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Theorien der Revolution zur Einführung

Florian Grosser

Theorien der Revolution zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Berlin
Dieter Thomä, St. Gallen

Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de

© 2013 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelbild: In Case of Revolution
Veröffentlichung der E-Book-Ausgabe März 2016
ISBN 978-3-96060-017-6
Basierend auf Printausgabe:
ISBN 978-3-88506-075-8
1. Aufl. 2013

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Zur Einführung …

… hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Reihe Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vismann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verantwortet wurde.

Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt politik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich produktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kompetent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leisten vermag.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Übersichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netzpublikationen vertraut.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä

Inhalt

1.Einleitung

Nach dem »Ende der Geschichte«: Die Rückkehr der Revolution?

Rückblick: Kurze Geschichte des Revolutionsbegriffs

Einblick: Spannungen in Phänomen und Begriff der Revolution

Rundblick: Die Pluralität von Revolutionen

Ausblick: Theorien der Revolution – Grundfragen und Grundtypen

2.Die Entdeckung der Revolution

Voraussetzungen revolutionärer Theorie und Praxis: Das politische Denken der Aufklärung

»Männer der Revolution« I: Revolutionstheoretische Überlegungen bei Thomas Paine und Thomas Jefferson

»Männer der Revolution« II: Revolutionstheoretische Überlegungen bei Sieyès, Saint-Just, Robespierre und Condorcet

Exkurs I: Theorien der Gegenrevolution

3.Die Erschließung der Revolution

Nachbetrachtungen aus der Distanz I: Kants politik- und moralphilosophische »Kritik der vernünftigen Umwälzung«

Nachbetrachtungen aus der Distanz II: Hegels geschichtsphilosophische Einordnung der Revolution

4.Die Erweiterung der Revolution

Die »proletarische Revolution«: Karl Marx und Friedrich Engels

Revolution als Abschaffung des Staates: Michail Bakunin und Pjotr Kropotkin

Passage à l’acte: Revolutionstheorie bei Wladimir I. Lenin und Rosa Luxemburg

Exkurs II: »Konservative Revolution«

5.Krise und Erneuerung der Revolution

Revolution und kritische Theorie: Walter Benjamin und Herbert Marcuse

Revolution und postkoloniale Theorie: Frantz Fanon und Michel Foucault

6.Das Erbe der Revolution

»Demokratische Revolution« heute: Étienne Balibar

»Kommunistische Revolution« heute: Slavoj Zizek

»Anarchistische Revolution« heute: David Graeber

7.Schluss

Der »Denkraum Revolution«

Kritiken der Revolution

Anhang

Dank

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

1. Einleitung

Nach dem »Ende der Geschichte«: Die Rückkehr der Revolution?

Spätestens mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem schon bald darauf diagnostizierten »Ende der Geschichte« schien die Revolution als relevante historische und politische Größe erledigt. Mit dem Wegfall der Systembedrohung durch den Kommunismus, so stellte Francis Fukuyama 1992 fest, habe sich der Liberalismus als politisches wie ökonomisches Grundprinzip unwiderruflich durchgesetzt. Bis tief in das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hinein stieß die Gegenwartsdiagnose vom Triumph der Demokratie und Marktwirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks auf breite Zustimmung. Trotz vereinzelter kritischer Einwände gegen die Thesen Fukuyamas – so z.B. derjenigen Jacques Derridas gegen deren implizit eschatologischen und hegemonialen Charakter1 – drückten diese die Epochenstimmung aus: das Empfinden vom unumkehrbaren Eintritt in ein Zeitalter der »Nachgeschichte«, in welchem grundlegende Veränderungen, vor allem aber Verbesserungen angesichts der Errungenschaften des liberal-marktwirtschaftlichen Gesellschaftsmodells nicht länger denkbar wären. Sowohl als Ziel politischen Handelns als auch als Gegenstand politischen Denkens musste Revolution unter den Vorzeichen dieses atmosphärischen Grundkonsenses zwangsläufig als obsolet gelten.

Zunehmend fragwürdig, gar brüchig wird dieser »posthistorische« Konsens freilich in dem Moment, in dem politische, soziale und insbesondere wirtschaftliche Krisen auch in den Ländern des Westens nicht länger zu übersehen sind. So spiegelt sich die immer raschere Abfolge immer neuer Krisen verstärkt in Diskursen wider, die um die Frage der Möglichkeit alternativer Formen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft kreisen. Im Zuge dieser diskursiven Verschiebungen, Ausdruck der verbreiteten Wahrnehmung einer schleichenden Aushöhlung demokratischer Institutionen und Prinzipien infolge der ökonomischen Globalisierung, verliert nicht zuletzt der Begriff »Revolution« den Anstrich des Abseitigen und rein Anachronistischen. Stießen die globalisierungs- und kapitalismuskritischen Slogans der Protestierenden in Seattle 1999 noch auf breites Unverständnis und wurde das Leitmotto des Weltsozialforums 2001 in Porto Alegre – »Eine andere Welt ist möglich« – weithin als utopische Schwärmerei verbucht, so ist die Infragestellung des bestehenden Systems seitdem in erstaunlichem Maße salonfähig geworden. Oberflächlich angezeigt wird das verbreitete, durch die Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahre zweifelsohne gesteigerte Unbehagen der Main Street an einer durch die Wall Street dominierten politisch-ökonomischen Kultur beispielsweise durch den Verkaufserfolg der Streitschriften des französischen Autors und ehemaligen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel, Empört Euch! (2010) und Engagiert Euch! (2011), oder des Manifests Der kommende Aufstand (2007) des sogenannten Unsichtbaren Komitees. Dass mittlerweile sogar die Unterhaltungsindustrie Revolution als publikumswirksames Thema für sich entdeckt hat, unterstreicht diese Tendenz nur.2 Maßgeblicher ist jedoch die Tatsache, dass sich vermehrt Bewegungen formiert haben, die das grassierende diffuse Unwohlsein an den gegenwärtigen Ordnungs- und Entscheidungsstrukturen politisch artikulieren und deren vielfach postulierte Alternativlosigkeit vehement zurückweisen. Die Suche nach Alternativen, nach Keimzellen des Neuen und Anderen – so z.B. nach Formen direkter, radikaler Demokratie oder nach »autonomen Räumen« (Graeber 2008: 17), die sich dem Zugriff etablierter Autoritäten entziehen – erfolgt dabei in dezidiert systemverändernder Absicht. Innerhalb des heterogenen Spektrums der Protestierenden, das gewerkschafts- und kirchennahe Gruppierungen ebenso umfasst wie Bürgerrechtsaktivisten, Studenten und prekär Beschäftigte, konnte sich in jüngster Vergangenheit insbesondere die Occupy-Bewegung profilieren. Deren Protest gegen soziale und ökonomische Ungleichheit, im Herbst 2011 in unmittelbarer Nähe der Wall Street begonnen, stieß nicht nur auf das Interesse der Medien. Vielmehr fand die Forderung von Occupy nach strukturellen Umbauten am globalen Finanz- und Wirtschaftssystem in über achtzig Ländern auf sämtlichen Kontinenten ein Echo. In den Zeltlagern von Tel Aviv und Kapstadt, Istanbul und Athen, London und Madrid, New York und Oakland äußerte sich das Empfinden einer gravierenden Legitimationskrise der Eckpfeiler des bestehenden Ordnungssystems – eines Marktes, der außerstande scheint, Minimalanforderungen der Gerechtigkeit zu erfüllen, ebenso wie einer zunehmend ökonomisierten Demokratie.

Entscheidende Impulse erfuhr die Wiederentdeckung der Revolution als relevante Kategorie politischer Praxis zuletzt freilich gerade auch von außerhalb des westlichen Kontexts. Denn mit der Ausbreitung des Arabischen Frühlings über Nordafrika und den Nahen Osten blieb es nicht bei der Infragestellung des Status quo und »präfigurativen« Erwägungen zu etwaigen Alternativen. Stattdessen ließ sich in Tunesien und Ägypten tatsächliche Umwälzung, d.h. der reale Zusammenbruch alter Ordnungen, beobachten. Auch wenn die Transformationen der Jahre 2010/11 sich rasch als unabgeschlossen erwiesen haben und ihre Resultate selbst mit wachsendem zeitlichen Abstand kaum schlüssig zu bewerten sind – bereits das Faktum des Ausbruchs und Erfolgs jener Umwälzungen bei der Beseitigung autokratischer und ferngesteuerter Regime trägt dazu bei, dass das Phänomen Revolution, ob nun als Chance oder als Bedrohung begriffen, in einer Weise ernst genommen wird, die mit jeder »posthistorischen« bzw. »postpolitischen« Weltsicht unvereinbar ist; und dies umso mehr, als ausgerechnet die arabische Welt zum Schauplatz von Versuchen wurde, »den Erscheinungsraum der Freiheit neu zu gründen« (Arendt 2011: 79) – eine Region also, als deren politische Hauptmerkmale lange Zeit Passivität, Stagnation und Rückständigkeit galten. So heterogen sich der Arabische Frühling und Occupy in ihren spezifischen Zielen und Mitteln, in ihren Triebkräften und Erfolgen zweifellos darstellen: In ihrem geteilten Bestreben nach tiefgreifendem sozialen und politischen Wandel deuten diese Bewegungen, zumal in ihrer zeitlichen Koinzidenz, dennoch auf eine Rückkehr der Revolution in den Rang eines politischen Schlüsselphänomens und Kampfbegriffs hin. Der Tahrir-Platz in Kairo und der Zuccotti Park in New York symbolisieren diesen Wiedereintritt der Revolution in die Arena der politischen Praxis, sind sie doch diejenigen Orte, an denen die Vorstellung von der Unmöglichkeit politisch-gesellschaftlichen Neuanfangs mit besonderem Nachdruck zurückgewiesen wird. Anstatt ein »Ende der Geschichte« zu bezeugen, scheinen sie Kristallisationspunkte zu bilden für ein Ende der »Nachgeschichte«.

Diese Entwicklungen in der politischen Praxis bleiben nicht ohne Wirkung auf den Bereich der politischen Theorie. Zwar zeigen Empire (2000) und Multitude: War and Democracy in the Age of Empire (2004), zwei Arbeiten der postmarxistischen Philosophen Michael Hardt und Antonio Negri, dass ein kontemporäres Nachdenken über radikale Veränderung nicht erst mit den Protesten und Rebellionen der jüngsten Vergangenheit einsetzt. Doch belegen die Analysen und Interventionen Alain Badious – er hält im Winter 2010/11 ein Seminar mit dem Titel Que signifie »changer le monde«? – zum Arabischen Frühling, David Graebers zu Occupy oder Slavoj Zizeks zum deus absconditus, zum verborgenen Gott einer postkapitalistischen Zukunft, dass die Frage nach der Möglichkeit von Weltveränderung sich aufgrund ihrer wiedererlangten Welthaltigkeit gegenwärtig neu aufdrängt; dass also das Problem der Revolution für das politische Denken entschieden an Bedeutung gewinnt. So stellt sich die Frage nach dem revolutionären Subjekt im Lichte der massenmobilisierenden Wirkung ägyptischer Blogger wie Wael Ghonim oder der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi – eines Schlüsselmoments zum Umsturz in Tunesien – nicht nur in neuer Dringlichkeit, sondern auch in besonderer Verständlichkeit. Im Hinblick auf Erfolge und Misserfolge in Kairo bzw. New York gilt das Gleiche für Fragen nach revolutionärer Gewalt, nach dem rechten Augenblick der Revolution oder nach der generellen (Un-)Möglichkeit revolutionärer Neugründung. Daran, dass sich Phänomen und Begriff der Revolution in verstärktem Maße auf der Agenda politischen Denkens wiederfinden, hat die konkrete Anschauung umwälzender Anstrengungen zweifellos mitgewirkt. Die gegenwärtig verbreitete Wahrnehmung der allgemeinen »Dürftigkeit« (Avital Ronell) des gesellschaftlich-politischen Zustands, der um sich greifenden »Anteilslosigkeit« (Jacques Rancière) und »Entdemokratisierung« (Wendy Brown) sowie das daraus resultierende Bedürfnis nach substanzieller Veränderung, die sich in den genannten und weiteren Bewegungen wie jener der spanischen Indignados niederschlägt, haben ihren Anteil daran, dass es innerhalb der politischen Philosophie und Theorie Verschiebungen gerade in der Art und Weise gibt, wie über Wandel nachgedacht wird bzw. welche Formen von Wandel als rechtfertigbar erachtet werden. Reformerisch angelegte Ansätze wie diejenigen John Rawls’, Jürgen Habermas’ oder Richard Rortys sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob nicht gerade das Ausmaß der sozialen Ungleichheit lokalen, nationalen wie auch globalen Zuschnitts mehr als bloße Nachbesserungen und Verfeinerungen am existierenden demokratischen Institutionen- und Diskursgefüge nötig macht. Pragmatische Empfehlungen jedenfalls, es im Zuge progressiver Politik bei reformorientierten Nachbesserungen an einem grundsätzlich funktionsfähigen System zu belassen, sehen sich angesichts der gegenwärtigen Krisen – im Politischen den Krisen der Legitimation, der Repräsentation und der Staatsbürgerschaft (vgl. Balibar 2012: 16 ff. bzw. 64) – zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, sich nicht auf der Höhe der Zeit zu bewegen. Anstatt, so die Argumentation zeitgenössischer Theoretiker der Transformation, lediglich einer Symptomverschiebung innerhalb eines »Regimes der absoluten Immanenz« (vgl. Negri 2010: 19) das Wort zu reden, gelte es heute, Transzendenz und damit das »Ereignis« der Revolution aufs Neue ins Zentrum politischer Auseinandersetzungen zu stellen.

Rückblick: Kurze Geschichte des Revolutionsbegriffs

Der Revolutionsbegriff ist, jedenfalls sofern er auf politische Veränderungen bezogen wird, genuin neuzeitlichen Ursprungs.3 In seiner im gängigen Sprachgebrauch vorherrschenden Bedeutung, die entscheidend durch die Erfahrung der Französischen Revolution – den zentralen Referenzpunkt moderner Revolutionskonzeptionen – geprägt ist, bezeichnet er politischen Wandel schlechthin, d.h. einen ebenso tiefgreifenden wie dauerhaften Wandel des bestehenden Ordnungssystems. Die Vorstellung einer derartig radikalen und überdies rechtfertigbaren Strukturveränderung im Politischen ist in der Antike unbekannt. Zwar kennt das antike Athen den Wechsel der Herrschafts- und Verfassungsmodelle, doch bleibt dieser insofern begrenzt, als es sich dabei um Machtverschiebungen zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Bürgerschaft handelt. Unter den Vorzeichen der Rechtsgleichheit unter Bürgern geht die Macht lediglich von einer Minderheitengruppe auf die andere über, während die Bevölkerungsmehrheit – Frauen, in der Stadt lebende Fremde, Sklaven – von politischer Partizipation ausgeschlossen bleibt. Dies trifft auf die Demokratie ebenso zu wie auf Monarchie und Aristokratie; auch die Demokratie stellt damit keinen vollkommenen Bruch in der Abfolge politischer Systeme dar. Aristoteles’ Überlegungen zur metabolétes politeías, zum Wechsel in den politischen Dingen in den Büchern III und IV der Politik bestätigen, dass es im Übergang von einer politischen Form zur anderen nicht zum Kollaps der Polis-Ordnung insgesamt und der diese organisierenden Mechanismen der Inklusion und Exklusion kommt. Generell gelten protorevolutionäre Bewegungen nicht nur als illegal; sie stehen mit ihren Forderungen, beispielsweise nach Umverteilung des Landes, sowohl in Athen als auch in Rom zudem im Verdacht der ebenso illegitimen wie ungehörigen Insubordination und Ruhestörung. Trotz gewisser inhaltlicher Nähen zum modernen Begriff der Revolution, so z.B. hinsichtlich des Elements der Gewaltsamkeit, sind dessen griechische und römische Vorläufer – stásis und kínesis bzw. seditio, secessio oder tumultus – eindeutig negativ besetzt: Im Vordergrund steht jeweils die Gefährdung der harmonischen Existenz des Polis- bzw. Staatsganzen, betont wird die Tendenz allen Aufruhrs, in vollkommene Anarchie und Bürgerkrieg auszuarten. Auch dem Mittelalter ist Revolution im neuzeitlich-modernen Sinne sowohl der Sache als auch dem Begriff nach unbekannt. Die auftretenden Erhebungen und Umstürze werden nicht als irreversibel aufgefasst, mit ihnen ist der für die Revolutionen seit 1789 so bezeichnende Gedanke des absoluten Neubeginns, des Herausfallens aus dem Kontinuum der Geschichte, noch nicht verknüpft. Es ist das Fehlen zweier Grundvoraussetzungen, einer begrifflichen und einer historischen, aus welchem sich erklären lässt, warum Revolution als politisch-gesellschaftlicher Strukturwandel und als Verwirklichung des Neuen weder in der Antike noch im Mittelalter gedacht werden kann: Während es auf ideell-konzeptueller Ebene der Ablösung zyklischer geschichtsphilosophischer Modelle durch linear-progressive Ansätze bedarf4, trägt auf materieller Ebene insbesondere die Entstehung des modernen »starken« Staates maßgeblich dazu bei, dass sich die Vorstellung von radikalem Neubeginn bzw. Systemsturz entwickeln kann. Denn sowohl das Ausmaß der vom Staat der Moderne ausgeübten Disziplinierung als auch die Idee der Repräsentation des Volkes durch einen souveränen Herrscher, die direkte politische Partizipation verunmöglicht, bereiten der Hoffnung auf bzw. dem Bedürfnis nach fundamentaler Umwälzung den Boden (vgl. Koselleck et al. 1984: 660 ff.).

In ihrer Studie Über die Revolution (1963) hebt Hannah Arendt die Bedeutung des Renaissancedenkers Niccolò Machiavelli für die Ausprägung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs hervor. Machiavellis Sonderstellung als Revolutionstheoretiker avant la lettre ist Arendt zufolge dessen Konzept der rinovazione geschuldet, dem Gedanken also, die Missstände im zersplitterten Italien des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ließen sich nur in engster Orientierung an antiken, vor allem römischen Vorbildern, ja nur qua Erneuerung derselben beheben. In vergleichbarer Weise leitet die Vorstellung einer »renovierenden« Neugründung Roms ursprünglich auch die Theoretiker und Praktiker der Revolution im späten 18. Jahrhundert. Deren typisch modernes »Pathos des radikalen Neubeginns« – die Vorstellung also, nicht nur Rom neu, sondern vielmehr das neue Rom zu gründen – sei hingegen, so Arendt, »erst im Gang der Revolutionen selbst« entstanden (vgl. Arendt 2011: 44). Doch nicht nur aufgrund dieser Rückwendung auf das Altertum, die Revolution mit Restauration verklammert, glaubt Arendt in Machiavelli den, so heißt es jedenfalls in der englischen Ausgabe ihres Revolutionsbuches, »geistigen Vater der Revolution« zu erkennen. Vielmehr ist Machiavellis enge gedankliche Verwandtschaft zu den Revolutionären zumal in Frankreich – Maximilien de Robespierre erklärt dessen Schriften zur Blaupause der Französischen Revolution – für sie auch darauf zurückzuführen, dass Machiavelli Gewalt im Politischen nicht nur enttabuisiert, sondern im Gegenteil deren gründende Kraft, die Produktivität des Destruktiven, unterstreicht. Von Arendt nicht thematisiert, für Machiavellis geistige Vorreiterschaft für ein modernes Revolutionsverständnis jedoch nicht weniger erheblich, sind zudem Überlegungen, die dieser in den Istorie Fiorentine darüber hinaus zur institutionellen Dimension politischen Wandels anstellt. So gilt ihm Michele di Lando, Anführer einer Revolte der Wollweber im Jahr 1378, gerade insofern als paradigmatisch politisch-revolutionäre Figur, als es diesem gelingt, die gewalttätigen Elemente des Volksaufstands einzudämmen und für die Errichtung einer neuen, pluralen und partizipativen republikanischen Rechtsordnung fruchtbar zu machen. Diesen verstreuten Anlagen zur Ausbildung eines Revolutionsbegriffs und der vereinzelten Verwendung des Wortes zum Trotz (vgl. Günther 1992: 959) unterbleibt die volle Ausprägung eines solchen im Denken Machiavellis. Ausschlaggebend hierfür ist insbesondere sein ganz der Epoche verhaftetes Geschichtsbild, dem zufolge sämtliche Veränderungen im Politischen – Machiavelli spricht von mutazioni und alterazioni – eingebettet bleiben in einen Kreislauf der ewigen Wiederkehr bestimmter grundlegender Verfassungsformen. In diesem Anknüpfen an zyklische Zeit- und Geschichtsmodelle, die von Aristoteles, Polybios und Cicero her bekannt sind, sowie an mit diesen korrespondierende Vorstellungen von der allenfalls relativen, stets umkehrbaren Veränderlichkeit politischer Verhältnisse muss Machiavelli die Idee scharfer geschichtlicher Zäsur bzw. absoluter Neuheit fremd bleiben, die gemäß dem modernen Verständnis für die Sache der Revolution so bedeutsam ist.

Eine zunehmende Politisierung erfährt das Wort »Revolution«, dessen Anwendungsbereich ursprünglich die Astrologie und Astronomie ist, seit dem 17. Jahrhundert. Mit dieser Politisierung geht auch insofern eine massive inhaltliche Neuausrichtung einher, als das Bedeutungsmoment der Gesetz- und Regelmäßigkeit verloren geht: Hatte »Revolution« in den Studien von Nikolaus Kopernikus den gleichbleibenden Lauf der Gestirne und damit den Wiederholungscharakter von Veränderung bezeichnet, so hebt das nunmehr politisch einschlägige Wort gerade auf ebenso unberechenbaren wie einmaligen Wandel ab. Dass der Prozess der Neuaufladung des Wortes »Revolution« und ihr Hervortreten als politische Kategorie sich schrittweise und vielfach vermittelt vollziehen, belegen die Glorious Revolution in England 1688 und deren Deutung durch die Zeitgenossen: So treten zwar sowohl die politische Konnotation des Begriffs als auch sein Vermögen, ein singuläres historisches Ereignis zu benennen, eindeutig zutage; doch klingt darin vernehmbar auch der ehemals dominante Aspekt der Wiederholung nach, nach deren Logik die Wiederherstellung der monarchischen Ordnung verstanden wird. Eine weitere nachhaltige Verschiebung des Gehalts ergibt sich daraus, dass »Revolution«, vor allem in den Volkssprachen, im Unterschied zu konzeptuellen Vorläufern wie stásis oder seditio, nicht länger eindeutig negativ konnotiert ist, d.h. als Verletzung einer natürlich-harmonischen Ordnung bzw. als Staatsverbrechen aufgefasst wird (vgl. Günther 1992: 957). Verstärkt wird die Politisierung und positive Umbesetzung von Revolution seit Mitte des 18. Jahrhunderts schließlich durch eine »geschichtsphilosophische Begriffsanreicherung« (Koselleck et al. 1984: 719). Beeinflusst durch die Erfahrung der friedlichen Transformation in England, kommt der Revolution eine Schlüsselrolle innerhalb progressiver aufklärerischer Geschichtsmodelle zu. Indem Revolution als Katalysator von Fortschritt, als Weg zur Freiheit und Sprungbrett in eine neue Epoche der zur Herrschaft gelangten Vernunft gefasst wird, erfährt der Begriff nunmehr neben der eindeutig politischen auch eine moralische Aufladung, die sich unter anderem in den Schriften Voltaires oder Rousseaus widerspiegelt.

Am Vorabend der revolutionären Geschehnisse in den Vereinigten Staaten und in Frankreich präsentiert sich »Revolution« als weithin gebräuchlicher politischer Kampf- und »Zukunftsbegriff« (Koselleck et al. 1984: 720). Dabei kristallisieren sich, was dessen Kerngehalte anbelangt, folgende charakteristische Tendenzen heraus: Revolution wird verstanden (1) als fundamentaler Wandel der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, der eine bleibende neue Ordnung der Dinge hervorbringt, und (2) als Fortschrittsbewegung auf die Freiheit hin. Neben den Momenten der Neuheit und der Freiheit scheint im Hintergrund zudem (3) das Problem der Gewalt auf. Diese wird zwar nicht als notwendig der Revolution zugehörig, aber doch als eng mit dieser verknüpft erachtet. Die Frage der Gewalt wird – so z.B. in den Schriften Paines und Jeffersons, in den theoretisch anspruchsvollen Auseinandersetzungen zwischen Condorcet und Robespierre über den rechten Umgang mit dem entmachteten König Ludwig XVI. oder in Kants Rede von »gewaltsamer Revolution« – deutlich als Herausforderung an die revolutionäre Praxis und Theorie markiert. Eine einheitliche Festlegung, ob neuheitlich-freiheitliche Revolution nun gewaltsam oder im Gegenteil gewaltlos zu sein habe, ist dabei freilich nicht auszumachen. Bei näherer Betrachtung erweisen sich allerdings auch die Momente der Neuheit und der Freiheit als ihrem Inhalt nach vergleichbar undeutlich bestimmt. Jedoch ist mit dem endgültigen Durchbruch des Kollektivsingulars »Revolution« in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Problemhorizont, in dem sich seither alles Nachdenken über radikalen politisch-sozialen Wandel vollzieht, im Wesentlichen abgesteckt: Zu den Fragen, wie genau Neuheit und Freiheit im Zusammenhang derartigen Wandels zu denken sind und ob Gewalt als Mittel der Transformation zulässig und rechtfertigbar sei, haben sämtliche Theorien der Revolution Stellung zu beziehen.

Einblick: Spannungen in Phänomen und Begriff der Revolution

Jeder Versuch, sich dem Phänomen der Revolution theoretisch zu nähern und es begrifflich zu erfassen, sieht sich einer Reihe von Schwierigkeiten ausgesetzt, die sich aus dem Gegenstand selbst, aus dem spezifischen Charakter desselben, ergeben. Eine erste Komplikation ergibt sich aus der sowohl exzessiven als auch evasiven Verfasstheit des Phänomens Revolution. So ist Revolution zum einen durch ein Moment des Überschusses bestimmt, fließen darin doch vollkommen heterogene Elemente und Faktoren zu einem unübersichtlichen Ganzen zusammen: In revolutionären Situationen treffen vielfältige Akteure (bestimmte für das Transformationsgeschehen ausschlaggebende Individuen oder Kollektive) mit unterschiedlichen Triebkräften (ideelle Motive wie der Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf der einen, handfeste materielle Interessen wie die Befreiung von Steuer- oder Schuldenlast auf der anderen Seite) und divergierenden Zeit- und Geschichtskonzeptionen (chronologischer oder kairologischer, eschatologischer oder messianischer Art) auf verschiedene schon bestehende politisch-rechtliche Institutionen und sozio-ökonomische Strukturen. Die Flut von Handlungen, Haltungen und Überzeugungen, von Worten, Bildern und Symbolen, von Kontroversen und Konflikten, die durch ihre Koinzidenz Revolution erst konstituieren, erschwert es erheblich, diese auf einen begrifflichen Nenner zu bringen. Zum anderen prägt auch ein Moment des Evasiven, des Entzugs, das Phänomen Revolution: Kennzeichnend für Revolution, zumal im dialektischen Zusammenspiel mit gegenrevolutionären Kräften, ist auch deren notwendige Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit, lässt sich doch kein endgültiger End-, kein evidenter Ruhepunkt der Umwälzung, der Kette von Menschen angestoßener revolutionärer Prozesse und diesen widerfahrender revolutionärer Ereignisse identifizieren. Das Bedürfnis zahlreicher Revolutionstheoretiker des 19. und 20. Jahrhunderts, die Französische Revolution »abzuschließen«, verleiht diesem evasiven Zug ebenso Ausdruck wie der von Proudhon und Marx entwickelte, von Trotzki zum Programm erhobene Gedanke einer »permanenten Revolution«. Dass deren Anfang und deren Ende, vor allem aber deren Erfolg – als tatsächlich vollendete Revolution – und Misserfolg – als »unvollendet«, als bloße Revolte oder bloßer Putsch – allenfalls ex post zu bestimmen sind, erweist sich somit als weitere Herausforderung an jede konzeptuelle Analyse von Revolution. So ist es wesentlich den Momenten von Überschuss und Entzug geschuldet, dass es an der »Sache« Revolution etwas – eine eigenwillige, gleichsam nicht objekthafte Gegenständlichkeit – gibt, das sich gegen begriffliche Fixierung sperrt; dass also zwischen Phänomen und Begriff der Revolution notwendig eine Spannung bzw. Abweichung bestehen bleibt.

Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich für den theoretischen Zugriff auch aus der Verwendungsweise des Begriffs. Dabei ist es nicht allein dessen ubiquitäres Auftreten in unterschiedlichsten Kontexten – der Politik, der Kunst, der Wissenschaft und der Technik, nicht zuletzt der Werbung –, die eine Unschärfe mit sich bringt. Vielmehr tritt diese Vieldeutigkeit bereits innerhalb politischer Sprachspiele zutage. Diese resultiert daraus, dass es sich bei Revolution um ein essentially contested concept handelt, über das gänzlich positionslos, unparteiisch und wertneutral zu sprechen unmöglich ist. Wie umkämpft der Begriff ist und wie attraktiv es für politische Gruppierungen und Bewegungen ist, ihn zu besetzen, belegt nicht zuletzt seine vielfache Inanspruchnahme in der Gegenwart. Von den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz bis zu den Anhängern der neokonservativen Tea Party in den Vereinigten Staaten: Den Titel Revolution zu reklamieren dient dazu, das eigene politische Projekt nicht nur in seiner Ausnahmestellung gegenüber dem normalen Politikbetrieb zu beschreiben, sondern es überdies auch als fortschrittlich bzw. als Projekt zur Wiederherstellung verloren gegangener Werte und Ideale auszuweisen und dadurch zu legitimieren. Umgekehrt wird »Revolution« jedoch auch von Reformern – und selbstverständlich auch von Konterrevolutionären – als Kampfbegriff ins Feld geführt, um einer gegnerischen Bewegung die Rechtmäßigkeit der Mittel wie der Zwecke gerade abzusprechen. Selbst innerhalb der Domäne des Politischen eröffnet sich somit ein breites, uneinheitliches Bedeutungsspektrum des Revolutionsbegriffs. Wie nachfolgend an den Darstellungen philosophischer Konzepte von Revolution bzw. philosophischer Komentare zu dieser zu zeigen sein wird, bleibt die umstrittene, die notorisch weltanschaulich aufgeladene Verfasstheit des Begriffs auf die Theorie nicht ohne Auswirkungen.

Neben den Spannungen, die sich aus seinem Gebrauch ergeben, weist schließlich auch der Begriff selbst, gleichsam in seinem Inneren, eine Reihe von Spannungen auf. Dies ist nicht allein der Tatsache geschuldet, dass sich in ihm deskriptive und präskriptive Elemente überlagern und durchmischen, dass er also gewissermaßen an der Schwelle zwischen Theorie und Praxis angesiedelt ist, so dass er stets zwischen beiden kippen kann.5 Hinzu kommt vielmehr, dass dem Begriff gerade in seiner modernen Bedeutung ein Moment des in sich Differenten, ja Widersprüchlichen innewohnt: Trotz der emphatischen Ausrichtung auf die Zukunft bleibt »Revolution« – präziser: »Re-volution«, dem ursprünglichen lateinischen Wortsinn nach also »Zurück-wälzung« – ihrem semantischen Gehalt nach in eigentümlicher Weise aufgespannt zwischen einem Zurück und einem Vorwärts, zwischen einer Wiederholung des Alten und Ursprünglichen und einem Ausgreifen auf das Neue und Andere. Auch indem sich der Begriff in dieser Struktur, in der sich die spezifische Zeitlichkeit von Revolution ausdrückt – »Das Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen«, so Bertolt Brecht im Hinblick auf den revolutionären »großen Sprung« –, dem Kriterium der Widerspruchsfreiheit verweigert, stellt er eine Herausforderung für die konzeptuelle Analyse dar.

Angesichts des sich begrifflicher Feststellung verweigernden Charakters des Phänomens sowie des umstrittenen, in sich spannungsgeladenen Charakters des Begriffs erweist sich jeder Versuch, Revolution in Theorie zu überführen, als in seinen Möglichkeiten begrenzt. Besonders konturiert tritt diese Begrenztheit im Vergleich mit anderen Textarten hervor, die nicht der nüchternen Begriffsarbeit verpflichtet sind. So sind es weniger distanzierte Abhandlungen und Traktate, die an die »Sache« Revolution heranzureichen scheinen, als vielmehr engagierte, existenziell involvierte Manifeste und Pamphlete, Streitschriften und Reden, die dieser in ihrer emphatischen Sprache entsprechen; die, indem sie die reine Betrachterperspektive ablehnen, das erfassen, was Revolution zu großen Teilen ausmacht. So spricht das Affektgeladene, das Enthusiastische, gar das Fanatische gerade aus offen parteiischen, agitierenden Texten wie der Flugschrift Was ist der Dritte Stand? (1789) des Abbé Sieyès, die die Dynamik des Revolutionären rhetorisch spiegeln, ja performativ umsetzen. Den »Geist«, die Atmosphäre der Revolution – eine Gemengelage aus Hoffnung und Stolz, aus Frustration und Wut, aus Zusammengehörigkeits- und Feindschaftsgefühlen – einzufangen und sich darin am Saum des Phänomens festzuhalten gelingt daneben auch Dichtern der Revolution wie William Blake, Friedrich Hölderlin, Victor Hugo, René Char oder Ahmed Fouad Negm, der »Stimme der ägyptischen Revolution«, besonders gut. Der ebenso hochgestimmte wie hochfahrende Anspruch und die unbedingte Zukunftsgläubigkeit des Revolutionärs artikulieren sich in den Worten Hölderlins jedenfalls eindrucksvoll: »Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungen, die alles Bisherige schaamroth machen wird.«6 Schwer zu bestreiten ist, dass theoretische Stellungnahmen zu Revolution diese atmosphärische Dimension in der Regel verfehlen, die Michel Foucault, als Zeuge der Umwälzungen im Iran 1978/79, als Dimension »politischer Spiritualität« bezeichnet. Durch welche Gewinne Theorien der Revolution diesen Verlust an unmittelbarer Gegenständlichkeit jedoch zu kompensieren vermögen, soll in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich untersucht werden.

Rundblick: Die Pluralität von Revolutionen

Weitgehend ausgeklammert wurde bis hierher die Tatsache, dass es sich bei Revolution keineswegs um einen Begriff handelt, der ausschließlich im Kontext des Politischen einschlägig wäre. Im Gegenteil: Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts vollzieht sich eine Ausdifferenzierung von »Revolution«, in deren Folge es zu einer Anwendung auf Entwicklungen einschneidender Transformation in einer Vielzahl weiterer sozialer Sphären kommt. Nachdem der Begriff in seiner modernen Bedeutung mit Immanuel Kants »kopernikanischer Wende«, seiner philosophischen »Umänderung der Denkart«, bereits für den Bereich der Wissenschaft erschlossen ist, treten zur »politischen Revolution«, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten und Frankreich vollzieht, auch die »industrielle« und die »soziale Revolution« hinzu (vgl. Koselleck et al. 1984: 766 ff.). Auch wenn sich beispielsweise Hannah Arendt für eine scharfe Grenzziehung zwischen politischer und sozialer Revolution ausspricht, ja mit Blick auf die Französische Revolution sogar die Kontamination der Ersteren durch die »soziale Frage«, d.h. die aus Arendts Warte letztlich apolitische »Tatsache der Armut«, beklagt (vgl. Arendt 2011: 73 ff.), ist für die revolutionäre Praxis und Theorie des 19. Jahrhunderts gerade das Verwischen dieser Grenze ein zentrales Merkmal. Ob bei Babeuf, bei Blanqui, bei Weitling oder schließlich bei Marx und Engels: Das Moment des Sozialen gewinnt so stark an Gewicht, dass das in einem engen Sinne, d.h. als Regimesturz und Verfassungswandel verstandene Moment des Politischen davon geradezu absorbiert wird.

Auch an frühen, in der Geburt der Tragödie Freilich soll damit keineswegs gesagt sein, dass das revolutionäre Potenzial der Kunst – und gerade der Kunst des 20. Jahrhunderts – auf derlei politische Anbindungen und Gehalte zu reduzieren wäre, dass also die revolutionären Intentionen sämtlicher Kunstrichtungen sich darin bereits erschöpften.