image

Wirtschaftsethik zur Einführung

Felix Heidenreich

Wirtschaftsethik zur Einführung

imaage

Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Dieter Thomä, St. Gallen
Cornelia Vismann, Weimar †

Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de

© 2012 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelbild: © Deutsche Börse AG
Veröffentlichung der E-Book-Ausgabe März 2016
978-3-96060-023-7
Basierend auf Printausgabe:
ISBN 978-3-88506-689-7
1. Aufl. 2012

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Zur Einführung …

… hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1978 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Von Zeit zu Zeit müssen im ausufernden Gebiet der Wissenschaften neue Wegweiser aufgestellt werden. Teile der Geisteswissenschaften haben sich als Kulturwissenschaften reformiert und neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervorgebracht; auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sind die traditionellen Kernfächer der Geistes- und Sozialwissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diese Veränderungen sind nicht bloß Rochaden auf dem Schachbrett der akademischen Disziplinen. Sie tragen vielmehr grundlegenden Transformationen in der Genealogie, Anordnung und Geltung des Wissens Rechnung. Angesichts dieser Prozesse besteht die Aufgabe der Einführungsreihe darin, regelmäßig, kompetent und anschaulich Inventur zu halten.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in verstärktem Maß ein Ort für Themen, die unter dem weiten Mantel der Kulturwissenschaften Platz haben und exemplarisch zeigen, was das Denken heute jenseits der Naturwissenschaften zu leisten vermag.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner
Dieter Thomä
Cornelia Vismann

Inhalt

1. Wirtschaft und Ethik

1.1 Wirtschaft soll ethisch werden

1.2 Ethik soll ökonomisch werden

1.3 Gegenstandsbereiche

1.4 Wirtschaftsphilosophie

1.5 Zum Aufbau des Buchs

2. Was ist Wirtschaft?

2.1 Antike Interpretationen wirtschaftlicher Prozesse

2.2 Frühes Christentum und Mittelalter

2.3 Liberalismus und ökonomische »Klassik«

2.4 Nach der »Klassik«: Worauf antwortet die Wirtschaftsethik?

3. Drei Paradigmen der Wirtschaftsethik

3.1 Integrative Wirtschaftsethik (Peter Ulrich)

3.2 Wirtschaftsethik als Institutionenökonomie (Karl Homann)

3.3 Theorie des Wertemanagements (Josef Wieland)

4. Wirtschaft und Demokratie

4.1 Das Subjekt des ökonomischen Handelns: Konsumenten als Wirtschaftsbürger

4.2 Die ökonomische Ethik der Politik: Staaten als Unternehmer

4.3 Governance und Gouvernementalität: Die kulturelle Macht der Unternehmen

5. Wirtschaftsethik als kritische Reflexion unserer Kategorien

5.1 Wachstum, Wohlstand, Glück

5.2 Arbeit, Leistung und Erfolg

6. Ausblick: Ethos des Marktes oder Moralisierung der Märkte

6.1 Ethik und Wirtschaft – Wer kolonisiert hier wen?

6.2 Wirtschaft und Sinn

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

1. Einleitung: Wirtschaft und Ethik

Wirtschaft und Ethik – gibt es da überhaupt eine Schnittmenge? Die Zeichen der Zeit legen den Verdacht nahe, dass gerade in der Sphäre der Wirtschaft die Unsittlichkeit um sich greift. Topmanager werden vor laufenden Kameras von Staatsanwälten abgeführt, Korruptionsskandale ungeahnten Ausmaßes erschüttern deutsche Traditionsunternehmen, Konzernleitungen bespitzeln mit illegalen Methoden ihre Mitarbeiter, und Bürger schaffen zu Tausenden ihre Einkünfte an den Steuerbehörden vorbei ins Ausland. Diese Meldungen rufen nicht mehr nur in ohnehin wirtschaftskritischen Kreisen heftige Reaktionen hervor. Längst sind es die Wirtschaftsvertreter früherer Generationen, die das Verschwinden des ehrlichen Kaufmanns beklagen und die Metamorphose der Bankiers zu Bankern mit Grauen verfolgen. Die zahllosen Skandale legen den Verdacht nahe, die Schnittmenge zwischen Wirtschaft und Ethik könne sich womöglich als leer erweisen.

Die Milton Friedman zugeschriebene, aber offenbar auf den General-Motors-Manager Alfred Sloan zurückgehende Formel »The business of business is business« bringt die These von der prinzipiellen Unmöglichkeit einer Wirtschaftsethik auf den Punkt und verknüpft sie zugleich mit einem theoretischen Argument, das auf die Eigenlogik von Sektoren abzielt.1 Im deutschsprachigen Raum hat Niklas Luhmann diese These wirkmächtig aus der Beobachtung abgeleitet, dass die Teilsysteme der modernen Gesellschaft nach ihren jeweiligen Eigenlogiken, ihren eigenen »Codes« operieren und sich daher von moralischen Appellen lediglich irritieren lassen können. Die in den 1980er Jahren sich allmählich institutionalisierende akademische Disziplin der Wirtschaftsethik stellte daher aus seiner Sicht primär einen Fall suggestiver Selbstbeschwörung dar. »Die Sache hat einen Namen: Wirtschaftsethik. Und ein Geheimnis, nämlich ihre Regeln. Aber meine Vermutung ist, dass sie zu der Sorte von Erscheinungen gehört wie auch die Staatsräson oder die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheim halten müssen, dass sie gar nicht existieren.«2

Die Tatsache, dass das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik in der öffentlichen Meinung zusehends als unversöhnlich wahrgenommen wird, scheint Luhmann recht zu geben. Das in den letzten Jahren wachsende Unbehagen scheint strukturelle Gründe zu haben und mehr als eine bloß zeitkritische Larmoyanz zu sein. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Herbst 2008 zum Konkurs der Investment-Bank Lehman Brothers führte, scheint nicht nur auf vermeidbare Fehler einzelner Personen zurückzugehen. Vielmehr scheint sich »die Wirtschaft« in einem Transformationsprozess zu befinden, dessen Entwicklungsrichtung nicht aus bisherigen Prozessen extrapoliert werden kann. Vor diesem Hintergrund tritt die Wirtschaftsethik mit einem großen Versprechen an, nämlich zusammenzuführen, was augenscheinlich gar nicht zusammengehört.

Eine Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik scheint dennoch möglich, wenn das eine zum Reflexionsbegriff des anderen wird: Versteht man die Begriffe Wirtschaft und Ethik als Reflexionsbegriffe, so benutzt man sie nicht zur Benennung von Sachverhalten in der Welt, sondern erklärt sie zu Beschreibungsmodi. Ein und derselbe Vorgang kann dann als ein wirtschaftlicher oder als ein ethischer Tatbestand betrachtet werden. Eine Spendengala ist dann beispielsweise sowohl als ökonomisches Geschehen als auch als ethischer Handlungszusammenhang beschreibbar. Will man Wirtschaft und Ethik zusammendenken, muss man folglich entweder Wirtschaft unter Gesichtspunkten der Ethik betrachten oder aber Ethik mit den Beobachtungsmitteln der Ökonomie zu verstehen suchen.3

1.1 Wirtschaft soll ethisch werden

Dass Wirtschaftsethik sich de facto im Zwischenfeld dieser beiden Pole bewegt, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die erste Variante einer Auflösung klar dominiert: Die Teildisziplin der Wirtschaftsethik, die an den Business Schools und in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen begleitend für künftige Manager angeboten wird, operiert mit der Anwendung von Ethik auf Wirtschaft: Wirtschafts- und Unternehmensethik verstanden als anwendungsorientierte Reflexion über ethisches wirtschaftliches Handeln bietet Orientierungshilfe bei der Suche nach dem ethisch richtigen Handeln oder ethisch angemessenen Strukturen bzw. Institutionen. Wirtschaftsethik in diesem Sinne liefert Antworten auf die Frage, wie einzelne Akteure – als Produzent, Konsument, Vorgesetzter oder Unternehmer – ethisch angemessen handeln sollen oder welche Regelsysteme für wirtschaftliche Akteure und Unternehmen angemessen sind. Diese anwendungsorientierte Wirtschaftsethik hat in den Curricula der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge meist eine ergänzende Funktion; sie ist an der Schnittstelle von Ökonomie und Praktischer Philosophie angesiedelt und hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem institutionell zusehends verankerten und wissenschaftlich ausdifferenzierten Forschungsgebiet und Tätigkeitsfeld entwickelt.

Die anwendungsorientierte Wirtschafts- und Unternehmensethik zielt nicht auf Begründung oder Herleitung moralischer Normen, sondern auf die möglichst effiziente Umsetzung von teils staatlich, teils durch Selbstverpflichtungen definierten Kriterien. In der Form von Wertemanagement und Compliance-Management dient sie dem Unternehmen selbst, indem sie beispielsweise vor jenen schwer kalkulierbaren juristischen Konsequenzen schützt, die sich aus Verfehlungen wie Korruption oder Diskriminierung ergeben können.

Die dienende Funktion der anwendungsorientierten Wirtschaftsethik sollte dabei keinesfalls abschätzig bewertet werden. Trotz großer Differenzen über die Art und Weise des Begründens und der Umsetzung ethischer Maßstäbe im Bereich der Wirtschaft wird diese Disziplin durch einen Konsens dahingehend zusammengehalten, dass Wirtschaft und Ethik nicht als unvermittelte Gegensätze gedacht werden können. Wirtschaftliches Handeln findet demnach nie in einem ethisch luftleeren Raum statt und kann sich der Frage nach der Ethik nicht durch das Argument entziehen, Wirtschaft habe nun einmal mit Ethik nichts zu tun. Auch wirtschaftliches Handeln ist primär Handeln und unterliegt daher wie jedes Handeln der ethischen Bewertung.

Als angewandte Ethik eines bestimmten Handlungsfeldes hat sie die besonderen Bedingungen dieses Handlungsfeldes in Rechnung zu stellen und in direktem Dialog mit den Praktikern auf diesem Feld lebensnahe Regeln zu erstellen. In Analogie beispielsweise zur Bioethik muss sie dabei verstehen, welche Handlungen in der spezifischen Sphäre überhaupt möglich sind, deren ethische Qualität prüfen und dann Regelungsvorschläge unterbreiten.

Diese Form der Wirtschaftsethik als »Bindestrich-Ethik« findet überall dort statt, wo Konzerne konkrete ethische Fragen zu entscheiden haben und die Verantwortlichen eine wohlbegründete Entscheidung herbeiführen wollen. Die angewandte Wirtschaftsethik findet ihren Niederschlag in Kommissionen, aber auch in Regelwerken, Selbstverpflichtungen und den Aktivitäten der Corporate Social Responsibility (CSR). Ausgehend von den USA hat sich nicht nur eine entsprechende akademische Disziplin ausgebildet, sondern es sind auch zahlreiche Netzwerke aus Akteuren, Beratern, Sonderbeauftragten und Unternehmensabteilungen entstanden. In Deutschland ist die wichtigste entsprechende Plattform das »Deutsche Netzwerk für Wirtschaftsethik« (DNWE), das durch Publikationen, Tagungen, Regionalforen und zahlreiche andere Veranstaltungen und Initiativen eine öffentliche Reflexion über die ethische Dimension ökonomischen Handelns voranzutreiben sucht.4 Mit den von Wilhelm Korff und Michael S. Aßländer herausgegebenen Handbüchern stehen zudem Werke zur Verfügung, die zu vielen Einzelaspekten ausführliche Darstellungen bereithalten.5

Die anwendungsorientierte Seite der Wirtschaftsethik soll in diesem Buch nicht im Zentrum stehen, denn die einzelnen Fragestellungen führen hier abhängig von Branche und Arbeitsfeld schnell zu sehr spezifischen Debatten. Dennoch werden abstraktere Überlegungen mit Verweis auf Anwendungsfälle veranschaulicht.

1.2 Ethik soll ökonomisch werden

Strukturell versucht die Wirtschaftsethik der ersten Kategorie, ethische Prinzipien, die außerhalb der Ökonomie gewonnen wurden, sich aus religiöser Überlieferung, transzendentaler Deduktion oder einem »herrschaftsfreien Diskurs« speisen, auf dem Feld der Wirtschaft anzuwenden. Wirtschaft und Ethik werden hier folglich zusammengeführt, indem sich die Ethik der Wirtschaft zuwendet. Die anwendungsorientierte Wirtschaftsethik stellt konkrete Fragen und liefert konkrete Antworten. Sie beschäftigt sich mit Arbeitnehmerrechten, der Institutionalisierung von Whistle-blowing-Optionen, dem Wertemanagement von Konzernen, der Gestalt von Selbstverpflichtungserklärungen oder der Ausgestaltung von konkreten Anreizsystemen. Geradezu unvermeidlich treibt die Wirtschaftsethik dabei über die bloße Anwendung hinaus und kehrt damit das Verhältnis der Reflexionsbegriffe tendenziell um. Es stellt sich die Frage, ob sich Ethik auch ökonomisch verstehen lässt.

Mit diesem Übergang von einer eher performativen Form der Ethik auf eine analysierende, deskriptive Betrachtung der Wirkmechanismen schließt die Wirtschaftsethik durchaus an klassische Traditionen an. Ethik bezeichnet klassisch seit Aristoteles eine Reflexion über die Verwirklichung des »guten Lebens«; diese Reflexion soll gerade nicht bloß ein theoretisches Konstrukt darstellen, sondern lebenspraktisch von Bedeutung sein. Um diesen praktischen Rat leisten zu können, untersucht Aristoteles zunächst verschiedene Lebensentwürfe; er unterscheidet Handlungsabsichten und Handlungsfelder und entwickelt eine Typologie von Lebenszielen. In diesem weiteren Sinn kann eine Ethik als Beschreibung eines spezifischen sittlichen Handelns in einem nicht-normativen Sinne verstanden werden; als solche hat sie die Aufgabe, konkrete Moralvorstellungen zu reflektieren und als Reflexion der Moral unter Umständen gerade für die Einhegung eines moralischen Furors aus ethischen Gründen zu plädieren.

Dieses zweite Verständnis von Wirtschaftsethik bemüht sich primär darum, unser wirtschaftliches Handeln angemessen zu verstehen. Die eingangs referierte These von der Eigenlogik verschiedener Wertsphären wird hier tendenziell in die andere Richtung aufgelöst. Während die Wirtschaftsethik des ersten Typus dafür plädiert, auch in wirtschaftlichen Handlungen eine ethische Komponente zu sehen, verfolgt die zweite Strategie der Aussöhnung das Ziel, eine Ethik im Ökonomischen zu finden, zu rekonstruieren und in manchen Fällen gar auf andere Handlungsfelder zu übertragen. Die These von der Eigenlogik wirtschaftlichen Handelns hat eine zeitdiagnostische Seite; sie geht einher mit der Beobachtung, dass hochkomplexe, moderne Gesellschaften primär als zweckorientierte und damit quasi-ökonomische Verbünde zu verstehen sind und nicht mehr als Gemeinschaften, die wie Familien echte Schicksalsgemeinschaften darstellen. Die Sphäre der Ökonomie wird damit sowohl von der privaten Sphäre der Familie als auch von der Sphäre der Politik abgegrenzt. Dies führt zu einer Umkehrung der Fragerichtung: Es geht bei vielen Autoren nicht mehr primär darum, wirtschaftliches Handeln durch ethische Prinzipien von außen zu beschränken, an Tugenden und Moral der Handelnden zu appellieren, sondern umgekehrt darum, aus dem angemessenen Verständnis ökonomischer Interaktionen Schlussfolgerungen über eine zeitgemäße Ethik zu ziehen. Nicht die Wirtschaft soll hier ethisch werden, sondern die Ethik endlich »ökonomisch«, also reflektiert, rational und vor allem effizient. Der Begriff der »Wirtschaft« wird so zum Reflexionsbegriff der Ethik, und die Modelle der Ökonomie dienen zur Klärung eines besseren Verständnisses von Ethik.

1.3 Gegenstandsbereiche

Neben der Differenzierung zwischen zwei Theorietypen der Wirtschaftsethik lassen sich die Beiträge auf diesem unüberschaubaren Forschungsfeld nach Gegenstandsbereichen differenzieren. Was analysieren sie, und an wen richten sie sich? Eine Einteilung in drei Ebenen bietet sich an.

Mikro-Ebene: Auf der untersten Ebene fragt die Wirtschaftsethik nach dem ethischen Handeln von Individuen. Als Individuen handeln wir in verschiedenen Rollen wirtschaftlich. Als Konsumenten treffen wir Konsumentscheidungen und können dabei verschiedene Aspekte berücksichtigen: die Bedingungen, unter denen das Produkt hergestellt wurde, die Umstände der Lieferung oder die zu erwartenden Langzeitfolgen seines Gebrauchs. Als Produzenten müssen Individuen über verwendete Materialien, Herstellungsverfahren, Transportwege etc. entscheiden. Als Unternehmer oder Vorgesetzte stellen sich den Individuen all jene Fragen, die mit dem Gebot eines ethischen Umgangs mit Mitarbeitern, Zulieferern oder Geschäftspartnern verbunden sind.

Meso-Ebene: Individuen sind in den entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften in der Regel keine Einzelunternehmer, sondern in Organisationen eingebunden. An Organisationen lassen sich ethische Appelle jedoch nicht in gleicher Form richten wie an Individuen, weil sie nach einer anderen Eigenlogik operieren. Die Unternehmensethik stellt daher eine eigenständige Subdisziplin der Wirtschaftsethik dar. Sie fragt nach Konzepten eines sozialverträglichen Unternehmertums (Corporate Social Responsibility – CSR), nach einem angemessenen Umgang mit Stakeholdern oder einem schlüssigen Reputationsmanagement. Da die Unternehmen aufgrund des öffentlichen Drucks systematisch entsprechende Abteilungen aufbauen oder sich professionell von Spezialisten beraten lassen, ist die Unternehmensethik ein hochgradig praxisorientiertes und bisweilen marktorientiertes Forschungsfeld geworden.

Makro-Ebene: Auf einer dritten Ebene fragt die Wirtschaftsethik nach der Struktur der wirtschaftlichen Ordnung insgesamt. Welche Güter sollten auf Märkten handelbar sein? Welche Güter sind als öffentliche Güter der Marktlogik zu entziehen? Wie sind Anreizsysteme, gesetzliche Rahmenbedingungen und strukturelle Ordnungen auszugestalten, um sowohl einzelne Akteure als auch Unternehmen zu einem ethischen Verhalten anzuleiten? Diese Fragen nach der Form und Legitimation der wirtschaftlichen Ordnung lassen sich letztlich nur vor dem Hintergrund einer Theorie beantworten, die eine plausible Vorstellung von der angemessenen Ordnung der Gesellschaft insgesamt bereitstellt. Wirtschaftsethische Überlegungen, die sich auf diese dritte Ebene beziehen, werden daher meist in einem engen Dialog mit soziologischen oder politischen Theorien entfaltet.

1.4 Wirtschaftsphilosophie

Es ist evident, dass in allen Versuchen, die Begriffe Ethik und Wirtschaft aufeinander anzuwenden, zunächst eine Klärung der Begriffe selbst notwendig ist. Wirtschaftsethische Diskussionen werden daher immer, ob explizit oder implizit, vor dem Hintergrund einer Vorstellung darüber entwickelt, was Wirtschaft »eigentlich«, d.h. ihrem Wesen nach ist. Diese Frage kann in der Philosophie ontologisch gestellt werden oder aber nominalistisch nach dem Sprachspiel, den Regeln und Üblichkeiten wirtschaftlicher Kommunikation fragen. In diesem Sinne reflektiert auch die Wirtschaftssoziologie die »Knappheitskommunikation« (Dirk Baecker) der Wirtschaft.6 Die Wirtschaftsethik transportiert folglich selbst in ihren sehr anwendungsorientierten Formen immer Anteile einer Wirtschaftsphilosophie oder -soziologie mit. Da sich diese Einführung explizit nicht als primär anwendungsorientiert, sondern als philosophisch versteht, wird im zweiten Kapitel die Debatte über die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft anhand zentraler historischer Stationen skizziert. Die Diskussion über das Wesen der Wirtschaft erweist sich dabei als eine Ausdifferenzierungsgeschichte, in deren Verlauf die Autonomie der Wirtschaft und die Eigenlogik des Marktes immer klarer diagnostiziert und zugleich gefordert werden.

Wenn im Wechselspiel von Wirtschaft und Ethik der Begriff der Wirtschaft problematisiert werden muss, so gilt dies auch für den Begriff der Ethik. Die beiden Aspekte eines praxisorientierten Anleitens und performativen Werbens für ethisches Handeln einerseits und die analytische Beschreibung ethischer Lebensformen andererseits ist bereits erwähnt worden. Meist versteht man, wie oben referiert, unter Ethik als wissenschaftlicher Disziplin die Reflexion der Moral. Eine zweite wichtige Verwendungsweise des Begriffs ist in der Darstellung wirtschaftsethischer Positionen immer wieder von Bedeutung, nämlich die Unterscheidung von Ethik im Sinne von Sittlichkeit (einer bestimmten weltanschaulichen oder kulturellen Gruppe) und im Sinne von Moral als universalem Anspruch an den Menschen an sich. Auch wenn sowohl »Ethik« über das griechische ethos als auch »Moral« über die lateinischen mores auf Sitten, also Traditionen, Gebräuche, Üblichkeiten zurückgeht, hat sich spätestens seit Kant eine Unterscheidung eingebürgert, die heuristisch sinnvoll erscheint und im Begriff der Wirtschaftsethik oft implizit mitläuft. Die Ethik in einem engeren Sinne befasst sich demnach mit Sitten, Tugenden, Bräuchen, kurzum: dem, was »sich gehört«. Als solche kommt Ethik im engeren Sinne nur in ethischen Gemeinschaften vor, die eine gemeinsame Vorstellung vom guten Leben vertreten und eine praktisch gelebte Vorstellung an die heranwachsenden Generationen weiterreichen, wie dieses gute Leben zu erreichen ist. Die Ethik kann diese Vorstellungen davon, was sich gehört und worin eine jeweilige Sittlichkeit besteht, sowohl deskriptiv als auch normativ behandeln; sie kann die Sitten und Usancen einer Gemeinschaft sowohl deskriptiv rekonstruieren als auch wertend beurteilen, nach möglichen Begründungen fragen, soziale Bedingungen rekonstruieren oder die Möglichkeiten einer Erziehung zur Tugend diskutieren. Der zentrale Begriff der Ethik im engen Sinne ist die Tugend, die als Haltung durch gelebte Praxis eingeübt werden muss. Die ethischen Ansprüche gehen demnach über das Gebot der bloßen Rechtsbefolgung weit hinaus. Nicht alles, was unseren Ansprüchen auf ein sittliches Verhalten widerspricht, ist automatisch im juristischen Sinne sittenwidrig. Paradigmatisch für diese Ethik im engeren Sinne mag Aristoteles stehen, bei dem sich deskriptive und normative Dimension in der Ethik vermischen. Entscheidend für die idealtypische Kontrastierung mit der Moral ist die Tatsache, dass bei Aristoteles ethisches Leben explizit mit dem Streben nach Glück in Verbindung gebracht wird. Unter der Voraussetzung, dass Nutzen hier nicht zu eng (etwa rein pekuniär oder hedonistisch) verstanden wird, lässt sich also sagen, dass die Ethik durchaus die Legitimität eines Glücksstrebens einräumt und davon ausgeht, dass ein sittliches, tugendhaftes Leben die Wahrscheinlichkeit erhöht, glücklich zu sein.

Die Moral hingegen fragt nicht nach den Sitten einer konkreten sittlichen Gemeinschaft oder nach Tugenden, sondern allein nach der Pflicht, die sich für den Menschen als Menschen (nicht als Mitglied einer konkreten Gemeinschaft) ergibt. Sie fragt nicht danach, was sich gehört, was zu empfehlen ist oder sich als klug erweisen wird, sondern allein danach, wozu der Mensch moralisch verpflichtet ist, sei es gesinnungsethisch, um einem ganz und gar guten Willen zu entsprechen, sei es verantwortungethisch, um gute und nützliche Resultate für möglichst viele Menschen zu zeitigen. Die Moral leitet entsprechend nicht dazu an, ein gutes Leben zu führen, zum Gedeihen der eigenen Gemeinschaft oder der eigenen Familie beizutragen, sondern allein dazu, den allgemeinsten moralischen Normen zu entsprechen. Idealtypisch kann hierfür der Name Kant stehen, der in seiner Moralphilosophie als Prüfstein für moralisches Handeln den kategorischen Imperativ vorschlägt. Entscheidend ist nun, dass das moralische Verhalten keineswegs auf ein glückliches Leben des einzelnen Handelnden abzielt, sondern allein die Pflichterfüllung beabsichtigt. Die Pflicht, die Menschenwürde zu wahren, muss, so Kant, auch dann erfüllt werden, wenn diese Rücksichtnahme die ethische Gemeinschaft gefährdet oder Unglück herbeiführt. Und auch der Utilitarismus proklamiert die Pflicht, den Nutzen für die größte Zahl zu fördern, als ein Ziel, das in Widerspruch mit dem Ziel eines glücklichen Lebens geraten kann. Die Moral orientiert sich an Prinzipien, sie klagt die Einhaltung moralischer Normen ein, nicht das Vorleben von Werten, sie macht nicht glücklich, sondern bestenfalls glückswürdig.

Lassen wir zunächst dahingestellt, wie tragfähig diese auf Kant zurückgehende Unterscheidung ist und ob sich die Tugendethik des Aristoteles und der moderne Pflichtenbegriff tatsächlich auf diese Weise gegenüberstellen lassen.7 Wichtige wirtschaftsethische Beiträge argumentieren dafür, diese Unterscheidung aufzulösen. Als heuristisches Hilfsmittel mag die Unterscheidung trotzdem hilfreich sein.

1.5 Zum Aufbau des Buchs

Entgegen einer starken Tendenz der Anwendungsorientierung in wirtschaftsphilosophischen und -ethischen Debatten will diese Einführung versuchen, einen breit angelegten Überblick über die Thematik zu bieten, der aus der Perspektive der Philosophie argumentiert und sich daher nicht von vorneherein an der Anwendbarkeit der diskutierten Theorien ausrichtet. Wirtschaftsethik wird dabei explizit nicht als ein Fach verstanden, das aus der Managementtheorie heraus versucht, ethische Elemente nachträglich zu berücksichtigen, sondern als ein Fach mit genuin philosophischem Anspruch.

Hierzu werden zunächst im zweiten Kapitel zentrale ideengeschichtliche Stationen der Thematisierung von Wirtschaft dargestellt. Durch die Rekonstruktion antiker, mittelalterlicher und moderner Interpretationen wirtschaftlicher Prozesse wird zunächst das Panorama möglicher Interpretationen von »Wirtschaft« ausgebreitet. Ziel dieses Kapitels ist es, die Kategorie des Marktes als historisch gewachsenes Modell einer bestimmten theoretischen Schule auszuweisen. Die Rede von der »Logik des Marktes« wird so rekontextualisiert. Während im zweiten Kapitel alles auf die These von der Dichotomie von Ethik und Markt zuläuft, stellt das folgende Kapitel drei paradigmatische Reintegrationsversuche vor, nämlich die wirtschaftsethischen Ansätze von Peter Ulrich, Karl Homann und Josef Wieland. Die Auswahl legitimiert sich durch ihre herausragende Wirkung und ihr klares Profil. Peter Ulrich entwickelt eine diskursethisch fundierte Konzeption einer Integration von Wirtschaft und Ethik, die das positivistische Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaften aushebelt. Karl Homann vollzieht einen Perspektivenwechsel von einer auf den Werten von Individuen basierenden Sichtweise hin zu einer auf die Anreizstrukturen von Institutionen fokussierenden Betrachtung. Seine Institutionenökonomie erweist sich dabei nicht nur als Theorie der Wirtschaftsethik, sondern darüber hinaus als Theorie der Ethik für ausdifferenzierte, hochkomplexe Gesellschaften insgesamt. Josef Wieland wiederum verteidigt die Bedeutung von Werten, plädiert jedoch für ein organisationstheoretisch belehrtes Management dieser Werte in Unternehmen. Das vierte Kapitel erweitert die Perspektive und fragt nach der Rolle des Staates und dem Verhältnis von Wirtschaft und Demokratie. Leitend ist dabei die These, dass auch wirtschaftsethische Theorien Konzeptionen von Politik, Staat oder Demokratie zumindest implizieren. Kapitel fünf unternimmt es dann, eine weitere mögliche Form von Wirtschaftsethik als Reflexion von Begriffen wie Wachstum, Glück, Arbeit oder Leistung zu beschreiben. Das Schlusskapitel greift die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Ethik auf und wagt einige Spekulationen über die Produktion von Bedeutsamkeit im ökonomischen System.

2. Was ist Wirtschaft?

2.1 Antike Interpretationen wirtschaftlicher Prozesse

Es ist kein Zufall, dass wirtschaftliche Prozesse in der griechischen Philosophie erst von Aristoteles systematisch thematisiert werden. Die griechischen Stadtstaaten waren zwar durch regen Handel eng verbunden. Doch blieb die wirtschaftliche Produktion und Verteilung von Gütern den politischen und militärischen Fragen stets nachgeordnet. Das Wohl der Polis entschied sich letztlich auf dem Schlachtfeld und weniger auf dem Marktplatz. Die Heroen der Griechen waren Halbgötter, legendäre Feldherren, Dichter oder Athleten, aber keine Unternehmer. Zudem war die Sorge um den Lebensunterhalt auf die Sklaven abgewälzt. Die Überflussgesellschaft der freien Bürger konnte deren Mühen aus der Distanz beobachten. Die ökonomische Tätigkeit der Bürger beschränkte sich auf die Anleitung des Haushalts, des oikos, die der oikonomikos möglichst klug und nachhaltig, aber eben nicht primär profitorientiert zu betreiben hatte.