Chimamanda Ngozi Adichie

Americanah

Roman

Aus dem Englischen von Anette Grube

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Chimamanda Ngozi Adichie

Chimamanda Ngozi Adichie ist eine der großen jungen Stimmen der Weltliteratur. Ihr Werk wird in 37 Sprachen übertragen. Für ›Americanah‹ erhielt sie 2013 den Heartland Prize for Fiction und den National Book Critics Circle Award. Ihr Roman ›Blauer Hibiskus‹ war für den Booker Prize nominiert, ›Die Hälfte der Sonne‹ erhielt den Orange Prize for Fiction 2007. Mit ihrem TED-Talk »We should all be Feminists« (›Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories‹, 2016) verankerte die Nigerianerin den Feminismus fest in der Popkultur. Zuletzt erschien 2017 im FISCHER Taschenbuch ›Liebe Ijeawele. Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden‹. 2018 wurde Chimamanda Ngozi Adichie mit dem PEN Pinter Prize und dem Everett M. Rogers Award ausgezeichnet. Chimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Nigeria geboren und lebt heute in Lagos und in den USA.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
›Americanah‹ bei Fourth Estate, London2013

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014

Covergestaltung: buxdesign

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-402049-5

 

Meinem wunderbaren Vater in diesem seinem achtzigsten Lebensjahr.

 

Und wie immer Ivara.

Princeton im Sommer roch nach gar nichts, und obwohl Ifemelu das friedliche Grün der vielen Bäume, die sauberen Straßen und stattlichen Häuser, die maßvoll überteuerten Geschäfte und die ruhige unwandelbare Atmosphäre wohlverdienter Eleganz mochte, war es das Fehlen eines Geruchs, das ihr am besten gefiel, vielleicht weil alle anderen amerikanischen Städte, die sie kannte, unverwechselbar rochen. Philadelphia roch modrig nach Geschichte. New Haven roch nach Verwahrlosung. Baltimore roch nach Salzlake und Brooklyn nach sonnenwarmem Abfall. Aber Princeton roch nach gar nichts. Hier liebte sie es, tief durchzuatmen. Sie liebte es, den Ortsansässigen dabei zuzuschauen, wie sie ausgesprochen höflich Auto fuhren und ihre neuesten Modelle vor dem Biosupermarkt in der Nassau Street oder vor den Sushi-Restaurants oder der Eisdiele, in der es Eis in fünfzig Geschmacksrichtungen gab, darunter Roter Pfeffer, oder vor dem Postamt abstellten, an dessen Eingang sie von überschwänglichen Mitarbeitern begrüßt wurden. Sie mochte den Campus, gravitätisch vor Gelehrtheit, die neugotischen Gebäude mit ihren weinbewachsenen Mauern und die Art und Weise, wie sich im Halbdunkel des Abends alles in eine gespenstische Szenerie verwandelte. Am meisten mochte sie es, dass sie an diesem Ort wohlhabender Ungezwungenheit so tun konnte, als wäre sie jemand anders, jemand, der speziell in diesen heiligen amerikanischen Club aufgenommen worden war, jemand, der Sicherheit ausstrahlte.

Er erzählte ihr, dass er und seine Frau ein schwarzes Kind adoptiert hätten und sie dafür von ihren Nachbarn wie Märtyrer für eine zweifelhafte Sache angesehen würden. Und ihr Posting über ihn »Schlechtgekleidete weiße Manager aus Ohio sind nicht immer so, wie wir glauben« hatte in jenem Monat die meisten Kommentare erhalten. Sie fragte sich noch immer, ob er den Beitrag gelesen hatte. Sie hoffte es. Sie saß oft in Cafés oder Restaurants oder Flughäfen oder Bahnhöfen, beobachtete Fremde, stellte sich ihr Leben vor und überlegte, wer von ihnen eventuell ihren Blog gelesen hatte. Ihren Exblog. Erst vor ein paar Tagen hatte sie ihren letzten Beitrag geschrieben, der bislang zweihundertvierundsiebzigmal kommentiert

Der Mann mit dem Eis setzte sich im Zug neben sie, und um eine Unterhaltung zu unterbinden, starrte sie konzentriert auf einen braunen Fleck neben ihren Füßen, verschütteten Frappuccino, bis sie in Trenton einfuhren. Auf dem Bahnsteig drängten sich Schwarze, viele von ihnen dick, in dünner kurzer Kleidung. Sie staunte noch immer, wie sehr eine Zugfahrt von ein paar wenigen Minuten alles verändern konnte. Wann immer sie während ihres ersten Jahres in Amerika mit dem Zug von New Jersey zur Penn Station und dann mit der U-Bahn zu Tante Uju nach Flatlands gefahren war, hatte sie sich gewundert, dass in den Bahnhöfen in Manhattan überwiegend schlanke weiße Menschen ausstiegen und überwiegend schwarze dicke Leute, je weiter sie nach Brooklyn hineinfuhren. Sie hatte in Gedanken jedoch nicht das Wort »dick« benutzt. Sie hatte sie als »kräftig« betrachtet, denn ihre Freundin Ginika hatte sie schon

Sie sprach sich das Wort »dick« mehrmals langsam vor und dachte an all die anderen Dinge, die nicht zu sagen sie in Amerika gelernt hatte. Sie war dick. Sie hatte keine Kurven oder schweren Knochen; sie war dick, es war das einzige Wort, das sich richtig anfühlte. Und sie hatte auch den Beton in ihrer Seele ignoriert. Ihr Blog lief gut, hatte jeden Monat Tausende einzelne Besucher, sie verdiente gutes Geld mit ihren Reden, hatte ein Stipendium für Princeton und eine Beziehung mit Blaine – »Du bist die große Liebe meines Lebens« hatte er auf die Karte zu ihrem letzten Geburtstag geschrieben –, und doch war Beton in ihrer Seele. Schon eine ganze Weile, eine Erschöpfung früh am Morgen, eine Trostlosigkeit und Konturlosigkeit. Damit einher gingen amorphe Sehnsüchte, gestaltloses Verlangen, kurze eingebildete Blicke in andere Leben, die sie führen könnte, und all das verschmolz im Lauf der Monate zu einem schmerzhaften Heimweh. Sie durchforstete nigerianische Webseiten, nigerianische Profile auf Facebook, nigerianische Blogs, und

Der unhöfliche Fremde im Supermarkt – wer wusste schon, was er für Probleme hatte, ausgezehrt und schmallippig, wie er gewesen war – hatte sie kränken wollen, doch stattdessen hatte er sie wachgerüttelt.

Und sie träumte davon und plante, sich für Jobs in Lagos zu bewerben. Anfänglich verschwieg sie es Blaine, weil sie ihr Stipendium in Princeton beenden wollte, und danach verschwieg sie es ihm, weil sie sich ganz sicher sein wollte. Aber während die Wochen vergingen, begriff sie, dass sie nie wirklich sicher sein würde. Sie sagte ihm, dass sie nach Hause zurückgehen wolle, und fügte hinzu »Ich muss«, wobei sie wusste, dass er aus ihren Worten das Ende heraushören würde.

»Warum?«, fragte Blaine nahezu automatisch, vor den Kopf gestoßen von ihrer Ankündigung. Sie saßen in seinem Wohnzimmer in New Haven, gebadet in Softjazz und mildem Tageslicht, und sie

»Nimm die Pflanze mit«, sagte er, als sie ihre Kleider in seiner Wohnung packte und ihn zum letzten Mal sah. Er war niedergeschlagen und stand mit hängenden Schultern in der Küche. Es war die einzige Pflanze in seiner Wohnung, vielversprechende grüne Blätter trieben aus drei Bambusstängeln, und als sie sie an sich nahm, überkam sie plötzlich ein Gefühl niederschmetternder Einsamkeit, das sie wochenlang nicht wieder loswurde. Manchmal spürte sie es immer noch. Wie war es möglich, dass man etwas vermisste, was man gar nicht mehr wollte? Blaine brauchte, was sie ihm nicht geben konnte, und sie brauchte, was er ihr nicht geben konnte, und darum trauerte sie um den Verlust dessen, was hätte sein können.

Und hier war sie, an einem opulenten Sommertag, und wollte sich Zöpfe flechten lassen für die Reise nach Hause. Ihre Haut klebte vor

Ifemelu stellte sich vor dem Bahnhof in die Schlange für die Taxis. Sie hoffte, dass ihr Fahrer kein Nigerianer wäre, denn ein Nigerianer wäre, sobald er ihren Akzent hörte, entweder auf aggressive Weise versessen darauf, ihr zu erzählen, dass er einen Master hatte, Taxifahren nur sein Zweitjob war und seine Tochter in Rutgers zu den Besten ihres Fachs gehörte, oder er würde verbissen schweigend fahren, ihr das Wechselgeld herausgeben, ihr »danke« ignorieren und sich die ganze Zeit der Demütigung hingeben, dass diese Nigerianerin, noch dazu ein kleines Mädchen, die vielleicht eine Krankenschwester oder eine Buchhalterin oder sogar eine Ärztin war, auf ihn herabschaute. In Amerika waren alle nigerianischen Taxifahrer

»Wie geht’s?«, fragte der Mann.

Sie stellte sofort erleichtert fest, dass er aus der Karibik war.

»Sehr gut. Danke.« Sie nannte ihm die Adresse von Mariama African Hair Braiding. Es war das erste Mal, dass sie diesen Salon aufsuchte – der, in dem sie sich normalerweise Zöpfe machen ließ, war geschlossen, weil die Besitzerin in die Elfenbeinküste zurückgekehrt war, um zu heiraten –, doch sie war überzeugt, dass er aussehen würde wie alle anderen afrikanischen Salons: Sie befanden sich in den Stadtteilen, die mit Graffiti besprüht waren, in denen feuchte Gebäude standen und keine Weißen lebten, sie hatten grelle Schilder mit Namen wie Aisha und Fatima African Hair Braiding, die Heizkörper darin waren im Winter zu heiß, und im Sommer kühlten die Klimaanlagen nicht, die Flechterinnen waren frankophone westafrikanische Frauen, eine von ihnen wäre die Besitzerin und spräche das beste Englisch, nähme die Anrufe entgegen und hätte das Sagen. Oft trug eine Frau ein Baby mit einem Tuch auf den Rücken gebunden. Oder ein kleines Kind schlief auf einer Decke auf einem abgewetzten Sofa. Manchmal schauten ältere Kinder vorbei. Die Gespräche wurden laut und schnell geführt, auf Französisch oder Wolof oder Malinke, und wenn sie mit den Kundinnen Englisch sprachen, war es immer gebrochen und kurios, als hätten sie die Sprache nicht richtig gelernt, bevor sie sich den Slang und die Amerikanismen aneigneten. Worte kamen unvollständig heraus. In Philadelphia hatte einmal eine Flechterin aus Guinea zu Ifemelu gesagt: »Igwa, o God, igwa sossaua.« Und es bedurfte vieler Wiederholungen, bis Ifemelu verstand, dass die Frau »Ich war, o Gott, ich war so sauer« sagte.

»In dieser Hitze sterben die alten Leute wie die Fliegen. Wenn sie keine Klimaanlage haben, müssen sie ins Einkaufszentrum. Dort ist die Klimaanlage umsonst. Aber manchmal haben sie niemand, der sie hinfährt. Man muss sich um die alten Leute kümmern«, sagte er, seine gute Laune nicht beeinträchtigt von Ifemelus Schweigen.

»Da sind wir!«, sagte er und blieb vor einem heruntergekommenen Block stehen. Der Salon befand sich in der Mitte, zwischen einem chinesischen Restaurant namens Happy Joy und einem kleinen Laden, der Lotterielose verkaufte. Im Inneren war er schäbig, die Farbe blätterte ab, die Wände waren mit großen Postern mit geflochtenen Frisuren und kleineren Zetteln mit der Aufschrift PROMPTE STEUERERSTATTUNG beklebt. Drei Frauen in T-Shirts und knielangen Hosen arbeiteten an den Haaren sitzender Kundinnen. In einer Ecke hing ein kleiner Fernseher, in dem ein nigerianischer Film lief: Ein Mann schlug seine Frau, die Frau duckte sich und schrie, die schlechte Tonqualität war zu laut und schrill.

»Hallo!«, sagte Ifemelu.

Sie drehten sich alle zu ihr um, doch nur eine, die die namengebende Mariama sein musste, sagte: »Hallo. Komm rein.«

»Ich hätte gern Braids.«

»Was für Braids willst du?«

Ifemelu sagte, sie wolle Medium Kinky Twists, und fragte nach dem Preis.

»Zweihundert«, sagte Mariama.

»Letzten Monat habe ich hundertsechzig bezahlt.« Sie hatte sich vor drei Monaten zum letzten Mal Zöpfe flechten lassen.

»Also hundertsechzig?«, fragte Ifemelu.

Mariama zuckte die Achseln und lächelte. »Okay, aber du musst nächstes Mal wieder zu uns kommen. Setz dich. Aisha wird dich bedienen. Sie ist gleich fertig.« Mariama deutete auf die kleinste Frau,

»Hallo, Aisha«, sagte Ifemelu.

Aisha blickte zu Ifemelu, nickte kaum merklich, ihr Gesicht nahezu unfreundlich in seiner Ausdruckslosigkeit. Sie hatte etwas Merkwürdiges.

Ifemelu setzte sich neben die Tür; der Ventilator auf dem angeschlagenen Tisch lief auf Hochtouren, änderte jedoch nichts an der Stickigkeit des Raums. Neben dem Ventilator lagen Kämme, Pakete mit Attachments, Zeitschriften mit zahllosen herausgerissenen Seiten, stapelweise bunte DVDs. In einer Ecke lehnte ein Besen neben einem Bonbonbehälter und der rostigen Trockenhaube, die seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt worden war. Auf dem Bildschirm schlug ein Mann zwei Kinder, ungelenke Schläge, die über ihren Köpfen ins Leere gingen.

»Nein! Böser Vater! Schlechter Mensch!«, sagte die andere Flechterin, starrte auf den Fernseher und zuckte zusammen.

»Bist du aus Nigeria?«, fragte Mariama.

»Ja«, sagte Ifemelu. »Und du?«

»Ich und meine Schwester Halima sind aus Mali. Aisha ist aus dem Senegal«, sagte Mariama.

Aisha schaute nicht auf, aber Halima lächelte Ifemelu an, ein freundliches, wissendes Lächeln, mit dem sie eine afrikanische Landsmännin willkommen hieß; eine Amerikanerin würde sie nie so anlächeln. Sie schielte heftig, die Pupillen schossen in entgegengesetzte Richtungen, so dass Ifemelu nicht wusste, mit welchem Auge Halima sie ansah.

Ifemelu fächelte sich mit einer Zeitschrift Kühlung zu. »Es ist so heiß«, sagte sie. Diese Frauen würden zumindest nicht erwidern: »Dir ist heiß? Aber du bist doch aus Afrika!«

»Diese Hitzewelle ist schlimm. Tut mir leid, aber die Klimaanlage ist gestern kaputtgegangen.«

Ifemelu wusste, dass die Klimaanlage nicht erst seit gestern kaputt

Die Frau, deren Haar sie zu dünnen schmerzhaften Cornrows flocht, sagte aufgebracht: »Jetzt mach schon! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!«

»’tschuldigung, ’tschuldigung«, sagte Mariama. Dennoch wiederholte sie die Zahlen von Western Union, bevor sie weiterarbeitete, den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt.

Ifemelu schlug ihren Roman auf, Zuckerrohr von Jean Toomer, und überflog ein paar Seiten. Sie wollte das Buch schon seit einiger Zeit lesen in der Annahme, dass es ihr gefallen würde, da Blaine es nicht mochte. Ein preziöses Werk hatte er es genannt in diesem leise nachsichtigen Tonfall, den er anschlug, wenn sie über Literatur sprachen, als wäre er überzeugt, dass sie in einer kleinen Weile und mit ein bisschen mehr Einsicht akzeptieren würde, dass die Bücher, die er bevorzugte, die besseren waren, Bücher, geschrieben von jungen und relativ jungen Männern und vollgepackt mit Dingen, eine faszinierende, verwirrende Anhäufung von Markennamen, Musik, Comicheften und Symbolen, von rasch abgehandelten Gefühlen, und jeder Satz war sich stilvoll seiner eigenen Eleganz bewusst. Sie hatte viele davon gelesen, weil er sie empfohlen hatte, aber sie waren wie Zuckerwatte, die nur einen flüchtigen Eindruck auf ihrer Zunge hinterließ.

Schließlich war Aisha mit ihrer Kundin fertig und fragte Ifemelu, was für eine Farbe sie für ihre Attachments wollte.

»Farbe vier.«

»Keine gute Farbe«, sagte Aisha sofort.

»Die nehme ich immer.«

»Sieht schmutzig aus. Warum nicht Farbe eins?«

»Farbe eins ist zu schwarz, sie sieht unecht aus«, sagte Ifemelu und wickelte das Tuch von ihrem Kopf. »Manchmal nehme ich Farbe zwei, aber Farbe vier kommt meiner Haarfarbe am nächsten.«

Aisha zuckte die Achseln, es war ein hochmütiges Schulterzucken, als wäre es nicht ihr Problem, wenn eine Kundin keinen guten Geschmack hatte. Sie holte zwei Pakete Attachments aus einem Schrank und überprüfte, ob beide die gleiche Farbe hatten.

Sie berührte Ifemelus Haar. »Warum nicht glätten?«

»Ich mag mein Haar, wie Gott es geschaffen hat.«

»Aber wie kämmen? Schwer zu kämmen«, sagte Aisha.

Ifemelu hatte ihren eigenen Kamm mitgebracht. Vorsichtig kämmte sie ihr Haar, das dicht, weich und sehr kraus war, bis es ihr Gesicht einrahmte wie ein Heiligenschein. »Es ist nicht schwer zu kämmen, wenn man es gut anfeuchtet«, sagte sie in dem geduldigen Tonfall der Missionarin, den sie benutzte, wenn sie andere schwarze Frauen von den Vorteilen von natürlich belassenem Haar überzeugen wollte. Aisha schnaubte; sie konnte nicht verstehen, warum

»Das ist zu fest«, sagte Ifemelu. »Mach es nicht so fest.« Weil Aisha einfach weiterflocht, glaubte Ifemelu, dass sie sie nicht verstanden hatte, berührte den schmerzhaften Zopf und sagte: »Zu fest, zu fest.«

Aisha schob ihre Hand weg. »Nein. Nein. Lass es. Gut so.«

»Es ist zu fest!«, sagte Ifemelu. »Bitte, mach es lockerer.«

Mariama sah ihnen zu. Dann ließ sie einen französischen Wortschwall vom Stapel. Aisha lockerte den Zopf.

»’tschuldigung«, sagte Mariama. »Sie versteht nicht gut.«

Aber Ifemelu sah Aisha am Gesicht an, dass sie sehr wohl verstand. Aisha war einfach eine gute Marktfrau, immun gegen die kosmetischen Nettigkeiten der amerikanischen Kundenbetreuung. Ifemelu konnte sich vorstellen, wie sie auf einem Markt in Dakar arbeitete, wie die Flechterinnen in Lagos, die sich die Nase mit dem Kopftuch putzten und die Hände daran abwischten, den Kopf ihrer Kundin grob zurechtrückten, sich beschwerten, wie voll oder wie hart oder wie kurz ihr Haar war, vorbeigehenden Frauen etwas zuriefen und sich die ganze Zeit zu laut unterhielten und zu fest flochten.

»Du kennst sie?«, fragte Aisha und blickte zum Fernseher.

»Was?«

Aisha wiederholte die Frage und deutete auf die Schauspielerin im Fernsehen.

»Nein«, sagte Ifemelu.

»Aber du bist aus Nigeria.«

»Ja, aber ich kenne sie nicht.«

Aisha deutete auf den DVD-Stapel auf dem Tisch. »Früher zu viel Voodoo. Ganz schlecht. Jetzt ist Nigeria-Film sehr gut. Schönes großes Haus!«

Ifemelu hielt nichts von Nollywood-Filmen mit ihrem

Alle, denen sie erzählt hatte, dass sie zurückging, waren überrascht, erwarteten eine Erklärung, und wenn sie sagte, dass sie zurückkehrte, weil sie es so wollte, runzelten sie verständnislos die Stirn.

»Du schließt deinen Blog und verkaufst deine Eigentumswohnung, um nach Lagos zurückzugehen und für eine Zeitschrift zu arbeiten, die nicht gerade gut zahlt«, hatte Tante Uju gesagt und es dann wiederholt, als wollte sie Ifemelu zwingen, das Ausmaß ihrer Torheit einzusehen. Nur ihre alte Freundin in Lagos, Ranyinudo, fand es normal, dass sie zurückkam. »Lagos ist jetzt voller Rückkehrer aus Amerika, du kommst also besser auch zurück. Ständig laufen sie mit einer Flasche Wasser herum, als würden sie vor Hitze sterben, wenn sie nicht dauernd Wasser trinken«, sagte Ranyinudo. Sie hatten all die Jahre Kontakt gehalten, sie und Ranyinudo. Zuerst schrieben sie sich unregelmäßig Briefe, aber als Internetcafés eröffneten, Mobiltelefone immer verbreiteter wurden und Facebook florierte, kommunizierten sie häufiger. Es war Ranyinudo gewesen, die ihr ein paar Jahre zuvor erzählt hatte, dass Obinze heiraten würde. »Er macht jetzt das große Geld. Schau nur, was dir durch die Lappen gegangen ist«, hatte Ranyinudo gesagt. Ifemelu tat so, als wäre es ihr gleichgültig. Sie hatte schließlich den Kontakt zu Obinze abgebrochen, und es war so viel Zeit vergangen, und sie hatte gerade Blaine kennengelernt und ließ sich zufrieden auf ein gemeinsames Leben mit ihm ein. Doch nachdem sie aufgelegt hatte, dachte sie sehr lange über Obinze nach. Wenn sie sich die Hochzeit vorstellte, empfand sie so etwas wie Kummer, einen lange zurückliegenden Kummer. Doch sie sagte sich, dass sie sich für ihn freute, und um sich zu beweisen, dass sie sich für ihn freute, beschloss sie, ihm zu schreiben. Sie

»Jetzt ist Nigeria-Film sehr gut«, sagte Aisha noch einmal.

»Ja«, antwortete Ifemelu begeistert. Sie war zu jemandem geworden, der nach Zeichen suchte. Nigerianische Filme waren gut, deswegen war es gut, dass sie nach Hause zurückkehrte.

»Bist du Yoruba in Nigeria?«, fragte Aisha.

»Nein. Ich bin eine Igbo.«

»Du bist Igbo?« Zum ersten Mal lächelte Aisha, und das Lächeln entblößte ebenso viel von ihren kleinen Zähnen wie von ihrem dunklen Zahnfleisch. »Ich glaube, du bist Yoruba, weil du dunkel bist, und Igbo sind hell. Ich habe zwei Igbo-Männer. Sehr gut. Igbo-Männer sind richtig gut zu Frauen.«

Aisha flüsterte nahezu, ihr Tonfall ein bisschen anzüglich, und die Verfärbungen auf ihren Armen und in ihrem Nacken wurden im Spiegel zu hässlichen Geschwüren. Ifemelu stellte sich vor, dass manche platzten und nässten, andere schuppten. Sie schaute weg.

»Igbo-Männer sind richtig gut zu Frauen«, wiederholte Aisha. »Ich will heiraten. Sie mich lieben, aber sagen, Familie will Igbo-Frau. Weil Igbo heiraten immer Igbo.«

Ifemelu schluckte ein Lachen hinunter. »Willst du sie beide heiraten?«

»Igbo heiraten alle möglichen Leute. Der Mann meiner Cousine ist Yoruba. Die Frau meines Onkels ist aus Schottland.«

Aisha hielt im Flechten inne, betrachtete Ifemelu im Spiegel, als wollte sie entscheiden, ob sie ihr glauben konnte.

»Meine Schwester sagt, ist wahr. Igbo heiraten immer Igbo.«

»Woher will deine Schwester das wissen?«

»Sie kennt viele Igbo-Leute in Afrika. Sie verkauft Stoff.«

»Wo ist sie?«

»In Afrika.«

»Wo? Im Senegal?«

»Benin.«

»Warum sagst du Afrika, statt gleich das Land zu nennen?«, fragte Ifemelu.

Aisha gluckste. »Du nicht kennst Amerika. Du sagst Senegal, und amerikanische Leute, sie sagen: Wo ist das? Meine Freundin von Burkina Faso, sie fragen sie, dein Land in Südamerika?« Aisha begann wieder zu flechten, ein gerissenes Lächeln im Gesicht, und fragte dann, als könnte Ifemelu unmöglich begreifen, wie es hier zuging: »Wie lange du bist in Amerika?«

Da entschied Ifemelu, dass sie Aisha überhaupt nicht ausstehen konnte. Sie wollte das Gespräch jetzt beenden, so dass sie während der sechs Stunden, die es dauern würde, ihr Haar zu flechten, nur sprechen mussten, was unbedingt nötig war, deswegen gab sie vor, sie nicht gehört zu haben, und holte ihr Handy heraus. Dike hatte noch nicht geantwortet. Normalerweise meldete er sich innerhalb von Minuten, aber vielleicht war er noch im Basketballtraining oder sah sich mit seinen Freunden ein albernes Video auf YouTube an. Sie rief ihn an und hinterließ eine lange Nachricht, hob die Stimme und sprach endlos über sein Basketballtraining und fragte, ob es in Massachussetts auch so heiß war und ob er heute noch immer mit Page ins Kino gehen wollte. Und da sie sich unbekümmert fühlte, schrieb

Aisha ließ sich nicht entmutigen. Kaum blickte Ifemelu von ihrem Handy auf, fragte Aisha noch einmal: »Wie lange du bist in Amerika?«

Ifemelu legte das Handy bedächtig in ihre Tasche zurück. Jahre zuvor war ihr auf der Hochzeit einer Freundin von Tante Uju eine ähnliche Frage gestellt worden, und sie hatte »zwei Jahre« geantwortet, was der Wahrheit entsprochen hatte, aber der Hohn im Gesicht des Nigerianers hatte sie gelehrt, dass sie mehr Jahre brauchte, um von Nigerianern in Amerika, von Afrikanern in Amerika, ja von Einwanderern in Amerika generell ernst genommen zu werden. Sie sagte sechs Jahre, als es nur dreieinhalb waren. Acht Jahre, als es fünf waren. Jetzt, da sie dreizehn Jahre hier war, schien es nicht länger nötig zu lügen, aber sie log trotzdem.

»Fünfzehn Jahre«, sagte sie.

»Fünfzehn? Das ist lange Zeit.« Ein neuer Respekt schlich sich in Aishas Blick. »Du lebst in Trenton?«

»Ich lebe in Princeton.«

»Princeton.« Aisha schwieg kurz. »Du Studentin?«

»Ich hatte ein Stipendium für Princeton«, sagte sie wohl wissend, dass Aisha nicht wusste, was ein Stipendium war, und in dem kurzen Augenblick, in dem Aisha eingeschüchtert dreinblickte, empfand Ifemelu ein perverses Vergnügen. Ja, Princeton. Ja, die Sorte Ort, die Aisha sich nicht einmal vorstellen konnte, die Sorte Ort, an dem keine Schilder mit der Aufschrift PROMPTE STEUERERSTATTUNG hingen, denn die Menschen in Princeton brauchten keine prompte Steuererstattung.

»Aber ich gehe nach Nigeria zurück«, fügte Ifemelu reumütig hinzu. »Nächste Woche.«

»Nein. Ich gehe endgültig zurück. Um in Nigeria zu leben.«

»Warum?«

»Was meinst du mit warum? Warum nicht?«

»Besser Geld schicken. Außer dein Vater ist großer Mann? Du hast Beziehungen?«

»Ich habe Arbeit«, sagte sie.

»Du bist fünfzehn Jahre in Amerika und gehst zurück wegen Arbeit?« Aisha grinste hämisch. »Du kannst bleiben?«

Aisha erinnerte sie an das, was Tante Uju gesagt hatte, als sie endlich akzeptierte, dass Ifemelu es ernst meinte – Wirst du dem Leben dort gewachsen sein? –, und an die Andeutung, dass Amerika sie irgendwie unwiderruflich verändert hatte, dass ihrer Haut Dornen gewachsen waren. Auch ihre Eltern schienen zu glauben, dass sie Nigeria vielleicht nicht »gewachsen« war. »Zumindest hast du jetzt die amerikanische Staatsbürgerschaft, du kannst jederzeit nach Amerika zurückgehen«, hatte ihr Vater gesagt. Beide hatten sie gefragt, ob Blaine sie begleiten würde, die Frage befrachtet mit Hoffnung. Es amüsierte sie, wie oft sie sich jetzt nach Blaine erkundigten, da sie eine Weile gebraucht hatten, um mit ihrem schwarzen amerikanischen Freund Frieden zu schließen. Sie nahm an, dass sie insgeheim Pläne für ihre Hochzeit schmiedeten; ihre Mutter würde über die Farben und einen Essenslieferanten nachdenken und ihr Vater über einen angesehenen Freund, den er bitten könnte, der Sponsor zu sein. Sie wollte ihnen die Hoffnung nicht nehmen, weil es so wenig brauchte, um sie ihnen zu lassen und sie damit glücklich zu machen, und sagte zu ihrem Vater: »Wir haben beschlossen, dass ich zuerst zurückgehe, und Blaine wird ein paar Wochen später nachkommen.«

»Großartig«, erwiderte ihr Vater, und sie sagte nichts mehr, weil es am besten war, es einfach bei großartig zu belassen.

Aisha zog ein bisschen zu fest an ihrem Haar. »Fünfzehn Jahre in Amerika sind sehr lange Zeit«, sagte Aisha, als hätte sie darüber nachgedacht. »Du hast Freund? Du heiratest?«

»Oh! Okay!«, sagte Aisha aufgeregt. Ifemelu hatte ihr endlich einen verständlichen Grund für ihren Wunsch zurückzukehren geliefert. »Du heiratest?«

»Vielleicht. Wir werden sehen.«

»Oh!« Aisha hörte auf zu flechten und starrte sie im Spiegel ausdruckslos an, und Ifemelu befürchtete einen Augenblick lang, dass die Frau hellseherische Fähigkeiten hatte und sah, dass sie log.

»Ich will dir zeigen meine Männer. Ich rufe an. Sie kommen, und du sie lernst kennen. Erst ich rufe an Chijioke. Er Taxifahrer. Dann Emeka. Er arbeitet Sicherheitsdienst. Du sie lernst kennen.«

»Du musst sie nicht anrufen, nur damit ich sie kennenlerne.«

»Nein. Ich rufe an. Du sagst, dass Igbo auch Nicht-Igbo heiraten. Dir sie glauben.«

»Nein, wirklich. Das geht nicht.«

Aisha redete weiter, als hätte sie sie nicht gehört. »Du sagst ihnen. Dir sie glauben, weil du bist ihre Igbo-Schwester. Beide sind okay. Ich will heiraten.«

Ifemelu schaute zu Aisha, einer Senegalesin mit unscheinbarem Gesicht und fleckiger Haut, die, so unwahrscheinlich es auch schien, zwei Igbo-Freunde hatte und jetzt darauf bestand, dass Ifemelu die Männer kennenlernte und sie drängte, sie zu heiraten. Es wäre ein guter Beitrag für ihren Blog gewesen: »Der sonderbare Fall einer nichtamerikanischen Schwarzen oder Wie die Belastungen des Immigrantenlebens dich zu verrückten Handlungen verleiten«.

Als Obinze ihre E-Mail las, saß er auf dem Rücksitz seines Range Rovers im stehenden Verkehr von Lagos, sein Jackett lag auf der Lehne des Vordersitzes, ein bettelndes Kind mit rostfarbenem Haar drückte das Gesicht ans Fenster neben ihm, ein Händler hielt bunte CDs ans andere Fenster, im Radio liefen leise die Nachrichten in Pidgin auf Wazobia FM, und auf allen Seiten herrschte die Düsternis drohenden Regens. Er starrte reglos auf seinen Blackberry. Zuerst überflog er die E-Mail und wünschte instinktiv, dass sie länger wäre. Decke, kedu? Hoffe, alles ist in bester Ordnung mit Arbeit und Familie. Ranyinudo sagt, dass sie dich vor einer Weile getroffen hat und du jetzt ein Kind hast! Stolzer Papa. Gratuliere. Ich habe vor kurzem beschlossen, nach Nigeria zurückzugehen. Sollte in einer Woche in Lagos sein. Würde gern in Verbindung bleiben. Mach’s gut. Ifemelu.

Er las sie langsam noch einmal und verspürte das Bedürfnis, irgendetwas zu glätten, seine Hose, seinen kahlgeschorenen Kopf. Sie nannte ihn Decke. In ihrer letzten E-Mail, ein paar Tage vor seiner Hochzeit geschickt, hatte sie ihn Obinze genannt, sich für ihr jahrelanges Schweigen entschuldigt, ihm mit fröhlichen Sätzen Glück gewünscht und den schwarzen Amerikaner erwähnt, mit dem sie zusammenlebte. Eine elegante E-Mail. Er hatte sie gehasst. Er hatte sie so sehr gehasst, dass er den schwarzen Amerikaner googelte – warum sollte sie den Mann mit vollem Namen nennen, wenn sie nicht wollte, dass er ihn googelte? –, ein Yale-Dozent, und wurde wütend,

Der Verkehr setzte sich wieder in Bewegung. Es nieselte. Der bettelnde Junge lief neben dem Wagen her, sein rehäugiges Gesicht theatralisch, seine Bewegungen hektisch: Immer wieder hob er die Hand an den Mund, die Fingerspitzen aneinandergepresst. Obinze öffnete das Fenster und hielt ihm einen Hundert-Naira-Schein hin. Im Rückspiegel beobachtete ihn sein Fahrer Gabriel mit tiefer Missbilligung.

»Gott segne Sie, oga!«, sagte das Kind.

»Geben Sie diesen Bettlern kein Geld, Sir«, sagte Gabriel. »Sie sind alle reich. Sie verdienen großes Geld mit Betteln. Ich habe von einem gehört, der in Ikeja ein Haus mit sechs Wohnungen gebaut hat!«

»Warum arbeitest du dann als Chauffeur und gehst nicht betteln, Gabriel?«, fragte Obinze und lachte ein wenig zu herzlich. Er wollte Gabriel erzählen, dass ihm seine Freundin aus Universitätszeiten, ja, seine Freundin aus Universitäts- und Oberschulzeiten gerade eine E-Mail gesandt hatte. Als er ihr das erste Mal den BH ausziehen durfte, lag sie auf dem Rücken und stöhnte leise, ihre Finger gespreizt auf seinem Kopf, und später sagte sie: »Meine Augen waren offen, aber ich habe die Decke nicht gesehen. Das ist noch nie so gewesen.« Andere Mädchen hätten behauptet, dass sie nie zuvor einen Jungen an sich herangelassen hatten, aber nicht sie, niemals.

»Liebling, kedu ebe I no?« Seine Frau, Kosi, begann ihre Anrufe immer mit diesen Worten: Wo bist du? Er fragte nie, wo sie war, wenn er sie anrief, aber sie sagte es ihm trotzdem: Ich gehe gerade in den Friseursalon. Ich bin gerade auf der Third Mainland Bridge. Es war, als müsste sie sich ihrer Leibhaftigkeit vergewissern, wenn sie nicht zusammen waren. Sie hatte eine hohe Mädchenstimme. Sie sollten

Er sagte, dass er im Stau stehe. »Aber es geht vorwärts, und wir biegen gerade in die Ozumba Mbadiwe. Ich bin gleich da.«

Auf dem Lekki Expressway floss der Verkehr im nachlassenden Regen, und bald drückte Gabriel vor dem hohen schwarzen Tor seines Zuhauses auf die Hupe. Mohammed, der Pförtner, drahtig in seinem schmutzigen weißen Kaftan, öffnete das Tor und hob die Hand zum Gruß. Obinze schaute zu dem hellbraunen Haus mit den Säulen davor. Im Inneren befanden sich die aus Italien importierten Möbel, seine Frau, seine zwei Jahre alte Tochter Buchi, das Kindermädchen Christiana, die Schwester seiner Frau, Chioma, die Zwangsferien machte, weil die Universitätsdozenten wieder einmal streikten, und das neue Hausmädchen Marie aus der Republik Benin, das sie geholt hatten, nachdem seine Frau entschieden hatte, dass nigerianische Hausmädchen nicht geeignet waren. In den Räumen wäre es kühl, die Belüftungsschlitze der Klimaanlage vibrierten leise, in der Küche röche es nach Curry und Thymian, im Fernseher unten liefe CNN, während im Fernseher oben Zeichentrickfilme gezeigt würden, und überall herrschte die ungetrübte Atmosphäre des Wohlstands. Er stieg aus dem Wagen. Seine Beine waren steif, er hatte Mühe, sie zu heben. Seit ein paar Monaten fühlte er sich aufgebläht von allem, was er sich zugelegt hatte – die Familie, die Häuser, die Autos, die Bankkonten –, und hin und wieder überwältigte ihn das Bedürfnis, in alles mit einer Nadel zu stechen, um die Luft entweichen zu lassen, um frei zu sein. Er war nicht länger sicher, ja, er war eigentlich nie sicher gewesen, ob er sein Leben mochte, weil es ihm wirklich gefiel, oder ob er es mochte, weil es von ihm erwartet wurde.