Annette Wallentin · Malte Schophaus

Pate stehen

Eine besondere Beziehung gestalten

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Überarbeitete Neuausgabe

Titel der Originalausgabe: Pate stehen. Patenschaften neu gestalten

© Kreuz Verlag 2006, Stuttgart

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in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur IDee

Umschlagmotiv: © shutterstock

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-61313-5

ISBN (E-Book) 978-3-451-80158-7

Inhalt

Einleitung

1. Patenschaft im Wandel

Was ist ein Taufpate?

Was macht das Besondere des Paten aus?

Patenschaft als Ritual – Von der Tradition zur Selbstgestaltung

2. Die Geschichte der Patenschaft

Patenschaft verändert sich: Ein historischer Überblick

Patenschaft heute: Zwei Patentanten erzählen

Religiöse und weltliche Patenschaftsmodelle

3. Was bin ich? Rollenverständnisse von Paten

Warum Pate werden?

Warum Paten auswählen? Die Sicht der Eltern

Was macht die Lieblingspaten aus? Patenkinder haben das Wort

Sonderfall Erwachsenentaufe: Paten als Wegbegleiter in den Glauben

4. Patenschaft praktisch

Christliche Taufe und weltliches Willkommensfest: Paten gestalten mit

Kleine Entwicklungspsychologie für Paten

Beziehungen knüpfen – auch aus der Ferne

Paten und Geschenke: Was ist gutes Schenken?

Rituale in der Patenschaft: Die Kunst der Regelmäßigkeit

Christliche Erziehung und humanistische Wertevermittlung

Konflikte und Erziehung

5. Patenschaften – die Gemeinschaften der Zukunft

Quellen

Einleitung

Befragen Sie die Generation Ihrer Eltern oder Großeltern danach, was ein Pate sei, bekommen Sie mit recht großer Sicherheit diese Antwort: Ein Pate begleitet die christliche Erziehung eines Kindes von der Taufe bis zu dessen Konfirmation oder Firmung und ist für das Kind da, wenn den Eltern etwas zustößt. Geben Sie dagegen heute den Begriff »Pate« in eine Suchmaschine im Internet ein, so finden Sie zunächst ganz andere Vorstellungen von Patenschaft, nämlich eher die Patenschaft im Sinn der finanziellen Unterstützung durch Spenden.

Um Pate zu werden, muss man heute keine Familie mehr haben. Eine Patenschaft für Kinder kann man auf allen Kontinenten übernehmen. Oder man wird Pate für Erwachsene: etwa für Kaffeebauern in Südamerika oder für die Bibliothek eines Gefängnisses. Es ist nicht mehr unüblich, Patentante für ein Tigerbaby im Zoo zu werden oder Patenonkel für Robbenbabys im Nordpazifik. Die Patenschaft funktioniert dann über eine regelmäßige Geldspende an die entsprechende Vermittlungsorganisation.

Der Begriff der Patenschaft befindet sich offensichtlich im Wandel. Er beschreibt heute ganz allgemein eine unterstützende und fördernde Beziehung. Sein einst klarer Bezug zu einem wichtigen Ehrenamt der christlichen Kirchen ist nur eine mögliche Assoziation. Nicht ohne Grund, denn dieses christliche Ehrenamt der Taufpatin oder des Taufpaten ist nicht mehr so gegenwärtig, wie es früher einmal war. Aber immer noch stellen sich die meisten Eltern im christlichen Kulturkreis die Frage, ob sie ihr Kind taufen lassen und ob sie Taufpaten für ihr Kind auswählen wollen.

Die Statistiken zeigen: Immer mehr Menschen entscheiden sich heute dagegen. Die zunehmende Distanz zu den Kirchen wirkt sich auch in sinkenden Zahlen von Taufen aus. In der Folge wählen auch immer weniger Eltern eine Patentante oder einen Patenonkel für ihr Kind aus. Zurück bleibt eine unerfüllte vage Sehnsucht nach Sinnstiftung und nach einem Leben in einer Gemeinschaft, die größer als die unmittelbare Kleinfamilie ist. Auch die Menschen, die sich gegen die Kindertaufe entscheiden – weil sie aus der Kirche ausgetreten sind oder ihre Kinder später selbst über die Taufe entscheiden lassen wollen –, wünschen sich oft dennoch ein angemessen feierliches Ritual, mit dem sie das Kind willkommen heißen und in die Gemeinschaft der Familie und des Freundeskreises aufnehmen können. Auf der Suche nach Alternativen zur Taufe stellen sie oft frustriert fest, dass es solche Modelle noch nicht so recht gibt. Letztlich wird dann doch eine Taufe gefeiert, die aber sinnentleert bleiben muss, weil an die Inhalte und Formen des christlichen Sakraments nicht mit innerer Überzeugung geglaubt wird. Oder die Feier findet ganz ohne Besonderheiten in Form eines schlichten Familienkaffeetrinkens statt oder fällt gar ganz aus.

Die Suche nach einem guten Ersatz für die Institution der Patentante oder des Patenonkels gestaltet sich nicht weniger schwierig: Sicher gibt es da die Freundin der Mutter, die sich anbietet, gelegentlich auf das Kind aufzupassen. Und sicher wird die Familie öfter einmal etwas mit der Familie des Bruders des Vaters unternehmen, weil dessen Kinder im selben Alter wie das eigene Kind sind. Aber ohne den Rückgriff auf die Institution des christlichen Patenamtes fällt es schwer, diese Verbindlichkeit und Intensität der Beziehungen herzustellen: Die gute Freundin hat nicht dieselbe herausgehobene Rolle wie eine Patentante. Und es ist »nur« ein Onkel und nicht der »Paten«onkel. Auch die genaue Funktion und die Aufgaben der ersehnten weiteren erwachsenen Bezugsperson für das Kind bleiben häufig im Unklaren.

Eltern, Freunde und Familie nehmen diese Entwicklung als kulturelle Verarmung wahr. Und die zieht Weiteres nach sich: Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft entfällt – meist ohne durch eine andere Gemeinschaft ersetzt zu werden. Auch familiäre Bindungen werden loser, wenn die klassischen großen Familienfeiern wie Taufe oder Konfirmation mehr und mehr wegfallen. Und schließlich: Kinder wachsen ohne Paten auf. Damit fällt eine soziale Bindung weg, die doch reichhaltiges Potenzial für Kind, Familie und Freundschaften birgt.

Dieses Buch betrachtet diese Entwicklung. Es bleibt jedoch nicht bei der übellaunigen Beschreibung eines gegenwärtigen Bedeutungsverlustes des christlichen Taufpatenamtes stehen. Ganz im Gegenteil: Wir möchten mit diesem Buch auf die großen Vorteile und Chancen hinweisen, die die soziale Rolle der Patentante oder des Patenonkels beinhaltet – für die Paten selbst ebenso wie natürlich für die Patenkinder, aber auch für deren Eltern. Das Buch stellt die Entwicklung und die Aufgaben des christlichen Taufpatenamtes dar und gibt Anregungen, wie dieses heute belebt oder darüber hinaus auch neue, weltliche Formen der Patenschaft gesucht und gefunden werden können. Dabei folgen wir keinem Dogma – selbstverständlich ist auch ein Leben ganz ohne Paten möglich. Aber wir meinen, mit einer kreativen, selbstgestalteten Patenschaft lebt es sich einfach besser.

Das Buch richtet sich zum einen an frischgebackene Patentanten und Patenonkel, die sich in ihre neue Rolle einfinden wollen. Auch Patinnen und Paten, die bereits ein paar Jahre Erfahrung in ihrem Amt gesammelt haben, können sich in unserem Buch neue Denkanstöße und Anregungen holen. Zum anderen wendet sich das Buch aber auch an Eltern, die sich überlegen, ob und wie sie Paten für ihr Kind einsetzen wollen. Es wendet sich einerseits an Taufpaten im christlichen Sinn, die sich über Aufgabe und Gehalt ihres kirchlichen Amtes neu Gedanken machen wollen. Andererseits wendet sich das Buch an Menschen, die an einer Form einer alternativen, weltlichen Patenschaft interessiert sind.

Im ersten Kapitel beschreiben wir das Patenamt als eine Tradition im Wandel. Das zweite Kapitel beleuchtet die historische Entwicklung und die heutige Bedeutung des Taufpatenamtes in der christlichen Kirche. Darüber hinaus gibt es einen Überblick über patenähnliche Funktionen in anderen Religionen und in weltlichen Traditionen. Im dritten Kapitel nähern wir uns den Aufgaben und Funktionen der Paten aus drei unterschiedlichen Perspektiven: einmal aus Sicht der Paten selbst, zum zweiten aus Sicht der Eltern, die Paten auswählen, und zuletzt aus der Perspektive der Patenkinder. Das vierte Kapitel schließlich gibt praktische Anregungen, wie eine Beziehung zwischen Patenkind und Pate im Alltag lebendig gestaltet werden kann. Im abschließenden Kapitel geben wir einen kurzen Ausblick über die Zukunft der Patenschaft.

Neben umfangreichen Literaturstudien entstand das Buch besonders auch mithilfe vieler Gespräche und Begegnungen mit Patentanten und Patenonkeln, Patenkindern und mit Eltern, die Paten für ihr Kind auswählen. Allen unseren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern sagen wir an dieser Stelle noch einmal unseren herzlichen Dank. Besonderer Dank gilt Svenja Schophaus und Britta Köppen, deren gute Gedanken zu Patenschaften in dieses Buch eingeflossen sind.

Und nun wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen!

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Patenschaft im Wandel

Was ist ein Taufpate?

Der Begriff »Pate« kommt vom lateinischen »patrinus« und bedeutet »Mit-Vater«. Das entspricht dem altdeutschen Wort »Gevatter«. Der englische Begriff verweist auf die religiöse Bindung des Wortes Pate: »Godfather« heißt übersetzt etwa »Gottvater«, gemeint ist also nicht der biologische, sondern ein von Gott eingesetzter Vater.

Unter Paten wurden ursprünglich ausschließlich Taufpaten verstanden. Die Taufpatenschaft ist ein Ehrenamt der christlichen Kirchen. Die Paten begleiten den Täufling bei der Taufe und bezeugen die Sakramentenspendung. Das Patenamt entstand gleichzeitig mit der Kindertaufe: Gemeinsam mit den Eltern und stellvertretend für den Täufling, der selbst zum Zeitpunkt der Taufe meist noch nicht sprechen kann, spricht der Taufpate das Glaubensbekenntnis. Den Ursprüngen der Taufe zufolge, die zunächst eine Erwachsenentaufe war, war keine Taufpatenschaft im heutigen Sinn vorgesehen. Entsprechend taucht die Patenschaft auch in der Bibel nicht auf.

Der Pate oder die Patin verpflichten sich, ihr Patenkind auf dem Lebens- und Glaubensweg zu begleiten. Die Taufpaten unterstützen die Eltern bei der religiösen Erziehung des Kindes. Früher hatten die Taufpaten im Todesfall der Eltern sogar eine Fürsorgepflicht für das Kind. Auch heute verstehen es Paten in der Regel als ihre Aufgabe, im Notfall für das Wohlergehen ihres Patenkindes Sorge zu tragen. Was darüber hinaus die Aufgaben einer Patentante oder eines Patenonkels sein könnten, lässt manchen Anwärter auf ein Patenamt ratlos zurück. Für viele ist das Patenamt nur noch ein weitgehend sinnentleerter Brauch. Einige übernehmen nur eine Patenschaft, um einem Freund oder Verwandten einen Gefallen zu tun. Der Kontakt zum Patenkind beschränkt sich dann im besten Fall auf großzügige Geschenke zu den Geburtstagen. Das ist freilich schade, denn eine Patenschaft kann etwas ganz Besonderes sein.

Was macht das Besondere der Paten aus?

Seine einstige formale Funktion hat der Pate längst verloren. Ursprünglich waren Paten vor allem Taufzeugen. Als es noch keine Kirchenbücher gab, konnten nur die Paten bezeugen, dass ein Mensch tatsächlich getauft worden war. Diese Rolle als Zeugen der Taufe ist heute nicht mehr erforderlich, da Kirchenverwaltungen die Taufen registrieren.

Dennoch haben viele Menschen auch heute noch einen oder mehrere Paten. Was macht also den Reiz der Patenschaft aus? Was ist das Besondere daran?

Zwischen Familie und Freundschaft

Eine Idee dazu bekommen wir aus der Unterhaltungsliteratur. Vielleicht erinnern Sie sich an das Buch »Der Pate« von Mario Puzo, das Anfang der 1970er-Jahre die Bestsellerlisten eroberte und später verfilmt wurde. In diesem Kriminalroman, der im amerikanischen Mafiamilieu spielt, ist der titelgebende »Pate« zweierlei: zum einen ein mächtiger Mafiaboss, zum anderen aber tatsächlich auch der Taufpate eines seiner Mafiamitglieder. Dieser Patensohn denkt im Buch wie folgt über »den Paten« nach:

»Er würde nach New York zurückkehren, zu dem Einzigen, der die Macht besaß, die Weisheit, die Johnny jetzt brauchte, und die Liebe, an die er immer noch glaubte. Sein Pate Don Corleone.«

Was hier romantisierend auf die Spitze getrieben ist, beschreibt doch eine generelle Sehnsucht vieler Menschen, die »Der Pate« hier verkörpert: der Wille zum Helfen – die Liebe; die Verlässlichkeit des Helfens – die Treue; und die Möglichkeit zu helfen – die Weisheit und Macht. Wer wünscht sich nicht eine solche Begleitung an seiner Seite?

Eben diese Eigenschaften werden auch den Eltern des Patenkindes zugeschrieben. Dennoch unterscheidet sich die Beziehung des Paten zu seinem Patenkind von der elterlichen Liebe. Die Beziehung zwischen Eltern und Kind wird durch die Geburt des Kindes gestiftet. Auch bei größten Zerwürfnissen bleibt diese Verbindung in der Regel in irgendeiner Form bestehen. Anders funktionieren Beziehungen unter Freunden. Diese können selbst ausgewählt und das Ausmaß der Nähe bewusst gestaltet werden. Das Besondere an der Patenschaft liegt vielleicht gerade in seiner Mittelstellung zwischen familiären und freundschaftlichen Banden – was der alte Begriff des »Mit-Vaters« (wir ergänzen die »Mit-Mutter«) schön zum Ausdruck bringt. Die Paten sind nicht Teil der unmittelbaren Kleinfamilie. Sie sind aber auch nicht gewöhnliche Freunde der Familie. Die Patenschaft kann dabei eine wertvolle Beziehung sein, die Qualitäten von Familie und Freundschaft in sich vereint. Sie beinhaltet durchaus eine große Verbindlichkeit, da Paten mit ihren Patenkindern eine exklusive, einzigartige Beziehung teilen, die sie von Beziehungen zu vielen anderen Freunden oder Familienmitgliedern der Eltern unterscheiden. Im Vergleich zum Zusammenleben mit den Eltern beinhaltet die Beziehung zwischen Paten und Patenkindern aber dennoch eine gewisse Distanz und lässt mehr Wahlmöglichkeiten offen. Sowohl Pate als auch Patenkind können sich jederzeit neu entscheiden, wie eng und in welcher Form sie ihre Beziehung gestalten wollen oder ob sie sie irgendwann beenden möchten.

Paten als Freunde fürs Leben

Die Geburt des ersten Kindes bringt zahlreiche Veränderungen in das Leben seiner Eltern. Da ist ein neues Rollenverständnis als Vater oder Mutter zu erlernen, es gilt, die Beziehung zwischen dem Paar neu zu definieren, und überhaupt sehen sich die jungen Eltern vor praktische Probleme gestellt, von deren schierer Existenz sie zuvor nicht einmal wussten.

Doch damit nicht genug. Oft stehen gleichzeitig zur Geburt der Kinder noch weitere Veränderungen an. Der Arbeitsmarkt fordert besonders von Berufsanfängern (was junge Eltern häufig sind) ein Höchstmaß an Flexibilität. Zunehmend werden Arbeitsverträge nur noch befristet auf ein bis zwei Jahre geschlossen. Immer wieder ist also die Suche nach dem nächsten Job aktuell – gerade, wenn es gilt, nun eine kleine Familie zu ernähren. Oft genug finden sich in der eigenen Stadt oder Region nicht die passenden Arbeitsmöglichkeiten. Dann ist mit dem Stellenwechsel auch ein Ortswechsel angesagt. Wenn dies nicht bereits zu Beginn der Ausbildungsphase geschehen ist, entfernt man sich von der Ursprungsfamilie mit den Großeltern, Tanten und Onkeln des Kindes. Familientreffen sind nun keine alltägliche Selbstverständlichkeit mehr. Man trifft sich nur mehr zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen und Weihnachten. Auch die alten Freunde und Freundinnen aus Schul- und Ausbildungszeit haben sich in alle Winde zerstreut. Neue Freundschaften können an den neuen Arbeitsorten zwar immer wieder geschlossen werden. Bis diese jedoch die Qualität langjähriger sozialer Beziehungen erreicht haben, vergeht eine Weile. Oft bleiben die neuen Kontakte Provisorien, »Freunde auf Zeit«, denn der nächste Stellen- und damit Ortswechsel ist nicht weit. Familiäre und freundschaftliche Beziehungen verlieren so ihre Regelmäßigkeit und Intensität. Das enge Sozialleben wird auf die unmittelbare Kernfamilie reduziert, was gleichzeitig als Defizit empfunden wird. Die Sehnsucht nach verbindlichen Freundschaften, die weitere Stellen-, Orts- und Lebensphasenwechsel unbeschadet überstehen, ist groß.

Vor diesem Hintergrund kann eine Neubesinnung auf das traditionelle Patenamt und seine Erweiterung um neue Aufgaben, Inhalte und Funktionen – mit oder auch ohne den christlichen Bezugsrahmen – eine Chance sein. Die Einsetzung einer Patentante oder eines Patenonkels trägt dazu bei, die wichtigen Lebensphasen des Kinderaufziehens bewusster und feierlicher zu gestalten. Mit der Patentante oder dem Patenonkel gewinnt die Kernfamilie – Patenkind wie Eltern – zudem eine verbindliche und langfristige zusätzliche Bezugsperson.

Paten als Mentoren

Die Patenschaft hat einen weiteren wichtigen Aspekt der Begleitung: Patin oder Pate werden als Mentoren des Patenkindes gesehen. Der Begriff »Mentor« geht zurück auf eine Person aus den griechischen Sagen. In Homers »Odyssee« wird beschrieben, wie Odysseus nach Troja zieht. Vor seiner Reise bittet er seinen Freund Mentor, sich um seine Familie zu kümmern. Mentor nimmt sich vor allem Odysseus’ Sohn, Telemachos, an und ist ihm nicht nur väterlicher Freund, sondern auch Ratgeber und Lehrer.

In neuerer Zeit ist der Begriff des »Mentoring« vor allem zur Beschreibung einer »beruflichen Patenschaft« übernommen worden. Hier werden Berufseinsteiger von erfahrenen Kollegen oder Vorgesetzten beraten, um ihnen den Eintritt ins Berufsleben zu erleichtern. Der Mentor oder die Mentorin geben Erfahrungen und Wissen an ihre Schützlinge weiter, die nicht aus dem Lehrbuch gelernt werden können. Es handelt sich zum einen um Fachwissen, aber ebenso auch um Lebenserfahrungen aus dem eigenen Berufsleben, die in einer Ausbildung nur schwer vermittelt werden können.

Patentante oder Patenonkel sind ganzheitliche, alle Lebensbereiche umfassende Mentorinnen und Mentoren. Wenn das nicht etwas ganz Besonderes ist! Eltern nutzen diese Mentorenfunktion des Paten oder der Patin auch dazu, ihrem Kind Lebensweisen und Perspektiven zu erschließen, die sich von ihren eigenen unterscheiden. Durch die Paten erhält das Kind so neue und andere Impulse als im Alltag zu Hause bei den Eltern.

Patenschaft als Ritual – Von der Tradition zur Selbstgestaltung

Die Geschichte der Menschheit könnte auch als Geschichte von Ritualen erzählt werden. Zu allen Zeiten haben die Menschen ihre spezifischen Bräuche und Traditionen entwickelt, um so ihr Zusammenleben zu ordnen. Rituale sind unter anderem eingeführt worden, um Lebensübergänge zu kennzeichnen und zu feiern. Zu diesen Übergängen zählen die Geburt, die Taufe als Aufnahme in die christliche Glaubensgemeinschaft und die Konfirmation oder Firmung als Bestätigung beziehungsweise Vollendung der Taufe. Später folgt der Eintritt in das Erwachsenenalter, das Feiern der runden Geburtstage, die Hochzeit als öffentliche Bestätigung der Liebe und Bindung zwischen zwei Menschen und zuletzt der Tod mit den unterschiedlichen Beerdigungs- und Trauerritualen.

Für viele erscheinen diese Rituale als »vom Himmel gefallene« Traditionen, die so sind, wie sie uns von Großeltern und Eltern überliefert wurden. Und doch sind Rituale nichts Unveränderliches, Feststehendes und Endgültiges. Stattdessen wandeln sie sich entsprechend der Lebensweise, der Weltsicht und des Glaubens einer Generation. Rituale sind derzeit in einem gravierenden Umbruch begriffen. Das ist vor allem durch die Säkularisierung der Gesellschaft zu erklären: Die Zahl der Menschen, die sich zu einem Glauben, vor allem zum christlichen, bekennen, nimmt ab. Selbst Menschen, die sich weiterhin an die christliche Gemeinschaft gebunden sehen, haben