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Über dieses Buch

Emma ist neun und geht in die vierte Klasse. Opa Meume ist 85 und benimmt sich sonderbar, seit Oma Meume tot ist. Emma versteht zwar, dass er weiterhin mit der Oma spricht, aber dass er nicht mehr spazieren gehen möchte und nicht richtig isst, macht ihr Sorgen. Als Emma in die Sommerferien fährt, denkt sie sich einen Opa-Betreuungsnotdienst aus …

Die Autorin

Maggie Schneider ist der Künstlername von Verlegerin Mascha Schwarz. Sie wurde 1965 geboren, studierte Fotografie an der Fotoakademie in München und arbeitete danach als freie Fotografin, Regisseurin und Autorin für Film­ und Fernsehproduktionen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in München. »Opa Meume und ich« ist ihr erster Roman.

Die Illustratorin

Eleanor Sommer, geboren 1974 in Hamburg, studierte Illustration an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg. Sie ist Mitglied der Illustratorengruppe »Die Krickelkrakels« und arbeitet als freie Illustratorin für Verlage und Zeitschriften in Sichtweite des Hamburger Hafens, wo sie auch mit ihrer Familie lebt. Mehr auf www.eleanorsommer.de

Ich war neun Jahre alt und ging in die vierte Klasse. Opa Meume war fünfundachtzig und saß den ganzen Tag in seinem Sessel. Wir wohnten im selben Mietshaus. Ich im zweiten und Opa Meume im dritten Stock.

Von einem Tag auf den anderen war Opa Meume plötzlich grau geworden. Nicht seine Haare, die waren schon immer grau. Sondern sein Gesicht, seine Stimme und sein Blick.

Davor, als Oma Meume noch lebte, war alles anders. Die beiden waren bunt. Oma Meume hatte die schönsten Apfelbäckchen der Welt und Opa Meume strahlende Augen, vor allem wenn er Oma Meume ansah. Sonntagnachmittags tranken Opa und Oma Meume Kaffee und tanzten danach einen Walzer. Ich huschte manchmal nach oben und schaute zu, wie Opa Meume Oma Meume den Arm um die Taille legte und sie sich auf dem Parkett drehten.

»Ohne Walzer wär’s kein Sonntag«, sagte Oma Meume einmal.

Und Opa Meume nickte dazu. »Wir sind seit vierundsechzig Jahren verheiratet, das sind zweiundfünfzig Sonntage mal vierundsechzig gleich …« Er rechnete eine Weile.

»Dreitausenddreihundertachtundzwanzig und noch ein paar dazu, das sind, ich würde sagen, ungefähr dreitausendvierhundert Walzer. Ganz ordentlich, findest du nicht?« Und dann lächelte er Oma Meume an und sie lächelte zurück.

Die beiden machten fast alles zusammen. Nur eines nicht: Opa Meume saß für sein Leben gern vor dem Fernseher und guckte Fußball.

»Meume«, sagte die Oma dann, »ich gehe ins Café, ich ertrage den Lärm nicht.«

Denn Opa Meume hörte nicht mehr gut und sein Fernseher war ohrenbetäubend laut.

Meine Eltern arbeiteten viel.

»Dafür geht es uns gut«, sagten sie immer und außerdem hatten sie am Wochenende richtig viel Zeit für mich. Ich dachte, dass sie verliebt in mich waren, denn das sagten sie oft und dazu noch: »Du bist eine sehr gelungene Mischung.«

Wenn mich jemand nach meinem Namen fragte, sagte ich: »Ich heiße Emma und ich bin ein Schlüsselkind.«

Dann machten die Erwachsenen immer große Augen und nickten anerkennend. Und ich hatte das Gefühl, dass es etwas Besonderes war, wenn man mit neun Jahren einen eigenen Wohnungsschlüssel besaß und nachmittags zwei Stunden allein zu Hause war.

Oma Meume gefiel es nicht, dass ich ein Schlüsselkind war. Deshalb hatten sie und Opa Meume ein Auge auf mich und sahen nach dem Rechten. Dienstags und donnerstags ging ich nach der Schule immer direkt zu ihnen. Dann gab es oft Gerichte, die meine Eltern nie kochten. Königsberger Klopse, Pastetchen mit Hühnerfrikassee oder Himmel und Erde.

»Brauchst du unsere Hilfe?«, fragte Opa Meume nach dem Essen immer.

Und Oma Meumes Antwort war immer dieselbe: »Nein danke, Meume, zieht euch ruhig zurück, ich bin beim Abwaschen gern allein.«

Dann gingen Opa Meume und ich ins Wohnzimmer und er las mir etwas vor. Opa Meume konnte seine Stimme so gut verstellen, dass Oma Meume manchmal aus der Küche kam und fragte: »Haben wir Besuch?«

Oder sie fragte: »Wie viele Leute sind hier eigentlich?«

Wenn sie mit dem Abwasch fertig war, machten wir zusammen Hausaufgaben.

Wir saßen zu dritt am Esstisch, übten Diktate oder versuchten Matheaufgaben zu lösen. Bei den Textaufgaben waren sich Opa und Oma Meume oft nicht einig.

»Meume, das muss so gerechnet werden, ich bin doch nicht blöd!«

»Meumin, das ist Humbug.«

»Humbug? Willst du damit sagen, dass ich es mit der Mathematik nicht so habe?«

»Nein, aber ich fürchte, du verstehst das gerade nicht.«

»So, so, Meume. Weißt du denn die Lösung?«

Wenn Opa Meume das verneinte, schnaubte Oma Meume und ging in die Küche, um Kekse und Schokolade zu holen.

»Die brauche ich jetzt für meine Nerven«, sagte sie, während ein großes Stück Schokolade in ihrem Mund verschwand.

Opa Meume griff dann auch in die Dose und nahm sich einen Keks. »Und den brauch ich für mein Gemüt.«

Gleich darauf lächelten sie schon wieder, denn sie konnten einander nie wirklich böse sein.

Nach den Hausaufgaben gingen wir zusammen in den Park.

»Der Mensch braucht frische Luft«, sagte Oma Meume oft, »auch wenn es in Strömen regnet.«

Sie band sich ein Kopftuch um, das aussah wie aus Frischhaltefolie, und zog einen Frischhaltefolien-Umhang über ihre Jacke. Opa Meume kam nur bei gutem Wetter mit.

»Meume, du bist doch nicht aus Zucker!«, sagte Oma Meume manchmal kopfschüttelnd.

Ich stellte mir dann ein Opa-Meume-Bonbon vor, das sich im Regen langsam auflöste.

Bei gutem Wetter gingen wir also zu dritt. Es gab für mich eine Gummischlange und für die beiden einen Kaffee am Kiosk im Park. Danach setzten sie sich auf eine Bank.

»Der Mensch braucht Bewegung!«, rief Opa Meume und freute sich, wenn ich herumhüpfte und rannte und zappelte.