab es 1848 in Tirol eine Revolution?
  60. Welche Bedeutung hatte die Grundentlastung von 1848 für die Landwirtschaft in Tirol?
  61. Worum wurde im »Tiroler Kulturkampf« gerungen?
  62. »Her-Story« in Tirol – gibt es eine Tiroler Frauengeschichte?
  63. Wann und warum entwickelte sich Meran vom »Kuhstadtl« zur Kurstadt?
  64. Was geschah bei den sogenannten »Fatti di Innsbruck«?
  65. Ein Opfer der »Erbfeindschaft«: Wer war Cesare Battisti?
  66. Wie kam es zum Krieg in Fels und Eis?
  67. Warum gibt es in Tirol wenig Großindustrie?
  68. Warum und wie kam Südtirol zu Italien?
  69. Warum mussten nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Grandhotels ihre Tore schließen?
  70. Warum stimmten 98,5 Prozent der Nord- und Osttiroler Bevölkerung im April 1921 für den Anschluss an die Weimarer Republik?
  71. Wofür steht das Siegesdenkmal in Bozen?
  72. Welche Rolle spielte Tirol im österreichischen Ständestaat?
  73. Was war die Katakombenschule in Südtirol?
  74. Wie gestaltete sich das »Königreich« des Gauleiters Franz Hofer als Teil des nationalsozialistischen Deutschen Reiches?
  75. Warum spaltete die Option die Südtiroler Bevölkerung?
  76. Was war die »Operationszone Alpenvorland«?
  77. Welche Schäden verursachte der Bombenkrieg in Tirol?
  78. Warum war seit 1945 Französisch im Bundesland Tirol weit verbreitet?
  79. Wie gestaltete sich der Wiederaufbau nach 1945 im Bundesland Tirol?
  80. Warum tauchten Adolf Eichmann und Josef Mengele gerade in Südtirol unter?
  81. Wie kam es zum Gruber-Degasperi-Abkommen?
  82. Wie entstand der »Geist von Alpbach«?
  83. Welche militärstrategische Rolle spielte Tirol im Kalten Krieg?
  84. Warum haben Wasserkraftwerke und Stauseen in Südtirol neben der wirtschaftlichen Bedeutung eine politische Brisanz?
  85. Wofür wurde 1957 auf Schloss Sigmundskron demonstriert?
  86. Was geschah in der »Bozner Feuernacht«?
  87. Welche Bedeutung hatten für den Tourismus die Olympischen Winterspiele in Innsbruck und die Alpine Ski-WM in Gröden?
  88. Wie wurde die Brennerautobahn von der »Traumstraße der Alpen« zum »Alptraum Straße«?
  89. War auch Tirol Schauplatz der 1968er-Bewegung?
  90. Warum gilt Silvius Magnago als »Vater des Südtirol-Pakets«?
  91. Was änderte sich in Südtirol durch das Zweite Autonomiestatut?
  92. Warum gilt Eduard Wallnöfer als »Vater der ARGE ALP«?
  93. Wer waren die ersten Frauen in den Landtagen nördlich und südlich des Brenners?
  94. Welche Rolle spielte die katholische Kirche in der Südtirolpolitik des 20. Jahrhunderts?
  95. Warum gilt der Brenner als ein Ort zeitgeschichtlicher Grenzerfahrungen?
  96. Welche Rolle nahmen die Ladiner im 20. Jahrhundert ein?
  97. Wie entwickelte sich Osttirol im Laufe des 20. Jahrhunderts?
  98. Wie viele Tirol gibt es außerhalb von Tirol?
  99. Der Blick von außen-wie wurde Tirol von Nicht-Tirolern gesehen?

Vorwort

Gute Ideen haben nicht selten mehrere Väter (und Mütter). Dies gilt auch für die hier vorliegende Publikation „99 Fragen an die Geschichte Tirols«, die aus der gemeinsamen Arbeit zahlreicher Personen hervorgegangen ist.

Die Initialzündung ist Alfons Gruber zu danken, selbst Historiker und Programmleiter für Tirolensien beim Athesia Verlag Bozen. Angeregt von den im Jahre 2009 im Ueberreuter-Verlag (Wien) erschienenen „99 Fragen an die Geschichte Österreichs« aus der Feder von Georg Kugler und Herwig Wolfram trat er an die in Innsbruck lehrende Professorin für Österreichische Geschichte, Brigitte Mazohl, mit dem Vorschlag heran, eine vergleichbare Publikation für die Geschichte Tirols zu verfassen.

Die Anregung fiel sogleich auf fruchtbaren Boden, zumal sich mit Josef Riedmann, dem emeritierten Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Innsbruck, rasch ein zweiter Autor fand. Für die Ur- und Frühgeschichte konnte der Archäologe Günther Kaufmann vom Tiroler Landesinstitut am Südtiroler Kulturinstitut gewonnen werden. Norbert Parschalk, Zeithistoriker und Geschichtsdidaktiker in Bozen, Innsbruck, Augsburg und Mainz, erklärte sich erfreulicherweise spontan bereit, den zeitgeschichtlichen Teil der 99 Fragen zu übernehmen. Noch offene Themen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte beantwortete im Laufe des Arbeitsprozesses der vormalige Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck, Franz Mathis.

Ziel unserer weitgehend chronologisch angeordneten 99 Fragen ist es, die wichtigsten Ereignisse, Persönlichkeiten (und gelegentlich auch Gedenkstätten) der Tiroler Geschichte mit kurzen und in sich abgeschlossenen Texten historisch fundiert ins Gedächtnis zu rufen und dabei stets auch die allgemeine »größere« Geschichte im Auge zu behalten.

Unser Dank gilt allen großzügigen Sponsoren sowie Frau Ingrid Marmsoler und Herrn Bernhard Thaler vom Athesia Verlag für die professionelle verlagstechnische Begleitung. Ein ganz besonderes Dankeschön gebührt Alfons Gruber – zum einen für die zündende Idee, zum anderen für sein gründliches Lektorat.

Im Namen aller Autoren
BRIGITTE MAZOHL

AUTORENKÜRZEL

G. K. Günther Kaufmann
F.M. Franz Mathis
B.M. Brigitte Mazohl
N.P. Norbert Parschalk
J.R. Josef Riedmann

1. Gab es ein
urgeschichtliches »Tirol«?

Diese Frage muss eindeutig mit Nein beantwortet werden. Dennoch gab es eine für die Urgeschichte kurze Zeitspanne, während der es eine kulturelle Einheit des Zentralalpenraumes gab. Dazu aber erst am Ende dieses Kapitels.

Der geografische Raum von Tirol, der das Inntal, das obere Drautal, das Etschtal und das Eisacktal mit den jeweiligen Seitentälern umfasst, wurde nach der letzten Eiszeit ab etwa 14.000 v. Chr. wieder regelmäßig von Menschen aufgesucht. Zuerst streiften Jäger und Sammler durch die nacheiszeitliche arktische Landschaft der Alpen.

Erst mit dem Übergang von der Mittelsteinzeit zur Jungsteinzeit und dem Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise wurden die Menschen im 6. Jahrtausend v. Chr. sesshaft. Sie siedelten in den Haupttälern und lebten von Ackerbau und Viehzucht. Während der frühen Jungsteinzeit umfasste die sogenannte Gaban-Gruppe das Trentino und Südtirol. Die urgeschichtlichen Gruppen und Kulturen werden zumeist nach Fundorten benannt: Gaban ist ein Felsdach bei Trient. Während der fortgeschrittenen und endenden Jungsteinzeit gab es im Südalpenraum die sogenannte VBQ-Kultur. Diese Kultur der »vasi a bocca quadrata« (Töpfe mit quadratischer Mündung) ist im gesamten oberitalienischen Raum beheimatet. Das Inntal war vom nördlichen Alpenvorland beeinflusst: von der Pollinger Gruppe, der Münchshöfener und der Rösener Kultur.

Und während die frühkupferzeitliche nordalpine Chamer Gruppe auf das Inntal einwirkte, stand das Etschtal um das 3. Jahrtausend v. Chr. zuerst unter dem Einfluss der südalpinen Gruppe Isera-Tamins-Carasso, später dann unter jener der Figuren-Menhire.

Trotz der kulturellen Trennung der Gebiete nördlich und südlich des Alpenhauptkammes war dieser keine unüberwindbare Barriere. Die niederen Alpenpässe Brenner und Reschen, aber auch die höheren Übergänge (z. B. Tisenjoch) ermöglichten während der gesamten Urgeschichte persönliche Mobilität und Austausch von Waren und Ideen.

Während der Bronzezeit, im 2. Jahrtausend v. Chr., wurden neben den Haupttälern auch die Seitentäler dauerhaft besiedelt, daneben erschloss man zahlreiche Almgebiete. Die kulturellen Einflüsse kamen nach wie vor aus den Ebenen nördlich und südlich der Alpen. So stehen in der Frühbronzezeit Straubinger gegen Polada-Einflüsse, während der Mittelbronzezeit Einflüsse der süddeutschen Hügelgräberkultur gegen oberitalienische Terramare-Kultur. Im 14. Jahrhundert v. Chr. bildete sich in Trentino-Südtirol die südalpine Gruppe Protolaugen (auch Dos dei Gustinaci) heraus, während in Nordtirol die Inntaler Gruppe (auch Nordtiroler Urnenfelderkultur) entstand. Die Inntaler Gruppe bestand bis ins 6. Jahrhundert v. Chr., aus der bronzezeitlichen Urnenfelderkultur entwickelte sich die eisenzeitliche Hallstattkultur. Aus der südalpinen Gruppe Protolaugen entstand um 1200 v. Chr. die Laugen-Melaun-Gruppe, die den Bogen von der Endbronzezeit zur mittleren Eisenzeit spannte und sich ebenfalls bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. hielt. Vor allem die letzten Jahrhunderte des 2. Jahrtausends v. Chr. stellen für die Inntalgruppe und die Laugen-Melaun-Gruppe eine hervorragende kulturelle Blütezeit dar, welche auf die massive Ausbeutung der Kupfervorkommen im zentralen Alpenraum und auf die Kontrolle der alpinen Verkehrswege zurückzuführen ist. Die Laugen-Melaun-Gruppe breitete sich zwischenzeitlich über das Gebiet Trentino-Südtirol hinaus nach Osttirol und nach Graubünden aus, konnte in Nordtirol aber nicht Fuß fassen.

Die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. ist für das urgeschichtliche »Tirol« ein historischer Achsenpunkt. Erstmals überspannte eine urgeschichtliche Gruppe den Alpenhauptkamm. Diese Einheit wird in der Archäologie nach zwei Fundorten – im Inntal und auf dem Nonsberg – als Fritzens-Sanzeno-Gruppe benannt. Heiligtümer mit Brandopferritus, Friedhöfe mit Brandbestattungen, Siedlungen mit zweigeschossigen Häusern und vor allem das charakteristische Hausratinventar aus Keramik und Eisengeräten sind Kennzeichen der kulturellen Einheit des jüngereisenzeitlichen »Tirols«, des geografischen Raumes des heutigen Nord-, Süd-, Osttirols und des Trentino.

»Historisch« wird diese vom 6. bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. bezeugte archäologische Gruppe mit der Bezeichnung »Räter« gekennzeichnet. Antike Geschichtsschreiber berichteten, dass in den Alpen die Räter lebten. Sie lokalisierten diese in widersprüchlicher Weise in den Alpen, zwischen Piave und Lago Maggiore, zwischen Bodensee und Unterinntal. Im Detail zählten sie dort aber zahlreiche andere Namen von Stämmen auf. Im Fritzens-Sanzeno-»Tirol« sind die Genaunes und Breuni (in Nordtirol), die Venostes, Isarci und Saevates (in Südtirol), die Laianci (in Osttirol), die Tridentini, Anauni, Tuliasses und Sinduni (im Trentino) als Stämme genannt.

Auch sprachlich bildeten diese einzelnen Räterstämme eine kulturelle Einheit. Nachdem sich die Etrusker im 6. Jahrhundert v. Chr. in der Poebene ausgebreitet hatten, übernahmen die Alpenbewohner von ihnen u. a. die Schrift, insgesamt vier nordetruskische Alphabete sind erhalten. Nur auf dem Gebiet der Fritzens-Sanzeno-Gruppe gibt es Inschriften im sogenannten Alphabet von Bozen (bzw. Sanzeno). Die in diesem Alphabet verfassten Texte gehören zu einer nicht-indogermanischen Sprache, die mit dem Etruskischen verwandt ist. Zudem gibt es beidseits des Alpenhauptkammes Ortsnamen, die als rätische Besitzernamen (z.B. Brixen, Fritzens) gedeutet werden. Daneben gibt es aber auch – vor allem im Inntal – zahlreiche ostalpenindogermanische Ortsnamen. Für das Inntal wurde daher an ein Übergreifen der rätischen Oberschicht aus dem Süden gedacht.

Die kulturelle und sprachliche Einheit der Räter war vielleicht auch eine politische: als mehr oder weniger loser Verband einer Adelsschicht und der von ihnen angeführten Stämme. Bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. bröckelte dieser Stammesverband, kulturelle Eigenheiten der Fritzens-Sanzeno-Gruppe verfielen unter dem Einfluss der Römer. Mit dem Alpenfeldzug im Jahr 15 v. Chr. wurden die letzten rätischen Stämme ins Römische Reich eingegliedert.

G.K.

2. Wer ist der bekannteste
Ur-»Tiroler«?

Die Antwort fällt nicht schwer. Weltweit bekannt ist er, jener etwa 45 Jahre alte Mann, der vor über 5000 Jahren am Tisenjoch zwischen Schnalstal und Ötztal gestorben ist. Der im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen beherbergte »Mann aus dem Eis« ist eine der bekanntesten und bedeutendsten Mumien der Welt. Das Einmalige besteht darin, dass ein Mann – mitten aus dem Leben gerissen – in vollständiger Kleidung und Ausrüstung erhalten blieb.

Am 19. September 1991 entdeckte das Nürnberger Ehepaar Erika und Helmut Simon am Tisenjoch (3210 m) einen aus dem Eis herausragenden Oberkörper. Man dachte an einen verunglückten Bergsteiger, die Leiche kam in das Institut für Gerichtsmedizin in Innsbruck. Der Tote lag in einer fast vierzig Meter langen, zwei bis drei Meter tiefen und bis zu acht Meter breiten, damals eisfreien Felsmulde. Diese liegt quer zur Fließrichtung des Gletschers, die Eismassen konnten so über die Mulde fließen, ohne den Toten zu beeinträchtigen. Die Fundstelle befindet sich 92,56 Meter auf Südtiroler Seite der italienisch-österreichischen Staatsgrenze, die hier 1922 abgesteckt wurde, als 20 Meter hoch Eis und Schnee das Gelände bedeckten. Heute steht dort eine vier Meter hohe Steinsäule. Im Oktober 1991 und im Sommer 1992 fanden archäologische Untersuchungen an der Fundstelle statt, um alle noch erhaltenen Ausrüstungsgegenstände zu bergen und deren Lage genau zu vermessen.

Was ist das Besondere an diesem Toten? Warum ist er eine Weltsensation? Zum einen ist es der gute Erhaltungszustand, zum anderen das hohe Alter.

Schon wenige Tage nach der Bergung wurde aufgrund des Kupferbeils ein urgeschichtliches Alter bestimmt. Dies konnte in der Folge durch C14-Datierungen präzisiert werden. Demnach lebte der Mann aus dem Eis im Zeitraum zwischen 3350 und 3100 v.Chr., also während der frühen Kupferzeit.

Der gute Erhaltungszustand des Körpers ist auf eine natürliche Mumifizierung zurückzuführen. Der Tote muss gleich von einer schützenden Schneeschicht bedeckt worden sein, die über Jahre luftdurchlässig blieb und so zur Gefriertrocknung und dann zur Mumifizierung geführt hat, erst dann wurde die Mumie im Gletschereis bei –6°C und 99 Prozent Luftfeuchtigkeit konserviert. Zwischenzeitlich könnte das Eis in der Mulde zwar mehrmals aufgetaut sein und zur Verlagerung des Toten geführt haben, doch wirklich freigelegen haben dürfte er so gut wie nie, sonst wäre er verwest oder von Tieren angefressen worden. Die natürliche Mumifizierung hat bewirkt, dass trotz teilweiser Dehydrierung dennoch alle Organe, Muskeln und Gewebe bestens erhalten sind. Man spricht von einer Feuchtmumie, denn in den Zellen ist noch Feuchtigkeit gespeichert: die älteste Feuchtmumie der Welt!

Auch die exzellente Erhaltung der Ausrüstungsgegenstände, vor allem das gesamte Ensemble an Kleidungsstücken und Geräten aus Fell, Leder, Gras, Holz u. a. ist bisher herausragend für die frühe Kupferzeit.

Zu einer Weltsensation wurde die Mumie allerdings erst durch die Medien. Medienvertreter haben der Mumie über 500 verschiedene Namen gegeben. Vom Wiener Journalisten Karl Wendl stammt der Name »Ötzi«, in Anlehnung an das Ötztal. Viele Spekulationen heizten die Diskussion immer wieder an, am längsten hielt sich die haltlose These vom Fluch des Ötzi.

Der etwa 45-jährige Mann war ca. 1,6 Meter groß und um die 50 Kilogramm schwer. Er hatte dunkle Augen, schulterlanges, gewelltes, dunkles Haar und einen Bart. Isotopenuntersuchungen an seinen Zähnen und Knochen haben gezeigt, dass er im Eisacktal oder vorderen Pustertal aufgewachsen sein muss und dass er als Erwachsener im Etschtal gelebt hat.

Verschiedene Verletzungen hat er noch zu Lebzeiten erlitten. Einen gut verheilten – und damit länger zurückliegenden – Serienrippenbruch weist der linke Brustkorb auf. Stresssituationen bzw. eine Schwächung des Immunsystems ca. 16 und 13 Wochen sowie am heftigsten acht Wochen vor dem Tod sind durch drei sogenannte Beau-Reil-Querfurchen am Fingernagel belegt. Eine nicht verheilte tiefe Schnittwunde an der rechten Hand sowie zahlreiche Abschürfungen und Blutergüsse, besonders am Rücken, zeugen von einem Nahkampf, der einen oder zwei Tage vor seinem Tod stattgefunden haben muss. Ein Schädel-Hirn-Trauma mit einer Blutung im linken hinteren Bereich des Gehirns und der Bruch des rechten Schädelknochens lassen auf einen Sturz auf einen Felsen oder auf einen Angriff schließen.

Drei Mahlzeiten in seinem Darm und Magen weisen unterschiedliche Pollenspektren auf. Daraus erschloss man seine Wanderbewegungen der letzten zwei Tage, vom Hochgebirge (Baumgrenze) ins untere Schnalstal oder Burggrafenamt (Hopfenbuchen-/Mischwaldpollen, heller Glimmer) und dann wieder ins Hochgebirge. Dort nahm er zwischen einer halben und zwei Stunden vor seinem Tod sein letztes, ausgiebiges Mahl zu sich. Das noch nicht verdaute Essen bestand aus Steinbockfleisch und Getreide. Das Essen im Hochgebirge und die in der Felsmulde ausgebreiteten Ausrüstungsgegenstände weisen darauf hin, dass der Mann sich dort sicher gefühlt hatte. Ein trügerischer Fehlschluss.

Die Todesursache ist geklärt: Es war Mord. Ein Pfeilschuss in die linke Schulter hat zu einer ausgedehnten Blutung geführt, innerhalb weniger Minuten muss der Mann innerlich verblutet sein. Während seiner Rast war er überrascht und hinterrücks getötet worden. Die tödliche Pfeilspitze steckt noch in der Schulter, der Pfeilschaft aber war herausgezogen worden.

Zahlreich sind die Thesen zur gesellschaftlichen Rolle des Mannes: Jäger, Hirte, Händler, Erzsucher, Schamane. Einzig das damals seltene und wertvolle Kupferbeil lässt einen Schluss zu und weist auf eine hohe Stellung in der Hierarchie seiner Siedlungsgemeinschaft.

Die Siedlungsgemeinschaft, aus der der Mann aus dem Eis stammte, ist im Burggrafenamt zu suchen. Die Pollen, der Glimmer, die Isotopenanalysen und die noch unfertigen Ausrüstungsgegenstände, wie der Bogenstab aus Eibe und die Pfeilschäfte aus Wolligem Schneeball, weisen dieses Gebiet als seinen Ausgangspunkt bzw. seine Heimat aus. Er gehörte einer Kulturgruppe der frühen Kupferzeit an, die in der Archäologie als Gruppe Isera-Tamins-Carasso bezeichnet wird und den mittleren Südalpenraum umfasste.

G.K.

3. Was machten die Römer in bzw. aus »Tirol«?

Schon im Verlauf des 1. Jahrhunderts v. Chr. zerbröckelte unter dem Einfluss der Römer die kulturelle Eigenständigkeit der späteisenzeitlichen Fritzens-Sanzeno-Gruppe »Tirols«. Das Pustertal und das Drautal kamen im Verlauf des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. zum ostalpinen keltisch-norischen Königreich, welches wiederum mit Rom ein Gast- und Freundschaftsabkommen einging. Das untere Etschtal und Trient gerieten 94-90 v. Chr. unter die militärische und politische Hoheit des Römischen Reiches, welches zur Zeit Cäsars 45 v. Chr. bereits bis Meran gereicht haben dürfte. Im Sommer 15 v. Chr. folgte der römische Alpenfeldzug durch die Stiefsöhne des Kaisers Augustus, Drusus und Tiberius, welcher mit der vollständigen Einverleibung der Alpen und des nördlichen Voralpenraumes in das Imperium Romanum endete. Die besiegten Alpenstämme scheinen in der Inschrift des Siegesmonumentes von La Turbié (Frankreich) auf.

Noch unter Augustus erfolgte 13–12 v. Chr. eine Verwaltungsreform in Italien. Nordostitalien wurde zur Regio X Venetia et Histria, zu der auch das Etschtal bis Meran und das untere Eisacktal bis Kollmann gehörten. Im alpinen Etschtal hatte nur Trient das Stadtrecht (Municipium Tridentum), wahrscheinlich seit 59–51 v. Chr. oder 49–41 v. Chr.

Das Inntal, der Vinschgau und das obere Eisacktal waren seit dem Alpenfeldzug dem Militärverwaltungssprengel Raetia, Vindelicia et Vallis Poenina zugeordnet, der das gesamte nordalpine Gebiet zwischen Bodensee und Inn bis zur Donau umfasste. Daraus entstand die Provinz Raetia mit der Hauptstadt Augsburg.

Das norische Königreich – und damit auch das Pustertal und Drautal – kam ebenfalls unter römische Verwaltung und wurde zur Provinz Noricum, die den ostalpinen Raum bis zur Donau abdeckte, mit der Hauptstadt Virunum (Zollfeld bei Maria Saal).

Damit war die späteisenzeitliche rätische Fritzens-Sanzeno-Gruppe endgültig zerschlagen und auf drei unterschiedliche römische Verwaltungseinheiten aufgeteilt: Italien (Regio X) und zwei Provinzen (Raetia und Noricum).

Von nun an ging auch die einheimische Bevölkerung kulturell verschiedene Wege. Im Etschtal (Regio X) passte sie sich dem römischen Lebensstil viel schneller an und gewandete sich in römischen Kleidern (Toga). Im unteren Eisacktal (Noricum) hingegen hielt die einheimische Bevölkerung noch viel länger an der hiesigen Tracht mit Gewandspangen (Fibeln) fest.

Auf dem Gebiet des heutigen Tirol sind die römischen Hinterlassenschaften nicht herausragend. Dies hängt damit zusammen, dass es sich nur um Grenz- bzw. Randgebiete der jeweiligen zivilen Verwaltungseinheiten handelte. Die Römer beschränkten sich darauf, durch diese Alpentäler Militärstraßen (via Claudia Augusta u.a.) zu bauen, diese mit Raststätten (mansio Endidae, Veldidena u. a.) auszustatten, Gutshöfe (praedia) zur Versorgung anzulegen und an den Grenzen Zollstätten (statio Maiensis u.a.) einzurichten. Bei den römischen Hinterlassenschaften handelt es sich daher vorwiegend um Verkehrsinfrastrukturen und ländliche Siedlungen.

Nur eine römische Stadt gab es im heutigen Tirol: Aguntum bei Lienz, damals im Noricum. Schon unter Cäsar gab es römische Importfunde und eine erste Bauphase im Talboden bei Lienz, unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) erhielt Aguntum das Stadtrecht: Municipium Claudium Aguntum. Die repräsentative Stadtmauer mit Stadttor, die Hauptstraßen und der Hauptplatz, der Amtssitz der beiden Bürgermeister und der Abgeordnetensaal, eine Markthalle, das große luxuriöse Atriumhaus, die Thermen und ein Handwerkerviertel wurden bisher ausgegraben und geben einen Eindruck vom städtischen Leben zur Römerzeit. Ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. siedelte die Stadtbevölkerung aus Sicherheitsbedürfnissen auf den nahe gelegenen Hügel von Lavant aus, der ebenfalls den Namen Aguntum übernahm. Die Stadt im Talboden, oder was davon instand gehalten blieb, bestand aber zumindest bis ins 5. Jahrhundert.

Luxuriöses Wohnen in Villen mit Warmluftheizung (Hypokausten) und Bäder gab es aber auch auf dem Lande. Feines Geschirr aus Ton und Glas wurde importiert, in Amphoren transportierte man Wein, Olivenöl und Soßen. Mit dem Lebensstil übernahm die einheimische Bevölkerung auch die römische Kultur, die lateinische Schrift und Sprache. So entstand das Romanische bzw. Alpenromanische, das im Ladinischen bis heute fortlebt.

Die Verwaltungsreform von Kaiser Diokletian (284–305) teilte das Reich in zwölf Diözesen auf, die von vier Herrschern verwaltet werden sollten. Noricum wurde der diocesis VI Pannoniarum unterstellt, während die Regio X und Raetia zusammen zur diocesis VII Italiciana kamen. Damit entstand eine wichtige Reichsgrenze zwischen Eisack- und Pustertal, da die beiden Diözesen verschiedenen Herrschern unterstanden.

Unter Kaiser Konstantin (306–337 n. Chr.) wurde das Christentum geduldet, die Christen wurden nicht mehr verfolgt. Bald darauf (um 350) ist auch Jovinus als Bischof von Trient bezeugt. Doch erst unter Kaiser Theodosius I. wurde der neue Glaube 391 n. Chr. mit dem Verbot aller nichtchristlichen Kulte zur Staatsreligion. Bald darauf (um 400) finden sich auch in »Tirol« die ersten Kirchen: Bozen, Säben, St.Lorenzen u.a.

Die verwaltungsmäßige Dreiteilung »Tirols« blieb auch nach dem Ende des Römischen Reiches aufrecht und wurde für die frühmittelalterliche Entwicklung zwischen Langobarden, Franken und Bayern bestimmend.

G.K.

4. Seit wann gibt es
ein Land Tirol?

Für kaum ein historisch gewachsenes Land gibt es ein genaues Gründungsdatum. Diese Feststellung trifft auch für Tirol zu. Meist handelt es sich um einen längeren Prozess, an dessen Ende dann ein eigenes politisches Gebilde entstanden ist, das durch einen gemeinsamen Fürsten, ein gemeinsames Recht, eine eindeutig geografische Abgrenzung gegenüber den Nachbarn sowie ein gemeinsames Bewusstsein seiner Bewohner gekennzeichnet ist.

Am Anfang Tirols steht eine Siedlung dieses Namens oberhalb von Meran, in deren Bereich Grafen eine Burg errichteten, die seit etwa 1140 als Grafen von Tirol bezeichnet werden. Angehörige dieses Geschlechtes bauten ihren Einflussbereich innerhalb weniger Generationen zielstrebig aus. Dies geschah hauptsächlich auf Kosten konkurrierender Adelsfamilien sowie der weltlichen Rechte der Bischöfe von Trient und Brixen. Bereits Graf Albert III. von Tirol (ca. 1190–1253) erwies sich in dieser Beziehung als höchst erfolgreich. Sein Machtbereich umfasste in etwa den Vinschgau, das Burggrafenamt bis in das Bozner Becken, Gebiete im Wipptal mit dem Raum von Sterzing sowie im heutigen Nordtirol die Gerichte Naudersberg, Laudegg und Landeck sowie den Bereich zwischen Zirl und Ziller. Es ist wohl kein Zufall, dass im Jahre 1254 bei der Teilung des Erbes unter den Schwiegersöhnen dieses letzten männlichen Vertreters des alten Tiroler Grafengeschlechtes erstmals der Begriff dominium Tyrolis, Herrschaft Tirol, Verwendung gefunden hat. Allerdings war damals noch nicht ein einheitliches Land entstanden. Die entscheidenden Schritte dazu setzte Alberts Enkel Graf Meinhard II. von Tirol-Görz (1258–1295).

Für die Entstehung des neuen Landes erwiesen sich in dieser Zeit mehrere Umstände als sehr günstig. Die Gebirgstäler lagen generell am Rande der größeren alten politischen Gebilde, wie das Herzogtum Bayern im Norden und die sich damals entwickelnden Stadtstaaten im Süden. Das Reichsoberhaupt verhielt sich in der Person Kaiser Friedrichs II. (1212–1250) sehr entgegenkommend gegenüber den Ansprüchen der aufstrebenden geistlichen und weltlichen Großen, doch nach dem Tode Friedrichs, zurzeit des sogenannten Interregnums, schieden Kaiser und König als Schutzherren gegen Übergriffe Mächtiger aus. Zugleich eröffneten die Zunahme von Handel und Verkehr gesteigerte Einnahmequellen für eine tatkräftige Persönlichkeit, die in Tirol in der Gestalt von Graf Meinhard II. nahezu als ein Paradebeispiel gegeben war.

Meinhard II. gilt als Begründer des Landes Tirol. Er erweiterte seinen Machtbereich in alle Richtungen. Bei seinem Tod im Jahre 1295 unterstand ihm im heutigen Nordtirol der Bereich zwischen Arlberg und Ziller mit Einschluss des Außerfern sowie südlich von Reschen und Brenner das gesamte Etschtal bis hinunter vor die Bischofsstadt Trient und das Eisacktal mit Ausnahme der Bereiche von Brixen und Klausen. Überdies hatte Meinhard seinen maßgeblichen Einfluss in den weltlichen Territorien der Oberhirten von Brixen und Trient geltend gemacht, auf den sich seine Nachfolger immer wieder berufen konnten. Die Rechtstitel, die Meinhard bei allen diesen Ansprüchen benutzte, waren sehr verschiedener Natur, wie Eigentum an Grund und Boden sowie auch über Menschen, Lehen und insbesondere Kirchenvogteien. Die Mittel, die der so erfolgreiche Graf und seit 1286 auch Herzog von Kärnten dabei anwandte, waren Geld, Gewalt, Geschicklichkeit und auch Glück. Geld bezog Meinhard aus den Abgaben seiner Untertanen, aus den Zöllen aus dem wachsenden Transitverkehr, aus der von ihm ausgebauten Saline in Hall, der Münzprägung in Meran sowie aus eigenen Geldgeschäften. Die Gewalt bekamen vor allem die Bischöfe sowie konkurrierende Adelige zu spüren, die sich der Macht Meinhards widersetzen wollten. Geschicklichkeit bewies der Fürst etwa beim Abschluss von Bündnissen mit benachbarten Mächten sowie in der Auswahl seiner Mitarbeiter, die für ihn eine effiziente und einheitliche Verwaltung aufbauten, und Glück bedeutete es beispielsweise, dass er eine seiner Töchter mit dem Sohn des Grafen Rudolf von Habsburg vermählt hatte, der dann seit 1273 als König an der Spitze des Reiches stand. Der Tiroler Verwandte genoss die Gunst des Herrschers. Dieser fällte als Schiedsrichter in den Auseinandersetzungen zwischen Meinhard und dem Trienter Bischof keine für den Tiroler nachteiligen Urteile, und der Aufstieg Meinhards zum Herzog von Kärnten war ein sehr sichtbarer Lohn für die Unterstützung, die auch Rudolf als König vom Grafen erfahren hatte. Der Habsburger nahm es auch zur Kenntnis, als Meinhard auf einem Hoftag in Ulm im Jahr 1282 durch den befreundeten Bischof von Chur verkünden ließ, der Graf von Tirol gehöre weder zum Herzogtum Bayern noch zum Herzogtum Schwaben, sondern er sei ein Lehensmann der Kirche von Trient, die bekanntlich zu Italien gehöre. Diese zumindest etwas einseitig formulierte Aussage ist gewiss auch vor dem Hintergrund einer angestrebten Unabhängigkeit des Tiroler Machtbereichs von den alten politischen Einheiten im Norden zu sehen. In diese Entwicklung fügt sich auch die Erwähnung eines eigenen, leider nur bruchstückhaft erhaltenen Landrechtes, das von Meinhard nach dem Rat weiser Männer und seiner Gefolgsleute erlassen worden ist.

Knapp nach 1300 werden die Söhne Meinhards II. in Urkunden, welche in der Gegend von Meran ausgestellt wurden, als principes terre, als Landesfürsten, angesprochen. Im Jahr 1305 belehnte der Habsburgerkönig Albrecht I. seine Tiroler Schwäger Otto, Ludwig und Heinrich mit den Zöllen bei Lueg am Brenner, an der Töll und in Bozen, und damit war diese wichtige Einnahmequelle, die einst den Bischöfen übertragen worden war, vom Reich den Grafen zuerkannt worden. Im gleichen königlichen Lehenbrief wird generell den Tiroler Landesfürsten das Recht der Zolleinhebung im Bereich zwischen dem Avisio knapp nördlich der Stadt Trient, bei Mühlbach am Eingang des Pustertals, an der Zillermündung im Inntal, am Arlberg sowie bei Ehrenberg bei Reutte umschrieben. Damit waren die Grenzen des neuen Landes klar abgesteckt. Im Jahre 1335 belehnte Kaiser Ludwig der Bayer seine Kinder mit dem nördlichen und die Habsburger Otto und Albrecht II. von Österreich mit dem südlichen Teil der Grafschaft Tirol sowie mit den Vogteien über die Kirchen von Trient. Zwar konnten weder die Habsburger noch die Wittelsbacher die Herrschaft über die belehnten Gebiete wegen der damals herrschenden Verhältnisse antreten (vgl. Frage 13, »Wie kam Tirol unter die Herrschaft der Habsburger?«). Diese kaiserlichen Entscheidungen, in denen Tirol ausdrücklich als ledig gewordenes Reichslehen bezeichnet wird, bedeuteten aber doch die endgültige staatsrechtliche Anerkennung der Grafschaft als eigenes politisches Gebilde innerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Nach der Vermählung der Tiroler Erbin Margarethe Maultasch mit dem Kaisersohn Ludwig dem Brandenburger wiederholte 1342 das Reichsoberhaupt die Belehnung – diesmal mit der ganzen Grafschaft – und nach diesem Vorbild verliehen auch in der Folge die römisch-deutschen Könige und Kaiser die Grafschaft Tirol als Reichslehen an die Landesfürsten.

J.R.

5. Woher kamen die Tiroler?

Wohl zu keiner Zeit lebte in den Grenzen des historischen Landes Tirol eine einheitliche Bevölkerung. Welcher Herkunft die Räter waren, die in der heutigen Wissenschaft als Bewohner der meisten Bereiche des Gebietes vor gut 2000 Jahren angesehen werden, ist nicht gesichert. Für die heutigen Verhältnisse entscheidend war dann die Zugehörigkeit des späteren Landes zum Imperium Romanum, die immerhin mehr als ein halbes Jahrtausend währte und die eine weitgehende Romanisierung der in den Alpentälern wohnenden Menschen mit sich brachte. Dabei spielte die damals im Römischen Reich allgemein übliche Mobilität der Bevölkerung eine wesentliche Rolle. Aus allen Teilen des Großreiches ließen sich ausgediente Soldaten, Kaufleute und Angehörige anderer Berufe an Etsch, Inn und Eisack sowie auch in den Seitentälern nieder. Unter diesen Umständen bedurfte es keines Zwanges, um im Laufe eines guten halben Jahrtausends eine romanisierte Bevölkerung entstehen zu lassen. Dass Kontinuitäten auch zur vorrömischen Zeit weiter bestanden blieben, erweist beispielsweise eine große Zahl von Örtlichkeitsnamen, die in mehr oder weniger unveränderter Form bis heute noch in Gebrauch stehen und eindeutig in der Periode vor der Römerzeit ihren Ursprung haben (z.B. Brixen, Fritzens, Imst, Mals, Taufers).

Seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. zeichneten sich massive Änderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung im späteren Land ab. Zu den einheimischen Romanen stießen vom Süden her germanische Langobarden. Ihre Siedlungsmittelpunkte konzentrierten sich auf die Umgebung von Trient. Sie dürften aber im Umfang eher bescheiden gewesen sein. Wesentlich nachhaltiger gestaltete sich das Einströmen von Slawen vom Osten her. Die Neuankömmlinge ließen sich im Bereich des heutigen Osttirol und im Pustertal bis etwa vor Innichen nieder und drangen hier bis in die höchsten Gebirgsregionen vor. Die zuvor in diesen Bereichen ansässige Bevölkerung hat nur wenig Spuren hinterlassen, sodass man von einer sehr intensiven slawischen Besiedlung dieser Gebiete ausgehen kann. Auch hier bilden die Örtlichkeitsnamen deutliche Hinweise auf diese Entwicklung (z. B. Assling, Dölsach, Leisach).

Um das Jahr 600 sind militärische Zusammenstöße zwischen Slawen und Bayern in der Gegend von Lienz bezeugt. Damit deutet sich eine Konkurrenz nicht nur auf politischem Gebiet ab. Bei dem in den nächsten Jahrhunderten folgenden Zusammentreffen slawischer und bayerischer Kolonisten sind jedoch keine kriegerischen Auseinandersetzungen überliefert. Die politische Expansion der bayerischen Herzöge vom Alpenvorland hinein in die Gebirgstäler und über die Wasserscheide hinweg hat ebenfalls bereits im 6. Jahrhundert eingesetzt. Wann dann allerdings und in welchem Ausmaß damit das Einströmen bayerischer Kolonisten in diese südlichen Bereiche begonnen hat, lässt sich nicht genau feststellen. Es handelt sich offensichtlich um einen langen, viele Jahrhunderte dauernden Prozess, in dessen Verlauf vor allem geistliche und weltliche bayerische Grundherren, die im Bereich der späteren Grafschaft Tirol Eigentum übertragen erhalten haben, ihre Untertanen zur Ansiedlung bewogen haben. Möglicherweise führte auch private Initiative den einen oder anderen nach dem Süden, um dort für sich und seine Familie eine neue Existenz aufzubauen. Hinzuweisen ist aber auf die Tatsache, dass es sich bei dieser Siedlungsbewegung keineswegs um ein regionales Phänomen handelt. Etwa vom 9. bis zum 14. Jahrhundert haben vor allem aus Deutschland kommende Neusiedler im ganzen mittel- und osteuropäischen Raum bis dahin relativ wenig bewohnte Gebiete erschlossen.

Für den Bereich des späteren Tirol kann man allerdings nicht von einem bisher unerschlossenen Gebiet sprechen. Die Neuankömmlinge trafen auf bereits Ansässige und lebten dann zunächst neben und bald wohl auch mit ihnen. Sie übernahmen von ihnen spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten in den für diese Gegenden typischen Wirtschaftsformen, insbesondere im Weinbau und in der Almwirtschaft. Die neu ins Land Gekommenen und ihre nachfolgenden Generationen betrieben dann überdies in intensiver Form Rodung auf bisher nicht genutzten Flächen, sodass neue Höfe und Siedlungen entstanden. Am intensivsten gestaltete sich diese Siedlungsbewegungin den an Bayern direkt angrenzenden Gebieten nördlich der Wasserscheide.

Aus dem Norden kommende Kolonisten drangen aber sehr bald auch weit in den Süden vor. So muss es nach dem Ausweis von Ortsnamen spätestens bereits im 8. Jahrhundert im Pustertal bayerische Siedlungen gegeben haben, und im 13. Jahrhundert erreichte der Einzugsbereich deutscher Neusiedler Teile des heutigen Trentino sowie Gebiete nördlich von Verona und Vicenza. Die einheimische romanisierte Bevölkerung wurde im Rahmen dieser Entwicklung keineswegs vertrieben, doch im Laufe der Jahrhunderte setzte sich im größeren Teil Tirols die deutsche Sprache durch (vgl. Frage 10, »Seit wann spricht man in Tirol Deutsch?«).

Im Nordwesten des heutigen Bundeslandes Tirol kam es seit dem Frühmittelalter, analog zur bayerischen Siedlungsbewegung, in der östlichen Nachbarschaft zu einem Einströmen von alemannisch-schwäbischen Kolonisten.

Auch hier bezeugen Örtlichkeitsnamen sowie die heute noch gebrauchte Sprache diesen Vorgang, der im 14. Jahrhundert noch einmal eine ganz punktuelle Erneuerung erfuhr, als sich im Rahmen einer größeren Wanderungsbewegung Gruppen von Deutsch sprechenden Bewohnern des Wallis – daher die Bezeichnung Walser – nicht nur im heutigen Vorarlberg, sondern auch im Tiroler Paznaun (Galtür) niederließen.

Die Zusammensetzung der Tiroler Bevölkerung wurde jedoch nicht nur von der zweifellos dominierenden bäuerlichen Einwanderung geprägt. Zu allen Zeiten kamen auch Handwerker, Kaufleute und Angehörige verschiedener anderer Berufe in das Land. Am häufigsten dürfte durch einen längeren Zeitraum hindurch der Zuzug von mehr oder weniger qualifizierten Facharbeitern im Bereich des Bergbaus gewesen sein. Auffällig ist etwa aber auch die Niederlassung von qualifizierten Handwerkern aus dem schwäbischen Raum, die sich in Bozen im späten Mittelalter nachweisen lassen. Aus verschiedenen Städten Italiens kommend, fanden insbesondere Notare, Apotheker und Geldverleiher vor allem in den Städten Trient, Bozen und Meran eine neue Heimat. In einem sehr bescheidenen Rahmen hielt sich hingegen seit jeher der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Tirol.

J.R.

6. Wovon lebten die Menschen in Tirol?

Wie in vergleichbaren Regionen sicherten auch in den Gebirgstälern in erster Linie die Erzeugnisse, die man selbst dem Boden abgerungen hat, das Überleben der Bewohner. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein dominierte eindeutig die Landwirtschaft in der Wertschöpfung wie auch bei der Zahl der Beschäftigten in Tirol. Dabei brachten die naturräumlichen Gegebenheiten sehr früh eine Spezialisierung mit sich. Während in den klimatisch begünstigten südlichen Bereichen intensiver Weinbau betrieben wurde, konzentrierte man sich im Norden und in den hoch gelegenen Seitentälern auf Ackerbau und Viehzucht. Doch auch hier entwickelte sich bald eine weitere Differenzierung durch die Gründung der sogenannten Schwaighöfe. Seit dem 12./13. Jahrhundert wurden in Höhenlagen, die sich für den Anbau von Getreide kaum mehr eigneten, Höfe angelegt, die ganz auf Viehwirtschaft ausgerichtet waren. Nur noch in einem minimalen Rahmen wurden zur Versorgung der Familie widerstandsfähige Getreidesorten wie Hafer, Roggen und Gerste angebaut. Andrerseits hielten zur ergänzenden Selbstversorgung auch die Weinbauern im Süden in geringem Ausmaß Milchvieh. Auf dem bäuerlichen Speisezettel fanden sich ferner Kraut, Rüben, Bohnen, Erbsen, Linsen, Zwiebel, Kohl und Obst. Getrocknet und gedörrt lieferten diese Produkte auch im Winter und Frühjahr die notwendigen Vitamine. Fleisch kam nur bei besonderen Anlässen auf den Tisch.

Für den im heutigen Südtirol erzeugten Wein eröffnete sich nördlich des Brenners und im süddeutschen Raum ein nahe gelegener Absatzmarkt. Der auf den Schwaighöfen erzeugte Käse, das einzige haltbare Milchprodukt, dürfte in die gleiche Richtung, aber zum Teil auch in den Süden, exportiert worden sein. Für das Getreide gab es im Land selbst genügend Nachfrage, ja man war diesbezüglich fast immer auf Importe aus dem Norden wie auch aus dem Süden angewiesen. Mit dem allmählichen Aufschwung der Städte seit dem 13./14. Jahrhundert und dann vor allem mit der Bevölkerungszunahme in Zusammenhang mit dem Bergbau-Boom des Spätmittelalters entwickelte sich auch in der näheren Umgebung eine gesteigerte Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln. Natürlich gab es im Laufe der Jahrhunderte auch Änderungen. Während etwa der Anbau von Hirse und Buchweizen allmählich zurückgedrängt wurde, verbreitete sich bereits seit dem 16. Jahrhundert der Mais in Tirol. Die vom Süden kommende Polenta wurde als Plenten zu einer wichtigen Bereicherung des regionalen Speiseplans, und in noch größerem Maße gilt dies für die Kartoffel, die aber erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Tirol schrittweise Anklang gefunden hat.

In einigen Gebieten des Landes spielte auch der Anbau von Flachs und Hanf für die Erzeugung von Tuch eine nicht unbedeutende Rolle. Die Wolle der Schafe bildete ebenfalls den Ausgangspunkt für Stoffe, unter denen auch schon in der Vergangenheit der Loden zu den spezifischen Tiroler Erzeugnissen zählte.

Das seit dem Mittelalter in den Städten konzentrierte, aber auch in Märkten und auf dem flachen Lande verbreitete Handwerk und Gewerbe boten weitere Verdienstmöglichkeiten. Von einfachen Fertigkeiten ausgehend, entwickelten sich fallweise überregional bedeutende Zentren für besondere Techniken wie etwa an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit für die Erzeugung von Harnischen und Geschützen im Raum von Innsbruck. Die Handelstätigkeit beschränkte sich eher auf regionale Bereiche. Nur in Bozen entwickelte sich in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit ein potenter Kaufmannsstand. Aber auch hier spielten im großräumigen Warenaustausch zwischen dem Süden und der Mitte Europas eher fremde Unternehmer eine dominierende Rolle. Relativ bescheiden etablierten sich ferner auch frühe Industriebetriebe im Lande. Immerhin erlangten Textilunternehmen besonders im Oberinntal sowie die Seidenproduktion im heutigen Trentino seit dem 18. Jahrhundert einige Bedeutung (vgl. Frage 67, »Warum gibt es in Tirol wenig Großindustrie?«).

Einige Jahrhunderte hindurch bot die Blüte des Bergbaus vielen Bewohnern des Landes Arbeit und Brot. Dies gilt nicht nur für Knappen und direkt am Bergbau Beteiligte, sondern ebenso für die Arbeiter bei der Verhüttung der Erze sowie bei der Beschaffung der Nahrungsmittel für die rasch wachsende Bevölkerung der Bergbauzentren. Als sehr langlebige und durchaus auch ergiebige Erwerbsquelle erwies sich im traditionellen Transitland Tirol seit jeher der Verkehr. Wirte und ihre Mitarbeiter, Fuhrleute, Schmiede, Seiler, Wagner, Sattler und andere Berufe profitierten von den Reisenden wie von den Warentransporten auf den Straßen, und auch die Bauern fanden für ihre Produkte gute Absatzmöglichkeiten zur Nahrung für die Menschen und die Tiere. Erst der Bau der Eisenbahnen brachte nach 1850 diese Einnahmequelle nahezu zum Erliegen. Andrerseits ermöglichte gerade dieses neue und rasche Transportmittel die weiträumige Vermarktung der Produkte des nun vor allem im Süden aufblühenden Obstbaus.

Ganz neue und nachhaltige Akzente in der Tiroler Wirtschaft setzte sodann der Fremdenverkehr. Beginnend mit den ersten Ansätzen des Alpinismus und den traditionellen Kurorten, wie Meran, Gries bei Bozen oder Arco, bis hin zum Massentourismus des 20. Jahrhunderts, der nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter Gäste in das Land brachte, bildet dieser Erwerbszweig in besonderem Maße ein Rückgrat für die ökonomischen Gegebenheiten Tirols.

Von den Erzeugnissen des Landes allein konnten seine Bewohner wohl nie ein einigermaßen zufriedenstellendes Leben führen. Deshalb verließen viele Tirolerinnen und Tiroler für immer oder doch für längere Zeit ihre Heimat, um sich in der Fremde den Unterhalt zu verdienen und möglichst auch Ersparnisse nach Hause zu bringen. Als gefragte Bauhandwerker oder vor allem als Händler mit Waren aller Art, von den Kanarienvögeln angefangen über Wolldecken, Heiligenbilder und Naturheilmittel fallweise auch zweifelhafter Provenienz, vermittelten diese Wanderhändler in ganz Europa ein etwas einseitiges Bild ihrer Landsleute.

J.R.

7. Was heißt »Schwaz ist aller Bergwerke Mutter«?

Bereits um das Jahr 1200 hatte sich Trient zu einem europäischen Zentrum der Silbergewinnung entwickelt. Das metallhaltige Gestein fand sich in der unmittelbaren Umgebung, und Bischöfe und Unternehmer teilten sich den leider nur kurzzeitigen Gewinn, an den heute nur noch der prachtvolle Bau des Domes in Trient erinnert.

Im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts fand man an verschiedenen Stellen Tirols Silber und Kupfer, doch die Erträge hielten sich in bescheidenen Grenzen, bis dann im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ein regelrechtes Bergbaufieber im Land ausbrach, das in den Revieren Gossensaß-Sterzing und Schwaz einsetzte. Etwas später wurde man auch in Prettau im Ahrntal und in den Gebieten von Primiero und Pergine fündig. Bis zu Beginn der Neuzeit noch außerhalb des tirolischen Bereiches befanden sich die Vorkommen in den östlich von Schwaz angrenzenden Gebieten von Rattenberg und Kitzbühel. Die rasch einsetzenden Erfolge führten aber darüber hinaus zu montanistischen Initiativen nahezu im ganzen Land. Bis etwa 1500 währte die unaufhaltsam scheinende Aufwärtsentwicklung. Wenn moderne Berechnungen zutreffen, dann stammten damals 80 Prozent des in Europa gefundenen Silbers aus Schwaz, und 40 Prozent des auf dem Kontinent verarbeiteten Kupfers kamen aus Tirol.

Bei der anfänglich auf privater Basis durchgeführten Erzgewinnung setzte bald ein Konzentrationsprozess ein. Aus verschiedenen, bereits längere Zeit bestehenden Revieren wanderten Spezialisten mit ihrem Fachwissen im Bergbau in die neuen Hoffnungsgebiete, eine immer detailliertere Arbeitsteilung setzte sich durch, kapitalkräftige Investoren ermöglichten den Bau tieferer Stollen und Schächte. Dabei bewährten sich zunächst auch einheimische Familien, die es zu Reichtum brachten, wie etwa die Fieger, Tänzl und Stöckl, bis sie seit etwa um 1500 durch auswärtige Großgewerken abgelöst wurden, von denen die Augsburger Fugger die bekanntesten sind.

Gewinne aus der Produktion von Silber und Kupfer sowie aus dem Handel mit diesen Metallen zogen aber nicht nur die Unternehmer, sondern vor allem auch die Tiroler Landesfürsten als Inhaber des sogenannten Bergregals. Sie beanspruchten generell zehn Prozent des geförderten Erzes sowie einen ungefähr ebenso großen Anteil am erschmolzenen Silber. Die mit der steigenden Produktion rasch wachsenden Einkünfte aus dem Bergbau bildeten einen wesentlichen Rückhalt für die Tiroler Habsburger im 15. Jahrhundert, und vor allem Maximilian I. profitierte von dieser Geldquelle. Dabei ging man bald dazu über, die zu erwartenden Einnahmen an potente Geldgeber gegen einmalige Zahlungen zu vergeben – eine Vorgangsweise, die vorübergehend größere Beträge in den Taschen der Fürsten brachte, aber zugleich auch einen Vorgriff auf künftige Zeiten bedeutete.

Die Landesfürsten sorgten ihrerseits durch Bergordnungen für einen einigermaßen reibungslosen Betrieb der immer mehr expandierenden Unternehmen. Bereits Herzog