Stefan Hammel

Astrid Vlamynck

Claudia Weinspach

Ängste entzaubern – Lebensfreude finden

Die besten Interventionen aus 9 Therapierichtungen

Zu diesem Buch

Ängste aller Art gehören zu den häufigsten Beweggründen, um eine psychotherapeutische Praxis aufzusuchen. Entsprechend reichhaltig präsentiert sich das Spektrum an Fachliteratur dazu. Und dennoch hat genau dieses Buch bisher gefehlt. Es bietet eine Auswahl an hochwirksamen Kurz-Interventionen, die zum Teil dem hypnotherapeutischen Ansatz zuzuschreiben sind, aber auch ein Best-of aus anderen Bewältigungstechniken zur Verfügung stellen: Bonding-Psychotherapie, NLP, Systemischer Therapie und Energetischer Psychologie.

Klienten gelingt es oftmals gerade durch kurze und überraschende Interventionen in der Therapie, neue Perspektiven und Lösungsansätze für das eigene Problem zu finden. »kurz & wirksam« stellt in kompakter Form die effektivsten Kurzinterventionen praxisnah und bündig vor.

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

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© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von © takahiro taguchi on Unsplash

Datenkonvertierung: Kösel Media, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89260-4

E-Book: ISBN 978-3-608-11621-2

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20463-6

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Vorwort

Als ich, Stefan, fünf Jahre alt war, gab es einen Nachbarshund, vor dem ich mich schrecklich fürchtete. Einmal hatte er sich zähnefletschend auf mich gestürzt und mir ins Hosenbein gebissen. Immer wieder malte ich mir aus, wie er mich bald zerfleischen würde, sodass nur noch blutige Stücke von mir übrigblieben. Ich glaubte meiner Fantasie und litt unter schlimmer Angst. Meiner Schwester entging das nicht, und sie wollte mir gerne helfen. Sie informierte mich über den richtigen Umgang mit Hunden: »Du darfst keine Angst vor ihnen haben. Hunde können das riechen, und dann beißen sie.«

Als ich, Claudia, einmal als Kind allein zu Hause war, hörte ich ein seltsames Geräusch. Ich war sofort felsenfest davon überzeugt, dass jemand ins Haus eingedrungen war, und verkroch mich in meinem Zimmer ins Bett, die Bettdecke über den Kopf gezogen. So blieb ich vor Angst erstarrt liegen, bis meine Eltern zurückkehrten. Meine Mutter fand mich, redete mit mir und führte mich durchs Haus. Sie zeigte mir die knarrende Kellertür, die sich manchmal von selbst etwas weiter öffnete, wenn ein Luftzug sie bewegte. Ich war zwar nicht sofort überzeugt, aber wir konnten den Sachverhalt experimentell belegen, indem ich mich wieder in mein Zimmer begab und sie in der Ferne die Tür knarren ließ. Das war ein Aha-Erlebnis für mich. Danach untersuchte ich bei seltsamen Geräuschen im Haus immer deren Ursache.

Als ich, Astrid, ein Kind war, hatte ich vor vielem Angst, besonders hatte ich Angst davor, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Allein oder mit anderen Kindern in der Natur herumzustreifen und auf Hochsitze zu klettern, ängstigte mich nicht. Ansonsten war ich ein schüchternes Kind. Ich traute mich nicht einmal, mich in der Schule zu Wort zu melden. Diese Angst begann ich zu bewältigen, als ich Übersetzerin für englischsprachige Trainer aus der Bonding-Therapie und dem NLP wurde. So gewöhnte ich mich daran, vor einer Gruppe zu sprechen, musste aber nicht »als ich« sprechen. Erst als ich die fantastischen therapeutischen Möglichkeiten der Energetischen Psychologie (EP) bekannt machen wollte, fand ich die Motivation, diese Angst zu überwinden. Und ich konnte es – mithilfe der EP.

Jeder hat seine eigene, persönliche Geschichte mit der Angst. Manche unserer Angst-Geschichten haben uns geholfen, mit diesem schwierigen Phänomen umzugehen. Manche können unseren Klienten helfen, besser zu verstehen, woher ihre Angst kommt, was sie für sie tun will und wie sie besser mit ihr umgehen, sie annehmen oder loslassen können. Unsere Erfahrungen haben unser therapeutisches Arbeiten geprägt, haben Formen angenommen, die sich bewährt haben. Mit allem, was wir hier weitergeben, möchten wir dazu beizutragen, dass Ängste ihre Macht verlieren und Menschen, befreit von einer schweren Last, zu ihrer Lebensfreude finden.

Einleitung

Claudia Weinspach

Neben dem Phänomen der Depression wird uns als Therapeutinnen und Therapeuten kaum ein Thema häufiger begegnen als das der Angst1. Es gibt Ratgeber und ein breites Spektrum an Fachliteratur zu Angst und ihren Ursachen, wahrscheinlich auch in Ihrem Bücherschrank. In diesem Band liegt der Schwerpunkt darauf, über Jahrzehnte bewährte therapeutische Interventionsmöglichkeiten zu vermitteln. Sie stammen aus unterschiedlichen Denkrichtungen und therapeutischen Schulen, sind aus der Begegnung mit Menschen entwickelt, die sich Hilfe suchend an uns gewandt haben.

Menschen sind verschieden, und was dem einen hilft, kann für den anderen weniger passend sein. Statt ein Modell der Angstbehandlung als wahr und richtig anzusehen, möchten wir verschiedene Perspektiven einnehmen, um so von Begegnung zu Begegnung zu entscheiden, welche Art der Intervention wir wählen.

Sehen Sie dieses Buch als eine Ermutigung, aus dem Reichtum verschiedener Ansätze für die Transformation überwältigender Angst zu schöpfen und so noch mehr auf den Klienten in seiner Einzigartigkeit einzugehen. Das Buch enthält eine Fülle von Interventionen, die aus hypnosystemischen Ansätzen und dem NLP stammen, ebenso finden Sie Interventionen aus dem Bereich der Energetischen Psychologie und dem Bonding als Formen der Körpertherapie sowie aus der Systemischen Therapie. Manche unserer Interventionen benötigen eventuell Ihre Offenheit gegenüber unkonventionellen Ansätzen, weil sie sich auf den ersten Blick nicht vollständig erschließen. Nehmen Sie dies bitte als unsere Einladung zur Anregung Ihrer therapeutischen Experimentierfreude.

Von der funktionalen zur dysfunktionalen »pathologischen« Angst

Zur Unterscheidung von funktionaler und dysfunktionaler Angst ist die Psychoedukation der Patienten eine wichtige erste Säule der Behandlung.

Eine Möglichkeit der Erläuterung zu Beginn könnte beispielsweise so aussehen:

»Stellen Sie sich vor, ein Hund rennt bellend, keuchend, auf Sie zu, er ist nicht angeleint, sein Gebiss sieht gefährlich aus; weit und breit ist kein Besitzer in Sicht. Gleich beißt er zu …

Da meldet sich die Angst, warnt vor der Gefahr und sorgt damit für die notwendigen Voraussetzungen, um in dieser Situation schnell und angemessen zu reagieren. Unsere Muskeln spannen sich an, unser Herzschlag beschleunigt sich, und unsere Gedanken fokussieren auf diesen Hund.«

Selten können wir ein Gefühl so eindeutig und unmittelbar benennen wie die Angst. Sie ist zusammen mit Neugier und Lebensfreude, Wut, Traurigkeit, Einsamkeit und Ekel eine unserer basalen Grundemotionen. Sie betrifft alle Ebenen des Seins: die physiologische Ebene, die Verhaltensebene, die kognitiv-emotionale sowie die sich selbst erlebende Ebene. Angst ist direkt mit Erinnerungs- und Erwartungsfilmen verbunden. Wir fliehen, lenken uns ab, bagatellisieren, erstarren, verstummen, dramatisieren. Angstreaktionen sind individuell und kulturell verschieden.

Angst gehört zur Grundausstattung eines jeden Neugeborenen2. Wir werden mit der Fähigkeit geboren, Angst zu empfinden. Der Impuls, vor dem Hund zu flüchten, ist als Resultat evolutionärer Entwicklungsprozesse keinesfalls nutzlos. Die Fähigkeit, vor einer potenziellen Gefahrenquelle Angst zu empfinden, war und ist oft entscheidend dafür, ob man überlebte. Die Angst sagt uns, wann wir uns eventuell in Gefahr befinden, und ermöglicht uns, blitzschnell zu handeln, die Gefahr zu bekämpfen oder zu fliehen. In der therapeutischen Praxis sprechen wir in diesem Fall von funktionaler Angst.

Aber was macht eine Angst dann dysfunktional? Anders gefragt, wann ist es sinnvoll oder erforderlich, sie therapeutisch zu bearbeiten?

Dysfunktionale Angst ist, so gesehen, Angst, wenn sie sich ausschließlich in inneren Bildern abspielt, wenn also die Situation, um die es innerlich geht, kein Abbild der äußerlich stattfindenden Situation darstellt. Mit unseren inneren Bildern und Dialogen modifizieren wir die äußere Situation so weit, dass die abgeleiteten Gefahren aus der Perspektive eines beliebigen anderen Betrachters voraussichtlich unangemessen sind. Dies geschieht in Form einer angstgesteuerten Zukunftsvorhersage – sprich einer logisch unmöglichen oder unwahrscheinlichen Verknüpfung von Auslöser und Reaktion, verbunden mit einer Überreaktion. Dysfunktional wird Angst auch, wenn die gezeigte Reaktion zwar inhaltlich nachvollziehbar ist, in ihrer Art und Stärke aber faktisch erzeugt, was sie verhindern will, wie es zuweilen bei Angst vor Prüfungsversagen oder vor menschlicher Abweisung der Fall ist. Offensichtlich ist der dysfunktionale Charakter, wenn Angst eine harmlose Situation innerlich mit einem Gefahrensignal verbindet.

Stellen Sie sich vor, der Hund, der auf Sie zukommt, knurrt nicht, sondern wedelt freundlich mit dem Schwanz und möchte Sie beschnuppern. Doch das Bild in Ihrem Inneren ist auf einen bissigen Hund festgelegt. In Ihrer Vorstellung beißt er gleich zu; so fühlt es sich jedenfalls an. Die Angstreaktion passt nicht zu einem freundlichen, schwanzwedelnden Hund. In der Regel etabliert sich eine solche Angst aufgrund früher gemachter Erfahrungen; vielleicht hat Sie in der Vergangenheit ein Hund gebissen. So kann der freundlichste Hund ausreichen, um eine der Situation unangepasste Reaktion auszulösen.

Natürlich kann diese »Angst im Kopf« auch andere Bereiche betreffen. Beispielsweise könnte sie in der Befürchtung liegen, der Partner könne einen Unfall oder eine lebensbedrohliche Krankheit erleiden. Eine solche Angst kann aus aktuellen Ereignissen resultieren oder ohne klaren Bezug zur Gegenwart auftreten. Häufig finden wir Ängste, die sich auf bestimmte Orte und Situationen beziehen, etwa auf öffentliche Plätze und Aufzüge, Prüfungen oder Bühnenauftritte. Soziale Ängste und Agoraphobien können so weit gehen, dass die Betroffenen Schwierigkeiten entwickeln, die Wohnung zu verlassen oder sich in ein Auto zu setzen.

Da von den gerade erwähnten Szenarien in der Regel keine größere Gefahr ausgeht, könnte man erwarten, die Angst sei zu bewältigen. Man lernt schließlich dazu. Zwar gab es einmal einen Hund, der gebissen hat, aber spätestens ab dem zwanzigsten Hund, der nicht beißt, sondern freudig mit dem Schwanz wedelt, bräuchte man dem Hund keine große Bedeutung mehr beizumessen.

Doch warum passiert das nicht? Warum ist das angstgesteuerte Verhalten über die Zeit hinweg so stabil, wenngleich es womöglich oft nur eine einmalige negative Erfahrung war, auf die sich das eigene Verhalten und die dazugehörigen Gedanken gründen?

Der Grund dafür liegt darin, dass es erst gar nicht zu einem Neulernen und damit einer Veränderung des starken Gefühls kommt. Ein durch Angst gesteuerter Mensch flieht aus der für ihn beängstigenden Situation, und beim nächsten Mal flieht er erneut, und eine Woche später wieder – oft so lange, bis er oder sie alle Situationen meidet, in denen Hunde auftauchen könnten. Das Symptom entwickelt sich in einer Spirale zunehmender Vermeidung und damit einhergehender wachsender Furcht. Erst durch die Vermeidung verselbstständigt sich die Angst, wird dysfunktional und chronisch. Eine wachsende Angst vor der Angst entwickelt sich. Die zunächst spezifische Situation wird auf immer weitere Bereiche übertragen und generalisiert. War es zunächst ein bestimmter bissiger Schäferhund, den die Angst betraf, sind es im nächsten Schritt auch andere Schäferhunde, dann alle großen Hunde, und schließlich lösen alle Hunde, unabhängig von ihrer Rasse und ihrem Charakter, das Angstgefühl aus. Aus der Befürchtung, sich mit diesen Ängsten lächerlich zu machen, resultieren massive Beeinträchtigungen des Lebens – von der konsequenten Vermeidung bestimmter Orte bis hin zu sozialem Rückzug. Damit entsteht ein Kreislauf der Angst, der nicht nur neue Erfahrungen verhindert, sondern auch den betroffenen Menschen auf eine Weise einschränkt, dass er oder sie zunehmend auf äußere Unterstützung angewiesen ist.

Damit sind wir bei den phobischen Störungen angelangt, wie sie nach ICD-10 kategorisiert werden: Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung; Panikstörung ohne Agoraphobie; spezifische, isolierte Phobien wie Flugangst, Angst vor Spinnen, Auto oder Zug fahren, Bühnenangst, soziale Phobien bis hin zur generalisierten Angststörung.

Die Angst hat sich vollständig verselbstständigt und ist nun selbst zum Problem geworden. Bei der Behandlung von Ängsten kann es in einem ersten Schritt darum gehen, eine Unterscheidung zu treffen, wann Angst funktional und gesund ist und wann nicht. Der zweite Schritt beinhaltet dann die Entscheidung für eine passende Intervention zur Überwindung der Angst – entweder durch den Betroffenen selbst oder durch einen Berater oder Therapeuten.

Alle beschriebenen Interventionen sind praktisch anwendbar und können unmittelbar eingesetzt werden.

1.  Hypnose

Claudia Weinspach

Für viele Menschen ist Hypnose nicht nur eine mysteriöse und vielleicht beängstigende Angelegenheit, sie hat auch etwas Faszinierendes. Mit Hypnose können Dinge bearbeitet werden, die der Verstand erkennt, es können aber auch viele knifflige Angelegenheiten gelöst werden, die jenseits unseres bewussten Denkens liegen. Sie ist seit Jahrhunderten in unterschiedlichen Formen bekannt und wird in ihrer jetzigen Form mindestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts angewandt. Seit einigen Jahren wird ihre positive Wirkung verstärkt neurowissenschaftlich und medizinisch beforscht.

Metastudien zeigen die hohe Wirksamkeit der Hypnose, unter anderem bei Ängsten3.

Hypnose wirkt auf der Ebene der Symptome wie auch auf der Ebene der Ursachen. Dadurch kann man Ängste besonders erfolgreich durch Hypnose behandeln4.

Um die Hypnose in der Behandlung von Ängsten souverän anwenden zu können, sollte man sich unbedingt mit den Grundlagen der Hypnose auskennen.

Angst und Hypnose

Am Beispiel mit dem Hund können Sie sich vergegenwärtigen, dass es sich bei den Angstreaktionen um klassische Trancephänomene handelt. Eindrücklich zeigt dies das Phänomen der Dissoziation, die ein Hauptmerkmal der Hypnose ist und sich im Fall von Angst als eine Art Tunnelphänomen etabliert: In einem angsterfüllten Zustand trägt man Scheuklappen. Unwillkürlich signalisiert man sich, es gäbe keine Alternativen. Die autonomen Reaktionen betreffen alle Ebenen des Seins, sie übertönen alle vorher dagewesenen Emotionen und Gedanken und nehmen das gesamte Körpererleben ein. Schließlich ist man auf all diesen Ebenen dissoziiert und erlebt sich wie ferngesteuert. Alles, was die Angst betrifft, steht im Vordergrund und wird als wahr angesehen, während der Rest des Kontexts verschwimmt.

Befindet man sich in einem dysfunktionalen Angstzustand mit den oben angesprochenen Korrelaten (mental, emotional, körperlich), ist man in einer Negativtrance. Anders ausgedrückt: Angstpatienten reagieren hypnotisch. Die vorhandenen Trancephänomene und diese offensichtlich vorhandene Fähigkeit zur Selbsthypnose lassen sich wunderbar therapeutisch nutzen.

Ich möchte Ihnen dies am Beispiel einer Klientin, die ich hier Christine nenne, erläutern.

Christine kam mit der Vordiagnose einer Agoraphobie mit Panikstörung nach ICD-10 in meine Hypnosepraxis. Nach ihren eigenen Schilderungen konnte sie verschiedene Lebenssituationen zunehmend schlechter durchstehen. Sie zog sich, um nicht zu scheitern, gewissermaßen präventiv aus solchen Tätigkeiten zurück.