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Helga Hegewisch

Kitty und Augusta


Roman

Edel eBooks

MAMA AUGUSTA

Noch während Augusta schlief, hat sie vergeblich versucht, ihren Traum zu denunzieren und ihn dadurch loszuwerden. Jetzt, da sie halb wach ist, hängt er ihr immer noch um die Seele wie ein rauhes Fangnetz, aus dem sie sich mühsam herausarbeiten muß, um den Tag beginnen zu können. Es ist einer dieser üblichen Nichtmitmachen-Träume, Danebenstehen-Träume, die Variationen sind geringfügig, und Augusta kennt nahezu jedes Detail bis zum erschöpften Überdruß. Sie weiß auch, daß das lebensmüde Gefühl schließlich irgendwann vergeht, daß der Tag auch nach einem solchen Aufwachen gelegentlich optimistische Momente bieten kann. Gut wäre es jetzt, wenn sie bereits im Bett um sich schlagen könnte, eine wirksame Zauberformel sprechen, vielleicht auch schreien, sich den Kopf irgendwo anstoßen, damit ihr Hörner wachsen oder Schlangenhaare, und mit den Pantoffeln nach etwas werfen, theatralisch, aber was wäre schon solch ein dilettantisches Realitätenspiel gegen die tödliche Profidramatik ihrer Träume?

Übermorgen wird Augusta siebenunddreißig Jahre alt. Sie ist sehr hellhäutig, rotblond und üppig. Sie lächelt viel und sagt selten nein. Die meisten Menschen halten Augusta für einen starken Felsen, an dem man sorglos festmachen kann. Es gibt allerdings auch Leute, die in Augusta etwas Hexenhaftes sehen. Grundsätzlich ist sie nicht dagegen, aber da sie sich vor den eigenen Möglichkeiten mehr fürchtet als vor allem andern, versinkt sie meist schon in melancholische Ungläubigkeit, bevor sie noch ihre zweifellos vorhandenen Kräfte nutzen kann.

Augustas Kopf ist benommen, und ihr Herz ist schwer. Der Unfähigkeit, ihr Traumnetz zu zerreißen, gibt sie wie üblich nach und zieht es enger um sich, stellt sich dem harten Druck, indem sie sich weich macht: Ja, ich gehöre nicht dazu, ja, ich stehe nur daneben, ja, ich lebe nicht, liebe nicht, leide nicht, alles ist ein Spiel, man muß nur darauf achten, daß man die Rollen nicht durcheinanderbringt.

Auf diese Weise wirst du dich eines Tages selbst ersticken, würde Augustas Freundin Kitty hierzu anmerken. Doch obgleich Kitty nahezu alles Mitteilbare über sie weiß, muß Augusta in diesem Moment seufzend denken: Kitty, was weiß denn die...!

Neben Augusta in dem breiten Doppelbett liegt ihr Ehemann Manuel, ein langer, schmaler Jüngling von vierundzwanzig Jahren, nackt und schön. Seine blonden Haare kringeln sich schlaffeucht im Nacken, über den Augen trägt er eine schwarze Binde, und aus den Ohren schauen ihm rosaweiße Ohropaxpfropfen. Manuel liegt auf der Seite, seine beiden Arme umschlingen locker Augustas Oberkörper. Manuels Geist ist unerreichbar, und seine fünf Sinne sind auf drei reduziert. Sollte es Augusta darum nicht möglich sein, ihren Körper dem seinen zu entziehen, um sich, wenn schon nicht mit Pantoffelwerfen und Hexengeschrei, so doch mit Kniebeugen und heißem Kaffee in den Tag hinüberzuretten? Doch leider leidet Manuel, so autark er sich auch mit seiner audiovisuellen Abschirmung gibt, an Verlassensängsten, und alle seine verbliebenen Sinne reagieren, kaum bewegt sich Augusta geringfügig seitwärts, in aggressivem Selbstschutz.

»Laß mich los, Manu«, sagt Augusta scharf. »Ich will aufstehen«.

Natürlich verhindert das Ohropax, daß Manuel ihre Worte aufnimmt, ja daß er überhaupt erwacht. Seine Träume sind im Gegensatz zu denen von Augusta mild leuchtend und wonniglich, Kinderträume, in denen ihm sanfte, selbstlose Mütter zum ewigen Gelingen verhelfen.

Hexen, so hat Augusta begreifen müssen und als tristes Prinzip formuliert, sind im Grunde ihres Wesens unfruchtbar. Sie können zwar etwas anrichten, vorzugsweise Böses, aber sie können nicht produzieren. Deshalb kriegen die meisten Hexen auch keine Kinder, und wenn, dann sind dies Krielkröpfe und Kretins, mißgestaltete Wechselbutten, die sie dann anderen Wöchnerinnen unterschieben, um sich deren schöner Kinder zu bemächtigen. Augusta hat sich lange, obgleich ihr die Angst vor dem Krielkropf dabei immer im Nacken saß, um den Gegenbeweis bemüht. Inzwischen hat sie wohl aufgegeben und sich ihren schönen Ehemann Manuel zum Kind gemacht, ob ihm dies nun gefiel oder nicht. Aber es gefällt ihm, verdammt noch mal, es hat ihm zu gefallen, zumal sie so ungemein großzügig mit ihm ist. Sie tut als aufopfernde Mutter alles für ihn und immer nur das, was er will. Doch natürlich sorgt sie dafür, daß er gar nicht mehr anders kann, als das zu wollen, was sie will, was er will, und auch hierbei muß man sehr auf der Hut sein, daß man die Rollen nicht durcheinanderbringt.

Nein. Es stimmt nicht, daß Augusta aufgegeben hat. Sie würde es wohl gerne tun, würde um des lieben Friedens willen ihr Verlangen endlich zur Ruhe betten, doch das ist ihr unmöglich. Augusta sehnt sich nach Mutterschaft, so schmerzlich und verzweifelt, daß sie gelegentlich ausweichen muß in seelisches Niemandsland, dorthin, wo die Phantasie zur Realität wird und die Realität nicht mehr schmerzt. Es ist Kittys größte Angst, daß Augusta eines Tages von einem solchen Ausflug nicht mehr zurückfinden wird.

Manuels gerade zuvor noch schlaff entspannte Arme werden, durch Augustas Bewegung alarmiert, zu eisernen Reifen, die sich fest um den weichen Frauenkörper schließen, er wird sich seine Mutter nicht nehmen lassen! Hilflos hängt Augusta, nun doppelt gefangen, in seinem und in ihrem Traum. Manuels halb offener Schlafmund gleitet an ihrem Hals herunter, zielstrebig wie ein blindes Zicklein auf der Suche nach Nahrung. Augusta kann sich nicht rühren, denn so schmal und kindlich mager Manuels Körper wirkt, so muskelhart ist er – dreimal wöchentlich eine Stunde Bodybuilding.

Schon hat der Babymund die Brust erreicht und saugt sich fest, während das knochige Bubenknie sich zwischen Augustas Schenkel drängt, nicht, wie Augusta wohl weiß, aus sexuellem Verlangen, sondern aus Besitzanspruch. Augusta versucht mit aller Kraft, an etwas anderes zu denken, etwa an den heißen Kaffee, der sie erwartet, an die Verabredung mit Kitty, ja sogar an ihre buchhalterischen Arbeiten, die sie sich für diesen Morgen vorgenommen hat. Doch Manuel mit seinem Kindermund und seinen Stahlarmen zwingt sie zurück in sich selbst und ihre Träume. Ach, lieber Gott, gib mir den grauen Alltag, die Zahnbürste, die volle U-Bahn, den Ärger mit dem Vermieter, ach, lieber Gott, bewahre mich vor meiner Innenwelt!

Augusta sinkt zurück in das Versagen, Nichtmitmachenkönnen, Danebenstehen. Ein Liebesverlangen, mit dem sie doch nichts anzufangen weiß, durchwandert sie ohne Hoffnung. Der Knabe an ihrer Brust ist kein Kind mehr, ist ein erwachsener Mann, der sich früher einmal auch als solcher zu gebärden wußte. Doch dann hat Augusta ihn verzaubert, hat ihn hilflos und abhängig gemacht, zum Knäblein klein an der Mutterbrust; er hat sich nicht gewehrt. Augusta liegt da und träumt. Plötzlich kommen ihr die Tränen über die Ergebnisse ihres faulen Zaubers, über dieses knochenharte, fremde Wesen, groß oder klein, das sich zwar von ihr nährt, sie aber doch nie zur Mutter hat machen können. Augusta will nicht mehr. Sie faßt plötzlich Mut, schreitet zur Tat. Sie reißt Manuel die Binde von den Augen und die Stöpsel aus den Ohren und fährt ihn an: »Verdammt, Manu, hör auf mit den Spielchen, sei doch endlich einmal ein Mann!«

Der Knabe an ihrer Brust zuckt zusammen. Noch halb im Schlaf befangen, richtet er sich auf, starrt seine Mutterfrau an, und plötzlich dehnt er sich, sprengt die enge Kinderhaut entzwei, wächst und wächst und wird tatsächlich zum Mann, zu einem vierundzwanzigjährigen, voll ausgewachsenen, gesunden, mit normalen Bedürfnissen versehenen Mann, der genau das tut, wozu er gerade aufgefordert worden ist. Er wirft sich auf seine Gattin und vollzieht die Ehe, sozusagen. Augusta ist anfangs schreckensstarr. Doch dann kommt sie zu sich, erkennt plötzlich ihren Irrtum und beginnt zu schreien, grell und laut, worüber Manuel sich so sehr erschrickt, daß er von ihr abläßt und zurückzuckt, als wäre sie ein gefährliches, wildes Tier. Augusta macht sich seinen Schock zunutze und springt aus dem Bett. Immer noch laut schreiend, trommelt sie gegen die Wand. So löst sie sich aus dem Traum und stürzt, plötzlich nicht mehr gehalten, kopfüber hinein in die Realität; und mit ihr Manuel. Der weiß nicht, was ihm passiert ist und starrt die trommelnde Furie an:

»Augusta...?«

»Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr«, schreit Augusta. Woraufhin Manuel gekränkt bemerkt: »Jetzt hast du mich aufgeweckt. Das war sehr unfair von dir. Du weißt schließlich, wie nötig ich meinen Schlaf brauche.«

Augusta läuft in die Küche und holt nun endlich ihren Kaffee. Entsprechend Manuels Bedürfnissen, trägt auch sie kein Nachtkleid, doch hat sie an mehreren Stellen der Wohnung leichte seidene Kimonos in Ostereierfarben aufgehängt, in deren einen, den blauvioletten, sie sich hüllt. Augusta ist fast einsachtzig groß und (meistens) entschieden zu dick, wie sie selber meint; (meistens) kein Gramm zuviel nach Kittys Expertenurteil. Eine Maillol-Figur, marmorglatt und trotz der Fülle leichtfüßig und perfekt proportioniert. Dazu schmale, sehnige Hände und überlange Füße. Ein Wunder, sagt Kitty, Giacometti-Füße an Maillol-Beinen, so etwas kann tatsächlich nur dem Schöpfer einfallen. Kitty hat Augustas Füße und Unterschenkel oft gezeichnet, radiert, auf die Leinwand gebannt und schließlich sogar in Bronze gegossen. Ein solches Bein steht im Bücherbord im Wohnzimmer. Manuel ist nie auf die Idee gekommen, daß es sich etwa um Fuß und Bein seiner Frau handeln könnte, und er benutzt es gerne als Türstopper.

Als Augusta in Blauviolett den ersten Schluck glühendheißen Kaffee getrunken hat, überkommt sie die Angst. Sie kann es nicht ertragen, wenn Manuel beleidigt ist, ein langer, leerer Tag steht ihr bevor, in dem sich die Traumreste vermischen werden mit Manuels kühler, hochmütiger Mißbilligung. Gleich wird er aufstehen, wird schweigend an ihr vorbeigehen, die Tür zu dem großen, salonähnlichen Badezimmer hinter sich verriegeln und dort eine Stunde lang sich selbst hingegeben sein, einsam und trotzig, wird Gymnastik machen, Radio hören und Teile seiner nächsten Rolle repetieren. Er wird verzückt in sein Spiegelbild schauen, wird das Jacuzzi sprudeln lassen und seinen Bubensex befriedigen, mit sich selbst, dem Jacuzzi, seiner Rolle, seiner Phantasie. Wenn Manuel im Bad ist, kann Augusta nicht ins Bad. Und da die Wohnung nicht über zwei Bäder verfügt, muß Augusta warten, bis Manuel fertig ist. Ohne Morgendusche ist es für Augusta unmöglich, den Tag zu beginnen. Abends das Gebet und morgens die Dusche – so ist das nun einmal. Seit jeher neigte Augusta dazu, Regeln, denen sie sich ursprünglich wegen geplanter Daseinshilfe leichtfertig unterworfen hatte, zu eisernen Barren zu verformen.

Sie kann nur dasitzen und warten, bis Manuel schließlich herauskommt, wortlos seinen Orangensaft herunterkippt und sich zum Joggen in den Hydepark begibt. Nun wird zwar das Bad frei und die Wohnung leer sein, doch Augustas Seele wird mauern, unter der Dusche, beim Schminken, Ankleiden, Kämmen ihrer langen roten Kräuselhaare. Ein steinerner, fremder Phantasiemanuel wird auf dem Badewannenrand sitzen und seine hilflose Gattin in ihre Einzelteile zerlegen, in ihre Lebensunfähigkeit, Trägheit, Freßsucht, Verlogenheit, in ihre Falten, ihr Doppelkinn, ihre schiefen Zähne, ihre Kurzsichtigkeit, ihre breiten Hüften, ihre großen Füße.

Augusta stürzt den Rest des Kaffees herunter und läuft mit flatterndem Blauviolett zurück ins Schlafzimmer.

»Manu ...?«

Er starrt an die Decke.

»Manu, Liebster, ich habe es nicht so gemeint.« (Was eigentlich?) »Willst du Kaffee oder Saft?« Sie weht noch einmal in die Küche zurück, kommt mit einem Glas Orangensaft in der einen Hand und Kaffee ohne Milch und Zucker in der andern zurück.

»Du mußt doch heute fit sein, lange Proben, abends Vorstellung.« Manuels Blick fährt kühl über ihr Gesicht, scheint von dem, was er sieht, gelangweilt und wandert auf das Glas in ihrer linken und von dort zum Kaffee in ihrer andern Hand. Dabei muß der Blick kurz vor ihrem Hals passieren und das Dekolleté, über das sich die dünne blauviolette Seide spannt. Augusta kennt den Blick ihres Mannes nur allzu gut. Sie seufzt verstohlen. Mit einer unmerklichen Bewegung ihrer Schultern schiebt sie den Kimono zur Seite, beugt sich über Manuel. Nach wir vor hält sie rechts und links die Getränke fest in den Händen. »Manu«, sagt sie ernsthaft, »ich habe darüber nachgedacht, daß du die fragliche Szene mit Ophelia noch einmal überdenken solltest. Du spielst das gar zu knochentrocken.«

»Das ist ja auch trocken gemeint.«

»Glaube ich nicht. Das ist eine Sexszene. Schließlich ist Hamlet ein junger Mann und sehr heißblütig. Should I lie in your lap?«

Manuel runzelt die Stirn. »Nicht ›should‹«, sagt er, »shall, shall I lie in your lap.«

Augusta stellt vorsichtig die beiden Getränke auf den Nachttisch. »Und Ophelia hat eine sehnsüchtige Phantasie. No, my Lord.«

Manuel kann nicht anders, er muß den Text aufnehmen: »I mean, my head upon your lap?«

»Ay, my Lord.«

Augusta schiebt sich zurück auf das Ehebett und zieht ihren Mann zu sich. »Do you think I meant country matters?« murmelt Manuel.

»I think nothing, my Lord, that’s a fair thought to lie between maids’ legs.«

»Natürlich«, sagt Augusta, »einer der besten.«

»What is, my Lord?«

»Nothing.«

»You are merry, my Lord.«

»Who, I?«

»Ay, my Lord.«

»O God, your only jig-maker. What should a man do but be merry? For, look you, how...«

Augusta verhindert den weiteren Text, denn jetzt würde Prinz Hamlet wieder auf seine Mutter zu sprechen kommen, und darauf kann Augusta verzichten.

Augusta seufzt. Resigniert nimmt sie den schweren linken Busen in die rechte Hand und stopft damit ihrem kindlichen Hamlet den Mund. Und der ist es zufrieden, denkt nicht mehr an seine Rolle – oder vielleicht doch, wer weiß das? – und nährt sich von Augustas Kraft, bis er schließlich matt und satt von ihr ab und sogleich in den zuvor so rüde unterbrochenen Schlaf zurückfällt.

Augusta steht in dem großen Badezimmer und betrachtet sich traurig im Spiegel. Das da bist du, könntest du nicht versuchen, dich mit dir selber etwas besser abzufinden? Dieses ewige Gezanke nutzt doch nichts, es stößt höchstens ab. Der Gegenstand meines Mißfallens ist meine wabernde Weiblichkeit, diese siebzig Kilo schwere Last, nicht einmal zur Fortpflanzung zu gebrauchen. Hat eigentlich noch nie jemand ein Stück geschrieben über solch einen Weiberkörper wie den meinen, der sich nach Kindern sehnt und immer nur Männer anzieht? Ich könnte einmal Aykbourne fragen, Allan. Der schreibt ohnehin soviel, und vielleicht ist er ganz froh über eine Anregung, ich kenne ihn zwar nicht, aber das ließe sich einrichten. Vielleicht schreibt er mir solch ein Stück. Und beim Anschauen würde mir ein Licht über mich selber aufgehen. Die Schauspielerin müßte aussehen wie ich, wenn man das jemandem zumuten könnte, Sommersprossen, hellrote Haare überall, also zugegeben, die Haare könnte ich mir wieder abrasieren, Schamhaare und Achseln und Kopf, habe ich schließlich schon einmal getan, damals mit achtzehn Jahren, als sie mir den armen kleinen Carlos wegnahmen. Genützt hat es nichts. Nach drei Monaten Edelklapsmühle war das Haar nachgewachsen und ich geheilt. Niemand hat begriffen, warum ich mir ausgerechnet an die Haare gegangen bin, ich selbst eigentlich auch nicht.

Das Telefon klingelt. Ohne hinzusehen, greift Augusta zum Badewannenapparat.

»Was ist denn los, um Gottes willen«, sagt Kitty, »du wirkst schon wieder deprimiert.«

»Ich habe doch gar nichts gesagt.«

Kitty zieht hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein. »Ach, Augusta«, sagt sie, »ach, du armer Idiot. Wann kommst du?«

»Während der Abendvorstellung.«

»Keine Gruppe heute?«

»Doch, eigentlich schon...»

»Na und?«

»Mir ist heut nicht danach.«

»Dann ist es um so wichtiger, daß du gehst. Was hast du zu essen im Haus?«

»Hör auf, mich herumzukommandieren.«

»Ich kommandiere dich nicht herum, ich interessier’ mich nur für dich. Was macht Manuel heut Mittag?«

»Probe, nehm’ ich an.«

»Dann komm doch so gegen ein Uhr. Ich bin im Atelier. Ein paar von den neuen Klimt-Stoffen sind da, und auch das Emilien-Kleid ist fertig. Und nachher kommt dieser Kunsthändler, der Serafino Baker von der Vienna Fine Art, erinnerst du dich an ihn, also, der will vorbeischauen. Es könnte eine wichtige Verabredung werden. Aber falls du jetzt bereits Hunger hast, kommst du besser sofort. Bitte, Augusta! Augusta?«

Augusta ist der Hörer aus ihren Händen gerutscht, an der blauen Spiralschnur wippend, schlägt er gegen die Badewanne. Als Augusta sich hinunterbeugt, den Hörer samt der energischen Freundinnenstimme wieder hoch- und an ihr Ohr zu heben, kommen ihr plötzlich die Tränen.

»Was ist denn«, dröhnt Kitty aufgebracht, »hast du wieder schlecht geträumt?«

»Mir ist nur der Hörer weggerutscht«, schluchzt Augusta, »ich bin im Badezimmer.«

»Und wo ist Manuel?«

»Der schläft noch, es war spät gestern.«

»Aha. Und bekanntlich brauchen kleine Kinder viel Schlaf. Also laß ihn und komm am besten rüber. Wirklich gleich, Augusta, ich mache mir sonst Sorgen. Bye, bye, sweetheart, see you in half an hour.«

KITTY

Was kann sie in einer halben Stunde schon groß anstellen? Sieben Minuten U-Bahn, fünf Minuten Gehweg auf ihrer, zehn auf meiner Seite. Hoffentlich macht sie sich bald auf den Weg! Aber sie ist noch nicht angezogen. Wenn sie das Telefon im Badezimmer beantwortet, heißt das, daß sie noch beim Schminken ist. Und sie schminkt sich immer, bevor sie sich anzieht, nackt vorm Spiegel. Ich habe sie oft dabei beobachtet, habe auf dem Badewannenrand gesessen und konnte sie so doppelt sehen, von vorne im Spiegel und von hinten in persona. In vielen verschiedenen Badezimmern der Welt. In Frankfurt, als wir noch Kinder waren und ich ihre Haare zu einem dicken Zopf geflochten habe. »Fester, Kitty, fester«, sagte sie immer. »Es muß weh tun, sonst löst es sich gleich wieder auf.« Sie sagte das, um es ihrem Vater recht zu machen, der war ein ernster, schroffer Mensch und konnte keine flatternden Haare leiden. (Sehr viel später habe ich ihn einmal in einer obskuren Bar in Amsterdam gesehen. Er saß mit grauem, mürrischem Gesicht in einer Ecke und starrte ausdruckslos vor sich hin. Auf seinem rechten Knie hockte eine kleine Hure, fast eine Liliputanerin, der hatte er beide Hände tief unter den Rock geschoben. Der Anblick war so unwahrscheinlich, daß ich später immer wieder glaubte, ich hätte mich bestimmt geirrt, und die Phantasie sei mit mir durchgegangen.)

Und als wir beide achtzehn waren, im Pflegeheim Wiesenau, da durfte sie nicht nackt stehen, und die Badezimmertür hatte kein Schloß. Damals waren ihre Haare noch kaum nachgewachsen und standen wie frisch gesäter Rasen steil und locker in die Höhe. Es war eine einzigartige Gelegenheit, ihre reine Schädelform zu begreifen. Ich habe die Augen geschlossen und meine Hände um ihren Kopf gelegt, minutenlang, damit ich mir die Form fest einpräge. Damals glaubte ich tatsächlich noch, eine große Bildhauerin werden zu müssen. Als ich die Augen wieder öffnete, starrte mich Augusta durch den Spiegel an. »So ist es eben«, sagte sie, »jemand wie ich rafft sich zu solch einer Großtat auf, und innen drin passiert immer noch nichts, alles tot. So jemand wie du macht Leben daraus. Ich glaube, ich geb’s auf.«

»Was gibst du auf?«

»Selbst zu leben. Ich werde es in Zukunft dir überlassen.« Augusta hatte das mit ganz lockerer Stimme gesagt und mit einem kleinen Lacher abgerundet, eine alltägliche Nebenher-Bemerkung. Aber es ist hängengeblieben bei mir, bis heute. Und bei ihr auch, das weiß ich. Sicher und jederzeit abrufbereit, wie ihre Schädelform unter meinen Händen, ich schaffe es nicht, also mußt du es für mich tun, du, meine Freundin Kitty, die eigentlich Luise heißt und die ich mir mitsamt ihrem neuen Namen ganz allein ausgedacht habe. Wobei man auch nicht vergessen sollte, daß wir schon als Achtjährige anläßlich unserer Blutschwesternzeremonie geschworen haben, uns beide füreinander aufzuopfern. Und was opferst denn du, meine geliebte Augusta? Meinen Arm, mein Bein, meine Haare, wenn sie wieder nachgewachsen sind. Das bezweifle ich nicht. Nur, daß es für dich kein Opfer wäre.

Und in dem chromglitzernden Bad in der Frankfurter Hochhauswohnung, wo sich Augusta in fröhlicher Derbheit breitbeinig vor mir aufgebaut hatte, um mir mit einem Zentimetermaß die »ungewöhnliche Breite meines gebärfreudigen Beckens« zu demonstrieren. »Das ist alles nur eine Frage der Geduld und Überzeugungskraft. Glaub mir, er wird es schon noch begreifen.«

Später dann, als ihr die Geduld ausgegangen war, gab es lange Zeit nur noch das winzig kleine Badezimmer in Jerusalem, dessen giftgrüne Kacheln auf ihren sonst so lebensvollen Körper einen Abglanz warfen, als wäre er kurz vorm Verwesen. Ursprünglich, so erzählte die leichenfarbene Augusta, wären die Raumproportionen sehr viel vernünftiger gewesen, doch dann hätte Ramon eine Zwischenwand eingezogen und so aus einem Bad zwei gemacht, dabei jedoch leider die Kacheln nicht ausgewechselt. Alles, worum es ihm ginge, sei seine Privatsphäre. Farben und Formen spielten da keine Rolle. Arme Augusta, wie konnte sie nur an solch einen Mann geraten? Damals in Jerusalem hat auch ihre Freßsucht angefangen, und Ramon hat es nicht einmal bemerkt.

Ach, und zwischen Europa und Israel noch das weißglänzende Patientenbad im Londoner Princess Grace Hospital, wo sie sich langwierigen Tests unterzogen hatte, weil sie nach dreijähriger Ehe und, wie Augusta betonte, täglichen ehelichen Vollzugsübungen immer noch nicht schwanger war. Damals – ich selbst lebte bereits in London und befand mich in einer Zeit schmerzhafter Nachwehen wegen der nun endlich abgetriebenen Bildhauerträume – betrachtete ich ihren Körper übergenau, jede Rundung, Vertiefung, Kurve. Ich sah mich diese Formen auf Stein übertragen oder Ton, sah mich Bronze eingießen und sorgsam nacharbeiten, fühlte unter den Händen das kalte Metall, den rauhen Stein, sogar ihren warmen Körper und wußte doch, daß ich das Werk nie mehr verwirklichen würde. Ein masochistisches Spiel, künstlich hochgekochter Schmerz, um letztes Begehren auszubrennen. Nichts ist schlimmer, beschwor ich mich, als wenn man das eine Große, das Wichtigste, das man immerhin als solches hat begreifen dürfen, durch die eigenen unangemessenen Mittel in den Dreck zieht. Und Ramon, dieser nervöse, zarte Ehevollzieher, dem es das Wichtigste im Leben war, ein Kind zu zeugen, wie ging denn der mit seiner Unfähigkeit um, warum gelang es ihm nicht, einen Körper, der so offensichtlich zur Mutterschaft geschaffen war, zu schwängern? »Was macht ihr eigentlich gemeinsam im Bett?« fragte ich Augusta. Sie sah mich mit gerunzelter Stirn durch den Spiegel hindurch an: »Exakt das, was nötig ist, um ein Kind zu zeugen. Die Details sind unwichtig.«

Ob sie das wirklich glaubte, daß die Art und Weise des Beischlafes nichts mit dem Erfolg oder Mißlingen der Zeugung zu tun hat? Über nahezu alles kann ich mit Augusta reden, und dann wieder muß ich erkennen, daß wir vor lauter eilfertiger Eloquenz vergessen haben, die gegenseitige Sprache zu erlernen.

Zwanzig Minuten. Sie müßte jetzt schon in der U-Bahn sitzen. Ich könnte ihr entgegenlaufen, wenn nicht dieser idiotische Serafino Baker sich angesagt hätte. Nein, er ist nicht idiotisch, er ist gutwillig und sogar mächtig. Und er wird mir zum Ruhm verhelfen. Nicht auf dem Gebiet, wo ich den Ruhm gern gehabt hätte. Ach was, Ruhm. Wenn ich überzeugt gewesen wäre von meiner Leistung als Bildhauerin, hätte ich mir nicht weiter Gedanken um den Ruhm zu machen brauchen, das wäre zweitrangig gewesen. Jetzt aber, mit dieser windigen Balance zwischen Anspruch und Gewerbe, wobei dann doch, das weiß aber nur ich selber, nie mehr als bessere Schweizer Heimatkunst herauskommt (nennen wir es, Serafino zuliebe, Wiener Heimatkunst), jetzt also muß ich mich im Ruhm festbeißen, muß ihn mir schnappen, mitsamt Serafino, und nicht wieder loslassen. Zuerst hatte ich ja gehofft, Serafino wäre schwul. Dieser Riesenkörper auf zarten Schleichsohlen, dieses feuchte Lächeln unter der Schnurrbartbürste, dazu die kurzgeschorenen Haare und die feinen Halstücher. Ich versteh’ mich gut mit Schwulen und die sich mit mir, wir nützen uns gegenseitig. Doch dann mußte ich ziemlich bald begreifen, daß ich mich diesmal nicht auf den Schutz der im Vorweg geklärten Verhältnisse verlassen konnte. Nicht, daß ich gegen eine vernünftige ruhige Affäre wäre, bestimmt nicht. Es ist jetzt fünf Jahre her, daß Wolodja zurückgegangen ist nach Polen, eine lange Zeit, und wenn man schon fast vierzig ist, stehen die Männer nicht mehr Schlange. Aber Serafino war mir doch lieber gay als straight. Zuviel hängt von dieser Verbindung ab, ich kann es mir nicht leisten, mich durch eine Bettgeschichte zu verwirren und aus der Kontrolle zu verlieren. Außerdem ist mir sein Körper nicht angenehm, keine guten Proportionen, der Rücken ohne Stabilität und zu fleischig, die Arme schlenkern, sie erinnern mich an einen Affen, wohl, weil er die Fingerspitzen immer nach innen hochzieht. Er war zweimal verheiratet, niemand weiß, wo die beiden Frauen abgeblieben sind. Serys Kurzhaar ist grau und der Bart rötlich, das macht ihn auch nicht attraktiver. Er trägt eine eckige Brille. Die Schneidezähne sind spitz, so, als hätte er sie sich schleifen lassen. Das soll ja vorkommen: Exzentriker, die sich einen Vampirlook geben. Aber dazu ist er wohl nicht verrückt genug. Jedenfalls gilt er als absolut kunstversessen und sehr geschmackssicher, obgleich er jetzt ausgerechnet auf meine Sachen hereingefallen ist. Vielleicht sind sie ja doch besser, als ich dachte. Wo bleibt nur Augusta, was war heute wieder los mit ihr? Ich könnte Mary aus dem Atelier rüberholen, die müßte Serafino eine Weile unterhalten. Aber seinen Ruhmbringer läßt man nicht warten, schiebt ihn nicht ab auf die Schneiderin. Das ist ein empfindlicher, eitler Mann. Woher weiß ich das eigentlich? Und, wieso bin ich mir so sicher, daß er nicht schwul ist?

Da haben wir’s, statt mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, denke ich über die Person meines Galeristen nach. Vorsicht, er ist noch nicht mein Galerist. Das wird sich erst heute entscheiden. Drei Objekte sind fertig, dazu Vorarbeiten für weitere acht. Jetzt nenne ich es selbst schon »Objekte«, dabei, wenn man es ehrlich nimmt... Aber vermutlich macht es Sinn, sich auch vor sich selber etwas aufzuspielen. 581 3087 – hoffentlich hat sie die Klingeln nicht abgestellt. Wenn alle Telefone bei Augusta läuten, können sie einen Toten aufwecken. Sechs-, sieben-, achtmal, sie nimmt nicht ab. Entweder sie hat... oder... »Hallo, Manuel?« ... »Na und, es ist sowieso Zeit aufzustehen...« »Ich weiß, ich weiß...« »Verzeih. Wo ist Augusta?« ... »Kannst du nicht bitte mal nachschauen, Küche, Bad? Danke...« »Also dann wird sie wohl gleich hier sein. Manuel, was war heute morgen?« ... »Wirklich? Na gut. Wie läuft der Hamlet?« ... »Ihr werdet Theatergeschichte machen, da bin ich sicher. Hat’s lange nicht gegeben, einen Hamlet nur mit Männern. Außerdem bist du selbst wirklich gut. Ich war schon dreimal in der Vorführung, hab’ immer wichtige Leute mitgebracht, ehrlich. Manuel, war wirklich nichts mit Augusta heute morgen, hast du, oder habt ihr, ich mache mir Sorgen...« »Okay, bye bye, Manuel, paß auf dich auf.«

Das darf doch nicht wahr sein, daß mir die Hände zittern, nur weil Augusta zehn Minuten verspätet ist. »Mary, Mary, bitte komm rüber. Ich erwarte Serafino Baker. Im Eisschrank ist Champagner, frag ihn, ob er den will. Ich bin gleich wieder da.«

Irgend etwas muß mit mir nicht in Ordnung sein. Ich lass’ mich doch sonst nicht so gehen, ein paar Schluchzer am Telefon, Augusta gerät äußerlich oft aus der Fassung, meist hat das überhaupt nichts zu bedeuten. Ihr steht jede Form von emotionaler Geste zur Verfügung, und manchmal benutzt sie sie falsch. Und Manuel weiß schließlich Bescheid. Ich habe ihm alles genau erklärt, gegen Augustas Willen natürlich und in ihrer Abwesenheit. Er hat mich groß angesehen, fand es ungemein spannend und hat versprochen, auf Augusta aufzupassen. Er ist ja wirklich nicht der Schlechteste, ein begabtes, fröhliches Kind. Warum, zum Teufel, ist es ihm nicht gelungen, ihr diese Obsession mit dem eigenen Baby zu nehmen? Er ist ein Jahr jünger als Carlos.

Zwischen hier und Sloane Square Station liegt vor allem der Supermarket von Safeways. Die andern Läden kann man vergessen. Wenn Safeways nur nicht so weitläufig wäre, da wird es ihr allzu leicht, sich zwischen den Regalen zu verstecken, das heißt, wenn sie überhaupt bis hierher gekommen ist. Auf ihrer Seite von der U-Bahn gibt es nur Mister Pitt und vor allem natürlich die Harrods Food Stalls.

So geht es nicht. Ich darf mich nicht verrückt machen lassen. Ich krampfe mich zusammen, ich kriege keine Luft mehr, und der Magen brennt. Aus lauter Angst, daß sie sich überfrißt, tut mir der Magen weh. Vielleicht bin ich tatsächlich krank. Ich setze mich jetzt hin und hole tief Luft, und dann werde ich langsam nach Hause zurückgehen. Wie viele Male bin ich schon an dieser Bank vorbeigekommen, und nie hab’ ich mich hingesetzt. Dies ist die Bank für die Kettenkinder, für die Punks mit dem bitteren Gegröle und den Nägeln in den Nasenflügeln. Bislang habe ich immer ihr Terrain respektiert, wohl in der Hoffnung, daß sie dann auch mich in Ruhe lassen. Heute ist es mir gleichgültig, ich muß ausruhen und zu mir kommen. Da sitze ich mitten unter den Kettenkindern und zittere vor Angst, nicht vor diesen dreckigen Händen und grinsenden Mündern, vor diesen tätowierten Armmuskeln, auf denen sie die Puppen tanzen lassen, Angst um Augusta, Angst um den einzigen Menschen, den ich wirklich liebe.

Merkwürdig, die Kinder haben Abstand genommen, sind weggerückt und starren und feixen jetzt nur noch von ferne. Vielleicht meinen sie, daß ich ansteckend wäre. Sie stehen zwischen mir und der Fahrbahn, versperren mir die Sicht. Das geht nicht. Wenn Augusta jetzt vorbeikommen sollte, kann ich sie nicht sehen. Mein Gott, das ist eine echte Kolik. Was habe ich denn gegessen? Wolodja habe ich damals gesagt, du bist verrückt mit deinem Patriotismus, man kann sich doch arrangieren, man opfert sich nicht mehr auf, schon gar nicht für ein fiktives Vaterland. Das ist das reinste Schmierendrama, und auch, wenn du dabei draufgehst, wirst du immer nur ein Schmierenheld gewesen sein. Ob er wohl wirklich draufgegangen ist, die nackte Brust dem Klassenfeind zugewandt, hier stehe ich, ich kann nicht anders? Wladimir und der Klassenfeind, den konnte er beliebig umherschieben, mal rechts von ihm, mal links, wie es ihm gerade in den Kram paßte. Er trug mit Vorliebe große Hüte. Einen davon hat er bei mir vergessen, der liegt ganz hinten auf dem Spiegelschrank im Atelier. Ich konnte mich nicht entschließen, ihn wegzuwerfen. Wolodja, vielen Dank. Ich weiß nicht, warum du mir gerade jetzt zu Hilfe gekommen bist. Mir geht’s wieder besser, ich kann atmen, das Herz hat sich beruhigt, und die Punks beginnen auch bereits den Respekt zu verlieren. Vermutlich bin ich doch nicht krank, nur etwas nervös. Was war gestern abend? Ja so, zuviel Whisky, zu lange über den Entwürfen gebrütet. Auch wenn’s bloß Gewerbe ist, man muß um jeden Einfall kämpfen. Na gut, Kinder, hier habt ihr jeder fünfzig Pence, kauft euch noch ein paar mehr Sklavenketten, ich werde euch jetzt verlassen. Das Leben geht weiter, wißt ihr, und im Gegensatz zu euch beziehe ich keine staatliche Unterstützung.

Also gut, ich geb’s ja zu: Ich für meinen Teil kann es gar nicht so verzweiflungsvoll finden, daß sich Augustas Muttersehnsüchte bislang noch nicht erfüllt haben. Ein Kind würde sie von mir entfernen, würde sie unerreichbar machen. Augustas Liebesmöglichkeiten sind begrenzt. Die leichteste Liebe ist die Eigenliebe, und für Augusta wäre ein Kind vor allem eine Erweiterung und Bestätigung ihrer selbst. Momentan benutzt sie mich als Ersatz, sie liebt mich als Teil ihrer eigenen Person. Aber selbstverständlich würde ich keine Chance haben gegen etwas, das tatsächlich ihr Eigenes ist. Solange ich sie halten kann, ist sie in Sicherheit. Und Gott sei Dank liegt es ja nicht an mir, ob sie schwanger wird oder nicht. Tatsächlich kann ich mir nicht den geringsten Vorwurf machen. Ich habe sogar einen neuen Ehemann für sie gefunden, jung, schön, gesund, ein Bild von einem kräftigen, zeugungsfähigen Körper. Ist es etwa meine Schuld, daß er es scheinbar bequemer findet, sich, anstatt ihr ein Kind zu zeugen, selber als ein solches zu gebärden?

AUGUSTA, KITTY UND SERAFINO

Als Kitty zurückkommt in ihr Atelier, sitzt Augusta dort und unterhält sich mit Serafino. Vor den beiden auf dem polierten Stahltisch steht eine geöffnete Champagnerflasche, dazu mehrere Gläser, in einer Jugendstilschale liegen sogar japanische Ricecrackers, bravo, Mary, daneben ein großes Buch mit vielfarbigem Schutzumschlag: »Gustav Klimt und Emilie Flöge«. Kitty entschuldigt sich, sie wäre nur rasch zur Post gegangen, ein dringendes Paket. Serafino windet seinen schweren Körper aus dem Korbsessel und küßt Kitty die Hand. Soviel Kitty bekannt ist, hat Serafino nie länger in Wien gelebt, doch besteht er auf gewissen Gepflogenheiten, die als besonders wienerisch gelten. So liebt er es auch, sein erstaunlich gutes Deutsch, das normalerweise nach Goethe-Institut klingt, gelegentlich mit einigen knarrenden Prater-Untertönen zu durchziehen, was Kitty jedesmal eine Gänsehaut über den Rücken jagt. »Ich habe Ihnen das versprochene Buch mitgebracht«, sagt Serafino zu Kitty, »es wird Sie anregen.«

»Du bist spät«, sagt Kitty zu Augusta, »ich hab’ schon bei Manuel nachgefragt.«

»Hättest ihn schlafen lassen sollen«, murrt Augusta.

»Schön, daß Sie da sind«, wendet sich Kitty an Serafino, »ein paar Erfahrungen aus dem Buch habe ich schon vorweggenommen.«

»Wie konnten Sie das?«

»Siebter Sinn«, lächelt Kitty und läßt ihren Blick forschend über Augusta gleiten. Diese hat ihre Haare fest unter einem schwarzen Tuch verpackt, trägt ihre älteste hochgeschlossene Jacke über Jeans und ausgetretenen flachen Schuhen. Eine dunkle Sonnenbrille verdeckt ihr die Augen. Das Sektglas vor ihr scheint sie kaum angerührt zu haben, während das von Serafino bereits leer ist. Kitty gießt ihm nach.

»Und was haben Sie bei den Punks gemacht?« fragt Serafino, wobei sich sein weicher Mädchenmund zu einem Lächeln verzieht. Kitty starrt auf das feuchte Rosa unter dem borstigen Schnurrbart und kann sich nicht entscheiden, ob sie das Lächeln als schüchtern oder als maliziös einstufen soll.

Sie zuckt die Schultern. »Ach, lassen wir das«.«

Serafino nickt bedächtig. »Selbstverständlich. Jeder muß für sich selbst entscheiden, wo er sich seine Anregungen holt.«

»Wieso Punks?« fragt Augusta.

»Als ästhetisches Phänomen sind sie ja weiß Gott nicht uninteressant«, redet Serafino weiter, »allerdings bin ich überzeugt, daß...«

»Ich weiß«, unterbricht ihn Kitty ungeduldig, »ich weiß, was Sie sagen wollen. Und ich bin ja auch ganz Ihrer Meinung. Sonst würde ich meine Arbeit anders angesetzt haben. Die Punk-Kultur ist am Ende, hat sich selbst überlebt. Das war nicht anders zu erwarten, zuerst stellen sie Zerstörung nur dar, dann zerstören sie sich selbst, das wollten Sie doch sagen...?« (Was rede ich hier für einen Unsinn. Welcher von meinen Banknachbarn heute wird schon sich selbst zerstören? Über kurz oder lang werden die ihre sozial abgesicherte Kehrtwendung vollziehen und ewig von ihrer schönen Jugend träumen. Bin ich denn verrückt, Serafino so über den Mund zu fahren?)

»Was hast du bei den Punks gemacht?« fragt Augusta.

Kitty wirft ihr einen scharfen Blick zu. »Kannst du mir einen Gefallen tun, Augusta, Liebste?«

Augusta zuckt zusammen. Kittys Blick und das affektierte »Augusta, Liebste« wirkt auf sie wie das Knallen einer Dressurpeitsche.

»Komm mit mir nach nebenan«, fährt Kitty fort, »das erste Objekt für die Ausstellung ist fertig. Ich habe die halbe Nacht daran gesessen, um heute Serys Meinung zu hören. Ich weiß selbst noch nicht, was ich davon halten soll, sei ein Schatz und zieh es für uns an, bitte...!«

»Ich...?« fragt Augusta kläglich.

»Ich würde es ja sonst selber tun, aber dann könnte ich’s nicht von außen betrachten.«

»Aber doch nicht ausgerechnet ich.«

»Augusta...!« Ein weiterer Peitschenknall. Serafino blickt aufmerksam von einer zur andern. Er kennt Augusta kaum, hat nur gehört, daß sie mit diesem schwulen Engel von der New Original Shakespeare Company verheiratet ist und daß Kitty und Augusta alte Freundinnen sind. Freundinnen – die Domina und ihre ergebene Gefährtin, oder was? Wenn Kitty tatsächlich ihr »Objekt« wirkungsvoll vorführen will, denkt Serafino, dann sollte sie es doch wohl besser selber tun, als ihre mürrische Freundin damit zu belästigen. Kitty, schmal, dunkel, knochig, ganz der moderne Typ, so, wie jede Frau heute aussehen möchte. Wenn ich die Ausstellung wirklich mache, was ich noch sehr bezweifle, dann wird sie sich doch vor allem an diese sehr trendbewußten, reichen Frauen wenden, die zwar meist keineswegs so schön sind wie Kitty, denen man Schönheit deshalb jedoch um so intensiver vorgaukeln muß.

»Warum nicht doch Sie selber, Kitty, und ich sage Ihnen dann, was Sie von Ihrem Werk zu halten haben?«

»Shut up, Serafino«, faucht Kitty ihn an.

»O dear«, seufzt Serafino glücklich.

Kitty weiß, daß sie sich jetzt durchsetzen muß, jetzt sofort. Wenn sie noch einen Augenblick länger wartet, wird das Mitleid mit Augusta wieder einmal Oberhand gewinnen. Sie greift nach dem Arm der Freundin. »Also komm jetzt«, sagt sie betont ruhig, »du wirst doch nicht verlangen wollen, daß Mary Emiliens Rolle spielt?«

Tatsächlich steht Augusta auf und läßt sich von Kitty ins Nebenzimmer ziehen.

Serafino wartet.

»Was soll das?« fragt Augusta, als die Tür hinter ihnen geschlossen ist.

»Tut mir leid, du mußt das für mich tun. Ich will auch nicht darüber reden, nicht jetzt. Nachher kannst du mich anschreien. Mary... Mary, würdest du mal bitte kommen und Augusta beim Anziehen helfen? Ich hab’ dir alles genau erklärt, das Vorbild klebt am Spiegel. Und vergiß auch die Haare nicht.«

Kitty stürzt nach hinten aus dem Zimmer, durch die Küche, dann nach oben in ihr Bad. Die Schmerzen im Magen sind wieder da, und sie hat das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie läßt sich auf den Wäschepuff fallen und versucht, tief durchzuatmen. Wenn sie jetzt nur das Übelkeitsgefühl so weit unterdrücken kann, daß die Tabletten nicht sofort wieder hochkommen. Erst der Whisky, ein halbes Zahnputzglas voll. Wenn der drei Minuten drinnenbleibt, ist es geschafft. Hoffentlich läßt Augusta mich nicht im Stich. Aber nein, das würde sie nicht tun, sie hat mich noch nie im Stich gelassen, vorausgesetzt, ich behandele sie richtig. Ich hätte mir rechtzeitig eine passende Geschichte für sie ausdenken müssen, dann wäre es leichter gewesen, und sie hätte ihre Rolle perfekt gespielt. Aber dafür war keine Zeit. Warum habe ich sie nicht schon längst an das alte Bild erinnert, an unsere Zeit in Wien damals? Habe ich mich etwa geschämt, oder habe ich es vielleicht sogar selbst vergessen, ich meine die Geschichte? Bei Bedarf füreinander aufzuopfern... Kinderspiele. Den Whisky hübsch langsam, Schluck um Schluck. Das scheint ja zu klappen. Achtgeben, daß es nicht zuviel wird, sonst verwischt sich die Kontrolle.

Ein paar Minuten später geht Kitty langsam die Treppe hinunter. Sie duftet nach Zahnpasta und nach einem herben Männerparfüm. Ohne noch einmal nach Augusta und Mary zu schauen – jede Diskussion muß jetzt vermieden werden –, geht sie zurück ins Vorzimmer zu dem wartenden Serafino, der inzwischen die Champagnerflasche fast leer getrunken hat. Sie bleibt hinter seinem Sessel stehen und legt ihm die Hände auf die Schultern.

»Alles in Ordnung?« fragt er.

»Ich glaube schon«, sagt Kitty und beginnt, ihm mit ihren kräftigen, trotz der neuerlichen Verzärtelung durch Chiffon und Seide immer noch bildhauerharten Fingern den Nacken zu massieren. Außer beim Ritual der Begrüßung ist sie noch nie mit diesem Mann in körperliche Berührung gekommen, sie ist noch nie Arm in Arm mit ihm eine Straße entlanggegangen, ist nie in einer dichten Menschenmenge gegen ihn gedrückt worden oder hätte gar seinen unbekleideten Körper, etwas schweißnaß in der Sauna, betrachten können. Woher soll ich denn wissen, wie dieser Mensch reagiert, denkt sie, worum es bei ihm geht, was ihn anzieht, was er verabscheut, was er zum Beispiel von seinem Besuch hier erwartet, ob es ihm überhaupt ernst ist mit der Ausstellung, ob ich ihm nicht ganz umsonst Augusta als Köder vorwerfe. Letztlich wird es mir auch nicht allzuviel nützen, wenn ich herausfinde, ob seine Halssehnen angespannt sind und ob er es klaglos ertragen kann, wenn ich ihm die Nerven an der Schädelbasis abdrücke. Aber ich werde doch ein wenig mehr von ihm wissen.

»Auf was wollen Sie mich vorbereiten?« fragt Serafino.

»Geduld, Geduld«, antwortet Kitty und konzentriert sich auf ihre Hände. Seine Rückenmuskulatur ist weniger schlapp, als sie dachte, und der Hals ist trocken, der Hemdkragen sauber, die Sehnen ausgeprägt. Seine Haare sollte er sich lieber voller wachsen lassen, das würde seiner nicht eben schönen Kopfform zugute kommen.

»Meine Durchblutung ist bestens in Ordnung«, sagt Serafino, »Sie brauchen sie nicht noch extra anzuregen.«

Kitty beugt sich zu ihm hinunter. »Was ist das für ein Parfüm?« fragt sie.

»Keine Ahnung. Welche Sorte Whisky trinken Sie?«

»Ebenfalls keine Ahnung. Ich tue es wegen der Wirkung. Auf die Sorte kommt es mir nicht an.«

»Darauf kommt es aber doch an. Wegen nachher. Ich werde Ihnen ein paar Flaschen schicken lassen, garantiert magenfreundlich.«

»Das ist nett«, sagt Kitty, »auf Sie kann man sich verlassen.«

»Und wie geht es nun weiter?«

»Mary... Mary!« schreit Kitty so laut, daß Serafino zusammenzuckt. »Wie lange wollt ihr uns noch warten lassen? Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«

»Gleich«, kommt Marys Stimme zurück, »wir sind gleich soweit.«

»Vergiß nicht den Schal.«

»Geht’s nicht etwas leiser«, bittet Serafino.

»Und die Schuhe«, schreit Kitty mit unverminderter Kraft.

Mary steckt den Kopf durch die Tür, ein blasses Gesichtchen mit hochgebleichter Punkfrisur und schwarzgeränderten Augen. »Da sind keine Schuhe«, sagt sie.

»Ich meinte auch nur, daß sie ihre Latschen ausziehen soll«, flüstert Kitty.

»Barfuß?«

»Wie denn sonst?«

Mary verschwindet.

Schweigen.

»Es ist gut«, sagt Serafino schließlich und hält Kittys Hände fest. »Sie haben mich doch längst weichgeklopft. Nehmen Sie lieber etwas Abstand, die Geister, die ich rief... usw.«

»Besen, Besen, sei’s gewesen...«, sagt Kitty, nimmt ihre Hände zurück und setzt sich auf den andern Sessel. Dann geht die Tür wieder auf. Augustas Blick sucht unsicher den der Freundin. Kitty nickt ihr zu. »Du weiß doch, wir haben das Bild gesehen, damals in Wien. Unsere Geschichte war viel besser, als sie in dem Buch hier stehen könnte, auch wenn es, zugegeben, ein schönes Buch ist. Weiß du noch, weißt du noch, Augusta?«

Serafino starrt verblüfft auf das »Objekt«.

»Großer Gott, Emilie«, sagt er.

Kitty beißt sich auf die Lippen. Steif vorgebeugt sitzt sie im Sessel, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände unter dem Kinn verschränkt. »Ein wenig auf und ab gehen könntest du schon, Augusta, Liebste. Ich muß sehen, wie der Stoff die Bewegung verkraftet.«

Augusta scheint sich endgültig mit der Situation abgefunden zu haben. Auf bloßen Füßen beginnt sie auf und ab zu gehen, sich schließlich in Klimts Bild hineinzuleben, auch in das Spiel gegen die Wand, das die Freundin damals für sie betrieben hatte, Kittys Phantasiegeschichte von der strengen, herrschsüchtigen Emilie, der der arme, kleine Maler total ergeben war. Emilie, die alles von ihrem Klimt verlangen konnte, und es auch tat, die ihn gefangenhielt in einem Glaskubus, auf den von überall her grelles Tageslicht fiel. Dort hockte er und pinselte seine Stoffentwürfe für Emilie Flöges Modesalon. Und erst am Abend, wenn das Tageslicht verging, durfte er herauskommen, dann wurde er gefüttert und gebadet und ins Bett gebracht. Und manchmal durfte er sich sogar etwas Schönes wünschen, nicht etwa von Emilie – wie käme denn die zu so etwas! –, doch da waren genug andere Weibchen, die sich für ein kleines Beigeld und manchmal auch für ein blaugüldenes Flatterband dem geilen Gustav wärmend zur Seite legten. Das ging so eine ganze Weile, bis dem Klimt in seinem Glaskubus nichts Rechtes mehr einfiel und die Fürstin Metternich meinte, daß ein Maler erst einmal malen lernen sollte, bevor er Maler würde, und da hat dann eines Tages die Emilie den Klimt erwürgt, mit dem blaugoldenen Seidenschal, den sie auf dem Bild bereits um den langen schlanken Hals trägt.

Augusta greift sich an die Kehle und lockert die vielfach geschlungene Seide. Die roten Haare stehen ihr um den Kopf wie eine Drahtwolke, so kräftig hat Mary gegen den Strich gebürstet. Augusta verhält vor Serafino und gleitet nun endgültig in die vorgestellte Emilien-Rolle, sie stützt den linken Arm, dessen Haut durch den Chiffon hindurchschimmert, auf die Hüfte, sie dehnt die schlanken Finger, reckt den Hals, wendet den Kopf schräg und schaut den Mann, der da vor ihr im Korbsessel hockt, herausfordernd an. Möchtest wohl gern etwas Schönes haben, ein Bonbon, ein Zärtelchen, ein Gutsle, möchtest wieder mal ein Babylein zeugen, eines von den vierzehn kleinen Gustavlein, die sich später einmal um dein Erbe raufen sollten, irgend etwas von der ganz besonderen Art. Man wird es sich überlegen, Herzi-Pinki, Schnicki-Schnacki, Hände abschmatzender Praterdepp, schon möglich, daß man letztendlich nicht abgeneigt war, aber erst kommt die Arbeit und dann das Spielchen, ab in den Kubus und Leistung zeigen, solange das Tageslicht noch währt, danach bleibt immer noch Zeit für den Würgegriff.

Das Kleid ist sehr tief ausgeschnitten, tiefer, als eigentlich beabsichtigt, denn Augustas Formen gehen über die normalen Maße weit hinaus. Zwischen dem strengen Schal und dem Miederansatz rechts und links, begrenzt von den durchsichtigen Vorderteilen der langärmeligen Robe, bietet sich dem Mann im Korbsessel ein weißes pulsierendes Halsrechteck, ein Brustansatz, wie er ihn, das weiß er in diesem Moment ganz genau, noch nie gesehen hat. Unwillkürlich muß auch er jetzt an die erotisierende Wirkung der Strangulierung denken, die einige Kunstkritiker dem Gustav Klimt bei seinem Emilien-Bild als Absicht untergeschoben haben und die er, Serafino, zuvor immer als exzentrisch abgelehnt hat.

Augusta, hoch aufgerichtet, steht und starrt den Mann an, läßt ihr Herz gegen die warme Haut pulsieren, nimmt sich nicht zurück wie gewohnt, dehnt sich gar noch und reckt sich und fordert heraus, denn sie ist ja nicht Augusta, sie ist die Geschichte, die Kitty ihr damals in Wien zusammengesponnen hatte als Schutz gegen die tödliche Ramon-Melancholie. Du bist stark und stolz, hatte Kitty gesagt, du hast den Homunkulus in seinem Glaskasten lange genug seine Pseudo-Leistungen vollbringen lassen, du bist sehr geduldig gewesen mit ihm. Doch genug ist genug. Nimm deinen Schal und erwürge ihn, wirf ihn in die Donau, da schwimmt er weg, wird kleiner und kleiner, bis du ihn schließlich aus dem Herzen verlierst.

VOR SECHS JAHREN IN WIEN

Ramon hatte dringende Verpflichtungen in Wien, geschäftlicher Natur, wie er sagte. Ich glaube nicht, daß das, was ihn nach Wien trieb, irgend etwas mit seinen Geschäften, ganz sicher nicht mit jenen, die Geld einbrachten, zu tun hatte. Durch Vater wußte ich, daß Ramon sich mehr und mehr aus seinem alten Finanzierungsunternehmungen zurückzogen hatte. Vater machte sich Sorgen. Ramon wäre doch noch zu jung für den Ruhestand, noch lange keine Sechzig, im aktivsten Mannesalter sozusagen.

»Wieso Ruhestand, Ramon ist ungeheuer aktiv.«

»Womit?« fragte Papa.

»Was weiß ich, Geschäfte eben.«

»Das solltest du aber wissen. Er ist dein Mann, und wenn es zwischen euch beiden in finanzieller Hinsicht kein Zusammenspiel gibt, kann es auch sonst nicht klappen.«

»Falls du damit unser Sexleben meinst, Vater, im letzten Monat haben Ramon und ich genau dreißigmal miteinander kopuliert, ich habe Buch geführt. Vierzehnmal vor dem Follikelsprung, dann drei Tage lang zweimal täglich, und anschließend siebenmal bis zur nächsten Periode. Jedesmal mit erfolgreicher Ejakulation.«