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Andreas und Regina Zeppelzauer

DIE WILDERER

Andreas und Regina Zeppelzauer

Die
Wilderer

Berichte und Bilder
von einst und jetzt

V. F. SAMMLER

Titelbild: Andreas Zeppelzauer, Wien
Grafik, Layout und Umschlaggestaltung:
Werbeagentur | Digitalstudio Rypka, Graz, Thomas Hofer

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Der Inhalt dieses Buches wurde von den Autoren und vom Verlag nach bestem Wissen (und Gewissen) überprüft; eine Garantie dafür kann jedoch nicht übernommen werden.
Die juristische Haftung ist daher ausgeschlossen.

ISBN 3-85365-206-9

Inhalt

Vorwort

Das Wildern im Spiegel der Zeit

Die Geschichte des Wilderns

Das Wildern im Blut

Jagen aus Lust und Leidenschaft

Das unglückliche Ende des Fürsten Adam Franz zu Schwarzenberg

Die Allmacht des hohen Adels

Strafen einst

Jagdgebiet mitten in Wien

Die Revolution von 1848

Der Wilderer-Ehrenkodex

Sagen, Mythen und die Kirche

Die Teufelsbrücke

Ein Räuberhauptmann in Nordbayern

Der Ehrwalder Wildererzug

Wilderer und Frauen

Unsterbliche Helden

Wildererverehrung in Volksliedern, Erzählungen und im Film

Das Schicksal des Georg „Girgl“ Jennerwein

Der Boarische Hiasl

Robin Hood des Erzgebirges

Wildschütz Klostermann

Elvis forever

Die legendäre Wildererschlacht von Molln

Wildererdramen zwischen den beiden Weltkriegen

Kaltblütiger Mord

Wildererdrama im Triebental

Wilderer von Jäger erschossen

Die Kriegsjahre 1939 bis 1945

Hitlers Wilddiebkommando

Hinterrücks erschlagen

Einmal und nie wieder

Wildern heute

Strafen heute

Wildererfälle von 1986 bis 2003

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

Nachwort

Danksagung

Für unsere Kinder Melanie, Benjamin und Victoria,
die große Geduld zeigten, auch als wir ihnen
während der Recherchen zum Buch einige Wochen lang nur
als „Teilzeiteltern“ zur Verfügung standen.

Für meine Mutter Edith, die immer, wenn „Not an der Frau“ war,
sofort zur Stelle war und unsere Rasselbande
beaufsichtigte – Danke Mama!

Vorwort

Mein Vater nahm meinen Bruder an die Hand. Vom Wohnhaus, wo wir zu fünft – ein weiterer Bruder und die Mutter – lebten, zum Waldrand hin waren es nur wenige Dutzend Meter. Das alte Haus mit seiner Zimmer-Küche-Wohnung, dem Plumpsklosett und Fließwasser am Gang, seinem aus Bachsteinen gefertigten Mauerwerk, war ehemaliges, zum Kloster Admont gehörendes Stiftseigentum.

Es war Anfang der sechziger Jahre. Mein Vater, ein Kriegsheimkehrer, wohnte, wie viele seiner ehemaligen Kameraden, in einem Dorf nahe Rottenmann. Gelegen am Fuße der beeindruckenden und über das Tal wachenden Burg Strechau, die laut den seltenen Erzählungen meines früh verstorbenen Vaters einst von Raubrittern bewohnt war. Als Kind beeindruckten mich diese Geschichten über die Burg und die Raubritter sehr. Schaurig fand ich vor allem jene Erzählung von dem jungen Mädchen, einer katholischen Jungfrau, die sich lieber von einem Felsen in den Tod stürzte, als sich dem lüsternen lutherischen Burgherren hinzugeben. Neugierig machten mich auch die geheimnisvollen Waldgänge meines Vaters gemeinsam mit meinen älteren Brüdern Hans und Fritz.

Am Ende dieser „Spaziergänge“, das weiß ich noch ganz genau, war immer Fleisch am Mittagstisch. Stets sonntags, am Tag des Herrn. Es gab des öfteren Hasenbraten, was mich jedesmal unwillkürlich veranlaßte, in der Holzhütte nachzusehen, ob meine zwei Hasen noch in ihren Käfigen waren.

Mein Vater war Arbeiter im Stahlwerk in Liezen. Ein harter, heißer Job, der großen Durst aufkommen ließ. So groß, daß er diesen regelmäßig auf dem Weg von Liezen nach Strechau in einem Wirtshaus in der Melzen ertränkte. Vielleicht versuchte er damit auch das Trauma des Krieges – eines Krieges, der ihm die Jugend aus der Seele riß, der ihn nötigte, ebenso junge und unschuldige Menschen fern ihrer Heimat zu töten – zu ertränken. Die Ohnmacht, die Wut, die Trauer, sie prägten ihn, diesen guten Menschen, der einem anderen nie Schlechtes wollte.

In dieser düsteren, erbarmungslosen Zeit kümmerte er sich um seine Kameraden. Er rettete seinem Freund Karl aus Wien im Gefecht mit Partisanen in Serbien das Leben. Dieser revanchierte sich auf gleiche Weise. Die Kameraden mußten nie hungern. Mein Vater Siegfried, ausgestattet mit diesem großen Namen aus der deutschen Mythologie, kümmerte sich um die Nahrungsbeschaffung. Er tötete Ziegen bzw. Hühner und versorgte das Bataillon mit frischem Fleisch. Er durchquerte Feindgebiet und riskierte Kopf und Kragen, damit nicht nur er, sondern auch seine Leute durchkamen. Nein, er war kein schlechter Mensch. Nur kurze Erinnerungen sind es, an die wenigen Jahre, die ich ihn erleben durfte. Diese Jahre, gezeichnet von seiner schweren Krankheit, der er, 55jährig, erlag. Viel zu kurz, um jene Vater-Sohn-Beziehung aufkommen zu lassen, die man sich als Kind und Heranwachsender wohl so sehr wünscht.

Mein Vater war ein Wilderer. Ein Wildschütz. Er stahl, legte Schlingen, tötete Wild. Er tat es, um seinen Kameraden im Krieg zu helfen. Er tat es für seine Familie, immer dann, wenn er – endlich wieder nüchtern – feststellte, daß sein karger Lohn für den Kauf von Lebensmitteln im kleinen Lebensmittelladen des Ortes nicht ausreichen würde.

Vieles zog meine Mutter im großen Garten, den wir hatten – Gemüse, ein paar Beeren. Fleisch gab es selten, es kam aus dem nahe gelegenen Wald, der Fisch stammte aus dem Strechenbach und der Palten. Bald schon und ohne Zutun des Vaters, der mich nicht mehr länger auf die heimliche Pirsch mitnehmen konnte, brachte ich die Fische aus dem Strechenbach mit nach Hause. Ich genoß es, stundenlang bis zu den Knöcheln im eisigen Schmelzwasser zu stehen. Eine Mischung aus Angst und Jagdfieber war es, eine enorme Anspannung, unter jeden Stein zu greifen, wohin sich die Bachforellen flüchteten, nachdem sie mich bemerkt hatten.

Einmal kam ich mit sieben oder acht Forellen nach Hause. Meine Mutter schimpfte, klärte mich (wie immer) auf, daß dies Diebstahl sei und man dafür in den „Häfen“ kommen könnte. Trotzdem griff sie zur Pfanne und zum Bratfett, schnitt die Bäuche der Fische auf und entsorgte geschickt und mit flinker Hand die Innereien. Mit Reis schmeckten mir die Forellen am besten.

Später dann nahmen mich die Nachbarn mit zum Frösche „pflücken“. Ich nannte es so in meiner unbeschwerten, wenngleich kargen Kindheit, weil es einfach so war. Zu Hunderten fanden wir sie während der Laichzeit in der Klamm, jenem schmalen Gebirgstal mit dem hervorragenden Fischwasser. Die meisten Frösche fand man bei der Wasserwehr, oben, auf dem Weg nach Oppenberg. Ich durfte sie pflücken, ihnen mit der Hacke den Kopf abschlagen und danach die Beine – mit einem kurzen gezielten Schlag – vom Rumpf abtrennen. Ich habe die ganze Prozedur so in Erinnerung, als hätte es mir damals Spaß gemacht. Zumindest erweckte es nicht jene Abscheu, die ich heute – aus der Distanziertheit des Alters – für die vergangene Zeit empfinde.

Die Lust an der Jagd, an diesem Tun, welches beinahe meine gesamte Familie durch mehrere Generationen hindurch erfaßt hat, sehe ich heute als Gefühlsmischung aus Überlebenskampf, Jagd- und Abenteuerlust.

Jahre später – als blutjunger und „blutrünstiger“ Journalist, als Möchtegern-Wallraff, der Mann, der bei der BILD-Zeitung Hans Esser war – packte mich die Jagdleidenschaft in einer anderen Form. Mit der Feder war ich Skandalen und Skandälchen im Herzen Österreichs, dem Salzkammergut, auf der Spur. Da war etwa der ehemalige Rigips-Chef Sekyra in Bad Aussee, der im Landschaftsschutzgebiet am Grundlsee Betonappartements bauen wollte. Mit meinem „grünen Herzen“ und der Tageszeitung „Kurier“ brachte ich ihn zur Strecke. Oder ein ehemaliger Bürgermeister von Bad Mitterndorf, ein begeisterter Jäger, der seine Gemeindemitarbeiter anwies, die Ölfässer und Schrottautos aus Kostengründen in den Gemeindesee zu kippen. Er tat es nur einmal! Am meisten Freude bereiteten mir jedoch die Recherchen um die Wildererlegenden des Salzkammergutes, gemeinsam mit meinem journalistischen Lehrmeister Walter Tarra. Ein schreibender, beißender Haudegen der alten Schule, der heute noch von der Revolution träumt und dessen Vater Widerstandskämpfer und Nazijäger war. Ich empfand es als großes Glück, mit ihm auf Spurensuche zu gehen. Mit Jägern und Wilderern zu sprechen, mit dem Polizisten aus Gosau, der mit gesenkter Stimme meinte: „Wilderei ist ja bei uns eigentlich kein Delikt, wenn schon, dann höchstens ein Kavaliersdelikt!“

Damals, Anfang der achtziger Jahre trafen wir auf einen noch angesehenen Wilderer in Grundlsee, der später auch zum Dorfrichter avancierte und dessen größte Freude im Leben war, den Nazibonzen während des Krieges im Ausseerland das Wild vor der Nase weg zu schießen. Dank seiner Mutter, die sich beherzt den SS-Leuten, die auf ihn Jagd machten, entgegenstellte, überlebte er diese Abenteuer, wenngleich nur knapp und eingezwängt in einer Nische des Dachbodens, während die resolute, gute Frau die Verfolger aus dem Haus wies.

Sie halten ein Buch in Händen, das aus dem Wunsch und dem Traum entstand, diese vielen Geschichten um die Faszination des Wilderns einmal mehr fundiert und spannend zu beschreiben. Es geht dabei aber nicht darum, das Thema zu beschönigen. Mit allen Grausamkeiten, Absurditäten und durchaus aus kriminellen Motiven wurde und wird gewildert.

Lange hegte ich den Wunsch, ein diesbezügliches Buch zu veröffentlichen. Ich bin sehr dankbar, daß der Leopold Stocker Verlag meinen Vorschlag aufgegriffen hat. Noch mehr freue ich mich, daß mit Regina und Andreas Zeppelzauer zwei beherzte, engagierte und erfahrene Kollegen der schreibenden Zunft die Feder in die Hand genommen haben. Mit meiner bescheidenen Hilfe haben sie vor Ort in allen Winkeln des Wilderertums gestöbert und dieses Buch so gut niedergeschrieben. Sie versuchten dabei, alle Facetten des Wilderns zu beleuchten.

Ich widme dieses Buch meinen Vorfahren, die nicht gut oder schlecht waren, sondern so waren, wie sie waren, und die ich nicht anders in Erinnerung haben möchte. Meinem Vater, den ich nur flüchtig erleben durfte und den ich fest in meiner Erinnerung behalte. Meinem Sohn, diesem außerordentlich liebenswürdigen jungen Menschen, der Tiere über alles liebt und der sogleich in tiefe Trauer verfällt und Tränen vergießt, wenn er ein totes Tier erblickt, sowie meinen Töchtern, meinen Synonymen für Sonne, Mond und Sterne. Und meiner Mutter, die uns Männern der Familie verzeihen möge. Der Freiheit im Wald und dem Himmel darüber sind keine Grenzen gesetzt.

Karl Gerhard Auer

Das Wildern im Spiegel der Zeit

DIE WILDERER KANNTEN NUR EINEN HERRN –
DIE MIT IHREN GEWALTEN UND SCHRECKNISSEN SIE
ZÄHMENDE NATUR.
SIE KANNTEN NUR EINEN FREUND –
IHREN KUGELSTUTZEN.
SIE KANNTEN NUR EINEN FEIND – DEN JÄGER.

PETER ROSEGGER

Eswar ein kalter Morgen, leichte Nebelschwaden lagen noch über dem Tal. Der Wald lag so still vor mir, daß ich meinen eigenen Atem hören konnte. Ich blieb stehen und versuchte mich im Dickicht der Sträucher und Bäume zurechtzufinden. Und tatsächlich, ich hatte die richtige Stelle wieder gefunden. Vor einigen Tagen schon hatte ich an der Lichtung vor mir einen prächtigen Zwölfender gesehen. Ich wußte, daß der Aufsichts-Jäger auf dieses Tier besonders achtete, aber um so größer war für mich der Reiz, den kapitalen Hirsch zu erlegen. Im Wald war ich immer alleine unterwegs, die Gefahr, von einem zweiten als Wilderer verraten zu werden, war einfach zu groß. Plötzlich tauchte das imposante Tier vor mir auf. Ich war ihm so nah, daß ich meinte, es würde mich sofort wittern und sein Heil in der Flucht suchen. Meine Anspannung war groß, ich wagte kaum noch zu atmen. Automatisch brachte ich mein Gewehr in Anschlag, nahm das Wild ins Visier und drückte ab. Ich hatte perfekt gezielt, tödlich getroffen brach der Hirsch zusammen. Nun hieß es warten, war mein Schuß gehört worden? Die Minuten des Wartens kamen mir wie Stunden vor. Ganz langsam nur, so schien es mir zumindest, bewegten sich die Zeiger meiner Uhr weiter. Weit und breit war nichts Verdächtiges zu hören oder zu sehen. Vorsichtig näherte ich mich meiner Beute. Ich beeilte mich, mein Jagdmesser aus dem Rucksack zu holen, um dem Tier das Haupt abzuschneiden. Ein Ritual, bei dem mir jedes Mal die Knie schlotterten. Wenn mich jetzt jemand entdecken würde, hätte ich keine Chance zu leugnen. Plötzlich knackte es hinter mir, erschrocken drehte ich mich um und … beinahe blieb mir vor Angst das Herz stehen. Ein kleines Kaninchen war vor Schreck wie erstarrt, und ich weiß nicht, wer sich in diesem Moment mehr gefürchtet hat. Als ich schallend zu lachen begann, lief das kleine Tier, wild Hacken schlagend, davon.

So schilderte uns ein Tiroler Wilderer, der verständlicherweise ungenannt bleiben möchte, eines seiner Erlebnisse beim illegalen Jagen und seine Gefühle beim Wildern. Eine Geschichte von vielen? Oh ja, auch wenn man von Jäger-Seite meist hört, daß gar nicht so viel gewildert wird. Meist käme es nur alle paar Jahre zu illegalen Abschüssen, aber, wird dann eingeschränkt, im Wald wäre es eben auch schwierig, immer den Überblick zu behalten. Von der anderen Seite hört man natürlich genau das Gegenteil. Natürlich wird nach wie vor gewildert. In Tirol etwa gilt für Schwarzschützen das Motto – „Ich lebe, also wildere ich“ – und in Gosau (Oberösterreich), einer Gegend, wo es gehäuft zu Wilddiebstählen kommt, gilt ein Bursche ab 16 Jahren ohnedies erst als Mann, wenn er selbst einmal gewildert hat.

Die Geschichte des Wilderns

Das Jagen wird seit Menschengedenken zum Zwecke der Selbsterhaltung betrieben. Und solange es Wild gibt, wird in den Wäldern und Bergen weiterhin gejagt werden. Aber nicht nur offizielle Jäger sind im grünen Tann unterwegs. Seit der Beschneidung des uralten Volksrechtes der freien Jagdausübung im Frühmittelalter wird ebenso fleißig gewildert. Die Wildschützen vergangener Tage waren verwegene Burschen, die gegen die gesellschaftliche und soziale Unterdrückung rebellierten. Sie nahmen einfach das Recht in Anspruch, sich zu holen, was die Natur für alle bereithielt.

Einst war es sogar üblich, die Tradition des Wilderns innerhalb einer Familie, von Generation zu Generation, weiterzugegeben. Es schien beinahe so, als verfügten vorwiegend die männlichen Mitglieder einer Familie über genetische Erbinformationen, die sie zu geborenen Schützen machten.

Das Wildern im Blut

Über fünf Generationen läßt sich auch die Familienchronik unseres Vorwortverfassers Karl Auer, und somit die Leidenschaft für die Wilderei, zurückverfolgen.

Bekannt ist soweit, daß ein Auer aus dem rumänischen Siebenbürgen nach Rottenmann in der Obersteiermark auswanderte. Heute noch leben in Siebenbürgen Nachkommen gebürtiger Obersteirer (vor allem aus dem Ausseerland), die zu Zeiten der Protestantenverfolgung Österreich verlassen mußten. Einige von ihren Nachkommen kehrten in die Heimat ihrer Väter zurück, so wie in diesem Fall der Großvater von Johann Auer, der als Nebenerwerbsbauer und Arbeiter in Strechau, unterhalb der gleichnamigen Burg, von 1880 bis 1969 lebte. Ob Johann Auer selbst, wie sein Vater und Großvater, ein Wilderer war, ist nicht bekannt. Wenn doch, dann war er es wie seine Vorgänger nicht aus purer Leidenschaft, sondern vielmehr aus reinem Überlebensdrang. Sein Sohn Siegfried Auer (1921–1974) und dessen unehelicher Sohn Siegfried, der beim Fensterln gezeugt wurde, waren aber aus Lust und Leidenschaft als Schwarzschützen unterwegs. Siegfried Auer sen. sorgte als erfahrener Wildschütz im Zweiten Weltkrieg dafür, daß seine abgeschnittene Kompanie an der Front nicht verhungerte. Statt sich auf den Feind einzuschießen, konzentrierte er sich lieber auf das Wild. Manchmal mußten auch die Hühner oder Ziegen der ansässigen Bauern daran glauben.

Sohn Siegfried, ein fleißiger LKW-Fahrer, lebte im Haus seines Großvaters, einem alten, heruntergekommenen Bauernhaus, das in den sechziger Jahren noch immer keinen Stromanschluß besaß. Siegfried jun. ging leise und unauffällig auf die Jagd. Mit seinem Schäferhund und einer kleinen, kaum 25 Zentimeter langen Armbrust war er im Wald unterwegs, das Wild starb lautlos. Wie es Tradition war, wußten nur die männlichen Familienmitglieder von der Wilderei, und die Leidenschaft für das illegale Jagen verbreitete sich bis in die weitverzweigte Verwandtschaft und deren Nachkommen.

Ein entfernter Verwandter der Familie aus einem Nachbarort von Liezen, erfolgreicher Gast- und Landwirt, verband die Leidenschaft fürs Wildern mit dem Geschäftlichen. Er wilderte erwerbsmäßig derart viel, daß es ihm zwei Jahre bedingte Haftstrafe und eine Geldstrafe von umgerechnet 10.000,- Euro einbrachte. Seine Art, Wild zu erlegen, galt aber selbst unter Wilderern als unehrenhaft. Er schoß im Scheinwerferlicht seines Autos, vom Fahrersitz aus, das Wild. Unterstützt wurde er durch seinen Komplizen, einen Fleischer aus dem Bezirk, der das illegal erlegte Wildbret gewinnbringend an den Mann brachte. Das Jagdgebiet war die Gegend um Lassing, Oppenberg und die Burg Strechau.

Pikanterie am Rande: Der Ort Rottenmann liegt ganz in der Nähe des Gebirgsortes Oppenberg, einer 300 Seelen-Gemeinde, die in den siebziger Jahren in die Schlagzeilen geriet, weil der deutsche Milliardär Friedrich Karl Flick im Seitental der Strechen sein Sommerhaus und Jagdrevier hat. Dem leidenschaftlichen Jäger Flick war nämlich die Rote Armee Fraktion und die Bader-Meinhof-Bande bereits in Vorarlberg auf den Fersen. Es gab konkrete Pläne und Aufzeichnungen, Flick zu entführen. Daraufhin baute der Milliardär sein Jagdhaus in der abgeschiedenen und dünn besiedelten Gegend bei Oppenberg. Der Hochsicherheitstrakt des Jagddomizils, 1978 um 600 Millionen Schilling (!) errichtet, war wohl zu jener Zeit das bestgesicherte Objekt in Österreich und dient seither als Hauptwohnsitz und Bunker für den milliardenschweren Industriellen. Prominente Politiker wie Franz-Josef Strauß oder der spätere Kanzler Kohl zählten ebenso zu den Gästen des Milliardärs wie hochrangige Wirtschaftstreibende und bekannte Schauspieler. Die Zusammenarbeit der Jäger der Forstverwaltung, der Staatspolizei sowie des Bundeskriminalamts in Sachen Terroristen funktionierte großartig. Was den wachsamen Augen aber entging, war die „Arbeit“ der mittlerweile verstorbenen Familienmitglieder der Auers. Klammheimlich und leise wilderten sie im Revier des superreichen Deutschen, ohne jemals erwischt zu werden.

Johann Auer, Enkel von Johann und der älteste von den insgesamt sechs Söhnen Siegfried Auers, (zwei starben sehr früh), war bereits im Kindesalter mit seinem Vater auf der Jagd. Beim Fischen in der Palten und im Strechen-Bach durfte Hans Schmiere stehen. Als Hirterbub in der Strechen versuchte er sich später selbst in Sachen Wildern. Ausgestattet mit einem Jagdmesser, welches er an der Palten ausgegraben hatte, lauerte er dem Jagdeigentum des Milliardärs Flick in der Strechen auf.

Den ganzen Sommer alleine auf der Alm, packte Hans die Jagdleidenschaft derart, daß er sich mit bloßen Händen an das Wild machte. „Ich war ständig auf der Lauer. Eines Tages war ich einem Reh ganz nah, nur wenige Schritte entfernt zückte ich das Messer und stach zu. Ich verfehlte das Tier nur knapp.“ Übrigens kam der Revierjäger dem jugendlichen Versuchswilderer Hans Auer auf die Schliche. Konsequenzen hatte die Sache keine, schließlich war Hans ja beim Wildern nie erfolgreich. Da hatte er wesentlich mehr Glück als jener Wilderer, der in der Nachkriegszeit von einem Unbekannten in den Wäldern von Oppenberg erschossen wurde. Diese Tat blieb bis heute ungeklärt. Auch Siegfried Auers jüngster Sproß, Karl, startete bereits im zarten Kindesalter Versuche im Wildern. Mit 10 Jahren ging er unter Anleitung seiner großen Brüder Fritz und Hans „schwarz“ fischen, in den Wildbächen am Waldrand. Kleiner Bruch in der Familientradition: Eine seiner drei Töchter (!) war mit 9 Jahren beim Fischwildern dabei. Die junge Dame zeigte Talent, holte sie doch die Fische mit der Hand unter Steinen hervor, fischte sie aus dem Wasser und tötete sie ohne das Zutun ihres Vaters.

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Johann Auer (1880 – 1969), Großvater unseres Vorwortschreibers Karl Auer: er wilderte aus reinem Überlebensdrang und versuchte so die Familie einigermaßen über die Runden zu bringen.

Seit damals haben sich der Lebensstil und die Gewohnheiten der Familie Auer ziemlich verändert. Heute bleiben nur noch die Erinnerungen an die fragwürdige Familientradition und ein wenig das Jagdfieber, wenn ein echter Auer einen Stutzen in die Hand bekommt.

Über viele Jahrzehnte hat diese Familie also illegal ihrer Jagdleidenschaft gefrönt, denn Wilderer ist jeder, der ohne Erlaubnis die Jagd ausübt.

Ganz anders sah die Angelegenheit für den Hochadel aus. Zwar machte das Jagdpatent, das Kaiser Franz Joseph 1848 erlassen hatte und mit dem die Jagd im wesentlichen auf ihre heutigen Grundlagen gestellt wurde, die Jagdausübung auch den Bürgern zugänglich. Trotzdem blieb das Jagen weiterhin ein Privileg bemittelter Großgrundbesitzer, reicher Fabrikanten und natürlich des Adels. Nur sie verfügten über die Mittel einer Eigen- oder Pachtjagd.

Bekannt für ihre Jagdleidenschaft waren die Mitglieder der Familie Habsburg, sie fanden absolut Gefallen an der noblen Angelegenheit der Jagd. Die Stückzahl der zur Strecke gebrachten Wildtiere würde heutige Tierschützer auf die Barrikaden bringen, denn das war mit normalen Maßstäben nicht mehr zu messen.

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Kaiser Franz Joseph im Alter von etwa 35 Jahren in Jagdkleidung und sein Sohn Rudolf, damals ungefähr 6 Jahre alt, ebenfalls in zünftiger, ländlicher Tracht mit Lederhose. Die Jagd war eines der Hauptgesprächsthemen zwischen Vater und Sohn. Schon von frühester Jugend an nahm der Kaiser seinen Sohn mit auf die Jagd.

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Der Kaiser nach erfolgreicher Jagd im Kreis der von ihm hoch geachteten Jäger in Mitterweißenbach bei Bad Ischl.

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Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este nach der Jagd. Die „Massenschießereien“ seines Neffen waren Franz Joseph oft ein Dorn im Auge, er bezeichnete die Jagdmethoden des Thronfolgers als unweidmännisch.

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Eine Jagdkarte Kaiser Franz Josephs aus dem Jahr 1891, ausgestellt in Bad Ischl.

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Eine Schuß-Liste aus dem Jahr 1910 zeigt, daß Kaiser Franz Joseph auch noch im hohen Alter ein ausgezeichneter Schütze war.

Jagen aus Lust und Leidenschaft

Ein besonders nobler Jäger war Kaiser Franz Joseph I., der mit einem Troß an Jägern am liebsten in der Gegend um Bad Ischl auf die Jagd ging und dort Massen von Wildtieren erlegte. Davon können sich Besucher der Kaiservilla von Bad Ischl heute noch überzeugen, zieren doch eine Unzahl von Geweihen die Wände des herrschaftlichen Gebäudes. Der österreichische Kaiser war derart von der Jagd angetan, daß er einige seiner Berufsjäger mit Orden und Titeln überhäufte. So ist es überliefert, daß der Hofjagdleiter von Ebensee, Titz von Wildprügg, sowie sein Nachfolger Böhm in den Rang von Hofräten erhoben wurden. Außerdem bedachte der Kaiser die beiden mit dem Ritterkreuz des Leopold-Ordens. Von Wildprügg erhielt 1908 sogar das Komturkreuz mit den Sternen des Franz Joseph-Ordens. Daraus läßt sich schon ersehen, wie hoch der Jägerberuf in den Augen des alten Monarchen stand. Diese Auszeichnungen waren normalerweise langgedienten Militärs nach einigen Jahren erfolgreicher Kommandoführung vorbehalten.

Franz Joseph schaffte es bis 1914 immerhin, an die 10.000 Stück Wild zu erlegen. Das war schon ganz beachtlich, aber nicht vergleichbar mit den eklatant hohen Abschüssen seines Neffen. Thronfolger Franz Ferdinand war nicht nur ein besonders guter, sondern auch ein ausgesprochen schneller Schütze. Sein größtes Vergnügen war es, möglichst viel Wild in kurzer Zeit zur Strecke zu bringen. So erlegte der blaublütige Jäger im Jahr 1907 bei einer sogenannten Sperrjagd – dabei werden Wildsauen oder Hirsche aus nächster Distanz an den auf eigenen Jagdböden plazierten Schützen vorbeigetrieben – 176 Stück Wild in nur zwei Stunden, also ungefähr ein Stück Wild alle 40 Sekunden. Insgesamt soll er in seinem Leben über 270.000 Wildtiere, teilweise mit dem Maschinengewehr, geschossen haben. Damit dürfte er selbst unter den jagdbegeisterten Habsburgern einsamer Rekordhalter sein.

Aber nicht nur das Wild lebte unter den Habsburgern gefährlich, es kam schon hie und da vor, daß bei der kaiserlichen Jagd versehentlich ein Treiber der hochadeligen Herrschaften verletzt oder gar getötet wurde. In unserem nächsten Fall handelte es sich um den obersten Stallmeister von Kaiser Karl VI.

Das unglückliche Ende des Fürsten Adam Franz zu Schwarzenberg

Adam Franz zu Schwarzenberg (1680–1732) war zur damaligen Zeit regierender Fürst in Südböhmen und Herzog von Krumau. Der Adelige war zuerst Hofmarschall, später Geheimrat und zuletzt oberster Stallmeister am Hofe von Kaiser Karl VI. Der Fürst gehörte also zu den Leuten, die sich jahrelang in unmittelbarer Nähe des Herrschers aufhielten. Schwarzenberg war als kunstliebender Mäzen und Bauherr bekannt sowie als leidenschaftlicher Jäger. Und gerade diese Leidenschaft sollte ihm am Ende zum Verhängnis werden.

Der damalige Kaiser Karl VI. (1685–1740) war der jüngere Sohn Kaiser Leopolds I. und trat nach dem vorzeitigen Tod seines Bruders Joseph I. im Jahr 1711 die Herrschaft an. Karl VI. war der letzte Habsburger in männlicher Linie. Seine älteste Tochter Maria Theresia konnte auf Grund der Pragmatischen Sanktion seine Nachfolge antreten.

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Kaiser Karl VI., der letzte Habsburger in männlicher Linie, erschoß bei einer Jagd seinen obersten Stallmeister, Fürst Adam Franz zu Schwarzenberg.